Entnommen: https://linkezeitung.de/2022/07/08/der-todeskampf-des-westens/
Der Todeskampf des Westens
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 8. JULI 2022
von Thierry Meyssan – http://www.voltairenet.org
Sergej Lawrow verglich den Westen oft mit einem verwundeten Raubtier.
Ihm zufolge sollte man es nicht provozieren, weil es vom Wahnsinn
ergriffen würde und alles zerstören könnte. Es wäre besser, es zum
Friedhof zu begleiten. Der Westen versteht das aber nicht so. Washington
und London führen einen Kreuzzug gegen Moskau und Peking. Sie brüllen
und sind zu allem bereit. Aber was können sie wirklich unternehmen?
Dieser Artikel folgt auf:
1. „Russland will die USA zwingen, die UN-Charta zu respektieren“, 4. Januar 2022.
2. „Washington setzt den RAND-Plan in Kasachstan fort, dann in Transnistrien“, 11. Januar 2022.
3. „Washington weigert sich, auf Russland und China zu hören“, 18. Januar 2022.
4. „Washington und London, von Taubheit getroffen“, 1. Februar 2022,
5. „Washington und London versuchen, ihre Dominanz über Europa zu bewahren“, 8. Februar 2022.
6. „Zwei Interpretationen des ukrainischen Falles“, 16. Februar 2022.
7. „Washington läutet die Kriegsglocke, während die Alliierten sich zurückziehen“, 22. Februar 2022.
8. „Russland erklärt den Straussianern den Krieg“, 1. März 2022.
9. „Ein Haufen Rauschgiftsüchtiger und Neonazis“
10. „Israel fassungslos über ukrainische Neonazis“, 8. März 2022.
11. „Ukraine: die große Manipulation“, 22. März 2022.
12. „Die Neue Weltordnung, die unter dem Vorwand eines Krieges in der Ukraine vorbereitet wird“, 29. März 2022
13. „Die Kriegspropaganda ändert ihre Form“ , 5. April 2022.
14. „Das Bündnis des MI6, der CIA und der Bandera-Anhänger“, 12. April 2022.
15. „Das Ende der westlichen Vorherrschaft„, 19. April 2022.
16. „Ukraine: Der Zweite Weltkrieg geht weiter“, 26. April 2022.
17. „Washington hofft, seine Hypermacht durch den Krieg in der Ukraine wiederherzustellen“, 3. Mai 2022.
18. „Kanada und die Bandera-Anhänger“, 10. Mai 2022.
19. „Ein neuer Krieg bereitet sich für die kommende Niederlage gegen Russland vor“, 24. Mai 2022.
20. „Die geheimen Militärprogramme der Ukraine“, 31. Mai 2022.
21. „Ukraine: Missverständnisse, Irrtümer und Unverständlichkeiten“, 7. Juni 2022.
22. „Polen und Ukraine“, 14. Juni 2022.
23. „Die Ideologie der Banderisten“, 21. Juni 2022.
24. „Sabotage des Friedens in Europa“; 28. Juni 2022.
Präsident Joe Biden und Premierminister Boris Johnson auf dem G7-Gipfel in Elmau.
Der G7-Gipfel in Bayern und der NATO-Gipfel in Madrid sollten die
westliche Bestrafung des Kremls für seine „militärische Sonderoperation
in der Ukraine“ verkünden. Doch während das präsentierte Bild auch den
Aspekt der Einheit des Westens in den Vordergrund gestellt hat, zeugt
die Wirklichkeit doch von seiner Abkopplung von den realen
Gegebenheiten, von seinem Zustimmungsverlust in der Welt und
letztendlich von dem Ende seiner Vorherrschaft.
Während die Menschen im Westen sich einreden, dass es um die Ukraine
geht, sieht die ganze Welt, wie sie in die „Thukydides-Falle“ tappen
[1]. Werden die internationalen Beziehungen weiterhin um den Westen
herum organisiert sein oder werden sie multipolar werden? Werden sich
die bisher unterworfenen Völker befreien und Souveränität erlangen? Wird
es möglich werden, anders zu denken als in Begriffen der Weltherrschaft
und sich der Entwicklung eines jeden einzelnen zu widmen?
Der Westen hat sich ein Narrativ der russischen „militärischen
Spezialoperation“ in der Ukraine ausgedacht, das seine eigenen Aktionen
seit der Auflösung der Sowjetunion ignoriert.
Er hat seine Unterschrift unter der Charta für europäische Sicherheit
(auch bekannt als OSZE-Erklärung von Istanbul) vergessen und die Art und
Weise, wie er sie verletzt hat, indem er nacheinander fast alle
ehemaligen Mitglieder des Warschauer Paktes und einen Teil der neuen
postsowjetischen Staaten [der EU] beitreten ließ. Der Westen hat
vergessen, wie er in 2004 die ukrainische Regierung ausgetauscht hat und
den Staatsstreich, durch den er in 2014 banderistische Nationalisten in
Kiew an die Macht gebracht hat. Nachdem er mit der Vergangenheit tabula
rasa gemacht hat, beschuldigt er Russland aller Übel. Er weigert sich,
seine eigenen Handlungen in Frage zu stellen und denkt, dass er es
damals mit Stärke durchgesetzt hat. Und für ihn schaffen seine Siege das
Recht.
Um dieses imaginäre Narrativ zu bewahren, hat er bei sich zu Hause
bereits die russischen Medien zum Schweigen gebracht. Man mag wohl
behaupten, „Demokrat“ zu sein, aber es ist besser, widersprüchliche
Stimmen zu zensieren, statt zu lügen.
Der Westen geht also widerspruchslos an den ukrainischen Konflikt heran
und redet sich selbst ein, dass er die Pflicht hat, allein zu bestimmen,
Russland zu verurteilen und zu sanktionieren. Durch die Erpressung
kleiner Staaten ist es ihm gelungen, einen Text von der
Generalversammlung der Vereinten Nationen zu erwirken, der ihm Recht zu
geben scheint. Er plant nun, Russland zu zerstückeln, wie er es in
Jugoslawien gemacht hat und dies im Irak, in Libyen, Syrien und im Jemen
(Rumsfeld/Cebrowski-Strategie) versucht hat zu machen.
Um dies zu tun, begann der Westen, Russland von der Finanzwelt und dem
Welthandel abzuschneiden. Er nahm ihm den Zugang zum SWIFT-System und zu
Lloyds und hinderte Russland daran, Waren zu kaufen, zu verkaufen,
sowie zu transferieren. Er dachte, er würde damit den wirtschaftlichen
Zusammenbruch Russlands verursachen. Tatsächlich erwies sich Russland am
27. Juni 2022 als unfähig, eine Schuld von 100 Millionen US-Dollar zu
begleichen, und die Ratingagentur Moody’s erklärte es für
zahlungsunfähig [2].
Aber das hatte nicht den gewünschten Effekt: Jedermann weiß, dass die
Reserven der russischen Zentralbank voller Devisen und Gold sind. Der
Kreml zahlte diese 100 Millionen Dollar, konnte sie aber wegen
westlicher Sanktionen nicht an den Westen überweisen. Er legte sie auf
ein Sperrkonto, wo sie auf ihre Schuldner warten.
Inzwischen hat der Kreml begonnen, der vom Westen nicht mehr bezahlt
wird, seine Produktion, einschließlich seiner Kohlenwasserstoffe, an
andere Länder, insbesondere China, zu verkaufen. Der Handel, der nicht
mehr in Dollar getätigt werden kann, erfolgt in anderen Währungen.
Infolgedessen fließen die Dollar, die ihre Kunden früher verwendet
haben, in die Vereinigten Staaten zurück. Dieser Prozess hatte bereits
vor einigen Jahren begonnen. Aber einseitige westliche Sanktionen haben
ihn brutal beschleunigt. Die riesige Dollarmenge, die sich in den
Vereinigten Staaten ansammelt, verursacht einen massiven Preisanstieg.
Die Federal Reserve tut alles, um ihn mit der Eurozone zu teilen. Die
steigenden Preise breiten sich mit hoher Geschwindigkeit auch auf dem
westeuropäischen Kontinent aus.
Die Europäische Zentralbank ist keine Agentur für wirtschaftliche
Entwicklung. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, die Inflation in der Union
zu steuern. In der Erkenntnis, dass sie den starken Preisanstieg
absolut nicht verlangsamen kann, versucht sie, ihn zu nutzen, um ihre
Schulden zu reduzieren. Die Mitgliedstaaten der Union werden daher
aufgefordert, durch Steuersenkungen und Freibeträge den Rückgang der
Kaufkraft ihrer „Bürger“ auszugleichen. Aber das ist ein endloser Kreis:
Indem sie ihren Bürgern helfen, binden sie sich mit Füßen und Händen an
die Europäische Zentralbank, sie ketten sich ein wenig mehr an die
US-Schulden und werden noch ärmer.
Es gibt kein Heilmittel für diese Inflation. Es ist das erste Mal, dass
der Westen die Dollar, die Washington seit Jahren ohne Bedenken gedruckt
hat, aufsaugen muss. Der Preisanstieg im Westen entspricht den Kosten
der imperialen Ausgaben in den letzten dreißig Jahren. Heute und erst
heute muss der Westen für seine Kriege in Jugoslawien, Afghanistan,
Irak, Libyen, Syrien und Jemen zahlen.
Bis jetzt haben die Vereinigten Staaten all jene getötet, die die
Vorherrschaft des Dollar bedrohten. Sie folterten und hängten Präsident
Saddam Hussein, der sie nicht akzeptierte und plünderten die irakische
Zentralbank. Sie folterten und lynchten den Führer Muammar el-Gaddafi,
der eine neue panafrikanische Währung vorbereitete und haben die
libysche Zentralbank geplündert. Die gigantischen Summen, die diese
Ölstaaten angehäuft haben, sind spurlos verschwunden. Man hat nur
gesehen, wie die GIs Dutzende Milliarden, in großen Müllsäcken verpackte
Dollar, forttrugen. Durch den Ausschluss Russlands aus dem Dollarhandel
hat Washington selbst provoziert, was es so sehr befürchtete: Der
Dollar ist nicht mehr die internationale Referenzwährung.
Die Mehrheit der übrigen Welt ist nicht blind. Sie hat gut verstanden,
was geschah, und eilte zum St. Petersburger Wirtschaftsforum und
versuchte dann, sich für den virtuellen BRICS-Gipfel anzumelden. Sie
erkennt – etwas spät – dass Russland im Jahr 2016 die „Erweiterte
Eurasien-Partnerschaft“ ins Leben gerufen hat und dass Außenminister
Sergej Lawrow dies auf der UN-Generalversammlung im September 2018
feierlich angekündigt hatte [3]. Vier Jahre lang wurden Straßen und
Eisenbahnen gebaut, um Russland in die Netze der neuen, von China
erdachten „Seidenstraßen“ auf Land und Meer zu integrieren. So war es
möglich, den Warenfluss in wenigen Monaten umzuleiten.
Der Rückfluss der Dollar und die Versetzung der Rohstoffströme führen zu
einem noch stärkeren Anstieg der Energiepreise. Russland, das einer der
weltweit größten Exporteure von Kohlenwasserstoffen ist, hat seine
Einnahmen deutlich gesteigert. Seine Währung, der Rubel, war noch nie so
stark. Um dem zu begegnen, haben die G7 einen Höchstpreis für
russisches Gas und Öl festgelegt. Sie geboten der sogenannten
„internationalen Gemeinschaft“, nicht mehr dafür zu bezahlen.
Aber Russland wird natürlich nicht zulassen, dass der Westen die Preise
seiner Produkte diktiert. Diejenigen, die sie nicht zum Marktpreis
kaufen wollen, werden sie also nicht kaufen können und kein Kunde
beabsichtigt, auf sie zu verzichten, um dem Westen zu gefallen.
Die G7 versuchen, zumindest theoretisch, ihre Vorherrschaft zu
organisieren [4]. Aber es funktioniert nicht mehr. Das Blatt hat sich
gewendet. Die vier Jahrhunderte westlicher Vorherrschaft sind vorbei.
In ihrer Verzweiflung verpflichteten sich die G7, die globale
Nahrungsmittelkrise, die ihre Politik verursacht hat, zu lösen. Die
betroffenen Länder wissen, was Verpflichtungen des G7-Gipfels bedeuten.
Sie warten ja immer noch auf den großen Entwicklungsplan Afrikas und
anderen falschen Zauber. Sie wissen, dass der Westen keinen
Stickstoffdünger produzieren kann und dass er Russland daran hindert,
ihn zu vermarkten. Die G7-Hilfe ist nur ein Tropfen Wasser auf einen
heißen Stein, damit sie geduldig warten und um die heiligen Prinzipien
des Freihandels nicht in Frage zu stellen.
Der NATO-Gipfel in Madrid war ein Ausdruck der Einheit und Macht. Aber
seine Mitgliedsstaaten wurden einberufen, um das zu unterzeichnen, was
Washington und London für sie beschlossen hatten. Ihre Einheit war nur
eine Form der Knechtschaft, von der viele sich schon zu befreien
gedachten.
Die einzig mögliche Option, um die westliche Vorherrschaft zu retten,
ist Krieg. Der NATO muss es gelingen, Russland militärisch zu zerstören,
wie Rom einst Karthago dem Erdboden gleichmachte. Aber es ist zu spät:
Die russische Armee hat viel hochentwickeltere Waffen als der Westen.
Russland hat sie bereits seit 2014 in Syrien getestet. Es kann seine
Feinde jederzeit vernichten. Präsident Wladimir Putin hat seinen
Parlamentariern 2018 den erstaunlichen Fortschritt seines Arsenals
vorgestellt [5].
Der NATO-Gipfel in Madrid war eine großartige Kommunikationsoperation
[6].. Aber es war nur der Schwanengesang. Die 32 Mitgliedstaaten haben
ihre Einheit mit der Verzweiflung jener beteuert, die Angst vor dem Tod
haben. Als ob nichts geschehen wäre, beschlossen sie zunächst eine
Strategie, um die Welt für die nächsten zehn Jahre zu dominieren, indem
sie Chinas „Wachstum“ als besorgniserregend bezeichnen [7].. Damit haben
sie zugegeben, dass ihr Ziel nicht in ihrer eigenen Sicherheit besteht,
sondern in der Vorherrschaft der Welt. Daraufhin leiteten sie den
Beitrittsprozess für Schweden und Finnland ein und zogen eine Annäherung
an China in Betracht, mit einem möglichen Beitritt Japans als erstem
Schritt.
Der einzige Vorfall, der schnell unter Kontrolle gebracht wurde, war der
türkische Druck, der Finnland und Schweden zwang, die [türkische] PKK
[Partei] zu verurteilen [8]. Unfähig ihm zu widerstehen, haben die USA
ihre Verbündeten, kurdische Söldner in Syrien und ihre Führer im
Ausland, einfach fallengelassen.
Darauf beschlossen sie, die Rapid Action Force der NATO mit 7,5 zu
multiplizieren, d.h. von 40.000 auf 300.000 Mann aufzustocken, und sie
an der russischen Grenze zu stationieren. Damit haben sie erneut ihre
eigene Unterschrift, die der Charta für Sicherheit in Europa, verletzt,
indem sie Russland direkt bedrohen. Tatsächlich kann Russland seine
immens langen Grenzen nicht verteidigen und kann seine Sicherheit nur
gewährleisten, indem es sicherstellt, dass keine ausländische Macht eine
Militärbasis nahe an seinen Grenzen installiert (Strategie der
verbrannten Erde). Das Pentagon verbreitet bereits prospektive Karten
der angestrebten Demontage von Russland.
Der ehemalige russische Botschafter bei der NATO und derzeitige Direktor
von Roskosmos, Dmitri Rogosin, reagierte, indem er auf seinem
Telegram-Account die GPS-Koordinaten der NATO-Entscheidungszentren,
einschließlich der Madrider Gipfelhalle, veröffentlichte [9]. Russland
hat Hyperschallträgerraketen, die derzeit nicht abgefangen werden
können, die in wenigen Minuten eine nukleare Ladung auf das
NATO-Hauptquartier in Brüssel und auf das Pentagon in Washington tragen
können. Damit keine Missverständnisse aufkommen, stellte Sergej Lawrow
unter Bezugnahme auf die Straussianer klar, dass die kriegerischen
Entscheidungen des Westens nicht vom Militär, sondern vom
US-Außenministerium getroffen werden. Es würde das erste Ziel werden.
Die Frage ist also: Werden die Westmächte alles auf eine Karte setzen?
Werden sie das Risiko eines Dritten Weltkriegs eingehen, der bereits
verloren ist, nur um nicht allein zu sterben?
Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser
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[1] Destined For War: Can America and China escape Thucydides’s Trap?, Graham T. Allison, Houghton Mifflin Harcourt (2017).
[2] « Government of Russia : Missed coupon payment constitutes a default », Moody’s, June 27, 2022.
[3] “Remarks by Sergey Lavrov to the 73rd Session of the United Nations
General Assembly”, by Sergey Lavrov, Voltaire Network, 28 September
2018. „UNO: die Geburt der post-westlichen Welt“, von Thierry Meyssan,
Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner Leuthäusser,
Voltaire Netzwerk, 2. Oktober 2018.
[4] „Kommuniqué der Staats- und Regierungschefs der G7 – Zusammenfassung“, Voltaire Netzwerk, 1. Juli 2022.
[5] “Vladimir Putin Address to the Russian Federal Assembly” by Vladimir
Putin, Voltaire Network, 1 March 2018. „Das neue russische nukleare
Arsenal stellt wieder die Bipolarität der Welt her“, von Thierry
Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Korrekturlesen : Werner
Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 6. März 2018.
[6] « Ce qu’il faut retenir du Sommet de l’OTAN 2022 à Madrid », Réseau Voltaire, 29 juin 2022.
[7] « OTAN 2022 Concept Stratégique », Réseau Voltaire, 29 juin 2022.
[8] “Turkiye, Sweden, Finland Memorandum”, Voltaire Network, 28 June 2022.
[9] „Russland bedroht die westlichen Entscheidungszentren“, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 29. Juni 2022.
https://www.voltairenet.org/article217582.html
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