Russland
18. März 2016 um 9:26 Uhr
Der
russische Dämon
Verantwortlich:
Jens Berger
Hannes
Hofbauer
Die
Typisierung „des“ Russen mit allerlei negativen Adjektiven
beherrscht aufs Neue die Schlagzeilen deutschsprachiger Medien. Der
dabei verwendete Singular ist ein untrügliches Zeichen für Distanz,
Abscheu, Hass. Die meinungsbildenden Kräfte im Westen, so lehrt die
Zeitgeschichte, freundeten sich mit Russland und seinen Führern nur
in der Phase der Zerstörung der Sowjetunion an. Schon kurz darauf
schlug die Freude über das Ende der kommunistischen Epoche in
Skepsis um. Das alte Feindbild entstand neu und durchzieht nun wie
ein roter Faden die Rezeption Russlands im Westen. Jens Wernicke
sprach hierzu mit dem Publizisten Hannes Hofbauer, der in seinem
soeben erschienenen Buch „Feindbild Russland“ das Phänomen der
Russophobie bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt und als Werkzeug
zur Durchsetzung von wirtschaftlicher und politischer Macht
skizziert.
Herr Hofbauer, mitten in die immer schlimmer
werdende Hetze gegen Russland publizieren Sie ihr neues Buch. Hoffen
Sie, dass die Kriegstreiber noch aufzuhalten
sind?
Feindbildproduktionen reflektieren Feindschaften;
das ist in der Weltpolitik nicht anders als im gesellschaftlichen
Leben. Wenn wir uns die neue Ausprägung des alten Feindbildes
Russland ansehen, dann hat sich das – nach einer Reihe von Zäsuren,
über die noch zu sprechen sein wird – unmittelbar nach dem „Njet“
des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zum
Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union im November 2013
festgesetzt. Damals wurde allen Beteiligten klar, dass der weitere
Vormarsch von EU und NATO in Richtung Osten von Moskau nicht mehr so
widerspruchslos hingenommen wird, wie die Erweiterungen des
westlichen Einflussbereichs seit den 1990er Jahren.
Ich
erwähne das nur gleich zu Beginn unseres Gesprächs, um klar zu
machen, dass die „Hetze gegen Russland“ handfeste wirtschaftliche
und geopolitische Interessen des Westens begleitet. Seit zur
Ukrainekrise eine neue Front – nämlich die im Nahen Osten –
hinzugekommen ist, sinken die Chancen auf ein friedliches Miteinander
und haben die Kriegstreiber Hochkonjunktur.
Das Bild „vom
Russen“ und von Putin als bösem Diktator, das uns täglich medial
präsentiert wird – ist das denn alles nur Hetze und
Propagandaprodukt? Ich meine: Ein Vorzeige-Demokrat scheint er ja
nicht gerade zu sein…
Die politische Landschaft und
Struktur Russlands bzw. der Russländischen Föderation, wie sie
genau genommen heißt, unterscheiden sich grundlegend von jenen, wie
wir sie im westlichen Europa kennen. Ein bürgerlicher
Parlamentarismus, in dem sich christlich-konservative und
sozialdemokratische Parteien – mit fallweise nationalen, grünen
und puristisch-liberalen Einsprengseln – die Macht teilen, taugt
als herrschaftliches Instrument für unsere Gesellschaften. In
Russland finden sich dazu weder die kulturellen noch die
Klassenvoraussetzungen. Das dortige politische System ist
grundsätzlich autoritärer angelegt. Als Diktatur würde ich es
allerdings nicht bezeichnen. Dass Wladimir Putin zum Feindbild des
Westens wurde, hat aber nichts mit diesen politischen Strukturen zu
tun, denn dieselben gab es schon unter Boris Jelzin. Und der war
Liebkind in Berlin und Washington, während Putin als Gegner
betrachtet wird.
Um auf die
Frage zurückzukommen: Das Anti-Russland-Bashing hat mit der
Einschätzung Diktatur oder Demokratie nichts zu tun. Wenn dem so
wäre, dann müsste gegen viele Staaten und ihre Staatschefs, mit
denen die USA und die EU bestens kooperieren, Hetze in unseren Medien
betrieben werden.
Es ist also nicht alles wunderbar,
gleichwohl verdreht die Propaganda Tatsachen, bedient sich Lügen
etc. – und konstruiert so ein Feindbild, das wirtschaftlichen und
geopolitischen Interessen in die Hände spielt? Woran liegt
das?
Jelzin – mehr noch als Gorbatschow – ging in die
Geschichte als Zerstörer der Sowjetunion ein. Und diese Zerstörung
hatte nicht nur US-Präsident Ronald Reagan als oberste Priorität
seiner Amtszeit gesehen. Zu dieser Zerstörung gehörten neben dem
Ende der kommunistischen Herrschaft auch territoriale Einbußen,
soziale Verheerungen und ein westliches Vorrücken in
wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht.
Mit Putin folgte
dann ab 2000 eine Konsolidierung Russlands, zuerst in
administrativer, später auch in sozio-ökonomischer Hinsicht. Und
mit dieser neuen Stärke, die ab Mitte der 2000er Jahre spürbar
wurde, erschwerten sich für westliche Institutionen und Investoren
die Bedingungen in Russland. Sinnbildlich gesprochen: Der besoffene
russische Tanzbär Jelzin tanzte nach der Pfeife des Westens, mit
Putin aber war nicht mehr so leicht Kirschen essen. Oder, wie es eine
russische Soziologin mir gegenüber einmal ausdrückte: In der Ära
Gorbatschow-Jelzin lautete die Devise im Westen, sich mit Russland zu
engagieren; während der ersten Putin-Jahre bis 2008 hieß es, sich
mit Russland zu arrangieren; und seit 2008, sich gegen Russland zu
engagieren. Das Jahr 2008 markiert den Georgienkrieg, als Moskau
erstmals seit dem Ende der Sowjetunion Armee und Marine außerhalb
der Russländischen Föderation zum Einsatz brachte.
Könnten
Sie ausmachen, wie es kommt, dass es zu diesem propagandistischen
Feindbild in unseren Medien eigentlich keinerlei Alternativen mehr
gibt? Dass diese also fast schon gleichgeschaltet erscheinen?
Eine
völlige mediale Gleichschaltung sehe ich im Falle Russlands nicht.
Zwar ist die Mehrheit der meinungsbildenden Medien russlandfeindlich
eingestellt – ich zitiere da in meinem Buch eine Studie eines
jungen Wissenschaftlers, der nach einer Untersuchung von vier
deutschen Zeitungen – Süddeutsche, Die Welt, Spiegel Online und
Bild – im Jahre 2014 herausgefunden hat, dass 90 Prozent aller
Kommentare ein Moskau-feindliches Bild vermittelt haben. Aber auf der
anderen Seite gab es Ende 2014 auch einen von vielen Prominenten
unterzeichneten Aufruf unter dem Titel „Wieder Krieg in Europa?
Nicht in unserem Namen“. Das war sicherlich keine Übereinstimmung
mit der Politik des Kreml, aber doch ein Mahnruf von Gerhard Schröder
bis Roman Herzog, einer Dämonisierung Russlands vorzubeugen bzw.
entgegenzutreten.
Wenn ich Ihr Buch recht verstehe, ist das
Feindbild Russland auch gar nicht neu. Diesen Konflikt hat es seit
Jahrhunderten gegeben und er bricht jetzt lediglich aufs Neue
aus?
Die konkreten Konfliktlinien sind zwar immer anders
geartet gewesen, aber, ja, das Feindbild als solches reicht weit in
die Geschichte zurück. Ich verorte es erstmals Ende des 15.
Jahrhunderts. Das war jene Phase, in der Iwan III. erstmals die
Tatarenherrschaft abschütteln konnte und ein russisches Zarentum
konsolidierte, das er bis an die Ostsee ausdehnen wollte. Die
Binnenlage Russlands und der Wunsch aus dieser auszubrechen, ist eine
„ewige“ Konstante der Beziehungen zwischen Russland und seinen
Nachbarn. Damals, Ende des 15. Jahrhunderts, waren es die
livländisch-polnische Union und der Deutsche Orden, die gegen Moskau
standen. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die erste
Welle einer Russophobie an der Universität Krakau ihren
Ausgangspunkt nahm. Dort kreierte ein berühmter Philosoph jener
Zeit, Johannes von Glogau, das Klischee vom barbarischen, asiatischen
Russen, das sich seither über 500 Jahre als Stereotyp gehalten
hat.
Immer wieder im historischen Zeitenlauf ist dieses
negative Russlandbild dabei auch von einem positiven unterbrochen
worden. So etwa im Barock, als Peter der Große Land und Volk zwang,
sich nach Westen auszurichten, oder auch während des 19.
Jahrhunderts, als preußischer Adel und Herrschaft pro-russisch und
die bürgerlichen Revolutionäre anti-russisch waren, also ein
geteiltes Russlandbild gegeben war. Seit Ende des 19. Jahrhunderts
aber ist das Feindbild Russland dann mehr oder minder durchgängig
gültig und hat – mit der Übernahme der Macht durch die Sowjets –
über den Antikommunismus auch Großbritannien und die USA erreicht.
Das Feindbild Russland ist über den Antikommunismus in den
anglo-amerikanischen Raum gekommen.
Gibt es denn auch eine
Kontinuität in Bezug auf die Methoden der Dämonisierung oder wie
verändern diese sich?
Die Medien zur Verbreitung eines
Feindbildes sind vielfältig. Sie reichen im Falle Russlands von der
römisch-katholischen Kirchenkanzel, von der aus gegen die
„ungläubigen“ Orthodoxen gepredigt wird, über eine
„rassenkundige Wissenschaft“ während der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts bis zu aktuellen Russlandbildern auf deutsch- und
englischsprachigen Wochenmagazinen, die Russland auf Putin reduzieren
und diesen als Gottseibeiuns darstellen, dem entgegengetreten werden
muss, koste es, was es wolle. Da sind dann wieder bellizistische Töne
zu vernehmen.
„Der Russe“ wird wieder im Singular
verwendet, was rein sprachlich diskriminierend ist. Auch sind die
Medien voll von Begriffen wie „Kreml-Chef“, wenn vom russischen
Präsidenten die Rede ist. Das soll beim Publikum Erinnerungen an den
eigenen Chef wecken, der ja in der Regel kritisch gesehen wird und
kein Freund ist. Auf der anderen Seite der Weltkugel ist vom
„Pentagon-Chef“ nicht die Rede, diese Wortwahl gibt es gar
nicht.
Worauf läuft das alles denn hinaus? Russland warnt
ja aktuell nicht zum ersten Mal vor der Gefahr eines Dritten
Weltkrieges. Will der Westen diesen oder nimmt er ihn billigend in
Kauf?
Auch der Papst hat diesbezüglich seine Stimme
erhoben und vor einem Weltkrieg gewarnt, der sich schleichend
ausbreiten könnte. Solche Stimmen der Vernunft sind einerseits
ermutigend, zeigen jedoch andererseits, dass der Friede, in dem wir
leben, keineswegs selbstverständlich ist. Denn wo keine konkrete
Kriegsgefahr besteht, müssten solche Warnungen nicht ausgesprochen
werden.
Und tatsächlich gibt es einflussreiche Kreise vor
allem in den USA, die vor einem großen Waffengang nicht
zurückschrecken. Und da spreche ich nicht nur vom alten kalten und
heißen Krieger John McCain, der an allen Ecken dieser Welt
auftaucht, um US-amerikanische Hegemonie einzufordern und überall
dort, wo das nicht „friedlich“ klappt, militärische Mittel
promotet. Im Ukrainekonflikt haben sich auch US-Vize Joe Biden,
EU-Außenpolitikerin Catherine Ashton, der deutsche Außenminister
Guido Westerwelle und viele andere auf die Barrikaden in Kiew
gestellt und angeblich im Namen der Demokratie – auf dem Rücken
der Ukraine – gegen Moskau Kriegsstimmung erzeugt. Die Lage ist
also wirklich ernst; die Warnungen vor einem großen Krieg kommen
nicht von ungefähr.
Und wenn der Kriegstreiberei und
Feindbildverbreitung etwas entgegengesetzt werden sollte, wie
bewerkstelligte man das dann aktuell am ehesten? Was rieten Sie? Was
können wir tun?
Dabei nicht mitmachen, das wäre schon
ein Anfang. Und ich rede da gar nicht von Politik oder politischen
Einschätzungen. Auch kulturell wäre ein wenig mehr Verständnis
nützlich. Viele, auch kritische Menschen, setzen unsere westliche
Zentrumskultur als Non-Plus-Ultra, als nicht hinterfragbare
Lebensweise. Nehmen wir das Beispiel des Umgangs mit der
Homosexualität. Da reiben sich Grüne und Linke an russischen
Gesetzen, die Werbung für gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe
stellen. Ein solches Gesetz ist abzulehnen. Aber auch in Deutschland
und Österreich waren Homosexuelle vor kurzem noch
diskriminiert.
Und wenn ich daran denke, dass Obama bis Gauck
und Merkel die Olympischen Spiele in Sotschi im Februar 2014 mit dem
Hauptargument der Homosexuellendiskriminierung boykottiert haben –
die Krim war noch ukrainisch und kein Streitfall –, dann wird mir
der instrumentelle Charakter solcher „Argumente“ klar: Zwölf
Jahre zuvor fand in Salt Lake City in den USA ebenfalls eine
Olympiade statt. Im Staate Utah war nicht bloß Homosexualität
verboten – was ja in Russland gar nicht der Fall ist –, sondern
wurden auch alle Sexualpraktiken, die nicht zur Reproduktion taugen,
strafrechtlich verfolgt. Damals, im Jahr 2002, regte sich darüber
niemand auf und alle fuhren brav zur Eröffnung der Spiele in die
USA. Das zeigt den sehr unterschiedlichen Umgang mit dem
„Fremden“.
Auch geht es
darum, eine gewisse Distanz zu wahren und eine andere Gesellschaft
nicht ausschließlich mit unseren Maßstäben zu messen.
Einige
verweisen aktuell ja gern auf die Entspannungspolitik unter Willy
Brandt und die Strategie des „Wandels durch Annäherung“, die der
aktuelle Rollback vollständig zu nivellieren droht. Wie wäre es
daher mit einem „Zurück zu Brandt“? Wäre eine Reanimation
dieser Politik ein guter, gangbarer Weg?
Die Zeiten haben
sich geändert. Die Entspannungspolitik im Westen war – auch –
Antwort und Resultat der relativen wirtschaftlichen und
geopolitischen Erfolge, die die Sowjetunion in den 1970er Jahren
vorweisen konnte. Heute kämpfen Moskau und Peking gegen die
Ansprüche der Troika aus USA, NATO und IWF – mit der EU als
möglicherweise strauchelndem Juniorpartner – um eine multipolare
Welt.
Annäherung ist dennoch nötig, aber die politischen
Möglichkeiten sind – im Angesicht der schieren Kapitalmacht –
meiner Meinung nach geringer als vor 35 Jahren.
Noch ein
letztes Wort?
Worüber wir gar nicht gesprochen haben,
ist, dass ein Wirtschaftskrieg bereits im vollen Gange ist. Das
möchte ich noch erwähnen.
Seit im April 2014 die USA,
gefolgt von der EU, ein Embargo gegen gewisse russische Importe und
Exporte nach Russland verhängt haben, ist die Weltlage eine andere.
Denn solche Sanktionen kann man zwar, was bisher nicht geschah, von
einem Tag auf den anderen wieder aufheben – aber das Misstrauen
bleibt. Russland hat ja Gegenmaßnahmen im Lebensmittelbereich
verhängt. Und darunter leiden vor allem traditionelle Exporteure
gerade aus peripheren EU-Ländern wie Polen und Griechenland. Die USA
mit ihrem äußerst geringen Warenaustausch mit Russland sieht sich
das Ganze hingegen aus der ersten Reihe weitgehend schadensfrei an.
Insofern sollte auch erwähnt werden, dass die anti-russische Politik
des Westens vor allem Ländern in der EU schadet.
Ich
bedanke mich für das Gespräch.
Hannes Hofbauer,
Jahrgang 1955, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der
Universität Wien. Er arbeitet als Publizist und Verleger. Im
Promedia-Verlag sind von ihm unter anderem erschienen:
„EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte
– soziale Folgen“ (2007), „Diktatur des Kapitals.
Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter“ (2014) und
„Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“ (2016