Donnerstag, 29. November 2018

Kein Frieden mit der EU - Patrik Köbele




EU-WAHL 2019



Die EU steht für Ausbeutung“


Die DKP und die EU-Wahl 2019. Die UZ sprach mit Patrik Köbele, Vorsitzender der DKP

UZ: Die DKP tritt zur Wahl des EU-Parlaments an. Was sind die Forderungen der Kommunistinnen und Kommunisten?

Patrik Köbele: Zuallererst werden wir einen Friedenswahlkampf führen. Die EU ist nicht – wie es die Grünen gerade so massiv propagieren – ein Friedensgarant, sondern sie steht im Gegenteil für wachsende Kriegsgefahr in Europa. Es ist die von Deutschland dominierte EU, die mit PESCO und im Schulterschluss mit der NATO gegen Russland mobilisiert. Die Kriegsgefahr mit Europa als Kriegsschauplatz ist riesig und die EU ist Mitverursacher dieser Zuspitzung. Der Putsch in der Ukraine und die aktuell wieder brandgefährliche Situation sind doch Ergebnisse des Versuchs, die Ukraine in die EU zu holen.
Die EU steht für Flucht und Vertreibung. Zum einen durch genau diese Kriegspolitik zumeist im Bündnis mit der NATO. Aber auch, weil sie durch ihre Wirtschafts- und sogenannte Freihandelspolitik Menschen in Afrika und im Nahen Osten die sozialen Perspektiven nimmt und die Umwelt zerstört. Neben dem Zugang zu Ressourcen und Rohstoffen geht es in neokolonialer Manier auch um die optimale Verwertung von Arbeitskräften.
Die EU steht für Ausbeutung – nicht nur dort, wo sie Länder weltweit und in der EU-Peripherie brutal ausblutet, sondern auch in diesem Land. Flucht und Migration werden verursacht und Flüchtende und Migranten werden bewusst instrumentalisiert, um die Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse zu verschärfen. Dafür steht doch Jens Spahns Gesundheitspolitik, in der Pflegekräfte als Lohndrücker aus EU-Peripherieländern angeworben werden sollen. Auch die Schuldenbremse ist ein Instrument der EU, das in unserem Land die Kommunen ausblutet und zu weiteren Privatisierungen führt.
Unter dem Strich heißt das für uns: Es gibt keinen Frieden mit der EU. Sie ist ein imperialistisches Konstrukt, das nicht reformiert werden kann, sondern überwunden werden muss.

UZ: Wie will die DKP in den Wahlkampf eingreifen?

Patrik Köbele: Wir erarbeiten gerade ein Forderungsprogramm, das auf dem Sofortforderungsprogramm zur Bundestagswahl 2017 basiert. Im Kern richtet es sich gegen die Verursacher von Krieg, Flucht und Armut und stellt Forderungen auf, die sich dann finanzieren lassen, wenn es an den Rüstungsetat und an das Geld der Verursacher von Krieg, Flucht und Armut geht. Das würde die Konkurrenz unter den Ausgebeuteten in Deutschland wie auch in der EU entschärfen.
Im Wahlkampf wird auch der Aufruf „Abrüsten statt Aufrüsten“ eine große Rolle spielen. Er richtet sich gegen die NATO-Vorgabe, die Rüstungsausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen und damit quasi zu verdoppeln. Dieser Aufruf trifft im Bereich Krieg und Hochrüstung die Kernstrategien des deutschen Imperialismus und der EU und setzt ihnen etwas entgegen. Er muss weiter verbreitet werden. Dazu werden wir auch den Wahlkampf nutzen.

UZ: Wir erleben eine massive Rechtsentwicklung. Geht es jetzt nicht darum, alle Linkskräfte zu sammeln? Warum kandidiert die DKP eigenständig und ruft nicht zur Wahl der Partei Die Linke auf?

Patrik Köbele: Ich habe ja eingangs unsere Inhalte genannt. Sie unterscheiden sich von den Beschlüssen der Linkspartei. Auf ihrem letzten Parteitag konnte sich die Partei Die Linke nicht zu einer Position „Frieden mit Russland“ durchringen. Wir unterscheiden uns auch in der Forderung „Raus aus der NATO“, in der Einschätzung der EU als Kriegstreiber und Verursacher von Flucht und Migration. Wir unterscheiden uns grundsätzlich in der Frage, ob wir die EU für reformierbar halten. Wir halten die EU für ein Instrument des deutschen Imperialismus zur Durchsetzung seiner Interessen. Wir sagen, sie muss im Interesse der Völker – auch des deutschen Volkes – überwunden werden. Wir halten hier eine klare Positionierung für notwendig. Wir dürfen die berechtigte EU-Skepsis nicht den Rechten überlassen.
Mit unseren Sofortforderungen haben wir eine Chance, etwas im Massenbewusstsein zu bewegen. Viele fallen auf nationalistische und rassistische Parolen etwa von der AfD rein. Sie glauben mit Abwehr und Ausgrenzung etwas für ihre Interessen tun zu können. Das ist ein Irrglaube. Eine klare Analyse und Aufklärung über die wirklichen Verursacher der Probleme in diesem Land kann dem etwas entgegensetzen. Deshalb ist unsere Kandidatur auch eine Kandidatur gegen die Rechtsentwicklung.

UZ: Seit 1979 gibt es das EU-Parlament. Bis heute fehlen ihm maßgebliche Befugnisse selbst für ein bürgerliches Parlament. Warum will die DKP in so ein Parlament?

Patrik Köbele: Im Parlamentarismus sind alle Parlamente in unterschiedlicher Abstufung ein Stück weit Scheinparlamente. Sie verschleiern die wahren Machtverhältnisse, die Diktatur des Kapitals. Trotzdem wäre es Unsinn, wenn revolutionäre Kräfte, wenn Kommunistinnen und Kommunisten, nicht erkennen, dass Wahlkämpfe und auch Parlamente Formen sind, in die man den Klassenkampf hineintragen muss.
Kommunistinnen und Kommunisten nutzen Parlamente, auch das EU-Parlament, dazu, dass Menschen für ihre Interessen in Bewegung kommen. Das ist doch der entscheidende Punkt, dass Menschen sich widersetzen. Wenn das in den Hintergrund rücken würde, liefen wir Gefahr, vom Parlamentarismus aufgefressen zu werden. Unsere wenigen kommunistischen Abgeordneten zeigen, dass wir dieser Gefahr konsequent begegnen.

UZ: Die DKP braucht 4000 Unterschriften für den Wahlantritt. Sie hat ein Zigfaches für die Bundestagswahl 2017 und die Kampagne „Abrüsten statt Aufrüsten“ gesammelt. Also eine Sache aus dem Handgelenk, oder wie siehst du das?

Patrik Köbele: Wir müssen spätestens Anfang März die beglaubigten Unterschriften abgeben. Das ist ein relativ enger Zeitraum. Zumal zwischen Weihnachten und Neujahr auch bei uns nicht viel passiert und das Wetter Infostände nicht gerade erleichtert. Ich glaube nicht, dass wir die Sammlung aus dem Handgelenk schütteln werden, aber das wollen wir ja auch gar nicht. Wir wollen die Unterschriftensammlung nutzen für Gespräche über unsere Inhalte, unsere Haltung zur EU, aber auch über unsere Partei und ihre notwendige Stärkung.
Wir haben die Genossinnen und Genossen aufgerufen, noch in diesem Jahr die Unterschriften der Mitglieder und des engen Umfelds einzusammeln. Auch hier geht es uns um Gespräche zum Beispiel über die Arbeit und Unterstützung der Partei und des Wahlkampfes. Bis zum Luxemburg-Liebknecht-Wochenende im Januar wollen wir mindestens 2 500 beglaubigte Unterschriften haben.
Wir haben uns das Ziel gesetzt, insgesamt 6 000 Unterschriften zu sammeln. Wir werden für die Unterschriftenaktion zügig ein Material veröffentlichen, in dem wir aufzeigen, warum es notwendig ist, dass man für die DKP unterschreibt und sie auch wählt, aber vor allem, warum es notwendig ist, Widerstand von links gegen die EU zu entwickeln.
Vorab aus der UZ vom 30. November 2018





Montag, 26. November 2018

DIE RUSSLAND-VERSCHWÖRUNG - rubikon



Die Russland-Verschwörung


Ganz im Sinne der herrschenden Kriegstreiber verbreiten die Medien Vorurteile, Stereotype und Hetze, wenn es um Russland geht.


von Flavio von Witzleben


Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ (1). Mit diesem Satz beschreibt der Soziologe Niklas Luhmann die überaus hohe Deutungshoheit der Medien und deren Macht, den Massen ein Bild der Realität zu vermitteln, das ihren Vorstellungen und Ansichten entspricht. Dass in der Gesellschaft die Tendenz vorherrscht, diese Meinungen mehr oder weniger ungeprüft zu übernehmen, ist mittlerweile nachgewiesen (2). Andererseits haben die Medien aufgrund ihrer hohen Deutungsmacht eine gewisse Verantwortung der Gesellschaft gegenüber, der sie mit einer möglichst objektiv-sachlichen Berichterstattung nachkommen sollten. Dass dies jedoch nicht immer der Fall ist, lässt sich am Beispiel der Russlandberichterstattung zeigen. Diese ist in erster Linie von Vorurteilen und Stereotypen geprägt (3).

„Ich fürchte nicht, dass das russische Volk an Hunger sterben könnte, denn Gott selbst ernährt es mit seiner ewigen Liebe“ (6). Dieses Zitat des deutschen Dichters und Lyrikers Rainer Maria Rilke aus dem Jahr 1900 zeigt, welche Faszination die in Russland lebenden Menschen schon damals unter Teilen der deutschen Poeten ausgelöst hat. Auch Thomas Mann und Friedrich Nietzsche galten als große Bewunderer Russlands. So bezeichnete Nietzsche Russland als die „einzige Macht (...), die noch etwas versprechen kann“ – ganz im Gegensatz „zu der erbärmlichen europäischen Kleinstaaterei und Nervosität“ (7).

Auf die Einstellung der deutschen Bevölkerung hatten diese Zuschreibungen nur sehr geringen Einfluss. So fixierte Deutschland seine Ostpolitik vom ausgehenden 17. Jahrhundert zwar an in erster Linie auf Russland, doch auch damals schon waren unter der deutschen Bevölkerung starke Vorurteile und Stereotype gegenüber den Russen verbreitet. Feierten große Teile der Bevölkerung Alexander I., der 1813 Napoleon besiegte, noch als „Befreier Europas“ (8), galt sein Nachfolger Nikolaj I., der die revolutionären Bewegungen in Europa unterdrückte und sich für den Erhalt der Monarchie einsetzte, den Liberalen und Demokraten als Inbegriff der Despotie und reaktionären Politik. Daher etablierte sich unter dessen Herrschaft zunehmend das Bild eines nach Expansion strebenden Russlands, welches sich möglicherweise auch die deutschen Staaten zueigen machen könnte. Und so stand beispielsweise auf den Flugblättern aus dem Revolutionsjahr 1848 die beängstigende Botschaft: „Die Russen kommen“ (3).

Sag, wie hast du es mit Russland?
Erst mit der Schwächung des Zarenreiches sank auch die Angst der deutschen Bevölkerung wieder, wie beispielsweise nach der russischen Niederlage im Krimkrieg 1856. Nach Ende der Restaurationszeit wurden Russland und die Haltung diesem Land gegenüber zunehmend zu einem gesellschaftspolitischen Thema. So war es stets ein schmaler Grat zwischen Russophobie und Russophilie, die entsprechende Einstellung wurde zu einem gesellschaftlichen Messwert, wobei die Faustregel wie folgt aussah: Wer Russland kritisierte, kein gutes Wort über das Land verlor und in Russland die „Inkarnation von Despotie und Barbarei“ sah, der war Teil des Lagers der bürgerlichen Freiheit und stand für Volksrechte und die Bewahrung des Vaterlandes ein (8). Grob gesagt lautete der Tenor bezüglich russischer Politik: „Eine despotische Herrschaft über ein barbarisches Land“ (9).

Demgegenüber standen diejenigen, die heute vermutlich als „Russlandversteher“ bezeichnet werden würden. Wer also zu jener Zeit Lobenswertes über Russland äußerte, erhielt gleich mehrere Stempel: Er war gleichzeitig Bekenner „asiatischer Barbarei, orientalischer Despotie und Eroberungsgeist“ (9). Als Beweis für die Expansionsbestrebungen Russlands verwies man auf die Geschichte: Auf den Einfall Iwan des Schrecklichen in Livland, auf das angebliche Testament Peter des Großen mit der „Tatsache“, dass Expansion quasi ein Naturgesetz russischer Geschichte sei (8).

Zu Zeiten Bismarcks wurde diese Tradition fortgesetzt, ja sogar mit einem tendenziell überheblichen Blick auf Russland hinabgeschaut. Bismarck bezeichnete Russland einst in einem Briefwechsel mit dem preußischen Staatsminister Alexander Gustav Adolf Graf von Schleinitz als „einen riesigen Bauernstaat, mit Gleichheit ohne Freiheit“ (10). Vor Beginn des ersten Weltkrieges wurden diese Vorurteile mobil gemacht und auch die damaligen deutschen Medien stimmten ein in die Ablehnung gegenüber Russland. Die Münchener Zeitung, Vorgänger der Süddeutschen Zeitung, titelte sogar kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges: „Russland will den Weltkrieg“ (11).

Die Vorurteile wachsen
Zur Zeit des Nationalsozialismus prägten antirussische Klischees das Bild, so dass sich die „asiatisch-untermenschliche Rückständigkeit“ in das Kollektivbewusstsein der deutschen Bevölkerung einbrannte und mit antikommunistischen und antisemitischen Vorurteilen verknüpft wurde. Während des Kalten Krieges und der Aufteilung Deutschlands in die vier Besatzungszonen entstand im Osten Deutschlands jedoch unter der sowjetischen Staatsdoktrin offiziell das Bild der „Deutsch-Sowjetischen Freundschaft“; „Russenhass“ prägte nicht mehr das Gefühlsmuster der Bevölkerungsmehrheit (12).

Im Westen Deutschlands hingegen begann die Zeit des Denkens in Schwarz-Weiß-Mustern; hier der gute Westen, dort der böse Feind, die Sowjetunion. Dies nahm erst wieder ab, als mit Michail Gorbatschow ein Mann an die Macht kam, der ernste Reformbestrebungen in seinem Land durchführte, bekannt unter den Stichworten „Perestroika“ und „Glasnost“, und den viele Westdeutsche verniedlichend „Gorbi“ nannten. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Fall der Berliner Mauer wurden zunächst positive Russlandbilder erweckt, die bis zum Beginn der Jahrtausendwende anhielten und ihren Höhepunkt in der Rede Wladimir Putins im Bundestag 2001 fanden, wobei dieser in seinem Vortrag in deutscher Sprache die Gemeinsamkeiten der beiden Länder betonte.

Nachdem sich jedoch in Russland sukzessive das Gefühl der Isolation entwickelte und eine Integration weder in die westliche Gemeinschaft noch in das internationale Sicherheitsgefüge gelang, ist das Bild spätestens seit der Ukraine-Krise und Putin-Hitler-Vergleichen wieder wesentlich negativer.

Vorurteile und Stereotype im Russlandbild der Medien
Die deutschen Medien berichten über Russland immer noch vorwiegend im Sinne alter Stereotypen und Vorurteile. In den aktuellen Kontroversen ist vor allem eine „Putinisierung“ der Medienberichterstattung zu beobachten, bei der in erster Linie „Putins Russland“ im Fokus steht (14). So strahlten die deutschen Fernsehanstalten alleine in der Vorwoche der Präsidentschaftswahlen in Russland 2018 über 20 Dokumentationen und Reportagen aus, die „Putin“ im Titel trugen und diesen in einem negativen Licht erscheinen ließen, beispielsweise „Propaganda 3.0 – Putin und der Westen“ oder „Putins Rache – Angriff auf die US-Wahl“.

Auch Buchtitel deutscher Journalisten wie „Putins verdeckter Krieg“, „Generation Putin“ oder „Putin – der neue Zar“ verengen den Blick und lassen den Eindruck entstehen, die einzig wichtige Person in dem 140 Millionen Einwohner zählenden und flächenmäßig größten Land der Erde sei Putin. Hierbei wird dieser zumeist in Bildern dargestellt, die bei den Lesern oder Zuschauern negative Assoziationen hervorrufen. Das wohl bekannteste Motiv zeigt ihn grimmig dreinblickend als Cowboy auf einem Pferd und mit nacktem Oberkörper.

Dies paart sich mit Berichten und politischen Einschätzungen, die zumeist auf Annahmen beruhen. So wurde Putin 2015 in der deutschen Berichterstattung über den Mord des Oppositionellen Boris Nemzow so dargestellt, als sei er persönlich verantwortlich für den Mord, obwohl hierfür jeglicher Beweis fehlte (15). Gleiches galt auch beim Abschuss des Passagierflugzeuges „MH17“ über der Ostukraine 2014, durch den fast 300 Menschen starben. Kurz nach der Tragödie und ohne jegliche Beweise geschweige denn erste fundierte Hinweise auf die Täterschaft titelte der Spiegel: „Stoppt Putin jetzt“. Im Hintergrund des Titelbildes waren die Fotos der Opfer abgebildet. Nachdem dieses Titelbild im Internet einen „Shitstorm“ ausgelöst hatte, sah sich die Redaktion veranlasst, eine Stellungnahme zu veröffentlichen, in der sie sich jedoch nicht von der Veröffentlichung distanzierte, sondern sie rechtfertigte (16).

Mediale Doppelstandards
Worauf diese „Boulevardisierung“ der Medien zurückzuführen ist, ist nicht zweifelsfrei zu klären. Eine Erklärung könnte das Vorverständnis einiger Journalisten gegenüber Russland sein. Darüber hinaus kann sie jedoch auch auf die Einsparungen großer Medienverlage in der Auslandsberichterstattung zurückzuführen sein, da eigene Reporter im Ausland sehr hohe Kosten verursachen (15). So schloss beispielsweise die einzige deutsche Wirtschaftszeitung, das Handelsblatt, 2013 sein Büro in Moskau und auch der Focus und der Stern haben keine Korrespondenten mehr in der russischen Hauptstadt.

Auch die Tatsache, dass negative Nachrichten meist einen größeren Nachrichtenwert haben als positive, dürfte eine Rolle spielen. Dass jedoch ständig mit zweierlei Maß gemessen wird, ist ein Phänomen, das vor allem in der Russlandberichterstattung auffällt. Während Putin gerne als „lupenreiner KGB-Spion“ dargestellt wird, wird die Tätigkeit US-amerikanischer Politiker für die CIA, beispielsweise von George Bush senior oder die des aktuellen US-Außenministers Mike Pompeo, zumeist nur am Rande erwähnt. Die Liste weiterer Beispiele ist lang und würde den Rahmen dieses Artikels sprengen.

Die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, konstatierte in ihrem Buch „Russland verstehen. Der Kampf um die Ukraine und die Arroganz des Westens“, dass „Warnungen aus Moskau unter Propaganda abgelegt und Interessen Moskaus erst gar nicht ernst genommen (werden), wohingegen sich der Westen die Wahrung eigener Interessen ohne Einschränkungen zubilligt und gegebenenfalls humanitäre Aspekte oder Terrorverdächtigungen entsprechend angleicht“ (17).

Auch die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer führt aus, dass die Berichterstattung bezüglich der Ukraine-Krise das Freund-Feind-Denken stetig verstärkt und die Rollen hierbei klar verteilt sind: Auf der einen Seite das „böse“ Russland in Person des Machtpolitikers Putin und auf der anderen Seite die EU/USA sowie die idealisierte ukrainische Übergangsregierung (18). Artikel wie „Die Welt darf nicht zuschauen, wie ein Diktator sein Volk abschlachtet“ oder „Warum Putin mit einem brutalen Feldzug ein neues Imperium erschaffen will“ sind nur zwei Beispiele für den einseitigen Umgang mit Russland.

Dies erkannte auch der ARD-Programmbeirat zur Zeit der Ukraine-Krise 2014 und formulierte in einem Statement: „In der Berichterstattung über die Krise in der Ukraine überwog anfangs eine Schwarz-Weiß-Zeichnung zugunsten der Maidan-Bewegung, obwohl hier auch das rechte, extrem nationalistische Lager beteiligt war, und zulasten der russischen und der abgesetzten ukrainischen Regierung, denen nahezu die gesamte Verantwortung zugeschoben wurde“ (19).

Ähnliche Deutungsmuster in der NATO und den Medien
Im aktuellen Diskurs über Russland und dessen „hegemoniale Außenpolitik“ fallen deutsche Medien – aber auch internationale – durch immer wiederkehrende Argumentationsmuster auf, in der sie der russischen Administration Expansionsgelüste und demokratische beziehungsweise gesellschaftliche Rückständigkeit unterstellen.

So bezeichnete die Süddeutsche Zeitung 2017 das Treffen zwischen dem US-amerikanischen Regisseur Oliver Stone und Wladimir Putin als „Autokraten-Porno“. Auch die ständige Betonung, dass in Russland Minderheiten gezielt unterdrückt und besonders die Rechte von Schwulen nicht anerkannt werden, lässt den Eindruck entstehen, dass Russland rückständig sei und mit eben „unseren“ Werten wenig zu tun habe. Ebenso wie die Vermutung, dass Russland einen Krieg in Europa wolle, scheint sich fest in den Köpfen der Redakteure zu halten.

So wurde in der Dokumentation „Putins kalter Krieg“ von ZDFzoom ein anonymer russischer Spion interviewt, der angeblich für den FSB, den russischen Geheimdienst, gearbeitet hat und der aufzeigte, wie Russland Europa destabilisieren wolle (20). Die Sendung reiht sich ein in eine Vielzahl von Berichten, die Russland unterstellen, seit der „aggressiven und militärischen Annexion der Krim“ und dem Vorgehen im Osten der Ukraine wieder Krieg in Europa führen zu wollen und die friedliche europäische Sicherheitsarchitektur infrage zu stellen.

Diese Theorien waren schon vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg in den deutschen Medien populär und spiegeln in erster Linie die heutige Haltung der NATO zu Russland wider.

Vermutete Tatsachen?
Generell bezeichnen die Medien Russland nur noch selten als barbarisch, unzivilisiert oder despotisch. Vielmehr nennen sie die Präsidentschaft Putins eine Autokratie und betonen, dass Putin zwar demokratisch gewählt sei, jedoch das Land als „lupenreiner Autokrat“ regiere. Während früher Expansion als „ein Naturgesetz russischer Geschichte“ galt, sind es heute mehr die Korruption und die angeblichen mafiösen Strukturen des Landes, das in Wirklichkeit von Oligarchen beherrscht werde (21).

Bemerkenswert und stellvertretend für diese Haltung ist ein Artikel der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik (DGAP) mit dem Titel „Präsident Wladimir Putin verabschiedet sich von der liberalen Weltordnung“ (22). In diesem Artikel ist zunächst davon die Rede, dass Deutschland das Ziel „kollektiver Sicherheit“ und die Einhaltung „internationalen Rechts“ verfolge, während Russlands Eliten „vom Recht des Stärkeren in einer multipolaren Welt“ ausgehen würden. Inwiefern die Kriege des Westens im Nahen und Mittleren Osten nicht exakt dieser soeben angeprangerten Einstellung entsprechen, der Durchsetzung des „Rechts des Stärkeren“, wird im Artikel nicht erwähnt. Der Autor beschreibt im weiteren Verlauf – und sicherlich auch stellvertretend für einen Großteil der deutschen Medien –, dass Putin mit „Chaos, Unsicherheit und fehlender staatlicher Struktur“ besser umgehen könne als „jeder westliche Staat“ und dass „Korruption und informelle Kanäle (...) der Natur des Systems Putin“ entsprächen (22).

Das medial jedoch am meisten verbreitete Vorurteil – und eines der gängigsten Narrative – ist die Vermutung, dass Russland sich seine ehemaligen Ostblockstaaten wieder einverleiben möchte, indem es die EU und die NATO schwächt und gleichzeitig jegliche „nationalistischen Alleingänge stärkt“ (23). Mit dem Verweis auf die militärische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine wird Russland unterstellt, dass aus der Perspektive der russischen Administration alle postsowjetischen Staaten – außer die NATO- oder EU-Mitglieder – nicht souverän seien (22).

Daher bestehe die Gefahr, dass Russland in diesen Staaten intervenieren oder sich zumindest in deren innere Angelegenheiten einmischen werde. Und deshalb müssten diese vom Westen geschützt werden, um einer weiteren Aggression Russlands entgegenzuwirken. Die Medien tun dabei meist so, als sei Russland für die Spannungen in der Ukraine verantwortlich. Dass jedoch schon vorher die EU und die NATO auf einen Beitritt der Ukraine hingearbeitet haben, der gegen die Sicherheitsinteressen Russlands gewesen wäre und die Ukraine „zerrissen“ hätte, bleibt zumeist unerwähnt.

Simplifizierte Darstellungen prägen die Narrative
Gegenüber den Handlungen der NATO und der eigenen Regierung äußern sich die deutschen Medien nicht wirklich kritisch. Kritisch sind sie nur bei den „Gegnern“, zu denen auch Russland zählt. Russland als Aggressor, Putin als unberechenbarer, autoritärer Politiker – diese Motive sind „common sense“ in den Medien. Genauso wie die lösungsorientierte Politik des Westens, die sich auf freiheitlich-demokratische Grundwerte stütze. Dem guten Willen des Westens werden böse Absichten Russlands gegenübergestellt.

Durch den Mangel an Empathie für Russland und die offenbare Unfähigkeit, die Perspektive zu wechseln, konstruieren die Medien eine Scheinrealität, in der sie Russland als „Gegner“ oder sogar als „Feind“ des Westens darstellen. Sie fördern dadurch das Denken in den Kategorien „gut“ und „böse“, das vor allem im Kalten Krieg in den Köpfen der Menschen verankert war.

Darüber hinaus schüren sie auch das Feinbild Russland, das gegen speziell „unsere“ Werte verstoße und kein Teil unserer Gemeinschaft sein könne. Derartige Denk- und Deutungsmuster führen zu Ausgrenzung und Polarisierung und verschärfen die ohnehin schon angespannte Lage. Sie sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die militärische Einsätze befürworten, und geben denjenigen Unrecht, die sich um einen friedlichen Dialog mit Russland bemühen. Die einseitige mediale Berichterstattung über Russland steht somit einer Politik des Friedens im Wege und muss aufhören.





Samstag, 24. November 2018

Die hohe Schule des Zionismus - Arn Strohmeyer


Die hohe Schule des Zionismus

Deutsche Lehrer sollen in Yad Vashem lernen, was Antisemitismus ist und wie man ihn bekämpft

Arn Strohmeyer

Deutsche Lehrer sollen in der Yad Vashem-Stiftung in Jerusalem fortgebildet werden. Das haben alle Bundesländer mit dieser Organisation vereinbart – jetzt auch als letztes das Bundesland Bremen. Nun wäre nichts dagegen einzuwenden, wenn deutsche Pädagogen sich mit dem Mega-Verbrechen Holocaust intensiv beschäftigen und ihr Wissen dann an die Schüler weitergeben. Die Kenntnisse der Schüler auf diesem Gebiet – das haben Umfragen ergeben – sind katastrophal, was sicher auf die Vernachlässigung des Geschichts- und politischen Unterrichts in den Schulen zurückzuführen ist. Hier haben Schulreformen in den letzten Jahrzehnten schwer gesündigt. Rechtspopulisten und neonazistische Organisationen profitieren von diesem Trend zum historischen Nichtwissen.

Die Yad Vashem-Vertreterin in Europa, Richelle Budd Caplan, hat jetzt in Bremen deutlich ausgesprochen, was das Lernziel der Fortbildung in Jerusalem sein soll: zu verstehen, was Antisemitismus ist und zu lernen, wie man ihn bekämpft. Es geht in den Kursen also offenbar weniger um das Mega-Verbrechen Holocaust, sondern um die Vermittlung der zionistischen Definition von Antisemitismus. Und diese Definition ist hinlänglich bekannt: Sie setzt Antisemitismus und Antizionismus gleich, soll heißen: Jede Kritik an Israels menschenrechts- und völkerrechtswidriger Politik gegenüber den Palästinensern – und sei sie auch noch so berechtigt – wird als „Antisemitismus“ diffamiert. Die Absicht dieses Vorgehens ist auch klar: Jede öffentliche Auseinandersetzung über Israels brutale Besatzungspolitik soll verhindert, ja zum Tabu erklärt werden. Wer sich daran nicht hält, ist eben ein „Antisemit“ und wird damit assoziativ mit den übelsten Nazi-Schergen auf eine Stufe gestellt – eine Denunziation, die für die Betroffenen schlimme existenzielle Folgen haben kann.

Im Namen des Holocaust sollen den deutschen Lehrern in diesem Zusammenhang die wichtigsten Grundlagen der israelisch-zionistischem Politik beigebracht werden, die nach Angaben des israelischen Anthropologen und Friedensaktivisten Jeff Halper so lauten: Israel ist das Opfer unversöhnlichen Hasses [der auf Antisemitismus beruht] von Seiten der friedensunwilligen Araber und kämpft um seine Existenz. Da sie – die Palästinenser vor allem – unsere ewigen Feinde sind, ist der Konflikt eine Alles-oder-Nichts-Situation: entweder wir gewinnen oder sie. Der Kern des Konflikts ist der palästinensische Terrorismus. Als friedliebende Demokratie und Opfer von Aggressionen trägt Israel keine Verantwortung für Entstehung und Andauern des Konflikts. Da die Bedrohung Israels existentiell ist und Israels Politik ausschließlich der Sorge um seine Sicherheit gehorcht, ist es jeder Verantwortlichkeit für seine Handlungen gemäß den Konventionen von Menschen- und Völkerrecht oder UN-Resolutionen enthoben. Und schließlich: Es gibt keine Besatzung. Da eine politische Lösung des Konflikts mit den Palästinensern nicht möglich ist, muss bei jeder zukünftigen Regelung die Kontrolle über das ganze Land, einschließlich der Palästinenser, Israel allein vorbehalten bleiben.

Diese Hauptelemente einer äußerst inhumanen, weil völlig kompromisslosen Politik vertritt Israel selbstverständlich im Namen des Holocaust, denn dieser Staat gründet seine Existenzberechtigung auf eben diese Katastrophe des jüdischen Volkes – mit der rein partikularistisch-zionistischen Begründung, „dass uns so etwas nie wieder passieren darf.“ Man kann natürlich auch universalistisch-humanistisch argumentieren und sagen: dass so etwas keinem Menschen und keinem Kollektiv auf dieser Welt noch einmal passieren darf oder wie der deutsch-jüdische Philosoph Theodor W. Adorno es in der Form eines neuen kategorischen Imperativs formuliert hat: „(…) dass die Menschen ihr Denken und Handeln so einrichten, dass Ausschwitz sich nicht wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.“ Wenn Menschlichkeit im Sinne der Aufklärung das oberste Gebot ist, dann kann eine Kritik an Israels unmenschlicher Politik gegenüber den Palästinensern niemals „antisemitisch“ sein.

Es ist also eine sehr einseitige Indoktrination, die deutsche Lehrer in Jerusalem erwartet. Dass dieser Staat reiner Siedlerkolonialismus auf Kosten und dem Rücken eines anderen Volkes ist und sich dennoch immer noch als Opfer fühlt, wird man ihnen nicht sagen. Vom palästinensischen Narrativ – also der Geschichte von Vertreibung und Unterdrückung dieses Volkes, die bis heute andauern – werden sie auch nichts hören. Man wird ihnen also viel Hasbara (das hebräische Wort für Propaganda) präsentieren, die Israel als ein weltoffenes, innovatives und fortschrittliches Land darstellt, in der die allgegenwärtigen Bilder von Repression, Besatzung und Menschenrechtsverletzungen aber nicht vorkommen.

Der Israeli Moshe Zuckermann hat in seinem neuen Buch „Der allgegenwärtige Antisemit oder Die Angst der Deutschen vor der Vergangenheit“ dargelegt, wie instrumentalisierend, das heißt fremdbestimmte Interessen verfolgend, das offizielle Israel mit dem Holocaust umgeht und dabei der Prozess des Gedenkens das eigentliche Wesen des zu Erinnernden (die Opfer des Holocaust) völlig aus den Augen verliert. Zuckermann erhebt eine vernichtende Anklage gegen den israelischen Umgang mit dem Holocaust: „Nicht übertrieben ist die Behauptung, dass nirgends auf der Welt die Banalisierung der Shoa [Holocaust], mit ihrer Trivialisierung durch inflationäre Verwendung in einer hanebüchenen Alltagsrhetorik so unverhohlen skrupellos betrieben wird wie in dem Land, das sich die Einzigartigkeit, mithin die Unvergleichbarkeit der Shoa auf seine staatsoffiziellen Gedenkfahnen geschrieben hat.“

Zuckermann geht noch einen Schritt weiter, indem er dem offiziellen Israel sogar „Verrat an den Holocaust-Opfern“ vorwirft: „Sich selbst als Opfer zu wähnen, während man sich historisch zum Täter gewandelt hat, ist letztlich nichts weiter als moralischer Verrat an den historischen Opfern des eigenen Kollektivs, deren (beziehungsweise deren ‚Andenken‘) man sich perverserweise bedient, um die eigene, gewaltdurchwirkte, immer neue Opfer erzeugende Politik zu rechtfertigen. Denn genau das bedeutet ja, der Opfer im Stande ihres Opferseins nicht gedenken zu wollen. Wer sich selbst bewusst einmauert, darf sich nicht wundern, dass es ihm im eigenen Gemäuer einsam werden mag, unter Umständen sogar lebensbedrohlich einsam; wenn er aber diese Einsamkeit zur Ideologie erhebt, mithin das eigene falsche Bewusstsein mit der Erinnerung an die Verfolgungsgeschichte des eigenen Kollektivs befestigend begründet, dann instrumentalisiert er nicht nur das Andenken der Opfer nämlicher Verfolgungsgeschichte, sondern pervertiert es aus letztlich narzisstischen Beweggründen und Bedürfnissen.“

Mit einer solchen Sicht auf die Instrumentalisierung des Holocaust gerät auch die Institution Yad Vashem in ein zweifelhaftes Licht, was die Deutschen angesichts ihrer bewussten oder unbewussten Schuldgefühle erschrecken mag, in Israel wird unter kritischen Intellektuellen aber offen darüber diskutiert. So möchte etwa Abraham Burg, der frühere Sprecher des israelischen Parlaments (Knesset) und ehemalige Präsident der zionistischen Weltorganisation, die gegenwärtige Erinnerungsstätte Yad Vashem am liebsten ganz abschaffen und an ihrer Stelle den Internationalen Strafgerichtshof etablieren: „Heute ist Yad Vashem das größte Monument nationaler Ohnmacht, ein Denkmal der moralischen Taub- und Stumpfheit gegenüber anderen, die seit Jahrzehnten in unserer Seele herrscht. Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem ist der Pfahl, an den wir unsere Gäste stellen, um ihnen unsere exklusiven Shoa-Werte einzutrichtern.“

Burg geht dann auf die biblische Bedeutung des Wortes Yad Vashem ein. Es bezeichnet ursprünglich einen „Grabstein“, ein Monument für einen unfruchtbaren Mann als Ersatz für die Kinder, die er nicht haben wird. In diesem Sinne schreibt er: „Unser Yad Vashem verherrlicht das Konzept der Impotenz und Unfruchtbarkeit und ignoriert sämtliche anderen Söhne fremder Länder. In seiner zukünftigen Form [als Internationale Gerichtshof] wird das Museum jedoch eine Gedenkstätte allen menschlichen Unrechts sein. Es wird ein Ort sein, der die Potenz des Kampfes gegen Gewalt ausstrahlt, wo immer Gewalt herrscht.“

Deutsche Lehrer zur Fortbildung nach Yad Vashem zu schicken, ist also ein sehr einseitiges Projekt, das einzig und allein der zionistischen Propaganda dient, von deren Vertretern auch die Initiative zu dem Vorhaben kommt. Es ist genauso zweifelhaft wie das Ansinnen, junge muslimische Flüchtlinge oder Einwanderer nach Auschwitz zu bringen (weil man unterstellt, sie seien alle Antisemiten), ohne ihnen öffentlich die Gelegenheit zu geben, ihre Sicht vorzubringen, warum sie Israel mit Recht kritisch gegenüberstehen. Dafür gibt es gute Gründe: Die Realisierung des zionistischen Siedlerprojekts mitten in der muslimischen Welt (auf zumeist geraubtem Land) hat für die betroffenen Araber – besonders für die Palästinenser – katastrophale Folgen gehabt – bis heute. Aber darüber zu sprechen, ist in Deutschland ein Tabu. Nur wenn dieses Tabu fällt, und die ganze Wahrheit über den Konflikt in Israel/Palästina ins Blickfeld genommen werden kann, wäre das auch die richtige Perspektive für Pädagogen, die wichtige Multiplikatoren sind. Mit Antisemitismus hat das gar nichts zu tun.
23.11.2018

Mittwoch, 21. November 2018

Kapitalisten des 21. Jahrhunderts - Interview NRhZ




Gespräch anlässlich des Erscheinens von "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts"
Die Wahrheit ist auf unserer Seite
Werner Rügemer – interviewt von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

„Das wichtigste unternehmerische Kapitaleigentum im westlichen Kapitalismus wird heute von verschiedenen Typen von Finanzakteuren organisiert. Die vom eingesetzten Kapital her größten sind Blackrock & Co... Die USA sind der größte Kapital-Standort und der wichtigste militärische, geheimdienstliche und mediale Machtblock zur Sicherung dieses Systems. Auch die wichtigsten globalen Finanzdienstleister sind mit den USA verbunden... ich nenne sie die zivile Privatarmee des westlichen Kapitalismus.“ „Zum Herrschaftswissen gehören nicht nur Desinformation und Lügen, sondern auch zutreffende Fakten. Nur wenn man auch vieles Richtige verbreitet, kann man richtig lügen.“ „Die kommerzielle wie geheimdienstliche Ausforschung von Individuen, öffentlichen und privaten Unternehmen, Staaten ist so weit in der Menschheitsgeschichte gediehen wie noch nie.“ Das sind einige Antworten aus dem spannenden Interview mit Werner Rügemer anlässlich des Erscheinens seines Buches "Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts" und der bevorstehenden Lesung in der Galerie Arbeiterfotografie.

Du wirfst in Deinem Buch „Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“ einen Blick auf die Kapitalverwalter Blackrock & Co. Wie konnten sich diese Giganten nahezu unkontrolliert entwickeln? Welche Macht haben sie im Verhältnis zu Großbanken wie z.B. der Deutschen Bank und wie nutzen sie diese Macht?

Blackrock und einige Dutzend ähnlicher Kapital-Organisatoren – ich nenne sie nicht Verwalter, das ist zu harmlos – gelten offiziell als „Schattenbanken“, stehen durch die westlichen Finanzaufsichten unter Beobachtung und werden nicht reguliert wie die Banken. Blackrock & Co sind inzwischen die Haupteigentümer von Deutsche Bank, Goldman Sachs, JP Morgan Chase usw. Blackrock & Co sind seit der Finanzkrise auch die Haupteigentümer der wichtigsten 17.000 Unternehmen im westlichen Kapitalismus, z.B. aller 30 größten Unternehmen in Deutschland, die im DAX gelistet sind. Blackrock & Co sind, wenn man noch ihre engen Beziehungen zu westlichen Regierungen einbezieht, die größten Insider der westlichen Wirtschaft. Ihnen gehören übrigens auch Amazon, Google, Facebook, Microsoft und Apple.

Wie hat man sich die Beobachtung der "Schattenbanken" vorzustellen? Welche Folgen hat sie?

Die Schattenbanken stehen beim IWF und bei der Zentralbank der Zentralbanken BIZ (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel/Schweiz) unter Beobachtung, um zu klären, wie sie einmal reguliert werden sollen. Dafür gibt es aber keinen Zeitplan.

Friedrich Merz ist Aufsichtsratsvorsitzender von Blackrock Deutschland. Wie siehst Du seine Rolle in der gegenwärtigen Politiklandschaft? Soll Merz der deutsche Macron werden?

Unter der CDU-Kanzlerin Angela Merkel konnten Blackrock & Co scheinbar unbemerkt die Regie in den wichtigsten Unternehmen in Deutschland übernehmen. Die Merkel-Regierungen segneten alles durch ihr Beschweigen ab. Mit Merz meinen Blackrock und das militante deutsche Unternehner-Klientel jetzt eben offener auftreten zu können. Die Diskreditierung der bisherigen „Volks“parteien, die einseitig Unternehmerinteressen durchgesetzt haben, scheint ein günstiger Zeitpunkt.

Wer sind die imperial agierenden Kapitalisten, die die Weltherrschaft anstreben? Wie siehst Du ihr Verhältnis zu den USA? Lässt sich sagen, dass sie die Vereinigten Staaten z.B. über die FED in ihren Händen haben?

Das wichtigste unternehmerische Kapitaleigentum im westlichen Kapitalismus wird heute von verschiedenen Typen von Finanzakteuren organisiert. Die vom eingesetzten Kapital her größten sind Blackrock & Co. Dann folgen Blackstone & Co, also die Private Equity-Investoren, volkstümlich „Heuschrecken“ genannt. Sie haben seit Ende der 1990er Jahre etwa 10.000 mittelständische Unternehmen in Deutschland aufgekauft, verwertet, weiterverkauft oder an die Börse gebracht. Dann kommen die Hedgefonds, die Wagniskapital-Investoren – sie bringen die start ups ins Rennen-, die elitären Investmentbanken wie Macquarie und Rothschild, die Privatbanken wie Metzler, Pictet, die traditionellen Banken wie die Deutsche Bank. Die USA sind der größte Kapital-Standort und der wichtigste militärische, geheimdienstliche und mediale Machtblock zur Sicherung dieses Systems. Auch die wichtigsten globalen Finanzdienstleister sind mit den USA verbunden: die großen drei Ratingagenturen, die Wirtschaftskanzleien wie Freshfields, die Unternehmensberater wie McKinsey, die Wirtschafts“prüfer“ wie Price Waterhouse Coopers, die PR-Agenturen wie Soros' Renaissance – ich nenne sie die zivile Privatarmee des westlichen Kapitalismus.

Welche Rolle spielt die EU für die Interessen der Kapitalisten, die mittels des US-Imperiums operieren? Sind die EU und ihre Vorläufer ein Kind des US-Imperiums? Mittlerweile wird die EU vielfach als Gegenspieler der USA dargestellt. Wie ist die Situation heute wirklich?

So direkt ist die EU mit ihren Vorstufen kein „Kind des US-Imperiums“. Vielmehr haben die USA durch ihre Siegerposition im 1. und vor allem 2. Weltkrieg ihre Kapital- und Militärexpansion auch in Europa fortgesetzt und zusammen mit dem deutschen, französischen, italienischen, britischen Privatkapital die EU, die NATO und andere gemeinsame Strukturen aufgebaut. Die Vormachtstellung der US-Akteure, zuletzt also von Blackrock & Co weiter ausgebaut, ist eindeutig. Aber jeder Vasall hat auch eigene Interessen. Durch Blackrock & Co und gegenwärtig die Handelskriege der USA gegen Russland und China werden auch deutsche Unternehmer geschädigt. Da gibt es schon mal ein bisschen Protest. Aber vor allem die militiärische Vorherrschaft der USA wird nirgends angetastet, im Gegenteil, vor allem in Deutschland bauen die USA neue Militärstützpunkte auf und rüsten bisherige Stützpunkte wie in Ramstein auf. Und die EU unter Führung der wichtigsten neokolonialen Macht Frankreich und mit Macron – bereits begonnen unter Sarkozy – soll auch eine eigene Militärmacht aufgebaut werden – neben der NATO.

Als Konkurrenz zur NATO?

Keine Konkurrenz zur NATO. Die Mitgliedschaft in der NATO soll nicht gekündigt werden, die europäischen NATO-Kommandostrukturen sollen nicht ersetzt, die US-Militärstützpunkte in Deutschland, Italien, Großbritannien, Dänemark/Grönland, Polen, Belgien usw. sollen nicht abgezogen werden.

Wie verhält es sich mit dem so genannten Deutschen Kapital? Wie weitgehend kontrolliert ausländisches Kapital Unternehmen, die gemeinhin als deutsch gelten? Ist das „deutsche“ vom Aussterben „bedroht“?

Blackrock & Co, Blackstone & Co usw. arbeiten ja mit dem Kapital der Superreichen, von Topmanagern, Unternehmern, Unternehmerclans, Unternehmens- und Universitätsstiftungen, Versicherungen, Pensionsfonds, Bistümern usw. Dieses Kapital bleibt aber anonym. Blackrock & Co geben nicht bekannt, wessen Kapital sie einsetzen, um beispielsweise die Aktien von Siemens, Adidas und der Deutschen Bank zu kaufen. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die Milliardengewinne, die traditionelle deutsche Unternehmerfamilien wie die Piechs (VW) und die Quandts (BMW) zur weiteren Vermehrung bei Blackrock & Co landen. Die neuen Kapital-Organisatoren vertreten die Interessen einer transnationalen kapitalistischen Klasse, die weitgehend anonym bleibt.

Du hast vor Jahren dargelegt, dass, wenn die Bundeswehr im Ausland eingesetzt wurde, sie immer den USA gefolgt ist, dass es eine Vielzahl von US-Militärbasen in Deutschland gibt, aber keine deutschen in den USA. Treffen diese Feststellungen immer noch zu? Und was besagen sie über das Verhältnis von US- und deutschen Imperialisten?

Nachdem die Bundeswehr die längste Zeit nicht an Kriegseinsätzen der USA teilgenommen hat, hat das mit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 begonnen, war beim Krieg gegen den Irak wieder ablehnend, beim Krieg in Afghanistan ging die Bundeswehr mit. Aber wenn sie dabei war, immer im Gefolge der USA. Das wichtigste ist: Deutschland ist der von den USA weitaus am dichtesten militärisch besetzte ausländische Staat, in Verbindung mit der Funktion der deutschen Militärbasen für globale strategische Einsätze der USA und der NATO, jetzt auch gegen Russland.

Du stellst China als weitgehend friedlich dar. Z.B. schreibst Du: „So stehen dem einzigen Militärstützpunkt Chinas im Ausland, von dem zudem keine militärischen Operationen ausgehen, etwa 1.000 US-Militärstützpunkte gegenüber, die rund um die Welt auf etwa 60 Staaten und US-eigene Territorien und Inseln verteilt und in weltweite militärische Operationen integriert sind.“ Wie schätzt Du die Gefahr eines Krieges des US-Imperiums gegen China und Russland ein?

China ist nicht „weitgehend“ friedlich, sondern grundsätzlich friedlich, defensiv. Dagegen bereiten die USA spätestens seit Präsident Obama gezielt den Krieg gegen Russland und China vor. Der US-geführte Westen hätte einen friedlichen Wettbewerb der Systeme schon verloren, wenn er nicht mehrere Dutzend Male seit dem 2. Weltkrieg Regierungen weggeputscht, Oppositionelle ermordet, Kriege gegen Befreiungsbewegungen geführt und Wahlen manipuliert hätte. Mit dem wirtschaftlich nachhaltigen Aufstieg Chinas und mit der – auch durch Blackrock & Co mitorganisierten - Schrumpfung der westlichen Volkswirtschaften und der Verarmung großer Teile der Bevölkerung weiß sich der US-geführte westliche Kapitalismus keine andere Lösung als letztlich den Krieg bzw. erstmal kleinere Kriege und Kriegsdrohungen in dieser Richtung. Die internationale Friedensbewegung hat zusammen mit Russland und China eine große Aufgabe.

Die Zahl der Milliardäre, die mehr besitzen als die ärmere Hälfte der Menschen, wird kontinuierlich geringer. Wie lange wird es noch dauern, bis die Anzahl der Milliardäre bei Null angekommen ist? Oder sachlicher gefragt: Wie ist dieser Konzentrationsprozess zu erklären und wohin wird er noch führen?

So ist es nicht. Die Zahl der Milliardäre nimmt ständig zu. Wobei allerdings die Unterschiede zwischen Multi-Milliardären und einfachen Milliardären und Multi-Millionären und einfachen Millionären auch zunehmen. Wir wissen öffentlich allerdings immer weniger darüber, weil Blackrock & Co nicht nur die Namen ihrer reichen Kunden geheimhalten, sondern weil Blackrock & Co für ihre Kunden gleichzeitig die größten Organisatoren von Briefkastenfirmen in vier Dutzend Finanzoasen sind, zwischen Luxemburg und den Cayman Islands. Darauf sind übrigens die ach so investigativen Journalisten der Süddeutschen Zeitung und des International Consortium of Investigativ Journalists (ICIJ, Luxembourg Leaks, Panama Papers, Paradise Papers) noch nicht gestoßen.

Du erwähnst im Zusammenhang mit dem französischen Präsidenten ohne Scheu den Namen Rothschild. Von den Hütern der Macht wird dieser Name gerne als antisemitisches Codewort hingestellt. Wie sind Deine Erfahrungen mit diesen Methoden, Schutzschilde der Macht zu errichten? Und wie ist ihnen am besten beizukommen?

Ohne Scheu? Wovor sollte man Scheu haben? Ich habe einfach von der Website der Bank Rothschild deren Erfolgsmeldungen, Beratungsmandate, ihre Zusammenarbeit mit Blackrock & Co usw. zitiert. Die meisten Antisemitismus-Ankläger haben davon keine Ahnung. Die sind einfach nur dumm, viel dümmer und primitiver als man glaubt, und sie kalkulieren mit dem Unwissen der Menschen.

Nur zu dumm oder doch operativ?

Zu dumm: hinsichtlich der Fakten, was ja nicht im Gegensatz zur schnellen Operativität steht. Ohne Fakten geht's ja noch schneller.

Du schreibst zu wikipedia: „Wikipedia ist ein privater US-Konzern. Er organisiert Herrschaftswissen der neuen Kapitalisten.“ Wie weitgehend lässt sich diese Aussage verallgemeinern? Wie weitgehend wäre der folgende Satz richtig: Die „westlichen“ Apparate inklusive der Medien, der so genannten sozialen Medien, NGOs, Parteien, Geheimdienste etc. organisieren die Herrschaft der (neuen) Kapitalisten. Welche weiteren besonders wirksamen Apparate wären noch zu erwähnen? Und welche Rolle spielen sie?

Zum Herrschaftswissen gehören nicht nur Desinformation und Lügen, sondern auch zutreffende Fakten. Nur wenn man auch vieles Richtige verbreitet, kann man richtig lügen. Insofern ist die Annahme, „die Medien“, NGOs, Parteien usw. würden die Herrschaft organisieren, falsch. Es handelt sich um eine vielfältige Landschaft, in der es darauf ankommt, dass diejenigen, bei denen die meisten strategisch wichtigen Daten zusammenkommen, gespeichert und ausgewertet werden, über strategische Eingriffspunkte verfügen, um im Falle eines Konflikts die jeweils geeigneten Kooperationspartner zu finden und zu instrumentalisieren. Zum Beispiel: Das US-State Department hat eine eigene Abteilung für „soziale Medien“, wie also Facebook, Google & Co in der US-Außenpolitik eingesetzt werden können. Die CIA hat privatrechtliche, zivile Tochterfirmen, die start ups im Bereich soziale Medien, Digitaltechnologie und Künstliche Intelligenz gründen und hochziehen.

Kannst Du einige Tochterfirmen mit Namen benennen?

Pentagon-Tochter DIUx, CIA-Tochter In-Q-tel,...

Dein Buch könnte den Eindruck vermitteln, dass die großen Kapitalisten des 21. Jahrhunderts die Instrumente zur Beherrschung der Bevölkerung immer weiter intensivieren und perfektionieren, sodass es kaum noch möglich erscheint, dem etwas Wirksames entgegen zu setzen. Siehst du Chancen, diese Allmacht zu brechen? Und wenn ja, auf welche Weise? Oder anders gefragt: Was ist der worst case, den es abzuwehren gilt?

Die kommerzielle wie geheimdienstliche Ausforschung von Individuen, öffentlichen und privaten Unternehmen, Staaten ist so weit in der Menschheitsgeschichte gediehen wie noch nie. Was dagegen zu tun ist – damit befassen sich bekanntlich viele. Ich gehöre dazu.

Wieviel Zeit bleibt uns, den nächsten großen Crash/Krieg zu verhindern?

Es kommt darauf an, dass die Staaten, Bewegungen, Initiativen, die sich am Völkerrecht (Nicht-Intervention in anderen Staaten) orientieren, wirtschaftlich, zivilgesellschaftlich und politisch, auch mit unterschiedlichen Bündnisformen wie in der Neuen Seidenstraße, miteinander verständigen und gegen die Kriegstreiber vorgehen.

Welche Medien haben bislang über Dein Buch berichtet oder daraus Auszüge gebracht? Bist du von irgendeiner Seite ins Schussfeld geraten?

Zahlreiche Blogs haben Auszüge gebracht und auf das Buch hingewiesen. Angriffe gab es keine. Die Porträtierten scheuen die öffentliche Auseinandersetzung, sie könnten ihr nicht standhalten. Die Wahrheit ist auf unserer Seite.


Werner Rügemer, Dr. phil., geboren 1941, Publizist, Mitbegründer der Aktion gegen Arbeitsunrecht. Zahlreiche auch international beachtete Bücher. Zuletzt bei PapyRossa: »Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur«.





Montag, 19. November 2018

Krieg den Rüstungspalästen - U. Gellermann



Von der Leyens neuer Plan

Krieg der Nation - Frieden den Rüstungspalästen



Natürlich residiert die traditionelle deutsche Waffenschmiede – die Rheinmetall-Group – in Düsseldorf am eigenen Platz: Am Rheinmetall Platz 1. Der klotzige Rüstungs-Palast ist fraglos die Nummer Eins im deutschen Mordgeschäft. Nach Plänen von Rheinmetall wird in der Türkei eine Panzer-Fabrik für die Diktatur gebaut, auch die Verbrecher-Dynastie der Saud, bekannt als Kindermörder im Jemen, bezieht ihr Gerät von Rheinmetall. Und natürlich wurzelt der Rüstungsladen tief im stinkenden, braunen Boden: Einst hieß man "Reichswerke Hermann Göring", nach dem fetten Freund des "Führers“. Da lebte man gut von der brutalen Ausbeutung der Zwangsarbeiter. Auch heute kommen 5,90 Milliarden Euro Umsatz aus dem Geschäft mit dem Tod. Dieser feinen Gesellschaft verspricht die Ministerin für Rüstung und Töten im Ausland neue Profite.


In ihrem jüngsten Artikel in der FAZ predigt Frau von der Leyen über "Schritte zu einer Armee der Europäer". Rund 13 Milliarden Euro soll die EU im kommenden Jahrzehnt für Rüstungsprojekte ausgeben. Da leckt sich Ulrich Grillo, Aufsichtsratsvorsitzender der Rheinmetall doch sabbernd die Lippen: Von den EU-Milliarden wird ordentlich was bei Rheinmetall hängenbleiben. Schon als Grillo Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie war, hatte er prima Beziehungen zur Politik. Mit Friedrich Merz, dem Wunschkanzler der Industrie, kann das nur besser werden. Immerhin ist der Mann fest beim Blutsauger "Black-Rock" embedded und Douglas „Larry“ Fink, Großaktionär bei der Düsseldorfer Waffenbude, ist zugleich Vorstandsvorsitzender des weltgrößten Vermögensverwalters BlackRock und gilt als „mächtigster Mann der Wall Street“. Wozu braucht man dann eigentlich noch eine Verteidigungsministerin, könnte man fragen. Doch Black-Rock denkt supra-national: Black-Rock hat kurze Wege zum Saudi-Freund Trump, und die von der Leyen kurbelt die europäischen Waffendeals an.

Es versteht sich, dass die nationalen Parlamente eher Umwege bedeuten – immerhin hat zum Beispiel der Bundestag noch das Privileg, den Haushalt zu beschließen – da hätten dann solche wie die von der Leyen lieber "auf Verteidigungspolitik spezialisierte Abgeordnete“, die nach dem "Sherpa-Prinzip" in einem gemeinsamen europäischen Ausschuss das Steuergeld in die Kassen der Rüstungsindustrie tragen. Das sind die "offenen Grenzen", die inzwischen quer durch diverse Parteien gewünscht werden. Der AfD, der angeblichen Oppositionspartei, fiel dazu aus dem Mund ihres Abgeordneten Rüdiger Lucassen in der Bundestags-Debatte zur "euro­päischen Ver­teidi­gungs- und Sicher­heits­koope­ration" nur ein: Das alles würde nur Schwächung des europäischen Pfeilers der Nato durch die Schaffung „europäischer Parallelstrukturen“ führen. So funktioniert Schau-Patriotismus: Das nationale Parlament wird von den braunen Vogelschissern zum Gehilfen der NATO degradiert.


Es klingt so schick und modern, wenn die Nation als gestrig oder sogar reaktionär bezeichnet wird. Und noch innovativer erscheint es, wenn die offene Grenze propagiert wird. Natürlich ist der Nationalstaat ein Begriff aus dem 18. Jahrhundert. Aber erstens gibt es das Konstrukt nun mal und wer bei politischem Verstand ist, setzt sich mit dieser Gegebenheit auseinander. Und zweitens: Was ist denn bitte die Alternative? Die grenzenlose Innovation des Finanzkapitals? Oder die Aufhebung des Nationalstaates durch die Europäische Union, die durch Verwirrte wie den linken Gregor Gysi als Internationalismus verkauft wird? Frau von der Leyen gibt gerade eine Lektion über den Nutzen dieser offenen Grenzen: Innovativ nur für die Rüstungsprofiteure.


Die Gemeinschaft jener, die der Nation den Krieg erklären, ist erstaunlich: Von den reaktionären NATO-Lovern der AfD, über die gutbürgerlichen Vorzeige-Frauen der CDU bis zu jener links-grünen Szene, die es sicher total gut meint, wenn sie die Verschrottung der Nation zugunsten neuer Modelle preist. Ja, es gäbe da noch den neuen Staat, der sich im Ergebnis eines revolutionären Aktes auf den Internationalismus der Werktätigen gründet. Und bevor der kommt, drehen wir Däumchen? Verschweigen wir vornehm, dass es im Interesse der diversen Nationen ist, keine Kriege zu führen, keine Waffen über die Grenzen zu schicken? Gar Grenzen als bloße Werkzeuge zu begreifen, statt sie als Fetische in einer haltlosen Debatte zu benutzen?


Im Krieg gegen die Rüstungspaläste ist jede Waffe recht. Sogar das Instrument Nation, das aufgehoben werden wird, wenn die Proletarier aller Länder die Grenzen ihrer Beschränktheit geöffnet haben und den von der Leyens in ihren Nationen kein Asyl mehr geben.
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Mittwoch, 14. November 2018

Mythen im Kreuzfeuer - Buchtipp


"Ein klassischer Fall von Geschichtsfälschung" – Arn Strohmeyers Gegendokumentation zu "1948. Die Ausstellung zur Staatsgründung Israels"



Mythen im Kreuzfeuer


Buchtipp von Harry Popow

Man braucht nicht in die Jahre 1772 bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts zurückzugehen, als Goethe sein Lebenswerk verfasste – besonders stark weht den Bürgern der Sumpf der Geschichtsfälschungen, Lügen und Klischees auch noch im Jahr 2018 um die Ohren. Mythen und Klischees besitzen Langzeitwirkung. Sie werden nicht mit Fakten unterfüttert, sind jederzeit griffbereit, um die Wahrheit zu verdrängen. Die Verdummung nimmt ihren Lauf. Es sei denn, politische Aufklärer stehen auf und halten mutig dagegen. (Was neuerdings als Feindseligkeit gegenüber der Demokratie deklariert wird.) So auch der Publizist Arn Strohmeyer in seinem neuesten Buch "Ein klassischer Fall von Geschichtsfälschung. '1948. Die Ausstellung zur Staatsgründung Israels' ist eine Flucht in Mythen – Eine Gegendokumentation".


Nebel versprühen Medien,
Trüben Deinen Blick,
Verpesten Hirn und Herz;
Gemeindrang eilt,
Den faulen Zauber zu vertreiben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich aufwachen und sie erkämpfen muß.
(...)

(frei nach Johann Wolfgang von Goethe, Faust II. Teil)



Die Ausstellung zur Staatsgründung Israels tourt zur Zeit durch Deutschland. Anhand von 16 beidseitigen Stelltafeln wurde die Geschichte, Entstehung und Entwicklung des israelischen Staates aufgezeigt. Zusammengestellt von einer Israel nahestehenden Organisation „DEIN e.V. Verein für Demokratie und Information“. Die Macher waren ein Expertenteam aus Politologen, Historikern, Nah-Ost-Experten und Medienwissenschaftlern.

Der Autor Arn Strohmeyer ist ein Kämpfer für die Menschenrechte, mehr noch, für den Weltfrieden. Das verdeutlicht auch sein Buch mit seinen 157 Seiten, in dem er Mythen und Realität gegenüberstellt. Er benutze in seiner Gegendokumentation „hauptsächlich israelische Quellen, um zu zeigen, dass die Ausstellung keineswegs die israelische Position zum Palästina-Konflikt wiedergibt“. (S. 18)

Das Anliegen des Autors geht aus den ersten Zeilen des Klappentextes hervor: „In Deutschland ist wenig bekannt oder es wird bewusst verschwiegen: Israel ist ein Weltanschauungsstaat, das heißt: er hat eine Staatsideologie – den Zionismus. Der hat ein klares politisches Ziel: in Palästina – einem eigentlich von Arabern bewohnten Territorium – einen jüdischen Nationalstaat zu errichten“. Das konnte nur mit Gewalt geschehen, „also der Vertreibung eines Großteils der palästinensischen Bevölkerung. Die Folge ist der Nahost-Konflikt, der nun schon über 100 Jahre andauert und eine große globale Gefahr darstellt“.


Die Meister im Verschweigen

Um welche Methoden des Weglassens, Vertuschens und Manipulierens es sich handelt, die der Autor auf´s Korn nimmt, lassen sich wie folgt benennen: Palästina sei im 19. Jahrhundert ein leeres Land gewesen, es habe kein Volk der Palästinenser gegeben. Es sei das historische Recht Israels, ihre eigentliche Heimat zu besetzen und aus der Wüste ein blühendes Land zu machen. Palästinenser hätten freiwillig und freudig ihr Land verlassen. Die ethnische Säuberung an den Palästinensern habe es nach zionistischer Darstellung gar nicht gegeben. Von Seiten der Palästinenser drohe Israel ein „zweiter Holocaust“. Für den Holocaust trügen auch die Palästinenser Mitschuld. Der Zionismus sei lediglich eine jüdische Bewegung. Die arabischen Palästinenser müsse man mit dem Schwert verjagen. Es gehe um den Exodus der Araber. Im Katalog der Ausstellung stehe auch nichts von den Plänen der Vertreibung der Palästinenser. Die Nakba wird geleugnet. Alle arabischen Staaten seien entschlossen gewesen, den israelischen Staat zu vernichten. Der Krieg von 1948 sei unvermeidlich gewesen. Israel habe stets die Hand zum Friedensschluss ausgestreckt. Das kleine Israel habe sich gegen eine arabische Übermacht behaupten müssen. Die Palästinenser hätten auf Anordnung ihrer Führer das Land verlassen. Im Katalog wird von guten Juden bzw. Israelis und bösen und aggressiven Palästinensern geschrieben.

Diese Aufzählung mag genügen, um die Motive des Autors zu verstehen, diesen Klischees den Kampf anzusagen. Sie alle münden darin, so schreibt Arn Strohmeyer auf den Seiten 136/137, das moralische Recht und das ethische Verhalten der Palästinenser ins Zwielicht zu rücken, was allerdings jede Chance auf einen zukünftigen gerechten Frieden enorm verringert.“ Schlimmer noch: Sie würden in Deutschland und im Westen überhaupt als die Wahrheit akzeptiert. Sie dienen so „der Rechtfertigung des israelischen Handelns“, der Weigerung Deutschlands, sich im Nah-Ost-Konflikt auf sinnvolle Art zu engagieren und erlauben außerdem, „das israelische Militär ohne große Skrupel mit immer neuen Waffen und sonstigem Zubehör auszurüsten“. Er stellt auf Seite 134 fest: Die Exposition gebe in keiner Weise die wahre Geschichte „über das entscheidende Jahr 1948“ wider und ordne sich „ganz der zionistischen Weltanschauung“ unter.


Unbeugsame israelische Historiker

In seiner Gegenargumentation des Autors, die er auf der Grundlage der Aussagen der wichtigsten Vertreter der neuen Historiker-Generation (S. 14) trifft, zerpflückt er jedes einzelne Klischee, jeden Mythos, jede Geschichtsfälschung. Er wundere sich, dass im 70-seitigem Katalog der Ausstellung keinerlei wichtige Fakten vorkommen, Quellen zu Zitaten fehlen, Zahlen seien ungenau oder stimmen nicht. Die Vorgeschichte der Entstehung des Zionismus und seine ideologischen Ansprüche auf Palästina, die Vertreibung eines Großteils des palästinensischen Volkes (Nakba) fehle.

Es ist dem Autor Arn Strohmeyer zu danken, in seiner faktenreichen Gegenpolemik die Augen von jenen Leuten, die immer noch verständnislos gegenüber dem Nah-Ost-Konflikt den Kopf schütteln, zu öffnen. Dazu zählen u.a. folgende Grundaussagen: Hauptziel der Zionisten war die ethnische Säuberung ganz Palästinas, um den neuen Staat der Zionisten schaffen zu können (S.45). Dabei wollte man Angst, Schrecken und Panik verbreiten (S.52.) Beispiel Massaker von Deir Yassin, westlich von Jerusalem (S. 54). Auf Seite 64: Die Bilanz der Verbrechen der Zionisten: 700.000 Vertriebene. 11 Städte und 531 Dörfer wurden zerstört.

Der Autor fragt: Wie war das nach dem Holocaust möglich, denn „nach dem Völkerrecht sind ethnische Säuberungen eindeutig ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. S. 85; Israel setzt bei seiner Sicherheit allein auf seine militärische Stärke und auf seine Überlegenheit über seine Nachbarn, aber es hat keine Friedenspolitik. S. 95: Es geht um den politischen Anspruch auf das Land Palästina, den der Zionismus rational nicht begründen kann. Die Anerkennung der Wahrheit, dass es das Volk Palästina eben doch gibt, das würde „dem Zionismus die fundamentale Frage nach der Rechtmäßigkeit, Legitimität und Moralität der Existenz Israels stellen“.

Seite 119: Dies ist der Kernsatz zionistischer Politik: Israel ist immer das Opfer, es trägt keine Verantwortung für gewaltsame Aktionen, die es ausübt, da es nur auf Bedrohungen reagiert und es ihm nur um seine Sicherheit geht. Israel ist damit dem Völkerrecht und den Menschenrechten nicht verpflichtet, das heißt: ihm ist alles erlaubt! Damit ist auch gesagt: Israelis können niemals Terroristen sein...

Auf Seite 135 bekräftigt der Autor: Die Ausstellung zur Staatsgründung Israels ist mit ihrer einseitigen, verharmlosenden, eben undifferenzierten Darstellung (hier die guten Israelis – dort die bösen Palästinenser) nicht nur einfältig und plump, teilweise sogar lächerlich, sie ist sogar gefährlich.“


Nachtrag

Zu seinem Buch „Die israelisch-jüdische Tragödie...“ schrieb ich in meiner Rezension im Januar 2018 folgenden Satz: Das israelische Herrenvolk, so der Autor auf Seite 12, berufe sich „auf Grund seiner alten Kultur, seiner europäischen Herkunft und der Leiden, die es in seiner Geschichte durchgemacht hat, auf seinen privilegierten Status“ und habe mit seinem über ein anderes Volk errichteten Besatzungsregime jede moralische Orientierung verloren. Aus den Verfolgten von einst (Holocaust) seien brutale Täter geworden. Auf den Seiten 205/206 ergänzt der Autor: „Die Ursachen des Konflikts mit den Arabern beziehungsweise den Palästinensern (…) werden nicht in der eigenen Politik (Kriegs-, Siedlungs-, Eroberungs- oder Vertreibungspolitik) gesehen, sondern ausschließlich in der ´Feindseligkeit´ und in der Mentalität der ´Anderen´.“ Der zionistischen Ideologie nach seien Araber grundsätzlich feindselig und nicht friedensfähig. So schaffe sich Israel durch Entpolitisierung und Dämonisierung selbst ein Feindbild und erklärt sich dabei als Opfer, was eine Konfliktlösung unmöglich erscheinen lässt. Stellt sich auch hier die Frage, ob die Öffentlichkeit über die Hintergründe und Erscheinungsformen des Zionismus aufgeklärt ist?

Nunmehr, im November 2018, lese ich von ihm einen Artikel in der NRhZ unter der Überschrift „Hysterie bis zur Paranoia?“ zum Problem Antisemitismus. Darin stellt er fest: „Es geht einmal um die richtige, das heißt der Realität entsprechende Sicht auf den zionistischen Staat Israel und nicht zuletzt auch um die offenbar in weiten deutschen Kreisen immer noch nicht geleistete rationale Aufarbeitung der monströsen Verbrechen der NS-Zeit. Anders kann man sich nicht erklären, wie eine Erscheinung wie die ruchlose „Antisemiten“-Jagd in Deutschland überhaupt möglich ist. Wenn kluge und sensible israelische Intellektuelle ihrem Staat den Spiegel vorhalten und auf das gefährliche Symptom der dort herrschenden Paranoia und seine Folgen hinweisen, dann warnen sie auch die Deutschen, diesen Weg einzuschlagen, der Israel nur Unheil bringt und in Deutschland keinen wirklichen Beitrag zur Bekämpfung der Seuche des Antisemitismus darstellt.“




(...)
Gemeindrang eilt,
Den faulen Zauber zu vertreiben,
Das ist der Weisheit letzter Schluß:
Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
Der täglich aufwachen und sie erkämpfen muß.



Arn Strohmeyer: Ein klassischer Fall von Geschichtsfälschung. '1948. Die Ausstellung zur Staatsgründung Israels' ist eine Flucht in Mythen – Eine Gegendokumentation. Taschenbuch: 160 Seiten, Gabriele-Schäfer-Verlag, 2018, ISBN-10: 3944487605, ISBN-13: 978-3944487601, 14,90 Euro

Online-Flyer Nr. 682 vom 14.11.2018





Dienstag, 13. November 2018

Kriegsschuld



13. November 2018 um 8:30 Uhr | Verantwortlich: Redaktion

Macht es heute noch Sinn, die Kriegsschuldfrage 1914-1918 zu behandeln?



Veröffentlicht in: Das kritische Tagebuch


Der Autor und Jurist Wolfgang Bittner hat einen Essay über „Deutsche Außenpolitik 2018 – Die ‚balancierte Partnerschaft‘ des Außenministers Heiko Maas und die Feierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkriegs“ geschrieben. Vom früheren Parlamentarischen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Willy Wimmer kam fast gleichzeitig ein Text zum feierlichen Gedenken an 100 Jahre 1. Weltkrieg. Es fügt sich gut, beide Texte gemeinsam zu veröffentlichen. Beide beschäftigen sich auch mit der Frage, wer verantwortlich war für den Ersten Weltkrieg, welche Rolle das Friedensdiktat Versailles für die weitere Entwicklung in Deutschland und Europa spielte, und wie diese Themen heute und vor allem im Zusammenhang mit „100-Jahre-Ende-des-Ersten Weltkriegs“ behandelt werden. Albrecht Müller.

Ich war zunächst skeptisch, ob die Erörterung der Kriegsschuld nach 100 Jahren noch Sinn macht. Aber Willy Wimmer machte mich darauf aufmerksam, dass das damalige Verhalten gegenüber Deutschland heute auf internationaler Ebene nach dem gleichen Muster gegenüber Rußland fortgeschrieben werde, mit uns als Schlachtfeld, wie er meint.

Auf seinen Hinweis hin fand ich in unserem eigenen Medium Überlegungen zum Thema. Am 10. Februar 2015 hatte ich darauf aufmerksam gemacht, für wie wichtig westliche Strategen die Beantwortung der Schuldfrage für die Vorbereitung künftiger Kriege halten. Wörtlich:

„In der jetzt öffentlich geführten Auseinandersetzung geht es in einem ersten Versuch darum, Russland ohne Krieg zu isolieren, wirtschaftlich zu schaden, zu destabilisieren, und die Ukraine und später auch weitere Nachbarstaaten in den Westen zu ziehen, zunächst nahe an die EU, dann in die EU und in die NATO. Die Bundeskanzlerin Merkel hat das mit ihrer Erinnerung an den Mauerfall und die dafür notwendige Geduld als Ziel beschrieben, die strategische Überlegung also ausdrücklich genannt und bekannt.

Falls dies nicht ohne größeren Krieg möglich sein sollte, dann geht es aus der Sicht Deutschlands und des Westens darum, die Kriegsschuldfrage jetzt schon zu beantworten, bevor der große Krieg begonnen hat: die Russen sind schuld, genauer Putin, der seltsam gewendete Putin, wie es in einigen Einlassungen westlicher Politiker heißt.“

Nach diesem Hinweis auf einen früheren einschlägigen Text nun aber zu den beiden Artikeln – verbunden mit einem großen Dank an die Autoren und der Bitte an unsere Leser, diese profilierten Meinungen als Anstoß zur eigenen Meinungsbildung zu verstehen:

Willy Wimmer:
Die Bilder aus London am Waffenstillstandstag des 11. November 2018 suchte man in den Hauptnachrichten von ARD und ZDF vergebens. Auch BBC rückte erst spät damit heraus. Bilder, die den deutschen Bundespräsidenten Steinmeier bei einer Kranzniederlegung in London zeigten. Hielt man diese Bilder deshalb zurück, weil weder der deutsche Bundespräsident Steinmeier noch die noch im Amt befindliche Bundeskanzlerin Merkel es an diesem denkwürdigen Wochenende für nötig gehalten haben, der deutschen Soldaten und Opfer des Ersten Weltkrieges in angemessener Weise dort zu gedenken, wo diese Toten ihre letzte Ruhe finden mußten. Damit macht die deutsche Staatsspitze deutlich, welchem Geschichtsbild sie anhängt. Vor allem im Vorfeld von Versailles 1919, an dem man sich im Sommer 2019 in besonderer Weise erinnern wird.

Der Commonwealth-Historiker Christopher Clark hat es deutlich gemacht. Nichts hat Versailles und das Verdikt der Entente-Staaten über das Deutsche Reich gerechtfertigt. Clark hat sogar mit dem Segen der deutschen Öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten dekretiert, daß es für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges keine Sonderverantwortung von irgendeinem Staat gebe, obwohl der deutsche Historiker Wolfgang Effenberger und andere auf die über ein Jahrzehnt laufende Vorbereitung des Ersten Weltkrieges durch britische und französische Zirkel, einschließlich der über das Deutsche Reich zu verhängenden Hungerblockade, hingewiesen haben. Eine Hungerblockade wohlgemerkt, die bis weit nach dem Waffenstillstand in den Sommer 1919 Millionen deutsche Opfer und den Verlust einer ganzen Generation von Kindern zur Folge haben sollte. Wenn es selbst nach Christopher Clark keine deutsche Sonderverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges gegeben hatte, ist die in Versailles von den Alliierten dekretierte “deutsche Alleinschuld” nicht aufrecht zu erhalten.

Die Vernichtung Deutschlands war das Ziel von Versailles und mittels Hitler und dem Zweiten Weltkrieg sollte es gelingen. Steinmeier und Merkel laufen Gefahr, Versailles und die gegen Deutschland gerichtete Vernichtungspolitik auf Dauer zu legitimieren.

Das könnte man der Geschichte überantworten, wenn dies nicht ins nächste Verhängnis führen würde.

Zunächst einmal in grundsätzlicher Hinsicht. Wer heute Versailles legitimiert, beantwortet eine Frage nicht: Wer kann Frieden? Darauf hat es in der Geschichte Antworten gegeben, wie der Friedensschluß 1648 von Münster und Osnabrück sowie der Wiener Kongreß nach Ende der napoleonischen Kriege zeigen konnte. Man ließ dem besiegten Land sein Gesicht und schuf das “Recht auf Vergessen”.

Es war der russische Zar Alexander I, gemeinsam mit dem österreichischen Kanzler Metternich, einem Rheinländer aus Koblenz, der das europäische Überlebensprinzip schlechthin in die internationale Politik einzuführen versuchte: eine erneute Auseinandersetzung in Europa sollte vermieden werden, um nicht der Vernichtung der europäischen Zivilisation ins Auge sehen zu müssen. Absprache, wo Absprache möglich sein sollte, sehr zum Widerwillen der Angelsachsen. London wollte auf dem Kontinent schalten und walten, wie es wollte. Das wurde gemeinsam mit dem späteren Marschall Foch aus Frankreich unter Beweis gestellt und ist bis heute der “rote Faden”, der jede Beruhigung der europäischen Lage hintertreiben soll. Washington ist in Londoner Fußstapfen getreten, da kann bei den französischen Feierlichkeiten in Paris der amerikanische Präsident Trump des russischen Präsidenten Putin anlächeln, wie er will.

Es ist schon pervers, wenn ausgerechnet ein französischer Präsident ein permanentes “Friedens-Forum” am Arc de Triomphe ankündigt. War es doch zuletzt und in Abfolge gerade Frankreich, das Libyen und Syrien mit allen sich daraus ergebenen Konsequenzen auf dem Kerbholz hat und in Afrika nichts anderes mehr fertigbringt, als Kriege zu führen. Statt “Friedens-Forum” hätte Selbstverpflichtung für die Zukunft den Menschen mehr gebracht.

Und dann die Dauerschelte für den amerikanischen Präsidenten Trump. Man muß sich fragen, was das soll? Oder sind Merkel und Co. sauer darüber, daß Präsident Trump bislang jedenfalls nicht dem Modell der von Merkel und Co. bejubelten kriegstreibenden Präsidenten Clinton, Bush dem Unsäglichen und Obama folgt? Der russische Präsident Putin wird sich in Paris und nicht nur dort alles genau angehört haben. Von Clinton bis Merkel beklagt man, daß die angelsächsische Kriegspolitik durch Trump augenscheinlich nicht fortgesetzt wird. Trump wird mit Kübeln von Dreck zugeschüttet, weil er vorgibt, mit Rußland eine Form gedeihlicher Zusammenarbeit anstreben zu wollen.

Kriege haben die Merkels dieser Welt freudig hingenommen, aber Frieden in Europa geht gar nicht? Das entspricht dem EU-Modell auf Zerstörung der bestehenden rechtsstaatlichen Ordnung durch diejenigen, die die Dämonen der Vergangenheit beschwören, obwohl gerade sie es sind, die diese Dämonen fördern. Trump kann gegenüber Moskau nicht liefern, aber er unternimmt alles, um das kriegszerrüttete Amerika wieder aufzurichten. Das mag ihm gelingen. Aber was kommt danach? Wieder ein Amerika, das sich Rußlands über die amerikanischen Militärbefehlshaber in Europa bemächtigen will? Paris war ein Gipfel an diesem Wochenende und zwar einer der politischen Heuchelei.

(12.11.2018)

Willy Wimmer (CDU) war 33 Jahre Mitglied des Deutschen Bundestages, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung, Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)


Wolfgang Bittner
Deutsche Außenpolitik 2018 – Die „balancierte Partnerschaft“ des Außenministers Heiko Maas und die Feierlichkeiten zum Ende des Ersten Weltkriegs

Noch Mitte 2018 schlug Außenminister Heiko Maas neue, ungewöhnliche Töne hinsichtlich einer Stärkung der europäischen Autonomie gegenüber den USA an. In einem im Handelsblatt am 21. August 2018 veröffentlichten Kommentar schrieb er, dass die USA und Europa seit Jahren auseinanderdrifteten.[1] Das war offensichtlich, damit hatte er vollkommen recht. Ebenso, wenn er weiter erklärte, dass dies keineswegs nur an Donald Trump liege, weil die Gemeinsamkeiten bei Werten und Interessen seit Längerem schon abgenommen hatten. Er kam somit zu dem Ergebnis, die Konflikte würden die Präsidentschaft Trumps überdauern, so dass es keinen Zweck habe das auszusitzen. Maas strebte ein „neu zu vermessenden“ Verhältnis mit den USA an, in dem „wir ein Gegengewicht bilden, wo die USA rote Linien überschreiten“. Europa könne es nicht zulassen, dass die USA „über unsere Köpfe hinweg zu unseren Lasten handeln“. Deshalb sei es richtig, europäische Unternehmen rechtlich vor Sanktionen zu schützen. Weiter schrieb er, die europäische Autonomie müsse gestärkt werden, indem von den USA unabhängige Zahlungskanäle einzurichten sowie ein Europäischer Währungsfonds und ein unabhängiges Swift-System zu schaffen seien. Außerdem forderte er, US-Internet-Konzerne müssten angemessen besteuert werden.

Alles nachvollziehbar und richtig, das und mehr sagen unabhängige Publizisten und Analysten schon lange. Der Direktor der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, ist vor einigen Jahren noch viel weiter gegangen: Er hat sich gegen die Vorherrschaft des Dollars als Weltleitwährung gewandt.[2] So auch der damalige französische Präsidentschaftskandidat und Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, den man dann unverzüglich über eine Schmuddel-Sex-Affäre ein für alle Mal aus dem Verkehr gezogen hat.[3] Warum? Weil die USA bankrott wären, wenn der Dollar als Weltleitwährung wegfiele. Das werden sie niemals zulassen, solange sie die höchstgerüstete Armee und den rücksichtslosesten Geheimdienst der Welt haben. Denn sie können trotz einer immens hohen Staatsverschuldung von etwa 22 Billionen Dollar nicht „pleitegehen“ und sogar noch unbekümmert Staatsanleihen ausgeben, die jederzeit einzulösen sind, weil sie sich in der Weltleitwährung US-Dollar verschulden und – wie der ehemalige Vorsitzende der Notenbank, Alan Greenspan einmal gesagt hat – bei Bedarf jede beliebige Menge Geld drucken können. Das hat weitgehende Auswirkungen auf die ganze Welt.

Der deutsche Außenminister hat also einige sehr vernünftige Überlegungen geäußert. Doch dann kam sogleich der Schwenk: Im Rahmen der „balancierten Partnerschaft“ sollen die Europäer einen Teil der Verantwortung übernehmen. Zu fragen ist: welche Verantwortung? Interventionskriege zu führen, andere Länder zu ruinieren oder in Schutt und Asche zu bomben? Zum Beispiel terrorisieren die USA auf die brutalste Weise die Bevölkerungen in Venezuela und Brasilien, die einen durch Boykott, die anderen durch Regime Change. Aber worum geht es Heiko Maas, wenn er von Verantwortung spricht? Er meint die europäische Sicherheitspolitik, konkret geht es ihm um die Erhöhung der Verteidigungsausgaben (und das entspricht auch den Forderungen von Kanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen). Maas schreibt: „Die Kehrtwende bei den Verteidigungsausgaben ist Realität. Jetzt kommt es darauf an, Schritt für Schritt eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion aufzubauen – als Bestandteil der transatlantischen Sicherheitsordnung und als eigenes europäisches Zukunftsprojekt.“

Das zeigt die Richtung, damit betreibt Maas die Kriegspolitik der USA mit ihrem Militärisch-industriellen Komplex. Obwohl die Militärausgaben der NATO-Staaten einschließlich der USA mehr als dreizehn Mal höher sind als die Russlands, soll mit zig Milliarden immer noch weiter aufgerüstet werden. Dazu passt PESCO, die ständige strukturierte militärische Zusammenarbeit, die Ende 2017 beschlossen worden ist. Danach können die NATO-Truppen grenzenlos in ganz Europa bis an die russischen Grenzen – böse gesagt: bis an die künftige Ostfront – operieren. Und ein Europäisches Sicherheits- und Verteidigungsbündnis als Bestandteil der transatlantischen Sicherheitsordnung? Bekanntlich wird die NATO von den USA gesteuert. Soll das deutsche Militär dann vollkommen der Befehlsgewalt der USA ausgeliefert werden? Es handelt sich also um einen weiteren Schritt in Richtung einer „Kolonisierung“ Europas.

Wenn Maas meint, das geeinte Europa könne ein Gegengewicht zu den USA bilden, ist das bei dem heutigen Zustand Deutschlands eine Illusion. Erstens ist das Besatzungsrecht zwar 1990 beendet worden und Deutschland wurde de jure souverän – unter wesentlicher Beteiligung Russlands, das sollte nicht vergessen werden, ist jedoch inzwischen verdrängt. Aber die USA haben 1993 ein Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut für die in Deutschland stationierten ausländischen Truppen durchgesetzt, wonach sie zum Schutz ihrer Truppen alles Erforderliche unternehmen dürfen. Und dieses Erforderliche ist weit auslegbar und beinhaltet zum Beispiel die Überwachung der inländischen Kommunikation. Dass das Handy der Bundeskanzlerin abgehört wurde, war also rechtlich gedeckt, um nur ein Beispiel zu nennen.

Zweitens haben die USA weitgehende Möglichkeiten der Nötigung und Erpressung gegenüber der deutschen Regierung. Wie wäre sonst die Zustimmung und Mitwirkung an den Sanktionen gegen Russland zu erklären? Die Sanktionen richten sich schließlich nicht nur gegen Russland, sondern sie schädigen in erheblichem Maße auch Deutschland. Zur Durchsetzung der Boykottmaßnahmen ist aus Washington erheblicher Druck ausgeübt worden, was der ehemalige Vizepräsident Joe Biden öffentlich zugegeben hat. Am 2. Oktober 2014 prahlte er in einer Rede an der Harvard Kennedy School in Cambridge/Massachusetts: „Wir haben Putin vor die einfache Wahl gestellt: Respektieren Sie die Souveränität der Ukraine oder Sie werden sich zunehmenden Konsequenzen gegenübersehen. Dadurch waren wir in der Lage, die größten entwickelten Staaten der Welt dazu zu bringen, Russland echte Kosten aufzuerlegen. Es ist wahr, dass sie [die EU] das nicht tun wollten. Aber wiederum war es die Führungsrolle Amerikas und die Tatsache, dass der Präsident der Vereinigten Staaten darauf bestanden hat, ja Europa des Öfteren in Verlegenheit bringen musste, um es dazu zu zwingen, sich aufzuraffen und wirtschaftliche Nachteile einzustecken, um Kosten [für Russland] verursachen zu können. Und die Folgen waren eine massive Kapitalflucht aus Russland, ein regelrechtes Einfrieren von ausländischen Direktinvestitionen, der Rubel auf einem historischen Tiefststand gegenüber dem Dollar, und die russische Wirtschaft an der Kippe zu einer Rezession.“[4]

Absurd, dass die Sanktionen gegen Russland von der EU immer noch beibehalten werden. Und der Schulterschluss mit Frankreich, den Maas propagiert, zeugt von ebenso ausgeprägter Kurzsichtigkeit. Der französische Präsident Macron tritt schlau für eine gemeinsame EU-Verteidigungs- und Finanzpolitik ein – zu Lasten Deutschlands.[5] Er beteuert natürlich ständig die Freundschaft mit Deutschland, ebenso wie Frau Merkel mit Frankreich, wo ein gutnachbarliches Verhältnis durchaus genügen würde. Zugleich wird am 11. und 12. November das Ende des Ersten Weltkriegs im Beisein von 60 Staats- und Regierungschefs, darunter US-Präsident Donald Trump, mit großen Auftritten, unter anderem einer Zeremonie am Arc de Triomphe, gefeiert – und damit Deutschland vor Augen geführt, dass es schon 1918 vor den USA, England und Frankreich am Boden lag.

Was ist von Macrons angeblicher Freundschaft oder Kooperation zu halten, wenn so etwas passiert und er zudem eine von Putin angeregte Zusammenkunft mit Trump in Paris verhindert? Der französische Präsident und die britische Premierministerin Teresa May gedachten mit einer Kranzniederlegung auf dem Soldatenfriedhof von Thiepval der Opfer ihrer Länder während des Krieges gegen das Deutsche Reich,[6] wohingegen Macron mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel den Platz im Wald von Compiègne aufsuchte, wo am 11. November 1918 der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, der zu dem erzwungenen, für Deutschland ruinösen Versailler Vertrag mit den bekannten Folgen führte.[7] Das geht weit hinter die Politik von de Gaulle, Mitterand und Helmut Kohl zurück, zeugt davon, dass Macron nicht zu trauen ist und Angela Merkels Geschichtsverständnis offensichtlich den falschen Vorgaben der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs entspricht. Dasselbe trifft auf Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zu, der gemeinsam mit dem britischen Thronfolger Prinz Charles an den Feiern der Briten teilnahm und am Ehrenmal in London einen Kranz niederlegte, wobei er „für die Ehre“ dankte, „Seite an Seite der Opfer zu gedenken“.[8]

Der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär und Vizepräsident der OSZE, Willy Wimmer, kommentierte: „Fast scheint es so, dass 100 Jahre nach der Jahrhundertkatastrophe zwar Platz für die Erinnerung ist, doch ein Schleier die schicksalhaften Ereignisse noch immer kaschieren soll. Angeblich rutschten die europäischen Staaten ja schlafwandlerisch in den Ersten Weltkrieg, doch neuere Forschungen und freigegebenes Archivmaterial belegen, dass sie von bestimmten Kräften geradezu hineinorchestriert wurden. Ziel war die Ausschaltung Deutschlands und Österreich-Ungarns; es galt, zwei in jeder Hinsicht prosperierende Staaten möglichst von der Landkarte zu tilgen. Über die Waffenruhe am 8. November 1918, den Waffenstillstand am 11. November 1918, Versailles und später Hitler sollte weitaus mehr gelingen. Einen Weltkrieg weiter, der zur bedingungslosen deutschen Kapitulation und der fast vollständigen Vernichtung der Substanz der Sowjetunion geführt hatte, steht die Koalition der Kriegswilligen erneut an den Grenzen Russlands – Deutschland als Spielball mittendrin.“[9]

Es zeigt sich, dass im offiziellen Deutschland 73 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg immer noch nicht die historische Gemengelage begriffen worden ist. Und in Richtung USA wird nach dem von Donald Trump eingeleiteten globalpolitischen Schwenk einerseits mehr Abstand gefordert, aber natürlich nicht zu viel; andererseits wird nach wie vor gegen Russland zu Felde gezogen, anstatt gerade da mit neuen politischen Vorstellungen anzusetzen und Skepsis auch gegenüber den NATO-Verbündeten England und Frankreich walten zu lassen. Hier wird deutlich, wie unreflektiert und konfus deutsche Außenpolitik – in Abhängigkeit von den USA – betrieben wird. Das ist Berliner Politik 2018. Die alles entscheidende Frage bleibt, ob und gegebenenfalls wie sich Deutschland aus der Umklammerung durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, insbesondere der USA, befreien kann, aus dieser Zwangslage, die ihren Anfang 1945 genommen hat, als damals die Weichen gestellt wurden. Dazu findet sich in der deutschen Politik nach wie vor kein auch nur halbwegs überzeugender Ansatz.

(12.11.2018)

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2017 erschien von ihm im Westend Verlag in Frankfurt am Main das Buch „Die Eroberung Europas durch die USA – eine Strategie der Destabilisierung, Eskalation und Militarisierung“.






Montag, 12. November 2018

Paris: Der ewige Frieden?



Kriegstreiber feiern Frieden


Staats- und Regierungschefs gedenken in Paris an Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Macron und Trump für Aufrüstung


Von Hansgeorg Hermann, Paris

An die Schrecken des Ersten Weltkriegs, der vor 100 Jahren – am 11. November 1918 – mit dem Waffenstillstand im Wald von Compiègne (Nordwestfrankreich) zu Ende ging, haben am Sonntag in Paris 60 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt erinnert. Bei prasselndem Regen geriet die Feier auf den Champs Élysées zu einem Schaulaufen der Heuchler, die mit Militärformationen, Standarten und Fanfarenklang den rund 18,6 Millionen getöteten Soldaten und Zivilisten »ewige Treue« schworen, während in Syrien und im Jemen Menschen bombardiert und ganze Städte ausgelöscht werden.

Am Sonntag um 11 Uhr ertönten dann die Kirchenglocken des Landes, eine Reminiszenz an das »Friedensgeläut« vor 100 Jahren. In seiner Rede vor den unter einem Plastikdach am Triumphbogen versammelten Staats- und Regierungschefs – neben Trump waren unter anderem Wladimir Putin, Angela Merkel, Benjamin Netanjahu und Recep Tayyip Erdogan angereist – sah Macron für Europa und die Welt »eine neue Epoche heraufdämmern«. In der würde künftig »Dominanz« über andere Völker als »Irrtum« erkannt. Für die Freiheit und den Frieden werde »Frankreich immer der ideale Soldat sein«. Er beendete seine Ansprache mit dem Ruf »Vive la paix!« – »Es lebe der Frieden!«

Schon am Samstag hatte der französische Staatschef den US-Präsidenten im Élysée-Palast empfangen, wo es nicht um Frieden, sondern vor allem um Aufrüstung ging. Nachdem Macron in der vergangenen Woche mit seinem Plädoyer für eine »europäische Armee« den Unmut Trumps erregt hatte, zeigten sich nun beide der Meinung, dass die Europäer mehr Geld in das Droh- und Kriegspotential des nordatlantischen Militärbündnisses investieren sollten. In seinem am Sonntag veröffentlichten Fazit des Gesprächs erklärte Macron: »Ich teile die Ansicht des amerikanischen Präsidenten hinsichtlich der strategischen Kapazitäten Europas und zu einem Europa, das seinen Teil an der gemeinsamen Last in der NATO zu tragen hat.« Zur Freude Trumps, dem »gefiel, was er (Macron) zur Aufteilung der Last gesagt hat, wir wollen ein starkes Europa«. Und mehr Geld in der Kriegskasse, wie nicht nur die französische Linke zu Recht befürchtet. Mit der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Macron am Samstag vormittag eine neue Gedenkplatte in Compiègne eingeweiht, die eine kurz nach dem historischen Waffenstillstand eingelassene Tafel ersetzt, deren Inschrift für heute als zu martialisch empfunden wurde.

Im Ersten Weltkrieg wurden insgesamt rund 18,6 Millionen Menschen geopfert, unter ihnen 9,7 Millionen Soldaten und 8,9 Millionen Zivilisten. Allein in Frankreich ließen die Massaker 600.000 Witwen und fast eine Million Waisenkinder zurück. Rund 300.000 Soldaten wurden verstümmelt, mehr als 15.000 Männer erlitten durch das eingesetzte Giftgas irreparable Gesichtsverletzungen und beendeten ihr Leben im Verborgenen. Mehr als die Hälfte der Generation der 20- bis 25jährigen wurde ausgelöscht.
Der inzwischen seit sieben Jahren andauernde Krieg in Syrien forderte bisher geschätzte 350.000 Todesopfer. Rund zwölf Millionen Menschen mussten ihr Zuhause verlassen, das sind 65 Prozent der Bevölkerung. In den Konflikt sind neben den USA und Russland mehr als 50 Länder verwickelt, unter ihnen Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Saudi-Arabien, Marokko, Australien, Kanada und Jordanien.




Freitag, 9. November 2018

AUFSTEHEN am GROßEN TOR


AUFSTEHEN ZUM AUFBRUCH

Von Harry Popow

Der neunte November. 2018. Ich stehe auf und sage als allerstes zu meiner lieben Frau: „Guten Morgen du Schöne“. Sie lächelt. Wir frühstücken. Heute habe ich mir vorgenommen, an der Großkundgebung „Aufstehen“ am Brandenburger Tor teilzunehmen. Ich schaue auf die Uhr. Noch über eine Stunde Zeit zur Abfahrt von Schöneiche mit der Straßenbahn und dann mit der S-Bahn zur Friedrichstraße. Und was ist online zu erfahren? Schaue schnell nach. Da, ein Artikel von Arnold Schölzel in der „jungen Welt“. Überschrift: „Was nötig ist“. Der letzte Satz: e““

„Der 9. November erinnert daran, was nötig ist, um mit dem imperialistischen Krieg Schluss zu machen: Ohne Bruch mit dem Kapitalismus geht es nicht.“

Das gefällt mir. Eine Stunde später Unter den Linden. Der Alte wie ich staunt über die vielen Veränderungen. Geschäfte gab es immer, aber wie die heute ihre Pracht anbieten. Wahnsinn. Ich nähere mich dem Brandenburger Tor. Ich wundere mich: So wenig Leute? Immerhin, es ist nur noch eine viertel Stunde bis zum angekündigten Beginn der Kundgebung. Aber die zahlreichen Polizeiwagen am Straßenrand belehren mich eines Besseren: Wo die sind ist Politisches im Gange.





Doch der Platz am Brandenburger Tor füllt sich zunehmend. Es müssen Tausende sein. Ein Flugblattverteiler. Ich lasse mir eines geben. Mal sehen, ob es das richtige ist. Ich lese was von AFD. Das Blatt wandert zurück zum Verteiler. Transparente. Flaggen mit der Aufschrift „aufstehen“. Ein Schild: Hände weg von Syrien. Viele ältere Menschen, auch jüngere. Sie geben Beifall einem Mann namens Bülow von der SPD, dann einem Grünen. Huh-Rufe, wenn es um die neuerlichen Ausgaben für die Hochrüstung geht. Dann folgende Aussage: Das undifferenzierte Bild über die DDR trage mit Schuld daran, dass es zu Rechtsruck gekommen sei. Wieder Beifall. Besonders bei der Forderung, gesellschaftliche Lösungen müssen her, die kapitalistische Wirtschaft sei in Frage zu stellen. Über das Klima wird gesprochen, über soziale Ungerechtigkeit.








Mit diesem Thema gewinnt dann Sahra Wagenknecht die Herzen der Kundgebungsteilnehmer. Sie legt los wie keine und wie kein anderer. Zählt die Missstände in diesem unsozial gewordenen Staat auf. Schluss mit der Rüstungsspirale. Fordert gute Verhältnisse mit Russland. Erinnert an die Weimarer Republik, die auf wackligen Füssen stand. Sagt, man müsse die Mauern zwischen OBEN und UNTEN niederreißen. Soziales müsse die Oberhand gewinnen. Die Weimarer Republik mahnt, das Volk durch Ungerechtigkeit nicht zu spalten, denn das sei der Nährboden für Spaltung, bei der lediglich die Nazis wieder aus ihren Löchern kriechen würden.


Viel kluges wird gesagt, dem Herzen Luft gemacht. Aufruf, weiter aufzustehen. Miteinander sich zu vernetzen. Beifall.
Rechts von der kleinen Tribühne fällt dann unter großem Beifall symbolisch eine MAUER zwischen OBEN UND UNTEN.

Ich erinnere mich an den 11. Oktober 1949. Unser Fanfarenzug – ich als Trommler -, durfte mit dabei sein auf dem Marx-Engels-Platz anlässlich der Gründung der DDR. Fackeln, Freude. Wilhelm Pieck sprach, glaube ich. Welch eine Stunde der hoffnungsvollen Erwartung: Nie wieder Krieg vom deutschen Boden aus.

Ziemlich spät nach Schöneiche zurückgekehrt, schreibe ich für meinen Blog eben diesen Text. Nur Stichworte, aber mit Herz und auch weiterer Zuversicht. Und: Ich denke besonders an den letzten Satz von Arnold Schölzel: 

Ohne Bruch mit dem Kapitalismus geht es nicht.


Fotos: H.P.


Das gefällt mir 9. November erinnert daran, was nötig ist, um mit dem imperialistischen Krieg Schluss zu machen: Ohne Bruch mit dem Kapitalismus geht es nicht.