„Tamtam und Tabu. Die
Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung.“ - Daniela Dahn und
Rainer Mausfeld
DER
TEUFELSPAKT
IN DER SACKGASSE
Buchtipp von Harry Popow
Der Leser möge es dem Rezensenten nachsehen: Nach
dem gründlichen Lesen dieser außerordentlich tiefgründigen Analyse
in dieser gesellschaftskritischen Lektüre kann er nicht anders, als
mit hoher Anerkennung den Hut zu ziehen. Aus dieser – soviel sei
vorneweg gesagt – spricht soviel unendliche mühevolle Liebe: Zu
den Menschen, zur Natur, zum Planeten Erde. Und, das muss gesagt
werden: Kämpferischer Geist und Tatkraft, um Goethes Faust die
beiden Autoren schier beneidet hätte. Während sich Dr. Faust vom
Teufel dazu verführen lässt, seine hohen Ideale zugunsten einer
billigen, aber menschlich zu verstehenden Ablenkung sausen lässt und
schließlich zugrunde geht, versuchen heute – im Jahre 2020 - ,ein
ganzes Packt von Teufeln die Menschheit zu ruinieren. Und: Es hat
unendlich mehr technische Möglichkeiten, als nur die Verführung
durch „Wein, Weib und Gesang“, um jegliche Lust an Erkenntnis
über Mensch und Welt im Keime zu ersticken. Was tun?
Die
beiden Autoren legen den Finger auf die wichtigste Wunde: Wie befreie
ich mich vom Druck der Abwesenheit von Geist? Wie gewinne ich
Einsicht und Macht, dem Pakt mit dem Teufel Garaus zu machen? Zur
Freude der wissbegierigen Leser bleiben die renommierte Essayistin
und Mitbegründerin des „Demokratischen Aufbruchs“ in der DDR
Daniela Dahn und der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld nicht bei der
Interpretation des Kapitalismus stehen, wie Friedrich Engels in
seiner 11. Feuerbachthese mit Blick auf bisherige Bemühungen von
Philosophen angemahnt hatte. Nein, sie weiten ihren Blick bei der
Aneignung des Volksvermögens der DDR und ihres Anschlusses an die
BRD 1989 weit aus und ergründen tiefsinnig die Ursachen. Sie
widerlegen polemisch und faktenreich die Ansicht von
Geschichtsverdrehern, es sei keine Rede mehr vom Kapitalismus, er sei
längst überwunden, (Schäuble: „Wir haben doch die soziale
Marktwirtschaft“). Und überhaupt, den Klassenkampf gebe es nicht
mehr. Sie fahren den heutigen ideologischen Verdrehungen der
Kapitaleliten faktenreich und zielsicher in die Parade. Sie helfen
möglicherweise den noch neugierigen Lesern, im Nebel der
Verdrängungen und Manipulationen und forcierten Ängste in der
Corona-Pandemie wieder Boden unter den Füssen zu bekommen.
Das
Buch besteht aus fünf Abschnitten. Zunächst lesen wir eine
hochinteressante und sehr mühevoll recherchierte „Presseschau“
von Daniela Dahn zur Zeit der Rückwärtswende in der DDR. Sodann
beleuchtet sie in „Die Währungsunion war die organisierte
Verantwortungslosigkeit“ die brutale geistige Knechtung der Ostler
und deren überfallartige Vereinnahmung. Professor Dr. Rainer
Mausfeld beleuchtet in „Wende wohin?“ die Realität hinter der
Rhetorik. „Was bedeutet die Forderung nach einem Systemwechsel?“
So Daniela Dahn im nachfolgenden Beitrag. Schließlich diskutieren
beide Autoren in sechs Gesprächen über ihre Erfahrungen und
Erkenntnisse.
Festzuhalten ist: Bei allen Texten spürt man
das akribische Können der Autoren, das Geschehen ins Auge zu fassen
als auch das Eindringen in die Tiefe, in die jeweiligen Ursachen,
jene Vorgehensweise, wie sie leider weder in den „Qualitätsmedien“
noch bei Reden von Politikern zu verzeichnen ist. Sie halten sich
nicht nur am Feststellen von Widersprüchen auf, sondern bieten auch
Nachdenkenswertes für mögliche Alternativen, für mögliche
Lösungen.
Bereits in der Einstimmung verweisen die Autoren
auf die verspielten Chancen des Jahres 1990, „sowohl für eine
internationale Friedensordnung wie auch für eine erneuerte
Demokratie“, Chancen, die „aus geopolitischen Interessen und
denen der Kapitaleigner gezielt blockiert und somit verspielt
wurden“. Alternativen seien aus dem „öffentlichen Denkraum“
verdammt worden. Die Bewältigung der damit verbundenen Probleme –
bedingt auch durch die Corona-Krise - werden „durch das Arsenal
hochentwickelter Techniken des Meinungs- und Affektmanagements“
massiv erschwert. Der Beitrag von Rainer Mausfeld „richte aus
abstrakterer Perspektive einen kritischen Blick auf die
illusionserzeugende Kraft der westlichen Ideologie und damit auf das
versprochene Paradies einer kapitalistischen Demokratie“. Dazu
gehöre die Spaltung und Zersetzung der Gesellschaft. Er fragt, „wie
sich die Idee einer radikalen Demokratisierung wieder
gesellschaftlich wirksam machen lässt“.
Vorwegnehmen möchte
der Rezensent folgendes Zitat von Professor Dr. Rainer Mausfeld auf
Seite 191 dieses Buches: „Nur um einem verbreiteten Missverständnis
vorzubeugen: Lohnarbeit Geld und Märkte gab es , von archaischen
Gesellschaften abgesehen, wohl zu allen Zeiten, doch sie allein
machen noch keinen Kapitalismus. Kapitalismus bedeutet die Herrschaft
des Kapitals. Und diese hat einen identifizierbaren Anfang vor etwa
500 Jahren. Und sie hat in unterschiedlichen historischen Perioden
und an unterschiedlichen Orten ganz unterschiedliche Formen
angenommen. Eine solche Herrschaft des Kapitals ist dadurch
gekennzeichnet, dass sie über den Bereich des Wirtschaftslebens
hinaus die gesamte Gesellschaft zu durchdringen und den gesamten
gesellschaftlichen Reichtum als Waren zu behandeln sucht.“
Daraus
ergebe sich die Frage, so lesen wir auf den Seiten 117/118, warum
„wir so blind sind für die zerstörerischen Folgen der
kapitalistischen Weltordnung? Das Erfolgsrezept des Kapitalismus ist
seit jeher, dass er uns zu einem Teufelspakt verführen will, er
verspricht uns immerwährenden Fortschritt und eine kontinuierliche
Verbesserung unserer Lebensstandards und sorgt zugleich dafür, dass
wir unfähig sind, den dafür zu entrichtenden Preis überhaupt
erkennen zu können.“
Rainer Mausfeld zieht daraus den
Schluss, die „Plünderung von Ressourcen und die Zerstörung
unserer sozialen und ökologischen Lebensgrundlagen ist also kein
vermeidbares Nebenprodukt des Kapitalismus, sondern gerade Kern
seiner Funktionslogik“. Ins Verderben müsse es zwangsläufig
führen, wenn die Menschen zwar nur paar störende Dinge ändern „und
ansonsten im Großen und Ganzen so weitermachen wie bisher“. Die
Probleme im Dialog mit den Zentren der Macht zu bewältigen muss als
Illusion angesehen werden.
In die gleiche Kerbe haut Daniela
Dahn, wenn sie auf Seite 122 jegliche Rufe und Debatten nach einem
Systemwechsel, siehe Arabischer Frühling, Weltsozialforum,
Gelbwesten oder auch den über vierzig Jahre agierenden „Club of
Rome“, für erstaunlich hält und begrüßt, aber gleichzeitig ohne
Vorwurf feststellt, „über Debatten und symbolische Akte“ kaum
hinausgekommen zu sein. „Wussten sie genau genug, was sie wollten?“
Warum also keine Veränderungen? Ihre Erkenntnis: „Weil im
Kapitalismus Profit mehr geschützt wird als das Leben. Der
Corona-Lockdown hat diese Gewissheit erstmalig durcheinandergebracht,
aber wie er ausgeht, wird sich erst noch zeigen.“ Daniela Dahn gibt
die Ansicht eines einstigen Bundesverfassungsrichters wieder: Das
einzige Ziel sei „unbegrenztes Wachstum und Bereicherung. Das
Gebrechen des Kapitalismus sei nicht in seinen Auswüchsen zu sehen,
sondern in seiner Leitidee und deren symbolischer Kraft“. Die
Krankheit könne nicht mit „Heilmitteln am Rand“ beseitigt
werden.
Daniela Dahn: Volkslektüre, eine
Presseschau
Es ist eine sehr breit angelegte Presseschau
in Zeiten der Konterrevolution, die Daniela Dahn mühevoll
zusammengestellt hat. Ob Zeitungen, Verlage, Politiker,
Bürgerrechtler, unzählige Wortmeldungen gibt es zu einem Für oder
Wider einer zu schnellen Wiedervereinigung zwischen der BRD und der
DDR. Haben die Leser bislang oft nur von Befürwortern gehört oder
gelesen, so kommen nun auch Vernünftige mit ihren Stimmen ans
Tageslicht, die oft genug einfach überhört wurden und die Leser und
Hörer nie erreichten.
So fordern 36 DDR-Bürgerrechtler in
ihrem Aufruf „Für unser Land“ den Erhalt der DDR als
„sozialistische Alternative zur Bundesrepublik. Zu den Initiatoren
gehören Christa Wolf und Stefan Heym, unterstützt aus dem Westen
von Günter Grass und Max Frisch. Egon Bahr spricht sich in „Neue
Zeit“ für ein ganz neues europäisches Sicherheitssystem aus,
„welches die Militärbündnisse überflüssig mache“. Gregor Gysi
ist für die Dominanz des Volkseigentums, das müsse erhalten
bleiben. Christa Luft spricht am Runden Tisch über die Nachteile der
Währungsunion. Walter Momper ist für die Demokratisierung der DDR,
für deren Eigenstaatlichkeit. Die Berliner Zeitung berichtet, 43
Prozent der Ostdeutschen seien gegen die schnelle Wiedervereinigung,
38% aber dafür.
Daniela Dahn stellt sich die Frage, wie es
möglich war, vierzig Jahre gewachsenes Selbstbewusstsein einer
Bevölkerung in einem Vierteljahr auf den Kopf zu stellen? Im
November 1989 sprachen sich 86 Prozent der DDR-Bürger für den „Weg
eines besseren, reformierten Sozialismus aus, nur fünf Prozent für
einen „kapitalistischen Weg“ (erhoben vom Leipziger Institut für
Jugend- und Marktforschung). (S. 14) „Bei der Volkskammerwahl im
März 1990 wählten ebenso viele den Weg einer Einheit im
Kapitalismus.“ (Nähere Angaben über Wahlkampfergebnisse im
Buch.)
Die zahlreichen von Fakten unterstützten
Manipulierungen seitens des westdeutschen Großkapitals seien hier
als Stichworte angeführt: Denunziationen, Lügen, BILD-Werbungen für
Arbeitsplätze in der BRD, aggressive Aneignungsstrategie des
Volkseigentums der DDR, BILD: DDR am Tropf, die Lüge von einer neuen
deutschen Verfassung. Kohl: Blühendes Gemeinwesen, Angstkampagnen,
Slogan der CDU,DSU und DA: „Nie wieder Sozialismus“,
Spiegel-Spott: „Auferstanden aus Ruinen und dem Wohlstand
zugewandt, wollen wir jetzt was verdienen, halten auf die
ausgestreckte Hand“. „Das war reinster psychischer Terror nach
Goebbels-Manier“, schimpfte Egon Bahr über Kohls Wahlkampf.
Diese
Presseschau bringt das offizielle Bild über die Wende ins Wanken.
Die tieferen Ursachen für die aggressive Inbesitznahme eines ganzen
Landes, was in dieser Form und in diesem Ausmaß einmalig sei in der
Geschichte, findet der wissbegierige Leser in den folgenden
Beiträgen.
Daniela Dahn: Währungsunion –
organisierte Verantwortungslosigkeit
Ab Seite 90 geht es
um die Privatisierung, so um das Treuhandgesetz, „das die
angeschlagene DDR-Wirtschaft zum Privatisieren und Verschrotten
freigab“, auch über den tausendseitigen Einigungsvertrag vom 31.
August 1990, siehe u.a. die im Anhang versteckte Formel „Rückgabe
vor Entschädigung“. Kein Wunder, denn in der Sozialisierung in der
DDR „sahen die Kapitaleigner immer das eigentliche DDR-Unrecht“.
„Das Volkseigentum galt als gestohlenes Privateigentum“, so
Daniele Dahn auf Seite 90. Es ging um die Wiederherstellung alter
Besitzverhältnisse. Auf Seite 91: „Die wichtigsten
DDR-Verfassungsgrundsätze waren aufzuheben, insbesondere die
sozialistische Rechtsordnung, um endlich den Erwerb von
Privateigentum an Grund und Boden und Produktionsmitteln zu
gewährleisten.“ Eingeführt wurde das Recht zu fristloser
Kündigung. Auf Seite 97 erklärt die Autorin: Knapp die Hälfte der
Ostdeutschen mache sich Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft.
„Das reiche Deutschland ist heute ein Land, das neue Armut duldet,
eine Unterschicht durch Hartz IV treibt, Randgruppen ausgrenzt,
Asylanten kurz hält, in dem Gesundheit kostet und Bildungschancen
erblich sind.“ Letztendlich, so die Autorin, wo Marktoptimierung
herrschen und zunehmende Obdachlosigkeit und rechte Gedankenwut, da
gedeihen Gewalt. Eine Umfrage unter Ostdeutschen am 2. Oktober 2019
ergab, dass 74 Prozent der Befragten sich „heute nicht wohler
fühlten als zu DDR-Zeiten! 59 Prozent der Jugendlichen und 78
Prozent der über Sechzigjährigen stimmen der Aussage zu, dass bei
politischen Entscheidungen in Deutschland unzureichend auf die
Meinung der Menschen in Ostdeutschland Rücksicht genommen
wird.“
Rainer Mausfeld: Wende wohin? Die Realität
hinter der Rhetorik
Festzustellen sei: Gestiegen sei nach
den Kriterien des westlichen Vorbilds der Lebensstandard einer
Mehrheit der Menschen in Ostdeutschland – aber auch das Ausmaß
sozialer Ungleichheit und gesellschaftlicher Spaltung. Der
Hauptverlierer sei der real existierende Sozialismus. Er habe „in
der jahrzehntelangen Systemkonkurrenz mit dem US-geführten
Kapitalismus und ihren brutalen ökonomischen und militärischen
Spielregeln nicht vermocht, eine Lebensrealität anzubieten, die die
Bevölkerung über diesen Verrat hätte hinwegtäuschen oder sie
dafür hätte entschädigen können.“ Der Autor mahnt an, bei der
Suche nach den Verlierern von 1989 „noch tiefer unter die
Oberfläche“ zu dringen, schließlich gehe es um den Verlust an
mühsam errungener zivilisatorischer Substanz, die Leitidee von
Demokratie. Das sei nicht überraschend, denn es gehöre „zum
Wesensmerkmal einer kapitalistischen Demokratie, dass sie keine ist.
Der Widerspruch sei so offenkundig, „dass er sich nur mit
ausgefeilten Techniken der Indoktrination unsichtbar und undenkbar
machen lässt.“ Der Kapitalismus sei darauf angewiesen, die
Minderheit der Besitzenden strikt vor den Veränderungswünschen der
Mehrheit zu schützen. Professor Mausfeld warnt vor dem Trugbild, „in
einer Gesellschaft zu leben, die frei von Propaganda“ sei. Er
verweist auf Sinnentleerungen von Wörtern, von angeblichen Reformen,
von dem viel missbrauchten Wort „Freiheit“. (S. 107) Dieses Wort
bedeute im Neoliberalismus vor allem, die Freiheit der ökonomisch
Mächtigen, „für den Rest der Bevölkerung besteht die Freiheit
darin, sich als Konsument und als flexibel fremdverwertbares
Humankapital den Bedingungen des ´freien Marktes` zu
unterwerfen“.
Die Macht charakterisierend, schreibt der
Autor u.a. von Angsterzeugung, von Überwachungs- und
Sicherheitssystemen, was sich weitgehend der Kontrolle des Staates
entzieht, von Kriegen als Mittel der Politik, auf die der
Kapitalismus „angewiesen“ ist. Rechtspopulismus sei eine Folge
der vergangenen Jahrzehnte neoliberaler Politik, „der Ideologie der
Alternativlosigkeit sowie der damit verbundenen Entleerung des
politischen Raumes und der Zerstörung kollektiver Identitäten“.
(S. 115)
Prof. Dr. Mausfeld untersucht die Mechanismen und die
Technik der Manipulation vor allem aus psychologischer Sicht. „…
was sich dazu sagen lässt, ist leider weniger erbaulich“. Der
Westen verfüge über ein einzigartiges Arsenal höchst raffinierter
psychologischer Manipulationsmethoden. Das werde seit mehr als
hundert Jahren mit großen Forschungsanstrengungen verfeinert. In
diesen psychologischen Techniken einer Bevölkerungskontrolle habe
der Westen gegenüber dem Osten einen kaum vorstellbaren
Forschungsvorsprung. Kapitalistische Demokratien seien, wie man schon
früh erkannte, wegen der freien Wahlen darauf angewiesen, bei den
Wählern den Eindruck völliger Freiheit aufrechtzuerhalten und
zugleich sicherzustellen, dass diese so wählen, wie sie wählen
sollen. Das sei machtechnologisch nur mit höchstem Aufwand zu
bewältigen.
Aktuell fügt der Autor hinzu: „Die
Corona-Krise ist ja tatsächlich eine Multi-Krise. In ihr kreuzen und
verbinden sich sehr unterschiedliche Krisen, die bereits länger
erwartet wurden. Dazu gehört auch eine Systemkrise des
globalisierten Finanzkapitalismus, die sich auf diese Weise fast
unsichtbar gemacht hat und damit ihre Kosten wieder kurzerhand auf
die Gemeinschaft umlegen kann. Covid-19 bringt lediglich wie ein
Katalysator sehr grundlegende Probleme der gegenwärtigen
Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zum Vorschein.“
Daniela
Dahn: Systemwechsel?
Zur machbaren gesellschaftlichen
Veränderung gehören gedanklicher Vorlauf, gehören
wissenschaftliche Aussagen, Untersuchungen, Schlussfolgerungen aus
der Vergangenheit und Pläne. Daniela Dahn widerspricht zu Recht
Unduldsamen die da sagen, „wir Älteren hätten keinen Plan“. Es
gäbe zu fast allem durchdachte Pläne. Zur „Gemeinwohlwirtschaft,
zum Klimaschutz, zur Umverteilung von Reichtum, zu einem anderen
Geldsystem, zu neuen Formen der Demokratie und Arbeit im digitalen
Zeitalter, zu einer sozialen Bildungsoffensive und vielem mehr“.
Auch haben Juristen aus Ost und West im Auftrag des Runden Tisches
1989/90 einen Verfassungsentwurf unter dem Motto „Revolutionäre
Erneuerung“ vorgelegt, aber kein Parlament habe diesen Entwurf auch
nur behandelt. (S. 124) Was geschieht mit Kritikern, die die
Strukturen in Frage stellen? Sie werden ausgegrenzt, bedroht,
polizeilich verfolgt, bestochen oder durch PR-Strategien angreifbar
gemacht.
Der Autorin Vision: „Eine Gesellschaft, in der
Gemeineigentum dominant ist, wäre die einzige, die gemeinschaftlich
erwirtschaftete Überschüsse aus freiem, die demokratisch
ermitteltem Willen in einen Topf werfen kann, aus dem ein Luxus
anderer Art erwirtschaftet wird: heilig nicht das Geld, sondern
Gesundheit von Mensch und Tier in unbeschadeter Natur. Ein solcher
partizipativer Sozialismus, oder wie immer man das neue System nennen
mag, käme einer Ordnung nahe, die die Leitidee des Kapitalismus
tatsächlich umkehrt.“ (S. 129) Ins Visier nimmt die Autorin das
bestehende Rechtssystem, die Dominanz der NATO, das Militär der USA,
dem größten „Umweltverschmutzer der Welt“, die Kluft zwischen
Arm und Reich in Europa, die machtlos gewordene UNO. Es gehe darum,
„die Verheißungen eines Systemwechsels, aber auch die Widerstände
dagegen bewusster zu machen“, um uns ein erneutes Scheitern zu
ersparen. „Denn dann wird die Erde versinken und
verbrennen.“
Daniela Dahn und Rainer Mausfeld: Eine
einmalige Gelegenheit - Gespräch
Um Klarheit bei
Begriffen wie Demokratie und Freiheit geht es in den interessanten
Gesprächen zwischen den beiden Autoren. Hervorzuheben sind u.a.
folgende Themen: Das Arsenal raffinierter psychologischer
Manipulationsmethoden, Sicherung der Kapitalherrschaft nur dadurch,
wenn man sie unsichtbar macht. Die Rolle der Werbeindustrie. Die
angebliche Alternativlosigkeit des Westens, die Ursachen der
vermutlich überhöhten Phantasien und Idealisierungen über
kapitalistische Lebensformen, Versprechungen, Geist und Realität,
Neugierde, Wahrheit, die Rolle der Wissenschaft. So u.a. der
unsichtbare Mechanismus, „Wissenschaftler mit politisch
unerwünschten Ansichten herauszufiltern“. Spaltungsstrategien,
„mit denen die Zentren der Macht seit jeher versuchen,
emanzipatorische Bewegungen zu zersetzen und dadurch politisch zu
neutralisieren“. Diese Spaltungsstrategien seien so erfolgreich,
„dass sich soziale Bewegungen immer aggressiver gegenseitig
bekämpfen“. (S. 167) „Macht und damit politische
Verantwortlichkeiten sind im Nebel von `Kulturen` verschwunden, seien
es z.B. die Kultur des Narzissmus, der Selbstverwirklichung, der
Emotionskultur, der Risikogesellschaften, der Gesellschaften des
Zorns. „Nur eben keine Gesellschaft, die durch ökonomische
Machtverhältnisse geprägt ist“. (S. 169)
Lust am
Erkennen
Wer als Leser noch genügend Mut und Kraft und
Neugier sein Eigen nennen darf, ohne angstvoll auf die politischen
Marionetten der Macht zu schauen, dem wird dieses aufrüttelnde Buch
der beiden Autoren wie ein geistiges Geschenk unter vielen anderen
gesellschaftskritischen Sachbüchern entgegenkommen, zum weiteren
Nachdenken anregen und Anlass geben, eigenes Handeln zu hinterfragen.
Daniela Dahn und Professor Dr. Rainer Mausfeld haben sich auch mit
dieser außerordentlichen Polemik in den Kampf um die Veränderung
unserer Lebensverhältnisse geworfen. Ihnen Dank zu sagen kann nicht
ohne eigenes ehrliches Zutun ernst genommen werden. Möge diese
Arbeit mithelfen, den Teufelspakt der Eliten gegen die Völker weiter
in Bedrängnis und – wenn möglich - zur Aufgabe ihre Wirkens gegen
Krieg und Menschlichkeit zu zwingen.
„Tamtam und Tabu. Die
Einheit: Drei Jahrzehnte ohne Bewährung. Westend-Verlag,
Erscheinungsdatum: 21.09.2020; Umfang: 224 Seiten; ISBN
978-3-86489-313-1; Sprache: Deutsch; Ladenpreis: EUR (D)
18,00
(Erstveröffentlichung in der Neuen Rheinischen
Zeitung)
Userin Lotti, Mitautorin zum Buch „EISZEIT-BLÜTEN“
schreibt zu diesem Buchtipp:
Fundamental
Hallo Harry, habe noch einmal in Deinen Blog zur
Daniela Dahn geschaut. Sie schreibt, dass es unbegreiflich ist, dass
in einem Viertel Jahr die Volksmeinung in der DDR so stark hin zu den
kapitalistischen "Errungenschaften" tendieren konnte. Das
ist nicht in einem Vierteljahr geschehen, meine ich, den Ast hat
Gorbatschow ab Mitte der 80ziger angesägt und mit Perestroika und
Glasnost Türchen in den Hirnen der DDR-Leute geöffnet. In diese
Richtung muss man auch einmal denken. Zum anderen fällt in der
gegenwärtigen Krise der kapitalistischen Gesellschaft ihr viel
gepflegtes, lackiertes und ständig poliertes Vehikel "Freiheit"
auf die Füße. Freiheit als „höchstes Gut“ der westlichen
Demokratie und als Speerspitze gegen den Sozialismus dem Volk mit der
Muttermilch einzutrichtern, das war für den Kapitalismus
ergebnisträchtig. Nur eins hat er übersehen, dass Freiheit ohne
Einsichten in Notwendigkeit nicht funktionieren kann. Nun glauben
"Querdenker", "freie Bürger" und sonstige
Unzufriedene sowie rechte, nationalorientierte Kräfte, ihre
pseudofortschrittlichen Befindlichkeiten auf dem Rücken der
"Freiheit" durchsetzen zu können. Sie glauben, bei
der gegenwärtige Auseinandersetzung der Menschen mit der Pandemien
Oberwasser zu bekommen
Leider kann ich das Buch „Tamptam und
Tabu“ der beiden Autoren Daniela Dahn und Professor Rainer Mausfeld
nicht bestellen, die Buchhandlungen sind bei uns geschlossen. Mal
sehen, ob ich es über Amazon bekomme. Die Aussagen darin, soweit ich
sie von Dir kenne, fundamental!"