Entnommen: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28169
Ein Rückblick bis ins Jahr 1945
Kanzler
Scholz, der Marshall-Plan und die neue NATO-Strategie
Von Wolfgang
Effenberger
Am 22. Juni 2022 im Bundestag (1) und sechs Tage
später in seiner Abschlussrede auf dem Ende des G7-Gipfels in Elmau
forderte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz fast
gebetsmühlenartig einen Marshallplan für die die Ukraine. (2)
Gemeinsam mit der EU solle eine entsprechende internationale
Konferenz mit Experten und Wissenschaftlerinnen organisiert und ein
umfassendes Konzept zum Wiederaufbau entwickelt werden. Damit erweckt
Scholz den Eindruck, dass der vormalige Marshallplan ein karitatives
Unternehmen gewesen sei. Olaf Scholz ist Jahrgang 1958 und könnte
sich noch an ähnliche Bilder aus seiner Kindheit erinnern. Zumindest
aber an entsprechende werbewirksame Darstellungen in den
Schulbüchern.
Was wollten die USA 1947 mit dem
European-Rescue-Program (ERP) bezwecken?
Am 5. Juni 1947
hielt der ehemalige Generalstabschef der USA (seit 1. September 1939)
(!) und nunmehrige Außenminister George Marshall an der Harvard
Universität vor Veteranen (3) des 2. Weltkriegs eine weltweit
Aufsehen erregende Abschlussrede, die die Welt verändern sollte. In
dieser 12-minütigen Rede betonte Marshall, der in seiner
militärischen Laufbahn überwiegend mit Kriegsplanungen beschäftigt
war, dass der Krieg angesichts der sowjetischen Aggression nicht
wirklich vorbei sei und dass das bedrohte Europa "erhebliche
zusätzliche Hilfe erhalten muss, sonst droht ihm der
wirtschaftliche, soziale und politische Verfall". (4)
Der
Handschlag von Torgau an der Elbe war schnell vergessen, und die
gerade noch verbündete Sowjetunion wurde zum Reich des Bösen
erklärt – der sich anbahnende Kalte Krieg warf die ersten Schatten
voraus. (5)
Dass die Sowjetunion die Masse ihrer 12 Millionen
Soldaten weiter unter Waffen hielt, während die USA das Gros ihrer
11,5 Millionen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg sofort in die
Heimat zurückschickten, war für die US-Falken ein willkommener
Anlass, ihr böse Absichten zu unterstellen. Allerdings war in den
USA die Industrie nicht zerstört, vielmehr boomte sie auf hohem
Niveau, und man brauchte die Arbeitskräfte. Ganz anders in der
Sowjetunion: Dort hatte der Krieg große Landstriche verheert und die
Industrie bis zum Ural schwer in Mitleidenschaft gezogen. Daher
fehlten flächendeckend Unterbringungsmöglichkeiten und
Arbeitsplätze, sowohl für die Soldaten als auch für die
Bevölkerung.
Marshall, der Präsident Delano Roosevelt
während des zweiten Weltkriegs in demutsvoller Ergebenheit gedient
hatte, handelte nicht eigenständig und schon gar nicht als Altruist.
Er war zeitlebens Soldat, der nur eine Aufgabe sah: Amerika zu
dienen.
So steht Marshalls Rede in direktem Zusammenhang mit
der Erklärung von Präsident Harry S. Truman, der am 12. März 1947
vor beiden Häusern des Kongresses verkündet hatte: „Wir können
keine Veränderungen des Status quo erlauben, die durch
Zwangsmethoden oder Tricks wie die politische Infiltration unter
Verletzung der Charta der Vereinten Nationen erfolgen. Wenn sie
freien und unabhängigen Nationen helfen, ihre Freiheit zu bewahren,
verwirklichen die Vereinigten Staaten die Prinzipien der Vereinten
Nationen. Die freien Völker der Welt rechnen auf unsere
Unterstützung in ihrem Kampf um die Freiheit. Wenn wir in unserer
Führungsrolle zaudern, gefährden wir den Frieden in der Welt und
wir schaden mit Sicherheit der Wohlfahrt unserer eigenen Nation.“
(6)
Bereits im Oktober 1945 hatte Truman General Eisenhower
beauftragt, einen hypothetischen Plan für einen umfassenden Krieg
gegen die Sowjetunion auszuarbeiten. Mit der "Operation
Totality" sollten mit einem Schlag 20 wichtige Städte (Moskau,
Leningrad, Swerdlowsk, Tiflis….) ausradiert werden. (7)
Mit
der so genannten "Truman-Doktrin" war nun offiziell Moskau
der Fehdehandschuh zugeworfen worden. Im März 1947 übernahmen die
USA auch die ehemals britische Schutzmachtrolle über Griechenland
und die Türkei, um einer „sowjetischen Machtausweitung
entgegenzuwirken“, so die offizielle Darstellung. (8) Hier wurde
wohl die geopolitische Absicht kaschiert, die Handlungshoheit über
die Dardanellen auszuüben.
Die Hauptziele des Marshallplans,
eines bedeutenden Instruments bei der praktischen Ausgestaltung der
Truman-Doktrin, waren, den beherrschenden Einfluss der USA in den vom
Krieg zerstörten westeuropäischen Staaten zu sichern, den
Aufschwung der in vielen Ländern beträchtlich gewachsenen
revolutionären Bewegung zu verhindern, und natürlich die damaligen
Volksdemokratien Osteuropas von der UdSSR abzutrennen bzw. auf den
kapitalistischen Entwicklungsweg zurückzuführen. Es ging unter
anderem darum, die gesellschaftlichen, politischen und
wirtschaftlichen Privilegien der Eliten, der großen Unternehmen, in
ganz Europa aufrechtzuerhalten. (9) Vor allem galt es, Westeuropa als
einen verlässlichen Partner der USA zu etablieren. Dazu durfte es
nicht zu selbständig werden. (10) Es sollte helfen, die von Truman
bereits am 16. April 1945 skizzierte künftige Außen- und
Wirtschaftspolitik der USA als globaler Führungsmacht zu
unterstützen. (11) Zudem sollte Westeuropa ein Grundgerüst zur
europäischen Integration ausbilden und Motor der transatlantischen
Kooperation werden. (12) Eine entscheidende Rolle dürfte auch der
enorme Außenhandelsüberschuss der USA gespielt haben. Die Konzerne
–allen voran der Militärisch-Industrielle Komplex – brauchten
dringend neue Märkte, die Oligarchen nach den Kriegsprofiten weitere
Gewinne, und die Plutokraten wollten zudem ihre Macht ausweiten.
Die
aus den USA importierten Waren wurden zu 90 Prozent aus dem
Marshallplan bezuschusst, 10 Prozent mussten selbst bezahlt werden.
(13) Den Gegenwert der Zuschüsse mussten die Empfängerländer dann
allerdings in inländischer Währung in Gegenwertfonds (Counterpart
Funds) einzahlen. In Deutschland verwaltet die am 16. Dezember 1948
ins Leben gerufene "Kreditanstalt für Wiederaufbau" (KfW)
noch heute das ursprünglich aus dem Marshallplan entstandene
Sondervermögen, dessen Verwendung nach wie vor durch die "Economic
Cooperation Administration" (ECA) genehmigt werden muss. Die USA
gewährten im Rahmen des Marshallplans Gelder in Höhe von insgesamt
fast 14 Milliarden Dollar, Westdeutschland erhielt davon ca. 1,4
Milliarden. Die Gesamtsumme entspricht einem heutigen Geldwert von
etwa 130 Milliarden US-Dollar (Stand 2015).
Zum Vergleich:
2012 hat Deutschland allein zur Euro-Rettung nach der Finanzkrise von
2007/2008 Hilfsprogramme für Irland, Portugal und Griechenland
betreut und eine maximale Haftung von bis zu 211 Milliarden Euro
übernommen. Wird das Volumen für Hilfskredite beider Schirme
einfach addiert, könnte die deutsche Gesamthaftung im schlechtesten
Fall sogar auf rund 400 Milliarden Euro hochschnellen. (14) Die auf
Deutschland zukommenden Beiträge im Rahmen des aktuellen
Ukrainekriegs dürften diese Summen noch weit übersteigen.
Das
auf kapitalistischen Prinzipien und Freihandel aufgebaute
„Hilfsprogramm“ stand sozialistischen Prinzipien diametral
entgegen. Zudem verlangten die USA als Gegenleistung für den Erhalt
von ERP-Mitteln Einsicht in die Budgetplanungen der betreffenden
Länder. (15)
Nur wenige Wochen nach Marshalls Rede, am 26.
Juli 1947, wurde der "National Security Act" verabschiedet,
eines der wichtigsten Gesetze in der amerikanischen
Nachkriegsgeschichte. Mit ihm wurde die Sicherheits- und
Verteidigungspolitik auf institutioneller Ebene vollzogen. Nach einer
Analyse von Harvey Sapolsky und Kollegen aus dem Jahr 2009 ist der
National Security Act bis heute Grundlage weltweiter amerikanischer
Militärmacht. (16)
Die wichtigsten Punkte des Gesetzes waren
die Zusammenlegung des vorherigen Kriegsministeriums und des
Marineministeriums, die Schaffung einer unabhängigen Luftwaffe
(USAF), die Beibehaltung und Institutionalisie- rung des während des
Krieges eingerichteten Vereinigten Generalstabs (Joint Chiefs of
Staff, JCS), die Schaffung des Nationalen Sicherheitsrats (NSC) so-
wie die Gründung der "Central Intelligence Agency", der
CIA.
Walter Lippmann, einflussreicher Propagandist des
Neoliberalismus und einer gelenkten Demokratie, schrieb 1947 im
Zusammenhang mit der Einbindung von Griechenland und der Türkei in
den Marshallplan: „Wir haben die Türkei und Griechenland nicht
deshalb ausgewählt, weil sie besonders hilfsbedürftig sind, und
auch nicht deshalb, weil sie glänzende Muster für Demokratie sind,
sondern weil sie das strategische Tor darstellen, das ins Schwarze
Meer führt, in das Herz der Sowjetunion.“ (17)
Im Jahr 2021
war dieses strategische Tor für die US-/NATO-Aktivitäten weit
geöffnet. Im Rahmen des mehrmonatigen Manövers Defender Europe 21
fanden die Schwerpunktaktivitäten in der Region des Schwarzen Meers
statt: ein sichtbarer Erfolg der offenen Aggressivität der Truman
Doktrin und des Marshallplans.
Alle drei Ereignisse -
"Truman-Doktrin", Marshallplan und der "National
Security Act" – stehen in einem direkten Zusammenhang.
Im
März 1948 beschlossen die vom Marshall-Plan subventionierten
Regierungen Großbritanniens, Frankreichs und der drei kleinen
Benelux-Monarchien den "Brüsseler Pakt": Er verstand sich
als Militärbündnis gegen eine erneute deutsche Aggression und gegen
eine drohende sowjetische Aggression.
Am 4. April 1949 wurde
die NATO offiziell als Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion
gegründet. (18)
Der erste Generalsekretär der NATO, Lord
Ismay, formulierte salopp die Aufgabe der NATO: „die Russen
draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten“
(19). Im Bündnisvertrag wurde festgehalten, dass wirtschaftlicher
Wiederaufbau und wirtschaftliche Stabilität wichtige Elemente der
Sicherheit seien – daher der Marshallplan.
Am 19. Dezember
1949 verabschiedeten die USA den Kriegsplan "Dropshot", mit
dem 1957 die Sowjetunion angegriffen werden sollte. In der
»Grundannahme« heißt es wörtlich: „Am oder um den 1. Januar
1957 ist den Vereinigten Staaten durch einen Aggressionsakt der UdSSR
und/oder ihrer Satelliten ein Krieg aufgezwungen worden.“
(20)
Daraufhin sollten 300 Atombomben und 29.000 hochexplosive
Bomben auf 200 Ziele in einhundert Städten abgeworfen werden, um 85
Prozent der industriellen Kapazität der Sowjetunion mit einem
einzigen Schlag zu vernichten. Der Zeitpunkt war zweifellos auf den
ursprünglich geplanten Abschlusstermin der Remilitarisierung
Westdeutschlands abgestimmt. Als dann jedoch 1957 der fiepsende
Sputnik seine Kreise um die Erde zog, mussten die Kriegsplanungen
überarbeitet werden, und der Zeitpunkt für Dropshot wurde vertagt.
In Moskau aber ist der Plan unvergessen.
1951 stellte der
Koreakrieg den Auftakt für weitere Kriege in Südostasien dar,
begleitet von Destabilisierungsmaßnahmen. Den Auftakt zu einer Reihe
gewaltsamer, völkerrechtswidriger Umstürze bildete 1953 der Sturz
des demokratisch gewählten iranischen Ministerpräsidenten Mohammad
Mossadegh in einer Geheimoperation namens Ajax. In der Folge übernahm
ein internationales Konsortium die Förderung und Vermarktung des
iranischen Erdöls für die nächsten 25 Jahre. Dabei wurde der
Anteil britischer Firmen auf 40 Prozent reduziert – bei
gleichzeitigem Einstieg von fünf amerikanischen Ölgesellschaften
mit zusammen 40 Prozent Geschäftsanteil. (21)
Am 4. Juni 2009
gestand Präsident Barack Obama in seiner Rede an die islamische Welt
als erster US-Regierungschef öffentlich das ein, was die CIA
jahrzehntelang geleugnet hatte: „Mitten im Kalten Krieg spielten
die Vereinigten Staaten eine Rolle beim Sturz einer demokratisch
gewählten iranischen Regierung.“ (22) Ein Geständnis ohne
Einsicht. Denn Obama und sein Vizepräsident Joe Biden spielten im
Februar 2014 selbst die zentrale Rolle beim Putsch gegen den
demokratisch gewählten Präsidenten der Ukraine, Wiktor
Janukowytsch; dabei standen geostrategische Ziele im Hinblick auf die
Zerstörung Russlands im Vordergrund.
Am 29. Juni 2022 räumte
NATO-Generalsekretär Stoltenberg auf dem NATO-Gipfel in Madrid ein,
dass sich das Bündnis seit 2014 auf einen Konflikt mit Russland
vorbereitet hat. (23) Vor Medienvertretern erklärte er, „dass das
Militärbündnis seit der Machtübernahme durch russische Truppen auf
der Halbinsel Krim damit begonnen habe, seine Truppen in Osteuropa zu
verstärken“ (24).
Die Bewohner der Krim wurden 1954 nicht
gefragt, ob sie zur Ukraine wollen. 1991 strebte die Krim die
Unabhängigkeit an. Warum ist der "Werte-Westen" nicht
bereit, den Menschen auf der Krim ihr verbrieftes
Selbstbestimmungsrecht zuzubilligen? Warum der jahrelange Krieg im
Donbass mit der Ausweitung zu einem großen europäischen Krieg?
Vor
den Staats- und Regierungschefs sagte der ukrainische Präsident
Wolodymyr Zelensky (er nahm nur virtuell teil), die Russische
Föderation wolle die künftige Weltordnung diktieren. Das ist eine
ungeheure Unterstellung, und sie ist lächerlich angesichts der
permanenten NATO-Osterweiterung seit 1991. Die USA sind es, die
konsequent nach einer unipolaren Weltordnung streben (eine "neue
Ordnung der Zeitalter" findet sich auf der Rückseite –
darüber das Auge der Vorsehung über einer unvollständig gemauerten
Pyramide – des Siegels der Vereinigten Staaten) (25). Und die
US-Langzeitstrategie TRADOC 525-3-1 „Win in a Complex World
2020-2040“ ist in diesem Sinn mehr als eindeutig.
Abschließend
forderte Zelensky Sicherheitsgarantien vom Westen und wies darauf
hin, dass die Ukraine fast 5 Milliarden Dollar pro Monat für
Verteidigung und Schutz benötige.
Vor dem aufgezeigten
Hintergrund wird deutlich, dass der von Scholz geforderte
Marshallplan für die Ukraine mit dem Marshallplan von 1947 nur eine
Parallele hat: Stärkung der Ukraine als Rammbock gegen Russland.
Unter dieser Überschrift hat der Autor in Schwarzbuch EU & NATO
(2020) dem Thema ein ganzes Kapitel gewidmet.
Der Marshallplan
von 1947 war ein Plan des Kriegsgewinners USA (militärisch und
wirtschaftlich) zum Wiederaufbau der kriegsgebeutelten westlichen
Verbündeten (der Verlierer Deutschland kam später hinzu). Eine
derartige Situation stellt sich heute nicht dar. Europa hat keine
moralische Schuld gegenüber der Ukraine – höchstens vielleicht
eine Mitverantwortung beim Putsch auf dem Maidan, dem Ausblenden von
acht Jahren Bürgerkrieg sowie Interesselosigkeit bei der Umsetzung
von Minsk I und II.
Was die Welt jetzt braucht, ist kein
leeres Geschwätz über eine Neuauflage des Marschallplans, sondern
aktives Handeln in Richtung Waffenstillstand, das hoffentlich in
einen FRIEDEN mündet, welcher den Namen verdient.
Oberste
Pflicht von Bundeskanzler Scholz muss es zunächst sein, dass
Deutschland nicht weiter in den Krieg hineingezogen wird.
Angesichts
weiterer Lieferungen von Panzerhaubitzen 2000 und der Eskalation
durch Litauens Blockierung des russischen Transitverkehrs nach
Kaliningrad (früher Königsberg) und die Erhöhung der Zahl der
NATO-Soldaten in hoher Einsatzbereitschaft von 40.000 auf mehr als
300.000, wird vor einem möglichen Frieden wohl die Ausweitung des
Krieges stehen.
Das in Madrid nach dem NATO-Gipfel
verabschiedete neue strategische Konzept liest sich wie eine
Kriegserklärung an Russland und hat der Eskalationsspirale einen
weiteren Impuls gegeben. In Madrid kündigte US-Präsident Joe Biden
eine umfassende Aufstockung der US-Truppen (auf 100.000) in Europa an
sowie die Einrichtung eines ständigen US-Militärhauptquartiers in
Polen – ein bisher noch nie dagewesener militärischer Vorstoß der
USA in einem Land des ehemaligen Warschauer Pakts. Dazu soll in
Rumänien eine zusätzliche "Rotationsbrigade" mit 5.000
Mann stationiert werden, sollen zwei zusätzliche F-35-Kampfstaffeln
nach Großbritannien verlegt und in Deutschland und Italien
zusätzliche Luftabwehrsysteme in Stellung gebracht werden – was ja
nur Sinn macht, wenn mit Luftangriffen auf diese NATO-Staaten
gerechnet wird.
Schweden und Finnland wurden nun offiziell
eingeladen, dem Bündnis beizutreten. (26) Vorausgegangen war ein
wochenlanges Tauziehen mit dem türkischen Autokraten Erdogan. Er
schaffte es, dass die zukünftigen Nato-Länder sich weitgehend den
türkischen Forderungen beugten. Sie kündigten bereits an, dass
kurdische Aktivisten, die von der Türkei als „Terroristen“
bezeichnet werden, an die Türkei ausgeliefert werden – und dies,
obwohl ihnen in der Türkei Folter und lange Haftstrafen drohen. (27)
Über den völkerrechtswidrigen Angriffen der Türkei gegen die
Kurden in Syrien oder im Irak wird die NATO weiterhin wohlwollend
hinwegsehen.
Mit dem NATO-Beitritt von Schweden und Finnland
verdoppelt sich die Landgrenze der NATO zu Russland, das als die
"bedeutendste und direkteste Bedrohung für die Sicherheit der
Verbündeten" definiert wird. Mit Schweden und Finnland wird die
Ostsee zu einem NATO-Meer. Nun kann auch der Seezugang zu Kaliningrad
von der NATO gestört werden (Zur Erinnerung: das Korridorproblem
zwischen Deutschland und Polen führte am 1. September 1939 in den
Zweiten Weltkrieg), und das NATO-Land Türkei kann der russischen
Schwarzmeerflotte den Zugang zum Mittelmeer versperren. Zugleich
kontrolliert die NATO über die Straße von Gibraltar den Zugang zum
Mittelmeer. Die angelsächsische Meerengenpolitik ist immer noch sehr
erfolgreich. Mit der gegenwärtigen Situation können die
US-Strategieplaner von "Win in a Complex World 2020-2040"
(September 2014) sehr zufrieden sein.
Doch wie könnten die
Reaktionen auf der anderen Seite des Schachbretts aussehen? Wird man
dort warten, bis USA und UK noch mehr Militärmaterial für einen
Angriff auf Russland nach Europa schaffen? Im Februar 2007 hat Putin
auf der Münchner Sicherheitskonferenz bereits die rote Linie
gezogen: weder Georgien noch die Ukraine dürfen Teil der NATO
werden. Da westliche Politiker nicht müde werden, immer wieder zu
betonen, dass Russland besiegt werden muss, und damit Putin
unmissverständlich deutlich machen, dass momentan ein
Abnutzungskrieg gegen Russland als Stellvertreterkrieg mit der NATO
geführt wird, wird es das Ziel des Kremls sein, die Strukturen von
NATO und EU zu zerschlagen bzw. funktionsunfähig zu machen. Da im
sog. "Werte-Westen" die Stimmen, die zu einer gedeihlichen
Zusammenarbeit mit Russland raten (z.B. Sarah Wagenknecht, Alice
Weidel), diffamiert werden, muss man kein Prophet sein, um
vorauszusehen, dass in Europa wieder wie 1914 die Lichter ausgehen
könnten (Edward Grey, damals britischer Außenminister), sofern
nicht doch noch ein Wunder geschieht.
Fußnoten:
1)
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2022/kw25-de-regierungserklaerung-897774
2)
https://www.bundesregierung.de/breg-de/suche/g7-gipfel-elmau-kanzler-scholz-2058172
3)
Die ehemaligen Soldaten konnten aufgrund eines Gesetzes zur
Unterstützung bei der Wiedereingliederung von Veteranen des Zweiten
Weltkriegs in das zivile Leben studieren, 22. Juni 1944; Eingetragene
Gesetze und Resolutionen des Kongresses, 1789-1996;
https://www.archives.gov/milestone-documents/servicemens-readjustmentact#:~:text=Signed%20into%20law%20by%20President,WWII%20and%20later%20military%20conflicts
4)
Zitiert aus Opinion: The 75-year-old lesson for pushing back against
Putin
https://edition.cnn.com/2022/06/07/opinions/marshall-plan-wwii-anniversary-peace-avlon/index.html
5)
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/252298/umfrage/armeestaerken-im-zweiten-weltkrieg-nach-laendern/
6)
Zit. wie Görtemaker, Manfred et al.: Das Ende des
Ost-West-Konflikts, Berlin 1990, S. 58
7) Siehe Wolfgang
Effenberger: Schwarzbuch EU & NATO, Höhr-Grenzhausen 2020, S.
99f.
8) Zit. wie
www.academia.edu/32323328/Die_ungarische_Revolution_von_1956_pdf
9)
Vgl. ebd.
10) Vgl. Michelle Cini, From the Marshall Plan to EEC:
Direct and Indirect Influences. In: Schain 2001, S. 34
11)
Hofbauer, Hannes: Westwärts Österreichs Wirtschaft im Wiederaufbau,
Wien 1992, S. 44 f.
12) Auch das Clayton-Memorandum vom 27. Mai
1947 dachte eine »Europäische Wirtschaftsföderation« an. Vgl.
Roman Fried: Marshall-Plan und österreichischer Wiederaufbau. Eine
Betrachtung vor dem Hintergrund des Kalten Krieges;
http://othes.univie.ac.at/10266/1/2010 -05-15_0501711.pdf (abgerufen
am 21.5. 21)
13) Curt Tarnoff: The Marshall Plan: Design,
Accomplishments, and Relevance to the Present. In: Report for
Congress. 6.1.1997, S. 13 (abgerufen am 24.1.2021)
14) Der
dauerhafte Geldtopf zur Eu-ro-Rettung wurde vom Bundeskabinett
beschlossen – dabei sind wichtige Details noch nicht geklärt: Die
parlamentarische Kontrolle und die genaue Haftungssumme für
Deutschland vom 14.3.2012. Vgl. www.handelsblatt.com/
politik/deutschland/rettungsschirm-
schlimmstenfalls-haftet-deutschland-
fuer-400-milliarden-euro/6327118-2. html?ticket=ST-8149832-i1rJVtWdT-
c0RacxGBVj2-
15) Rebecca Belvederesi-Kochs und Paul Thomes: Der
Marshall-Plan. In: Themenportal Europäische Geschichte, 2010,
https://www.europa.clio-online.de/ essay/id/fdae-1526
16) Vgl.
Sapolsky, Harvey/Gholz, Eugene/Talmdge, Caitlin: US Defense Politics
London 2009, S. 4
17) Lippmann, W.: The Cold War. New York 1947,
S. 29 f.
18) Die Gründerstaaten der NATO sind Kanada und die USA
und die europäischen Länder Belgien, Dänemark, Frankreich,
Großbritannien, Island, Italien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen
und Portugal
19)
https://internationalepolitik.de/de/nordatlantische-allianz
20)
LONG-RANGE PLANS FOR WAR WITH THE USSR – DEVELOPMENT OF A JOINT
OUTLINE PLAN FOR USE IN THE EVENT OF A WAR IN 1957 (Short Title
--"DROSHOT")
21) https://web.archive.org/
web/20080327181230/http://www.nioc. ir/brief_history/page6.html
22)
https://obamawhitehouse.archives.
gov/issues/foreign-policy/presidents-
speech-cairo-a-new-beginning
23)
https://www.republicworld.com/world-news/russia-ukraine-crisis/natos-stoltenberg-admits-alliance-has-been-preparing-for-conflict-with-russia-since-2014-articleshow.html
24)
Ebd.
25) Auf der Rückseite der gültigen Ein-Dollar-Note befindet
sich seit 1935 das stilisierte Siegel der USA
26)
http://www.defenddemocracy.press/nato-is-preparing-world-war-against-russia-and-china/
27)
https://www.fr.de/politik/tuerkei-erdogan-nato-beitritt-schweden-finnland-zugestaendnisse-weder-ueberzeugend-noch-werteorientiert-zr-91643076.html
Wolfgang
Effenberger, Jahrgang 1946, ehemaliger Offizier der Bundeswehr, setzt
sich als Autor seit seinem ersten Buch „Pax americana“ (2004)
engagiert für den Frieden ein. Im April 2022 erschien von ihm "Die
unterschätzte Macht: Von Geo- bis Biopolitik - Plutokraten
transformieren die Welt". Weitere Bücher von ihm zum
Thema:
"Wiederkehr der Hasardeure" (2014, Koautor Willy
Wimmer), die Trilogie „Europas Verhängnis 14/18“ (2018/19) sowie
"Schwarzbuch EU & NATO" (2020).
Wolfgang
Effenberger, Jahrgang 1946, ehemaliger Offizier der Bundeswehr,
setzt sich als Autor seit seinem ersten Buch „Pax americana“
(2004) engagiert für den Frieden ein. Im April 2022 erschien von ihm
"Die unterschätzte Macht: Von Geo- bis Biopolitik - Plutokraten
transformieren die Welt". Weitere Bücher von ihm zum Thema:
"Wiederkehr der Hasardeure" (2014, Koautor Willy Wimmer),
die Trilogie „Europas Verhängnis 14/18“ (2018/19) sowie
"Schwarzbuch EU & NATO" (2020)
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