Buchtipp von Harry Popow
Wer
tief schürft, wird manches finden. Das betrifft bei Weitem nicht nur die
damaligen Wismutleute im Erzgebirge, die nach der Befreiung 1945 im Interesse
des Weltfriedens nach Uranerz (notwendig für den Bau von A-Bomben in der UdSSR)
suchten und fündig wurden. Das geht wohl jedem Menschen so, der nach Erkenntis
sucht, nach größerem Wissen forscht, sein Leben zurückblickend neue Nuancen
seines Denkens, Fühlens und Tuns abzuklappern gedenkt. Wichtig dabei sei, so
Thomas Mann, „daß man mit dem möglichst geringsten Aufwand von äußerem Leben
das innere in die stärkste Bewegung bringe; denn das innere ist eigentlich der
Gegenstand unseres Interesses.“
Hans-Dieter
Mäde hat das getan. Ein bekannter DDR-Regisseur, geboren 1930 in Krakow,
aufgewachsen in Schwerin, als Generalindendant und Chefdramaturg an
verschiedenen Theatern tätig in der DDR, zuletzt u.a. Regisseur am Maxim Gorki
Theater Berlin und Generaldirektor des DEFA-Studios für Spielfilme
Potsdam-Babelsberg. (Nach langer schwerer Krankheit 2009 verstorben.)
Was
er in seinem Buch (der Text, entstanden
seit Mitte der 90er Jahre unter Mitarbeit seiner Frau Karin Lesch und seines
Sohnes Michael Mäde, wurde aus dem Nachlaß herausgegeben) „Nachricht aus
Troja“ ans Tageslicht förderte, wird all jene begeistern, die ebenso wie er
nach 1945 nach neuen Wegen suchten, aus dem Dilemma der Kriegs- und
Nachkriegswirren herauszukommen und sich dort einzubringen, wo endlich etwas
Neues entstehen sollte: Und das war zweifellos im Osten Deutschlands der Fall.
Bemerkenswert,
wie Mäde bereits als Jugendlicher seine Lebensbahnen in die Richtung von
Literatur und Theater gerichtet hat und – das ist nicht zu bestreiten – im
neuen gesellschaftlichen Milieu den Nährboden und seine Chancen sah, an der
großen Umwälzung teilzuhaben. Jedoch nicht nur als Nehmender, als inaktiver
Mitarbeiter, sondern als stets Suchender. Eine Position, die ihm wohl Glück in
der Arbeit als auch manche Unbequemlichkeiten mit den Staatenlenkern einbrachte.
So schreibt Mäde auf Seite 169: „ Das von mir für zeitgemäß gehaltene
Losungswort vom Ideal, für das ich Hamlet antreten ließ, ging von diesem
Gorkischen Glaubenssatz aus“, der da lautete, der forschende, suchende Held sei
für ihn unvergleichlich wertvoller als der, der bereits fest in seinem Glauben
steht und sich dadurch „vereinfacht“ habe.
Das
Grundgefühl nach der endlichen Befreiung vom Faschismus, ausgehend von den
Bedürfnissen der Zuschauer, charakterisiert der Autor so: „Das Ideal von einem
vernunftgelenkten Zusammenleben hatte Chance durchzubrechen. Das hieß auch: Wir
stehen erst am Anfang. Jetzt kann es beginnen.“ (S. 164) Mit seinen Nachrichten
aus dem Vergangenen wolle er, Hans-Dieter Mäde, Wege rekonstruieren, die ihn
ans Regiepult führten und Motiven nachspüren, die seine ersten selbständigen
Theaterentscheidungen beeinflußten.
Und
das tut er so umfassend, dass es den Lesern eine reinste Freude sein kann, den
alten Bekannten an Dichtern, Schriftstellern, Schauspielern und Theaterstücken
in diesem Buch wiederzubegegnen, u.a. Goethe, Thomas Mann, Tschechow, Brecht,
Puschkin, Winterstein, Gorki, Ostrowski,
Felsenstein, Shakespeare, Pasternak, Belinski, nicht zu vergessen Ernst Bloch, von
dem sich der Autor in philosophischen Fragen an „die Hand nehmen ließ zu einer
Wanderung durch die ´menschliche Wunschlanschaft´.“
Wer
Ähnliches durchlebt hat, wird verstehen, welch ein Genuß es ist, sich mit
Erkenntnissen – sowohl aus der umgebenden Realität als auch aus denen der
gelesenen Literaturen jene Motivationen herauszusaugen, die einem Mut machten,
immer nach vorne zu sehen, aber auch Kritisches in den Focus zu nehmen. So
nennt Mäde Hamlets Ideale, die er in sein „Motivationsarsenal“ aufgenommen
hatte, ebenso – um nur ein Beispiel zu nennen – sein persönliches
Zusammentreffen mit Walter Felsenstein, dessen Vorstoß auf das Totale, nämlich
das „gesamte Beziehungsgeflecht von Werk – Zeit – Wirklichkeit – Darstellung –
Zuschauer“ neu zu befragen und Antworten vorzuschlagen. Und: Glück sei ohne
Prüfung und Standhaftigkeit nicht zu gewinnen. Felsenstein habe uns mit unseren
Halbheiten und unserem alltäglichen Opportunismus konfrontiert.
Felsenstein
zitierend schreibt der Autor auf Seite 88: „Ich bin ein Fanatiker der Wahrheit,
weil Form ohne Wahrheit Dreck ist.“ Mäde gesteht, den Ensembles, in denen er
arbeitete, oft auf die Nerven gefallen zu sein mit seinen „unermüdlichen
Ermahnungen und Beispielen, wie man sich ideelle Bereicherung“ aus der
Komischen Oper in der Behrenstraße holen könne. „…für das, was ich an der Sache
für das Wesentliche hielt, war ich bereit, mich herumzuprügeln, es war für mich
zu einer Gesinnungs- und Weltanschauungsfrage geworden“, so der Autor.
Schließlich ging es, meint Mäde, um unglaubliche Überanstrengungen im Kalten
Krieg, um keine andere Alternative als um „Wer – Wen?“. Doch mit Widerstand
hatte es, so Mäde, in keiner seiner Lebensphasen zu tun. Er wolle das anmerken
in einer Zeit,, „in der man sich von einer nie geahnten Schar von Regimekritikern
und Reformpolitikern umgeben sieht“. Vermittelt durch Lehrer und Künstler der
unmittelbaren Kriegsgeneration spricht er Klartext: „Die antifaschistische
Position ging als erstes, grundlegendes Element in meine Motivation ein, sie
war eine erworbene, durch Erlebnis und Anschauung gestützte, durch gedankliche
Verarbeitungsanstrengung fundierte Konstante…“
Im
tiefen Schmerz den Untergang „Trojas“, der DDR, bedauernd, kreidet er die
politischen Floskeln an, die „bei der Verdrängung mancher individueller Konflikte
Hilfsdienste leisteten“ (S. 28), die Verdrängung der Generationsfrage als einer
Abart der bürgerlichen Ideologie, die totale Ratlosigkeit der Macht vor den
„Ansprüchen und Affekten der Generation, die den Krieg nicht mehr gesehen und
den gewöhnlichen Kapitalismus nur aus primitiv-vereinfachendem Hörensagen …
kennengelernt hatte“ (S. 110), das Festhalten an der liebgewordenen linearen
Fortschrittsvorstellung (S.121), dass „die sozialistischen Gesellschaften den
Platz nicht auszumachen wußten, den die Lüste, Freuden, Späße und Genüsse in
der dynamisch-hierarchischen Struktur der Antriebe“ einnehmen (S. 275) und
schließlich, dass die „Hypothesen über die Wechselwirkung von veränderten
Lebensumständen und Erziehung“ nicht stand hielten. (S. 276)
Der
Autor Mäde resümiert: Heute regeln sich die Dinge wieder über die Brieftasche.
Ihn erstaune, in welchem Tempo sich die Neue Ordnung – den Kommerz als einzigen
Maßstab zu akzeptieren – durchgriff. (S. 221) Schlimmer noch: Das Ende der
europäischen sozialistischen Staaten habe ein Ende der Gewalt nicht näher
gebracht, „auch keine Zunahme von Güte und Toleranz.“ Die „neue Weltordnung“
ziehe eine frische, mörderische Spur von Blut und Gewalt aus dem vorigen ins
gerade angebrochene Jahrhundert…“ (S. 121)
Dem
Autor Mäde stellt der Rezensent den Schauspieler Eberhard Esche (Deutsches
Theater) zur Seite, der in seinem Buch „Der Hase im Rausch“ zu den neuen
Mißständen u.a. formulierte: „Die Zeitläufe sind so geraten, daß
kleinbürgerliche Seelchen die großstädtischen Theater Europas … beherrschen.“
Es lohne nicht einmal die Polemik gegen diese Vize-Lümpchen, die die Zerstörung
der Theater und damit unserer Kultur betreiben. Er beklage sich nicht, denn er
– Eberhard Esche - hatte das Glück, Maßstäbe zu lernen. So ergänzen sich ein
Regisseur und ein Schauspieler, die beide – und mit ihnen viele Millionen
DDR-Bürger – ihr behütetes Glück lebten. (S. 102)
Gleich
dem Autor Mäde nimmt wohl auch mancher Leser im tiefsten Inneren wahr: Was
jetzt Wirklichkeit ist, hat ferngerückt, mit welchen Absichten wir angetreten
sind. Immer noch liege Gorki dem Autor mit der Frage in den Ohren, die seine
Gestalten mit stoischer Hartnäckigkeit wiederholen: „Und so wollt ihr also
tatsächlich leben?“ (S. 239)
„Nachricht
aus Troja“ ist ein anstrengendes aber lohnenswertes Buch. Es steht dem
Zeitgeist entgegen und ordnet sich gerade deshalb würdevoll in die Reihe der
bereits aus über tausend Bänden bestehenden Erinnerungsliteratur zur
DDR-Geschichte und ihren Erfolgen und Versäumnissen ein.
Diesem
Satz des Autors ist wohl erst recht zuzustimmen: „Die Gründlichkeit, mit der
Troja geschleift wurde, konnte nicht verhindern, daß Nachrichten an die
Späteren kamen von denen, die trotz allem ´Mut schöpften und gute Hoffnung´.
Tief
schürfen - das muß man also erst einmal wollen. Ohne das läuft gar nichts. Ohne
dem bist du ein Anhängsel, ein nur Gläubiger, eine Marionette in den Händen
anderer. Es sei denn, man gibt sich selbstzufrieden mit einem ewigen Taumel
zwischen hoher Sinngebung und Barbarei…
Hans-Dieter
Mäde: „Nachricht aus Troja“, Fragmente einer Motivation, Taschenbuch: 292 Seiten, Verlag: Edition Schwarzdruck; Auflage: 1 (8. März 2012), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3935194498, ISBN-13: 978-3935194495, 24 Euro
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