Freitag, 15. Juli 2022

Alles Theater mit dem Feindbild Russland - NRhZ

 Entnommen: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28152

Aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 41, Juni 2022

Alles Theater mit dem Feindbild Russland

Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Russlands Eingreifen in der Ukraine: völkerrechtswidrig? Nein, denn: "Von der Regel des Gewaltverbots nach Art. 2 Nr. 4 der UN-Charta gibt es die Ausnahme in Artikel 51: 'das naturgegebene Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung'. Nach den Verträgen über Beistand und Freundschaft zwischen Russland und den Donbass-Republiken waren die Bedingungen für die Wahrnehmung des Rechts auf Selbstverteidigung gemäß UN-Charta gegeben. Russland führt also keinen 'Angriffskrieg' und es hat auch keinen Krieg 'begonnen', denn es griff in einen schon acht Jahre dauernden Krieg ein..." So formuliert es in aller Klarheit der Deutsche Freidenker-Verband. (1) Der US-Friedensrat bekräftigt diese Sichtweise: "Auf der Grundlage von Artikel 51 hat die Russische Föderation ihr Recht auf Selbstverteidigung geltend gemacht und den Sicherheitsrat ordnungsgemäß informiert. Russland bringt wichtige Argumente für seine Anwendung von Gewalt nach Artikel 51 vor." (2) Zudem darf nicht übersehen werden, dass es die NATO ist, die seit Jahren aggressiv gegenüber Russland auftritt.

Doch diese Darlegung der Sachlage ist im "Westen" die Ausnahme. Ansonsten wird das Feindbild Russland geschürt. Aus dem Munde der NATO und ihrer Handlanger ist zu hören: "Wir fordern Russland auf, seinen militärischen Angriff unverzüglich einzustellen... und von dem eingeschlagenen Weg der Aggression abzulassen." (Erklärung der Staats- und Regierungschefs der NATO, 25. Februar 2022) (3) "Die NATO und die EU sind sich einig in der scharfen Verurteilung der russischen Aggression gegen die Ukraine." (NATO-Außenminister, 4. März 2022) (4) "Die EU verurteilt die Entscheidung Putins, die nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete von Donezk und Luhansk anzuerkennen, sowie die grundlose und ungerechtfertigte militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine aufs Schärfste." (Europäischer Rat, 23. Juni 2022) (5) "Am 24. Februar hat Russland völkerrechtswidrig die Ukraine angegriffen." (Auswärtiges Amt der BRD, 4. Juni 2022) (6)

Es wäre zu erwarten, dass sich Friedensbewegung und Linke gegen das Schüren des Feindbilds Russland wenden. Doch weitgehend Fehlanzeige! Erklärungen aus der so genannten Friedensbewegung bedienen dieses Feindbild im Stile der NATO. So heißt es z.B.: "Wir verurteilen die militärische Aggression Russlands gegen die Ukraine. Für Krieg gibt es keine Rechtfertigung." (Erklärung von Willi van Ooyen und Executive Director des International Peace Bureau Reiner Braun, 24. Februar 2022) (7) Oder: "Der Krieg tobt in Europa. Mit ihrem völkerrechtswidrigen Angriff hat die russische Führung unendliches Leid über die Menschen in der Ukraine... gebracht. Jeden Tag wird der Krieg brutaler und zerstörerischer." (Aufruf der Initiative "Abrüsten statt Aufrüsten" zu den Ostermärschen 2022, 15. April 2022, mit Willi van Ooyen und Reiner Braun als Unterzeichner) (8) Oder: "Der völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist der erste konventionelle Krieg, der unmittelbar unter dem Atomschirm Russlands stattfindet." (Reiner Braun und der Bundesvorsitzende der Naturfreunde Michael Müller am 26. April 2022 in der Frankfurter Rundschau) (9)

Dazu eine Zwischenbemerkung: die Initiative "Abrüsten statt Aufrüsten" mit den führenden Köpfen Willi van Ooyen und Reiner Braun wehrt sich mit aller Verbissenheit gegen die Forderung nach Austritt aus der NATO und Kündigung des Truppenstationierungsvertrags. (10) Und die Naturfreunde mit Michael Müller an der Spitze sind die Organisation, die auf üble Weise gegen die Grundrechtebewegung Stimmung macht – sie z.B. als "Sammelbecken Deutschnationaler, AfDler und Esoteriker" diffamiert (11) – und die Freidenker-Veranstaltung "Linker Liedersommer" im Juni 2022 mit perfiden Unterstellungen fast zu Fall gebracht hätte (12).

Doch Reiner Braun, Willi van Ooyen und Michael Müller befinden sich in "bester" Gesellschaft. Einige weitere Beispiele: "Am 24. Februar überfiel Russland unter Präsident Wladimir Putin die Ukraine... Dieser Krieg ist durch nichts zu rechtfertigen. Putin trägt die volle Verantwortung für die Toten und die Menschen auf der Flucht. Putins Begründungen für den Krieg sind Lügen und Propaganda." (derAppell, März 2022) (13) "Der Angriff des russischen Militärs auf die Ukraine und die Anerkennung von Donezk und Luhansk sind falsch, völkerrechtswidrig und brandgefährlich. Die militärische Aggression ist durch nichts zu rechtfertigen." (IMI-Mitarbeiterin Claudia Haydt, 24. Februar 2022) (14) "Man muss ganz klar sagen: das was da jetzt stattfindet, ist ein barbarischer, völkerrechtswidriger Krieg, für den es keinerlei Rechtfertigung, keine Entschuldigung gibt." (Sahra Wagenknecht, 25. Februar 2022) (15) "Russlands Invasion der Ukraine ist ein Akt der Aggression und eine Menschenrechtskatastrophe." (Amnesty Deutschland, 1. März 2022) (16) "Wir sind bestürzt über den Bruch des Völkerrechts und die russische Invasion in die Ukraine." (Ostermarsch-Aufruf 2022, Bremen) (17) "Der völkerrechtswidrige Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hat den Krieg erneut nach Europa... zurückgebracht." Gemeinsamer Ostermarsch-Aufruf 2022 von "Kooperation für den Frieden" und "Bundesausschuss Friedensratschlag") (18) "Mit seinem völkerrechtswidrigen Angriff hat Russland unendliches Leid über die Menschen in der Ukraine gebracht." (Aufruf des DGB zu den Ostermärschen 2022) (19) "Wir sind uns einig über die Verurteilung des russischen Einmarschs in die Ukraine. Die Entscheidung von Präsident Putin zu diesem Angriff ist durch nichts zu rechtfertigen." (Sören Pellmann, MdB DIE LINKE, beim Ostermarsch 2022) (20) "Unsere Forderungen sind eindeutig: Herr Putin, beenden Sie umgehend den Angriffskrieg auf die Ukraine! Beenden Sie den Bruch des Völkerrechts!" (Christian Wechselbaum, IG Bauen-Agrar-Umwelt, beim Ostermarsch 2022) (21) "Durch den brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg auf die Ukraine sterben jeden Tag Menschen. Millionen Menschen, insbesondere Frauen und Kinder, sind auf der Flucht. Dieser Krieg ist auch ein Angriff auf die europäische Friedensordnung..." (Aufruf des DGB zum 1. Mai 2022) (22) "Gemeinsam verurteilen wir den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine." (IPPNW-Aufruf zur Kundgebung am 3. Juni 2022 in Berlin) (23)

Es ist wie schon so oft, z.B. 2011, als die NATO den eindeutig völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Libyen geführt hat. Allenthalben wurde das kriegslegitimierende Feindbild Gaddafi geschürt – flankiert von wesentlichen Teilen der Friedensbewegung und der Linken. Jan van Aken (Die Linke) am 18.3.2011 im Bundestag: "Natürlich ist es völlig richtig, das mörderische Treiben von Gaddafi zu stoppen; da sind wir uns hier alle einig." (24) In einer Erklärung des Aachener Friedenspreises vom 6.3.2011 heißt es: "Mit großer Sorge beobachten wir das brutale und mörderische Vorgehen des Gaddafi-Regimes gegen die eigene Bevölkerung. Wir verurteilen dieses Vorgehen entschieden." (24) Und bei der Informationsstelle Militarisierung (IMI) ist am 3.3.2011 zu lesen: "Mit einer ungeheuren Brutalität versuchen gegenwärtig die Truppen des Diktators Muammar al Gaddafi den Aufstand in Libyen niederzuschlagen... Muammar Gaddafi ist ein Verbrecher und er gehört vor Gericht – besser früher als später." (24) Damit stellt sich die Frage: was sind das für Steuerungsmechanismen, die Friedensbewegung und Linke hinsichtlich der Kernaussagen immer wieder auf NATO-Kurs bringen?


Veröffentlichung (in erweiterter Fassung) aus der Quartalsschrift DAS KROKODIL, Ausgabe 41 (Juni 2022) – Grundsatzschrift über die Freiheit des Denkens – bissig – streitbar – schön und wahr und (manchmal) satirisch.



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