Montag, 21. März 2022

Nicht dialog-, nicht friedenswillig - jW

 

Entnommen: https://www.jungewelt.de/artikel/422938.krieg-in-der-ukraine-nicht-dialog-nicht-friedenswillig.html



Nicht dialog-, nicht friedenswillig

Staatsstreich mit Washingtons Segen, Krieg im Donbass, Säbelrasseln in Kiew. Zur Vorgeschichte des Krieges in der Ukraine


Von Harald Projanski

 
Mit Krieg, Luftangriffen und Blutvergießen kannte sich der 77 Jahre alte Redner aus, der im Dezember 2013 die Bühne auf dem Maidan bestieg, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. US-Senator John McCain, 1967 bei einem Luftangriff auf ein Wasserkraftwerk in Vietnam abgeschossen, war wieder mal im Fronteinsatz. »Ukrainisches Volk!« rief er, »das ist euer Moment! Die freie Welt ist mit euch! Amerika ist mit euch!« Tausende Teilnehmer einer Kundgebung gegen den Präsidenten Wiktor Janukowitsch jubelten ihm zu.
Nur wenige Wochen später floss Blut auf dem Maidan. Bewaffnete Nationalisten schossen ab Anfang Februar 2014 in Kiew auf Polizisten. Durch Schüsse von Ultrarechten kamen in jenem Februar in Kiew 16 Polizisten um. Auch 84 Demonstranten starben durch Kugeln. Die Umstände sind bis heute nicht geklärt, weil Schützen, womöglich rechtsextreme Provokateure, nicht identifiziert werden konnten. So begann der ukrainische Bürgerkrieg. Acht Jahre später kehrt dieser Krieg auf furchtbare Weise in die Stadt zurück, in der er mit Hilfe amerikanischer Einpeitscher entfacht wurde.


Maidan-Proteste


Die Protestbewegung des Maidan gegen den Präsidenten Wiktor Janukowitsch begann im November 2013. Der unmittelbare Auslöser: Am 21. November hatte die ukrainische Regierung erklärt, sie werde einem vorbereiteten Abkommen über die Assoziierung der Ukraine mit der EU nicht zustimmen. Verhandlungen über eine entsprechende Vereinbarung hatte bereits der ukrainische Präsident Wiktor Juschtschenko 2007 begonnen. Der 2010 gewählte Janukowitsch führte die Verhandlungen fort. Schließlich wuchsen 2013 in der ukrainischen Regierung Befürchtungen, das Abkommen könne die wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit Russland beschädigen.
In weiten Teilen der ukrainischen Öffentlichkeit weckte das EU-Assoziierungsabkommen den Eindruck, es gehe um eine Vorstufe der Mitgliedschaft in der EU. Millionen wirtschaftlich und politisch wenig gebildeten Ukrainern schien es, als stünden sie an der Schwelle zu mitteleuropäischem Wohlstand. Die naheliegende Schlussfolgerung: Das einzige Hindernis auf dem Weg dorthin, Janukowitsch, musste weg. Und so strömten die Massen auf den Maidan, den Unabhängigkeitsplatz in Kiew. Keiner der Hunderttausenden von Demonstranten hatte auch nur einen Blick in das mehr als 900 Seiten dicke Assoziierungsabkommen geworfen. Es sah die Öffnung des ukrainischen Marktes für westliche Produkte und begrenzte Exportquoten für ukrainische Waren vor, vor allem für Agrarprodukte. Eine Perspektive für eine EU-Mitgliedschaft des Landes enthielt es nicht.
Die Protestbewegung nährte sich nicht nur aus dem Wunsch nach Wohlstand, sondern auch aus der Wut über den korrupten Präsidenten Janukowitsch. Der hatte auch die Unterstützung im Donbass in der Ostukraine verloren, wo er als Gouverneur von Donezk lange populär gewesen war. Denn als Präsident hatte er sein Wahlversprechen gebrochen, Russisch zur zweiten Staatssprache zu machen und eine Föderalisierung durchzusetzen. Das waren Kernforderungen der russisch geprägten Bevölkerung des Südostens der Ukraine gewesen, der er seinen Sieg 2010 verdankte.
Janukowitsch, dessen Weg vom Straßenkriminellen zum Staatschef ein Spiegel der postsowjetischen Ukraine war, wich vor den Nationalisten zurück. Als im Februar 2014 straff organisierte nationalistische Trupps im Westen des Landes die Gebietsverwaltungen und Dienststellen der Polizei und des Sicherheitsdiensts stürmten, duldete der Präsident wochenlang eine Doppelmacht. Am 21. Februar unterzeichnete Janukowitsch mit den Vertretern der Maidan-Opposition ein Abkommen zur Bildung einer »Regierung der nationalen Einheit«. Die Vereinbarung sah auch die Entwaffnung aller illegalen Kampftruppen binnen 48 Stunden vor und Präsidentenwahlen innerhalb eines halben Jahres. Als Garantiemächte unterzeichneten die drei Außenminister Polens, Frankreichs und Deutschlands das Abkommen. Für die Bundesrepublik zeichnete der jetzige Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Doch das Abkommen war schon nach 24 Stunden Makulatur. Militante Nationalisten stürmten die Präsidentenadministration.


Janukowitsch floh in den Osten der Ukraine. Von dort aus wurde er durch einen von Wladimir Putin geleiteten Einsatz von Sicherheitskräften nach Russland evakuiert. Unterdessen bildeten Parteien der Maidan-Proteste, darunter die ultranationalistische Partei »Swoboda« (»Freiheit«), die damalige Bruderpartei der NPD, eine »Regierung der Sieger«. Sie wurde geführt vom Premierminister Arsenij Jazenjuk und dem neuen Parlamentschef Olexander Turtschinow. Die neue Regierung erklärte Janukowitsch für abgesetzt – eindeutig verfassungswidrig.
Der Staatsstreich in Kiew geschah mit dem Wohlwollen Washingtons. Jazeniuk hatte sich bei zahlreichen Kontakten mit US-Politikern das Vertrauen der dortigen Regierung erworben. Er war ihr Favorit. Zwei Wochen vor dem Umsturz in Kiew war ein Video bekanntgeworden, in dem Victoria Nuland, Europa-Beraterin des damaligen US-Präsidenten Barack Obama im Gespräch mit dem US-Botschafter in Kiew dafür plädierte, »Jaz«, wie sie Jazeniuk nannte, solle Regierungschef der Ukraine werden. Auf die Meinung der Europäer sollten die Amerikaner dabei keine Rücksicht nehmen. »Fuck the EU«, sagte Nuland.


Vorposten der USA


Was bürgerliche Beobachter als taktlosen, aber auch harmlosen emotionalen Ausbruch werteten, war nur ein vulgärer Ausdruck von Geopolitik. Für die USA ist die Ukraine in der globalen Auseinandersetzung mit Russland von außerordentlicher Bedeutung. Der geopolitische Stratege und ehemalige Präsidentenberater Zbigniew Brzezinski hatte bereits in den neunziger Jahren in seinem Buch »Die einzige Weltmacht« die Bedeutung der Ukraine für die US-Strategie klar definiert: »Ohne die Ukraine«, schrieb Brzezinski sei Russland »im wesentlichen ein asiatischer imperialer Staat«, gezwungen, sich mit Konflikten in Zentralasien zu befassen.


Kontrolliere Russland jedoch die Ukraine und deren Ressourcen, so der frühere Berater des US-Präsidenten James Carter, dann wäre die russische Föderation ein »mächtiger imperialer Staat«. In diesem Kontext warnte Brzezinski auch vor einer »deutsch-russischen Abmachung« und einer »Verständigung zwischen Europa und Russland mit dem Ziel, Amerika vom Kontinent zu verdrängen«. Ganz in diesem Sinne hatte US-Botschafter Geoffrey Pyatt bereits auf einer Veranstaltung der US-Botschaft in Kiew im Oktober 2013, einen Monat vor Beginn der Maidan-Proteste, dafür geworben, die Ukraine zum Vorposten Washingtons zu machen. Die Ukraine habe »keinen besseren Freund als die USA«, tönte der US-Botschafter. Und er fügte hinzu, an der Seite der USA hätte die Ukraine »Myriaden von Möglichkeiten«.


Welche »Möglichkeiten« eine von willigen Helfern der USA geführte Ukraine tatsächlich hatte, zeigte sich bald. Der verfassungswidrige Umsturz in Kiew am 22. Februar 2014 sprengte den Elitenkonsens in der Ukraine. Am 23. Februar kam es in der Hafenstadt Sewastopol auf der Halbinsel Krim zu einer Massenkundgebung von Zehntausenden unter russischen Fahnen. In Sewastopol war und ist die russische Schwarzmeerflotte stationiert. Am 27. Februar erschienen auf der Krim Soldaten ohne Hoheitsabzeichen und besetzten unter anderem den Flughafen von Simferopol. Russland sicherte die Krim und deren russische Bevölkerung vor dem Zugriff der Kiewer Putschisten.


Die Soldaten kreisten ukrainische Kasernen auf der Halbinsel ein und ließen den dortigen Militärs die Wahl: Wer wollte, konnte in Zivil nach Hause fahren und wurde nicht gefangengenommen. Zugleich erhielten alle Soldaten und Offiziere das Angebot, ihren Dienst in der russischen Armee im gleichen Dienstrang fortzusetzen. Viele nahmen das Angebot an.
Nirgendwo kam es zu blutigen Kämpfen. Statt dessen gab es nächtelange Diskussionen, etwa mit Offizieren der ukrainischen Schwarzmeerflotte in Sewastopol, die erst im Morgengrauen in die russische Flotte übertraten. Die unblutige Militäraktion für die »Rückkehr der Krim« (so der Name einer Medaille für Teilnehmer) verhinderte Blutvergießen und sicherte den zwei Millionen Bewohnern der Krim bis heute ein friedliches Leben. Abgeschlossen wurde die Operation durch ein Referendum am 16. März 2014. Dabei sprachen sich nach offiziellen Angaben 96,57 Prozent der Teilnehmer für den Beitritt der Krim und Sewastopols zur Russischen Föderation aus. Dieser Beitritt wurde am 18. März 2014 in Moskau mit einer Vertragsunterzeichnung vollzogen.


Eskalation im Donbass


Was den Bewohnern der Krim dadurch erspart blieb, das zeigte sich bald im Donbass. Dort entwickelte sich nach der Flucht Janukowitschs eine Bewegung für ein Referendum über eine Föderalisierung der Ukraine. Für diese Forderungen gingen in den Städten der Ostukraine im Frühling 2014 Zehntausende auf die Straße.


Am 7. April 2014 riefen Aktivisten im besetzten Gebäude der Bezirksverwaltung in ­Donezk die »Donezker Volksrepublik« aus. Sie beriefen sich dabei auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Auch im benachbarten Lugansk entstand Anfang April eine Volksrepublik. Die neue Staatsmacht stützte sich auf Einheiten von »Volksfreiwilligen«, die sich aus Arbeitern und jungen Intellektuellen zusammensetzte.
Doch die neue ukrainische Führung, die alle ihre Schritte eng mit den USA abstimmte, reagierte auf die »Volksrepubliken« ganz anders als auf die Machtansprüche der Nationalisten im Westen des Landes. Am 14. April 2014 veröffentlichte die Website des ukrainischen Präsidenten den Ukas 405/2014. Damit wurden die bewaffneten Kräfte der Ukraine zu einer »antiterroristischen Operation« gegen die eben erst gegründeten »Volksrepubliken« aufgerufen. Das war eine Kriegserklärung der ukrainischen Führung an einen Teil ihres Landes. Ab Anfang Mai setzte die ukrainische Regierung gegen die von der »Donezker Volksrepublik« kontrollierte Stadt Slawjansk erstmals Artillerie ein. Die Stadt wurde wochenlang beschossen.


Als Reaktion auf die Aggression der Kiewer Regierung beteiligten sich mehrere Hunderttausend Bürger am 11. Mai 2014 an einem Referendum für eine Unabhängigkeit der »Volksrepubliken« Donezk und Lugansk. Vor der Teilnahme an dem Referendum warnte damals in deutscher Selbstüberschätzung der damalige Außenminister Frank Walter Steinmeier. Aber auch Putin sprach sich öffentlich gegen diese Abstimmung aus. Bei dem Referendum stimmten nach Angaben der Wahlkommission 89,7 Prozent für die Eigenständigkeit und damit für eine Loslösung von der Ukraine.
Zu diesem Zeitpunkt befanden sich keine Einheiten der Streitkräfte der Russischen Föderation im Donbass. Moskau setzte damals nicht auf eine militärische Eskalation, sondern strebte im Mai 2014 eine Verhandlungslösung an. Am 25. Mai 2014 fanden in der Ukraine Präsidentschaftswahlen statt. Aus ihnen ging der als »Schokoladenkönig« bekannte Oligarch Petro Poroschenko mit 54,7 Prozent als Sieger hervor. Die russische Führung erkannte das Ergebnis an, obwohl der Wahlkampf in einer Atmosphäre des Terrors von Nationalisten gegen alle prorussischen Kräfte stattfand. Kandidaten linker Parteien konnten nicht an dieser Wahl teilnehmen. Nach dem Rechtsputsch vom Februar 2014 war die Ukraine durch Gewalt von rechts ein Land ohne Linke geworden. Die größte Linkskraft, die Kommunistische Partei, ist bis heute faktisch illegal. Für die Verwendung ihrer Symbole drohen Haftstrafen. Der ukrainische Geheimdienst SBU, am Gängelband der CIA, hat seit 2014 einen Polizeistaat lateinamerikanischen Musters geschaffen.


Land ohne Linke


Der ab 2014 formierte Staat in der Ukraine folgte drei grundlegenden Impulsen, mit welchen die ukrainischen Nationalisten Staat und Gesellschaft zunehmend dominierten:
1. Russland ist der Feind der Ukraine.
2. Die russische Sprache ist ein Instrument des Feindes und wird bekämpft.
3. Nationalhelden sind nicht die Soldaten der Roten Armee, sondern die Kämpfer des nationalistischen Untergrundes gegen die Sowjetunion.
In diesem Sinne wirkte auch ein diskriminierendes Sprachgesetz, das im Januar 2022 in Kraft trat. Selbst die FAZ-Kulturkorrespondentin und Ukraine-Sympathisantin Kerstin Holm notierte in ihrem Blatt am 18. Januar mit sichtlichem Erschrecken, mit diesem Gesetz würden »traditionell russischsprachige Städte« nun »vom Westen des Landes kulturell assimiliert«. Dabei sprechen nach Umfragen mindestens 30 Prozent der Ukrainer Russisch als Muttersprache.
Dem Wesen nach war dieses Gesetz eine Kriegserklärung des Regimes in Kiew an die Russen im eigenen Land, an die russische Sprache und Kultur. Über die fatalen Folgen eines solchen Schrittes scheinen die Verantwortlichen nie nachgedacht zu haben. Doch der Grad an Aggressivität der Politik des Kiewer Machtsystems ist auch in Moskau jahrelang unterschätzt worden.


Noch im Sommer 2014 war Putin den Einflüsterungen des russischen Botschafters in Kiew Michail Surabow gefolgt, eines Vertreters der Kompradorenbürokratie. Surabow war durch trübe Geschäfte in »Freundschaft« mit Poroschenko verbunden. Der wiederum nutzte den pflegeleichten russischen Botschafter für ein professionelles Betrugsmanöver. Er versprach, nach seiner Amtseinführung Gespräche über eine Autonomie des Donbass zu führen und verkündete zunächst einen Waffenstillstand. Doch Anfang Juli begann er eine Offensive der ukrainischen Armee gegen die Donbass-Republiken, obwohl Putin ihn in Gesprächen davor gewarnt hatte. Die ukrainischen Streitkräfte, weit besser ausgebildet und ausgerüstet als die »Volksfreiwilligen« im Donbass, eroberten im Juli 2014 einen großen Teil der Gebiete der Volksrepubliken zurück. Dabei versuchten sie vor allem, die Republiken an der Grenze zu Russland von Verbindungen ins Nachbarland abzuschneiden.


Doch das Vorhaben scheiterte, weil gut ausgebildete Soldaten ohne Hoheitsabzeichen auf seiten der Donbass-Volksfreiwilligen in die Kämpfe eingriffen. Russland hatte offenkundig in einer geheimen Aktion Militär entsandt, um eine Niederlage der Volksrepubliken zu verhindern. Die Moskauer Propaganda verwendet in jüngster Zeit den überzeichnenden Begriff »Genozid« für das ukrainische Vorgehen. Doch jenseits aller propagandistischen Übersteigerung ist offensichtlich, dass ein Einmarsch ukrainischer Streitkräfte und nationalistischer Bataillone in Donezk, Lugansk und anderen Städten des Donbass nur zu massenhaftem Terror und Blutvergießen führen würde. Nach Angaben des russischen Ermittlungskomitees vom Februar 2022 sind seit 2014 etwa 2.600 Zivilisten im Donbass durch den Krieg umgekommen, darunter viele Frauen und Kinder.


Minsk I und Minsk II


Mit dem verdeckten militärischen Eingreifen zum Schutz der Volksrepubliken wuchs im August 2014 die Gefahr eines Krieges zwischen Russland und der Ukraine. Um eine solche Eskalation zu vermeiden, sorgte Russland dafür, zwischen der Ukraine und den Donbass-Volksrepubliken die beiden Waffenstillstandsabkommen Minsk I und Minsk II im September 2014 und im Februar 2015 abzuschließen, mit Frankreich und Deutschland neben Russland als Garantiemächten. In beiden Abkommen war Russland keine Konfliktpartei – auch wenn im Westen oft das Gegenteil suggeriert wurde.
Dass sich der vereinbarte Waffenstillstand immer wieder als brüchig erwies, lag im Kern daran, dass die ukrainische Führung doppelgleisig fuhr: Sie schürte Revanchestimmung gegenüber dem Donbass und versuchte, sich gegenüber westlichen Förderern als Opfer einer »russischen Aggression« darzustellen. Die Revanchepolitik basierte neben Artilleriebeschuss auf einer wirtschaftlichen Blockade. Poroschenko verhängte Anfang Dezember 2014 einen vollständigen wirtschaftlichen und finanziellen Boykott gegen die »Volksrepubliken«. Das Ziel bestand darin, deren Bevölkerung ins Elend zu treiben und gewaltsam zu unterwerfen.


Doch die Kiewer Rechnung ging nicht auf, was daran lag, dass der russische Präsident gegen Widerstände im Regierungsapparat, vor allem im von Kompradorenbürokraten durchsetzten Finanzministerium, die Zahlung von Gehältern und Renten für die Bevölkerung der Donbass-»Volksrepubliken« anwies. Der für die Verhandlungen über den Donbass zuständige Vize der Präsidentenadministration Dmitri Kosak sprach auf einer Sitzung des Sicherheitsrates am 21. Februar 2022 von »astronomischen« Summen zur Unterstützung für den Donbass.


Das Minsker Abkommen vom Februar 2015 sah in Punkt 4 einen besonderen »Status« für die nicht von der Kiewer Regierung kontrollierten Teile des Donbass vor. Doch weder Poroschenko noch sein Nachfolger Wolodimir Selenskij wollten den vereinbarten Sonderstatus. Die Sorge der Herrschenden in Kiew: Auch andere Regionen könnten an einer Autonomie Geschmack finden. Das hätte die Einnahmen der korrupten Bürokratie in Kiew zwangsläufig geschmälert.


Doch auch in den »Volksrepubliken« sank angesichts von Boykott und Beschuss durch Kiew das Interesse an einer Rückkehr unter die Macht der Ukraine. Die Stimmung im Donbass brachte der damalige Leiter der Donezker Volksrepublik Olexander Sachartschenko im Februar 2016 auf den Punkt: Die Donezker Volksrepublik werde »nicht zur Ukraine zurückkehren«. Und er sprach vielen aus der Seele, als er hinzufügte: »Für mich gibt es nur ein Land, das meines ist: Russland.«


Schon zu dieser Zeit war erkennbar, dass die Führung der Ukraine im Konflikt mit den Volksrepubliken im Donbass weder dialog- noch friedensfähig war. Daran änderte auch die Wahl Selenskijs zum Präsidenten im Mai 2019 nichts. Zwar nahm er im Dezember 2019 gemeinsam mit Wladimir Putin, Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris an einem Treffen des Normandie-Formats teil, innerhalb dessen die Umsetzung des Minsker Abkommens verhandelt wurde. Dabei vereinbarten die Teilnehmer Details für den Abzug schwerer Waffen an der Konfliktlinie und eine Entminung. Doch die Umsetzung stockte bald. Wer sich die Aufzeichnung der Pressekonferenz am Ende der Verhandlungen in Paris im Dezember 2019 anschaut, sieht einen Präsidenten Selenskij, der feixend darauf reagiert, dass der russische Präsident Punkte des Minsker Abkommens vorträgt.


Vorpreschen in München


In der Zeit nach diesem Treffen forderte Selenskij immer wieder die baldige Aufnahme seines Landes in die NATO. Doch dabei beließ er es nicht. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am 19. Februar teilte er mit, er habe seinen Außenminister beauftragt, Gespräche über das »Budapester Memorandum« zu führen. Das war eine politische Deklaration vom Dezember 1994, in der Russland, die USA und Großbritannien versprachen: Als Gegenleistung für die Ablieferung von Atomwaffen der Sowjetunion an den Nachfolgestaat Russland sichere man der Ukraine die Souveränität in den Grenzen der ukrainischen Sowjetrepublik zu.


Man betrachtet diese Vereinbarung schon durch den von ihr als »Annexion« bezeichneten Beitritt der Krim zu Russland als verletzt. Dabei übersieht die ukrainische und westliche Lesart, dass das Budapester Memorandum kein völkerrechtlich gültiger Vertrag war, sondern lediglich eine politische Willenserklärung.


Zu diesem Memorandum sagte Selenskij auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dass Gespräche darüber wahrscheinlich »keine Ergebnisse« brächten. Und er fügte hinzu, dann habe »die Ukraine jedes Recht zu glauben, dass das Budapester Memorandum nicht funktioniert und alle Paketbeschlüsse von 1994 in Frage gestellt sind«. Gemeint ist der ukrainische Verzicht auf Atomwaffen in dem Memorandum.
Diese Rede Selenskijs, im Westen überhört, war eine eindeutige Drohung, sich Atomwaffen zu verschaffen. In Moskau wirkte dieser Auftritt alarmierend. Denn in der Perspektive bedeutet das für Russland die mögliche Entstehung einer Atommacht an ihren Grenzen, mit Revancheansprüchen auf russisches Territorium: die Halbinsel Krim.


Womöglich gab diese fatale Rede Selenskijs in München den letzten Ausschlag für den russischen Präsidenten, fünf Tage später die vom Generalstab ausgearbeiteten Pläne für einen Einmarsch in die Ukraine in Befehle zu verwandeln
.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen