MORGENROT
LEBENS-TRÄUME
IN
TITANIC-ZEITEN
Unter diesem Titel veröffentlichte der Autor Harry Popow im Juni 2022 aus aktuellem Anlass sein neues Buch.
Sprache:
Deutsch
Format: DIN A5 hoch
Seiten: 480
Altersempfehlung:
Erwachsene (18 - 99)
Erscheinungsdatum: 18.06.2022
ISBN:
9783756506316
Zu bestellen:
https://www.epubli.de//shop/buch/MORGENROT-Harry-Popow-9783756506316/127368
Klappentext:
Das von Harry Popow vorgelegte Werk nennt sich nicht ohne Grund „MORGENROT“. Ein Titel, der vor allem an jene Generation erinnern soll, die nach der Befreiung vom Faschismus mit viel Mühe aus den Trümmern an materiellen Werten und denen in den Köpfen versucht haben, zunächst mit viel Erfolg, einen neuen Staat zu errichten, dem als wichtigstes Anliegen nicht nur die Entmachtung der einst herrschenden Geldeliten, die Beerdigung sämtlicher Kriegsgelüste als geschichtliche Notwendigkeit oblag, sondern vor allem dem friedlichen Aufbau sowie dem militärischen Schutz des Arbeiter- und Bauern- Staates.
Die 480 Seiten umfassende Lektüre teilt der Autor in fünf Abschnitte: Mit Vorkriegszeit skizziert er die erneute brandgefährliche Vorkriegssituation des Jahres 2022. In den weiteren Kapiteln berichtet er vom persönlichen Erleben vor und nach 1945, den neunjährigen Aufenthalt in Schweden nach der Annexion der DDR, die Rückkehr nach Deutschland sowie die nach wie vor geistig intensiven Jahre am Rande Berlins als Blogger, Rezensent und Autor.
Der bald 86-Jährige versteht dies als sehr kleinen persönlichen Beitrag im Widerstand gegen die Diktatur der Kapitalmacht, als Traum von einem Neubeginn hin zu einem neuen MORGENROT.
Das Buch ist gleichzeitig ein nach über 60 Ehejahren sehr authentischer Liebesroman zwischen seiner Frau Cleo und ihm, zwischen allen Kindern, Enkeln und Urenkeln einer großen und wunderbaren Familie.
Leseproben
5. Folge
S.76
Geologen-Zeit
September des Jahres 1954. Schwerin. Schmalbrüstige Straßen. Herbstluft. Nach der Bergmanns-Zeit als Lehrling: Neuer Arbeitsort für Henry: Ein zweistöckiges kleines Gebäude in der Schlossstraße. Ein schmales Arbeitszimmer für Henry. Seine Aufgabe: Erste physikalische Bodenuntersuchungen vorzunehmen. Die Bodenproben haben Mitarbeiter herbeigeschafft und in kleinen Kartons verstaut. Daraus entnimmt Henry die Steine oder Erdklumpen. Er tröpfelt verdünnte Salzsäure darauf. Wenn es schäumt, ist Kalk drin. Er untersucht, registriert, füllt in Reagenzgläser ab und beschriftet sie. Viel auf Reisen. In einem kleinen Heftchen – seine ersten Tagebucheintragungen - hält er folgendes fest: Von der Geologischen Kommission bekommen - Rucksack, Kartentasche, Regenmantel, Gummianzug, Gummistiefel, hohe Lederschuhe. Notwendige Ausrüstung für den kartierenden Geologen (ohne Zeltübernachtung): Derbe Kleidung (Gummistiefel, Reithosen, Skihosen), Kartentasche, Geologenrucksack, Bleistift, Zeichenblock, Notizbuch, Messtischblatt, Geologenhammer, gute Lupe, Erdbohrer, Nähzeug usw. Kartentasche habe ich schon, Gummistiefel noch nicht und vieles andere. Wohne in der Buchholzallee, einem Einfamilien-Reihenhaus, sein Zimmer befindet sich gleich im Parterre links. Seine Vermieter sind ältere und fortschrittliche Leute, er aber säuft. Henrys Sparplan: 209 DM monatliche Einnahmen. Davon 40 DM für Kost, 25 DM für Miete (1 Zimmer), 17 für Mittagessen, 10 für Beiträge, 50 für Mama, Rest eventuell zum Sparen. Küchenrezepte für Ledige mit Einzelzimmer: 1. Bratkartoffeln mit Ei usw. 2. Pellkartoffeln mit Fisch und Gurkensalat. 3. Fleischsalat und Brot. 4. Käse. 5. Eierkuchen. 6. Obstsuppe. 7. Büchsenfleisch. 8. Wurst - Butter - Brot. Auf der Lebensmittel-Zusatzkarte D bekommt er 1950 Gramm Fleisch und 1300 Gramm Fett. Er rechnet sich aus, wieviel er alle zwei Tage verbrauchen darf. Und ist trotzdem sehr zufrieden. Der tägliche Weg durch den bunten herbstlichen Park und am Schloss vorbei, in dem ein Pädagogisches Institut (Mädchen vor allem) untergebracht ist, der Duft nach Laub, seine vielen Spaziergänge am Wochenende, seine kleine Freiheit. Am Schloss hat er eine Zeichnung angefertigt. Aber alleine sein und ausgehen ist großer Mist, findet er. Wenn er in einem Tanzlokal sitzt, ist er verklemmt, mimt, mit einem Skizzenblock bewaffnet, den französischen Maler Henri de Toulouse-Lautrec, denn er fühlt sich so blöd, einfach so nach den Mädchen zu gieren ... Am 27.9. will er sich in der Volkshochschule anmelden - Fach Geologie.
Der Kollektor bekommt Post. Seine Mama schreibt ihm: „Deine 50,- DM haben wir bekommen, ich habe nur Angst, das du selbst zu wenig Geld hast, um so essen zu können, wie es in Deinem Alter unbedingt sein muss. Schreibe mir, wo du Dein Mittag bekommst ... muss ich denn immer bei Dir betteln, dass Du mir etwas mehr schreibst? Über alles,- nicht nur über Schönheiten der Natur ...“ Im gleichen Brief einige Zeilen auch von Schwester Sophia: „Im Übrigen solltest Du Dich nicht so viel mit Mädchen abgeben, denn ich bin auch noch da u. mit mir Ingrid, weißt Du, die uns gegenüber im Hinterhaus wohnt. Sie hat sich in Dich bis über beide Ohren verlieb ... Ich habe in Mathematik mündlich schon eine Eins bekommen. Das wären 0,50 DM, stimmt’s? Die brauchst Du mir aber nicht zu schicken. Es ist bloß zu Deiner Information.“
Henry notiert weiter: Am 23. September in der Frühe 04 Uhr mit dem BMW der Außenstelle nach Richtenberg gefahren und weiter nach Binz auf Rügen. Dort „Aufnahme“ gut geglückt. Das heißt, wir haben ein Stück des Hochufers mit weißen „Binden“ verklebt, von der Wand abgenommen, eingerollt, im Auto verpackt und mit nach Schwerin genommen zur weiteren geologischen Untersuchung. Gutes Wetter, herrliche Gegend. In Göhren übernachtet. Am ersten Abend tanzen gewesen. Am 25. zum Wildland bei Groß Zicker. Ödland. Kein Mensch. Nur Gesträuch, Bäume, Gräser, Steilküste und viele Fossilien. Wildland war mal bewohnt. Es wurden drei Steinbeile gefunden. An der Küste wieder eine kleine Bleistiftzeichnung angefertigt.
Henry ist glücklich. Er hat eine tolle Arbeit, und er würde auch gerne studieren. Das ist kein Traum. Er bewirbt sich in Freiberg im Erzgebirge. Bald kommt eine positive Antwort. Es ist Anfang Oktober. Er soll zur Aufnahmeprüfung: Lagerstättenkunde, Mineralogie, historische, regionale und angewandte Geologie, Aufbau des Meeres, Tektonik. Das Studium der Geologie kann im nächsten Jahr beginnen. Bis dahin: Arbeiten und büffeln – büffeln und arbeiten. Henry ist ganz bei der Sache. Nach der Rückkehr nach Schwerin jedoch ein „Überfall“. Zwei unbekannte Männer wollen mit ihm sprechen. Sie sitzen vor ihm in „seinem“ Labor. Sie kommen vom Wehrkreiskommando (hieß damals wohl anders). Sie lächeln, sind ausgesucht nett. Er, Henry, könne bei der Kasernierten Volkspolizei Militärgeologie studieren, dazu müsse er nach Erfurt und drei Jahre die Offiziersschule besuchen. (Sehr viele Jahre später wird er in einem geschichtlichen Abriß nachlesen: In den ersten drei Monaten des Jahres 1954 wurden nur 27 Prozent der Jahresaufgabenstellung für die Auffüllung der KVP erreicht ...) Das Angebot der beiden Männer klingt verlockend. Geologe sein und Offizier noch dazu! Henry fühlt sich sehr persönlich angesprochen: „Ausgerechnet mich will man haben, mich, den ruhigen Typ?“ Fühlt er sich geehrt? Sieht er noch eine größere Chance als die bisherige in Aussicht genommene Laufbahn? Zum Beispiel so richtig eingebunden zu sein in einer großen festgefügten Gemeinschaft? Sucht er Halt? Braucht er den? Er will Bedenkzeit. Und so geht dem noch Siebzehnjährigen die Frage durch den Kopf, ob er nach der Offiziersschule zum Studium nach Freiberg überwechseln könne? Wenn nicht, so seine naive Vorstellung, will er erst zum Geologiestudium. Seine Bedingung außerdem: Zu Weihnachten will er zu Hause sein in Leipzig bei seiner Mutter und seinen Geschwistern Sophia und Axel. „Aber selbstverständlich,“ antworten Tage später die Werber. Ein älterer Mitarbeiter der Außenstelle betritt darauf das kleine Arbeitszimmer des Henry und gibt dem sehr viel jüngeren Mitarbeiter zu bedenken, nach spätestens zwei Jahren hätte er das Militär gründlich satt. Henry hat seine eigene Meinung. Er denkt: „Will der mich abhalten?“ Das geht ihm irgendwie gegen den Strich. Soviel weiß er schon, nicht alle Leute sind für „unseren Staat“. Von Papa erhält Henry einen Brief. Er schreibt, Angehöriger unserer KVP zu sein sei „eine große Ehre und Verpflichtung“. Natürlich könne man als Geologe seiner Gesellschaft „auch sehr viel geben“. Also klar: Er muss schon selber wissen, was er will. Gegen die Gesellschaft hat er nichts. Im Gegenteil: Menschliches ist hier gewiß gut aufgehoben. Das entspricht seinem inneren Gefühl, seinem Bild von einem vernünftigen Leben. Er sagt zu. Mitte November soll es losgehen. Und in seinem Notizheft hält er fest: „Voll Hoffnung und mit frohem Glauben, Geh aufs Ganze, verzage nicht, Vorwärts ...“, so schreibt A.S. Puschkin in ‚Ruslan und Ludmilla‘.
Siebenter Oktober - Tag der Gründung der Republik. Feiertag, arbeitsfrei. In der Schlossstraße spricht man von „Wachsamkeit“ gegenüber Provokationen. Es wird Vorsorge getroffen, dass niemand die Außenstelle irgendwie „stört“. Man teilt auch den jungen Mitarbeiter zur Wache ein, von 20 bis 22 Uhr. Was er zu tun hat, wenn jemand „was will“, weiß er nicht, aber er fühlt sich gut, weil man ihm vertraut. Später erst wird er in einer Beurteilung lesen, dass dies sozusagen sein erster Einsatz in der Kampfgruppe war, den er auch gut bestanden hätte. Noch bevor er sich in den Zug setzt, der ihn nach Erfurt führen soll, schreibt seine Mutter ihm u.a. die folgenden Zeilen: „Nun, mein guter, bester Junge, was macht KVP, - schon da gewesen? Frau Gerda Müller war bei mir gestern, die war in Westen vier Wochen, die sagt das Wehrpflicht in Westen ist beschlossene Sache. Diese Scheißdreck fehlt uns noch zum vollen Glück. Man weiß nicht, was nun zu tun ist ...“