VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 29. JUNI 2018
von Andreas Wehr – http://www.rubikon.news
Europa muss seine Vasallenrolle gegenüber dem weltgrößten Kriegstreiber ablegen.
Wenn du verschleiern willst, dass jemand ein Feind ist, nenne ihn einfach hartnäckig „Freund“ und wiederhole diese Falschbehauptung regelmäßig in den Medien. Das Volk wird es dann irgendwann glauben. Die USA gefährden seit Jahrzehnten den Frieden in Europa und der Welt und ziehen auch Deutschland unter dem Stichwort „Verantwortung“ immer stärker in ihre militärischen Abenteuer hinein. Um als Musterschüler des großen amerikanischen Bruders zu gelten, verraten wir sogar unsere ureigensten Interessen — zum Beispiel Frieden mit Russland auf dem gemeinsamen europäischen Kontinent.
Friedensbewegung und politische Linke streiten über die Bewertung der gegenwärtigen Weltlage. Es geht um die Frage, ob wir es weiterhin mit einem imperialistischen Weltsystem zu tun haben, in dem die USA die entscheidende imperiale Macht sind, oder ob diese Vormachtstellung von einem Weltsystem mehrerer imperialistischer Staaten abgelöst wurde. In einem solchen multipolaren System käme vor allem Deutschland die Rolle einer aufstrebenden, langfristig sogar auf gleicher Stufe mit den USA stehenden Macht zu. Verbunden wird diese Annahme häufig mit Warnungen vor einem „Vierten Reich“ beziehungsweise einem neuen deutschen Faschismus.
Politische Bedeutung erlangte diese Kontroverse in der Auseinandersetzung um die sogenannten Montagsmahnwachen. Ihnen wurde unterstellt, die Bedeutung der USA zu überschätzen und damit zugleich die Gefährlichkeit des deutschen Imperialismus zu verharmlosen.
In der von den Montagsmahnwachen kritisierten Abhängigkeit Deutschlands von der Vormacht USA wird eine bedenkliche Nähe zur äußersten Rechten gesehen, für die die Bundesrepublik nur ein Vasallenstaat der USA sei.
Aus dieser unterstellten Nähe zwischen Rechts und Links speist sich auch der Vorwurf der „Querfront“, der gegenüber den Montagsmahnwachen von verschiedenster Seite erhoben wird (1). Praktische Bedeutung gewinnt dieser Streit regelmäßig bei den Vorbereitungen der jährlichen Proteste vor dem deutschen Luftwaffenstützpunkt Büchel, auf dem US-Atombomben lagern, und vor der US-Air Base Ramstein. Den Verantwortlichen für die Proteste wird von einem Teil der Friedensbewegung regelmäßig der Vorwurf gemacht, sich zu stark auf die von den US-Truppen ausgehenden Gefahren zu konzentrieren und dabei die Rolle Deutschlands zu verharmlosen.
Der andauernde Kalte Krieg
Bei einer Bewertung dieser Kontroversen ist von der heutigen Weltsituation auszugehen. Zu fragen ist, was die Ursachen für die politischen Spannungen sind, die immer wieder zu regionalen Kriegen führen und die das Potential zu einem neuen großen Krieg, zu einem 3. Weltkrieg, in sich tragen. Zu fragen ist danach, wer vor allem für diese Spannungen verantwortlich zeichnet.
Es ist eine Tatsache, dass wir uns weiterhin in einer Phase des Kalten Krieges befinden. 1946/47 hatte er mit der Verkündung des Ziels des „Rollbacks“, der Rückgängigmachung der Erfolge der progressiven und sozialistischen Bewegungen in Osteuropa und in Ostasien, begonnen (2). Für einen kurzen historischen Moment, in den Jahren nach der Zeitenwende 1989/91, schien es zwar so, dass dieser Kalte Krieg mit dem Untergang der Sowjetunion und des von ihr dominierten Staatensystems des europäischen Sozialismus zu Ende gegangen sei.
Man sprach vom Beginn eines neuen „Goldenden Zeitalters“ und erwartete den zügigen Abbau der Hochrüstung nicht allein im Osten sondern auch im Westen. Man hoffte auf eine „Friedensdividende“, die fortan für die Lösung der drängendsten sozialen und ökologischen Probleme der Menschheit zur Verfügung stehen würde. Es war die Zeit, als US-amerikanische Berater im Kreml ein- und ausgingen und Russland unter Präsident Boris Jelzin als Teil des Westens angesehen wurde.
Doch bereits Ende der neunziger Jahre änderte sich die Situation. Russland begann sich gegen allzu dreiste Versuche westlicher Konzerne zu wehren, die Bodenschätze des Riesenlandes für sich zu reklamieren. Und es wandte sich gegen die offene Missachtung seiner außenpolitischen Interessen. Sichtbar wurde dies erstmals im Protest gegen den Angriff der NATO 1999 auf die mit Moskau politisch und kulturell verbundene Bundesrepublik Jugoslawien.
Vor allem die Herauslösung des Kosovo aus dem jugoslawischen Staatsverband und damit die von der NATO militärisch betriebene Abspaltung von Serbien wurden von Moskau verurteilt. Nach dem Wechsel im russischen Präsidentenamt von Jelzin zu Putin im Jahr 2000 war die Entfremdung nicht mehr zu übersehen. Die von Putin seitdem verfolgte Strategie der Sicherung beziehungsweise des Wiederaufbaus der Staatlichkeit des Landes – und hier vor allem die Anstrengungen zur Wiederherstellung der Kontrolle über die Rohstoffvorkommen – lag und liegt nicht im Interesse der westlichen imperialistischen Staaten, vor allem nicht dem der USA.
Heute wird offen über eine Rückkehr des Kalten Krieges zwischen Russland und dem Westen gesprochen. Doch tatsächlich ist er niemals beendet worden.
Die Abrüstungsdividende ist ausgeblieben. Die Ausgaben für Rüstung liegen inzwischen weltweit sogar auf einem höheren Niveau als vor der Wende 1989/91, und die Gefahr eines globalen Krieges wird weiterhin als hoch eingeschätzt.
Der Kampf der USA gegen Russland und China
Wir haben es daher mit einer Wiederaufnahme des Kampfes um die Beherrschung der Welt durch den Westen, und hier vor allem durch die USA, zu tun. Was Russland angeht, so war dieser Kampf nur für die kurze Periode von zehn Jahren unterbrochen, einer Zeit in der man vom andauernden totalen Triumpf des Westens ausging und man das „Ende der Geschichte“, wie es Francis Fukuyama formulierte, als gekommen ansah.
Neben dem Gegner Russland als Erbe und Nachlassverwalter der Sowjetunion trat China als neue globale Herausforderung hinzu. Gegenüber diesem Land beendeten die USA bereits 1989 ebenfalls eine Phase der vorübergehenden Kooperation, die Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts begonnen hatte. Damals gelang es den USA, den ideologischen Streit der zwei sozialistischen Staaten geschickt für sich zu nutzen, um sie gegeneinander auszuspielen und auf diese Weise mit Hilfe von China die Sowjetunion unter Druck zu setzen.
Im Gegenzug dazu wurden dem Reich der Mitte der Zugang zu den internationalen Märkten weit geöffnet, und China wurde zum bevorzugten Ziel ausländischer Direktinvestitionen. Das Ergebnis dieser Öffnung war ein beispielloser Entwicklungsschub, der das Land in die Spitzengruppe beförderte, und es wird erwartet, dass in nicht allzu ferner Zukunft China die weltgrößte Volkswirtschaft noch vor den USA sein wird.
Dieser Aufstieg bedeutet für die USA eine besondere Herausforderung, vollzieht er sich doch unter Führung einer Kommunistischen Partei und damit unter sozialistischem Vorzeichen. Die Hoffnungen Washingtons, dass es auch dort – wie in der Sowjetunion und in den anderen sozialistischen europäischen Staaten – zu einem Kollaps der Herrschaft der KP kommen werde, hatten sich mit der Niederschlagung der gewaltsamen Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Frühjahr 1989 nicht erfüllt.
In Reaktion auf diese erfolgreiche Selbstbehauptung behandeln die USA und andere Staaten des Westens das Land seitdem wieder als ein feindlich gesonnenes. Man belegte es mit Sanktionen vor allem beim Zugang zu sicherheitspolitisch als relevant eingeschätzten Gütern und Dienstleistungen, und man begann erneut – wie bereits in der Zeit vor Übernahme des China zustehenden Sitzes im UN-Sicherheitsrat durch die Volksrepublik im Jahr 1971 – die territoriale Integrität des Landes in Frage zu stellen.
So kehrte der Westen zu der in den fünfziger Jahren offen betriebenen Unterstützung separatistischer Bestrebungen in Tibet zurück. Mit der forcierten Aufrüstung der Insel Taiwan und der Aufwertung der dortigen Regierung durch die USA wird die einstmals auch von Washington anerkannte Ein-China-Politik in Frage gestellt. US-Präsident Donald Trump hat sogar gestattet, dass US-Diplomaten auf allen Hierarchiestufen der Insel Besuche abstatten dürfen.
Es geht um die Rückgängigmachung der antikolonialistischen und antiimperialistischen Erfolge. Das Vorgehen des Westens unter Führung der USA gegen Russland und China und der Versuch ihrer Domestizierung zielen auf die Einengung ihrer politischen, wirtschaftlichen und militärischen Spielräume.
Es stellt daher eine Bedrohung aller sich von imperialistischer Vorherrschaft emanzipierenden Staaten und Völker dar.
Davon betroffen sind insbesondere die aus Sicht der USA unbotmäßigen Länder Iran, Syrien, Venezuela, Kuba und Nordkorea. Diese Staaten sind aber auf die Demokratisierung der Weltinnenpolitik durch die UN-Sicherheitsratsmitglieder Russland und China angewiesen. Sie profitieren von deren politischer, ökonomischer und militärischer Unterstützung bei der Sicherung ihrer eigenständigen Entwicklungswege.
Dem Westen geht es heute nicht mehr um die territoriale Beherrschung der Länder der Dritten Welt. Mit der Entkolonialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich der Kampf um die Befreiung auf das Gebiet der Ökonomie verlagert:
„Die Dritte Welt, die Gesamtheit der Länder, die eine mehr oder weniger lange Periode der kolonialen oder halbkolonialen Herrschaft hinter sich haben, ist vom politisch-militärischen Stadium des nationalen Befreiungskampfes zum politisch-ökonomischen übergegangen“ (3).
Die Politik des Westens unter Führung der USA zielt darauf ab, diese politisch-ökonomische Befreiung der Dritten Welt zu blockieren beziehungsweise rückgängig zu machen. Dem dienen alle Bestrebungen, die „Spielregeln“ der internationalen Ökonomie allein vom Westen bestimmen zu lassen. Dafür bedient man sich vor allem der in Washington ansässigen Institutionen Weltbank und Internationaler Währungsfonds.
Mit der europäischen Integration sollen die Kräfte der europäischen Nationalstaaten gebündelt werden, um als Juniorpartner der USA die Weltmachtrolle des alten Kontinents zu erhalten beziehungsweise wiederherzustellen (4). Dabei sucht die Europäische Union den Schulterschluss mit den USA, etwa in der Vereinbarung über das Transatlantische Handelsabkommen TTIP, das nach der früheren US-Außenministerin Hillary Clinton als „Wirtschafts-NATO“ konzipiert ist. Zwar wurden die Verhandlungen darüber unter Donald Trump abgebrochen, aber ihre Wiederaufnahme ist jederzeit möglich.
Der ökonomischen Kriegsführung des Westens dienen die Wirtschaftssanktionen, die in einem Ausmaß gegenüber unterschiedlichsten Staaten verhängt wurden, das in der Geschichte seinesgleichen sucht. Zu den schon seit Jahren in Kraft befindlichen Sanktionen der USA gegenüber Kuba, China (bei militärischen Gütern und Dienstleistungen sowie gegenüber Unternehmen, denen Verbindungen mit Nordkorea vorgeworfen werden), Belarus, Nordkorea und Syrien traten neue gegenüber Russland, Venezuela, Nikaragua und Bolivien. Im Fall des davon besonders betroffenen Irans kehren die USA unter Trump nach nur kurzer Unterbrechung zu dieser Praxis zurück.
Auch die Staaten der Europäischen Union nutzen das Mittel der Sanktionen, um andere Staaten botmäßig zu machen oder zu bestrafen. So beteiligt sich die EU an den unter verschiedensten Vorwänden verhängten Sanktionen gegenüber Russland. Einige Länder der Union, wie Großbritannien und Polen, verlangen noch darüber hinausgehende Maßnahmen gegen Moskau.
Die Sanktionen stehen in ihren verheerenden Wirkungen militärischen Einsätzen kaum nach. So wurde der Iran um Jahre in seiner Entwicklung zurückgeworfen. Russlands Wirtschaft erlitt aufgrund der jüngst immer fester angezogenen Sanktionsschraube einen starken Einbruch. Zu einer tödlichen Waffe wurden die Sanktionen vor allem gegen den Irak unter Saddam Hussein. Sie waren für den Tod allein von Hunderttausenden Kindern verantwortlich.
Die ungebrochene militärische Hegemonie der USA
Auch wenn die Länder des Westens sich immer häufiger und immer aggressiver des Mittels der Sanktionen bedienen, um ihre Interessen durchzusetzen, so bleibt die militärische Überlegenheit weiterhin die entscheidende Grundlage der Hegemonie des Westens. Es ist der „Big Stick“, der am Ende zählt. Und den halten die USA in der Hand. Darauf begründen sie seit 1945 ihre einzigartige Stellung in der Welt. Und so sind denn sie es, die über Krieg und Frieden entscheiden.
Damit es so bleibt, investieren die Vereinigten Staaten Jahr um Jahr ungeheure Mittel in ihr Militär. 2017 waren es nach Angaben des Stockholmer International Peace Research Institute (SIPRI) https://www.sipri.org/media/press-release/2018/global-military-spending-remains-high-17-trillion nicht weniger als 610 Milliarden Dollar und damit mehr als die sieben nächst größten Nationen auf diesem Gebiet zusammen. Erst mit großem Abstand folgen China mit 228 Milliarden Dollar und Saudi-Arabien mit fast 70 Milliarden Dollar. Das in der westlichen Welt als aggressive und kriegslüsterne Macht dargestellte Russland kommt hingegen nur auf 66 Milliarden Dollar, und damit auf Platz vier.
Und als einzige große Militärmacht vermeldete Russland sogar ein Absinken des Wehretats um nicht weniger als 20 Prozent gegenüber 2016, was nicht zuletzt der Wirtschaftskrise des Landes als Ergebnis der verschärften Sanktionspraxis geschuldet ist.
Das von einigen bereits als künftige Weltmacht angesehene Deutschland kommt mit 44 Milliarden Dollar auf Platz neun in der Rangfolge. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157935/umfrage/laender-mit-den-hoechsten-militaerausgaben/ Davor liegen noch Indien, Frankreich, Großbritannien und Japan.
Zur Sicherung ihrer militärischen Macht und zur Gewährleistung der jederzeit möglichen Kriegsführung haben die USA die gesamte Welt mit einem dichten Netz von Militärstützpunkten überzogen. Washington nennt offiziell 761 Stützpunkte, unabhängige Beobachter gehen dagegen von etwa 1.000 aus, da auch Camps und Flugfelder hinzugerechnet werden müssen, die über keine ständige Besatzung verfügen, die aber schnell in Dienst genommen werden können. Kein anderes imperialistisches Land des Westens kann da auch nur annähernd mithalten.
Noch größer ist der Abstand gegenüber den amerikanischen Rivalen. China verfügt nur über einen einzigen Militärstützpunkt außerhalb des Landes. Im ostafrikanischen Dschibuti unterhält es eine kleine Marinebasis, die vornehmlich der Versorgung der chinesischen Blauhelmtruppen und der logistischen Hilfe chinesischer Unternehmen in Afrika dient. Russland unterhält in Syrien die Basen Tartus und Latakia. Weitere russische Stützpunkte bestehen in einigen Staaten der ehemaligen Sowjetunion.
Eindeutig ist die Überlegenheit der USA auch zur See. Ihre Flotten beherrschen alle Weltmeere und erweisen sich damit als würdige Nachfolger der einstigen Seemacht Großbritannien. Elf Flugzeugträger sind in Betrieb, einer befindet sich im Bau, ein weiterer in der Planung. Zum Vergleich: Russland und China verfügen nur jeweils über einen.
Diese gewaltige Militärmacht gestattet es den USA, im Bündnis mit anderen westlichen Staaten die als feindlich angesehenen Länder Russland und China einzukreisen, möglichst dicht an ihre Grenzen vorzurücken und sie damit unter Druck zu setzen. So wurde die NATO bis an die russischen Westgrenze vorgeschoben, und es wurden Truppen und Raketen des Bündnisses nach Polen und in das Baltikum gebracht.
China ist mit einem „Eisernen Gürtel“ der USA umgeben, der von Süd-Korea über Japan, Taiwan bis nach Australien reicht. Auf der japanischen Insel Okinawa befindet sich, unmittelbar der chinesischen Metropole Schanghai vorgelagert, einer der größten Auslandsstützpunkte der USA.
Wer führt die Kriege
Die USA nutzen diese gewaltige Militärmacht nicht nur zur Abschreckung und zur Drohung. Sie sind auch jederzeit bereit, sie einzusetzen. Bereits während des Kalten Krieges haben sie immer wieder zum Mittel des Krieges gegriffen, wenn es ihnen angebracht erschien. Es sei nur an die Kriege in Korea und Vietnam erinnert.
Mit dem Untergang der Sowjetunion entfiel alle Rücksichtnahme auf die Interessen einer zweiten Großmacht und die Zeit nach der Wende 1989/91 ist eine ununterbrochene Abfolge kleinerer wie größerer militärischer Interventionen weltweit.
Genannt seien hier nur die Angriffe auf Panama, den Irak (gleich zweimal), die Bundesrepublik Jugoslawien, Afghanistan, Libyen und Syrien. In einer Reihe weiterer Länder waren und sind Spezialkräfte, militärische Berater und angeworbene Söldner im Einsatz.
Obwohl die Vereinigten Staaten auf all diesen Schlachtfeldern die politisch und militärisch führende und entscheidende Rolle wahrnehmen, gehört es zu ihrem Prinzip, nicht allein sondern immer in einem möglichst breiten Bündnis zusammen mit anderen Staaten zu agieren. Eine Mandatierung ihres Vorgehens durch die UN ist aufgrund des Widerstands Chinas und Russlands im Sicherheitsrat heute kaum mehr erreichbar.
Häufiger gewählt wird daher der Rahmen der NATO, nach Möglichkeit erweitert um Staaten von außerhalb wie Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Aber auch verbündete Länder des Mittleren Ostens, wie Saudi-Arabien und Jordanien, oder aus Mittel- und Südamerika werden hinzugenommen. So sollen die Kriege der USA als solche eines möglichst einheitlich auftretenden Westens erscheinen. Kein Land ist zu klein, um nicht zumindest mit seiner Flagge und einer Handvoll Soldaten dabei zu sein.
Die Rolle der übrigen imperialistischen Länder des Westens
Wenn die USA die entscheidende imperiale Macht sind, deren militärische Überlegenheit Grundlage für ihre Weltherrschaft ist, in welchem Verhältnis stehen nun die übrigen imperialistischen Mächte, wie etwa Deutschland, zu ihnen?
Für den italienischen Historiker und Philosophen Domenico Losurdo steht fest:
„Die europäischen und asiatischen Verbündeten mögen Protagonisten schändlicher Kolonialkriege sein, doch nur unter der Bedingung, den Großen Bruder nicht herauszufordern; mögen sie sich auch mit ihrer angemaßten Überlegenheit über die ,Barbaren‘ brüsten, bleiben sie dennoch, wenn schon nicht ,Vasallen‘, so doch subalterne Partner der Vereinigten Staaten“ (5).
Die heutige Situation unterscheidet sich daher grundlegend von der Lage zur Zeit des Ersten Weltkriegs. Damals war die Situation bestimmt durch das Ringen mehrerer imperialistischer Staaten: des Deutschen Reiches, Frankreichs, Großbritanniens, Russlands, Italiens und Österreich-Ungarns. 1917 kamen die USA hinzu. Ihr Kriegseintritt sollte entscheidend für den Ausgang des Krieges werden. Sie stiegen zur Weltmacht empor. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren sie die alles entscheidende westliche Macht. Mit dem Untergang der Sowjetunion sind die USA die einzige Supermacht.
Über die Widersprüche zwischen imperialistischen Ländern
Die Hegemonie einer einzigen Supermacht führt aber nicht zur Aufhebung jeglicher zwischenimperialistischer Widersprüche. Gegenwärtig werden wir Zeugen, wie unter der Präsidentschaft von Donald Trump die Machtverhältnisse innerhalb des Westens neu bestimmt werden. Unter der Parole „America first“ werden enge Verbündete wie Deutschland, Japan und Süd-Korea vor den Kopf gestoßen. Ihre traditionellen, auf Export und hohe Außenhandelsüberschüsse ausgerichteten Wirtschaftsmodelle werden durch die Androhung von Strafzöllen infrage gestellt.
Grundlegend gewandelt hat sich auch die traditionelle Unterstützung der europäischen Integration durch die USA. Unter Trump wird sie nicht mehr länger gefördert, sondern als Konkurrenz wahrgenommen. So wurden die USA aus einem Gegner des britischen Austritts aus der EU unter Barack Obama zu einem Befürworter des Brexits unter Donald Trump.
Zu konstatieren ist eine Wende in den internationalen Beziehungen. Auf eine lange Phase der Kooperation und des Interessensausgleichs innerhalb des westlichen Lagers, in der die USA den Aufstieg von Wirtschaftsmächten wie Japan, Südkorea und Deutschland nicht nur geschehen ließ sondern sogar förderte, folgt jetzt eine Zeit, in der der Führungsanspruch der Vereinigten Staaten auch ökonomisch wieder geltend gemacht wird. Hierzu gehört auch die Auferlegung höherer Rüstungslasten für die europäischen NATO-Staaten. Damit will Washington die Aufwendungen für sein Engagement auf dem europäischen Kontinent reduzieren, um so mehr Mittel für die Eindämmung Chinas im pazifischen Raum zur Verfügung zu haben.
Die europäischen NATO-Staaten sind aber nicht nur mit Forderungen nach höheren Ausgaben für ihre Rüstungen konfrontiert. Das von ihnen bisher bereitwillig mitgetragene System von Sanktionen gegen zu disziplinierende Drittstaaten erweist sich für sie immer häufiger als Bumerang.
Mit Hilfe des Prinzips der Exterritorialität gelingt es den US-amerikanischen Justizbehörden, den Wirkungskreis der von der eigenen Regierung verhängten Sanktionen auch auf Unternehmen und Banken in anderen Staaten auszuweiten. Auf diese Weise werden etwa die Wirtschaftsbeziehungen europäischer Unternehmen mit Russland, Kuba und dem Iran massiv geschädigt.
Um die sich verändernde Situation verstehen zu können, ist es hilfreich sich an die Lage der westeuropäischen Länder nach Ende des zweiten Weltkrieges zu erinnern. Damals griffen die als Befreier vom deutschen Faschismus gekommenen USA recht bald in Frankreich, Italien und anderen Ländern ungeniert in die Innenpolitik dieser Länder ein, um eine Linkswende durch die Regierungsbeteiligung kommunistischer Parteien zu unterbinden (6).
Anknüpfend an eine Rede des Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) Palmiro Togliatti aus dem Jahr 1951 zieht Domenico Losurdo für die heutige Situation folgende Schlussfolgerung: „Den Imperialismus kennzeichnet nicht nur die Feindschaft gegen das sozialistische Lager und die antikoloniale Revolution; weil zu seiner Charakteristik das Streben nach Hegemonie gehört, kann der Imperialismus auch die koloniale oder halbkoloniale Unterwerfung von (hier zitiert Losurdo Togliatti, A.W.) ῾unabhängigen und, wie Frankreich und Italien, auch kapitalistisch entwickelten Ländern῾ mit sich bringen, sogar eines Landes wie Frankreich, das 1951 noch über ein großes Kolonialreich verfügte.
Der Widerspruch zwischen kapitalistisch entwickelten Ländern ist nicht notwendigerweise und ausschließlich ein zwischenimperialistischer Widerspruch, er kann auch ein Widerspruch zwischen einem besonders mächtigen und aggressiven Imperialismus und einer potentiellen Kolonie oder Halbkolonie sein. Es wäre eine unzulässige Verharmlosung des Imperialismus anzunehmen, dieser scheue a priori zurück vor der Umwandlung eines ῾entwickelten kapitalistischen῾ Landes in eine Kolonie oder Halbkolonie“ (7).
Deutschland als eine abhängige europäische Hegemonialmacht
Der Verweis auf das Schicksal Frankreichs nach Kriegsende, das Anfang der fünfziger Jahre von den USA als eine Halbkolonie behandelt wurde, obwohl es seinerzeit doch noch über ein großes Kolonialreich verfügte, gibt einen Hinweis auf die Rolle des heutigen Deutschlands. Es regiert zwar nicht über ein Kolonialreich, doch ist es innerhalb der Europäischen Union ohne Zweifel eine Hegemonialmacht, indem es Berlin gelingt, den übrigen 27 Mitgliedsstaaten das deutsche Modell der wirtschaftlichen Austerität aufzuzwingen. Und gegenüber den in der Eurokrise zu Schuldnern gegenüber den anderen Euroländern gewordenen Staaten Irland, Portugal, Zypern und vor allem Griechenland nimmt Deutschland tatsächlich die Rolle einer Hegemonialmacht ein, indem es mit Hilfe der Kommission, des Stabilitätsmechanismus und der Europäischen Zentralbank offen in die Innenpolitiken dieser Länder interveniert.
Und doch ist der außen- und vor allem der verteidigungspolitische Spielraum Berlins auf Weltebene sehr begrenzt, befindet es sich doch hier in direkter Abhängigkeit vom Agieren des Großen Bruders USA.
Die EU bietet keine Alternative
Angesichts der Unsicherheit über den weiteren Weg der USA unter Präsident Trump setzen deutsche Politik und Medien große Hoffnungen in die Entwicklung einer aktiven Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Bundeskanzlerin Merkel reagierte auf die neue Lage nach der Wahl von Trump mit den unbeholfenen Sätzen:
*„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen. Natürlich in Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ (8). *
Worte, die es immerhin bis in das CDU/CSU-Programm für die Bundestagswahlen schafften.
Im November 2017 einigten sich 23 der 28 EU-Mitgliedstaaten auf eine Ständige Strukturierte Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen (9). Nicht dabei sind – neben Großbritannien und Dänemark, die aufgrund einer Bestimmung des Vertrags von Maastricht nicht an der militärischen Kooperation teilnehmen – Irland, Portugal und Malta. Das wichtigste Ziel der Vereinbarung ist die Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung sowie bei der Rüstungsbeschaffung. Dafür wird ein Europäischer Verteidigungsfonds gegründet, der 2019 und 2020 mit insgesamt 500 Millionen Euro ausgestattet werden soll.
Es ist jedoch zu bezweifeln, dass damit der Durchbruch bei der Begründung einer Sicherheits- und Verteidigungsunion auch in der Realität erreicht wurde, wie euphorisch von der Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen verkündet wurde. Eine europäische Armee kommt damit noch lange nicht in Sicht:
„Nichts gibt ein Staat unwilliger aus der Hand als seine Verteidigung, denn hier kann es im Ernstfall ums nackte Überleben gehen. Dass in der EU auf diesem Feld seit Jahren nur Trippelschritte möglich sind, hat viel damit zu tun, dass kein Land die Entscheidung über Krieg und Frieden nach Brüssel delegieren will, nicht einmal das so integrationsfreundliche Deutschland“ (10).
Die traditionelle Uneinigkeit der Mitgliedstaaten der EU in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zeigte sich erneut bei der unterschiedlichen, ja sogar gegensätzlichen Reaktion auf die von den USA geführten Raketenangriffe auf Syrien im April 2018. Zwei EU-Länder, Frankreich und Großbritannien, beteiligten sich am Angriff, mehrere Länder, darunter auch Deutschland, äußerten ihr Einverständnis, andere, darunter die nicht der NATO angehörenden, nahmen ihn lediglich zur Kenntnis.
Die Entwicklung einer handlungsfähigen Außen- und Sicherheitspolitik der EU wäre aber alles andere als wünschenswert, denn damit würden den Mitgliedstaaten wichtige Souveränitätsrechte genommen werden. Sie könnten dann nicht mehr eigenständig über Krieg oder Frieden entscheiden.
Eine militärische Weltmacht Europa würde zudem die westliche Überlegenheit in der Welt gefährlich verstärken. Die USA würden mit der EU dann auch einen militärisch handlungsfähigen Partner erhalten, mit dessen Unterstützung sie die Einkreisungspolitik gegenüber Russland und China noch effektiver betreiben könnten.
Wer ist der Hauptfeind?
In der deutschen Linken und auch in der Friedensbewegung fehlt weitgehend das Bewusstsein über die Ursachen der sich gegenwärtig gefährlich zuspitzende Weltlage. Es wird wohl die Kriegsgefahr gesehen, aber die dafür Verantwortlichen werden nicht hinreichend klar benannt. Oft werden Trump, Merkel, Putin, Xi Jinping unterschiedslos dafür verantwortlich gemacht. So geschehen etwa aus Anlass der Proteste gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg (11).
Zur Charakterisierung der heutigen Lage wird oft die Aussage von Karl Liebknecht aus dem Jahre 1915 zitiert: „Der Hauptfeind steht im eigenen Land“. Was seinerzeit eine richtige Formulierung war, da sie den deutschen Imperialismus als Hauptverantwortlichen für den ersten Weltkrieg benannte, führt aber heute zu Desorientierung und zielt auf die Zerstörung jeglichen Antiimperialismus. Nicht zufällig ist denn auch die Parole vom „Hauptfeind“ Deutschland fester Bestandteil jeder antideutschen Ideologie (12).
Der antiimperialistische Kampf aber muss sich in erster Linie gegen die USA richten, denn sie sind der Hauptfeind!
Andreas Wehr ist Jurist. Von 1999 bis 2014 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter der „Konföderalen Fraktion der Vereinten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke“ im Europäischen Parlament. Es ist Autor von Büchern vor allem über die Europäische Union. Zuletzt erschienen von ihm „Der kurze griechische Frühling. Das Scheitern von Syriza und seine Konsequenzen“ und „Die Europäische Union“. Er ist, zusammen mit Marianna Schauzu, Mitbegründer des Marx-Engels-Zentrums Berlin. Weitere Informationen unter www.andreas-wehr.eu.