Sonntag, 30. Dezember 2012
Herbstlandschaft
Acryl auf Leinwand, 50X70 cm, hier habe ich einen ukrainischen Maler kopiert und meine farblichen Vorstellungen umgesetzt.
Dienstag, 25. Dezember 2012
Salbungsvolles
Wenn jemand
eine Ansprache hält, gegen Gewalt aufruft, für Solidarität und Nächstenliebe,
für Gottesgläubigkeit, für Frieden und Wohlgefallen, dann predigt er – wie seit
tausenden Jahren – nur Salbungsvolles, denn kein Wort fließt über schmalzige
Lippen, jeglichem Unverstand und jeglichem Krieg ein Ende zu gebieten. Nicht
grundsätzlich Veränderungen anzumahnen – was das ist? Verarschung. Und das
heißt Verletzung der Menschenrechte: Abwarten und Nichtstun, auf Gott
vertrauen! Es ist genug Geschwätz in der Welt. Genug, Herr Abgesandter…
Harry PopowDa sprach Stunden später jemand in Rom zur Neujahrsansprache jenes Wort aus, wovor sich "unser" Gauckler und die marktkonforme Großchefin fürchten - Profitmaximierung. Nun also doch: Gotteshilfe, ausgerechnet vom obersten Würdenträger!! Richtig ketzerisch! Einfach toll.
Mittwoch, 19. Dezember 2012
Hans-Dieter Mäde: Fragmente einer Motivation
„Nachricht aus Troja"
Buchtipp von Harry Popow
Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung
Buchtipp von Harry Popow
Wer
tief schürft, wird manches finden. Das betrifft bei Weitem nicht nur die
damaligen Wismutleute im Erzgebirge, die nach der Befreiung 1945 im Interesse
des Weltfriedens nach Uranerz (notwendig für den Bau von A-Bomben in der UdSSR)
suchten und fündig wurden. Das geht wohl jedem Menschen so, der nach Erkenntis
sucht, nach größerem Wissen forscht, sein Leben zurückblickend neue Nuancen
seines Denkens, Fühlens und Tuns abzuklappern gedenkt. Wichtig dabei sei, so
Thomas Mann, „daß man mit dem möglichst geringsten Aufwand von äußerem Leben
das innere in die stärkste Bewegung bringe; denn das innere ist eigentlich der
Gegenstand unseres Interesses.“
Hans-Dieter
Mäde hat das getan. Ein bekannter DDR-Regisseur, geboren 1930 in Krakow,
aufgewachsen in Schwerin, als Generalindendant und Chefdramaturg an
verschiedenen Theatern tätig in der DDR, zuletzt u.a. Regisseur am Maxim Gorki
Theater Berlin und Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme
Potsdam-Babelsberg. (Nach langer schwerer Krankheit 2009 verstorben.)
Was
er in seinem Buch (der Text, entstanden
seit Mitte der 90er Jahre unter Mitarbeit seiner Frau Karin Lesch und seines
Sohnes Michael Mäde, wurde aus dem Nachlaß herausgegeben) „Nachricht aus
Troja“ ans Tageslicht förderte, wird all jene begeistern, die ebenso wie er
nach 1945 nach neuen Wegen suchten, aus dem Dilemma der Kriegs- und
Nachkriegswirren herauszukommen und sich dort einzubringen, wo endlich etwas
Neues entstehen sollte: Und das war zweifellos im Osten Deutschlands der Fall.
Bemerkenswert,
wie Mäde bereits als Jugendlicher seine Lebensbahnen in die Richtung von
Literatur und Theater gerichtet hat und – das ist nicht zu bestreiten – im
neuen gesellschaftlichen Milieu den Nährboden und seine Chancen sah, an der
großen Umwälzung teilzuhaben. Jedoch nicht nur als Nehmender, als inaktiver
Mitarbeiter, sondern als stets Suchender. Eine Position, die ihm wohl Glück in
der Arbeit als auch manche Unbequemlichkeiten mit den Staatenlenkern einbrachte.
So schreibt Mäde auf Seite 169: „ Das von mir für zeitgemäß gehaltene
Losungswort vom Ideal, für das ich Hamlet antreten ließ, ging von diesem
Gorkischen Glaubenssatz aus“, der da lautete, der forschende, suchende Held sei
für ihn unvergleichlich wertvoller als der, der bereits fest in seinem Glauben
steht und sich dadurch „vereinfacht“ habe.
Das
Grundgefühl nach der endlichen Befreiung vom Faschismus, ausgehend von den
Bedürfnissen der Zuschauer, charakterisiert der Autor so: „Das Ideal von einem
vernunftgelenkten Zusammenleben hatte Chance durchzubrechen. Das hieß auch: Wir
stehen erst am Anfang. Jetzt kann es beginnen.“ (S. 164) Mit seinen Nachrichten
aus dem Vergangenen wolle er, Hans-Dieter Mäde, Wege rekonstruieren, die ihn
ans Regiepult führten und Motiven nachspüren, die seine ersten selbständigen
Theaterentscheidungen beeinflußten.
Und
das tut er so umfassend, dass es den Lesern eine reinste Freude sein kann, den
alten Bekannten an Dichtern, Schriftstellern, Schauspielern und Theaterstücken
in diesem Buch wiederzubegegnen, u.a. Goethe, Thomas Mann, Tschechow, Brecht,
Puschkin, Winterstein, Gorki, Ostrowski,
Felsenstein, Shakespeare, Pasternak, Belinski, nicht zu vergessen Ernst Bloch, von
dem sich der Autor in philosophischen Fragen an „die Hand nehmen ließ zu einer
Wanderung durch die ´menschliche Wunschlanschaft´.“
Wer
Ähnliches durchlebt hat, wird verstehen, welch ein Genuß es ist, sich mit
Erkenntnissen – sowohl aus der umgebenden Realität als auch aus denen der
gelesenen Literaturen jene Motivationen herauszusaugen, die einem Mut machten,
immer nach vorne zu sehen, aber auch Kritisches in den Focus zu nehmen. So
nennt Mäde Hamlets Ideale, die er in sein „Motivationsarsenal“ aufgenommen
hatte, ebenso – um nur ein Beispiel zu nennen – sein persönliches
Zusammentreffen mit Walter Felsenstein, dessen Vorstoß auf das Totale, nämlich
das „gesamte Beziehungsgeflecht von Werk – Zeit – Wirklichkeit – Darstellung –
Zuschauer“ neu zu befragen und Antworten vorzuschlagen. Und: Glück sei ohne
Prüfung und Standhaftigkeit nicht zu gewinnen. Felsenstein habe uns mit unseren
Halbheiten und unserem alltäglichen Opportunismus konfrontiert.
Felsenstein
zitierend schreibt der Autor auf Seite 88: „Ich bin ein Fanatiker der Wahrheit,
weil Form ohne Wahrheit Dreck ist.“ Mäde gesteht, den Ensembles, in denen er
arbeitete, oft auf die Nerven gefallen zu sein mit seinen „unermüdlichen
Ermahnungen und Beispielen, wie man sich ideelle Bereicherung“ aus der
Komischen Oper in der Behrenstraße holen könne. „…für das, was ich an der Sache
für das Wesentliche hielt, war ich bereit, mich herumzuprügeln, es war für mich
zu einer Gesinnungs- und Weltanschauungsfrage geworden“, so der Autor.
Schließlich ging es, meint Mäde, um unglaubliche Überanstrengungen im Kalten
Krieg, um keine andere Alternative als um „Wer – Wen?“. Doch mit Widerstand
hatte es, so Mäde, in keiner seiner Lebensphasen zu tun. Er wolle das anmerken
in einer Zeit,, „in der man sich von einer nie geahnten Schar von Regimekritikern
und Reformpolitikern umgeben sieht“. Vermittelt durch Lehrer und Künstler der
unmittelbaren Kriegsgeneration spricht er Klartext: „Die antifaschistische
Position ging als erstes, grundlegendes Element in meine Motivation ein, sie
war eine erworbene, durch Erlebnis und Anschauung gestützte, durch gedankliche
Verarbeitungsanstrengung fundierte Konstante…“
Im
tiefen Schmerz den Untergang „Trojas“, der DDR, bedauernd, kreidet er die
politischen Floskeln an, die „bei der Verdrängung mancher individueller Konflikte
Hilfsdienste leisteten“ (S. 28), die Verdrängung der Generationsfrage als einer
Abart der bürgerlichen Ideologie, die totale Ratlosigkeit der Macht vor den
„Ansprüchen und Affekten der Generation, die den Krieg nicht mehr gesehen und
den gewöhnlichen Kapitalismus nur aus primitiv-vereinfachendem Hörensagen …
kennengelernt hatte“ (S. 110), das Festhalten an der liebgewordenen linearen
Fortschrittsvorstellung (S.121), dass „die sozialistischen Gesellschaften den
Platz nicht auszumachen wußten, den die Lüste, Freuden, Späße und Genüsse in
der dynamisch-hierarchischen Struktur der Antriebe“ einnehmen (S. 275) und
schließlich, dass die „Hypothesen über die Wechselwirkung von veränderten
Lebensumständen und Erziehung“ nicht stand hielten. (S. 276)
Der
Autor Mäde resümiert: Heute regeln sich die Dinge wieder über die Brieftasche.
Ihn erstaune, in welchem Tempo sich die Neue Ordnung – den Kommerz als einzigen
Maßstab zu akzeptieren – durchgriff. (S. 221) Schlimmer noch: Das Ende der
europäischen sozialistischen Staaten habe ein Ende der Gewalt nicht näher
gebracht, „auch keine Zunahme von Güte und Toleranz.“ Die „neue Weltordnung“
ziehe eine frische, mörderische Spur von Blut und Gewalt aus dem vorigen ins
gerade angebrochene Jahrhundert…“ (S. 121)
Dem
Autor Mäde stellt der Rezensent den Schauspieler Eberhard Esche (Deutsches
Theater) zur Seite, der in seinem Buch „Der Hase im Rausch“ zu den neuen
Mißständen u.a. formulierte: „Die Zeitläufe sind so geraten, daß
kleinbürgerliche Seelchen die großstädtischen Theater Europas … beherrschen.“
Es lohne nicht einmal die Polemik gegen diese Vize-Lümpchen, die die Zerstörung
der Theater und damit unserer Kultur betreiben. Er beklage sich nicht, denn er
– Eberhard Esche - hatte das Glück, Maßstäbe zu lernen. So ergänzen sich ein
Regisseur und ein Schauspieler, die beide – und mit ihnen viele Millionen
DDR-Bürger – ihr behütetes Glück lebten. (S. 102)
Gleich
dem Autor Mäde nimmt wohl auch mancher Leser im tiefsten Inneren wahr: Was
jetzt Wirklichkeit ist, hat ferngerückt, mit welchen Absichten wir angetreten
sind. Immer noch liege Gorki dem Autor mit der Frage in den Ohren, die seine
Gestalten mit stoischer Hartnäckigkeit wiederholen: „Und so wollt ihr also
tatsächlich leben?“ (S. 239)
„Nachricht
aus Troja“ ist ein anstrengendes aber lohnenswertes Buch. Es steht dem
Zeitgeist entgegen und ordnet sich gerade deshalb würdevoll in die Reihe der
bereits aus über tausend Bänden bestehenden Erinnerungsliteratur zur
DDR-Geschichte und ihren Erfolgen und Versäumnissen ein.
Diesem
Satz des Autors ist wohl erst recht zuzustimmen: „Die Gründlichkeit, mit der
Troja geschleift wurde, konnte nicht verhindern, daß Nachrichten an die
Späteren kamen von denen, die trotz allem ´Mut schöpften und gute Hoffnung´.
Tief
schürfen - das muß man also erst einmal wollen. Ohne das läuft gar nichts. Ohne
dem bist du ein Anhängsel, ein nur Gläubiger, eine Marionette in den Händen
anderer. Es sei denn, man gibt sich selbstzufrieden mit einem ewigen Taumel
zwischen hoher Sinngebung und Barbarei…
Hans-Dieter
Mäde: „Nachricht aus Troja“, Fragmente einer Motivation, Taschenbuch: 292 Seiten, Verlag: Edition Schwarzdruck; Auflage: 1 (8. März 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3935194498, ISBN-13: 978-3935194495, 24 Euro
Dienstag, 18. Dezember 2012
NEUES von ALEX
Alex ist mein Freund. Reiner Zufall: Habe ihn per
Mausklick im Internet kennengelernt. Etwas älter als ich. Mit einem ganzen Rucksack
voller Erlebnisse und Erfahrungen. Ein einstiger DDR-Bürger, der sein Hirn noch
voll in Gebrauch hat und – das vor allem – das Herz auf dem rechten Fleck. Mit
seinem Einverständnis nehme ich gelegentlich diese oder jene Zeilen, die er mir
per E-Mail sendet, in meinem Blog auf. Warum nicht?
Mail vom 18. Dezember 2012:
Guten Tag lieber Freund, ich habe soeben in Deinem Blog gelesen und bin fasziniert von dieser Rezension. (Er meint die über das Buch „Auf Rehwildjagd mit Jesus“, H.P.) Mann, Du hast was drauf .... Ich gäbe was drum, könnte ich mich so ausdrücken. Aber leider ...
Seit geraumer Zeit sitze ich über einer Niederschrift
eines mich nie mehr loslassenden Ereignisses meines Lebens. Der 19. März 1945.
An diesem Tag haben 436 B-17- Bomber (Fliegende Festung) 1103,4 t Spreng -und
Splitterbomben auf Plauen (i.Vogtland, H.P.) mit Ziel VOMAG (Vogtländische
Maschinen-AG, H.P.) abgeworfen . Da zumeist Wohngebiete betroffen waren, wurde
auch unser Wohnhaus voll getroffen und stürzte ein. Wir wurden verschüttet. Aber
wir überlebten. Im Nachbarhaus 11 Tote. Insgesamt 304 Tote in Plauen an diesem
Tag durch die Bomben. Hinzu kamen noch 20 Tote infolge einer im Hammerkeller (Brauerei
in der Brunnenstrasse) ausgebrochenen Panik. Diese Menschen hatten sich selbst
erdrückt .
Ich habe dieses und andere damit im Zusammenhang
stehende Erlebnisse noch in Erinnerung. Sie haben mich nie losgelassen. Sie blieben
prägend für mein ganzes Leben. Bis in die Gegenwart. Es fällt mir schwer, das
alles niederzuschreiben. Aber ich muß es tun. Nur langsam komme ich voran. Ich
gerate immer wieder an eine Art Barriere im Beschreiben. Kannst Du das
verstehen ?
Machs gut!
Montag, 10. Dezember 2012
Mittwoch, 5. Dezember 2012
"Auf Rehwildjagd mit Jesus"
Meldungen
aus dem amerikanischen Klassenkampf
„Auf
Rehwildjagd mit Jesus“ / Joe Bageant
Buchtipp von
Harry Popow
Das
nenne ich Glück - das Erlebnis des Ensembles Cirque du Soleil (Im Zirkus der
Sonne). Du fühltest dich wie in eine andere Welt versetzt, gleichsam auch
emporgehoben. Wieviel menschliche Leistungsfähigkeit, Akrobatik, Schwung,
anmutige Leichtigkeit, begleitet von einer Musik-Produktion, die sich laut
Programmheft u.a. von den Beatles inspirieren ließ, von herrlichen Farben, von
tollen Lichteffekten. Ein Kunstwerk, was wohl mehr Sehnsucht nach
Menschlichkeit nicht ausstrahlen kann. Das Schöne, die Grösse des Menschen
wirbelte den vor Beifall tobenden Zuschauern entgegen. Im Programmheft steht: „Der
Cirque du Soleil macht sich Gedanken über die Welt von morgen und richtet sein
Engagement vor allem auf den weltweiten Kampf gegen die Armut.“ Das trifft
nicht nur die Amüsier- und Spassstrecke der Zuschauer, sondern gleichermaßen deren
Hirn und Herz, stimmt nachdenklich. Fragt sich, wie weit ist der reale Weg vom
Zirkus zur Welt der Sonne?
Dazu
hat der amerikanische Autor Joe Bageant (1946-2011) etwas zu sagen. In seinem Buch „Auf Rehwildjagd mit Jesus“ beschreibt er
ebenfalls eine Welt – allerdings mit weniger Sonne, eine Welt, die uns in
Europa nicht so fremd sein dürfte. Die Größe des Autors: Er besingt förmlich
die Schönheit des Menschen, seine Sehnsucht nach Erfüllung und Frieden,
abzulesen an den Schicksalen derjenigen, die der Autor in seinen acht Essays
vorstellt, darunter eine Karaoke-Sängerin, eine Putzfrau, ein Vorarbeiter, eine
Hühner-Schlacht-Gehilfin, ein Folter-Girl oder die verarmte Witwe eines
Kurzstrecken-Truckers. Er webt deren Leben ein in die gesellschaftlichen
Umstände, in die Widrigkeiten dieses so gelobten Landes, in die angeblich
„klassenlose Gesellschaft“. Das alles beschreibt er mit einem gekonnten
Schreibstil, mit Liebe, mit Wärme für die Benachteiligten dieser
kapitalistischen Gesellschaft, Spannung inklusive.
Auf
Seite 27 bekennt er: Ich möchte dem Leser „das Leben der amerikanischen
Arbeiter näherbringen, näher, als dies unsere Medien jemals tun würden.“ Sarkastisch
beantwortet er sich die Frage, was ihn berechtigt, sich derart
gesellschaftskritisch zu äußern: „Eigentlich nichts, bis auf die Tatsache, dass
ich der eingeborene Sohn eines Landes von Arbeitern bin, das auf den Hund
gekommen ist.“
Joe
Bageant – einer, der das Schuften und Mühen Auge in Auge mit der Arroganz der
links-liberalen Elite kennengelernt hatte: Als Marinesoldat, Arbeiter,
Journalist, Pferdezüchter, Kneipenwirt, Redakteur, Mitwirkender in Sendungen
des Radio und in Dokumentarfilmen und im Internet.
Gerade
deshalb wird der Autor bissig und wütend, wenn er ganz unbarmherzig die
sozialen Zustände dieses großen Amerika anprangert, aufdeckt, entlarvt. Ja, er
reißt förmlich die Maske herunter von dem angeblich so tollen auf hohem Pferd
sitzenden Amerika. Der oft propagierte „Amerikanische Traum“ bekommt – nicht
erst jetzt – einen gewaltigen Kratzer.
Den
Titel des Buches könnte man nach dem ersten Lesen bereits abwandeln: Mit der
Waffe in der Hand und Jesus im Kopf verteidige ich mein arg geschütteltes
Vaterland. In den acht Kapiteln berichtet der Autor u.a. von den Konsequenzen
der Globalisierung für die Einwohner einer Stadt, von der Abzockerei beim
Erwerb von mobilen Eigenheimen, vom Waffenkult, vom tiefen Glauben an Gott, von
den Verwerfungen im Gesundheitswesen. Und, und und…
Dem
Autor geht es vor allem um das untere Drittel der amerikanischen Gesellschaft,
Menschen, „die sich wie folgt beschreiben lassen: konservativ, politisch
fehlinformiert oder passiv und patriotisch, auch wenn es zu ihrem eigenen
Schaden ist.“ Viele glauben noch an den Amerikanischen Traum, der sich
„ausschließlich über Geld definiert“. (S. 60) Dieser Traum besage auch, „unsere
aus dem Bauch kommenden, uninformierten Meinungsäußerungen seien so etwas wie
ungeschminkte und fundamentale politische Wahrheiten.“ (S. 231) Es fehle die
„Befähigung zum kritischen Denken“, schreibt der Autor auf Seite 287.
Als
ein Mensch, der komplex denken gelernt hat, erwähnt er dabei zunächst auch die „Errungenschaften“
dieses Amerika, z.B.: Cineplex-Kinos, Outlet Stores, dreistöckige Straßen,
extragroße Wegwerf-Bierdosen Hummers, Honda, Game Boys,
Dale-Earnhardt-Gedenk-Dampfkochtöpfe … „die ganze dynamische, blinkende,
digitale Phantasmagonie.“
Arbeitslosigkeit?
Die nationale Mythologie (S. 35) propagiere Amerikaner, die „schrecklich
gesund, gebildet, reich und glücklich sind.“ Der Autor setzt dagegen: Mit mindestens
19 Millionen Arbeitslosen oder arbeitenden Armen unter den Weißen habe man es
zu tun, wobei der gewiß höhere Prozentsatz bei den Schwarzen liege. Die Armen
und die an der Armutsgrenze angesiedelten Arbeiter unter den Weißen bewegen
sich, so der Autor, „analog zu den Schwarzen und Latinos, die in Ghettos ums
Dasein kämpfen, innerhalb einer mit einer Sackgasse vergleichbaren sozialen
Matrix, bei der ein Scheitern vorprogrammiert zu sein scheint.“ (S. 19) Den
Blick auf die Arbeiterklasse richtend, stellt Joe Begeant resignierend fest:
„Die Krise, in der die Arbeiterschaft steckt, ist ebenso schrecklich wie
unspektakulär. Die Passivität der Arbeiterklasse, ihre Abneigung gegenüber
allem, was sie für zu intellektuell halten, und ihre Aggressivität gegenüber
der Welt“ würden sich bereits zu Hause und in der Grundschule bemerkbar machen.
(S. 46)
Die
Folge: „Eine lausige Bildung und ein Leben in der Gladiatoren-Arena einer
Marktwirtschaft, in der jeder gezwungenermaßen gegen jeden kämpft, sind
ungeeignete Voraussetzungen, um Grundeinstellungen wie Optimismus oder
Unvoreingenommenheit zu entwickeln, die den Liberalismus kennzeichnen.“ Ein
solcher Hintergrund, meint der Autor, münde in einer Art von düsterer Grobheit
und emotionaler Verrohung. Sie führe dazu, dass die betroffenen Arbeiter Kriege
des amerikanischen Imperiums hinnehmen, „ohne auch nur mit der Wimper zu
zucken.“ (S. 87) Was Wunder, wenn die mitunter sehr gottgläubigen Menschen darauf
hören, was die radikale christliche Konservative predigen, „dass Frieden
niemals zur ersehnten Wiederkunft Christi führen kann und dass jeder, der sich
um Frieden bemüht, ein Werkzeug Satans ist.“ (S. 186)
Unter
dem Dach des peitschenschwingenden Großunternehmentums (S. 294) entpuppe sich
die viel gepriesene amerikanische Freiheit größtenteils als Fiktion. (S. 295)
Die Kultur basiere auf Fernsehen und Öl. (S. 294) Das Fernsehen entmündige den
amerikanischen Durchschnittsbürger, indem es ihm „die politische und
intellektuelle Sphäre aus den Händen nahm.“ (S. 296)
Ohne
Bildung, meint Joe Bageant, könne sich nichts ändern. Und dann haut er wieder
einen sehr persönlichen Satz rein, der ihn ebenfallls sympathisch macht: „Was
meine Leute wirklich brauchen, ist jemand, der einmal ordentlich auf den Tisch
schlägt und laut und verständlich sagt: ´Hört mal zu, Ihr verdammten
Büffelhörner! Wir sind blöder als ein beschissener Hackklotz und hätten dafür
sorgen sollen, dass man uns was beibringt, damit wir wenigstens ein bisschen
kapieren, was in dieser beschissenen Welt abläuft.´“
Auswege? An
die Linke gewandt mahnt er, echte Bewegungen sollten das Protestpotenzial, das
unter unzufriedenen und enttäuschten Leuten vorhanden ist, für ihre Ziele im
Interesse der Menschen nutzen. (S. 99) Sein persönliches Fazit drückt der Autor
auf Seite 213 so aus: „Ich warte begierig darauf, dass mein Streben nach einer
besseren Gesellschaft endlich Früchte trägt…“
Alles
in Allem: Das Buch ist eine politisch-soziale Fundgrube, auch wenn vieles
bekannt ist. Aber nach dem Lesen dieser gesellschaftskritischen Arbeit ist
einem die amerikanische Seele näher gekommen. Das liegt auch an der sehr
gründlichen Recherche durch den Autor, seinen zahlreichen Konsultationen mit
Freunden und Wissenschaftlern. Fremdwörter, spezifischen Vokabeln aus der
amerikanischen Geschichte, findet man in den Anmerkungen wider.
Amerika in
diesem interessanten und aufschlußreichen Buch - welch ein Erkenntnisgewinn! Dass
der bundesdeutsche Leser manches wiedererkennen wird beim Lesen an Zuständen in
seinem eigenen Land mag durchaus kein Zufall sein. Solch einen Spiegel vor der
Nase möchte man da rufen: „Ach wie gut, dass niemand ahnt, dass wir gar nicht
soweit weg sind vom gelobten Land…“ Cirque du Soleil!! Was heißen soll „Im
Zirkus der Sonne“. Der Weg ist noch weit von diesem herrlichen Zirkus zu einer
Welt der Sonne…
Joe
Bageant: „Auf Rehwilsjagd mit Jesus“, gebundene Ausgabe: 350 Seiten, Verlag: VAT Verlag André Thiele; Auflage: 1 (9. Oktober 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3940884928, ISBN-13: 978-3940884923, Originaltitel: Deer Hunting with Jesus. Dispatches from America's Class War
, Größe und/oder Gewicht: 21,4 x
13,2 x 2,4 cm
Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen Zeitung
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