Samstag, 19. März 2016

"Feindbild Russland" - Gespräch mit dem Autor

Russland


18. März 2016 um 9:26 Uhr

Der russische Dämon

Verantwortlich: Jens Berger
Hannes Hofbauer
Die Typisierung „des“ Russen mit allerlei negativen Adjektiven beherrscht aufs Neue die Schlagzeilen deutschsprachiger Medien. Der dabei verwendete Singular ist ein untrügliches Zeichen für Distanz, Abscheu, Hass. Die meinungsbildenden Kräfte im Westen, so lehrt die Zeitgeschichte, freundeten sich mit Russland und seinen Führern nur in der Phase der Zerstörung der Sowjetunion an. Schon kurz darauf schlug die Freude über das Ende der kommunistischen Epoche in Skepsis um. Das alte Feindbild entstand neu und durchzieht nun wie ein roter Faden die Rezeption Russlands im Westen. Jens Wernicke sprach hierzu mit dem Publizisten Hannes Hofbauer, der in seinem soeben erschienenen Buch „Feindbild Russland“ das Phänomen der Russophobie bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgt und als Werkzeug zur Durchsetzung von wirtschaftlicher und politischer Macht skizziert.

Herr Hofbauer, mitten in die immer schlimmer werdende Hetze gegen Russland publizieren Sie ihr neues Buch. Hoffen Sie, dass die Kriegstreiber noch aufzuhalten sind?

Feindbildproduktionen reflektieren Feindschaften; das ist in der Weltpolitik nicht anders als im gesellschaftlichen Leben. Wenn wir uns die neue Ausprägung des alten Feindbildes Russland ansehen, dann hat sich das – nach einer Reihe von Zäsuren, über die noch zu sprechen sein wird – unmittelbar nach dem „Njet“ des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch zum Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union im November 2013 festgesetzt. Damals wurde allen Beteiligten klar, dass der weitere Vormarsch von EU und NATO in Richtung Osten von Moskau nicht mehr so widerspruchslos hingenommen wird, wie die Erweiterungen des westlichen Einflussbereichs seit den 1990er Jahren.

Ich erwähne das nur gleich zu Beginn unseres Gesprächs, um klar zu machen, dass die „Hetze gegen Russland“ handfeste wirtschaftliche und geopolitische Interessen des Westens begleitet. Seit zur Ukrainekrise eine neue Front – nämlich die im Nahen Osten – hinzugekommen ist, sinken die Chancen auf ein friedliches Miteinander und haben die Kriegstreiber Hochkonjunktur.

Das Bild „vom Russen“ und von Putin als bösem Diktator, das uns täglich medial präsentiert wird – ist das denn alles nur Hetze und Propagandaprodukt? Ich meine: Ein Vorzeige-Demokrat scheint er ja nicht gerade zu sein…

Die politische Landschaft und Struktur Russlands bzw. der Russländischen Föderation, wie sie genau genommen heißt, unterscheiden sich grundlegend von jenen, wie wir sie im westlichen Europa kennen. Ein bürgerlicher Parlamentarismus, in dem sich christlich-konservative und sozialdemokratische Parteien – mit fallweise nationalen, grünen und puristisch-liberalen Einsprengseln – die Macht teilen, taugt als herrschaftliches Instrument für unsere Gesellschaften. In Russland finden sich dazu weder die kulturellen noch die Klassenvoraussetzungen. Das dortige politische System ist grundsätzlich autoritärer angelegt. Als Diktatur würde ich es allerdings nicht bezeichnen. Dass Wladimir Putin zum Feindbild des Westens wurde, hat aber nichts mit diesen politischen Strukturen zu tun, denn dieselben gab es schon unter Boris Jelzin. Und der war Liebkind in Berlin und Washington, während Putin als Gegner betrachtet wird.

Um auf die Frage zurückzukommen: Das Anti-Russland-Bashing hat mit der Einschätzung Diktatur oder Demokratie nichts zu tun. Wenn dem so wäre, dann müsste gegen viele Staaten und ihre Staatschefs, mit denen die USA und die EU bestens kooperieren, Hetze in unseren Medien betrieben werden.

Es ist also nicht alles wunderbar, gleichwohl verdreht die Propaganda Tatsachen, bedient sich Lügen etc. – und konstruiert so ein Feindbild, das wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen in die Hände spielt? Woran liegt das?

Jelzin – mehr noch als Gorbatschow – ging in die Geschichte als Zerstörer der Sowjetunion ein. Und diese Zerstörung hatte nicht nur US-Präsident Ronald Reagan als oberste Priorität seiner Amtszeit gesehen. Zu dieser Zerstörung gehörten neben dem Ende der kommunistischen Herrschaft auch territoriale Einbußen, soziale Verheerungen und ein westliches Vorrücken in wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht.

Mit Putin folgte dann ab 2000 eine Konsolidierung Russlands, zuerst in administrativer, später auch in sozio-ökonomischer Hinsicht. Und mit dieser neuen Stärke, die ab Mitte der 2000er Jahre spürbar wurde, erschwerten sich für westliche Institutionen und Investoren die Bedingungen in Russland. Sinnbildlich gesprochen: Der besoffene russische Tanzbär Jelzin tanzte nach der Pfeife des Westens, mit Putin aber war nicht mehr so leicht Kirschen essen. Oder, wie es eine russische Soziologin mir gegenüber einmal ausdrückte: In der Ära Gorbatschow-Jelzin lautete die Devise im Westen, sich mit Russland zu engagieren; während der ersten Putin-Jahre bis 2008 hieß es, sich mit Russland zu arrangieren; und seit 2008, sich gegen Russland zu engagieren. Das Jahr 2008 markiert den Georgienkrieg, als Moskau erstmals seit dem Ende der Sowjetunion Armee und Marine außerhalb der Russländischen Föderation zum Einsatz brachte.

Könnten Sie ausmachen, wie es kommt, dass es zu diesem propagandistischen Feindbild in unseren Medien eigentlich keinerlei Alternativen mehr gibt? Dass diese also fast schon gleichgeschaltet erscheinen?

Eine völlige mediale Gleichschaltung sehe ich im Falle Russlands nicht. Zwar ist die Mehrheit der meinungsbildenden Medien russlandfeindlich eingestellt – ich zitiere da in meinem Buch eine Studie eines jungen Wissenschaftlers, der nach einer Untersuchung von vier deutschen Zeitungen – Süddeutsche, Die Welt, Spiegel Online und Bild – im Jahre 2014 herausgefunden hat, dass 90 Prozent aller Kommentare ein Moskau-feindliches Bild vermittelt haben. Aber auf der anderen Seite gab es Ende 2014 auch einen von vielen Prominenten unterzeichneten Aufruf unter dem Titel „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen“. Das war sicherlich keine Übereinstimmung mit der Politik des Kreml, aber doch ein Mahnruf von Gerhard Schröder bis Roman Herzog, einer Dämonisierung Russlands vorzubeugen bzw. entgegenzutreten.

Wenn ich Ihr Buch recht verstehe, ist das Feindbild Russland auch gar nicht neu. Diesen Konflikt hat es seit Jahrhunderten gegeben und er bricht jetzt lediglich aufs Neue aus?

Die konkreten Konfliktlinien sind zwar immer anders geartet gewesen, aber, ja, das Feindbild als solches reicht weit in die Geschichte zurück. Ich verorte es erstmals Ende des 15. Jahrhunderts. Das war jene Phase, in der Iwan III. erstmals die Tatarenherrschaft abschütteln konnte und ein russisches Zarentum konsolidierte, das er bis an die Ostsee ausdehnen wollte. Die Binnenlage Russlands und der Wunsch aus dieser auszubrechen, ist eine „ewige“ Konstante der Beziehungen zwischen Russland und seinen Nachbarn. Damals, Ende des 15. Jahrhunderts, waren es die livländisch-polnische Union und der Deutsche Orden, die gegen Moskau standen. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass die erste Welle einer Russophobie an der Universität Krakau ihren Ausgangspunkt nahm. Dort kreierte ein berühmter Philosoph jener Zeit, Johannes von Glogau, das Klischee vom barbarischen, asiatischen Russen, das sich seither über 500 Jahre als Stereotyp gehalten hat.

Immer wieder im historischen Zeitenlauf ist dieses negative Russlandbild dabei auch von einem positiven unterbrochen worden. So etwa im Barock, als Peter der Große Land und Volk zwang, sich nach Westen auszurichten, oder auch während des 19. Jahrhunderts, als preußischer Adel und Herrschaft pro-russisch und die bürgerlichen Revolutionäre anti-russisch waren, also ein geteiltes Russlandbild gegeben war. Seit Ende des 19. Jahrhunderts aber ist das Feindbild Russland dann mehr oder minder durchgängig gültig und hat – mit der Übernahme der Macht durch die Sowjets – über den Antikommunismus auch Großbritannien und die USA erreicht. Das Feindbild Russland ist über den Antikommunismus in den anglo-amerikanischen Raum gekommen.

Gibt es denn auch eine Kontinuität in Bezug auf die Methoden der Dämonisierung oder wie verändern diese sich?

Die Medien zur Verbreitung eines Feindbildes sind vielfältig. Sie reichen im Falle Russlands von der römisch-katholischen Kirchenkanzel, von der aus gegen die „ungläubigen“ Orthodoxen gepredigt wird, über eine „rassenkundige Wissenschaft“ während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zu aktuellen Russlandbildern auf deutsch- und englischsprachigen Wochenmagazinen, die Russland auf Putin reduzieren und diesen als Gottseibeiuns darstellen, dem entgegengetreten werden muss, koste es, was es wolle. Da sind dann wieder bellizistische Töne zu vernehmen.

„Der Russe“ wird wieder im Singular verwendet, was rein sprachlich diskriminierend ist. Auch sind die Medien voll von Begriffen wie „Kreml-Chef“, wenn vom russischen Präsidenten die Rede ist. Das soll beim Publikum Erinnerungen an den eigenen Chef wecken, der ja in der Regel kritisch gesehen wird und kein Freund ist. Auf der anderen Seite der Weltkugel ist vom „Pentagon-Chef“ nicht die Rede, diese Wortwahl gibt es gar nicht.

Worauf läuft das alles denn hinaus? Russland warnt ja aktuell nicht zum ersten Mal vor der Gefahr eines Dritten Weltkrieges. Will der Westen diesen oder nimmt er ihn billigend in Kauf?

Auch der Papst hat diesbezüglich seine Stimme erhoben und vor einem Weltkrieg gewarnt, der sich schleichend ausbreiten könnte. Solche Stimmen der Vernunft sind einerseits ermutigend, zeigen jedoch andererseits, dass der Friede, in dem wir leben, keineswegs selbstverständlich ist. Denn wo keine konkrete Kriegsgefahr besteht, müssten solche Warnungen nicht ausgesprochen werden.

Und tatsächlich gibt es einflussreiche Kreise vor allem in den USA, die vor einem großen Waffengang nicht zurückschrecken. Und da spreche ich nicht nur vom alten kalten und heißen Krieger John McCain, der an allen Ecken dieser Welt auftaucht, um US-amerikanische Hegemonie einzufordern und überall dort, wo das nicht „friedlich“ klappt, militärische Mittel promotet. Im Ukrainekonflikt haben sich auch US-Vize Joe Biden, EU-Außenpolitikerin Catherine Ashton, der deutsche Außenminister Guido Westerwelle und viele andere auf die Barrikaden in Kiew gestellt und angeblich im Namen der Demokratie – auf dem Rücken der Ukraine – gegen Moskau Kriegsstimmung erzeugt. Die Lage ist also wirklich ernst; die Warnungen vor einem großen Krieg kommen nicht von ungefähr.

Und wenn der Kriegstreiberei und Feindbildverbreitung etwas entgegengesetzt werden sollte, wie bewerkstelligte man das dann aktuell am ehesten? Was rieten Sie? Was können wir tun?

Dabei nicht mitmachen, das wäre schon ein Anfang. Und ich rede da gar nicht von Politik oder politischen Einschätzungen. Auch kulturell wäre ein wenig mehr Verständnis nützlich. Viele, auch kritische Menschen, setzen unsere westliche Zentrumskultur als Non-Plus-Ultra, als nicht hinterfragbare Lebensweise. Nehmen wir das Beispiel des Umgangs mit der Homosexualität. Da reiben sich Grüne und Linke an russischen Gesetzen, die Werbung für gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe stellen. Ein solches Gesetz ist abzulehnen. Aber auch in Deutschland und Österreich waren Homosexuelle vor kurzem noch diskriminiert.

Und wenn ich daran denke, dass Obama bis Gauck und Merkel die Olympischen Spiele in Sotschi im Februar 2014 mit dem Hauptargument der Homosexuellendiskriminierung boykottiert haben – die Krim war noch ukrainisch und kein Streitfall –, dann wird mir der instrumentelle Charakter solcher „Argumente“ klar: Zwölf Jahre zuvor fand in Salt Lake City in den USA ebenfalls eine Olympiade statt. Im Staate Utah war nicht bloß Homosexualität verboten – was ja in Russland gar nicht der Fall ist –, sondern wurden auch alle Sexualpraktiken, die nicht zur Reproduktion taugen, strafrechtlich verfolgt. Damals, im Jahr 2002, regte sich darüber niemand auf und alle fuhren brav zur Eröffnung der Spiele in die USA. Das zeigt den sehr unterschiedlichen Umgang mit dem „Fremden“.

Auch geht es darum, eine gewisse Distanz zu wahren und eine andere Gesellschaft nicht ausschließlich mit unseren Maßstäben zu messen.

Einige verweisen aktuell ja gern auf die Entspannungspolitik unter Willy Brandt und die Strategie des „Wandels durch Annäherung“, die der aktuelle Rollback vollständig zu nivellieren droht. Wie wäre es daher mit einem „Zurück zu Brandt“? Wäre eine Reanimation dieser Politik ein guter, gangbarer Weg?

Die Zeiten haben sich geändert. Die Entspannungspolitik im Westen war – auch – Antwort und Resultat der relativen wirtschaftlichen und geopolitischen Erfolge, die die Sowjetunion in den 1970er Jahren vorweisen konnte. Heute kämpfen Moskau und Peking gegen die Ansprüche der Troika aus USA, NATO und IWF – mit der EU als möglicherweise strauchelndem Juniorpartner – um eine multipolare Welt.

Annäherung ist dennoch nötig, aber die politischen Möglichkeiten sind – im Angesicht der schieren Kapitalmacht – meiner Meinung nach geringer als vor 35 Jahren.

Noch ein letztes Wort?

Worüber wir gar nicht gesprochen haben, ist, dass ein Wirtschaftskrieg bereits im vollen Gange ist. Das möchte ich noch erwähnen.

Seit im April 2014 die USA, gefolgt von der EU, ein Embargo gegen gewisse russische Importe und Exporte nach Russland verhängt haben, ist die Weltlage eine andere. Denn solche Sanktionen kann man zwar, was bisher nicht geschah, von einem Tag auf den anderen wieder aufheben – aber das Misstrauen bleibt. Russland hat ja Gegenmaßnahmen im Lebensmittelbereich verhängt. Und darunter leiden vor allem traditionelle Exporteure gerade aus peripheren EU-Ländern wie Polen und Griechenland. Die USA mit ihrem äußerst geringen Warenaustausch mit Russland sieht sich das Ganze hingegen aus der ersten Reihe weitgehend schadensfrei an. Insofern sollte auch erwähnt werden, dass die anti-russische Politik des Westens vor allem Ländern in der EU schadet.

Ich bedanke mich für das Gespräch.

Hannes Hofbauer, Jahrgang 1955, studierte Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Wien. Er arbeitet als Publizist und Verleger. Im Promedia-Verlag sind von ihm unter anderem erschienen: „EU-Osterweiterung. Historische Basis – ökonomische Triebkräfte – soziale Folgen“ (2007), „Diktatur des Kapitals. Souveränitätsverlust im postdemokratischen Zeitalter“ (2014) und „Feindbild Russland. Geschichte einer Dämonisierung“ (2016



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