Dienstag, 29. Oktober 2019

AHNUNG VOM REGIEREN - von Arnold Schölzel



Ahnung vom Regieren


Landtagswahl in Thüringen


Von Arnold Schölzel

Er trete im Wahlkampf für die Dreierkoalition aus Linke, SPD und Grünen an, die seit 2014 Thüringen regiere, verkündete Bodo Ramelow. Die wohlwollende Berichterstattung über ihn in Spiegel, FAZ und anderen westdeutschen überregionalen Medien vorm Wahltag war so auch stets verbunden mit Beifall dafür, dass er zu seiner Partei auf Distanz gegangen war. Debatten um Enteignung von Wohnungskonzernen wie in Berlin bezeichnete er dem Spiegel gegenüber als »überflüssig«, der auf Regierungsbeteiligung erpichten Parteiführung bescheinigte er, »vom Regieren hätten die keine Ahnung«. Die Kovositzende Katja Kipping hatte das in die Losung »Bodo Ramelow oder Barbarei« gepackt. Die Wahlwerbung des Kandidaten kam ohne Linke-Schriftzug aus.

Gemessen am Ziel, die bisherige Regierungsmehrheit zu halten oder auszubauen, ist das Vorhaben gescheitert. Dies und der Abstand zur eigenen Partei relativieren die 31 Prozent der abgegebenen Stimmen, die der Linkspartei gutgeschrieben werden. Sie sind für den »Landesvater« gedacht. Diesen in der BRD-Geschichte öfter auftauchenden Typus eines Regionalmonarchen bedient Ramelow gegenwärtig neben dem Grünen Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg wie kaum ein anderer. Insofern sollten sich die sogenannten Reformer in der Partei Die Linke nicht zu früh freuen. Diese Art von Regierungsführung setzt auf Loslösung nicht nur von der eigenen Partei, sondern überhaupt vom Anschein eines politischen Prinzips. Es gilt die Devise, zu allem bereit zu sein, was das angebliche Interesse des Staats verlangt, die Bevölkerung interessiert nur zur Stimmenbeschaffung. Bei dieser Wahl kommen taktisch vergebene Stimmen von SPD-, Grünen- und CDU-Anhängern hinzu, um die AfD kleinzuhalten.

Die erreichte mit einem faschistischen Demagogen an der Spitze ein weiteres Rekordresultat. Die Ramelow-Regierung ist dafür nicht verantwortlich, zu fragen ist aber, was aus dem beschriebenen politischen Selbstverständnis an Begünstigendem folgt. Ein klar antikapitalistischer Antifaschismus jedenfalls nicht. Selbstverständlich ist es nicht möglich, Menschen, die an Nichtexistentes glauben, wie z. B. an Björn Höckes »Volkstod« und die dessen »Abschiebeinitiative 2020« einschließlich »wohltemperierter Grausamkeiten« zustimmen, durch Argumente zu beeinflussen. Hinzu kommt: Höckes Redeweise ist hierzulande Gewohnheit. Er ergänzt die CDU- und CSU-Diktion lediglich mit pseudosozialistischen Floskeln, etwa wenn er die »Ursachen von Extremismus« auf »soziale und ökonomische Ursachen« zurückführt. Der »Extremismus«-Begriff, mit dem nur Linke gemeint sind, wurde 1990 in die DDR importiert, in Thüringen mit besonders verheerenden Folgen – siehe den Aufbau von »Thüringer Heimatschutz« und NSU durch das von einem extrem rechten Westdeutschen geleitete Landesamt für Verfassungsschutz.

In solchen Verhältnissen fühlen sich Faschisten wohl und werden täglich bestärkt. Das Märchen von Flüchtlingen, die in riesiger Zahl den gebeutelten Freistaat heimsuchen, wird z. B. vom Regionalsender MDR gepflegt. Wer diese CSU-Ausgründung von 1990 im Lande hat, braucht keine AfD mehr. Wie der aktuelle Spiegel berichtet, fällt die Rechtslastigkeit des Musikantenstadldauerfunks selbst innerhalb der ARD auf: Welch Überraschung nach drei Jahrzehnten. Da wächst, was gesät wurde: Die ausgelagerte Rechtsfraktion aus CDU und CSU hat in Björn Höcke einen passenden neuen Repräsentanten gefunden.

Wer aber, wie die Dreierkoalition Ramelows das nochmalige Totschlagen der DDR als »Unrechtsstaat« zur Regierungsdoktrin gemacht hat, wer kurz vor diesen Landtagswahlen öffentlichkeitswirksam 600.000 Euro für die Erforschung der »Christenverfolgung in der DDR« lockermachen kann (bei einem Landesetat 2019 von 10,6 Milliarden Euro), der unterscheidet sich in seiner Ausgrenzerei wenig von den Helden der »Extremismus«-Schnüffelei und dem Höcke-Wahn. Er setzt vielmehr auf jene Spaltung, die aus dem antikommunistischen Hetzbegriff »Unrechtsstaat« folgt: Haben DDR-Bürger überhaupt eine rechtlich gültige Geburtsurkunde geschweige denn sonst irgendetwas Vorzeigbares? Der Unterschied zur AfD-Hasspredigt z. B. gegen Migranten liegt darin, dass es beim »Unrechtsstaat« um staatliches Handeln geht.

Wer so regiert, benötigt keine Partei, die sich Die Linke nennt. Der wird um jeden Preis weitermachen, ob in Koalition oder in einer Minderheitsregierung. Auch wenn die Wahlbeteiligung am 27. Oktober auf 65 Prozent gestiegen ist, heißt das: 35 Prozent erwarten nichts mehr und nach allem, was Wahlforscher sagen, auch ein großer Teil derjenigen, die ihre Stimme der AfD gegeben haben. Das sind zusammen vermutlich mehr als 50 Prozent der Wähler. Die soziale Realität im Hintergrund sieht so aus: Drei von vier Regionen Thüringens gelten als abgehängt oder abgerutscht und schrumpfen; die Einkommen im Land sind besonders niedrig; der Ausfall von Millionen Schulstunden war der Landesregierung offenbar weniger wichtig als das Senken der Landesverschuldung um eine Milliarde Euro zugunsten von Banken und Kapital; der öffentliche Personennahverkehr kennt nur Streichungen. In Ostthüringen, einer besonders gebeutelten Region, kommt die AfD zum Teil auf mehr als 30 Prozent. Die Leute wissen, dass sich für sie nichts ändert. Ramelow hat schließlich Ahnung vom Regieren.

 
 
 



Samstag, 26. Oktober 2019

EIN PLUS FÜR RUSSISCHE DIPLOMATIE - Rainer Rupp



Gezeitenwechsel im Mittleren Osten


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 26. OKTOBER 2019


von Rainer Rupp – https://kenfm.de

Mit allen reden, statt zu schießen. Sich streng an das Völkerrecht halten und wenn nötig mit unendlicher Geduld diplomatische Lösungen suchen, die für alle Beteiligten akzeptabel sind. Das zeichnet die russische Diplomatie unter der Führung des außerordentlichen Außenministers Sergeij Lawrow aus. Zusammen mit Präsident Wladimir Putin bilden die beiden ein unschlagbares Team. Auf Grund ihrer Erfolge hat Russland in der Krisenregion Mittlerer Osten inzwischen bei Freunden aber auch vor allem bei einstigen Gegnern höchste Anerkennung und Respekt gewonnen. Davon zeugt u.a. der Besuch des russischen Präsidenten Anfang letzter Woche (14.10.19) in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Beide Länder sind traditionelle US-Verbündete, die bisher Russland abgelehnt haben.

Zugleich musste die Fraktion der Kriegstreiber aus dem Washingtoner Club der Möchtegern-Weltherrscher dieser Entwicklung ohnmächtig aber wutschnaubend aus dem Abseits zusehen. Angesichts der neuen geopolitischen Realitäten und neuer militär-technischer Kapazitäten, egal ob am Golf von Persien oder in Syrien, hat das einzige „diplomatische“ Instrument, das die amerikanischen Kriegstreiber kennen, nämlich Drohungen mit Bomben und Raketen, weitgehend an Wirkung verloren.
Obwohl Russland mit allen redet, betreibt es alles andere als eine skrupellos opportunistische Politik, die stets nur auf den eigenen Vorteil gerichtet ist.

So hat z.B. Moskau trotz seiner guten Beziehungen zu Israel stets dessen Luftangriffe auf syrisches Staatsgebiet verurteilt und zur Zurückhaltung gemahnt. Russland hat auch Saudi-Arabien und andere arabische Golfstaaten wegen ihres Krieges im Jemen und ihren Drohungen gegenüber dem Iran scharf verurteilt. Letztlich ist die russische Außenpolitik prinzipientreu und hält sich konsequent ans Völkerrecht. Gegenüber Nationen, mit denen Russland historisch verbunden ist, wie z.B. Syrien bleibt es seinen strategischen Verpflichtungen treu.

Russlands pragmatische Politik des „Redens mit allen“ sorgt für gute Beziehungen zu einer Vielzahl von Staaten, obwohl mehrere dieser Staaten entweder voneinander entfremdet oder bitter verfeindet sind. So wurde Putin von den sunnitischen Potentaten in Riad und Abu Dhabi höchst freundlich empfangen. Das obwohl Russland sein enges Bündnis mit dem saudischen „Todfeind“, dem schiitischen Iran ausbaut, und obwohl Russland ein verlässlicher Verbündeter der syrischen Regierung ist, für deren Sturz auch die Saudis bisher viel Geld ausgegeben haben.

Nur vor diesem Hintergrund ist zu verstehen, was nach dem überraschenden Abzug der US-Militäreinheiten aus den syrischen Kurdengebieten passiert ist. Was eigentlich unmöglich erschien, nämlich eine erfolgreiche Vermittlung zwischen den bis aufs Blut verfeindeten türkischen und syrischen Regierungen und zugleich die mit Erdogan und Assad verfeindete Kurdenführung mit ins Boot zu holen, das ist der russischen Diplomatie mit Bravour gelungen. Zugleich wurde Russland als Garantiemacht für die Einhaltung des Abkommens von allen Seiten anerkannt. Dazu gehört ein enormes Vertrauen in die Integrität der russischen Politik und in das Durchsetzungsvermögen ihrer Hauptakteure Putin und Lawrow.

Demgegenüber scheint das Prestige der USA, das schon seit etlichen Jahren im Sinkflug ist, jetzt in die Phase des freien Falls übergegangen zu sein. Zu einem großen Teil sind dafür die „bürgerkriegsartigen“ Zustände im US-Kongress zwischen Demokraten und Republikanern verantwortlich, wobei die hoch emotionale Hatz der Demokraten gegen Trump die Stimmung noch weiter anheizt. Damit ist in den letzten Jahren eine vernünftige US-Politik zunehmend unmöglich geworden. Und um das Ganze auf die Spitze zu treiben, seit seinem Befehl zum Syrienabzug wird Trump Parteiübergreifend vom Establishment der US-Kriegstreiber des Verrats am „außenpolitischen Konsens“ der USA beschuldigt. — Wenn man diesen Vorwurf zu Ende denkt, dann bedeutet das, dass der „US-außenpolitische Konsens“ aus nichts anderem als den endlosen Kriegen der neo-liberalen Globalisten besteht, mit denen sie die Welt unter die US-amerikanische Knute zwingen wollen.

Aber Trumps erklärte Politik, die bereits sein Wahlkampfversprechen war, ist gerade dieses „die dummen, endlosen Kriege“ welche die USA seit Jahrzehnten rund um die Welt führt, endlich zu beenden. Bei früheren Versuchen, diese Politik umzusetzen ist er stets vom Pentagon, CIA und seinem eigenen Stab im Weißen Haus unterlaufen worden. Schon im April 2018 hatte er den Abzug aus Syrien befohlen, nur um von seinen Leuten gesagt zu bekommen, dass dieses aus allen möglichen Gründen, die z.B. die gefährdete Sicherheit der US-Soldaten gefährden würden, nicht möglich sei.

Spätestens nachdem Trump vor 18 Monaten auf diese Weise eindeutig seine Präferenzen für die US-Politik im Nahen Osten deutlich gemacht hatte, wäre es für seinen Stab im Weißen Haus und für die Ministerien an der Zeit gewesen, einen Plan für den geordneten militärischen und politischen Abzug der USA aus Syrien auszuarbeiten, einen Plan der in Wort und Geist den Forderungen des Präsidenten entspricht. Nichts dergleichen geschah. Stattdessen wurde Trump von seinen eigenen Leuten wie ein dummes Kind behandelt.

Aber Trumps Bemerkungen und Verhalten war zu entnehmen, dass ihm mit der Zeit durchaus bewusst wurde, dass seine eigenen Leute hinter seinem Rücken gegen ihn arbeiteten. Je länger das andauerte, desto wahrscheinlicher wurde es, dass Trump bei einer nächsten Gelegenheit den Befehl zum sofortigen Rückzug geben würde, was folgerichtig in einen politischen Chaos in Washington enden würde. Genau das ist nun geschehen und das Establishment macht – wie nicht anders zu erwarten – Trump für das Chaos verantwortlich.

Das auslösende Moment war, dass direkt zum Beginn der türkischen Offensive unweit eines US-Basislagers im Kurdengebiet eine türkische Artilleriegranate explodierte. Als Trump davon erfuhr gab er den sofortigen Befehl zum US-Rückzug, nicht nur aus den Kurdengebieten, sondern aus ganz Syrien, in das die US-Armee schon vor seiner Amtszeit völkerrechtswidrig eingedrungen war. Der Aufschrei der Kriegspartei in Washington über den Schaden, den Trump der US-Glaubwürdigkeit zugefügt habe, war riesig. Dennoch dürfte Trump mit seinem Verweis, dass er mit seinem Abzugsbefehl US-Kriegsopfer in Syrien verhindert hat, und dass die USA nicht länger in weit entfernten Ländern für andere Regierungen Kriege führen sollten, nicht nur bei der kriegsmüden US-Bevölkerung gut angekommen sein, sondern auch bei den US-Soldaten, bei denen er hoch im Kurs steht.

Wie in einer Echokammer stimmten auch die Kriegstreiber in Europa, insbesondere in Berlin in das Washingtoner Wehklagen über Trump ein, der Erdogan ermächtigt habe, die Kurden zu massakrieren. Aber weder in den USA noch im Mittleren Osten, noch in Sotschi, wo Erdogan und Putin am Dienstag Nägel mit Köpfen gemacht haben, um eine friedliche Lösung durchzusetzen, war man daran interessiert, die aufgeplusterten deutschen Politiker, die unbedingt globale Verantwortung übernehmen wollen, zur Kenntnis zu nehmen.

Geradezu verzweifelt mutete der unbedachte Vorstoß der deutschen Verteidigungsministerin A.K. Knarrenbauer an, Bundeswehrsoldaten in die Krisenzone zwischen türkischem und syrischem Militär in das Grenzgebiet zu schicken, nur um die Russen von dort fern zu halten. Dieser Versuch, Aufmerksamkeit zu erregen, war so lächerlich inkompetent, dass sich jede weitere Kommentierung erübrigt. Zumal – dieser Zug war schon längst abgefahren, wie das Abkommen zwischen Russland und der Türkei zeigt, das am 22. Oktober 2019 in der russischen Schwarzmeerstadt Sotschi vom türkischen Staatschef Erdogan und Putin unterzeichnet wurde. Hiernach folgt die deutsche Übersetzung aus dem Russischen der 10 Punkte der Einigung von Putin und Erdogan über Syrien im Wortlaut:

Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, und der Präsident der Türkischen Republik, Recep Tayyip Erdogan, haben sich auf folgendes geeinigt:

1. Beide Seiten bekräftigen ihr Engagement für die Wahrung der politischen Einheit und territorialen Integrität Syriens, sowie für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit der Türkei. (Anm. des Autors: Damit hat die Türkei anerkannt, dass ein Separatstaat oder eine Abtrennung von syrischen Gebieten ausgeschlossen sind.)
2. Sie unterstreichen ihre Entschlossenheit, den Terrorismus in allen Erscheinungsformen zu bekämpfen und separatistischen Bestrebungen auf syrischem Territorium entgegenzutreten. (Anm. des Autors: Unter „Terrorismus in allen Erscheinungsformen“ fallen gegebenenfalls auch kurdische Gruppierungen. Allerdings würden damit auch die al-Kaida nahen Free Syrian Army FSA Gruppen, die bisher von den Türken gehätschelt wurden, unter diese Rubrik fallen.)
3. In diesem Zusammenhang wird der Status Quo auf dem derzeitigen Gebiet der Operation Friedensquelle zwischen Tel Abyad und Ras Al Ain auf einer Tiefe von 32 Kilometern beibehalten.
4. Beide Seiten bekräftigen die Bedeutung des Abkommens von Adana und die Russische Föderation wird die Umsetzung des Abkommens von Adana unter den gegenwärtigen Umständen fördern. (Anm.: Im Abkommen von Adana hatte sich Syrien 1998 verpflichtet, die Unterstützung der PKK aus Syrien zu unterbinden. Zugleich war türkischen Sicherheitskräften das Recht eingeräumt worden, bei „“Gefahr in Verzug“ bis zu einer Tiefe von 5 Km in syrisches Gebiet einzudringen. Diese Zusage an die Türkei wird hier also erneuert.)
5. Ab dem 23. Oktober 2019 um 12.00 Uhr werden Einheiten der russischen Militärpolizei und des syrischen Grenzschutzes auf der syrischen Seite der syrisch-türkischen Grenze außerhalb des Einsatzgebietes der Operation Friedensquelle eingesetzt. Sie werden den Abzug der kurdischen Einheiten und ihrer Waffen auf eine Linie 30 km von der syrisch-türkischen Grenze aus unterstützen, der ab dem 23. Oktober 2019 um 12.00 Uhr innerhalb von 150 Stunden abgeschlossen werden soll. Ab dem Moment beginnen auf einer Tiefe von 10 km von der Grenze im Westen und Osten des Einsatzgebiets der Operation Friedensquelle gemeinsame russisch-türkische Patrouillen, mit Ausnahme der Stadt Kamishli.
6. Alle kurdischen Einheiten und ihre Waffen werden aus Manbij und Tal Rifat abgezogen.
7. Beide Seiten werden die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Unterwanderung durch terroristische Elemente zu verhindern.
8. Es werden gemeinsame Anstrengungen unternommen, um die sichere und freiwillige Rückkehr von Flüchtlingen zu erleichtern. (Also keine türkische Zwangsansiedlung von syrisch-arabischen Flüchtlingen im Kurdengebiet.)
9. Es wird ein gemeinsamer Überwachungs- und Überprüfungsmechanismus eingerichtet, um die Umsetzung dieses Memorandums zu überprüfen und zu koordinieren.
10. Beide Seiten werden weiterhin daran arbeiten, im Rahmen des Astana-Mechanismus eine politische Lösung für den Syrien-Konflikt zu finden und die Aktivitäten des Verfassungsausschusses unterstützen. (Anm.: Im so genannten „Astana-Format“ arbeiten Russland, die Türkei und der Iran an der Lösung des Syrien-Konfliktes)
(Übersetzt aus dem Russischen von Thomas Röper im Anti-Spiegel vom Mittwoch):
Wenn dieses Abkommen hält, dann wird es als diplomatische Meisterleistung ohnegleichen in die ganze Welt ausstrahlen und Russlands Ansehen noch weiter stärken.



Aber auch Trump verdient Anerkennung. Auch wenn nicht wenige Leser Trump als Persönlichkeit nicht mögen oder gar verachten, so sprechen doch die Ergebnisse für sich selbst. In weniger als einer Woche haben zwei der Hauptkriegsteilnehmer (Russland und die Türkei), wobei Russland in Abstimmung mit der Führung Syriens verhandelt hat), einen historischen Deal abgeschlossen, der die eiternde Wunde an der syrisch-kurdischen Grenze heilen und den Weg für ein Ende des Krieges ebnen könnte. Sonst hätte es solange keinen Frieden in Syrien gegeben, wie die USA das Gebiet östlich des Euphrats besetzten gehalten hätten.

Diese entscheidende Änderung der US-Politik in Richtung Frieden in Syrien ist allein durch Trump zustande gekommen. Egal wie man die Persönlichkeit Trumps beurteilt, das ist eine große Leistung, wofür Trump auch Anerkennung verdient.
Er hat sich gegen seine Administration durchgesetzt und mit seinem Befehl zum Abzug aus Syrien die völkerrechtswidrige Besetzung von Teilen Syriens beendet. Das war die Voraussetzung, um auf dem Fundament der diplomatischen Vorbereitungen der Russen eine win-win-win-win-win Situation für die fünf beteiligten Kriegs-Parteien zu schaffen: Erdogan konnte an der türkischen Grenze einen unabhängigen Kurdenstaat mit Verbindungen zur PKK verhindern. Trump konnte ein weiteres seiner Wahlversprechen halten, nämlich US-Truppen von endlosen Auslandseinsätzen nach Hause zu holen. Syrien erlangte wieder die territoriale Kontrolle über den Nordosten und die wichtigen wirtschaftlichen Ressourcen dieses Gebiets zurück. Russland festigte sein globales Ansehen und erlangte zusätzlichen Einfluss im Nahen Osten.

Allerdings hat die fünfte „Win-Situation“, nämlich die der Kurden einige Wermutstropfen. Wenn sich die Kurden jedoch mit dem Status einer Teilautonomie zufrieden geben, können sie in Zukunft wieder als Teil der syrischen Republik einer friedlichen Zukunft entgegen sehen. Aber viele Kurden, vor allem die im sicheren Ausland lebende Kurden aus Nordost-Syrien und ihre zumeist linken Freunde sehen das nicht so. Ihr kurzer Traum von einer unabhängigen, sozialistischen, kurdischen Volksdemokratie in der nordost-syrischen Rojava Region, war jedoch zu schön, um wahr zu sein. Denn diese „Kurdische Volksrepublik“ sollte mit vom syrischen Staat gestohlenen Öl-Quellen finanziert werden, welche die Kurden mit amerikanischer Hilfe in syrisch-arabischen Gebieten erobert hatten. Zugleich wäre die Existenz dieser „Kurdischen Volksrepublik“ vollkommen von der permanenten Anwesenheit von US-Truppen abhängig gewesen, um dieses „sozialistische Gebilde“ zu verteidigen, sowohl gegen alle Versuche der legitimen Assad-Regierung, ihre Ölquellen und verlorenes Territorium zurück zu gewinnen, als auch gegen türkische Einfälle um die Unterstützung der PKK zu unterbinden.

Auf dieser wahnsinnigen Konstruktion haben die kurdische Führung und ihre linken Freunde im Ausland ihre Hoffnungen und Erwartungen gebaut. Dass dies auf Dauer nicht gut gehen konnte, war von Anfang an klar. Aber jetzt stimmen sie allein in das Verrat-Geschrei der westlichen Kriegstreiber in der NATO und in Washington ein. Und vor allem für Rojava-Unterstützer im Ausland ist nicht nur Trump der Verräter, sondern in wütenden Rundumschlägen geben sie jetzt auch den Russen die Schuld für das Ende ihrer Träumereien.

Kurioserweise werfen Westlinke in ihrer stark verklärten Sicht auf Rojava den Russen wegen des Sotschi-Abkommens mit der Türkei sogar Völkerrechtsbruch vor, was das Abkommen (siehe den Wortlaut des Textes oben) absolut nicht hergibt. Dennoch titelte z.B. die linke Schweizer Webseite „Info-Sperber“ am 24. Okt 2019: „Syriens Schicksal ist besiegelt“, mit Untertitel: „Nach Donald Trump segnet auch Wladimir Putin die türkische Invasion in Syrien ab – und verletzt ebenso grob das Völkerrecht“



Laut Kreml-Sprecher Dimitri Peskow werden die Russen die Kurden zu nichts zwingen. Falls sich die kurdischen Formationen nicht gemäß der Sotschi-Vereinbarung mit ihren Waffen zurückziehen, dann werden sich stattdessen „die Grenztruppen der syrischen Regierung und die russische Militärpolizei zurückziehen“, sagte der Kremlsprecher am vergangenen Mittwoch. Peskow zufolge würden dann die zurück gebliebenen Kurden-Einheiten von der türkischen Armee plattgewalzt.





Freitag, 25. Oktober 2019

Nächtliche Pflichtlektüre - von ALEX


ALEX, Mitautor von „EISZEITBLÜTEN“, zur Rede von Egon Krenz:

 Diese Rede von Egon Krenz in Gottes Ohr. Sie müsste man den ewigen DDR-Verleumdern jeden Abend vor´m Einschlafen als Pflichtlektüre an die Zimmerdecke über ihrem Bett hängen. Erst wenn total gelesen, ließe sich die Schlafzimmerbeleuchtung löschen. Sie dürften dann langsam in einen von Albträumen erfüllten Schlaf fallen. Und das solange, bis es morgens dämmert . Das wäre´ne Wucht!!“ 

Montag, 21. Oktober 2019

EGON KRENZ zum DDR-ERBE


Nicht das DDR-Erbe, sondern Nazis und Neonazis sind eine Gefahr für Deutschland

(Rede von Egon Krenz auf der Erinnerungsveranstaltung des DDR-Kabinetts Bochum zum 70. Jahrestag der Gründung der DDR am 12. Oktober 2019 in Berlin )

Liebe Freunde, 

lieber Vertreter der Botschaft der Russischen Föderation, über Ihre Teilnahme an dieser Veranstaltung freue ich mich besonders. Vierzig Jahre DDR wären ohne die Sowjetunion undenkbar gewesen. Übermitteln Sie bitte Präsident Putin, dass die heute hier Versammelten und mit ihnen Millionen Ostdeutsche nie vergessen, dass 27 Millionen Sowjetbürger ihr Leben auch für unsere Freiheit und die Freiheit Europas vom Faschismus gegeben haben.

Liebe Anwesende, 

es gibt ein wunderbares Kinderlied, das wohl jeden DDR-Bürger begleitete. Von frühester Kindheit bis zum Lebensende. Erinnert sei an jene Augenblicke, als der gut in der DDR integrierte Kanadier Perry Friedmann mit seinem Banjo auf der Bühne stand und leise anstimmte: „Kleine weiße Friedenstaube, fliege übers Land“, und endete mit der Aufforderung: Kleine weiße Friedenstaube, komm recht bald zurück“.

Sie kam nicht mehr zurück, die Friedenstaube. Das Lied ward nur noch selten gesungen seit es die DDR nicht mehr gibt. Und sie mochte wohl auch nicht zurück kommen in ein deutsches Land, das wieder Kriege führt, erst in Jugoslawien, dann in Afghanistan und in weiteren Kampfeinsätzen mit mehr als 100 gefallenen deutschen Soldaten.

In 40 DDR-Jahren hat nicht ein Soldat der Nationalen Volksarmee fremden Boden zu Kampfeinsätzen betreten. Undenkbar auch, dass ein Oberst der Nationalen Volksarmee wie jener der Bundeswehr in Afghanistan einen Befehl hätte geben können, in dessen Folge allein in einer Nacht mehr als 150 Zivilisten getötet wurden und der dennoch zum General der Bundeswehr befördert wurde.

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ Dieser Schwur von Buchenwald war das Fundament, auf dem die Deutsche Demokratische Republik am 7. Oktober 1949 gegründet wurde. Niemand kann die Wahrheit aus der Welt schaffen: Die DDR ist in der langen deutschen Geschichte der einzige Staat, der nie einen Krieg geführt hat. Allein das rechtfertigt, sich ihrer mit größtem Respekt zu erinnern.

Dazu haben wir uns hier und heute verabredet. Auch wenn Soldschreiber das verhindern wollten. Wir - das sind sehr unterschiedliche Menschen, die sich ihr gelebtes Leben nicht von jenen erklären lassen möchten, die schon immer 3 Schwierigkeiten mit der Wahrheit hatten oder die hier nie zu Hause waren – wir erinnern uns nicht als Nostalgiker, auch nicht als „Osttalgiker“, einem Modewort, das nur benutzt wird, um unsere Erinnerung und Besinnung an Werte der DDR zu denunzieren.

Wir sind auch keine Ignoranten, die nicht sehen wollen, dass auch seit 1990 viel geleistet wurde. Wir glorifizieren die DDR nicht. Nein, wir sind wache Zeitgenossen, die Erfahrungen in zwei gesellschaftlichen Systemen haben und dadurch gut vergleichen können, was die DDR wirklich war und was ihr blinde Wut an Schlechtem andichtet. Unter dem Strich war die DDR nach der Wiederbelebung kapitalistischer Verhältnisse in Westdeutschland und dem Aufstehen alter Nazis die einzig vernünftige Alternative zu einem Deutschland, das für zwei Weltkriege und die grausame faschistische Diktatur verantwortlich war.

Zu ihrem Gründungsmotiv gehörte auch die deutsche Einheit. Es hätte die DDR nie gegeben, wenn nicht zuvor der Separatstaat Bundesrepublik geschaffen worden wäre. „Dass ein gutes Deutschland blühe, wie ein andres gutes Land“, hatte sich Bert Brecht gewünscht. Und Bechers Text „Deutschland, einig Vaterland“ war der beste Gegenentwurf zu „Deutschland, Deutschland über alles.“

Dass es damals nicht zu einem einheitlichen Deutschland kam, liegt nicht nur, aber wesentlich an der alten Bundesrepublik. Als ihr 4 Grundgesetz vorbereitet wurde, verkündete einer seiner Väter, „alles deutsche Gebiet außerhalb der Bundesrepublik ist als Irredenta“1 , also als Gebiet unter Fremdherrschaft anzusehen, „deren Heimholung mit allen Mitteln zu betreiben wäre." Und: Wer sich dem nicht unterwerfe, hieß es, sei „als Hochverräter zu behandeln und zu verfolgen"2 .

Das Szenario also für den Umgang des westdeutschen Staates mit den Ostdeutschen stammt schon aus einer Zeit, als die DDR noch gar nicht existierte, als sie all die Untaten, die man ihr heute zuschreibt, noch gar nicht vollbracht haben konnte. Die Geburtsurkunde des Hasses auf die DDR war und bleibt der Antikommunismus, den Thomas Mann schon im vergangenen Jahrhundert eine Grundtorheit genannt hatte. Es war Konrad Adenauer, der erklärte: „Was östlich von Werra und Elbe liegt, sind Deutschlands unerlöste Provinzen. Daher heißt die Aufgabe nicht Wiedervereinigung, sondern Befreiung.

Das Wort Wiedervereinigung soll endlich verschwinden. Es hat schon zu viel Unheil gebracht. Befreiung ist die Parole.“ Was hängte man der DDR nicht alles an? „Russenknechte“ waren wir, „Vollstrecker Stalins Willen in Deutschland“, auch „Zonenheinis“ nannte man uns. Für Adenauer begann an Elbe und

Das Wort Irredenta steht auch für ein nicht befreites, unter Fremdherrschaft stehendes Gebiet. Siehe Manfred G. Schmidt „Wörterbuch zur Politik“, Alfred Kröner Verlag, 1995. 2 Siehe: Verfassungskonvent vom Herrenchiemsee vom 10. bis 23. August 1948. Protokolle der Sitzungen der Unterausschüsse, Unterausschuss I: Grundsatzfragen, Bundesarchiv (Koblenz). 3 Konrad Adenauer, "Rheinischen Merkur" vom 20. Juli 1952.

Werra Sibirien. Soviel Unsinn ließ sich dann nicht mehr aufrecht erhalten, als die UNO beide deutsche Staaten als gleichberechtigt anerkannte und 134 Länder mit der DDR diplomatische Beziehungen aufnahmen. Da kam es dann schon einmal vor, dass beispielsweise der Vize-Chef der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Volker Rühe, schwärmte: Ein Gespräch mit Honecker sei „angenehmer und konstruktiver als ein Gespräch mit der britischen Regierungschefin“.

Oder hochrangige bundesdeutsche Politiker aller Couleur ein Foto mit dem SED Generalsekretär als Hilfe für ihren Wahlkampf wünschten. Schließlich war es Helmut Kohl, der Honecker einen „zuverlässigen Partner“ nannte und sein Nachfolger Gerhard Schröder sich vom DDR-Staatsratsvorsitzenden regelrecht beeindruckt zeigte.

In dieser Zeit schloss man dann auch völkerrechtlich bindende Verträge und empfing 1987 gar das DDR Staatsoberhaupt zu einem offiziellen Besuch mit allen diplomatischen Ehren. Doch dann1990: Man kehrte zurück zum irren Geschichtsbild der fünfziger Jahre, das nun immer noch gilt und die politische Atmosphäre vergiftet.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung wiederholte in seinem Regierungsbericht eigentlich nur, was seit 29 Jahren Standard ist: 6 An allem, was in der Bundesrepublik nicht funktioniert, ist die „marode“ DDR Schuld, die angeblich nur Verbrechen und Schulden in die Einheit mitgebracht hätte. Dieser Mann war 1989 gerade einmal 13 Jahre alt. Dennoch erinnert er sich noch ganz genau daran, dass die Ostdeutschen das Pech gehabt hätten, „40 Jahre auf der falschen Seite der Geschichte gestanden“ zu haben. Dieses Nachplappern geistloser Stereotype aus den Jahren des kalten Krieges stimmt nun aber keinesfalls mit den praktischen Erfahrungen sehr, sehr vieler Bürger aus der DDR überein.

Wenn inzwischen nur 38 Prozent der Ostdeutschen die Vereinigung für gelungen halten und 57 Prozent sich gar als „Bürger zweiter Klasse“ fühlen, müssten sich doch die Regierenden endlich mal fragen, wo dafür die Ursachen liegen. Als Gregor Gysi noch DDR-Bürger war, hat er in jener schicksalhaften Nacht als in der damaligen Volkskammer der Anschluss der DDR an die Bundesrepublik deklariert wurde, den Abgeordneten zugerufen: « Ich bedauere, dass die Beschlussfassung im Hauruckverfahren … geschehen ist und keine würdige Form ohne Wahlkampftaktik gefunden hat; denn die DDR … war für jeden von uns – mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen – das bisherige Leben. So wie wir alle geworden sind, sind wie hier geworden, und ich bedauere, dass der Einigungsprozess zum Anschluss degradiert ist.»

Dieser grundlegende Mangel macht sich bis heute bemerkbar. Respekt will Angela Merkel laut ihrer Rede zum Einheitsjubiläum jenen entgegenbringen, die «Opfer des SED – Regimes» waren und die gegen das Regime gekämpft hätten. Soweit so gut, wenn es sich um tatsächliche und nicht vermeintliche Opfer handelt. Das bedeutet aber in der Praxis eine weitere Ausgrenzung von Millionen Bürgern, denen die DDR Herzenssache war und die sich für ihren Staat ein Leben lang engagierten. Frau Merkel ist offensichtlich entgangen: DDR-Bürger hatten nicht nur die Trümmer des Zweiten Weltkrieges beseitigt, Städte und Dörfer wieder bewohnbar gemacht, wertvolle kulturhistorische Bauten wieder errichtet, sondern auch zahlreiche neue Betriebe, Straßen, Stadtteile und Städte mit modernen Wohnungen, Schulen, Kinderkrippen und Kindergärten, Ambulatorien, Krankenhäusern Sport- und Kulturstätten geschaffen.

Es gab 1945 nichts, aber auch gar nichts, was die DDR hätte runter wirtschaften können Es ist doch ein großer Irrtum, anzunehmen, die DDR sei vierzig Jahre gegen das Volk regiert worden. Es gab Jahre großer Zustimmung - wie beispielsweise beim Volksentscheid 1968 über die DDR Verfassung, die nach gründlicher Volksaussprache von 94,5 % der Bevölkerung bestätigt wurde. Eine durch Volksentscheid angenommene Verfassung wurde 1990 gesetzwidrig ohne Volksentscheid aufgehoben.

Die Wahrheit ist doch: Es haben sich nicht zwei Staaten vereinigt, sondern der eine hat den anderen übernommen und bestimmt die Regeln. DDR-Bürger wurden nie befragt, ob sie das auch wollten. So etwas hat Langzeitfolgen. Was ich da im Zusammenhang mit dem 9. Oktober 1989 in den letzten Tagen in den Medien gelesen, gehört oder gesehen habe, zeigt: Je weiter wir uns zeitlich vom Ende der DDR entfernen, um so märchenhafter, wirklichkeitsfremder und boshafter werden die offiziellen Ausfälle gegen sie. Geht es nach den Meinungsführern des Politikgeschäfts, dann sind die früheren DDR-Bürger nur noch ein Millionenhäuflein gegängelter Kreaturen, eingesperrt hinter einer Mauer mit einer schrottreifen Wirtschaft, umgeben von Mief und Muff und „Spitzeln“ der Staatssicherheit.

Heiner Müller, bestimmt kein unkritischer DDR-Bürger, hat dies sehr frühzeitig mit seinem Urteil entlarvt: „Der historische Blick auf die DDR“, schreibt er, „ ist von einer moralischen Sichtblende verstellt, die gebraucht wird, um Lücken der eigenen moralischen Totalität zu schließen.“

Die Kraft, das Geld und die Ressourcen, die man einsetzt, um die DDR zu denunzieren – eine ganze „Aufarbeitungsindustrie“ ist damit beschäftigt – wären sinnvoller angelegt für eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass. Nazis, Neonazis und die Brunnenvergifter in der AfD Vorwort von Heiner Müller, „Das Liebesleben der Hyänen“. 9 sind eine Gefahr für Deutschland – nicht das Erbe der DDR.

Antisemitismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. In der DDR -Verfassung heißt es dazu im Artikel 6: „Militaristische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhass werden als Verbrechen geahndet“. Es gibt sehr viele Gründe für Enttäuschungen bei nicht wenigen Ostdeutschen. Einer davon ist: So - wie die DDR heute darstellt wird - so war sie einfach nicht. Für eine große Mehrheit der DDR-Bürger war ihr Staat kein „Unrechtsstaat“.

Die aufgewärmte Debatte darüber ist weiter nichts als eine Ablenkung von den Gebrechen der heutigen Gesellschaft. Wer über DDR-Unrecht spricht, braucht sich nicht zu rechtfertigen, warum die Regierenden heute mit den vielen ernsthaften Problem nicht fertig werden, der kann ablenken von Niedriglöhnen, drohender Alters- und Kindesarmut, auch davon, wie rücksichtslos mit DDR-Biografien umgegangen wird. Beim Werden und Wachsen der DDR gab es Siege und Niederlagen, Freude und Enttäuschung - leider auch Opfer. So sehr ich diese bedauere, bleibt doch wahr:

Die Geschichte der DDR ist keine Kette von Fehlern oder gar Verbrechen. Sie ist vielmehr die Geschichte eines

Ausbruchs aus dem ewigen deutschen Kreislauf von Krieg und Krisen, eines (Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968.)

Aufbruchs für eine tatsächliche Alternative zum Kapitalismus, einer

Absage an Faschismus und Rassenhass, Antisemitismus und Russenphobie. Und weil sehr viele DDR-Bürger dem verbunden waren, ist die Degradierung der DDR zu einem „Unrechtsstaat“ in vielerlei Hinsicht auch eine Beleidigung derer, die sich zur DDR bekannten.

Die DDR wollte nie sein wie die alte Bundesrepublik. Es ist daher auch dumm, sie nach den Maßstäben der Bundesrepublik zu bewerten. Vor zehn Jahren hielt Bundespräsident Köhler auf einer Veranstaltung zum 9. Oktober 1989 die Rede, in der er unter anderem ausführte: «… Vor der Stadt standen Panzer, die Bezirkspolizei hatte Anweisung, auf Befehl ohne Rücksicht zu schießen.

Die Herzchirurgen der Karl-Marx-Universität wurden in der Behandlung von Schusswunden unterwiesen, und in der Leipziger Stadthalle wurden Blutplasma und Leichensäcke bereitgelegt». Wie gruselig, wie furchteinflößend und welch ein Zeichen von Unmenschlichkeit der DDR! Die Sache hat nur den Haken: So etwas hat es nie gegeben. Fritz Streletz, der langjährige Sekretär des Nationalen Verteidigungsrates der DDR, und ich haben den Bundespräsidenten in Vorbereitung seiner Rede zum 30. Jahrestag der Leipziger Ereignisse in einem Brief gebeten, diese Unwahrheit richtig zu stellen. Aus eigenem Wissen und auf der Grundlage von geltenden Beschlüssen und Befehlen teilten wir mit: «In oder vor der Stadt gab es keine Panzer, auch existierte zu keiner Zeit ein Befehl zum Schießen. Weder wurden Herzchirurgen zur Behandlung von Schusswaffen eingewiesen noch Leichensäcke bereitgelegt.»

Leider nutzte der Bundespräsident die Gelegenheit nicht, die immer noch verbreitete Lüge aus der Welt zu schaffen. An einer Stelle seiner Rede sagte er, die Geschichte wäre anders verlaufen, hätte nicht Gorbatschow die SED - Führung zur Zurückhaltung gemahnt. Es wäre gut gewesen, der Herr Bundespräsident hätte die Quelle für diese Behauptung benannt. Aus eigenem Wissen kann ich nämlich sagen: Eine solche Mahnung hat es nie gegeben. Sie war auch nicht notwendig. Selbst Gorbatschow schreibt in seinen «Erinnerungen», dass die DDR-Führung «über hinreichend Vernunft und Mut verfügte, um keinen Versuch zu unternehmen, die Unzufriedenheit der Bevölkerung in Blut zu ersticken.»

Eine Mahnung Gorbatschows gab es am 10. November 1989. Sie war nicht an die DDR, sondern an Bundeskanzler Kohl gerichtet, alle nationalistischen Töne zu unterlassen, «Erklärungen aus der BRD, die vor diesem politischen und psychologischen Hintergrund abgegeben werden, die unter Losungen der Unversöhnlichkeit gegenüber der realen Existenz zweiter deutscher Staaten Emotionen und Leidenschaften anheizen sollen, können kein anderes Ziel verfolgen, 6 Michael Gorbatschow, „Erinnerungen“, Seite 711. 12 als die Lage in der DDR zu destabilisieren und die sich dort entwickelnden Prozesse der Demokratisierung und Erneuerung aller Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu untergraben“.

Es ist irre, die DDR nur von ihrem Ende her zu beurteilen. Es ist zudem eine Geschichtsfälschung, so zu tun, als wären die Leute im Herbst 89 schon für die Einheit Deutschlands auf die Straße gegangen. Im Aufruf der Leipziger Sechs unter Leitung von Generalmusikdirektor Masur, der interessanter Weise kaum noch erwähnt wird, lautet der Kernsatz: „Wir alle brauchen freien Meinungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land“.

Einer, der kürzlich für seinen Beitrag zur deutschen Einheit vom Bundespräsidenten ausgezeichnet wurde, Pfarrer Eppelmann, schrieb mir noch am 24. Oktober 1989 in einem persönlichen Brief, den auch Pfarrer Schorlemmer unterzeichnet hatte – Zitat - : „Uns geht es um die Entwicklung von Demokratie und Sozialismus in unserem Land.“.

Ja, es gab natürlich auch die anderen, die sich nicht wohlfühlten in der DDR, die leider weg gingen oder sich selbst aus der Gesellschaft

Mündliche Botschaft M.S. Gorbatschows an Bundeskanzler Kohl vom 10. November, die der sowjetische Botschafter in der Bundesrepublik unmittelbar vor der Kundgebung vor dem Schöneberger Rathaus in Berlin (West) am 10. November 1989 an Helmut Kohl übermittelte. 8 Aufruf der Leipziger Sechs vom 9. Oktober 1989. 9 Brief von Friedrich Schorlemmer und Rainer Eppelmann an Egon Krenz vom 24. Oktober 1989 im Archiv des Autors.

ausschlossen. Oder jene, die angeblich schon immer wussten, dass es nichts werden könne mit dem Sozialismus auf deutschem Boden. Oder auch jene, die damals besonders laut „Hurra“ riefen und nun mit Übereifer die vermeintlichen Vorzüge der neue Macht beschreiben. Ihnen und vor allen den Medien, auch dem Bundespräsidenten, müsste bei etwas mehr Realismus doch klar sein: Sie können nicht für alle Ostdeutschen sprechen.

Wer sich für die DDR engagierte, tat dies doch in der Überzeugung, dem Guten in Deutschland zu dienen, hat seinem Staat viel von seiner Lebenskraft gegeben und hat ein Recht, dafür auch in der Bundesrepublik respektiert zu werden. Wir haben 1989 eine Niederlage erlitten, eine bittere, die schmerzt – das ist wohl wahr. Aber wir sind nicht aus der Geschichte ausgestiegen. So wie sie heute ist, diese Welt, wird sie nicht bleiben. Der Kapitalismus wird nicht das letzte Wort der Geschichte sein. Und dann werden wir sehen, wer am Ende auf der richtigen Seite steht. Wir werden es wahrscheinlich nicht mehr erleben, aber spätesten seit Thomas Münzer gilt: Die Enkel fechten‘s besser aus.

Diesen historischen Optimismus möchte ich mir gerne erhalten. Auch deshalb, weil es da noch weit im Osten ein Land gibt, das gerade den 70. Jahrestag seiner Volksrepublik gefeiert hat. Unabhängig davon ist es aktueller denn je, endlich die Lebensleistungen der DDR-Bürger anzuerkennen, gleichen Lohn für 14 gleiche Arbeit zu zahlen, gleiche Renten für gleiche Lebensleistungen zu geben, die Strafrenten abzuschaffen und für alle Kinder und Jugendlichen Chancengleichheit zu schaffen. Der Artikel Eins des Grundgesetzes – die Würde des Menschen ist unantastbar – muss für alle Deutschen gelten, auch für diejenigen, die für die DDR arbeiteten, einschließlich der Mitarbeiter der Sicherheitsorgane. Ohne dies wird es noch Jahrzehnte dauern, bis die deutsche Einheit vollendet wird.

Wir sind nicht die ewig Gestrigen, für die man uns hält. Wir sind eher die ewig Morgigen. Wir möchten, dass unsere Kinder, Enkel und Urenkel auf einem gesunden Planeten eine friedliche Zukunft haben. Deshalb gehen wir mit dem DDR - Erbe durchaus selbstkritisch um, aber vor allem selbstbewusst und nicht mit gebeugtem Rücken. Gerade deswegen fragen wir uns auch, was die DDR geschichtlich auf deutschem Boden einmalig macht.

Als in den Nachkriegsjahren im Westen wieder alte Nazis Lehrer, Juristen oder Beamte sein durften, fand im Osten eine antifaschistisch - demokratische Umwälzung statt, die 1949 die DDR zum antifaschistischen deutschen Staat werden ließ. In Vorbereitung darauf wurden 7136 Großgrundbesitzer und 4142 Nazi- und Kriegsverbrecher entschädigungslos enteignet. 520 000 ehemalige Nazis wurden aus öffentlichen Ämtern entfernt.

Am 30. Juni 1946 stimmten mehr als 72,00 % der Bürger Sachsens in einem Volksentscheid für die Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher ab.

In Ostdeutschland kam Junkerland tatsächlich in Bauernhand;
Kein Nazi durfte Lehrer sein.
In Schnellverfahren wurden 43 000 Frauen und Männer zu Neulehrern ausgebildet, die zwar manchmal – wie es damals hieß - nicht genau wussten, ob man Blume mit oder ohne „h“ schreibt - dafür aber Mut hatten, dem Ruf eines FDJ - Liedes zu folgen: „Um uns selber müssen wir uns selber kümmern, und heraus gegen uns, wer sich traut“.
Nazis durften kein Recht sprechen, Volksrichter wurden gewählt,
Fakultäten entstanden, die dafür sorgten, dass Arbeiter und Bauern auf die Hochschulen kamen. Schon 1952 waren über die Hälfte der Studenten Kinder von Arbeitern und Bauern. So etwas hatte es in Deutschland zuvor nie gegeben und es gibt es auch nach dem Ende der DDR nicht mehr.

Das Kriminelle an diesem Fakt ist:

40 Jahre nach Gründung der Arbeiter- und Bauernfakultäten wurden viele ihrer Absolventen, die inzwischen in der DDR hervorragende

(Die Zahlen stammen aus den Büchern „ „Illustrierte Geschichte der DDR“, herausgegeben Dietz Verlag Berlin 1984 und „DDR“, herausgegeben 1989 im VEB F. A. Brockhaus Verlag Leipzig.)

Wissenschaftler, Ingenieure, Mediziner, Juristen, Lehrer und anderes geworden waren, nicht selten gegen zweit- und drittklassige aus dem Westen ausgetauscht. Wer kritisiert, dass heutzutage so wenig Ostdeutsche in Ostdeutschland etwas zu sagen haben, der darf nicht vergessen, was 1990 mit der ostdeutschen Elite gemacht wurde.
Allerdings ein Begriff, den wir in der DDR kaum gebrauchten, weil wir die Gesellschaft nicht in Elite und gemeines Volk einteilten.

Es ist zu billig zu sagen, die Ostdeutschen hätten den Elitenaustausch gewollt. Ja, manche, die meinten, sie seien zu kurz gekommen, schon. Ich erinnere mich aber an ein Urteil eines nicht unbekannten westdeutschen Wissenschaftlers. Die DDR habe »fast ein halbes Jahrhundert die Menschen verzwergt, ihre Erziehung, ihre Ausbildung verhunzt«, schrieb ein Arnulf Baring 1991.

Und weiter:

»Ob sich heute dort einer Jurist nennt oder Ökonom, Pädagoge, Soziologe, selbst Arzt oder Ingenieur, das ist völlig egal: Sein Wissen ist auf weite Strecken unbrauchbar […] Wir können den politisch und charakterlich Belasteten ihre Sünden vergeben, alles verzeihen und vergessen. Es wird nichts nutzen; denn viele Menschen sind wegen ihrer fehlenden Fachkenntnisse nicht weiterverwendbar. Sie haben einfach nichts gelernt, was sie in eine freie Marktwirtschaft einbringen können,«

Meines Wissens hat niemand aus der Bundesregierung solcher Dummheit widersprochen. Wie auch dem Slogan nicht „Leben wie bei Kohl und arbeiten wie bei Honecker“, was die Ostdeutschen quasi zu Schmarotzern erklärte oder dem Urteil, Ursache für rechtes Gedankengut im Osten sei das „Zwangstopfen“ in den Kinderkrippen der DDR. Nicht vergessen auch die Kampagne gegen die Roten Socken, in dessen Folge nicht wenige DDR – Bürger durch Selbstmord aus dem Leben schieden. Obwohl dies nicht wenige waren, gibt es darüber in der Bundesrepublik nicht einmal eine Statistik.

Man kann sich bei diesen Verleumdungen nicht darauf zurückziehen, dass es sich um freie private Meinungsäußerungen handle. Was hatte doch Justizminister Kinkel am 23. September 1991 auf dem 15. Deutschen Richtertag in Köln gesagt?

Ich zitiere: »Sie, meine Damen und Herren, haben als Richter und Staatsanwälte … eine ganz besondere Aufgabe ...: mit dem fertigzuwerden, was uns das vierzigjährige Unrechtsregime in der früheren DDR hinterlassen hat. ... Es muss gelingen, das SED-System zu delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat …»

(Justizminister Kinkel vor Staatsanwälten und Richtern auf dem 15. Deutschen Richtertag in Köln am 23. September 1991.)

Was bedeutete das? Die Deindustrialisierung der DDR ging einher mit tiefen Kränkungen von DDR-Bürgern. Solche Kränkungen lassen sich schwer aus dem Gedächtnis streichen, auch an der Wahlurne nicht.

Herr Gauck, der oft von sich nur in der dritten Person spricht, rühmte die Auswechselung der Eliten gar mit den Worten: »Wir konnten nicht zulassen, dass die sozialistischen Globkes in ihren Ämtern und Positionen in Staat und Gesellschaft blieben«.

Dies war eine empörende Gleichsetzung von Tausenden entlassenen Lehrern und Wissenschaftlern, Juristen und Angestellten der DDR mit dem Mitautor des Kommentars zu den Nürnberger Rassegesetzen. Schlimm genug, dass dieser Mann in der Bundesrepublik zum wichtigsten Politiker hinter Konrad Adenauer aufstieg. Wie weit aber muss jemand von geschichtlicher Wahrheit und Anständigkeit entfernt sein, der Globke heranzieht, um zu begründen, warum 1990 die Eliten der DDR ausgetauscht wurden?

Nach vorliegenden Untersuchungen wechselten die Nazis 1933 elf Prozent der Eliten des Deutschen Reiches aus. In Westdeutschland wurden 1945 lediglich dreizehn Prozent der Nazikader entfernt. Nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik schickte die neue Herrschaft 85 Prozent der DDR-Eliten ins berufliche und damit nicht selten auch ins soziale Aus.

Als Herr Gauck zum Bundespräsidenten gewählt wurde, bekannte er schon im zweiten Satz seiner Rede: „Wir …, die nach 56-jähriger Herrschaft von Diktatoren endlich Bürger sein durften. ... “
Gauck wirft 12 Jahre Hitler – Barbarei, 4 Jahre sowjetisch besetzte Zone und 40 DDR-Jahre in einen Topf. Faktisch werden die Ostdeutschen zu Menschen erniedrigt, die 1945 nur von braun zu rot gewechselt sind und kritiklos Diktatoren folgten. Dabei wird jede antifaschistische Gesinnung außer Acht gelassen.

Jedes Gleichheitszeichen zwischen dem Nazireich und der DDR verbietet sich schon angesichts von Auschwitz von selbst, angesichts des Blutzolls, den unter allen Parteien Kommunisten und Sozialdemokraten am höchsten entrichtet haben, angesichts von mehr als 50 Millionen Toten des Zweiten Weltkrieges.

Man bezeichnet hierzulande den deutschen Faschismus ja bis heute irreführend und verharmlosend als Nationalsozialismus. Dabei sollte inzwischen jeder einigermaßen gebildete Mensch wissen, dass der weder national noch sozialistisch war, sondern einmalig verbrecherisch und kapitalistisch.

Die schrittweise und durchaus widersprüchliche Überwindung der Naziideologie war eine der größten Leistungen der DDR, die wir uns von niemandem kleinreden lassen sollten.

Die DDR war die deutsche Heimstatt des Antifaschismus. Ein Globke, ein Filbinger, ein Oberländer oder auch ein Kissinger hätten in der DDR nie eine Chance auf ein Amt gehabt.

Ich habe mir oft die Frage gestellt:

Warum eigentlich gingen Geistesschaffende und Künstler wie Bert Brecht, Anna Seghers, Arnold Zweig, Johannes R. Becher, Stefan Hermlin, Friedrich Wolf, Max Lingner, Lea Grundig, Theo Balden, Wieland Herzfelde, Helene Weigel, Hanns Eisler, Bodo Uhse, Erich Weinert, Ernst Busch, Ludwig Renn, Wolfgang Langhoff, Eduard von Winterstein, Hedda Zinner, Gustav von Wangenheim und viele andere nicht nach Westdeutschland, sondern kamen in die Ostzone bzw. später in die DDR?

Haben sie sich nicht gerade deshalb für die DDR entschieden, weil sie hier die Möglichkeit sahen, Krieg und Faschismus endgültig aus dem Leben der Menschen zu verbannen?

Brecht hat sich dazu unmissverständlich ausgedrückt: „Ich habe keine Meinung, weil ich hier bin“, sagte er, „sondern ich bin hier, weil ich eine Meinung habe.“

Einzigartig an der DDR war auch:

Ein Drittel Deutschlands war über 40 Jahre dem Zugriff des deutschen Kapitals entzogen. Das ist aus der Sicht unserer politischen Gegner die eigentliche Sünde der DDR, die niemals vergeben wird.

Nie mehr Bereicherung des einen durch die Arbeit des anderen - das war Verfassungsgrundsatz in der DDR. Niemandem war erlaubt, sich an der Arbeit des anderen zu bereichern. Der Mensch war nicht mehr des Menschen Wolf. Er war kein Marktfaktor, den man wie eine Schachfigur hin und her schieben konnte. Nicht der Ellenbogen regierte, nicht der Egoismus, nicht das Geld, sondern schrittweise, wenn auch durchaus widerspruchsvoll, das menschliche Miteinander.

Vor einigen Tagen saß ich in einem Caffè, ein Mann vom Nebentisch reichte mir eine Serviette, die an meinem Tisch fehlte. Ich sagte: „O, das ist aber aufmerksam“. „Ja“, antwortete mein Gegenüber, „die Aufmerksamkeit füreinander, das Miteinander, das wir zu DDR – Zeiten kannten, ist verloren gegangen. Das Menschliche ist weg, seit es die DDR nicht mehr gibt“.

Das hat mich stark aufgewühlt - wie auch ein Brief, den mir ein 56 - jähriger Mann schrieb, der 1990 eine Firma gegründet hatte und mir nun auf zwei Briefseiten beschrieb, wie gut es ihm geht in der neuen Bundesrepublik. „Es scheint alles Besten“, endete er sein Schreiben, „und doch bleibt tief im Herzen immer noch der Wunsch nach einer gerechten, friedlichen und vernünftigen Welt.“

Seit 1990 heißt es: „Aufbau Ost“. Sicher, es gab manches, was in der DDR im Argen lag. Wir investierten zu wenig im produktiven Bereich, manche Stadtzentren waren aus Mangel an Baumaterial und haltbarer Farbe ziemlich unansehnlich. Unsere Wünsche waren immer größer als unsere materiellen Möglichkeiten.

Die Ideale und die Realitäten klafften nicht selten auseinander. Die Bundesrepublik setzte ihre Ostbrüder und Ostschwestern Jahr für Jahr neu auf die Embargoliste, die uns vom wissenschaftlich - technischen Fortschritt in der kapitalistischen Welt ausschließen sollte. Unsere Startbedingungen waren alles andere als gut. Ganz Deutschland hatte den Krieg verloren. Die Ostdeutschen und später die DDR mussten allein dafür zahlen. Die DDR-Reparationsleistungen waren 25-mal höher als die der alten Bundesrepublik. Umgerechnet zahlte jeder DDR-Bürger 16 124 DM für Reparationen, jeder Bundesbürger dagegen gerade mal 126 DM. Die BRD bekam den Marschallplan - die DDR zahlte für den Krieg. Das war eine ungleiche Arbeitsteilung. Manchmal denke ich heute: Dass wir es trotzdem 40 Jahre durchgehalten haben, das ist das eigentliche Wunder.

Doch:

Die DDR war 1949 zwar auferstanden aus Ruinen, aber sie war 1990 keine Ruine, kein Pleitestaat mit maroder Wirtschaft. Bis zuletzt wurde jede Rechnung auf Heller und Pfennig bezahlt, auch, wenn die sich unwissend Stellenden und die Verleumder der DDR das immer wieder bestreiten.

Wie eine geheiligte Schrift behandeln sie permanent das vergilbte sogenannte „Schürer-Papier“, obwohl sie genau wissen, dass Gerhard Schürer und seine Mitautoren noch im November 1989 öffentlich die falschen Zahlen und ihre Irrtümer korrigiert hatten.

Es ist schwer zu verstehen, dass sie ihrem eigenen Geldinstitut, der Deutschen Bundesbank, misstrauen. Es gibt einen Bericht von ihr unter dem Titel – Zitat - „Die Zahlungsbilanz der ehemaligen DDR 23 1975 bis 1989.“ Darin heißt es, dass Ende 1989, „die Nettoverschuldung der DDR betrug 19,9 Milliarden Valutamark« also umgerechnet in Euro nicht einmal zehn Milliarden. Von 10 Milliarden Euro geht kein Staat bankrott.

Indem man behauptet, die DDR sei bankrott gewesen, kann man verdecken, dass sich der wirkliche Kollaps der DDR-Industrie erst nach dem Anschluss der DDR an die BRD ereignete: Nach dem 1. Weltkrieg wurde gegenüber dem Vorkriegsstand von 1913 noch 57% produziert. Nach dem 2. Weltkrieg 1946 im Verhältnis zum Vorkriegsstand von 1938 immerhin noch 42%, 1992 auf dem Höhepunkt der Privatisierung des Volkseigentums gegenüber dem vorletzten Jahr der DDR nur noch 31 Prozent.

Das wirkliche Problem war 1990 nicht eine vermeintlich marode Wirtschaft der DDR. Wir hatten sicher auch Marodes, aber wir hatten auch viel Modernes. Wir hatten auch Kombinate, die Weltniveau produzierten. Wer Letztes bestreitet, behauptet damit ja auch, dass uns bundesdeutsche Konzerne nur Schrott geliefert hätten, denn 40 % unserer Industrieanlagenimporte kamen aus der alten Bundesrepublik.

Der Kern des Problems 1990 war ein ganz anderer:

Alles in der Wirtschaft gab es nun zweimal in Deutschland. Einmal musste sterben. Nicht nur, was eventuell marode war, sondern auch das Moderne. Das Sterben hat die Treuhand organisiert, aber nicht auf eigenen Antrieb. Es war politisch gewollt. Das Volkseigentum der DDR wurde verscherbelt. 85% davon erhielten Eigentümer aus dem Westen, 10% ging ins Ausland und knappe 5 % blieben im Osten.

Die Bundesrepublik übernahm von der DDR etwa 8.000 Betriebe, 20 Milliarden Quadratmeter Agrarflache, 25 Milliarden Quadratmeter Immobilien, Forsten, Seen, 40.000 Geschäfte und Gaststatten, 615 Polikliniken, 340 Betriebsambulatorien, 5.500 Gemeindeschwesternstationen, Hotels, Ferienheime, das beträchtliche Auslandsvermögen der DDR, Patente, Kulturguter, geistiges Eigentum und manches mehr.12 Zum Beispiel den Berliner Fernsehturm, der nur deshalb nicht abgerissen wurde, weil das bautechnisch nicht ging, aber inzwischen das Wahrzeichen Berlins ist Und wo feiert die bundesdeutsche Elite heute ihre vermeintlichen Siege? Im Schauspielhaus Berlin, in der Semperoper Dresden und im Gewandhaus Leipzig – alles vom «maroden DDR – Staat» bezahlt.

Die DDR hinterließ der Bundesrepublik keine Erblast in Höhe von 400 Milliarden DM – wie behauptet wird, sondern ein Volksvermögen von 1,74 Billionen Mark an Grundmitteln und 1,25 Billionen Mark im produktiven Bereich - ohne den Wert des Bodens und den Besitz von Immobilien im Ausland gerechnet. Angesichts dieser Fakten mutet es wie ein schlechter Witz an, die Treuhand und ihre

(Die Zahlen nennt Herbert Graf in „Ossietzky“ 16/2018. Zahlen zur Ökonomischen Situation der DDR stammen aus den Erinnerungen von Gerhard Schürer aus seinem Buch „Gejagt und verloren.“)

Anleiter in der Bundesregierung von der Schuld für die Deindustrialisierung der DDR freizusprechen.

In den Berichten zum diesjährigen Tag der deutschen Einheit wird davon gesprochen, dass es gut sei – Zitat - „..., dass wir uns mit unserer jüngsten deutschen Geschichte auseinandersetzen“.

Das ist jedoch nicht wahr. Allgegenwärtig ist nur die DDR-Geschichte. Es wird aber höchste Zeit, sich im Kontext damit auch kritisch mit der Entstehung und Existenz der alten Bundesrepublik und ihrer Schuld an der deutschen Spaltung auseinanderzusetzen.

Die Jahre zwischen 1949 und 1990 waren doch nicht nur das „Wirtschaftswunder“ und das „Wunder von Bern“, nicht nur die DM und das eigene Auto, nicht nur die Italienreise und all die anderen Erfolgsgeschichten, die uns dieser Tage wieder aufgetischt werden.

Verdeckt wird, dass beispielsweise die separate Währungsreform 1948 das eigentliche Datum der deutschen Spaltung ist, wodurch die spätere DDR aus dem internationalen Wirtschaftsverkehr praktisch ausgeschlossen wurde.

Es gab doch in der alten Bundesrepublik nicht nur gewaltige Streiks, über die man heute kaum noch spricht, sondern auch tiefe gesellschaftliche Konflikte. Die KPD, die FDJ und andere 26 fortschrittliche Organisationen wurden verboten, ihre Mitglieder gejagt, verurteilt und inhaftiert.

Am 11. Mai 1952 wurde das FDJ – Mitglied Philipp Müller auf einer Friedenskundgebung in Essen und am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg in Westberlin von der Polizei erschossen. Wie ein roter Faden zieht sich doch die Verfolgung Andersdenkender durch die ersten Jahre der Bundesrepublik. Notstandsgesetze wurden beschlossen und ein „Radikalenerlass“.

Wenn es also darum geht, auf welcher Seite der Geschichte jemand gestanden hat, habe ich als DDR-Bürger durchaus viele Fragen an die alte Bundesrepublik:

Unterstützte sie nicht die schmutzigen Kriege, die Frankreich gegen Algerien und die USA in Indochina führten, die Vietnam in die „Steinzeit zurück bomben“ wollten?
Machte sie nicht immer gute Geschäfte mit dem Apartheid – Regime in Südafrika, das Nelson Mandela verbannt hatte?
Standen sie nicht immer an der Seite jener, die das Abenteuer in der Schweinebucht gegen das freiheitsliebende kubanische Volk oder auf Grenada unterstützten?
Stand sie nicht immer an vorderster Stelle bei Waffenexporten in Krisenregionen?
Hatte sie nicht exzellente Beziehungen zu den faschistischen Regimes in Spanien und Portugal?
Gab es nicht ein heimliches Einverständnis mit den Putschisten in Griechenland 1967 und in Chile 1973?

Die DDR und die BRD standen über 40 Jahre in einem Bürgerkrieg, in einem kalten zwar, immer am Rande einer atomaren Katastrophe. Als ich im Frühjahr 1990 noch unter dem frischen Eindruck der Herbstereignisse89 stand, habe ich mir viele Fragen gestellt:

Werden nun etwa neue Mauern errichtet?
Mauern gegenüber linken Andersdenkenden?
Mauern gegenüber jenen Werten, die aus der DDR in den Prozess der deutschen Vereinigung eingebracht werden könnten?
Mauern zwischen den Deutschen und ihren Nachbarvölkern, dessen Sicherheitsbedürfnisse zu respektieren sind?
Mauern zwischen Deutschland und dem sozialistischen Kuba, das von den sozialistischen Ländern Europas allein gelassen wurde und sich seither mutig wehrt?
Mauern zwischen der NATO und der damals noch existierenden Sowjetunion?

Wenn ich mir diese Fragen nun fast dreißig Jahren später wieder beantworte, komme ich zu keiner anderen Erkenntnis als jener, dass die neuen Mauern dazu geführt haben, das die Welt von heute so durcheinander geraten ist wie sie jetzt ist. Die Welt von heute ist ohne Sowjetunion und ohne die DDR weder gerechter noch friedlicher geworden.

Heute geht es um alles – um Sein oder Nichtsein, Krieg oder Frieden. Dass man in dieser Zeit immer noch das Feindbild DDR braucht, zeigt, dass die herrschenden Politiker keine wirkliche Vorstellung von der deutschen Einheit haben.

Man kann die deutsche Einheit vielleicht herbeimoralisieren, indem man die Realitäten nicht zur Kenntnis nimmt. Man kann sie – wie sich zeigt – schlecht herbeifinanzieren, weil es außer Geld auch noch andere Werte gibt.

Herbeikriminalisieren, indem man die DDR als Irrweg denunziert, kann man die Einheit auf keinen Fall. Mehr Respekt für alle früheren DDR-Bürger wird nicht gelingen, solange man den Staat, auf dessen Boden diese Leistungen möglich wurden, verteufelt.

Die Mauer in Berlin ist weg. Sie wurde nach Osten verschoben, besteht nicht mehr zwischen NATO und Warschauer Vertrag, sondern zwischen der NATO und Russland.

Sie ist folglich dort, wo sie im Prinzip an jenem 22. Juni 1941 verlief, als die Sowjetunion überfallen wurde. Am Vorabend des diesjährigen Tages der Einheit kam eine neue, eine sehr beunruhigende Meldung: „Die Nato plant für 2020 ein Manöver mit über 20.000 Soldaten. … geprobt werden soll dabei eine schnelle Verlegung von Truppen nach Polen und ins Baltikum. Das heißt wieder, ran an Russlands Grenzen. Dass Deutschland dabei eine zentrale Rolle einnehmen soll, ist für mich eine geschichtsvergessene Schande.

Das ist nun wahrlich nicht die Wende, die 1989 auf den Straßen der DDR gefordert wurde. Dreißig Jahre nach der Öffnung der Grenzübergänge in Berlin sollte es heißen: Ohne Russland kann es keine europäische Friedensordnung geben. Aus der deutschen Politik muss die Russophobie verbannt werden. Deutsche Politiker müssen gegenüber Russland einen anderen Ton anschlagen, der Freundschaft und Zusammenarbeit, nicht aber „Sanktionen“ und „Bestrafungen“ fördert.

Wie Euch wahrscheinlich aufgefallen ist, spreche ich nicht vom Scheitern des Sozialismus, sondern von einer bitteren Niederlage. 30 Ist das nur eine formale Frage? Für mich nicht. Scheitern hat etwas Endgültiges an sich, Niederlage ist eher etwas Zeitweiliges. Wenn der Sozialismus gescheitet wäre, könnte das ja auch bedeuten, dass er auch in Zukunft keine Chance mehr hätte und der Kapitalismus doch das Ende der Geschichte wäre. China beweist schon heute das Gegenteil.

Der erste Anlauf für eine ausbeutungsfreie Gesellschaft, die Pariser Kommune, überdauerte 72 Tage, der zweite Anlauf, die Oktoberrevolution, hielt 72 Jahre und die DDR 40 Jahre. Der dritte Anlauf wird auch in Europa kommen. Wann und wie – das weiß heute niemand. Die Erfahrungen der DDR – die positiven wie negativen – werden dabei auf jeden Fall von Bedeutung sein.

Und deshalb sage ich: Wehren wir uns auch weiterhin dagegen, unser sinnvoll gelebtes Leben in den Schmutz ziehen zu lassen, tun wir auch weiterhin das uns Mögliche, damit nie wieder – wie es in der DDR – Nationalhymne heißt - eine Mutter ihren Sohn beweint

Sonntag, 20. Oktober 2019

DDR-FUNDUS CONTRA KALTE KRIEGER - freidenker



Die DDR muss gegen die Kalten Krieger verteidigt werden“


Oktober 2019 Webredaktion DDR, Frieden, Interview, Kalter Krieg, Ökologie, SozialismusInterview von Tilo Gräser mit Klaus Hartmann

Erstveröffentlichung am 17.10.2019 auf sputniknews.com

Die Erfahrungen der DDR sind wichtig für die nächsten Versuche, eine sozialistische Gesellschaft zu gestalten. Das sagt Klaus Hartmann, Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes. Für ihn gehören die positiven Seiten ebenso dazu wie die Fehler und negativen Entwicklungen. Er erklärt auch, warum der Kapitalismus keine Zukunft hat.

– Herr Hartmann, Sie haben als Bundesvorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes am 12. Oktober an der Festveranstaltung zum 70. Jahrestag der DDR-Gründung teilgenommen. Warum?

– Weil es ein denkwürdiges Datum ist. Weil wir wollen, dass das Andenken der DDR erhalten bleibt – nicht in der verschmutzten und kontaminierten Form, wie das üblicherweise in den Westmedien uns beigebogen werden soll. Der Veranstalter ist das „DDR-Kabinett“ in Bochum. Es gastiert sozusagen auf dem Territorium der ehemaligen DDR. Die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Streicher des „DDR-Kabinetts“ ist die Landesvorsitzende der Freidenker in Nordrhein-Westfalen. Eine ganze Reihe von Mitwirkenden sind ebenfalls Freidenker. Wir haben das Datum auch zum Anlass genommen, ein Schwerpunktheft zu diesem Thema herauszugeben.

– Wie sieht der Freidenker-Verband die DDR?

– Dafür stehen schon die Autoren im Heft, ich nenne als Beispiel den Leitartikel von Egon Krenz. In diesem Beitrag gibt es eine selbstkritische Befragung, was die Probleme, die Ursachen des Untergangs und auch die falschen Weichenstellungen waren. Dass der Klassenfeind so agiert wie er agiert, ist allzu verständlich, das kann man ihm nicht vorwerfen. Aber dass die Genossen, die das Ding verteidigen und erhalten wollten, sich dabei nicht immer intelligent angestellt haben, ist etwas, was man analysieren muss. Das ist notwendig für den nächsten Anlauf, von dem wir ja sicher sind, dass er kommt, weil der Kapitalismus keinen Ewigkeitswert hat. Weil alle Gesellschaftsordnungen, die es bisher gab, bereits untergegangen sind. Auch der Kapitalismus brauchte viele Anläufe, über Jahrhunderte, um sich endlich als international beherrschenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung durchzusetzen. Da gab es viele Rückschläge. Insofern ist die Geschichte der sozialistischen Versuche noch relativ jung und insofern auch keineswegs aussichtslos.

– Wer heute für Verständnis für die DDR wirbt, dem wird schnell vorgeworfen, er verkläre sie oder er verteidige sie.

– Ich denke, da muss man unterscheiden. Ich bin natürlich ganz prinzipiell für die Verteidigung der DDR gegen die Delegitimierungsversuche der Kalten Krieger und einstweiligen Sieger. Wir verteidigen mit der DDR das grundsätzliche Recht des Volkes auf Selbstbestimmung. Selbstbestimmung nicht über die der Fingernagel- oder Lippenstift-Farbe oder nur über die Reiseziele: Wir denken, dass die Frage der Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung im Zentrum des Selbstbestimmungsrechtes des Menschen steht. Wir sehen eine wichtige Aufgabe, darauf hinzuweisen, dass eine Gesellschaftsordnung notwendig ist, die nicht den Menschen und die Natur untergräbt, sondern die menschenfreundlich ist und zu einem realen Humanismus fähig ist. Das geht eben nur unter Beseitigung des monopolistischen privaten Eigentums über die wesentlichen Produktionsmittel. Das ist in der DDR geschehen. Dabei verklären wir die DDR nicht. Das ist zum Teil möglicherweise bei der Enteignung übertrieben worden, was das Handwerk und die Kleinunternehmer angeht. Da hat man zum Teil, vielleicht aus Vorsicht, vielleicht aus Misstrauen, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Versorgung, Bedürfnisse, Produktivität, Eigentümerbewusstsein – derartige Probleme müssen wir kritisch analysieren und diskutieren, um es beim nächsten Mal besser zu machen. Man muss die Fragen des größeren Vertrauens in die Bevölkerung und der realen demokratischen Mitbestimmung in einer anderen Weise beantworten als das hier geschehen ist.

– Wer sich in der DDR für solche Dinge eingesetzt hat, hat ganz schnell Ärger bekommen, bis hin zu vermeintlich Linksradikalen, die über Kriminalisierung ins Gefängnis gesteckt wurden. Auch die Frage der Umwelt war ein Problem. Das sagen Kritiker dazu. Wie reagieren Sie darauf?

– Die DDR war vom ersten Tag ihrer Existenz an dem Beschuss aus dem Westen zur Unterminierung, Sabotage und ihrer Liquidierung ausgesetzt. Das musste abgewehrt werden, die Bewahrung der Errungenschaften, dass hier das Volk und nicht die Kapitalisten zu bestimmen haben, war natürlich ein wichtiges, hohes Gut. Aber auch hier wurde in gewisser Weise das Kind mit dem Bad ausgeschüttet, was die Überwachung von jedem Schritt und jeder vermeintlich verdächtigen Bewegung angeht, mit eine abstrusen, irrationalen Datensammlung über die Bevölkerung. Das hat im Sinn der angestrebten Staatssicherheit überhaupt nichts gebracht, sondern lediglich dazu geführt, dass das Misstrauen wuchs, die Entfremdung zwischen Bevölkerung und Führung. Das sind Dinge, die beim nächsten Mal vermieden werden müssen.

Die Frage der Ökologie ist ebenfalls ein Punkt, wo man sich nochmal Marx und Engels anschauen sollte. Eine ökologische Politik, die die Springquellen des Reichtums eines Landes nicht untergräbt, ist natürlich auch Klassenpolitik. Sie gehört als wichtige, integrale Dimension dazu. Wenn die Arbeiterklasse die Macht hat, muss sie die Frage der abfall- und emissionsarmen bzw. -freien Produktion angehen. Sie kann damit nicht nach dem Motto „Wir konkurrieren wir am billigsten mit dem Kapitalismus?“ umgehen. Denn auf diese Weise werden dann die gleichen oder vergleichbaren Verheerungen angerichtet, wie sie im Kapitalismus systembedingt sind.

– Wobei es manche Lösung in der DDR gab, die umweltfreundlicher war, siehe Langlebensdauer-Glühlampe von Narva oder das „Sero“-Altstoff-System.

– Solche Beispiele gab es. Sie waren meiner Meinung nach nicht aus einem Guss. Zu einer abfallarmen Produktion hätte man möglicherweise ökonomische Mittel mobilisieren müssen, die nicht in dem Maße vorhanden waren. Aber es ist schon ein sehr ironisches Stichwort, hier auf das Recycling, die Wertstoff-Wiederverwertung, hinzuweisen. Was im Westen als das Nonplusultra gesehen wird, der dämliche Gelbe Punkt oder Grüne Sack – nein, umgekehrt, das hatte die DDR mit dem „Sero“-System im Griff. Aber alles, was aus der DDR war, musste ja aus Sicht der neuen West-Herrschaft von vornherein schlecht sein, vom Hochschullehrer und dem Bildungswesen, den Polikliniken bis zu progressiven ökologischen Ansätzen. Das musste erst einmal abgeschafft werden, sogar die Produktion der ersten FCKW-freien Kühlschänke. Dann wurden unzulängliche West-Systeme eingeführt, und ob Kühlschrankproduktion, Recycling-System oder EU-Glühbirnenverbot, alles dem Primat der Profitmacherei untergeordnet. Woraus, welches Beispiel man auch wählt, die Erkenntnis folgt: „Kapitalismus – Zukunft hast Du nicht!“

Klaus Hartmann ist Vorsitzender des Deutschen Freidenker-Verbandes und Präsident der Weltunion der Freidenker sowie aktiv in der Friedens- und Solidaritätsbewegung.
Er ist Herausgeber der Bücher „Die Zerstörung Jugoslawiens. Slobodan Milošević antwortet seinen Anklägern“, „Ludwig Feuerbach. Ein besseres Leben nicht glauben, sondern schaffen“ und „Die bösen Befreier von Zarismus, Faschismus, Kolonialismus“.





MEDIEN IM BANNE DER MACHT - Linke Zeitung



Sabotierte Wirklichkeit: Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 20. OKTOBER 2019


von Marcus B. Klöckner – https://kenfm.de

Sagen Medien, was ist? Eindeutig: nein. Der Bruch mit der Wirklichkeit ist im Journalismus längst eine bestimmende Konstante. Immer wieder ist zu beobachten, wie Medien Wirklichkeit ignorieren, verdrehen, frisieren oder gar gleich erfinden. In seinem neuen Buch „Sabotierte Wirklichkeit“ zeigt Marcus B. Klöckner anhand vieler Beispiele auf, wie es aussieht, wenn Medien Scheinwirklichkeiten erzeugen, und verdeutlicht, wie in einem System „freier Medien“ eine spezielle Form von Zensur entsteht. Mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Demokratie und uns alle. Ein Auszug:

Die Wachhunde der Demokratie sind zu den Lordsiegelbewahrern unserer Zeit mutiert. Ein Journalismus ist entstanden, der sich wie ein Schutzmantel um die politischen Weichensteller legt. Medien haben den von ihnen erzeugten legitimen öffentlichen Diskursraum so weit verkleinert, dass Stimmen, die sich darin im Sinne einer kritischen Öffentlichkeit zu Wort melden wollen, faktisch nahezu ausgeschaltet sind. Die mentale Korruptheit, die das journalistische Feld durchzieht, stellt eine Gefahr für die Demokratie dar. Eine Berichterstattung erfolgt, die vorgibt zu sagen, was ist, aber dabei unaufhörlich sagt, was sein soll. Ein Journalismus ist entstanden, der die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit je nach Notwendigkeit ignoriert, frisiert, verdreht und mitunter gar einfach selbst erfindet. Medien missbrauchen ihre publizistische Macht, um die von ihnen erzeugte ›richtige‹ Sicht auf die Wirklichkeit vor Irritationen von außen zu schützen. Medien sorgen dafür, dass politische und soziale Realität nicht Teil eines offenen diskursiven Prozesses sind. Stattdessen definieren sie und eine überschaubare Anzahl von ihnen zugewandten Experten Wirklichkeit – die sie dann gemeinsam mit den Entscheidern der Politik als unverhandelbar deklarieren. Für die Kraft von Argumenten, für ausgangsoffene Diskussionen, bietet dieser Journalismus keinen Platz. Die wertvollen Prinzipien der journalistischen Auswahl und Gewichtung von Informationen werden nach Belieben außer Kraft gesetzt und den dominierenden Weltbildern angepasst. Ein Weltbildjournalismus bestimmt in weiten Teilen der Mainstreammedien die Berichterstattung. Zwischen Journalisten und Politikern herrscht weitestgehend ein Nichtangriffspakt – Konflikte, die über ein Scharmützel hinausgehen, finden sich allenfalls auf Nebenschauplätzen. Medien loben wahlweise Merkels »Augenringe des Vertrauens«1 oder stimmen (gemeinsam mit einem Teil der Politiker) in den Chor des ›Uns-geht-es-doch-gut-Liedes‹ ein.

Viele Medien haben sich jeder Fundamentalkritik an ihnen verschlossen. Insbesondere so manche Leitmedien haben eine Demarkationslinie gezogen2, um sich von einem Teil ihrer Rezipienten, die Kritik an dem gebotenen Journalismus üben, abzugrenzen.3 Die Kritik von außen, also von denjenigen, die Realität anders wahrnehmen und die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse anders deuten  als die Medien, wird als ein Angriff, als eine Bedrohung aufgefasst. Wenn die Meinungsführer im Journalismus mit den Missständen konfrontiert werden, bedienen sie sich gerne ehrenwerter Größen, die als Legitimationsstrategien zur Durchsetzung ihres Journalismus zu identifizieren sind und zugleich implizit sehr viel von ihrem immer wieder beanspruchten Deutungsmonopol erkennen lassen. Medien führen die ›Wahrheit‹ ins Feld, der sie unaufhörlich vorgeben zu dienen, und verknüpfen diesen edlen Anspruch mit einer scheinbaren Fürsorge gegenüber den Mediennutzern, die man bekanntlich vor ›Fake News‹ beschützen und aus der ›Filterblase‹ befreien muss. So versuchen sie unter anderem, die Besitzansprüche auf das Weltdeutungsmonopol zu legitimieren und zu untermauern.

Ein Rezipient, der das nicht akzeptiert, wird von den Medien nicht respektiert. Der Mediennutzer wurde über lange Zeit als Statist wahrgenommen, der sich gefälligst mit der Rolle, die das Mediensystem ihm zuschreibt, abzufinden hat. Er darf die Medien reichlich nutzen, er darf ihren Journalismus gerne loben, er darf sicherlich auch Kritik üben, etwa in Form eines Leserbriefs, aber er hat gefälligst zu akzeptieren, dass er nicht das letzte Wort hat. Über viele Jahre haben Medien geradezu mit Nachdruck jede Grundsatzkritik an der Berichterstattung ignoriert. Jede grundsätzliche Bemängelung an den Auslese- und Bewertungskriterien der Redaktionen werden sogar als schwerer und völlig ungerechtfertigter Angriff betrachtet. Wenn das Publikum Medienvertreter auf die schweren Bruchstellen und Schieflagen in der Berichterstattung hinweist, dann sind ›Fehler‹ (und das nur unter Zähneknirschen) das Maximale, was Medien eingestehen. Fehler, so lautet der Tenor, unterliefen bedauerlicherweise nun einmal auch den Qualitätsmedien. Allerdings sei man sehr bemüht darum, Fehler grundsätzlich zu vermeiden.

Die Reaktionen von bekannten Medienvertretern auf die Medienkritik sind bemerkenswert. Elmar Theveßen, der Nachrichtenchef des ZDF deutet, sie vor einiger Zeit als das Ergebnis einer Emotionalisierung der Mediennutzer durch die Ukraine-Krise um. »Es gibt eine Reihe von Leuten, die durch die Krise so emotionalisiert sind, dass sie uns Fehler in einer extrem harten und beleidigenden Form vorwerfen, vor allem aber ein System dahinter unterstellen. Das ist natürlich völliger Blödsinn.«4)

Der damalige ARD-Chefredakteur Thomas Baumann weist eine Kritik des Programmbeirats zurück, und das gleich auch noch »energisch«.5 Auch der Intendant der ARD Tom Buhrow weist ebenfalls zurück und bringt gleich noch eine emotional stark aufgeladene Ebene mit in die Diskussion, nämlich die der Ehre: »Unsere Kolleginnen und Kollegen leisten exzellente Arbeit […] Das geht an die journalistische Ehre.«6

Einem Mantra gleich wiederholen Vertreter von Leitmedien, dass sich der Leser, der Zuschauer mit seiner Kritik an ihnen irrt, dass die eigenen Analysen die richtigen sind, dass der Leser, wenn er um ein breites Meinungsspektrum geradezu bettelt, sich täuscht und nicht erkennt, dass es doch eine ›Vielfalt‹ an Meinungen in dem jeweiligen Medium gibt. Ein Verhalten wird sichtbar, das längst jeden Betrieb, jedes Geschäft, das im Servicebereich angesiedelt ist, in den Ruin getrieben hätte.

Man stelle sich folgende Situation vor: Chefredakteur X geht mit Redaktionsleiter Y in ein Restaurant. Die beiden bestellen sich Steak, Bratkartoffeln und einen Salat. Schnell stellen beide fest: Das Steak ist zäh und trocken, die Bratkartoffeln sind viel zu fettig und der Salat ist voller Essig. Was wäre, wenn auf die Beschwerde beim Kellner der Kellner den Chefkoch, der Chefkoch den Restaurantbesitzer und der Restaurantbesitzer den Rest der Mannschaft zusammenrufen würde und dann alle, quasi im Chor, erklärten: Das Steak ist nicht zäh, die Bratkartoffeln sind die besten, die man sich als Gast wünschen kann, und das, was als zu viel Essig wahrgenommen wird, ist in Wirklichkeit ein preisgekröntes Salatdressing, das im Übrigen allen anderen Gästen im Restaurant schmeckt. Der Chefkoch empfiehlt zudem den sich beschwerenden Gästen, noch einmal in sich zu gehen und nachzudenken, ob die eigene Beurteilung des Gerichtes nicht doch völlig falsch sein könnte, und gibt den Ratschlag, sich demnächst einmal ein Buch über gute Küche zu besorgen, so dass man ein Verständnis für die vorzügliche Speise, die hier serviert wurde, bekommt. In solch einem Falle würden Chefredakteur X und Redaktionsleiter Y aufstehen und mit ziemlicher Sicherheit nie mehr in dieses Restaurant gehen – und zwar zu Recht.

Dieses Beispiel ist nicht weit von der Realität entfernt. Wir haben es mit einer Berichterstattung zu tun, die von einem schier unerschütterlichen Glauben getragen ist, die einzig wahre Einschätzung der Weltereignisse zu liefern. Journalismus, so gilt es festzustellen, scheint, zumindest in den Zentren der diskursbestimmenden Medien, zu einer Glaubenslehre geworden zu sein. Im Zentrum dieses Glaubens steht aber nicht ein Gott, sondern eine alles überragende Intelligenz, über die die Anhänger dieses Glaubenssystems selbst verfügen – zumindest ist das ihre Überzeugung. Die Apologeten gehen davon aus, dass sie selbst dank einer gegenüber dem ›normalen Bürger‹ überlegenen Fähigkeit, soziale und politische Realität zu erfassen, einzuordnen, zu analysieren und zu erklären, im Besitz der reinen Wahrheit sind.

Doch warum unterscheiden sich die Weltanschauungen innerhalb des journalistischen Feldes so oft von den Weltanschauungen vieler Bürger? Wie kommt es, dass die großen Medien oft in nahezu geschlossener Formation bestimmte gesellschaftliche und politische Sachverhalte einheitlich wahrnehmen, während Teile der Mediennutzer eine andere Realität erkennen? Warum reagieren gerade leitende Akteure aus dem journalistischen Feld so emotional auf die Kritik an ihrer Arbeit? Warum gelingt es den kritisierten Medien nicht, die Kritik an ihrer Arbeit anzunehmen und sie konstruktiv in ihrem, aber auch im Sinne der Mediennutzer und vor allem: der Demokratie, zu verarbeiten? […]

Zensur ist in unserem Mediensystem nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Eine spezielle Form der Zensur, die sich zwar in manchem von einer staatlichen, einer von oben verordneten politischen Zensur unterscheidet, aber ihr in ihrer Auswirkung kaum nachsteht. Es handelt sich dabei um eine Zensur, die tief in unser Mediensystem eingeschrieben ist. In den Medien ist das zu erkennen, was wir als eine sozialstrukturell ausgeformte Zensur sprachlich erfassen wollen. Um ihr beizukommen, gilt es zu verstehen, welche sozialen Kräfte innerhalb des journalistischen Feldes wirken und warum sie wirken, wie sie wirken.

Setzt man sich mit der Medienwirklichkeit auseinander, lässt sich anhand von zahlreichen Beispielen veranschaulichen, dass Schieflagen in der Berichterstattung nicht einfach nur durch Fehler bei der journalistischen Arbeit entstehen (die menschlich sind und jedem passieren können und dürfen), sondern auf Wirklichkeitsentgleisungen mit Ansage zurückzuführen sind. Wir tun gut daran, uns eine alte Erkenntnis des deutschen Soziologen Niklas Luhmann in Erinnerung zu rufen. In seiner berühmt gewordenen Auseinandersetzung zur Realität der Massenmedien sagt Luhmann gleich zum Anfang: »Andererseits wissen wir so viel über die Massenmedien, daß wir diesen Quellen nicht trauen können.«7 […]

Andere Faktoren spielen eine Rolle, wie etwa die Besitzverhältnisse in den Medien, die Pressekonzentration, teilweise hochproblematische Arbeitsbedingungen (armselig geringe Honorare für nicht wenige freie Journalisten, enormer Zeitdruck, fehlende Möglichkeiten für investigative Recherchen und vieles mehr), Einwirkungen durch Interessengruppen. Ein Beispiel, das uns eine Ahnung von den äußeren Einwirkungen und Einflussversuchen auf die Medien vor Augen führt, sei hier aus einem Artikel der Süddeutschen Zeitung angeführt. Dort war vor einiger Zeit Folgendes zu lesen:

»Ein paar Monate zuvor, am 8. Oktober 2008, hatte es ein sonderbares Treffen gegeben, das in diesem Zusammenhang Erwähnung finden soll. Die Bundeskanzlerin hatte an jenem Tag die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Es war die Zeit, in die der Ausbruch der großen Finanzkrise fiel. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre, und überhaupt nur wenige Erwähnungen in den Archiven, nur hin und wieder einen Nebensatz, eine knappe Bemerkung. An einer Stelle liest man in dürren Worten, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren.«8

Aus Zusammenkünften wie diesen sollte man nicht den Schluss ziehen, dass Medien zwangsläufig dann auch den Bitten von Politikern nachkommen, aber es wäre auch ziemlich naiv anzunehmen, dass alle Beeinflussungsversuche von Seiten der Herrschenden grundsätzlich ohne Erfolg bleiben. […]

Das sind einige der Gründe, die für die schweren Verwerfungen im journalistischen Feld verantwortlich sind. Diese Gründe anschaulich zu machen, ist dringend nötig. Die Schäden an unserem demokratischen System, die durch Medien verursacht werden, die weitestgehend ihrer Wächterfunktion nicht mehr nachkommen, sind bereits gewaltig.

Marcus B. Klöckner: „Sabotierte Wirklichkeit oder Wenn Journalismus zur Glaubenslehre wird“ , 240 Seiten, Westend Verlag, 14.10.2019

Quellen:

1 Hensel, Jana: »Mein Angela-Merkel-Gefühl« Die Zeit, Nr. 45/2018 https://www.zeit.de/2018/45/bundeskanzlerin-angela-merkel-staatsfrau-abschied/komplettansicht %5BZugriff: 10. März 2019].

2 Man denke an die Schließung von Leserforen beziehungsweise die Einschränkung der Kommentarfunktion bei diversen Medien.