Freitag, 31. Dezember 2021

ANSPRACHE FILETIERT - RATIONALGALERIE - Gellermann

 

Entnommen: https://www.rationalgalerie.de/home/scholz-ansprache-filetiert


SCHOLZ-ANSPRACHE FILETIERT


Neues Jahr mit dem Zombie
Autor: Uli Gellermann
Datum: 31.12.2021

Ein glattes Gesicht, ein glattgebügelter Verstand. Fast leblos seine Züge. Der neue Kanzler redet zu Neujahr mit seinen Untertanen, ein Zombie sieht Dich an. - Die RATIONALGALERIE veröffentlicht vorab Zitate aus der Scholz-Rede. Filetiert und kommentiert. Die Zitate sind kursiv, die Kommentare kursorisch.

„Heute Abend richte ich als Ihr Bundeskanzler die Neujahrsansprache an Sie. Der reibungslose, mitunter fast freundschaftliche Übergang von der alten Bundesregierung zur neuen hat überall in der Welt viel Anklang gefunden.“

Kein Wunder: Die alten Eliten-Vertreter haben den nur scheinbar neuen die politischen Pfründe übergeben. Neue Inhalte waren nicht zu erwarten. Man schreibt den alten Text fort.

„Die Corona-Pandemie mit ihren Belastungen und tiefgreifenden Einschränkungen steckt uns allen in den Knochen.“

Uns? Hat Scholz Kinder, die man unter die schädlichen Masken gezwungen hat? Muss Scholz wg. des Lock-Down-Umsatz-Schwunds um seine wirtschaftliche Existenz fürchten? Hatte er Quarantäne, Ausgangsperre, Kontaktverbot?

„Die Pandemie ist nicht vorbei“

Es lebe die Pandemie! Denn so bequem wie in der „Pandemie“ konnte in der Bundesrepublik noch nie regiert werden: Das Parlament ist gegen ein verfassungswidriges Kanzler-Länderchefs-Gremium ausgewechselt worden. Die Medien singen fast alle das gleiche Lied: „Corona, Corona, über alles!“ Die außerparlamentarische Opposition wird noch mit Verboten und Polizei-Einsätzen niedergehalten.

„Das Virus hat sich verändert. Eine neue Variante verbreitet sich gerade rasant. Sie haben ihren Namen gehört: Omikron. - Gerade die neue Virus-Variante sollte nun den Ausschlag geben, sich impfen zu lassen.“

Das Robert Koch-Institut sagte in seinem aktuellen Wochenbericht, dass 95,6 Prozent der positiv auf die Omikron-Variante getesteten, den Impfstatus „vollständig geimpft“ hatten. Impfen nützt nichts, schadet nur. Das weiß Scholz. Also lügt er. Für den Umsatz der Pharma-Industrie.

„ (…) und unsere Krankenhäuser nicht zusätzlich zu belasten. Wir unterstützen damit die Arbeit der Pflegerinnen und Pfleger, der Ärztinnen und Ärzte, die auch heute Nacht Dienst tun.“

Tag und Nacht müssen Pfleger und Ärzte für den Profit der Krankenhaus-Konzerne arbeiten. Eine übergroße Koalition, an der auch die Freunde von Scholz beteiligt waren, hat das Gesundheitswesen privatisiert und damit schwer beschädigt. Mitten in der „Pandemie“ wurden Intensivbetten abgebaut.

„Inzwischen sind allerdings fast vier Milliarden Menschen auf der ganzen Welt geimpft. Ohne größere Nebenwirkungen.“

Dass Paul-Ehrlich-Institut sieht das anders: „In 10.578 Verdachtsfällen traten nach einer Impfung schwerwiegende, unerwünschte Reaktionen auf. 1.028 Menschen starben.“ Aber vielleicht ist der Tod für Scholz eine kleine Nebenwirkung.

„Für die Sicherheit in Europa ist darüber hinaus die transatlantische Zusammenarbeit unverzichtbar. Mit Blick auf die Ukraine stellen sich uns hier aktuell neue Herausforderungen. Die Unverletzlichkeit der Grenzen ist ein hohes Gut.“

Mit Blick auf die Ukraine ist klar: Die NATO hat die Einsatzbereitschaft der schnellen Eingreiftruppe erhöht. Man zündelt an den Grenzen zu Russland. Scholz verzieht keine Miene.

„Wir brechen auf in eine neue Zeit. Eine Zeit, die gut wird, wenn wir sie aktiv gestalten.“

Wenn wir, die Bürger, aktiv gegen Scholz und Konsorten auf die Straßen gehen, wenn wir unsere Interessen vertreten gegen Impfzwang und für eine friedliche Republik, nur dann kann die „neue Zeit“ gut werden.

Von Beginn an ist das Corona-Regime auf den Widerstand seiner Insassen gestoßen. Der Kampf geht weiter. Auch im neuen Jahr. Scholz? Was solls?!

 Tausende protestieren auf Straßen und Plätzen gegen das Regime


Mittwoch, 29. Dezember 2021

Angriffe auf den Zusammenhalt - Freidenker

 

Entnomen: https://www.freidenker.org/?p=11894


Angriffe auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt


28. Dezember 2021  Webredaktion Entsolidarisierung, Gemeinschaft, Genderismus, Gerechtigkeit, Identität, Solidarität, Staat, Volk
Aus: „FREIDENKER“ Nr. 4-21, Dezember 2021, S. 9-15, 80. Jahrgang

von Matthias Burchardt

Die von links wie rechts geschürten „Identi­tätsillusionen“ zerstören das, was Gesellschaft ausmacht.

Auf den ersten Blick scheinen Welten zwi­schen dem völkischen Konzept der Identi­tären Rechten und der Wertschätzung von Vielfalt in der linken Identitätspolitik zu lie­gen. Dennoch gibt es bedenkliche Gemein­samkeiten: Beide Identitätsmodelle beuten legitime Bedürfnisse von Menschen aus, um demokratische Gesellschaft zu untergraben. Französische Modephilosophen wirken hier (un-)freiwillig als Helfershelfer der globalen Machteliten und auch die Genderprogramme tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei. Unter der Illusion der Freiheit werden Bin­dungen zerstört und vereinzelte Menschen schutzlos der Kontrolle und Ausbeutung ausgeliefert.

Gerechtigkeit erwächst aus solidarischen Gemeinschaften


Gerechtigkeit ist ein wesentlicher ethischer Anspruch, den wir an ein politisches Gemein­wesen stellen. Dieser Anspruch betrifft in einer modernen Demokratie die gesetz­gebende, die rechtsprechende und die aus­führende Gewalt gleichermaßen.

Doch über das geschriebene Recht und seine Manifestation in den Organen und Abläufen des Staates hinaus, lebt eine poli­tische Gemeinschaft auch von dem tieferen Bedürfnis der Menschen nach gerechten Ver­hältnissen und von ihrer Fähigkeit und Bereit­schaft, nicht nur egoistische Eigeninteressen durchzusetzen, sondern auch das Wohl der Anderen und das Gemeinwohl zu verfolgen.

Es ist eine interessengeleitete Unterstellung der Eliten, dass erst die mäßigende und züch­tigende Macht eines Staates das Motiv der Gerechtigkeit ins Spiel bringt, ohne welches die Einzelnen sich im Krieg aller gegen alle befänden, da die Menschen in ihrem Wesen dumm und böse seien. (Vgl. Rainer Mausfeld: Die Angst der Machteliten vor dem Volk.)

Der Staat als Zuchtmeister?


Diese staatsphilosophische Annahme steht in der Tradition von Hobbes, der in seinem Werk ›Leviathan‹ die Gründung des Staates als Vergesellschaftung von egoistischen Ein­zelkämpfern unter der wohltuenden Repres­sion einer allmächtigen Regierung erzählt. So plausibel sich dieser Übergang von einem wilden Naturzustand, wo der Mensch des Menschen Wolf war, zu einer friedlichen, zivilisierten Zeit auch anhört, so proble­matisch sind doch die Grundannahmen: Der Mensch sei in seinem Wesen Egoist und soziale Beziehungen hätten implizit oder explizit immer den Charakter des Krie­gerischen, da jeder ausschließlich auf den eigenen Vorteil aus sei.

Staatliche Gemeinschaft wäre demnach eine notwendige Zwangsform, welche die solitären Egoisten miteinander versöhnt. Die­ser Ansatz verkennt aber die anthropologische Einsicht, dass der Mensch nicht nur Einzel­ner, sondern immer auch ein Sozialwesen ist, dass er immer schon Gemeinschaften ent­stammt und in diesen existiert. Das heißt, die Frage nach gerechten Verhältnissen für alle wird nicht erst durch staatliche Verfassungen hervorgebracht, sondern diese Verfassungen antworten auf das vorausliegende elementare Gerechtigkeits­bedürfnis der sozialen Gemein­schaften.

Mehr noch: Sollten sich die Eliten oder In­stitutionen anmaßen, ihre Macht bloß für die eigenen Interessen und nicht dem Allge­meinwohl gemäß zu nutzen, kann das tiefere Gerechtigkeitsgefühl der Menschen zu einer politischen Empörung führen und entspre­chenden Druck auf die Regierenden auf­bauen. Hannah Arendt weist in ihrem Essay über ›Macht und Gewalt‹ darauf hin, dass es nicht die Verletzung der Egoismen ist, die politisches Engagement hervorbringt, son­dern die Verletzung des Gerechtigkeitsgefühls von Betroffenen wie Nicht-Betroffenen.

Aus gutem Grund verbindet das Motto der Französischen Revolution ›Liberté, Egalité, Fraternité‹ deshalb die Freiheit und die Gleichheit mit dem Moment der Brüder­lichkeit, also einer vorpolitischen Gemein­samkeit, aus der Mitempfinden, Gerechtigkeit und Solidarität folgen. Würde die Demokratie nur aus Freien und Gleichen bestehen, könnte eine Mehrheit mit gleichen Interessen gna­denlos auf Kosten einer Minderheit regieren. Es ist das Moment der Brüderlichkeit, das dem Einzelnen den Gerechtigkeitssinn und den demokratischen Prozessen die Ver­pflichtung auf das Allgemeinwohl und den Schutz der Minderheit einschreibt.

Ohne die Rückbindung an elementare Brüderlichkeit und den Gerechtigkeitsauftrag verkommt der demokratische Staat zu einer kalten Mehrheitsmaschine, wo die Zufrie­denstellung einer Mehrheit zu Lasten der Minderheit als Gerechtigkeit ausgegeben wird.

Die gegenwärtige politische Lage trägt Momente dieser politischen Verfallsform: Eine als ›Modernisierungsverlierer‹ diffamier­te Gruppe von Menschen ohne Perspektive und ohne eigene Stimme im politischen Diskurs macht zumindest auf dem Weg der Wahlurnen auf sich aufmerksam und spült zur Bestürzung und Überraschung der propagandistisch eingelullten Mehrheit (vgl.: Rainer Mausfeld, Warum schweigen die Lämmer?) Figuren mit unklarer Agenda in Parlamente und höchste Regierungsämter.

Entsolidarisierung und die Stunde der Rattenfänger


Fatal ist in diesem Zusammenhang, dass der öffentliche Diskurs dies nicht zum Anlass nimmt, ernsthaft nach den Nöten dieser Gruppen und den ursächlichen sozialen Ver­werfungen zu fragen, sondern in einer per­fiden Verdrehung dient genau das Kreuz in der Wahlkabine dazu, die Sorgen und Be­dürfnisse dieser Menschen als illegitim und sie selbst als unerwünschte Figuren im politi­schen Raum darzustellen, eben weil sie bspw. AfD-Wähler sind, womit sie sich ja scheinbar selbst disqualifizieren.

Diese Gerechtigkeitsproblematik, die aus einem blinden Fleck der demokratischen Parteien herrührt, ist aber nun gerade der Nährboden für populistische Angebote von rechts, die durch gezielte sprachliche Provo­kationen davon profitieren, dass bren­nende sozialpolitische Fragen im politischen Raum tabuisiert oder mit einem propa­gandistischen Spin versehen werden.

Neben den konkreten prekären Lebens­lagen wird den ›Modernisierungsverlierern‹ vor allem ihr Bedürfnis nach ökonomischer Sicherheit, sozialer Geborgenheit, regionaler und kultureller Beheimatung zum Verhäng­nis: Die postmoderne offene Gesellschaft fordert den entwurzelten und kreativen Selbstunternehmer, der die Unverbindlichkeit als Ungebundenheit genießt und beruflich flexibel zwischen Standorten nomadisiert. Oder er arbeitet via Internet – dank inter­kultureller Kompetenz – mehrsprachig in multinationalen Projektteams, zusammenge­spannt durch den global harmonisierten Workflow in der universellen Grammatik des neoliberalen Projektmanagements. Sein poli­tisches Engagement vollzieht sich intellektuell und symbolisch kanalisiert und in seinem Konsumverhalten weiß er Hedonismus mit politischer Korrektheit zu verbinden.

Der Modernisierungsverlierer dagegen raucht, isst Fleisch, spricht politisch inkorrekt und versteht nicht, warum nach vielen Jahren der Austeritätspolitik, Verfall der öffentlichen Infrastruktur, dem Verkümmern des Sozial­staates und Entsolidarisierung ausgerechnet Banken gerettet oder Kriege geführt werden müssen und warum plötzlich Willkommens­kultur herrscht und Milliarden für die Integration für Flüchtlingen da sein sollen.

Ideologische Lockangebote von rechts


Ein Orientierungsangebot in den Zeiten radikaler Unsicherheit bietet das rechte Konzept des Völkischen. Dieses setzt bei dem zutiefst menschlichen Bedürfnis nach Zuge­hörigkeit zu einer sinnstiftenden Gemein­schaft an, aber wendet es ins Ideologische und Instrumentelle. Das heißt, das Moment der Brüderlichkeit, welches Gemeinsinn, Soli­darität und Gerechtigkeit gewährleisten könn­te, dient bloß dazu, Menschen zu ködern, um sie für den eigenen Willen zur Macht zu missbrauchen. AfD verfolgt hinter der Fassa­de der Rückbesinnung auf nationale Gemein­schaften letztlich eine zutiefst neoliberale Agenda, deren sozialpolitische Folgen zu­lasten der eigenen Klientel gehen würden. Dies ist nicht zuletzt im Gespräch von Sahra Wagenknecht mit Frauke Petry sehr deutlich geworden.[1]

Terror der Identität


Der ideologische Begriff des Volkes, wie ihn etwa auch die sogenannte Identitäre Bewegung verwendet, ist politisch wie theo­retisch in mehrfacher Hinsicht problematisch. Das Problem liegt weniger in der typi­sierenden Verwendung des Konzepts, wie man es ja – durchaus humorvoll – auch auf landsmannschaftliche Herkünfte bezieht: Rheinländern, Schwaben, Bayern und anderen werden oft Klischees zugesprochen, die dann als Ausgangspunkt von Gesprächen herhalten können und schließlich durch die jeweilige Person bestätigt oder widerlegt werden.

Philosophisch gesprochen handelt es sich hierbei um einen hermeneutischen Prozess, also um ein Verstehen, das von einem bewusst unscharfen Vorverständnis ausgeht und sich auf Vertiefungen und Differenzierungen freut. Problematisch ist die Behauptung einer völkischen Identität, etwa eines Wesens des Deutschen, insbesondere dann, wenn es mit Abwertungen gegenüber anderen Nationen und deren Vertretern verbunden wird. Die Vorstellung eines unveränderlichen und ein­deutigen Nationalcharakters, der in allen Bür­gern am Werke sei, ignoriert die Geschicht­lichkeit und Vielgestaltigkeit politischer Ge­meinschaften. Nationen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern sind eine histo­rische Folge kriegerischer Konflikte oder politischer Gründungsakte, denen stets etwas Zufälliges innewohnt.

Dabei kann es sein, dass kulturelle Gemein­samkeiten, religiöse Überzeugungen oder eine geteilte Sprache ein Bindeglied bilden, muss es aber nicht. Wer also eine völkische Iden­tität behauptet, homogenisiert das Vielge­staltige und Unähnliche. Ich möchte dies den Terror der Identität nennen, die Gleich­macherei durch Zerstörung oder Aussonde­rung des Abweichenden. Verbrecherisch am deutschen Nationalsozialismus ist insofern weniger die Bezugnahme auf das Volk als einer Gemeinschaft als vielmehr die ideo­logische Aufladung dieser vorpolitischen Sphäre mit Konzepten von Nationalcharakter und Rassenlehre im Sinne eines Terrors der Identität.

Während das Grundgesetz der Bundes­republik das Volk als Souverän und Subjekt postuliert: ›Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.‹, sah es bei den Nationalsozialisten genau umgekehrt aus: Das Volk ist Objekt, Projekt und Produkt gewalttätiger Formungen durch eine Machtclique in einem autoritären Staats­apparat: Holocaust, Eugenik, Euthanasie, Vertreibung, Verfemung, Zensur, Bücherver­brennungen, Propaganda, Gleichschaltung von Wissenschaft, Medien und Kultur, waren biopolitische und sozialtechnologische Instru­mente zur Herstellung von Homogenität durch Tilgung von Vielheit.

Dabei lag die Definitionshoheit dessen, was diese Identität ausmachte, gerade nicht beim Volk, sondern in den Händen der Ideologen. Identität, im Sinne von Einheitlichkeit, wurde nicht in der bestehenden politischen Gemein­schaft aufgesucht, sondern gnadenlos inter­essengeleitet konstruiert. Damit ist ein wei­teres Problem verbunden: Die Erschleichung einer Legitimation durch die Behauptung, ein Sprachrohr des Volkswillens zu sein.

Populisten erheben sich mit markigen Wor­ten zu Anwälten der Ausgegrenzten und spre­chen dann als Auguren vermeintlich ›im Namen des Volkes‹. Anders aber als ein Rich­ter tun sie dies nicht aus einer demokratisch kontrollierten und legitimierten Amtsrolle heraus, sondern in einer übergriffigen Verein­nahmung, welche gar nicht mehr an einem vielstimmigen demokratischen Aushand­lungsprozess interessiert ist.

Gegen Kritik immunisiert man sich dann dadurch, dass man demokratischen Gegen­rednern unterstellt, sie seien ›Volksverräter‹. Damit aber erweist sich das völkische Kon­zept als gewaltsam homogenisierte Identität, als ein Machtmittel der Wenigen gegen die Vielen.

Identitätspolitik und der Terror der Differenz


Eine andere Strategie zur Brechung der Macht der Vielen besteht im Terror der Differenz. Divide et impera! Teile – oder besser: spalte! – und herrsche! Da die Macht der Vielen aus ihrer Brüderlichkeit erwächst und zu einem einvernehmlichen Handeln führen kann, hät­ten die Machteliten dem wenig entgegenzu­setzen. Deshalb säen sie Zwietracht und schü­ren Konflikte zwischen den Unterworfenen, damit diese nicht zueinander finden, um gemeinsam ihre demokratischen Ansprüche durchzusetzen. Geheimdienste, Stiftungen und Think Tanks setzen systematisch auf die Kraft der Zersetzung.

Im geostrategischen Interesse etwa werden regionale Konflikt zwischen ethnischen und religiösen Gruppen forciert, um in wider­spenstigen Staaten einen ›Regime Change‹ herbeizuführen, damit der Zugriff auf Rohstoffe und die Errichtung von Militär­basen möglich wird. Die militärischen Ein­griffe lassen sich der heimischen Öffent­lichkeit sogar moralisierend als ›humanitäre Kriege‹ verkaufen. Nicht selten hinterlassen solche Interventionen dann statt der ver­sprochenen Demokratien ›failed states‹, ge­scheiterte Staaten, in denen trotz etablierter Institutionen kein Gemeinwesen zustande kommt, das diese Strukturen trägt und mit Sinn erfüllen kann.

Als Variante des Soft-Terrors erscheint die Fragmentierung von Gesellschaften in identitätspolitisch bewirtschaftete Gruppen. Dies ist insofern perfide, weil sich der spaltende Machtwille hinter Wissenschaft­lichkeit und Moralismus verbergen kann, und damit das Gerechtigkeitsbedürfnis der Men­schen ebenso ausbeutet, wie die völkische Ideologie den Gemeinschaftssinn.

Unter den strategischen Vokabeln von „Vielfalt“, „Heterogenität“ oder „Diversity“ wird im sozial-kulturellen Bereich das Trennende und die Trennung kultiviert. Den meist wohlmeinenden Akteuren wird damit ein sezierender Blick eingepflanzt und ein Sprachkorsett auferlegt, dem sie sich einer­seits unterwerfen müssen, das ihnen ande­rerseits aber die Möglichkeit gibt, selbst andere zu unterwerfen.

Der programmatische Hintergrund dieser Machtpraxis wurde insbesondere von franzö­sischen Modephilosophen des Poststruktura­lismus geliefert. Im Namen von „Diskurs­theorie“ und „Dekonstruktion“ wurde von diesen nicht nur die Philosophiegeschichte abgearbeitet (und gewissermaßen entsorgt), sondern auch jegliche Voraussetzungen für linke Widerstandspolitik und einen humani­stischen Gegenentwurf zum Bestehenden zerlegt. Modelle von Wahrheit, Aufklärung, Gerechtigkeit, Vernunft, Emanzipation, Kri­tik, Ethik, Menschenrechte und sogar die Fähigkeit des Menschen als Person oder Gemeinschaft Urheber von politischen Verän­derungen sein zu können, werden radikal bestritten. Für Michel Foucault etwa sind dies keine unumstößlichen Konzepte, sondern bloß zufälliger Ausdruck von anonymen Machtdiskursen, die den Menschen steuerten, ohne vom Menschen gesteuert zu sein.

So hilfreich diese Analysen sein mögen, um die verborgenen Interessen hinter wohl­klingenden Begriffsfassaden auszumachen, so vernichtend sind die Kernthesen: Es gibt keine Wahrheit. Es gibt keine Vernunft. Es gibt kein Subjekt. Es gibt keinen Menschen. Es gibt keine Aufklärung. Es gibt keine Dialektik. Es gibt keine Geschichte, die wir zum Guten wenden können. Wir alle sind bloß Marionetten, die von der unsichtbaren Hand des Diskurses gespielt werden.

So abstrus diese Thesen für Außenstehende klingen mögen, für die Wissenschaftlerge­neration, die momentan die geistes- und sozialwissenschaftlichen Lehrstühle besetzt, haben sie – trotz der Behauptung, es gäbe keine Wahrheit – unumstößliche Geltung. Inwieweit die breite und tiefe Wirkung dieser Programme auch eine Folge von interessierter Wissenschaftspropaganda durch Geheim­dienste und Konzerne ist, wäre eigens zu un­tersuchen. In Summe jedenfalls ist damit der Boden für den Siegeszug des Neoliberalismus bereitet worden. Bernd Stegemann bringt es im ›Gespenst des Populismus‹ auf den Punkt:

„Die Linken sitzen offensichtlich in einem Kerker, den das postmoderne Denken für sie gebaut hat. Ob die Dekonstruktion linken Den­kens in der Realität tatsächlich so planvoll ablief, wie der französische Soziologe Didier Eribon in seinem Buch „D’une révolution conservatrice“ beschrieben hat oder nicht, seine Zuspitzung bringt die Dimension des Problems auf den Punkt: ‘In den Achtzigern haben linke Neo­konservative mit Investorengeld Konferenzen organisiert, Seminare gegeben und mediale Debatten angezettelt mit dem Ziel, die Grenze zwischen rechts und links zu verwischen. Das war eine konzertierte Kampagne. Sie wollten all das abschaffen, worauf sich linkes Denken gründet: den Begriff der Klasse, die soziale Deter­mination, die Ausbeutung der Arbeitskraft etc. Heute sehen wir, dass sie zum größten Teil erfolgreich waren.‘“

Genderismus


Exemplarisch soll im Folgenden der Soft-Terror der Differenz am Beispiel des Gender-Programms verdeutlicht werden. Ausgangs­punkt ist eine durchaus zutreffende Fest­stellung, jene nämlich, dass Geschlecht im sozialen Raum nicht allein durch biologische Befunde erklärt werden kann. So gibt es gesellschaftlich formulierte und historisch wandelbare Geschlechterrollen, die – wenn auch nicht ausschließlich – Ausdruck von Macht sein können.

Im Sinne des oben dargelegten Terrors der Identität können sie auf den Einzelnen re­pressiv wirken. Der Prä-Gender-Feminismus formulierte daraus ein Emanzipationspro­gramm, das soziale Zuschreibungen und Vor­schriften zurückwies und den Frauen damit die Deutungs- und Gestaltungshoheit über ihre Weiblichkeit zurückgab.

Der Genderismus aber radikalisiert diesen Ansatz im Dunstkreis der Postmoderne, indem das Geschlecht komplett als Produkt gesellschaftlicher Konstruktionen betrachtet wird. Damit verlässt er den Bereich der Theo­rie, also der Erkenntnis, dessen was der Fall ist, und wird zu einem gesellschaftspolitischen Programm, das etwa die Erkenntnisse der Biologie und anderer Wissenschaften ins­gesamt für ungültig erklärt, wenn es um Geschlechterfragen geht. Dabei wäre eine Integration der Ansätze, also die Realität und Sozialität des Geschlechtes, relativ schnell zu leisten, wenn man von gesellschaftlichen In­terpretation anhand natürlicher Grundlagen spräche. Diese Leugnung einer geschlecht­lichen Existenz, die man zwar deuten, aber nicht selbst erschaffen kann, hat weitrei­chende Konsequenzen.

Wenn Geschlecht keinen Anhaltspunkt mehr im Sein der Menschen hat, sondern nur gesellschaftlich produziert wird, kann es be­liebig ausgestaltet und pluralisiert werden. Die einschlägigen Geschlechter des Gender­ismus gehen in die Tausende und sind letztlich nur begrenzt durch die Anzahl der Menschen auf der Erde.

Die Überführung der Geschlechtlichkeit in die virtuelle Welt sozialer Zeichen führt zu einer Entfremdung von der leiblichen Realität des eigenen Geschlechts, das ja nicht nur bio­logischer Befund ist, sondern auch eine Weise, wie wir dem anderen und uns selbst begegnen.

Die biologische Dualität von Mann und Frau, die selbst im Tierreich Zwischenformen und homosexuelle Beziehungen kennt, trägt anthropologisch gewendet immer eine Be­ziehungsqualität in sich. Als einzelne Person bin ich geschlechtlich auf den erotischen Anderen und die generationale Gemeinschaft verwiesen. Die ›Brüderlichkeit‹ der Aufklä­rung spielt metaphorisch mit der Verwandt­schaft der Menschen einer Generation, die ihre Existenz allesamt nicht einer sozialen Konstruktion, sondern dem realen Ge­schlechtsverkehr ihrer Eltern verdanken. Durch den Genderismus werden im Namen einer vermeintlichen Freiheit die sozialen Bindungen zerschlagen und wird den Men­schen der Rückhalt gegen den Zugriff von Macht und Ausbeutung entzogen.

Erneut Stegemann:

„Auch die Linken fallen noch immer auf den Zirkelschluss der postmodernen Freiheit herein: Das Kapital arbeitet an der Verflüssigung aller Verhältnisse, um möglichst ungehinderten Zu­gang zu Märkten und Ressourcen zu haben, und zugleich entsteht die Globalisierung als ein Pro­jekt des grenzenlosen Kapitals. Nun kommt eine Theorie aus den Geisteswissenschaften dazu und beschreibt die Globalisierung nicht als ökonomi­sches Projekt, sondern als willkommene Dekon­struktion aller Bindungen – wie Identität, Na­tion, Geschlecht oder Ethnie – und verleiht damit der Deregulierung des Kapitals die höhe­ren Weihen einer globalen Freiheitsbewegung.“

Zum einen wird das stärkende Moment einer menschheitlichen Verwandtschaft ge­tilgt, zum anderen werden im Gegenzug un­zählige Mikrokonflikte als Ersatzschauplätze zur Erringung von „Gerechtigkeit“ ge­schaffen. Welche politische Bedeutung hat zum Beispiel die folgende Meldung: Lesbi­sche Frauen verdienen nach einer austra­lischen Studie um 13 Prozent mehr als heterosexuelle Frauen?[2]

Statt die Prozentzahlen des Einkommens der Gendertypen zu registrieren, zu ver­gleichen und ggf. zu korrigieren, stünde doch eigentlich die Frage auf der Tagesordnung, welche verheerenden Folgen der Neo­liberalismus global und lokal anrichtet, und wie ungerecht sich Macht und Wohlstand auf einen geringen Prozentsatz der Weltbe­völkerung konzentrieren.

Je stärker die wenigen Mächtigen die Vielen aber in Mikrokonflikte verstricken und gegeneinander ausspielen, durch Sprach­politik in der Artikulation steuern und in jeder nur denkbaren Hinsicht „Unterschiede“ zwischen den Unterworfenen hervorbringen, umso mehr verschwindet das Solidaritäts- und Gerechtigkeitsmotiv des Gemeinsamen.

Der Genderismus bewirkt eine nachhaltige Irritation der politischen Gemeinschaft in Denken, Handeln und Sprechen. Die be­ziehungsstiftende und stärkende Kraft der geschlechtlichen Existenz wird durch Verun­sicherung und Misstrauen vergiftet, die Bindung an Gemeinsames aufgelöst und die Menschen werden zu orientierungslosen Genderpartikeln isolisiert.
Fazit


Welche Folgerungen sind aus diesen Abwägungen zu ziehen? Es ist deutlich, dass an beiden Seiten der Achse von Identität und Differenz politische Gefährdungen lauern. Das demokratische Gemeinwesen und seine Bürger leben von der produktiven Dialektik zwischen Gemeinschaft und Individuum, von Identität und Differenz. Der Frankfurter Politikwissenschaftler Andreas Nölke hat seiner Analyse ›Grundlinien einer linkspopu­lären Position‹ eine ›Repräsentationslücke‹ im deutschen Parteiensystem ausgemacht und sieht die ›Notwendigkeit einer linkspopulären Gruppierung‹. Der mehrfach zitierte Bernd Stegemann möchte diesen blinden Fleck der Linken durch eine Wiedergewinnung des Klassenkonzeptes füllen.

In welcher Form auch immer: Es sollte dringend nach einer vertretbaren Form des altbekannten Brüderlichkeitsmotivs als Horizont und Bedingung von Gerechtigkeit gesucht werden, damit weder der Terror der Identität noch derjenige der Differenz die Herrschaft der Wenigen über die Vielen zementiert.

Wir brauchen keinen Kampf der tausend Partikularinteressen gegeneinander. Wir brau­chen eine Auseinandersetzung um das Oben und Unten in der Gesellschaft, um Arm und Reich und die Herrschaft der Wenigen über die Vielen, die dringend auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt gehört.

Dr. Matthias Burchardt, Köln, ist Philosoph und Publizist

Quellen

[1] https://www.sahra-wagenknecht.de/de/article/2432.streitgespräch-zwischen-sahra-wagenknecht-und-frauke-petry.html

[2] https://www.smh.com.au/business/the-economy/the-gay-pay-gap-men-earn-less-but-women-earn-more-20150227-13qmxk.html

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 Matthias Burchardt: Angriffe auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt (Auszug aus FREIDENKER 4-21, ca. 308 KB


Donnerstag, 23. Dezember 2021

DER PAKT... Buchtipp von Elke Bauer

 

Der Mensch im Teufelskreis - Die Auferstehung des Dr. Faustus“ - Autor: Harry Popow



DER PAKT MIT

DEN KONZERNEN


Buchtipp von Elke Bauer


Abstand halten!“ Hört man allerorts. Ein Schrei voller Unterwürfigkeit. Das angstmachende Gesäusel in den Medien, Kriegsgeschrei gegen Russland, Drohungen gegen Ungeimpfte, gegen Linke, dazu die Phrasendrescherei der Politiker...“Mehr Zukunft wagen“. Und wer mit Worten Fragen stellt, Zweifel äußert, der sogar friedlichen Widerstand leistet sei ein Antidemokrat. Oder sogar ein Volksfeind...


Der Ausweg? Abstand halten zum Pakt mit den Konzernen, den eigentlichen Verursachern und Gewinnern der Krise. Das wäre dringend geboten. Ich las zwei von zahlreichen im Netz gelesenen kritischen Beiträgen, die jenen Michels, die noch im Dunkeln umherirren, ein Licht aufsetzen könnten. Der erste stammt von Egon Krenz, veröffentlicht im Dezemberheft der Zeitschrift „RotFuchs“, der zweite ist eine Buchankündigung mit dem Titel „Der Mensch im Teufelskreis“. Also zweimal Gegenwehr gegen Volksverdummung. Vom Letzteren soll hier die Rede sein.


Es umfasst 384 Seiten und überzeugt - das sei vorangestellt - durch seine Tiefgründigkeit und polemische Auseinandersetzung mit geschichtlichen und gegenwärtigen gesellschaftlichen Erscheinungen. Der Autor identifiziert sich aus alter Liebe zur klassischen Literatur mit Goethes Faust, mit seinem Wissensdrang, die Welt in ihren Zusammenhängen zu verstehen und zu verbessern. Er lässt ihn aus seiner Gruft auferstehen.


Das Buch vermeidet, trotz Herausarbeitung klassischer Ansichten der Geistesgeschichte, in Rückbesinnung zu versinken. Im Gegenteil. In der Gegenüberstellung der Gesellschaftsentwicklung vor zweihundert Jahren, gelingt es dem Autor, die heutigen Verhältnisse klar und kritisch herauszuarbeiten. Deshalb beginnen die Berichte im Buch mit den heutigen, die Menschen bewegenden Ereignissen. Bereits im ersten Kapitel "Friedhofslärm" stellt er die gespenstischen Vorgänge der stärker zunehmenden Beerdigungen dar. So würden die Friedhofsangestellten bald keinen Platz mehr für die zunehmende Anzahl von Coronatoten haben. Einige in der Menge der auf dem Friedhof arbeitenden Bestatter wollen vom "Grufti" Faust nichts hören und sehen. Andere sind sehr angetan von seiner Auferstehung, weil er gegen Mephisto, das Böse im Menschen und der Gesellschaft, angetreten ist und sie betonen, dass diese Haltung in der Gegenwart ganz besonders nötig sei. Es ist ein Aufschrei an die Heutigen, sich mit dem gegenwärtig Bösen auseinanderzusetzen.


Faust erklärt, er sei aufgewacht, die Erdenkinder vor Unheil zu schützen. Damit ist unter Zuhilfenahme einer klassisch positiven Menschheitsperson, dem Faust, der Grundtenor des Buches gekennzeichnet, mit ihm die negativen Zeiterscheinungen aufzuzeigen und mögliche Wege zu Überwindung. Um sein Anliegen noch stärker zu formulieren, bringt er den deutschen Dichter Andreas Gryphius ins Spiel, der mit seinem Sonett "Thränen des Vaterlandes" bedauernwerte Zustände des menschlichen Lebens beschreibt :



"Doch schweig ich noch von dem / was ärger als der Tod / was grimmer denn die Pest / und Glutt und Hungersnoth: Das auch der Seelen Schatz / so vielen abgezwungen."


Es ist meine Absicht als Rezensentin, die Aufklärung der bedauernswerten Zustände in der Gesellschaft durch den Autor zu verfolgen. Doch möchte ich jene Leser warnen, die seichtes Geplänkel auf dem Niveau der gegenwärtigen Parteienpolitik erwarten und als Lektüre bevorzugen. Das richtige Mass an das Buch zu legen heißt: Es bringt hohen geistigen Gewinn, denn nur so kann man die gesellschaftlichen Verhältnisse wahrhaft beleuchten.


Faust will gemeinsam mit gleichgesinnten Freunden Schritt für Schritt und tiefschürfend das gesellschaftliche Leben im 21. Jahrhundert mit seinen Kämpfen um die Macht, mit seinen geistigen Triebkräften erkunden. Es geht dabei weniger um Handlungsabläufe als vielmehr um vielfältige Schauplätze, die jeweils neue Gesichtspunkte, Denkanstöße für Streitbares und Korrekturen für bisherige und veraltete Einsichten bieten, wobei die Satire nicht zu kurz kommt. Es geht vor allem um die Philosophie und um die Ökonomie, um die Dialektik der Widersprüche, um die sich bereits das Denken von Goethe und fortschrittlichen deutschen Dichtern und Denkern gedreht hat. Faust und seine Gesinnungsfreunde stoßen auf Konflikte, lösbare und unlösbare. Im letzteren Fall auf eine bodenlose Ignoranz gegenüber den friedlichen Interessen des Volkes, das im Teufelskreis der Geldherrschaft nach wie vor gefangen ist und sein Dasein fristet.


Faust wird bei seinem Aufstieg in die Welt auf dem Friedhof sofort mit der Pandemie konfrontiert. Das entspricht ja auch dem Sinn dieses Buches: Mit den Augen eines Zeitgeistes vor 200 Jahren, die gegenwärtigen Verhältnisse zu untersuchen, den bürgerlichen Humanisten Faust auf die heutigen gesellschaftlichen Zustände blicken zu lassen. Sein Erschrecken ist sehr verständlich, denn er will als Humanist die Angelegenheiten der Menschen geregelt sehen und ist als erstes ob der ihm menschenverachtenden Zustände auf Friedhöfen (Verbringung der Toten in Plastesäcken, wie eine Bestatterin beklagte) und zugehörigen Verhältnissen entsetzt. Das betrifft die "staatlichen Zwangsmaßnahmen", die nötig sind. Solche hat schon 1871 Bismark zur Beherrschung der Pockenepidemie verordnen müssen und diese so ausgemerzt. Aber es muß darauf hingewiesen werden, dass das chaotische Umgehen mit den Verhältnissen eine Folge der kapitalistischen Gesundheitspolitik ist, die möglichst wenig Geld den Versicherungskonzernen und - kassen abverlangen will und mit katastrophalem Unvermögen gegen die gewinnorientierte Gesundheitsvorsorge im Land vorgeht. Das macht die staatlich Agierenden zu Kaspern der Gesundheitskonzerne, sowohl der Pharmazie als auch der stationären und ärztlichen Bemühungen. Somit sind die" Plastesäcke" ein Nichtbeherrschen der Pandemie durch die, die in der Gesellschaft das Sagen an sich gerissen haben.


Der "Buchnarr", er ist auch der Autor, stellt dem Faust am Ehrenmal im Treptower Park seine Freunde und Bekannten vor. Es sind vor allem die Nachkriegskinder, die den Aufbau in der DDR, die Liquidierung des Kapitalismus, des faschistischen Gedankengutes sowie mit Entsetzen die wachsende Aggressivität der BRD gegenüber der DDR miterlebten und in Form des Sinnbildes vom Bogenschützen die DDR auch zu verteidigen wußten. Dabei spielt auch die Mutter des Buchnarren eine Rolle, die in der Krypta als Wandgemälde verewigt wurde.


Auf der Straße. Faust wird zum Ersten mit einer sichtbaren Erscheinung der Zeit (Obdachlosigkeit) in Bekanntschaft gebracht und so stellt sich ihm die Frage: Warum gibt es Obdachlose? Warum speist man sie mit Almosen ab, statt ihnen Arbeit zu geben? Faust hält der Gesellschaft deutsche Geister vor, Kant, Hegel, Schiller,...die Humanität forderten und diese Humanität er auch heute noch vermisst. Der Buchnarr nimmt Faust mit zu den „Errungenschaften“ des Sozialstaates, z.B. der "Tafel der Armen", der intensiven Bekanntschaft mit Obdachlosen, die Kreation von 15 qm Holzhäusern für freies Wohnen - wo steht in solchen eigentlichen "Gartenhäuschen" die Badewanne, das WC, der Ofen und Herd - auf 15 qm?


Faust erlebt die Siegermentalität einiger Bundesbürger beim Gartenfest. Dabei lernt er die wirklichen Sorgen der Menschen in diesem Wohlstandsstaat BRD kennen. Wie sie sich zum Beispiel die User Alex, Hanna, Judith und Lotti mit dem Buchnarr Gedanken darüber machen, was schief läuft im Lande. Aber auch kluge Warner über die Schieflagen der Gesellschaft, wie Rainer Mausfeld und Daniela Dahn, Dr. Hartmut König und Dr. Wolfgang Bittner werden im Anhang zitiert und denen zur Kenntnis gebracht, die immer nur die regimetreuen Veröffentlichungen und Bücher lesen. Nachdenklich und auffordernd bringt die Figur des Buchnarren und seiner Frau Greta viele gesellschaftliche Erscheinungen aufs Tapet und wohl dem, der aus humaner Lebenshaltung, ebenso wie aus sehr progressiver/auch linker Auffassung heraus, am Nachdenken über die Zeit, an Zeitereignisse interessiert ist. Die Leser können sich auf sehr hohem Niveau mit dem Gedankengut bekannmachen und weiterdenken. Es ist jedem klugen Geist geraten und möglich, sich in diesem Buch mit deutscher geistiger und staatsmännischer Haltung und dem Wissen zu beschäftigen, um den eigenen Standpunkt zu ergänzen oder in Frage zu stellen.


Als nach Wahrheit Strebenden lässt es Faust keine Ruhe, in die Tiefe der gesellschaftlichen Zusammenhänge zu dringen. So lernt er mit Hilfe des Buchnarren und kluger und bewußter Männer und Frauen aus der einstigen DDR nicht nur das verlogene Menschenbild des Imperialismus, (siehe im Kapitel “Pfundsachen“) sondern auch im Verlies der „Festung“ den Ursprung der Machtgier in der Marktwirtschaft kennen.


Im Kapitel „Das Gespenst“ beschäftigen sich die Freunde des Dr. Faustus mit den für Faust noch unbekannten Philosophen Marx und Engels. Die literarische Gestalt Goethes erkennt, dass es seit der Pariser Kommune und mit dem „Kommunistischen Manifest“ bei den Völkern - trotz technischer und sozialer Fortschritte - angesichts des global würgenden Finanzkapitals keinen Klassenfrieden zwischen Oben und Unten geben kann.


Sowohl im „Auerbachs Keller“ als auch in der Berliner Gaststätte „Zur letzten Instanz“ stoßen die Freunde mit Faust auf geschichtliche und philosophische Zusammenhänge, auf die eigentlichen Ursachen von Ausbeutung und Kriegen. Auf dem Berliner Fernsehturm versuchen sie, ein wenig mehr Klarheit über die weitere Zukunft zu gewinnen, werden aber angesichts des Missbrauchs der Digitalisierung im Interesse der Machterhaltung des Teufelpacktes bitter enttäuscht.


Sehr gut ist die Darstellung der Warnung Goethes vor der Vereinnahmung des Menschen durch Geld und Gier, die die Menschen in tiefes Unglück stürzen. Der Autor lässt Faust aufstehen, um sich die Welt anzusehen (nicht nur anzugucken). Dass er nicht als Rächer, Aufklärer, Nörgler oder gar Besserwisser und Politiker oder gar als Rebell agieren will ist ein guter Einstieg. Verbunden mit dem Willen, Widersprüche zu erkennen und Lösungen zu suchen. Damit hat der Autor das Ziel seines Buches erreicht: Den strebenden, friedliebenden und liebenden Menschen in den Focus zu rücken. Er legitimiert sein Buch damit, dass Goethisches Bestreben im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts immer hochaktuell ist und in Kämpfen stets neu erstritten werden muß.


Faust muß sich am Ende des Buches fragen, ob sein Ausstieg aus der alten Gruft nunmehr zu einer größeren und digital von Konzernen gesteuerten führen kann? Erst tot und dann noch toter? Wer lässt sich das schon gefallen? Er wird weitermachen, sich nicht unterbuttern lassen. Weitere Gesinnungsfreunde suchen. Mit dafür sorgen, zum Pakt mit den Konzernen Abstand zu halten und gleichzeitig aufzuklären. Damit der Mensch aus dem jahrzehntelangen Teufelskreis entkommen kann. Nunmehr endgültig gewappnet mit gehörigen Lehren.


Harry Popow: "DER MENSCH IM TEUFELSKREIS", Sprache: Deutsch, ISBN: 9783754166666, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 384, Erscheinungsdatum: 18.09.2021

https://www.epubli.de/shop/buch/MENSCH-IM-TEUFELSKREIS-Harry-Popow-9783754166666/118378


Kurzvita der Rezensentin: Elke Bauer, geb. 1939, Abitur 1953, Bibliothekar an allgemeinbildenden Bibliotheken der DDR/ Fachschule für Bibliothekare Leipzig 1961, Diplomkulturwissenschaftler/Universität Leipzig 1970, Bibliothekar in ltd. Funktion bis 1991, Aufbau einer eigenen Buchhandlung, selbstständige Buchhändlerin 1991 bis 2001, Rentnerin.



Dienstag, 21. Dezember 2021

Ukraine - Aufmarschgebiet der NATO - LZ

 Entnommen: https://linkezeitung.de/2021/12/21/ukraine-als-aufmarschgebiet-der-nato-bereits-10-000-soldaten-der-westlichen-allianz-im-land/


Ukraine als Aufmarschgebiet der NATO: Bereits 10.000 Soldaten der westlichen Allianz im Land


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 21. DEZEMBER 2021


von https://de.rt.com

Betrachtet man die Zahlen der in der Ukraine stationierten NATO-Kräfte, kommt man zu dem Schluss, dass die Ukraine de facto schon lange ein NATO-Mitglied ist, welches enger mit dem Bündnis zusammenarbeitet, als manch andere NATO-Staaten in der Region.

Moskau wirft der NATO eine schleichende Vereinnahmung der Ukraine für antirussische Zwecke vor. Eine mögliche Mitgliedschaft des nach Russland zweitgrößten Staates in Osteuropa im transatlantischen Militärbündnis ist gegenwärtig womöglich der größte geopolitische Zankapfel weltweit. In den vergangenen Wochen erhöhten sich die diplomatischen Spannungen um diese Frage noch einmal deutlich.

Trotz russischer Einwände: NATO verspricht weitere Expansion
Der Kreml bezeichnet eine mögliche NATO-Mitgliedschaft des Nachbarlandes als inakzeptabel. Im Wesentlichen besteht die Ukraine aus Territorien, die über Jahrhunderte hinweg zu den Kerngebieten Russlands gehörten. Auf diese Tatsache machte der russische Präsident Wladimir Putin im Juni in einem Essay über die Geschichte der beiden Länder aufmerksam.

In einem begleitenden Fernsehinterview sagte er, dass eine Stationierung von Raketensystemen in der Ukraine eine existenzielle Bedrohung für Russland darstelle. Putin sprach von einer fortschreitenden „militärischen Erschließung“ der Ukraine durch die NATO.

Die Sprecherin des russischen Außenministeriums Maria Sacharowa gab während ihrer wöchentlichen Pressekonferenz am Mittwoch Aufschluss über die Anzahl der in der Ukraine befindlichen NATO-Soldaten. Im Land seien etwa 10.000 NATO-Soldaten stationiert, wobei 4.000 von den USA und 6.000 weitere von anderen Staaten der Allianz gestellt würden.

Sie betonte, dass für das Jahr 2022 neun gemeinsame Militärübungen der Ukraine mit NATO-Staaten geplant seien und wies darauf hin, dass die Anwesenheit ausländischer Streitkräfte in dem Land gegen die Minsker Vereinbarungen verstoße. Mit Friedensbemühungen hätten dies nicht zu tun, kritisierte die Diplomatin:

„Die Übungen haben eines gemeinsam – sie sind gegen Russland gerichtet.“

Russland und China versus USA mit NATO-Verbündeten: Vorbereitungen auf den Ernstfall laufen
Zum Vergleich: Mehr US-Soldaten östlich der Oder sind nur in Polen stationiert (5.000). In kaum einem anderen Land entlang der gesamten östlichen Flanke der NATO von Griechenland bis Estland befinden sich so viele ausländische Soldaten der Allianz wie im Nichtmitgliedsland Ukraine. Das Gleiche gilt für die Zahl der gemeinsamen Militärübungen und Einrichtungen. Verschiedenen Schätzungen zufolge, gibt es in der Ukraine zwischen zehn und 20 NATO-Einrichtungen, die laut einer Recherche als Trainingszentren getarnt sind. Auch die Zahl der tatsächlich in der Ukraine tätigen Soldaten aus verschiedenen NATO-Staaten könnte die von Sacharowa genannte übersteigen.

Russische Zeitung: Ukraine ist de facto NATO-Mitglied

„Bis zu 4.000 US-Soldaten und weitere 8.300 Soldaten aus anderen NATO-Ländern könnten sich heute auf ukrainischem Gebiet befinden“, schreibt etwa die russische Zeitung Komsomoskaja Prawda mit Verweis auf Insiderquellen in den ukrainischen Militärstrukturen.

Laut dem Autor der Recherche, dem Kriegskorrespondenten und Militäranalysten Alexander Kots, seien offizielle Waffenlieferungen der USA und Großbritanniens an Kiew nur die Spitze des Eisbergs. „Ihr unsichtbarer Teil sind Militärbasen, Sabotage und Cyber-Informationszentren sowie psychologische Angriffe“, die der Vorbereitung eines Kriegs gegen Russland dienen könnten.

Ukrainischer Verteidigungsminister fordert NATO zur Lieferung von Angriffswaffen auf
Allein auf dem Übungsplatz Yworiw im Westen der Ukraine seien 400 NATO-Angehörige stationiert. Wie am Fließband würden dort ukrainischen Streitkräften die Kriegsführung nach NATO-Standards beigebracht. Allein seit April hätten 13 Bataillone und acht Brigaden der ukrainischen Armee diese Militärausbildung durchlaufen, hieß es.

In dem beachtenswerten Artikel ist auch die Rede von geheimen Lieferungen tödlicher Angriffswaffen wie etwa Schiffsminen oder Scharfschützengewehren und dem Bau von NATO-Stützpunkten für die Marine der USA und Großbritanniens in südukrainischen Hafenstädten. NATO-Instrukteure seien unmittelbar an Vorbereitungen von Sabotageakten, Terrorangriffen und Entführungen auf der russischen Halbinsel Krim beteiligt. So sei im Jahr 2019 die Entführung von Wladimir Zemach, einem angeblichen Zeugen des Abschusses der malaischen Boeing MH17, und dessen Überführung nach Kiew die Examensarbeit ukrainischer Absolventen eines US-Sabotagekurses gewesen. Auch Militäraufklärer und geheimdienstliche Organe aus den NATO-Staaten seien tief in die Strukturen der ukrainischen Streitkräfte integriert. Der Autor schlussfolgert:

„Das heißt, wenn wir sagen, dass die Ukraine den Beitritt zur NATO anstrebt, müssen wir verstehen, dass sie de facto bereits Mitglied der NATO ist. Das heißt, sie ist bereits von ausländischen Kontingenten besetzt.“

Russland fordert Sicherheitsgarantien und NATO-Abzug aus der Ukraine

Am Freitag hatte das russische Außenministerium an die Adresse der USA und der NATO zwei russische Vertragsentwürfe veröffentlicht. In diesen Dokumenten fordert Moskau unter anderem den Verzicht auf eine weitere NATO-Osterweiterung und schlägt gegenseitige Sicherheitsgarantien vor. Explizit ist in dem Papier von der Ukraine und Georgien als den wahrscheinlichsten Kandidaten für den Beitritt zur NATO die Rede.

Verzicht auf Osterweiterung: Russland übermittelt Entwürfe für Sicherheitsverträge mit USA und NATO
Wie jüngste Analysen allerdings zeigen, genießt die Ukraine auch ohne NATO-Mitgliedschaft einen Sonderstatus im Netzwerk des Bündnisses. Nicht zuletzt dank der militärischen Zusammenarbeit auf direktem Wege mit NATO-Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden, Polen, Litauen und der Türkei. Dabei können diese Staaten zusammen mit den USA ihre Ziele im militärisch-politischen Bereich in der Ukraine auch ohne Beistandsverpflichtungen nach Paragraph fünf der NATO-Bestimmungen erreichen.

Das weiß Russland und fordert mehr als nur die Garantien für einen Nichtbeitritt der Ukraine. Russland schlägt eine Rückkehr zum Status quo des Jahres 1997 vor:

„Die Nichtverlegung von Streitkräften und Rüstungsgütern durch Russland und die NATO-Länder in das Hoheitsgebiet aller anderen europäischen Staaten, zusätzlich zu den Streitkräften, die sich am 27. Mai 1997 bereits in diesen Hoheitsgebieten befanden.“

Darüber hinaus sollen die NATO-Staaten in der Ukraine sowie in anderen osteuropäischen, transkaukasischen und zentralasiatischen Staaten auf alle militärischen Aktivitäten verzichten. Das würde im Grunde nichts anderes als einen kompletten Rückbau aller bisher fortgeschrittenen militärischen Verflechtung zwischen der NATO und der Ukraine bedeuten. Russland appelliert direkt an die USA:

„Die USA sollten keine Militärstützpunkte auf dem Territorium ehemaliger Sowjet- und Nicht-NATO-Staaten errichten, deren Infrastruktur nicht für militärische Aktivitäten nutzen und keine bilaterale militärische Zusammenarbeit mit ihnen entwickeln.“

Bisherige Reaktionen aus US- und NATO-Kreisen auf Russlands Forderungen deuten darauf hin, dass die Verhandlungen über die neue Sicherheitsarchitektur in Europa extrem schwierig sein werden – falls sie überhaupt je zustande kommen. Der Kommentar des litauischen Verteidigungsministers Arvydas Anušauskas bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner deutschen Amtskollegin Christine Lambrecht dürfte hierfür als Beispiel dienen.

„Wir nehmen Putin und sein Umfeld ins Visier“ – Verteidigungsministerin Lambrecht droht Russland
Anušauskas zufolge (Zitat dpa) dürfe Russland nicht erlaubt werden, „rote Linien zu ziehen“. Es sei auch nicht akzeptabel, dass die Führung in Moskau über Einflusszonen in Europa verhandeln oder einen Rückzug der NATO-Partner aus östlichen Mitgliedsstaaten des Bündnisses als Verhandlungsziel auf den Tisch legen könne. Er erklärte zudem, dass sein Land zu Waffenlieferungen an die Ukraine bereit sei.

Bislang haben die russischen Vize-Außenminister in ihren Kommentaren zum Vertragsentwurf bekräftigt, dass Russland fest entschlossen ist, die grundlegende Änderung der Sicherheitsarchitektur durchzusetzen. Im Notfall durch die Schaffung einer neuen Bedrohung für die NATO und die USA. In einem Interview sagte der stellvertretende russische Außenminister Aleksandr Gruschko:

„Entweder man nimmt das ernst, was wir auf den Tisch gelegt haben, oder man hat es mit einer militärisch-technischen Alternative zu tun.“

Er wies zudem darauf hin, dass Moskau seine Bereitschaft signalisiere, die Überführung des militärischen Szenarios in einen politischen Prozess zu diskutieren, der die militärische Sicherheit im OSZE-Raum, im euro-atlantischen Raum und in Eurasien stärken würde. Für den Fall, dass dies nicht gelänge, habe Moskau gegenüber der NATO bereits angedeutet, dass man in den Modus einer reziproken Bedrohung übergehen werde.

https://de.rt.com/europa/128523-ukraine-als-aufmarschplatz-nato-schon-10000-soldaten-der-westlichen-allianz-land/?fbclid=IwAR35JjiT8MHqpDrfjKbe61RssP795-wOjazSbNhgXwGKnDK7J2vwk__hiZ0


Freitag, 17. Dezember 2021

Rede von Egon Krenz - RotFuchs, Dezember 2021

 Entnommen: http://www.rotfuchs.net/files/rotfuchs-ausgaben-pdf/2021/RF-287-12-21.pdf


AKTUELLES AUS dem „RotFuchs“ Dezember 2021

In bester Erinnerung...
(Titel von H.P.)

Auszüge aus der Rede von Egon Krenz

anläßlich des 75. Jahrestages der Gründung der DDR-Grenztruppen am 6. November in Berlin (…)

Deutschland ist auch nach 30 Jahren zutiefst gespalten, nicht nur in Ost und West, vor allem sozial; die Gesellschaft ist von neuen Mauern durchzogen, Zukunftsängste nehmen zu. DDR-Werte wie Gemeinwohl, Gemeinsinn, Gerechtigkeit, Geborgenheit, soziale Sicherheit und Solidarität, die wir aus unserem ersten Leben sehr gut kennen, sind dieser Gesellschaft fremd. Standen sich bis 1990 die beiden feindlichen Weltsysteme Sozialismus und Kapitalismus gegenüber, so verläuft inzwischen die Trennlinie wieder mitten durch Deutschland und teilt die Menschen nach ihrem Eigentum ein, nämlich Lohnarbeit und Kapital, wie wohl Marx und Engels das nennen würden.
Was alles haben wir seit der Rückkehr des Kapitalismus in unser Land erleben müssen! Es ist gut, dies nicht zu vergessen und sich zu erinnern, wie die Bundesrepublik Deutschland ihre selbst proklamierten Regeln für einen Rechtsstaat brach, um die DDR zu einem beispiellosen Kriminalfall der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert herabzuwürdigen.
Jeder von uns hat da seine eigene Bilanz. Das ist auch gut so. So werden Geschichte und Geschichten an die Enkel und Urenkel weitergegeben und der Nachwelt wird hinterlassen, daß die DDR trotz vieler Fehlentwicklungen anders war als ihre Gegner sie heute schildern: Sie war politisch ehrlicher, sozial gerechter, moralisch sauberer, dem Gemeinwohl verpflichtet auf dem Wege in eine Gesellschaft, in der der Mensch nicht des Menschen Wolf war, in der er mehr galt als das Scheckbuch, weil die Großkapitalisten, ihre Banken und die Großgrundbesitzer entmachtet waren.
Daß die Linke diese antikapitalistische Basis der DDR nicht als Teil ihrer Geschichte verteidigt und darauf für die Zukunft aufbaut, ist für mich ein historischer Fehler. Ohne die DDR ist Deutschland weder gerechter noch friedlicher geworden. Das Besondere an der DDR ist, das ihr kein Geschwätz nehmen kann: Sie ist d e r deutsche Staat, der nie einen Krieg geführt hat. Sie hat für Kriegsgefallene keine Ehrenhaine schaffen und ihre Soldaten nicht kopflos aus Kriegsgebieten heimholen müssen.
Kein NVA-Soldat, kein Grenzer hat je zu Kampfeinsätzen fremden Boden betreten müssen. Und das, liebe Genossen, ist das Wichtigste Eures Lebens, das Entscheidende in der Geschichte der Grenztruppen: Ihr habt beigetragen, daß die DDR Synonym ist für 40 Friedensjahre in Europa. Darauf kann jeder von uns stolz sein. (…)
Wenn heutzutage Politiker und Medien, selbst die noch amtierende Bundeskanzlerin, gönnerhaft zugestehen, die Lebensleistungen der Ostdeutschen anerkennen zu wollen, dann klingt das angesichts des bisherigen Umgangs mit DDR-Biografien, nach Treuhand als Selbstbedienungsladen für Westkapital, nach De-Industrialisierung, nach Rückgabe vor Entschädigung, nach Schleifung Volkseigener Betriebe und Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften, nach krimineller Veruntreuung von Fördergeldern Ost im Westen, nach Arbeitslosigkeit und Rentenstrafrecht – dann klingt das mehr als heuchlerisch.
Der Bundespräsident hat kürzlich die Ostdeutschen zu mehr „Selbstbewußtsein“ aufgerufen. Eigentlich lobenswert, doch vergessen, die Wahrheit hinzuzufügen, daß die Regierenden der Bundesrepublik, ihre Medien und Institutionen seit über 30 Jahren damit beschäftigt sind, das Selbstbewußtsein von DDR-Bürgern zu brechen, ihre Erfahrungen und ihr Wissen als „Ballast“ zu denunzieren.
Als ich Anfang der 90er Jahre Gorbatschow traf, um ihn zu informieren, daß die bundesdeutsche Justiz fast 100 000 politische Ermittlungsverfahren gegen DDR-Bürger eingeleitet hatte, erzählte er mir von einem Gespräch mit Bundeskanzler Kohl. Der habe ihm gesagt, wirtschaftlich werde man die „deutsche Einheit“ schnell meistern, aber – Zitat – „Michail Sergejewitsch, wir sind da drüben im Osten einem fremden Volk begegnet. Die sind ganz anders als wir.“ (…)
Daß es Millionen selbstbewußte Bürger gab und noch gibt, die gern in der DDR lebten und sehr viele von ihnen hier auch ihr Vaterland sahen, die sich eingesetzt haben, daß das Leben lebenswerter wurde, das hatte im antikommunistischen Denken der altbundesdeutschen Elite keinen Platz. (…)
Das hat sich bis heute nicht geändert. Wenn es um die DDR geht, verfallen selbst sonst oft sachlich argumentierende Politiker in das Reich der Fantasie. Wolfgang Schäuble zum Beispiel meinte in einem Streitgespräch mit der Schriftstellerin Daniele Dahn allen Ernstes, mit der Einheit sei auch die Gesichtsfarbe der Menschen (aus der DDR) eine andere geworden. „Die war früher grau. Die Menschen gucken jetzt offener, die haben früher immer nur nach unten geschaut.“
Ein Kommentar zu solcher Albernheit ist überflüssig. Wie „stark“ aber beispielsweise das angeblich konkrete Wissen des zweiten Mannes im Staat über die DDR wirklich ist, verrät sein geradezu belustigendes Urteil: „In der DDR durfte man gar nicht studieren, wenn man nicht Mitglied der SED … war.“1 (…) 1 Vergleiche: Daniela Dahn, „der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute. Die Einheit – eine Abrechnung“, S. 52
Zu den größten Leistungen der DDR gehört aber, daß sie das jahrhundertealte Bildungsprivileg der Ausbeuterklassen gebrochen hatte. Den nicht in der DDR sozialisierten Politikern empfehle ich zur Weiterbildung den Roman von Hermann Kant „Die Aula“, der viel über den schwierigen Weg von Arbeitern und Bauern zu Akademikern aussagt.
1990 wurden die meisten von ihnen wieder in ihren alten Stand zurückgesetzt – von Akademikern zu Zwangsrentnern mit Rentenkürzung. Und das in der schöpferischsten Phase ihres Lebens. Was für eine Demütigung und zugleich Vergeudung geistigen Reichtums.
Solche Bosheiten von Politikern wie oben angeführt sind keine einmaligen Entgleisungen. Sie sind die Fortsetzung dessen, was 1990 als Wille der Obrigkeit formuliert worden war: Die DDR habe, so das Fehlurteil eines Westberliner regierungstreuen Professors, „fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt“.2
Altbundespräsident Gauck sprang dem Regierungsprofessor aus dem Westen bei: „Wir konnten nicht zulassen“, verkündete er, „daß die sozialistischen Globkes in ihren Ämtern und Positionen in Staat und Gesellschaft blieben.“
Dies war eine unglaubliche Gleichsetzung von Hunderttausenden entlassenen Lehrern, Wissenschaftlern, Juristen, Diplomaten, Militärs und Angestellten der DDR mit belasteten Nazis wie dem unter Konrad Adenauer als Staatssekretär in das Bundeskanzleramt geholten Mitautor des Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen, die den Mord der Nazis an Juden, Sinti und Roma legitimiert hatten.
Um noch einmal in Erinnerung zu rufen, mit welchen Mordgesellen die DDR-Verantwortlichen durch Herrn Gauck verglichen wurden: Globke war Oberregierungsrat im Reichsinnenministerium der Nazis. Er schrieb: „Die Juden müssen sich damit abfinden, daß ihr Einfluß auf die Gestaltung des deutschen Lebens ein für alle Mal vorbei ist.“
Globke wurde in der DDR zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Das war nicht Propaganda, wie das oft behauptet wird, sondern eine prinzipielle politische Auseinandersetzung mit der faschistischen Diktatur und ihren Aktivisten.
In diesem Zusammenhang sagen Zahlen viel darüber aus, mit welchem Personal man rücksichtsloser umgesprungen ist, mit Nazis oder mit Antifaschisten: 1933 wechselten die Nazis elf Prozent der Eliten der Weimarer 2 Professor A. Baring „Deutschland, was nun?“ RotFuchs / Dezember 2021 Seite 13 Republik aus. In Westdeutschland wurden 1945 dreizehn Prozent der Nazikader entfernt. Nach dem Anschluß der DDR an die Bundesrepublik schickte die neue bundesdeutsche Herrschaft 85 Prozent der DDREliten ins berufliche und damit oft auch ins soziale Aus.
Vergangenheit als SS-Angehöriger störte bei der Übernahme in bundesdeutsche Ämter nicht, IM gewesen zu sein dagegen wurde zum Kainsmal auf Lebenszeit.
Meines Wissens hat niemand aus der Bundesregierung je solchen Diskriminierungen widersprochen. Wie auch dem Slogan nicht „Leben wie bei Kohl und arbeiten wie bei Honecker“, was uns DDR-Bürgern quasi zu Schmarotzern erklärte oder dem Urteil, Ursache für rechtes Gedankengut im Osten sei das „Zwangstopfen“ in den Kinderkrippen der DDR. Der westdeutsche General Schönbohm war sich als brandenburgischer Innenminister sicher, daß der fürchterliche Babymord in Finkenheerd unbedingt eine „Folge der Proletarisierung in der DDR“ gewesen ist. Nicht vergessen auch die wiederbelebte Kampagne gegen die Roten Socken, in deren Folge nicht wenige DDR-Bürger durch Selbstmord aus dem Leben geschieden sind. Bis in die Gegenwart hinein wird keine Statistik darüber veröffentlicht, wer aus Verunglimpfung, Verurteilung oder finanzieller Not im Zusammenhang mit der „deutschen Einheit“ aus dem Leben ging. (…)
Wie man sich auch dreht und wendet, die Diskriminierung von DDR-Bürgern war staatlich gewollt, von der „Aufarbeitungsindustrie“ erfunden, von der Regierung angeordnet und – wo notwendig – von den Gerichten ausgeführt.
Ich frage mich manchmal schon, warum das alles?
Es geht ja nicht um die Aufbereitung historischer Fehler. Daran würde ich mich ja gern beteiligen. Schon, damit es kommende Generationen besser machen als wir. Nein, es geht nicht einmal nur um Revanche dafür, die Macht des Kapitals für einige Jahrzehnte eingeschränkt zu haben. Es geht um Prävention, daß die Erinnerung an die tatsächliche DDR als Impuls für kommende Kämpfe wirken könnte.
Ein Streit um die Geschichte ist immer auch ein Streit um die Gegenwart. Die Umdeutung der Geschichte ist inzwischen auch mit einer Neuverteilung geschichtlicher Schuld verbunden. In den Ersten Weltkrieg sei man halt nur so reingerutscht, ganz ohne imperiale Interessen. Für den Zweiten Weltkrieg gibt es gleich zwei Verantwortliche: Stalin und Hitler, womit deutsche Schuld relativiert wird. Die Schuld für die Spaltung Deutschlands wird allein der DDR angedichtet. Was für ein Geschichtsrevisionismus!
Zu den absurdesten Vorwürfen gehört, DDRBürger hätten 40 Jahre auf der „falschen Seite der Geschichte gestanden“. Der Mann, aus dessen Mund das stammt, ist noch immer vom Siegesrausch seines Gleichen benebelt. Wer, bitte schön, bestimmt, wo die richtige Seite der Geschichte war? Etwa der mit dem zweifelhaften Titel „Ostbeauftragter“, ein Parteifreund des früheren rechtslastigen Präsidenten des Verfassungsschutzes? Nein, schauen wir auf die über 200jährige Geschichte nach der Französischen Revolution und der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution und ihre Auswirkungen, dann stellen wir einen Kampf von Revolution und Konterrevolution fest. Genau das erleben wir auch jetzt. Wie dieser Kampf ausgeht, wird die Zukunft erweisen.
Unzählige Ereignisse in der Welt und in Deutschland haben die DDR-Bürger immer zur Parteinahme herausgefordert: die nie heilenden Wunden von Hiroshima und Nagasaki, die Todesschüsse auf Patrice Lumumba, Martin Luther King, Salvador Allende, Mandela in rassistischem Gewahrsam auf Robben Island, US-Invasionen von Vietnam über Kuba bis Grenada, Befreiungskriege in Angola, Mozambique und weiteren Staaten in Asien und Afrika.
Und die Bundesrepublik Deutschland? Immer – offen oder verdeckt – an der Seite der Invasoren, der Apartheid in Südafrika und der Diktatoren in Griechenland, Portugal, Spanien und Chile. Bis heute werden deutsche Waffen an Diktaturen geliefert.
Wie verwirrt muß jemand sein, der vor diesem geschichtlichen und aktuellen Hintergrund DDR-Bürger auf „diktatursozialisiert“ reduziert, die auch „nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen“ seien. Abgesehen davon, daß es ja für die DDR spricht, wenn sich so viele ihrer erinnern. Der Herr vergißt vor das Hauptwort „Demokratie“ die Adjektive „westdeutsche“ oder „bürgerliche“ zu setzen. Auf die Idee, daß diese Demokratie weit weg ist von dem, was Volksherrschaft wirklich bedeutet, kommen diese Leute nicht. Wenn man unsere Sozialisation schon mit einem Wort ausdrückt, dann sind wir vor allem „humanismussozialisiert“.
Wir verstanden uns als Arbeiter-und-Bauern-Staat, wenn man so will, als eine Diktatur der Mehrheit über die Minderheit. Diktatur hin und her, entscheidend ist doch die Rolle, die die Menschen in einem Staat spielen. Kein Realist wird bestreiten können, daß wir bei allem Unvollkommenen da besser waren als die Bundesrepublik heute ist. Es kann nicht gelingen, den Leistungen der Ostdeutschen mehr Respekt zu zollen, wenn gleichzeitig der Staat, auf dessen Boden diese erst ermöglicht wurden, als Unrechtsstaat herabgewürdigt wird. Wie lächerlich ist doch die Behauptung, DDR-Bürger hätten ihre Leistungen „trotz SED-Regimes“ vollbracht.
Den Regierenden ist offensichtlich bis in unsere Tage hinein entgangen: DDR-Bürger hatten nicht nur die Trümmer des Zweiten Weltkrieges beseitigt, Städte und Dörfer wieder bewohnbar gemacht, wertvolle kulturhistorische Bauten wiedererrichtet, sondern auch zahlreiche neue Betriebe, Straßen, Stadtteile und Städte mit modernen Wohnungen, Schulen, Kinderkrippen und Kindergärten, Ambulatorien, Krankenhäusern, Sport- und Kulturstätten geschaffen. Nicht zu vergessen, daß jene historischen Gebäude, in denen sich die heute Regierenden selbst feiern, von der DDR wiederaufgebaut wurden: das Schauspielhaus Berlin, die Semperoper Dresden, das Gewandhaus Leipzig und vieles mehr. Es gab 1945 nichts, aber auch gar nichts, was die SED hätte runterwirtschaften können, wie ihre Gegner behaupten. Mit Schmerz haben wir dagegen erleben müssen, daß der moderne „Palast der Republik“, mit dem Fleiß des Volkes aufgebaut, dem reaktionärsten Traditionsbewußtsein der Konservativen weichen mußte. Zurecht empfinden viele das als ein kulturpolitisches Verbrechen.
Wenn die DDR so großartig war, höre ich oft, warum gibt es sie dann nicht mehr? In der Regel erwartet man von mir die Antwort sogar in einem Satz. Diesen einen Satz kenne auch ich nicht.
Die Antworten fielen dann auch in den zurückliegenden Jahren sehr unterschiedlich aus. Für die einen war Honecker der Bösewicht, der vom Altersstarrsinn befallen sein sollte, für andere hatte Krenz, also ich, zu spät gehandelt und dann alles in den Sand gesetzt; Modrow hätte es besser gekonnt. Für einen ganzen Parteitag, der das Kind mit dem Bade ausschüttete, wiederum war der Stalinismus schuld, jener Gummibegriff, der als Totschlagsargument für alles und nichts benutzt werden kann. Andere fanden heraus, die DDR hätte 1985 einfach nur Gorbatschow und seiner Perestroika folgen müssen, dann wäre alles gut gegangen, obwohl inzwischen erwiesen ist, daß diese Politik letztlich zur Zerschlagung der Sowjetunion geführt hat. Es gab auch Leute, die einen anderen Sozialismus als den in der DDR wollten, ohne zu wissen, wie der denn hätte aussehen sollen, ohne Marx und ohne Lenin. Mehr Demokratie hätte die DDR retten können, meinen wiederum andere. Viele finden persönliche Gründe heraus: herzloses Handeln von DDR-Verantwortlichen, fehlende Reisefreiheit, mangelndes Vertrauen, Amtsmißbrauch und Korruption. Inzwischen ist Gorbatschow der „Verräter“, der für alles verantwortlich ist. Darin liegt viel Wahrheit, vor allem die Entsendung seines Beauftragten Portugalow hinter dem Rücken der DDR am 21. November 1989 zu Gesprächen nach Bonn war die entscheidende Operation zur Preisgabe der DDR.
Verrat hat nur einen „Schönheitsfehler“. Es sagt nichts darüber aus, warum wir uns haben verraten lassen.
Bei jedem der oben genannten Gründe gibt es sicher ein Körnchen Wahrheit, das zum Gesamtbild beiträgt, bei dem einen weniger, bei dem anderen mehr. Für Gregor Gysi jedoch ist die Sache einfach: Die DDR sei an sich selbst gescheitert und das zurecht, meint er. Sie sei uneffektiv, undemokratisch und unökologisch gewesen. Basta! Das ist für mich eine unzulässige Vereinfachung. Ich verkenne nicht, daß ein Großteil subjektive Schuld auch bei der Partei- und Staatsführung lag, der ich angehörte und sie zum Schluß selbst leitete. Je schwieriger die Situation wurde, um so weniger haben wir die Realitäten des Lebens wahrgenommen. Die gesellschaftliche Realität wurde vom Politbüro geschönt und dieses schöne Bild als die gültige Realität ausgegeben. Das Vertrauensverhältnis zwischen Partei und Volk wurde so über einen langen Zeitraum zusehends zersetzt. Vor allem haben wir versäumt, die Veränderungen in der Welt Seite 14 RotFuchs / Dezember 2021 aus marxistischer Sicht zu analysieren und daraus Schlußfolgerungen zu ziehen und diese mit der Bevölkerung offen und ehrlich zu diskutieren. Die DDR-Bevölkerung war doch politisch hochgebildet und interessiert. Dieses Potential haben wir leider in den 80er Jahren ungenutzt gelassen. Als uns im Sommer 1989 so viele Bürger verließen, waren Politbüro und Regierung sprachlos und hatten nur die unsinnige Aufforderung parat, den Flüchtigen „keine Träne nachzuweinen“.
Trotz allem scheint mir, die Antwort auf einen komplexen historischen Vorgang, auf den Untergang einer geschichtlichen Epoche, kann auch nur komplex sein. Die DDR ist als Teil eines Ganzen, als ein Land des europäischen Sozialismus, von der politischen Landkarte getilgt worden. Sie ist an objektiven historischen Umständen zerbrochen, vor allem daran, daß von Moskau bis Berlin die viel beschworene Einheit von sozialistischer und wissenschaftlich-technische Revolution nicht wirklich in Angriff genommen wurde. Dafür aber das Wettrüsten, das Unsummen verschlang. Die UdSSR lief in die von den USA aufgestellte strategische Falle des Wettrüstens.
Man darf nicht alles auf den imperialistischen Gegner schieben. Aber daß der von Anfang an und mit allen möglichen und unmöglichen Mitteln versucht hat, die DDR zu beseitigen, darf man nicht kleinreden. Die DDR war ihm von Anfang an ein Dorn im Auge. Er unterschob uns schon Verbrechen, als wir noch gar nicht existierten. Als 1948 das Grundgesetz der Bundesrepublik ausgearbeitet wurde, hat Carlo Schmid (SPD) formuliert: Man wolle „treuhänderisch“ für das gesamte deutsche Volk ... ein Rumpfdeutschland, das den Anspruch erhebt, Gesamtdeutschland zu repräsentieren. Eine Folge wäre, daß man die Bevölkerungsteile Mittel- und Ostdeutschlands als Irredenta (beanspruchtes Gebiet im Ausland – d. Red.) anzusehen hätte, deren Heimholung mit allen Mitteln zu betreiben wäre. Wer sich diesem Anspruch einer westdeutschen Regierung nicht unterwerfe, hieß es weiter, wäre „als Hochverräter zu behandeln und zu verfolgen“.3
Kohl und seine Leute griffen in diesem Sinne zu, als das Hauptland des Sozialismus, die UdSSR, schon auf dem Sterbebett lag. Die Sowjetunion und mit ihr wir hatten den Kalten Krieg verloren. (…)
Vor zwei Jahren hat der Bundespräsident in seinem Amtssitz eine Gesprächsreihe „Geteilte Geschichte“ eröffnet, was wohl so viel heißen sollte, die Geschichte beider deutscher Staaten und ihrer Menschen zu erzählen. Eigentlich eine gute Idee. Aber
3 Verfassungskonvent vom Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948. Protokolle der Sitzungen der Unterausschüsse, Unterausschuß I: Grundsatzfragen, Bundesarchiv
(Koblenz), Z. 12, Nr. 26, S. 4/5. Zit. nach R. Badstübner: Friedenssicherung und deutsche Frage. Vom Untergang des Reiches bis zur deutschen Zweistaatlichkeit 1943 bis 1949, Berlin 1990, S. 379
„aufgearbeitet“ wird ja bisher leider nicht die Geschichte beider Staaten, sondern nur die der DDR. Und das ist noch geschönt ausgedrückt. Tatsächlich steht die DDR am Pranger, während die Bundesrepublik alles Gute und Schöne der deutschen Geschichte repräsentieren soll.
Der Eröffnungsvortrag des Bundespräsidenten setzt leider diese negative Tradition fort. Es wimmelt nur so von Verdächtigungen gegen die DDR ohne Bezug auf die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge. Vermißt habe ich beispielsweise Vorgänge, für die Stichworte stehen wie:
• Wer eigentlich ist verantwortlich für die Spaltung Deutschlands,
• wer für die nahtlose Wiederverwendung großer Teile des Personals der Hitlerdikatatur in der jungen Bundesrepublik,
• wer für die Remilitarisierung und den Aufbau der Bundeswehr mit Hilfe von Hitlergenerälen, • wer für den Beitritt der BRD zur NATO,
• wer für die Teilnahme an aktuellen Kriegen, vordergründig an dem längsten Krieg der neuesten deutschen Geschichte in Afghanistan?
Die Sünden der Bundesrepublik werden verschwiegen. In den 50/60 Jahren wurden linke und andere demokratische Kräfte vor Gericht gestellt und saßen dort Richtern und Staatsanwälten gegenüber, von denen sie bereits in der Nazizeit verfolgt worden waren. Ausgangspunkt waren die von der Adenauer Regierung verfaßten Blitzgesetze, auf deren Grundlage bei den Gerichten Sonderstrafkammern für politische Strafverfolgung eingerichtet wurden. Von 1950 bis 1968 wurden mehr als 500 000 politische Ermittlungsverfahren durchgeführt, die zu etwa 25 000 bis 30 000 Verurteilungen führten. Der Besitz von Büchern aus der DDR galt als kriminelles Vergehen ebenso wie die Inszenierung von Brecht-Stücken.
Höhepunkt der Kriminalisierung politischer Gegner war das Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands, der FDJ und weiterer demokratischer Organisationen. Das alles war verbunden mit Inhaftierungen, mit der Aberkennung bürgerlicher Rechte, mit dem Verlust von Arbeitsplätzen, schwerwiegenden sozialen Benachteiligungen, nicht zuletzt führen sie zu erheblichen Einbußen bei der Rente. Bis zum heutigen Tage ist keine Rehabilitierung der Opfer der bundesdeutschen Gesinnungsjustiz erfolgt.
Es gibt keinen Grund, alles Schlechte in der deutschen Nachkriegsgeschichte der DDR und alles Gute der Bundesrepublik anzuheften. Die beiden deutschen Staaten standen von Anfang an in einem Verhältnis von Aktion und Reaktion: Nicht die Gründung der DDR und ihre 40jährige Existenz sind Schanddaten der deutschen Geschichte, sondern die Versuche, die Lehren der deutschen Geschichte nicht zu ziehen und zu vergessen, daß Deutschlands Unglücksdatum der 30. Januar 1933 war. (…)
Kürzlich wurde eine neue „Beauftragte des Bundestages für die SED-Opfer“ gefunden, die als Einstand bekanntgab: In der DDR waren etwa 300 000 Bürger aus politischen Gründen inhaftiert.
O, wie grausig. Wo nur sollen so viele Gefängnisse gewesen sein, zumal diese vor allem für normale Gesetzesbrecher bestimmt waren. Am 20. Juni 1987 zum Beispiel befanden sich exakt 27 523 Erwachsene in Haft. 4% von ihnen hatten einen politischen Hintergrund. Amnestiert und aus der Haft entlassen wurden in dieser Zeit 24 621 Personen. Es blieben also rund 3000 Personen in den Gefängnissen übrig. Dies waren Naziund Kriegsverbrecher, Mörder, Gewalt- und Sittlichkeitsverbrecher.
1987 gab es in der DDR 46 Strafvollzugsanstalten und 36 Untersuchungshaftanstalten. Um nicht mißverstanden zu werden: Jeder zu Unrecht Verurteilte war einer zu viel. Und ich bedaure dies um so mehr, weil es keine Staatsdoktrin war, Unrecht zuzulassen. Aber auch hier sollte das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes gelten. Es gibt nämlich hunderttausende Opfer der politischen Justiz der alten Bundesrepublik, für die es keine Opferbeauftragten gibt.
Ich benutze das Kürzel „Stasi“ nicht. Nicht nur, weil es historisch korrekt „MfS“ (Ministerium für Staatssicherheit) heißen müßte, sondern weil inzwischen „STASI“ und „GESTAPO“ zu Wortpaaren gemacht wurden wie beispielsweise Faschismus und Sozialismus. Damit wurde es ein ideologischer Kampfbegriff, der keiner wirklichen Aufarbeitung der Geschichte dienen kann.
Ich wundere mich gelegentlich, wie leicht dennoch das Wortgebilde „STASI“ selbst gestandenen DDR-Funktionären über die Lippen geht, obwohl es zum Schimpf- und Hauptwort der Delegitimierung der DDR gemacht wurde. Das MfS war wie alle anderen Ministerien auch Verfassungsorgan und insofern weit entfernt von der Reduzierung auf den ideologischen Begriff „Geheimpolizei“. Bei allem, was auch kritisch zum MfS zu sagen ist, bleibt doch wahr, daß die DDR wie andere Staaten auch ein berechtigtes Sicherheitsbedürfnis hatte.
Die neuen Machthaber wissen nur allzu gut, warum sie alle Erkenntnisse des MfS zu den Machenschaften des BND und anderer westlicher Geheimdienste gegen die DDR bis heute unter Verschluß halten. (…)
Zurückliegende geschichtliche Ereignisse können zu Daten der aktuellen Politik werden und erklären, warum beispielweise Rußland angesichts der Ausbreitung der NATO berechtigt um die Sicherheit seiner Grenzen besorgt ist. Ein solches Datum ist der 22. Juni 1941, der Tag des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion, der sich kürzlich zum 80. Mal jährte, und den Bundestagspräsident Schäuble der Erinnerung im Deutschen Bundestag nicht für notwendig hielt.
Bei Bodo Ramelow las ich in seinem Onlinetagebuch: „Beide Daten – der 22. Juni 1941 sowie der 13. August 1961 – markieren auf natürlich sehr verschiedene, aber dennoch einschneidende Weise für Millionen Menschen in Deutschland, Europa und der Welt katastrophale Wendepunkte ihres Lebens.“ Für 27 Millionen Sowjetbürger gab es keine Wendepunkte ihres Lebens mehr. Sie starben RotFuchs / Dezember 2021 Seite 15 in den Kämpfen des Zweiten Weltkrieges, in den Schlachten um Stalingrad und Berlin, während der verbrecherischen Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht, an der auch spätere führende Politiker der Bonner Republik beteiligt waren.
Für jeden Deutschen sollte sich eine Verharmlosung dieser Verbrechen verbieten. Auch ich sehe einen Zusammenhang zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 13. August 1961. Er ist grundsätzlicher. Zur Logik der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts gehört nämlich die Erkenntnis: Ohne den 30. Januar 1933, den Machtantritt des Verbrechers Hitler, kein 1. September 1939, kein Überfall auf die Sowjetunion, keine deutsche Niederlage, keine deutsche Spaltung, ohne Spaltung keine Bundesrepublik und keine DDR, keine Mauer, keine Militärbündnisse. (…)
Ich habe während meines Studiums in Moskau in direkter Wohngemeinschaft mit sowjetischen Menschen viermal den Erinnerungstag an den 22. Juni 1941 erlebt. Ich konnte dabei nachempfunden, daß mit dem Aufruf zum Heiligen Krieg des Sowjetvolkes 1941 gegen die faschistischen Eindringlinge immer auch ein patriotisches Versprechen der sowjetischen Bürger verbunden war, das auch im heutigen Rußland gilt. Es lautet: Nie wieder soll es irgendwelchen Aggressoren gelingen, so nahe der eigenen Landesgrenze zu stehen, wie damals die Deutschen.
Diese Überlegung spielte 1945 eine Rolle, als mit dem Kriegsende die erste strategische Verteidigungslinie der sowjetischen Armee von der einstigen Staatsgrenze weg an die Oder und Neiße gelegt wurde.
Sie war präsent, als nach der Ablehnung der sowjetischen Note zur deutschen Einheit im März 1952 durch die drei Westmächte und die Bundesrepublik diese Grenze von der Oder und Neiße an die Elbe und Werra vorverlegt wurde.
Und sie war gegenwärtig, als 1955 und 1961 aus der ersten strategischen sowjetischen Verteidigungslinie zusätzlich die Außengrenze des Warschauer Vertrages zur NATO militärisch gesichert wurde wie keine andere Grenze auf der Welt. (…)
Gorbatschow ließ sich von den USA über den Tisch ziehen, gestand der NATO ihre weitere Existenz trotz Auflösung des Warschauer Vertrages zu und machte hinter dem Rücken der DDR-Führung den Weg zur „deutschen Einheit“ frei, ohne dafür vertraglich bindend politische Gegenleistungen zu fordern.
Das Ergebnis: Das Territorium der Warschauer Militärkoalition, das einst die Sowjetarmee vom Faschismus befreit hatte, wurde innerhalb kurzer Zeit nicht etwa blockfrei, sondern dem Militärbündnis des politischen und militärischen Gegners zugeschlagen.
Ein einmaliger Vorgang in der Weltgeschichte, der von den Regierenden allzu gern unterschlagen wird.
Gorbatschow gab sich leichtgläubig mit einer mündlichen Versicherung zufrieden, daß sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnen würde. Zwar bestreiten einige Politiker nachträglich, daß es je eine solche Zusicherung gegeben habe. Doch die Archive sprechen eine andere Sprache. Der damalige NATO-Generalsekretär Wörner hatte am 17. Mai 1990 öffentlich bekanntgegeben: „Schon der Fakt, daß wir bereit sind, die NATO-Streitkräfte nicht hinter den Grenzen der BRD zu stationieren, gibt der Sowjetunion feste Sicherheitsgarantien.“
Das war – wie gesagt – im Mai 1990. Da gab es die DDR noch. Das heißt: Die Sicherheitsgarantie der NATO lautete eigentlich sogar: Östlich von Elbe und Werra, also der damaligen Ostgrenze der BRD, sollten keine NATOTruppen stationiert werden. Das bedeutet: Auch auf dem Territorium der DDR nicht! Daß Monate nach dieser Erklärung die UdSSR zerschlagen wurde, kann nicht als Vorwand dafür gelten, die gemachten Zusagen der NATO nicht einzuhalten.
Bekanntlich ist die Sowjetunion nicht durch Volkes Willen aufgelöst worden. Nicht durch einen Volksaufstand. Eine Volksbefragung hatte dagegen ergeben, daß die Mehrheit der Sowjetbürger für den Erhalt der Union war. Die Sowjetunion wurde von Teilen der sowjetischen Elite von oben zerschlagen. Das hat Gorbatschow und Jelzin die Sympathie des Westens gesichert. Mit dem ständig alkoholisierten Jelzin hatten die USA und ihre Verbündeten zudem ein leichtes politisches Spiel. Sie wurden sagar Saunafreunde, die „vergaßen“, nationale Interessen der Sowjetbürger wahrzunehmen. In den Vorzimmern der Macht saßen plötzlich US-amerikanische Berater.
Damıt und mit der Verschleuderung des russischen Volksvermögens an US-amerikanische und internationale Konzerne (...) hat Putin Schluß gemacht. Nach den demütigenden Jelzin-Jahren ist Rußland zurückgekehrt in den Status einer Großmacht. Putin stellt wieder legitime russische Interessen in den Vordergrund. Seine Politik hat dem russischen Volk seine Würde wiedergegeben.
Damıt hat er den Haß jener Kräfte auf sich gezogen, die Rußland als gleicberechtigten Teilnehmer an der Lösung internationaler Probleme ausschalten wollen und das Land lediglich – wie es einst Obama arrogant verkündete – als „Regionalmacht“ betrachten. Ziel ist es, in Rußland ein dem Westen zugewandtes Regime zu installieren. Nichts lieber hätten diese Leute als einen Maidan auch auf dem Roten Platz in Moskau. An diesem Punkt muß angesetzt werden, wenn es um die Ursachen der Konflikte in der Welt geht. Vieles, was heute durcheinandergeraten ist, ob die Konflikte im Irak, in Syrien, in Libyen, im Jemen, aber auch in der Ukranine, hängen mit den Jahren 1989 bis 1991 zusammen, als die Sowjetunion zerschlagen wurde.
Die UdSSR war bis dahin eine Barriere gegen die Weltmachtambitionen der USA. Undenkbar, daß es bei ihrer Existenz einen so breiten Gürtel von Bürgerkriegszonen gegeben hätte, wie wir sie jetzt im Nahen und Mittleren Osten erleben, wo der Westen unter der Losung des „Sturzes von Diktatoren“ und der „Bewahrung von Menschenrechten“ im Prinzip Bürgerkriege erst möglich gemacht hat.
Inzwischen ist klar, daß es den USA 1989 keineswegs in erster Linie um die „deutsche Einheit“ ging. Sie war nicht ihr Hauptziel. Sie war ein Mittel, um die Streitkräfte der UdSSR und später der Rußlands aus dem Zentrum Europas zu drängen.
Der Warschauer Vertrag wurde einseitig aufgehoben. Die NATO blieb. Die russischen Streitkräfte zogen aus Mitteleuropa ab. Die USA setzten sich hier fest. Sie haben in Deutschland nach wie vor Atomwaffen stationiert. Condoleezza Rice, die spätere Außenministerin der USA, bekannte freimütig: Mit dem vereinten Deutschland, eingebettet in die NATO, war „Amerikas Einfluß in Europa gesichert“. Daß inzwischen auch wieder deutsche Soldaten mit Panzern und schwerem Gerät an Rußlands Grenzen stehen, ist ein entscheidender Punkt der Fehlentwicklungen seit 1990.
Nicht die Rückkehr der altrussischen Krim in die Russische Föderation ist die Ursache dafür, daß Rußland und sein Präsident vom Westen verteufelt werden. Nein, die Zukunftsvision eines friedliebenden Europas zerschellte nicht in der Ostukraine, auch nicht auf der Krim, auch nicht in Belorußland. Sie zerbrach schon in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als NATOStaaten, darunter Deutschland, Jugoslawien bombardierten. Sie machten damit aus dem Kalten einen heißen Krieg. Erstmals seit 1945. Und das mitten in Europa.
Rußland und Putin werden hierzulande politisch instrumentalisiert, um angebliche deutsche Verantwortung in der Welt militärisch zu begründen, die Aufrüstung der NATO-Staaten zu rechtfertigen und mehr Geld für die Aufrüstung zu bekommen. (…) Sie werden nicht klüger, diese Exporteure sogenannter westlicher Werte. Der versuchte Export solcher Werte hat zuletzt zu der Katastrophe von Afghanistan geführt, er ist verantwortlich für die Situationen im Irak, in Syrien, in Libyen, im Jemen und manch anderen Staaten. Die deutschen Politiker müssen endlich akzeptieren, daß die Russen ihre Lebensart haben, ihre Souveränität verteidigen und nicht zulassen können, daß die NATO ständig an ihren Grenzen provoziert. (…) Ohne Rußland ist kein globales Problem der Menschheit zu lösen. Deshalb ist es so kurzsichtig, daß Deutschland gegenüber Rußland amerikanische Außenpolitik betreibt. (…)
Wir gehörten zu den Generationen, für die der Sozialismus Gegenwart und Zukunft bedeutete. Daß es hätte auch anders kommen können, hatte in unserem damaligen Denken keinen Platz. Wir verstanden uns als Sieger der Geschichte und standen plötzlich als deren vermeintliche Verlierer da. Das ist sehr hart und muß erst einmal verkraftet werden. Von jedem einzelnen! Das kostete und kostet weiter Kraft.
Ist das aber Nostalgie? Ich glaube nicht. Wer nicht fähig ist, sein sinnvoll gelebtes Leben in bester Erinnerung zu behalten, dem mangelt es an Emotionen, wer nur in der Vergangenheit lebt, ohne an Gegenwart und Zukunft zu denken, dem mangelt es an Optimismus. Wir, davon bin ich überzeugt, werden – solange Leben in uns ist – keine Ruhe geben, um die Geschichtslügen über die DDR zu entlarven. Redaktionell gekürzt Seite 16 RotFuchs / Dezember

Ein dringendes Anliegen des „RotFuchs“:


Quelle: IMI-Standpunkt 2021/049. 30.August 2021
Redaktionell gekürzt
Auf der Seite 27 des Oktoberheftes schreiben Dr. Arnold Schölzel, Bruni Steiniger, Wolfgang Dockhorn und Jürgen Claußner u.a.:

Wir sind der Meinung, daß die Verantwortung des „RotFuchs“ – sowohl der Zeitschrift wie des Fördervereins – wächst. Der Imperialismus steigert die Kriegsgefahr und pfeift auf seine Rechtsordnung. Für Letzteres ist der Versuch, die DKP von den Bundestagswahlen auszuschließen und ihr den Parteistatus zu entziehen, ein besonders drastisches Beispiel. Das wurde vorläufig gestoppt, aber angesichts ähnlicher Attacken auf die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes–Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und auf die Tageszeitung „junge Welt“ läßt sich feststellen: Linke Stimmen in der BRD sollen eingeschüchtert und mundtot gemacht werden.

Gleichzeitig sympathisieren Teile des Staatsapparates mit Faschisten, sitzen Nazi-Abgeordnete in allen deutschen Landesparlamenten und im Bundestag. In dieser Situation mehren sich in der Partei Die Linke Stimmen, die deren friedenspolitische Positionen revidieren wollen. Der „RotFuchs“ bleibt gerade in diesem Punkt kompromißlos parteilich – so wie in der Verteidigung der DDR und der Traditionen der Arbeiterbewegung. Wir halten den Kampf für den Frieden und gegen imperialistischen Krieg heute für die wichtigste Aufgabe von Kommunisten, Sozialisten und allen anderen Linken. Aus unserer Sicht ist es dringend nötig, den Einfluß unserer „Tribüne“ zu erweitern. (…)

Wer noch nicht Mitglied im „RotFuchs“-Förderverein ist, der kann dies gerne werden. Ein Anruf genügt: 030-241 26 73. Wir, die „RotFuchs“-Macher, brauchen Eure Hilfe, damit die von ihren Freunden und Mitstreitern geliebte und vom Gegner gehaßte kommunistisch-sozialistische Zeitschrift weiter erscheinen und
verbreitet werden kann.


Mittwoch, 15. Dezember 2021

Vorbereitungen auf den "Ernstfall" - Von Wolfgang Bittner

 

Vorbereitungen auf den „Ernstfall“

Von Wolfgang Bittner


In dem bis aufs Äußerste angespannten Verhältnis zwischen Russland und China auf der einen Seite und den USA und ihren westlichen Verbündeten auf der anderen Seite hat sich Gravierendes geändert. Die Russen und Chinesen lassen sich nicht mehr alles gefallen. Bezeichnend dafür war die Stellungnahme der Chinesen zu dem von den USA organisierten Demokratiegipfel am 9. und 10. Dezember 2021.


Dazu aufgerufen hatte Joe Biden, dienstältester russophober US-Politiker, der sämtliche von den USA inszenierten Konflikte und Kriege der jüngeren Zeit mit zu verantworten hat und es bis zum Präsidenten geschafft hat. Er sieht die Demokratie weltweit in Gefahr und propagiert den Kampf der Demokratien gegen „autokratische Regierungen“.(1) Um die Demokratien weltweit zu stärken, kündigte Biden zudem eine „Initiative für Demokratische Erneuerung“ an, für die 2022 nach US-Angaben 424 Millionen US-Dollar bereitgestellt werden sollen.(2)


Russland und China waren zu diesem Gipfel nicht eingeladen. Die Veranstaltung richtete sich schließlich gegen sie. Die US-Vizepräsidentin Kamala Harris erklärte ganz offensichtlich an ihre Adresse: „Auf der ganzen Welt fühlen sich Autokraten ermutigt, Menschenrechtsverletzungen haben sich vervielfacht.“(3)


Bei dieser Gelegenheit warnte Biden Russlands Präsidenten Wladimir Putin zum wiederholten Mal vor einer Eskalation in der Ukraine-Krise – die übliche Verlogenheit und Verdrehung der Tatsachen. Denn Biden weiß selbstverständlich, wer den Putsch von 2014 in der Ukraine initiiert, das Land ruiniert und in den Bürgerkrieg geführt hat. Er war zu der Zeit Vizepräsident und ging in der Ukraine ein und aus. Ein Korruptionsskandal, in den er und sein Sohn Hunter verwickelt waren,(4) wurde sehr schnell wieder vergessen.


Die Chinesen nahmen kein Blatt vor den Mund und nannten die US-Demokratie eine „Massenvernichtungswaffe“.(5) Sie warfen Biden vor, den „Demokratiegipfel einberufen zu haben, um „Linien ideologischer Vorurteile zu ziehen, die Demokratie zu instrumentalisieren und als Waffe einzusetzen und Spaltung und Konfrontation herbeizuführen“. Man werde sich, so hieß es aus Peking, „entschieden gegen jede Art von Pseudo-Demokratie wehren“. Schon vorab hatten China und Russland den Gipfel mit ungewöhnlich scharfen Worten kritisiert und das als „Demokratie“ bezeichnete Staatswesen der USA „korrupt“ und „gescheitert“ genannt.(6)


Dieser Politikstil ist neu, ebenso die nachdrückliche Forderung Russlands nach Garantien und die Drohung mit militärischen Mitteln, wenn die NATO und die USA mit ihren Waffenarsenalen weiter an die russischen Grenzen vorrücken. Putin und Xi Jinping haben genug von westlicher „Demokratie“, Wirtschaftssanktionen und Einmischung in ihre innerstaatlichen Angelegenheiten. Was von dieser westlichen Allianz ausgeht, sind offensichtlich Kriegsvorbereitungen, denen Einhalt geboten werden muss. Insofern ist es gut, wenn den US-Bellizisten Grenzen aufgezeigt werden. Auch wenn das zu einer Katastrophe führen kann. Aber diese Gefahr ist so oder so gegeben.


Weiter in dem Buch „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“(7) von Wolfgang Bittner


Auf Betreiben der USA bereitet sich auch die deutsche Armee intensiv auf „den Ernstfall“ vor. Für die Marine wurde der Bau von vier Kampfschiffen in Auftrag gegeben. German Foreign Policy berichtete am 25. Juni 2020, die Bundeswehr treibe „mit weiteren Rüstungsprojekten ihre Umorientierung auf Großmachtkonfrontationen voran“, am 19. Juni habe sie den Auftrag zum Bau des neuen Mehrkampfschiffs MKS 180 erteilt. Das sei allerdings nur „ein Vorhaben von vielen, mit denen das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr systematisch aus- und umgebaut werden soll“, weitere gälten den Landstreitkräften und der Luftwaffe. Der Rüstungsetat solle kontinuierlich wachsen, die Rüstungspläne kosteten eine dreistellige Milliardensumme. Es gehe vor allem um „die Ausstattung der Bundeswehr für ihre Führungsrolle bei der NATO-‚Speerspitze‘ im Jahr 2023“, wobei die deutschen Streitkräfte für die „Landkomponente“ vorgesehen seien.(8)


Konventionelle und Atomwaffen sind an den Grenzen zu Russland und auf den US-Militärbasen in Deutschland stationiert. Damit nicht genug, im Dunkel liegt der Bereich der technologischen, biologischen und chemischen Kriegsführung. Nur hin und wieder dringen Erkenntnisse, die dann als Verschwörungstheorien abgetan werden, an die Öffentlichkeit, zum Beispiel wenn iranische Atomanlagen durch einen Computerwurm („Stuxnet“) stillgelegt wurden, in Kuba oder in China sämtliche Schweine starben oder CIA-Sabotageaktionen wie die Sprengung der Jamal-Pipeline 1982 in Sibirien(9) nachgewiesen werden konnte.


Wie die USA ihre heimtückischen Interventionskriege propagandamäßig kaschieren und der Weltöffentlichkeit als angeblich völkerrechtlich legitim präsentieren, kann eindrucksvoll an drei Beispielen verdeutlicht werden: So wurde der Eintritt in den Vietnamkrieg 1964 mit einem vorgetäuschten Zwischenfall im Golf von Tonking begründet, die Bombardierung Serbiens erfolgte 1999 aufgrund der Lüge von einer „Hufeisenoffensive“ gegen die Albaner im Kosovo, und der zweite Irakkrieg begann 2003 wegen einer angeblich akuten Bedrohung durch (nicht vorhandene) irakische Massenvernichtungswaffen.


Die seit den 1990er-Jahren zunehmende und in Hetze ausartende Propaganda gegen Russland und inzwischen auch gegen China hat zu einer diplomatischen Eiszeit geführt. Legt man die Erfahrungen der Vergangenheit zugrunde, deutet auch das auf einen großen militärischen Konflikt hin – wozu sonst diese gewaltigen Rüstungsanstrengungen und Truppenverlegungen? Unverantwortlich, dass deutsche Politiker nicht die Folgen erkennen: Da russische und chinesische Raketen auf die militärischen Steuerungszentralen der USA in Deutschland gerichtet sind, droht bereits bei einem Irrtum die nukleare Auslöschung. Der sich anbahnenden Katastrophe kann Deutschland nur dadurch entgehen, dass es gemeinsam mit den europäischen Partnern die NATO-Bündnistreue zu den Vereinigten Staaten grundlegend infrage stellt. Doch danach sieht es zurzeit nicht aus, vielmehr fordern deutsche Spitzenpolitiker „nukleare Teilhabe“ und wenden sich gegen einen Abzug der amerikanischen Truppen. (…)


Einflusspersonen der US-Bellizisten in Deutschland


Ein nicht geringer Teil der deutschen Spitzenpolitiker vertritt, unterstützt von den maßgeblichen Medien, zum Nachteil des eigenen Landes und auch einer europäischen Friedenspolitik die Interessen der USA und der von ihr gelenkten NATO. Der in den USA lebende montenegrinische Wissenschaftler Prof. Filip Kovačević schrieb dazu am 29. September 2016: „Dies ist eine ernste Angelegenheit, die nicht nur vom deutschen Volk, dessen Vertreter sie behaupten zu sein, sondern auch von den Bürgern anderer EU-Staaten berücksichtigt werden muss, wenn man bedenkt, dass ähnliche Akteure auch in ihren politischen Eliten tätig sind. Ohne die rechtzeitige Entdeckung und politischen Austausch dieser Individuen kann ein weiterer groß angelegter Krieg in Europa sich hinter der nächsten Ecke verbergen.“(10)


Kovačević hatte Einsicht in geleakte Unterlagen der montenegrinischen Regierung anlässlich des umstrittenen Beitritts Montenegros zur NATO, wofür sich der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der ehemalige außen- und sicherheitspolitische Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christoph Heusgen, mit großem Engagement eingesetzt hatten. Kovačević schlussfolgerte: „Abschließend kann man sagen, dass dieser geleakte Regierungsbericht der Republik Montenegro das Ausmaß offenbart hat, in dem sowohl der deutsche Außenminister Steinmeier als auch Merkels Spitzenberater Heusgen entgegen ihrem öffentlichen Auftreten und ihrer Rhetorik bereit waren, als Agenten der anti-russischen US-‚Kriegspartei‘ in Europa zu handeln.“(11)


Dass auch viele andere bekannte Politiker Interessenpolitik für die USA betreiben, trat zum Beispiel beim Putsch in der Ukraine, der Provokation Kiews am Asowschen Meer, dem Krieg in Syrien oder in der Affäre um den Doppelagenten Sergej Skripal zu Tage, überdeutlich seit Anfang 2020 bei den Interventionen gegen Nord Stream 2. Nachdem US-Präsident Donald Trump Deutschland wegen der Kooperation mit Russland scharf angegriffen hatte, wandte sich in Brüssel der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer mit Scheinargumenten gegen das Projekt, in Berlin Norbert Röttgen. Beide forderten eine Beendigung der Bauarbeiten sowie die endgültige Aufgabe des Pipelineprojekts und polemisierten gegen Russland, insbesondere gegen Präsident Wladimir Putin.


Unterstützung kam sofort von den Grünenpolitikern Katrin Göring-Eckhard, Cem Özdemir, Omid Nouripour, Annalena Baerbock und Marieluise Beck. Aus der CDU meldeten sich Friedrich Merz und Johann Wadephul zu Wort, aus der SPD Außenminister Heiko Maas und aus der FDP Christian Lindner sowie Alexander Graf Lambsdorff – um nur einige wenige Namen US-affiner deutscher Politikerinnen und Politiker zu nennen.(12) Sekundiert wurde von den Politikredakteuren der deutschen Leitmedien. Zwar kann man hier nicht direkt von einem organisierten Vorgehen sprechen, aber diese Personen treten – im Einvernehmen mit der Staatsspitze – fast immer konzertiert in Erscheinung, wenn es gegen Russland geht.


Das geschah auch, als der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny am 20. August 2020 während eines Inlandfluges einen Schwächeanfall erlitt, nach einer Notlandung in Omsk in einer Klinik behandelt werden musste und wenig später in die Berliner Charité ausgeflogen wurde, wo er mehrere Tage im Koma lag. Unverzüglich waren die bereits genannten Einflusspersonen zur Stelle und mit Unterstützung der Leitmedien im Einsatz gegen die russische Regierung und deren Präsidenten.(13) Noch bevor Fakten bekannt waren, geschweige denn eine erste Untersuchung der Vorgänge stattgefunden hatte, wurde behauptet, der »Kreml-Kritiker« Nawalny sei mit einem russischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet worden.


Es zeigt sich immer deutlicher, dass nicht nur viele Organisationen in Deutschland, sondern auch der Bundestag und die Länderparlamente mit Personen durchsetzt sind, die – teils offen, teils verdeckt – eine Politik im Sinne der USA betreiben, viele auch als Lobbyisten internationaler Konzerne. Solange dem nicht Einhalt geboten wird, ist eine unabhängige deutsche Politik, die dem Wohl der Bevölkerung dient und negative äußere Einflüsse abwehrt, nicht möglich.


Erstveröffentlichung: Vorbereitungen auf den „Ernstfall“ (nachdenkseiten.de)


Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Von ihm erschienen 2014 „Die Eroberung Europas durch die USA“, 2019 „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ sowie „Der neue West-Ost-Konflikt“ und 2021 „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“.



Quellen

(1). Virtuelles Treffen: Biden lädt zum Demokratie-Gipfel | tagesschau.de

(2) Online-Gipfel: Biden sieht Demokratien in Gefahr | tagesschau.de

(3) Nach Bidens Gipfel: China nennt US-Demokratie "Massenvernichtungswaffe" | tagesschau.de

(4) (4) Dazu: Wolfgang Bittner, „Der neue West-Ostkonflikt. Eine Inszenierung“, Verlag zeitgeist 2019, S. 208

(5) Tagesschau, ebd.

(6) Ebd.

(7) „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“, Verlag zeitgeist, Höhr-Grenzhausen, März 2021

(8) www.german-foreign-policy.com/news/detail/8315/

(9) Experten sprachen von der größten nicht nuklearen Explosion, die jemals gezündet wurde. Dazu mit weiteren Hinweisen auf Geheimdienstaktionen: Wolfgang Bittner: Die Eroberung Europas durch die USA, S. 181 ff., insbes. S. 185 f.

(10) Zit. wie NachDenkSeiten, 10.11.2016, www.nachdenkseiten.de/?p=35772

(11) Zit. wie ebd.

(12) Namen der zahlreichen Mitglieder von US-Netzwerken aus Politik und Medien finden sich in: Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt, S. 51 ff.

(13) Vgl. hierzu Albrecht Müller: Die Revolution ist fällig. Aber sie ist verboten. Frankfurt am Main 2020