Die
Auswirkungen des Zerfalls auf die Wirtschaft: Bericht über die
Wirtschaftskrise (24. Kongress von Révolution Internationale, 2020)
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 3. DEZEMBER 2020 ⋅
HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von
https://de.internationalism.org/
Einführung
Die Weltwirtschaftskrise verschärft sich
gegenwärtig brutal. Konkret und ohne jeden Zweifel wird die
Arbeiterklasse auf der ganzen Welt unter einem gewaltigen Ausbruch
von Arbeitslosigkeit, Ausbeutung, Prekarität und Armut leiden.
Mit
diesem neuen Schritt versinkt der Kapitalismus weiter in seiner
Dekadenz, was von den revolutionären Organisationen die Klärung
folgender Fragen erfordert:
Was ist die historische Bedeutung
dieser sich entwickelnden Krise, der schwersten aller Krisen seit
Beginn der Dekadenz, einschließlich der, die 1929 begann?
Welche
Konsequenzen hat die Tatsache, dass die Auswirkungen des Zerfalls der
Gesellschaft ein großes Gewicht bei der Entwicklung dieser neuen
Phase der offenen Krise haben werden?
Gleichzeitig müssen wir uns vor einer auf den Moment
beschränkten und ökonomistischen Sichtweise auf die Krise hüten,
wie der vorgelegte Bericht betont. Wir müssen jede waghalsige
Prognose vermeiden, wenn man bedenkt, dass wir das Tempo der Krise in
der Vergangenheit überschätzt und eine unmittelbar bevorstehende
Katastrophe erwartet haben, verbunden mit der Vorstellung, die
Bourgeoisie befinde sich in einer Sackgasse. Abgesehen von der
mangelnden Aneignung der Theorie Rosa Luxemburgs, hatten wir die
Fähigkeit des Staatskapitalismus unterschätzt, mit den
Erscheinungen der offenen Krise umzugehen, da er ja tatsächlich das
Versinken des Systems in seine historische Krise begleitet und so
sein Überleben ermöglicht hat. Die Waffen des Staatskapitalismus
sind: das ständige Eingreifen in die Wirtschaft, Manipulationen und
Betrug mit dem Wertgesetz. Dabei gelang es der herrschenden Klasse,
innerhalb des Proletariats die Illusion aufrecht zu erhalten, dass
der Kapitalismus kein bankrottes System, seine Erschütterungen nur
vorübergehend und das Produkt zyklischer Krisen seien, denen
notwendigerweise Perioden intensiver allgemeiner Entwicklung folgen
würden.
Im 18. und 19. Jahrhundert befanden sich die großen
kapitalistischen Nationen in einem hektischen Wettlauf um die
Eroberung neuer Märkte und Gebiete. Aber um 1900 stießen sie auf
ein Problem: Die Erde ist rund und nicht unendlich groß. So
erreichten die imperialistischen Spannungen bereits vor Ausbruch
einer Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt, der Weltkrieg brach aus
und der Kapitalismus trat in das Stadium seiner Dekadenz ein. Der
Krieg von 1914-18 ist die Manifestation der extremsten Barbarei und
Ergebnis der folgenden Tatsache: „Auf einer gewissen Stufe ihrer
Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft
in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder,
was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den
Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt
hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese
Verhältnisse in Fesseln derselben um.“ [1]
Erst Ende der
1920er Jahre wurden die verschiedenen nationalen Bourgeoisien zum
ersten Mal mit dem unmittelbar „wirtschaftlichen“ Ausdruck dieses
Eintritts in die Dekadenz konfrontiert: der Krise der allgemeinen und
historischen Überproduktion. Wir wollen noch einmal Marx zitieren:
„Zweitens, dass die kapitalistische Produktion keineswegs auf einer
willkürlichen Stufe produziert, sondern jemehr sie sich entwickelt,
so mehr gezwungen ist, auf einer Stufenleiter zu produzieren, die mit
der immediate demand (unmittelbaren Nachfrage) nichts zu tun hat,
sondern von einer beständigen Erweiterung des Weltmarktes abhängt.
(…) Er übersieht, dass die Ware in Geld verwandelt werden muss.
Die demand der Arbeiter genügt nicht, da der Profit ja grade dadurch
herkommt, dass die demand der Arbeiter kleiner als der Wert ihres
Produkts, und um so größer ist, je relativ kleiner diese demand.
Die demand der capitalists untereinander genügt ebensowenig“ [2]
(…) „Wird endlich gesagt, daß die Kapitalisten ja selbst nur
unter sich ihre Waren auszutauschen und aufzuessen haben, so wird der
ganze Charakter der kapitalistischen Produktion vergessen und
vergessen, daß es sich um die Verwertung des Kapitals handelt, nicht
um seinen Verzehr.“[3] Mit anderen Worten, die Krise der
allgemeinen Überproduktion, die 1929 ausbrach, ist nicht mit einer
Art Dysfunktion verbunden, die die Bourgeoisie regulieren oder
überwinden kann. Nein, sie ist die Folge eines fundamentalen und
unüberwindlichen Widerspruchs, der im Wesen des Kapitalismus selbst
verwurzelt ist.
Die nationalen Bourgeoisien haben aus der
katastrophalen Krise von 1929 gelernt: die Notwendigkeit, den
Staatskapitalismus zu entwickeln und internationale Organisationen zu
gründen, die die Krise begleiten, um den Fehler der
protektionistischen Politik nicht zu wiederholen.
Am Ende des
Zweiten Weltkriegs wollte die Bourgeoisie die Lehren von 1929 in die
Praxis umsetzen. Der Nachkriegsboom erzeugte die Illusion, dass der
Kapitalismus seinen Wohlstand zurückgewinnt und löschte
vorübergehend den Alptraum der Großen Depression der 1930er Jahre
und die Schrecken des Krieges aus. Aber unvermeidlich bleiben die
Widersprüche, die dem Wesen des Kapitalismus selbst innewohnen,
ebenso wie seine historische Krise weiter bestehen. Dies zeigt sich
in der Rückkehr der offenen Krise 1967-1968. Seitdem ist die
Bourgeoisie, von Konjunkturpaketen bis hin zu tieferen Rezessionen,
in einer Flucht nach vorn in die grenzenlose Verschuldung gefangen
und versucht, die Auswirkungen des historischen Bankrotts ihres
Systems ständig aufzuschieben. Die weltweite Verschuldung wird immer
massiver – in absoluten Zahlen, aber auch im Vergleich zur
Entwicklung des Welt-BIP. Parallel zu dieser rasanten Entwicklung
haben die zentralen Länder die Organisation der Weltwirtschaft
verändert:
In den 1970er Jahren ermöglichten die Erhöhung
der öffentlichen Ausgaben, das Ende der Bretton-Woods-Abkommen und
die Politik der Sonderziehungsrechte, die Öffnung der Kredite für
schwächere Länder, die Aufrechterhaltung eines Wachstumsniveaus,
das die Illusion erweckte, dass der Kapitalismus trotz der „Ölkrise“
seine Dynamik fortsetze.
In den 1980er Jahren wurden nach der schweren
Rezession zu Beginn des Jahrzehnts ganze Produktionsbereiche in
Gebiete verlagert, in denen die Arbeitskräfte billiger waren, wie in
China. Dies erforderte kolossale Investitionen, die durch eine
umfassende finanzielle „Liberalisierung“ im globalen Maßstab
ermöglicht wurden. Dies ist der Beginn der „Globalisierung“.
In den 1990er Jahren, nach dem Zusammenbruch des
Ostblocks, wurden die internationalen Organisationen gestärkt, was
zu einer Struktur der „internationalen Zusammenarbeit“ auf
Währungs- und Finanzebene, zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik
mit dem Aufbau internationaler Produktionsketten, zur Stimulierung
des Welthandels durch den Abbau von Zollschranken usw. führte.
Dieser Rahmen wird natürlich von und für die stärksten Länder
geschaffen: Sie können neue Märkte erobern, ihre Produktion
verlagern, profitablere Unternehmen aus schwächeren Ländern
übernehmen, usw. – Diese „internationale Zusammenarbeit“ mag
zwar bis zu einem gewissen Grad und für eine gewisse Zeit in der
Lage gewesen sein, die Auswirkungen des „Jeder für sich“ auf
wirtschaftlicher Ebene auf die Staaten zu verlangsamen und
abzuschwächen, aber sie war nicht in der Lage, die dem Eintritt in
die Zerfallsphase des Kapitalismus innewohnende Grundtendenz
aufzuhalten.
Der systematische Rückgriff aller Staaten auf eine
massive Verschuldung als Reaktion auf den Mangel an Möglichkeiten
war ebenfalls eine riskante Politik und führte zur Finanzkrise von
2008, die eine noch höhere Verschuldung zur Folge hatte. Die
„weltweite Organisation der Produktion“ begann im Jahrzehnt nach
2010 ins Wanken zu geraten: Nachdem China stark von den globalen
Handelsmechanismen (WTO) profitiert hatte, begann es, einen
parallelen wirtschaftlichen, kommerziellen und imperialistischen
„Kreislauf“ (die neue Seidenstraße) zu entwickeln. Im Juli 2017
verabschiedete Deutschland ein Dekret, mit dem der Verkauf
strategischer inländischer Unternehmen an ausländische Investoren
blockiert werden kann. Mit der Machtübernahme von Trump wurde der
Handelskrieg noch intensiver. Diese Phänomene zeigen zweifellos,
dass der Kapitalismus zunehmend auf große Schwierigkeiten stößt,
wenn es darum geht, die Grenzen der kapitalistischen Produktionsweise
zurückzudrängen, wie es bei der Globalisierung der Fall war.
Heute
hat die Bourgeoisie immense Erfahrungen angehäuft, um die
Auswirkungen ihrer historischen Krise zu verlangsamen, um deren
Qualen noch weiter zu verlängern. Wir müssen daher mit unseren
Prognosen äußerst vorsichtig sein und uns vor jeder
katastrophistischen Sichtweise hüten. In der gegenwärtigen
Verschärfung der Weltwirtschaftskrise sind es vor allem die großen
historischen Grundtendenzen, die wir hervorheben müssen.
Ab
1929 lernte die Bourgeoisie, ihre verfallende Wirtschaft am Leben zu
erhalten, insbesondere durch „internationale Zusammenarbeit“.
Selbst 2008 haben die berühmten G20 diese Fähigkeit der großen
Bourgeoisien gezeigt, einen gewissen Zusammenhalt aufrechtzuerhalten,
um die Krise mit dem geringstmöglichen Schaden zu bewältigen. Das
Jahr 2020 ist ein Zeichen dafür, dass es immer schwieriger wird,
diese Organisierung der Welt aufrechtzuerhalten, wobei die
Irrationalität, die mit dem Zerfall verbunden ist, selbst auf den
höchsten Staatsgipfeln auffällt. Der Ansatz „Jeder für sich
selbst“, der bei der katastrophalen Bewältigung der Pandemie zu
Tage trat, ist deren spektakulärster Ausdruck. Diese
Zentrifugalkraft hat zwei Wurzeln:
Die unerbittliche
Zuspitzung der Weltwirtschaftskrise verschärft den Kampf auf Leben
und Tod zwischen allen rivalisierenden Nationen. Es sei darauf
hingewiesen, dass im Gegensatz zu 2008 die zentralen Länder
(Deutschland, China und vor allem die Vereinigten Staaten) am
stärksten betroffen sind und dass, während der Bankrott der Banken
damals hauptsächlich durch Immobilienspekulation verursacht wurde,
heute die direkt produzierenden Unternehmen in Gefahr sind.
Der
Zerfall, von dem vor allem die Nationalstaaten in ihren
imperialistischen Beziehungen betroffen waren, beginnt auch ihre
Fähigkeit zur Verwaltung der Wirtschaft zu beeinträchtigen. Dies
setzt die von der Resolution zur internationalen Lage unseres letzten
internationalen Kongresses gezeichnete Perspektive fort und
verschärft sie: „Die aktuelle Entwicklung der Krise durch die
zunehmenden Störungen, die sie in der Organisation der Produktion zu
einer riesigen multilateralen Konstruktion auf internationaler Ebene
erleidet, die durch gemeinsame Regeln vereinheitlicht sein sollten,
zeigt die Grenzen der „Globalisierung“. Das ständig wachsende
Bedürfnis nach Einheit (was nie etwas anderes bedeutet hat als die
Auferlegung des Gesetzes des Stärkeren auf die Schwächsten) einer
aufgrund der „transnationalen“ Verflechtung stark nach Ländern
segmentierten Produktion (in Einheiten, die grundsätzlich durch
Wettbewerb getrennt sind und in denen jedes Produkt an einem Ort
entworfen und mit Hilfe von Elementen, die anderswo hergestellt
werden, an einem dritten Ort zusammengebaut wird) stößt sich am
nationalen Wesen jedes Kapitals, an die Grenzen des Kapitalismus, der
unwiderruflich in sich gegenseitig konkurrierende Nationen aufgeteilt
ist. Dies ist der maximale Grad der Einheit, den die bürgerliche
Welt nicht aufheben kann. Die sich vertiefende Krise (sowie die
Forderungen der imperialistischen Rivalität) stellen multilaterale
Institutionen und Mechanismen auf eine harte Probe.“ (Punkt 20 der
Resolution[4]).
Was wir sehen, ist, dass sich als Reaktion auf die
Pandemie das Tempo bei den Maßnahmen für die „nationale
Zurückverlagerung“ der Produktion, die Erhaltung der
Schlüsselsektoren in jedem nationalen Kapital, die Entwicklung von
Barrieren für den internationalen Waren- und Personenverkehr, usw.
beschleunigt hat, was nur sehr schwerwiegende Folgen für die
Entwicklung der Weltwirtschaft und die allgemeine Fähigkeit der
Bourgeoisie, auf die Krise zu reagieren, haben kann. Der nationale
Rückzug kann die Krise nur verschärfen und zu einer Zersplitterung
der Produktionsketten führen, die zuvor eine globale Dimension
hatten, was wiederum nur die Saat des Chaos in der Geld-, Finanz- und
Handelspolitik säen kann … Das kann bis zur Blockade und sogar zum
teilweisen Zusammenbruch einiger Volkswirtschaften gehen. Es ist noch
zu früh, um die Folgen dieser relativen Lähmung des
Wirtschaftssystems zu ermessen. Am schwerwiegendsten und
bedeutsamsten ist jedoch, dass sich diese Lähmung auf
internationaler Ebene vollzieht.
Die gegenwärtige
Beschleunigung der Weltwirtschaftskrise ist Teil der allgemeinen
Entwicklung der Dekadenz des Kapitalismus. Abgesehen von den
sichtbaren Phänomenen, die mit der gegenwärtigen „offenen Krise“
verbunden sind, ist es für uns wichtig, die Verstärkung der tiefen
Widersprüche des Kapitalismus und damit die Verschärfung seiner
historischen Krise besser zu verstehen.
Bericht
über die Wirtschaftskrise
Vorwort
Bezüglich der Wirtschaftskrise können
wir die folgenden zwei Perspektiven klar unterstreichen:
Die
Krise, die sich bereits jetzt abzeichnet, wird in ihrem historischen
Ausmaß die schwerste seit dem Eintritt des Kapitalismus in die
Dekadenz sein und in dieser Hinsicht diejenige übertreffen, die 1929
begann.
Neu in der Geschichte des Kapitalismus ist, dass die
Auswirkungen des Zerfalls einen sehr großen Einfluss auf die
Wirtschaft und die Entwicklung der neuen offenen Phase der Krise
haben werden.
Doch über die Gültigkeit dieser allgemeinen
Vorhersagen hinaus, wird die beispiellose Situation, die sich
eröffnet hat, mehr denn je von großer Unsicherheit geprägt sein.
Genauer gesagt, in der gegenwärtigen Phase der historischen Krise
der Überproduktion bringt das Eindringen des Zerfalls auf das
wirtschaftliche Terrain die Mechanismen des Staatskapitalismus, die
die Auswirkungen der Krise begleiten und begrenzen sollen, zutiefst
durcheinander. Dennoch es wäre falsch und gefährlich, den Schluss
daraus zu ziehen, dass die Bourgeoisie ihre politischen Fähigkeiten
nicht voll ausschöpfen wird, um im besten Interesse ihrer eigenen
Interessen auf die sich abzeichnende globale Wirtschaftskrise zu
reagieren. Die Verschärfung des Gewichts des Zerfalls bedeutet
darüber hinaus einen Faktor der Instabilität und Fragilität des
wirtschaftlichen Funktionierens, der es besonders schwierig macht,
die Entwicklung der Situation zu analysieren.
In der
Vergangenheit haben wir unsere Augen zu oft nur auf die Aspekte der
Situation gerichtet, welche die wirtschaftliche Krise des Kapitals zu
ihrer unaufhaltsamen Verschärfung trieben, aber nicht alle Faktoren
die ihre Entwicklung behinderten ausreichend berücksichtigt. Nun
geht es darum, der marxistischen Analysemethode treu zu bleiben, die
darin besteht, die historisch schwerwiegenden Tendenzen der sich
eröffnenden Perspektiven, aber auch die Gegentendenzen zu
identifizieren, auf die die Bourgeoisie bald reagieren wird. Wir
müssen daher so klar wie möglich die Grundzüge der künftigen
Entwicklung aufzeigen, ohne in riskante und unsichere Prognosen zu
verfallen. Wir müssen uns für die Situation wappnen und
sicherstellen, dass wir unsere Fähigkeit zur schnellen Reflexion und
Reaktion auf Ereignisse von großer Bedeutung, die sich zwangsläufig
weiterentwickeln werden, verbessern und umsetzen. Unsere Methode muss
von folgendem Ansatz inspiriert sein: „Der Marxismus kann nur die
allgemeinen historischen Linien und Tendenzen mit Sicherheit
nachzeichnen. Die Aufgabe der revolutionären Organisationen muss vor
allem die sein, Perspektiven für ihr Eingreifen in die Klasse
aufzuzeigen. Aber diese Perspektiven dürfen keine „Vorhersagen“
sein, die auf deterministischen mathematischen Modellen basieren (und
noch weniger, indem man die Vorhersagen der „Experten“ der
Bourgeoisie für bare Münze nimmt, sei es im Sinne eines falschen
„Optimismus“ oder eines ebenso mystifizierenden „Alarmismus“).“
(Zitat aus einem internen Diskussionsbeitrag)
Die
Tiefe der Krise
Die Krise von 2008 war ein wichtiger Moment für den
Kapitalismus. Die Erholung (2013-2018) war sehr schwach, die
schwächste seit 1967. Sie wurde von der Bourgeoisie als „sanfte“
Erholung beschrieben. Für das Jahrzehnt vor der Covid-19-Krise
(2010-2020), schätzte die Website Cycle Business Bourse auf
anscheinend realistische Weise das weltweite Wachstum auf etwas
weniger als 3% im Jahresdurchschnitt ein. Die Wirtschaftskrise, die
mit der Pandemie zutage trat, hat insbesondere ab 2018 bereits erste
deutliche Ausdrucksformen gefunden. Wir hatten dies im Bericht und in
der Resolution über die internationale Lage des 23. Kongresses der
IKS (2019) hervorgehoben: „Auf wirtschaftlicher Ebene ist die
Situation des Kapitalismus seit Anfang 2018 durch eine starke
Verlangsamung des weltweiten Wachstums gekennzeichnet (von 4% im Jahr
2017 auf 3,3% im Jahr 2019), aufgrund derer die Bourgeoisie eine
weitere Verschlechterung in den Jahren 2019-20 erwartet. Diese
Verlangsamung erwies sich 2018 als stärker wie erwartet, und der IWF
musste seine Prognosen für die nächsten zwei Jahre zurückschrauben,
und sie betrifft praktisch alle Teile des Kapitalismus gleichzeitig:
China, die Vereinigten Staaten und die Eurozone. Im Jahr 2019 haben
sich 70% der Weltwirtschaft verlangsamt, insbesondere in den
„fortgeschrittenen“ Ländern (Deutschland, Vereinigtes
Königreich). Einige der Schwellenländer befinden sich bereits in
der Rezession (Brasilien, Argentinien, Türkei), während China, das
sich seit 2017 verlangsamt und 2019 voraussichtlich noch um 6,2%
wachsen wird, die niedrigsten Wachstumsraten seit 30 Jahren
verzeichnet.“ (Punkt 16 der Resolution[5])
Vor diesem
Hintergrund des sich verlangsamenden Wachstums ist die Pandemie zu
einem starken Beschleuniger der Wirtschaftskrise geworden, der drei
Faktoren in den Vordergrund rückt:
Den Grad der
Zerbrechlichkeit der öffentlichen Gesundheitssysteme, eines der
Schlüsselelemente des Staatskapitalismus seit 1945. Dieser Prozess
der Schwächung des Gesundheitssystems steht im Zusammenhang mit der
Wirtschaftskrise im Allgemeinen und hat sich mit den Ereignissen von
2008 erheblich beschleunigt. In den meisten Staaten waren die
Gesundheitssysteme nicht in der Lage, die Pandemie zu bewältigen,
was Eindämmungsmaßnahmen erzwang, die zu einer plötzlichen
wirtschaftlichen Abschaltung führten, wie es sie in Friedenszeiten
noch nie gegeben hat. Für den Kapitalismus, der immer bereit war,
das Leben von Millionen von Menschen in imperialistischen Kriegen zu
opfern, bestand das Dilemma nicht darin, Leben zu retten oder
lediglich die Produktion aufrechtzuerhalten. Angesichts der
Entwicklung der Pandemie ging es im Wesentlichen darum, wie man die
Produktion, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und den
imperialistischen Rang gleichzeitig aufrechterhalten kann, während
der Anstieg der Pandemie die Produktion und die kommerzielle und
imperialistische Position jeder Macht ernsthaft beeinträchtigt.
Den
zunehmenden Grad der Entmachtung und Verantwortungslosigkeit einer
Mehrheit der bürgerlichen Fraktionen in allen Ländern, besonders in
den zentralen Ländern, als Folge des Phänomens der Zersetzung der
Gesellschaft.
Die brutale Verschärfung des „Jeder-für-sich“
selbst auf wirtschaftlicher Ebene, ein Faktor der mit der Zersetzung
verbunden ist, mit sehr wichtigen Folgen für den wirtschaftlichen
Bereich.
Wichtigster Ausdruck der Schwere der Krise ist, dass
(anders als 2008) die zentralen Länder (Deutschland, China und vor
allem die Vereinigten Staaten) am stärksten betroffen sind. Auch
wenn sie alle Mittel haben, die Krise abzufedern, wird die
Schockwelle die Weltwirtschaft stark destabilisieren.
Der
starke Rückgang der Ölpreise traf die Vereinigten Staaten hart: Vor
Ausbruch der Pandemiekrise gab es einen „Ölpreiskrieg“.
Infolgedessen wurden die Ölpreise vielleicht zum ersten Mal in der
Geschichte negativ. Selbst die optimistischsten Energieanalysten
sagen den Bankrott von nahezu hundert Ölfirmen in den Vereinigten
Staaten voraus. Einige von ihnen haben Schulden in Milliardenhöhe
angehäuft, ein Großteil davon mit hohem Risiko: „Der erste
Gefahrenherd bei der Verschuldung von Unternehmen ist der
Energiebereich“, sagt Capital Economics, obwohl Macadam dies nicht
für ein systemisches Risiko hält. Aber eine Kette von
Zahlungsausfällen im Ölsektor würde das Risiko einer Finanzkrise
erhöhen. Und wenn einer der am höchsten verschuldeten Ölgiganten
der Welt – Shell zum Beispiel hat mit 77 Milliarden US-Dollar eine
der höchsten Schulden der Welt – in Schwierigkeiten geraten würde,
wären die Auswirkungen verheerend.“ [6]
Diese negativen
Preise sind ein perfektes Beispiel für den Grad der Irrationalität
des Kapitals. Überproduktion von Öl und ungezügelte Spekulation in
diesem Sektor bedeuten, dass die Ölbesitzer dafür bezahlen,
überschüssiges Öl loszuwerden, das nicht gelagert werden kann,
weil es keinen Platz dafür gibt.
Während 2008 die
Bankenzusammenbrüche vor allem durch Immobilienspekulation
vorangetrieben wurden, sind es heute die direkt produktiven
Unternehmen, die den Bankensektor gefährden: „Die vier größten
US-Unternehmen, JP Morgan, Bank of America, Citigroup und Wells
Fargo, haben laut Statista allein im Jahr 2019 jeweils mehr als 10
Milliarden Dollar in den Ölfracking-Sektor investiert. Und nun sind
diese Ölfirmen ernsthaft gefährdet, zahlungsunfähig zu werden, so
dass die Banken mit Papierkram in ihren Bilanzen zurückbleiben (…)
Laut Moody’s wurden 91% der US-Unternehmenskonkurse im letzten
Quartal des vergangenen Jahres im Öl- und Gassektor verzeichnet. Die
von Energy Economics and Financial Analysis zur Verfügung gestellten
Daten weisen darauf hin, dass Unternehmen, die Fracking [besonders
„ehrgeizige“ Öl- und Gasgewinnung durch Einpumpen von Material
in erdölhaltige Gesteinsschichten] betreiben, im vergangenen Jahr
nicht in der Lage waren, Schulden in Höhe von 26 Milliarden Dollar
zu bezahlen.“[7] Mit der Pandemie verschlimmert sich die Situation
ernsthaft: „Rystad Energy Consulting schätzt, dass selbst bei
einer Rückgewinnung der 20 Dollar pro Barrel bis 2021 533
US-amerikanische Ölfirmen zahlungsunfähig werden könnten. Aber
wenn die Preise bei 10 Dollar bleiben, könnte es über 1.100
Konkurse geben, mit praktisch allen Unternehmen.“ [8]
Die
Krise der „multilateralen“ Phase des Staatskapitalismus
Der
Kapitalismus – in der Form des Staatskapitalismus – unternimmt
enorme Anstrengungen, um die lebenswichtigen Zentren des Systems zu
schützen und einen brutalen Absturz zu verhindern, wie es im Bericht
zur Wirtschaftskrise des 23. Internationalen Kongresses der IKS
heißt: „Indem er sich auf die Hebel des Staatskapitalismus
verlässt und die Lehren aus 1929 zieht, ist der Kapitalismus in der
Lage, seine lebenswichtigen Zentren (insbesondere die Vereinigten
Staaten und Deutschland) zu erhalten, die Krise zu begleiten und ihre
Auswirkungen abzuschwächen, indem er sie in die schwächsten Länder
zurückdrängt, ihr Tempo verlangsamt und sie zeitlich
hinauszieht.“
Der Staatskapitalismus hat verschiedene Phasen
durchlaufen, mit denen wir begonnen haben, uns zu befassen,
insbesondere bei einem Studientag im Jahr 2019. Seit 1945 haben die
Bedürfnisse der imperialistischen Blöcke eine gewisse Koordinierung
der staatlichen Verwaltung der Wirtschaft auf internationaler Ebene,
insbesondere im amerikanischen Block, mit der Schaffung
internationaler „Kooperations“-Gremien (OECD, IWF, Beginn der EU)
und der Handelsorganisation (GATT) erzwungen.
In den 1980er
Jahren versuchte das Kapital der zentralen Länder, überwältigt vom
Anstieg der Krise und unter einem starken Rückgang der Profite
leidend, ganze Produktionsbereiche in Länder zu verlagern, in denen
die Arbeitskraft viel billiger war, wie zum Beispiel China. Zu diesem
Zweck bedurfte es einer sehr weitreichenden finanziellen
„Liberalisierung“ auf globaler Ebene, um Kapital für die
notwendigen Investitionen zu mobilisieren. In den 1990er Jahren, nach
dem Zusammenbruch des Ostblocks, wurden die internationalen Gremien
gestärkt, was zu einer Struktur der „internationalen
Zusammenarbeit“ bei der währungs-, finanz- und
wirtschaftspolitischen Koordinierung, dem Aufbau internationaler
Produktionsketten, der Stimulierung des Welthandels und der
Beseitigung von Zollschranken usw. führte. Dieser Rahmen sollte den
stärksten Ländern zugute kommen: Sie konnten neue Märkte erobern,
ihre Produktion verlagern und einige der profitabelsten Unternehmen
aus den schwächeren Ländern übernehmen. Letztere waren gezwungen,
ihre eigene staatliche Politik zu ändern. Die Verteidigung des
nationalen Interesses betraf fortan nicht mehr den Zollschutz von
Schlüsselindustrien, sondern vielmehr die Entwicklung der
Infrastruktur, die Ausbildung der Arbeitskräfte, die internationale
Expansion von Schlüsselunternehmen, die Einnahme internationaler
Investitionen usw. Letztere waren gezwungen, ihre eigene staatliche
Politik zu ändern.
Zwischen 1990 und 2008 gab es „eine
umfassende Reorganisation der kapitalistischen Produktion auf
globaler Ebene (…) Nach dem Beispiel der EU bei der Beseitigung von
Zollschranken zwischen den Mitgliedstaaten wurde die Integration
vieler Zweige der Weltproduktion durch die Entwicklung echter
Produktionsketten auf globaler Ebene verstärkt. Durch die
Kombination von Logistik, Informationstechnologie und
Telekommunikation, werden Größenvorteile erzielt; durch die
verstärkte Nutzung der Arbeitskraft des Proletariats (durch erhöhte
Produktivität, internationalen Wettbewerb, Freizügigkeit der
Arbeitskräfte, um niedrigere Löhne durchzusetzen), die Unterordnung
der Produktion unter die finanzielle Logik der maximalen Rentabilität
hat der Welthandel, wenn auch in geringerem Maße, weiter zugenommen,
die Weltwirtschaft stimuliert und einen „zweiten Atemstoß“
erzeugt, der die Existenz des kapitalistischen Systems verlängert
hat.“ (Punkt 18 der bereits zitierten Resolution des 23.
Internationalen Kongresses)
Diese „internationale
Zusammenarbeit“ war eine sehr riskante und kühne Politik, um die
Krise zu mildern und einige der Auswirkungen des Zerfalls auf die
Wirtschaft abzuschwächen. Dies, indem versucht wurde, die
Auswirkungen des kapitalistischen Widerspruchs zwischen dem sozialen
und globalen Charakter der Produktion und dem privaten Charakter der
Aneignung von Mehrwert durch konkurrierende kapitalistische Nationen
zu begrenzen. Eine solche Entwicklung des dekadenten Kapitalismus
wird in unserer Broschüre über die Dekadenz erklärt, in der sie
die Vision kritisiert, Dekadenz sei gleichbedeutend mit einer
definitiven und dauerhaften Blockade der Entwicklung der
Produktivkräfte: „Falls wir die Hypothese eines endgültigen und
ständigen Stillstands dieser Entwicklung verteidigten, könnte nur
eine „absolute“ Verschärfung der Beschränkungen, den die
Produktionsverhältnisse darstellen, die Tendenz zur eindeutigen
Zuspitzung dieses Widerspruchs erklären. Man kann jedoch
feststellen, dass die Bewegung, die sich im Allgemeinen während der
verschiedenen Dekadenzzeiträume der Geschichte (der Kapitalismus
eingeschlossen) entwickelt, eher zu einer Ausdehnung der Grenzen bis
zu deren ‘Äußerten’ neigt als zu einem Schrumpfen derselben.
Unter dem Schutz des Staates und unter dem Druck der wirtschaftlichen
und sozialen Notwendigkeiten dehnt sich das Gehäuse aus, indem es
alles von sich stößt, was sich für die Produktionsverhältnisse
als überflüssig erweisen kann und für das Überleben des Systems
nicht unbedingt notwendig ist.“ Dies gilt umso mehr für den
Kapitalismus, die bisher elastischste und dynamischste
Produktionsweise in der Geschichte.
Wie aus dem Bericht über
die Wirtschaftskrise und der Resolution über die internationale Lage
des 23. Kongresses hervorgeht, begann diese „weltweite Organisation
der Produktion“ im Jahrzehnt 2010 ins Wanken zu geraten: Nachdem
China in hohem Maße von den Welthandelsmechanismen (der WTO)
profitiert hatte, begann es, einen parallelen Wirtschafts-, Handels-
und imperialistischen Mechanismus (die neue Seidenstraße) zu
entwickeln. Der Handelskrieg beschleunigte sich mit der
Machtübernahme von Trump … Diese Phänomene bringen zweifellos zum
Ausdruck, dass der Kapitalismus bei seiner Tendenz, diese berühmten
Grenzen, die in unserer Broschüre über die Dekadenz zitiert werden,
zu erweitern, zunehmend auf große Schwierigkeiten stößt.
„Seit
den 1960er Jahren befindet sich dieser Indikator [der das Gewicht der
Exporte und Importe in den einzelnen Volkswirtschaften misst] in
einem Aufwärtstrend, der sich in den letzten 18 Monaten verlangsamt
hat. In diesem Zeitraum hat er sich, ausgehend von etwa 23 Prozent,
bei etwa 60 Prozent stabilisiert und ist seit 2010 stetig
zurückgegangen.“[9]
Die brutalen Auswirkungen des Zerfalls
auf die Wirtschaft
Drei Faktoren, die den Ursprung der
Pandemiekrise bilden, beschreiben die Auswirkungen des Zerfalls auf
die Ökonomie: die Tendenz des „Jeder-für-sich“, Fahrlässigkeit
und Verantwortungslosigkeit. Zwei von ihnen haben ihren direkten
Ursprung im Zerfall des Kapitalismus: das „Jeder-für-sich“ und
die Verantwortungslosigkeit. Dies sind sehr sensible Faktoren, die
die Bourgeoisie – zumindest in den zentralen Ländern – so weit
wie möglich unter Kontrolle zu bringen vermochte, wenn auch mit
zunehmenden Schwierigkeiten. Im gegenwärtigen Stadium der
Entwicklung der inneren Widersprüche des Kapitalismus und angesichts
der Art und Weise, wie sie sich in der Entwicklung der Krise
manifestieren, wird die Explosion der Auswirkungen des Zerfalls nun
zu einem Faktor der Verschärfung der Weltwirtschaftskrise, von der
wir nur die allerersten Konsequenzen gesehen haben. Dies wird auf der
Weiterentwicklung der Krise lasten, da es ein Hindernis für die
effektive Wirksamkeit der gegenwärtigen Politik des
Staatskapitalismus darstellt. „Im Vergleich zu den Reaktionen auf
die Krisen von 1975, 1992, 1998 und 2008 sehen wir als Perspektive
eine erhebliche Verringerung der Fähigkeit der Bourgeoisie, die
Auswirkungen des Zerfalls auf das wirtschaftliche Terrain zu
begrenzen. Bisher war es der Bourgeoisie gelungen, durch eine
„internationale Zusammenarbeit“ bei den Mechanismen des
Staatskapitalismus – was als „Globalisierung“ bezeichnet wurde
– das lebenswichtige Terrain der Wirtschaft und des Welthandels vor
den hochgefährlichen zentrifugalen Effekten des Zerfalls zu
bewahren. Bei den schlimmsten wirtschaftlichen Erschütterungen der
Jahre 2007-2008 und 2009-2011, mit der „Staatsschulden“-Krise,
war die Bourgeoisie in der Lage, ihre Reaktionen zu koordinieren, was
dazu beigetrug, den Schlag der Krise ein wenig abzumildern und eine
anämische „Erholung“ in der Phase 2013-2018 zu garantieren.“
(aus einem internen Beitrag in der IKS zur Wirtschaftskrise)
Mit
der Pandemie haben wir gesehen, wie die Bourgeoisie versucht, die
Bevölkerung hinter dem Staat zu vereinen, indem sie die nationale
Einheit wiederbelebt. Im Gegensatz zu 2008, als die nationalistische
Tonlage nicht so stark war, haben jetzt die Bourgeoisien auf der
ganzen Welt ihre Grenzen geschlossen und die Botschaft verbreitet:
„Hinter nationalen Grenzen findet man Schutz, Grenzen helfen, das
Virus zurückzuhalten.“ Auf diese Weise versuchen die verschiedenen
Staaten, die Bevölkerung hinter sich zu scharen; sie sprechen
überall in martialischen Begriffen und Botschaften: „Wir sind im
Krieg, und Krieg braucht nationale Einheit“, „der Staat wird euch
helfen“, „wir werden euch aus der Patsche helfen“, „indem wir
die Grenze schließen, werden wir das Virus fernhalten“.
Durch die Auferlegung von Notfallplänen und durch die Organisation
von Schließungen wollen die Staaten die Botschaft vermitteln: „Ein
starker Staat ist dein bester Verbündeter.“
Die WHO war
genau in dem Moment völlig untätig, als ihr Handeln für die
Entwicklung wirksamer medizinischer Maßnahmen entscheidend war.
Jeder Staat, der einen Verlust der Wettbewerbsposition befürchtet,
hat angesichts der Pandemie selbstmörderisch Maßnahmen verzögert.
Bei der Beschaffung medizinischer Geräte kam es zu einem
erschütternden Schauspiel aller Arten von Diebstählen, zu miesen
Geschäften zwischen den Staaten (und sogar innerhalb der einzelnen
Staaten). In der EU, wo die „zwischenstaatliche Zusammenarbeit“
bisher so weit wie möglich gegangen war, gab es eine ungebremste
Welle von Protektionismus und wirtschaftlichem „Jeder-für-sich“.
Die EU hat nicht nur keine rechtliche Möglichkeit, ihre Vorgaben im
Gesundheitssektor durchzusetzen, sondern vor allem hat jedes Land
Maßnahmen ergriffen, um seine Grenzen und seine Versorgungsketten zu
verteidigen. Wir waren, wenn auch nicht zum ersten Mal, Zeug*innen
einer regelrechten Warenblockade, der Beschlagnahmung von
Gesundheitsausrüstung und eines Verbots, diese in andere europäische
Länder zu liefern.
All dies ist eine noch gravierendere
Veranschaulichung der Perspektive, die in der Resolution über die
internationale Lage des letzten Internationalen Kongresses dargelegt
wurde: „Die aktuelle Entwicklung der Krise durch die zunehmenden
Störungen, die sie in der Organisation der Produktion zu einer
riesigen multilateralen Konstruktion auf internationaler Ebene
erleidet, die durch gemeinsame Regeln vereinheitlicht sein sollten,
zeigt die Grenzen der „Globalisierung“. Das ständig wachsende
Bedürfnis nach Einheit (was nie etwas anderes bedeutet hat als die
Auferlegung des Gesetzes des Stärkeren auf die Schwächsten) einer
aufgrund der „transnationalen“ Verflechtung stark nach Ländern
segmentierten Produktion (in Einheiten, die grundsätzlich durch
Wettbewerb getrennt sind und in denen jedes Produkt an einem Ort
entworfen und mit Hilfe von Elementen, die anderswo hergestellt
werden, an einem dritten Ort zusammengebaut wird) stößt sich am
nationalen Wesen jedes Kapitals, an die Grenzen des Kapitalismus, der
unwiderruflich in sich gegenseitig konkurrierende Nationen aufgeteilt
ist. Dies ist der maximale Grad der Einheit, den die bürgerliche
Welt nicht aufheben kann. Die sich vertiefende Krise (sowie die
Forderungen der imperialistischen Rivalität) stellen multilaterale
Institutionen und Mechanismen auf eine harte Probe.“ (Punkt 20) Wir
sehen, dass als Antwort auf die Pandemie die Maßnahmen der
„nationalen Produktionsrückverlagerung“, des Erhalts von
Schlüsselsektoren in jedem nationalen Kapital, der Entwicklung von
Barrieren für den internationalen Waren- und Personenverkehr usw.
sehr deutlich zurückgedrängt sind, was nur schwerwiegende
Auswirkungen auf die Entwicklung der Weltwirtschaft und auf die
allgemeine Fähigkeit der Bourgeoisie, auf die Krise zu reagieren,
haben kann. Der nationale Rückzug kann die Krise nur verschlimmern
und zu einer Zersplitterung der Produktionsketten führen, die zuvor
eine globale Dimension hatten, was nur die Saat des Chaos in der
Währungs-, Finanz- und Handelspolitik säen kann … Dies kann zur
Blockade und sogar zum teilweisen Zusammenbruch einiger
Volkswirtschaften führen. Es ist noch zu früh, um die Folgen dieser
relativen Lähmung des Wirtschaftsapparates zu messen. Am
schwerwiegendsten und bedeutsamsten ist jedoch, dass sich diese
Lähmung auf internationaler Ebene vollzieht.
Die weit
verbreitete Reaktion des Staates auf die Pandemie verdeutlicht die
Stichhaltigkeit der Analyse im Bericht zur Wirtschaftskrise des 23.
Kongresses: „Einer der größten Widersprüche des Kapitalismus ist
der, der sich aus dem Konflikt zwischen der zunehmend globalen Natur
der Produktion und der notwendigerweise nationalen Struktur des
Kapitals ergibt. Indem er die Möglichkeiten der „Zusammenschlüsse“
der Nationen auf wirtschaftlicher, finanzieller und produktiver Ebene
bis an die Grenzen ausreizt, hat der Kapitalismus in seinem Kampf
gegen die Krise, die ein Wundbrand ist, einen bedeutenden „frischen
Wind“ bekommen, aber gleichzeitig hat er sich selbst in eine
riskante Situation gebracht. Dieser überstürzte Vorstoß in den
Multilateralismus entwickelt sich in einem Rahmen des Zerfalls, d.h.
in einer Situation, in der Disziplinlosigkeit, zentrifugale
Tendenzen, Verankerung in der nationalen Struktur immer stärker
werden und nicht nur Fraktionen jeder nationalen Bourgeoisie
betreffen, sondern auch große Teile der Kleinbourgeoisie und sogar
Randgruppen von Proletariern, die fälschlicherweise glauben, dass
ihr Interesse der Nation gilt. All dies kristallisiert sich zu einer
Art „nihilistischem nationalistischem Aufstand“ gegen die
„Globalisierung“.“
Wie
wird die Bourgeoisie reagieren?
Wir werden die von der Bourgeoisie eingeleitete
Reaktion untersuchen, die sich in 3 Teile gliedert: 1. die
Fortsetzung der enormen Verschuldung, 2. der nationale Rückzug, 3.
der brutale Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiter.
Die
weltweite Verschuldung belief sich im Jahr 2020 auf 255 Billionen
Dollar oder 322% des Welt-BIP, während sie vor der Krise von 2008
bei 60 Billionen Dollar lag. Seitdem hat sich das Welt-BIP nur
relativ „sanft“ entwickelt. Hier haben wir ein Bild der
Entwicklung der privaten und öffentlichen Verschuldung in den
letzten dreizehn Jahren, die es ermöglicht hat, das, was die
Bourgeoisie als „sanftes“ Wachstum bezeichnet hat,
aufrechtzuerhalten. Angesichts der gewaltigen Beschleunigung der
Wirtschaftskrise, die durch die Pandemie ausgelöst wurde, hat die
Bourgeoisie überall auf der Welt mit der Schöpfung von zusätzlichem
Geld durch die Zentralbanken aller Industrie- und Schwellenländer
reagiert. Im Gegensatz zur Krise von 2008 gab es keine Koordination
zwischen den großen Zentralbanken der Welt. Diese massive Schaffung
von Zentralbankgeld und die Verschuldung entsprachen der Angst, die
die bürgerliche Klasse angesichts des Ausmaßes der Rezession, die
sich vor ihr aufzutun schien, überkam. Nimmt man einen Durchschnitt
der von der Bourgeoisie Ende Mai genannten Zahlen, so ergeben sich
folgende Prognosen für einen Wachstumsrückgang:
Innerhalb
der Europäischen Union von 6,8% des BIP, für die Mittelmeerländer
von 11% bis 12% des BIP;
In den Vereinigten Staaten drücken die angegebenen
Zahlen die Schwierigkeit oder ideologische Perfidie der Bourgeoisie
bei der Bewertung aus, wobei die Zahlen von -6,5% bis -30% reichen!
Statistisch gesehen ist dies unerhört. Die FED in Philadelphia legte
sogar einen Wert von 35% vor.
China kündigt einen Rückgang
seines BIP um 3,5% und einen Rückgang seiner industriellen Tätigkeit
um 13% an.
Nimmt man die niedrigste Hypothese der Bourgeoisie und
das Ausbleiben einer zweiten Welle der Pandemie, so dürfte das
weltweite Wachstum im Jahr 2020 einen starken Rückgang von
mindestens 3% erfahren, einen viel stärkeren Rückgang als während
der Krise 2008-2009.
Hier ist eine Zusammenfassung der
unsicheren Aussichten des IWF (die im Durchschnitt der von
offiziellen Stellen auf internationaler Ebene erstellten Prognosen
liegen):
Länder
2019 2020
Entwickelte
Länder
2,9 –
3
Eurozone
1,7
-6,1
Deutschland
0,6
-7
Frankreich
1,3
-7,2
Italien
0,3
-9,1
Spanien
2
-8
Japan
0,7
-5,2
GB
1,4
-6,5
China
6,1
1,2
Indien
4,2
1,9
Brasilien
1,1
-5,3
Russland
1,3
-5,5
Weltweiter
Durchschnitt
2,4
-4,2
Volumen des
Welthandels
2019 2020
Importe
der fortgeschrittenen Länder
1,5
-11,5
Importe der Schwellen- und
Entwicklungsländer
0,8
-8,2
Exporte der Schwellen- und
Entwicklungsländer
0,8
-9,6
Diese Tabellen geben nicht nur einen Überblick über den
voraussichtlichen Rezessionsverlauf, sondern auch über die erwartete
Schrumpfung des Welthandels.
Eine Synthese der Diskussion
innerhalb unserer Organisation nennt die folgenden anschaulichen
Zahlen: „Die Situation ist nur deshalb haltbar, weil die
Staatsschulden und ihre Rückzahlung von den Zentralbanken übernommen
werden; so spritzt die Fed wöchentlich 625 Milliarden Dollar in die
US-Wirtschaft, während der 2009 gestartete Paulson-Plan zur
Eindämmung von Bankzusammenbrüchen insgesamt 750 Milliarden Dollar
betrug (obwohl es stimmt, dass in den folgenden Jahren weitere Pläne
zum Rückkauf von Schulden durch die Fed auf den Weg gebracht
werden)“. „Die auffälligste Reaktion von allen kam aus
Deutschland, obwohl sie nur Teil einer umfassenderen europäischen
Reaktion auf die Beschleunigung der Wirtschaftskrise ist. Der Grund,
warum die von der deutschen Regierung geplanten Maßnahmen von
besonderer Bedeutung sind, wird in einem Artikel in der Financial
Times vom Montag, dem 23. März, erläutert: „Die von
Finanzminister Olaf Scholz vorgeschlagenen Maßnahmen stellen einen
entscheidenden Bruch mit dem strikten Festhalten der Regierung an der
Politik der ’schwarzen Null‘ dar, die Haushalte auszugleichen und
keine neuen Kredite aufzunehmen.“[10] „Seit Februar wurden 14
Billionen Dollar freigegeben, um den Zusammenbruch zu verhindern. All
dies in einem völlig anderen Kontext als in der Vergangenheit. Wie
kann diese „expansionistische“ Politik – die die Unterschiede
zwischen Zentralbanken und Staaten, dem Aufschwung, den
Rettungsplänen überwunden hat – wirksam sein?“[11] Ein weniger
bekanntes Beispiel betrifft China, das eines der am höchsten
verschuldeten Länder der Welt ist, obwohl es über bedeutende, nicht
zu unterschätzende Vermögenswerte verfügt. Die Gesamtverschuldung
Chinas im Jahr 2019 entspricht 300% seines BIP, oder 43 Billionen
Dollar. Darüber hinaus werden 30% der Unternehmen in China als
„Zombie-Unternehmen“ eingestuft. Dies ist der höchste
Prozentsatz der Welt. Es ist auch das Land mit der niedrigsten
Auslastungsrate der Produktionskapazitäten, obwohl alle entwickelten
Länder dieses Phänomen der Produktionsüberkapazitäten erleben.
Offiziell lag der Auslastungsgrad der industriellen Kapazitäten der
beiden führenden Mächte der Welt – und das war vor Covid-19 –
in China bei 76,4% und in den Vereinigten Staaten bei 78,2%. Der in
China aufgestellte Konjunkturplan werde sich auf 64 Billionen Dollar
belaufen, was pharaonisch und wahrscheinlich weitgehend für
ideologische Propaganda gedacht ist. Das Konjunkturpaket ist für
einen Zeitraum von fünf bis zwanzig Jahren geplant, und unabhängig
davon, wie die Realität aussieht, muss es unbedingt mit Chinas
wirtschaftlichen und imperialistischen Hegemoniezielen verknüpft
werden. Das Konjunkturpaket der Vereinigten Staaten beläuft sich auf
10 Billionen Dollar. Im Vergleich dazu erscheint das
Konjunkturprogramm der EU geradezu lächerlich, wenn man bedenkt,
dass es sich nach neuesten Informationen auf 1290 Milliarden
US-Dollar in Form von Krediten beläuft, die zum Teil von den
Finanzmärkten und zum Teil direkt von der EZB finanziert werden. In
Wirklichkeit beläuft sich das Geld, das die EZB der gesamten
Wirtschaft, den Privatbanken, der versteckten Finanzierung und den
Unternehmen zur Verfügung stellt, auf mehrere Milliarden Euro. Die
Staaten, insbesondere Deutschland, garantieren einen Teil dieses
Plans durch Subventionen und die Vergemeinschaftung des
Ausfallrisikos auf Darlehen, die zwischen 2028 und 2058
zurückzuzahlen sind! In Wirklichkeit ist die Bourgeoisie dabei
einzugestehen, dass ein großer Teil der weltweiten Schulden niemals
zurückgezahlt werden wird. Damit sind wir wieder bei den Aspekten
angelangt, über die wir jetzt sprechen werden.
Wir können in
diesem Bericht weder über das volle Ausmaß der laufenden
Geldschöpfung berichten, noch können wir alle Konjunkturprogramme
im Einzelnen darlegen. Eine weitere Realität zum Zeitpunkt der
Erstellung dieses Artikels: Die USA liegen bei 10 Billionen Dollar.
Während all dies jenseits aller Vorstellungskraft zu liegen scheint,
bleibt die Tatsache bestehen, dass der Kapitalismus diese
astronomische Geldschöpfung nutzt, um zu investieren und seine Waren
zu verkaufen. Unter diesem Gesichtspunkt muss die zentrale und
private Geldschöpfung exponentiell wachsen (in verschiedenen
Formen), um die Akkumulation so weit wie möglich aufrechtzuerhalten
und in der gegenwärtigen Situation den Absturz in die Depression zu
verlangsamen. Diese Depression birgt die Gefahr einer Deflation, vor
allem aber die Gefahr einer Stagflation. Die Abwertung der Währungen,
auch über den aktuellen Währungskrieg hinaus, der sie begünstigt,
ist Teil der Krise des Kapitalismus. Die Beschleunigung der
gegenwärtigen Krise ist ein sehr bedeutender Schritt in diese
Richtung. Der springende Punkt ist der folgende: In jedem Land, und
in immer größerem Maße, verpfändet das globale Kapital den
zukünftigen Wert, der produziert und realisiert werden soll, um das
gegenwärtige Wachstum und die weitere Akkumulation zu ermöglichen.
Es ist also weitgehend dieser Erwartung zu verdanken, dass es dem
Kapitalismus gelingt, zu kapitalisieren und zu investieren. Dieser
Prozess konkretisiert die Tatsache, dass die kolossalen Schulden, die
ausgegeben werden, immer weniger durch den bereits produzierten und
realisierten Mehrwert gedeckt werden. Dies eröffnet die Aussicht auf
immer größere Finanz-Crashs und die Vernichtung von Finanzkapital.
Logischerweise impliziert dieser Prozess, dass der Binnenmarkt für
Kapital nicht unendlich wachsen kann, auch wenn es keine feste Grenze
dafür gibt. In diesem Rahmen stellt die Krise der Überproduktion im
gegenwärtigen Stadium ihrer Entwicklung ein Problem der Rentabilität
und des Profits für den Kapitalismus dar. Die Bourgeoisie schätzt,
dass etwa 20% der Produktivkräfte der Welt nicht genutzt werden. Die
Überproduktion von Produktionsmitteln ist besonders augenfällig und
betrifft Europa, die Vereinigten Staaten, Indien, Japan, usw.
Das
ist wichtig, wenn wir feststellen wollen, wie der Staatskapitalismus
angesichts der kommenden Krise unbedingt gestärkt werden muss, wie
aber die Konjunkturprogramme sehr starke Einschränkungen enthalten
und zunehmend perverse Effekte eindämmen, und wie die Tendenz des
„Jeder-für-sich“ in diesem Zusammenhang das Produkt des
Zerfalls, aber auch der wachsenden wirtschaftlichen Sackgasse ist,
eine Tendenz, der sich der Kapitalismus nicht entziehen kann, die
aber auch historisch eine tödliche Dynamik darstellt. In diesem
Sinne wird es in der kommenden Periode wichtig sein, die Geschichte
der offenen Krisen des Kapitalismus zu studieren und zu vergleichen.
Insbesondere jene von 1929, 1945, 1975, 1998, 2008.
Der
nationale Rückzug
Die Situation, die sich mit der sehr tiefgreifenden
Beschleunigung der gegenwärtigen Krise eröffnet, rückt die Rolle
der Staaten (und damit ihrer Zentralbank, denn der Mythos von der
Unabhängigkeit der Zentralbank ist vorbei) wieder in den
Vordergrund. Es wird interessant sein zu zeigen, wie die
Wirtschaftspolitik, die Rolle der Staaten und der Keynesianismus in
den 1930er und 1945 in der Praxis aussahen. Dies, um den Unterschied
zur Art und Weise zu zeigen, wie die Bourgeoisie im Jahr 2008
reagiert hat. Während dieser Periode gibt es Unterschiede von sehr
großer Bedeutung, z.B. die Existenz von extrakapitalistischen
Märkten und Zonen, aber auch das Ausmaß der Weltwirtschaft und der
großen imperialistischen und ökonomischen Mächte, sowie die Frage
der Blöcke, usw. In der heutigen Krise bestehen die Sanierungspläne
jedoch in Form von Staatsdefiziten und Staatsverschuldung und nicht,
wie in den 1930er und 1940er Jahren, als man zum größten Teil den
bereits realisierten und gehorteten Mehrwert anzapfte, zu dem ein
Teil an Schulden hinzukam, der mit den heutigen nichts mehr gemein
hat. Die derzeitigen Sanierungspläne werden sich als zunehmend
schwierig zu finanzieren erweisen, da die Höhe der Schulden, die sie
erfordern, von dem Wachstum, das sie generieren werden, abweichen
wird. Es stellen sich jedoch eine Reihe von Fragen.
Die Lehren
aus der Krise von 1929 veranlassten die Bourgeoisie, trotz und gegen
ihre eigene „Natur“ zu einer stärkeren Zusammenarbeit
überzugehen, um die Entwicklung ihrer Krise entweder durch
keynesianische Politik oder durch die staatliche Orchestrierung der
Globalisierung so weit wie möglich zu verlangsamen. Selbst wenn es
in der gegenwärtigen Situation nun zu einer Rückkehr der
keynesianischen Politik im Kontext einer wachsenden Tendenz zu einem
„Jeder-für-sich“-Vorgehen kommt, wird ihre Wirksamkeit, was die
eingesetzten Mittel betrifft, nicht mit früheren Perioden
vergleichbar sein.
In diesem Zusammenhang müssen wir die
gewichtigere Tendenz – im Vergleich zur vorhergehenden Periode –
zu isolierten Reaktionen der Bourgeoisie auf nationaler Ebene
beobachten. So zum Beispiel die neue Tendenz, Grenzen zu schließen,
um den Transport von Passagieren von einem Kontinent zum anderen zu
stoppen – oder nationale Grenzen zu schließen, als ob das Virus
die nationale Isolation „respektieren“ würde. All dies ist viel
mehr Ausdruck von Ohnmacht und einer bestimmten Grundhaltung als eine
wissenschaftlich fundierte Entscheidung, das Virus unter Quarantäne
zu stellen und in Schach zu halten. Warum besteht eigentlich ein
größeres Risiko, sich das Virus in einem internationalen Zug
zwischen Stuttgart und Paris einzufangen als in einem nationalen Zug
zwischen Stuttgart und Hamburg? Die Schließung der nationalen
Grenzen ist nicht hilfreich, sie drückt die „Grenzen“ der Mittel
der Bourgeoisie aus.
Die Rückverlagerung der Produktion in
zentrale Länder nimmt mit der Pandemie zu. So haben 218 europäische
Unternehmen beschlossen, die Produktion aus China zurückzubringen.
„Laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter 12 globalen
Wirtschaftszweigen haben 10 von ihnen – darunter die Automobil-,
Halbleiter- und Medizingeräteindustrie – ihre Lieferketten bereits
zurück verlagert, hauptsächlich aus China. Japan bietet Unternehmen
2 Milliarden Dollar an, um ihre Fabriken aus China heraus und zurück
auf den japanischen Archipel zu verlagern.“[12] Und ein Präsident
wie Macron, der ein Befürworter des Multilateralismus zu sein
scheint, hat gesagt, dass „das ‚Delegieren‘ von Nahrungsmitteln
und medizinischer Versorgung ‚verrückt‘ ist. Sein Finanzminister
Bruno Le Maire ruft zum „Wirtschaftspatriotismus“ auf, damit die
Franzosen nationale Produkte konsumieren“ (ebda.). In allen Ländern
favorisieren sie lokale Wirtschaftspläne, um vorzugsweise lokale
oder nationale Produkte zu konsumieren. Es ist ein Rückzug auf sich
selbst, der dazu neigt, die Industrie-, Nahrungsmittel- und andere
Produktionsketten zu durchbrechen, die auf globaler Ebene geschaffen
wurden und die Kosten stark reduziert haben.
Die zentrifugalen
Tendenzen des „Jeder-für-sich“ haben ein neues Niveau erreicht,
während gleichzeitig in jedem Land der Staat, jede Nationalbank
gigantische Summen (im Falle Deutschlands unbegrenzt) in die
Industrie gepumpt oder versprochen hat. Keine dieser Maßnahmen ist
von der EZB oder dem IWF verabschiedet und harmonisiert worden. Es
muss hinzugefügt werden, dass nicht nur der Populist Trump als
Verfechter eines „Jeder-für-sich“ aufgetreten ist. Deutschland
hat – im Einvernehmen mit den wichtigsten Parteien – ebenso
gehandelt wie auch Macron. Also, populistisch oder nicht, alle
Regierungen haben in die gleiche Richtung gehandelt – sie haben
sich hinter nationalen Grenzen versteckt, „Jeder für sich“ –
mit nur einem Minimum an internationaler oder europäischer
Koordination.
Die Folgen dieser Handlungen scheinen
kontraproduktiv für jedes nationale Kapital und noch schlimmer für
die Weltwirtschaft zu sein. „Zwischen 2007 und 2008, aufgrund einer
schicksalhaften Konvergenz ungünstiger Faktoren – schlechte
Ernten, steigende Öl- und Düngemittelpreise, der Biokraftstoff-Boom
– schränkten 33 Länder ihre Exporte ein, um ihre
„Ernährungssouveränität“ zu schützen. Aber die Heilung war
schlimmer als die Krankheit. Die Restriktionen haben nach Schätzungen
der Weltbank die Preise für Reis (116%), Weizen (40%) und Mais (25%)
erhöht (…) Das Beispiel Chinas, das als erstes Land von der
Epidemie betroffen ist, lässt nichts Gutes ahnen: Bedrohungen der
globalen Lieferketten haben in diesem asiatischen Land seit Anfang
des Jahres bereits zu einem Anstieg der Nahrungsmittel um 15% bis 22%
geführt.“ [13]
Die
Gegentendenzen zum nationalen Rückzug
Die Bourgeoisie wird reagieren. Auf EU-Ebene hat
Deutschland endlich die „Vergemeinschaftung der Schulden“
akzeptiert, was zeigt, dass angesichts dieser Welle des Zerfalls
Gegentendenzen am Werk sind. Vielleicht wird die amerikanische
Bourgeoisie bei den nächsten Wahlen Trump zu Gunsten der
traditionellen Demokraten, die für den „Multilateralismus“[14]
sind, entlassen. Außerdem: „Am 22. April verpflichteten sich die
164 Mitgliedsländer der Welthandelsorganisation (WTO), auf die 63%
der weltweiten Agrar- und Lebensmittelexporte entfallen, nicht in
ihre Märkte einzugreifen. Gleichzeitig unterzeichneten die
Landwirtschaftsminister von 25 Ländern Lateinamerikas und der
Karibik ein verbindliches Abkommen, um die Versorgung von 620
Millionen Menschen zu gewährleisten.“ [15]
Mit dem Plan des
„ökologischen Transformationsprozesses“ und der Förderung einer
„grünen Wirtschaft“ werden Anstrengungen für eine
Reorganisation der Wirtschaft – zumindest auf EU-Ebene –
unternommen. Mit der massiven Entwicklung der Telekommunikation, der
Anwendung von Robotertechnik und IT, neuen und viel leichteren
Materialien, Biotechnologie, Drohnen, Elektroautos usw., wird die
traditionelle Schwerindustrie auf der Grundlage fossiler Brennstoffe
tendenziell obsolet, auch im militärischen Bereich. Die Durchsetzung
der „neuen Standards“ der Wirtschaftsorganisation wird für die
zentralen Länder, insbesondere für Deutschland, die Vereinigten
Staaten und China, zu einem Vorteil.
Die Bourgeoisie wird mit
allen Kräften gegen diese Flut der nationalen wirtschaftlichen
Zersplitterung kämpfen. Aber sie steht vor der wachsenden Kraft
ihres historischen Widerspruchs zwischen der nationalen Natur des
Kapitals und der globalen Natur der Produktion. Diese Tendenz jeder
Bourgeoisie, ihre eigene Wirtschaft auf Kosten der anderen retten zu
wollen, ist eine irrationale Tendenz, die für alle Länder und für
die Weltwirtschaft insgesamt katastrophal wäre (auch wenn es
Unterschiede zwischen den Ländern geben wird). Die Tendenz des
„Jeder-für-sich“ kann sogar unumkehrbar sein, und die
Irrationalität, die damit einhergeht, stellt die Lehren, die die
Bourgeoisie aus der Krise von 1929 gezogen hat, in Frage.
Wie
die Plattform der Kommunistischen Internationale sagte: „Das
Endergebnis der kapitalistischen Produktionsweise ist Chaos“, aber
der Kapitalismus hat diesem Chaos während der Dekadenz in vielerlei
Hinsicht widerstanden und während seiner Zerfallsphase weiter
Widerstand geleistet. Gegenläufige Tendenzen werden sich weiterhin
manifestieren, aber die Situation, die sich heute eröffnet, ist eine
der wesentlichen Verschärfungen des Chaos, insbesondere im
wirtschaftlichen Bereich, der aus historischer Sicht sehr gefährlich
ist.
Ein Alptraum für
das Proletariat in allen Ländern, vor allem aber in den zentralen
Ländern
Die Resolution zur internationalen Lage des
23. Kongresses bot den folgenden Rahmen:
„Was das
Proletariat betrifft, so können diese neuen Verwerfungen nur zu noch
schwerwiegenderen Angriffen auf seine Lebens- und Arbeitsbedingungen
auf allen Ebenen und insbesondere in der ganzen Welt führen:
durch
die verstärkte Ausbeutung der Arbeitskraft mittels weiterer
Lohnsenkungen und Erhöhung des Rhythmus und der Produktivität in
allen Sektoren;
durch den weiteren Abbau der Überreste des
Sozialstaates (zusätzliche Einschränkungen der verschiedenen
Leistungssysteme für Arbeitslose, der Sozialhilfe und der
Altersrenten) und ganz allgemein durch den „sanften“ Verzicht auf
die Finanzierung aller Formen von Hilfe oder Unterstützung im
freiwilligen oder halböffentlichen Sektor;
die Verringerung der
staatlichen Kosten, die Bildung und Gesundheit bei der Produktion und
Erhaltung der Arbeitskraft des Proletariats verursachen (und damit
erhebliche Angriffe auf die Proletarier in diesen öffentlichen
Bereichen);
die Verschärfung und weitere Ausbreitung der
Prekarität als Mittel dafür, das Gewicht der Massenarbeitslosigkeit
auf alle Teile der Klasse zu verteilen.
-Angriffe, die sich hinter
Finanzoperationen verbergen, wie z.B. negative Zinssätze, die kleine
Sparkonten und Pensionsfonds untergraben. Und obwohl die offiziellen
Inflationsraten für Konsumgüter in vielen Ländern niedrig sind,
haben Spekulationsblasen zu einer wahren Explosion der Wohnungskosten
beigetragen.
die Erhöhung der Lebenshaltungskosten, insbesondere
der Steuern und der Preise von Gütern des täglichen Bedarfs.“
(Punkt 23 der schon zuvor zitierten Resolution)
Verarmung in Hochgeschwindigkeit
Im Jahr
2019 hungerten nach Angaben der Vereinten Nationen 135 Millionen
Menschen. Im April 2020, mit dem Ausbruch der Pandemie,
prognostiziert die UNO, dass sich 265 Millionen Menschen in dieser
Situation befinden werden.[16] Die Weltbank erklärte im März, dass
die arme Bevölkerung 3,5 Milliarden Menschen erreichen würde, mit
einer plötzlichen Beschleunigung von mehr als 500.000 pro Monat.
Seitdem scheint sich dieses Tempo effektiv fortgesetzt zu haben,
insbesondere in Mittel- und Südamerika sowie in Asien einschließlich
der Philippinen, Indien und China. Die Verarmung der Arbeiter*innen
wird sich beschleunigen, so der IAO-Bericht: „(…) der durch den
Rückgang der Wirtschaftstätigkeit entstehende Druck auf die
Einkommen wird sich verheerend auf Arbeitnehmer auswirken, die nahe
oder unterhalb der Armutsgrenze leben“. Zwischen 8,8 und 35
Millionen mehr Arbeiter*innen werden weltweit in Armut leben,
verglichen mit der ersten Schätzung für 2020 (die einen Rückgang
von 14 Millionen weltweit voraussagte).
Massive
Arbeitslosigkeit
In Indien und China wird die Zahl der
arbeitslosen Proletarier*innen nach Angaben des IWF in
Hunderttausenden gezählt. Auf einigen Websites wie Business Bourse
ist die Rede von mehreren Millionen Arbeiter*innen, die ihren
Arbeitsplatz in China verloren haben. All diese Zahlen sind wirklich
mit großer Vorsicht zu genießen, da sie je nach Quelle oft
variieren. Was dabei aber heraussticht, ist ihre Massivität und
rasche Ausdehnung, die auf die Einschränkung und den Stopp eines
großen Teils der weltweiten Aktivitäten zurückzuführen sind. Im
gleichen Zeitraum hat die Massenarbeitslosigkeit in den Vereinigten
Staaten 35 Millionen Menschen erreicht, und trotz außergewöhnlicher
staatlicher Beihilfen werden die Schlangen vor den
Lebensmittelverteilungsstellen immer länger, was an die Bilder der
1930er Jahre in den Vereinigten Staaten erinnert. Dasselbe Phänomen
findet in Brasilien statt, wo Arbeitslose nicht einmal mehr offiziell
registriert sind. In Frankreich wird erwartet, dass die
Arbeitslosigkeit in wenigen Monaten fast 7 Millionen Menschen
erreichen wird. Die Explosion der Massenarbeitslosigkeit nimmt in
Italien und Spanien das gleiche Tempo an. Gegenwärtig werden Pläne
für Massenentlassungen geschmiedet, wie im Luftverkehr und im
Flugzeugbau. Aber auch in der Automobilindustrie, Ölförderung etc.
Die Liste wird in der kommenden Zeit immer länger werden.
Allgemeine
Prekarität
In einer ersten Bewertung der Folgen der Pandemie
schätzte die IAO (Internationale Arbeitsorganisation), dass die
Pandemie den dauerhaften Verlust von 25 Millionen Arbeitsplätzen
weltweit verursachen würde, während die Arbeitsplatzunsicherheit
stark zunehmen würde: „Es wird auch erwartet, dass die
Unterbeschäftigung exponentiell zunehmen wird, da sich die
wirtschaftlichen Folgen der Virusepidemie in einer Verringerung der
Arbeitszeiten und Löhne niederschlagen. In Entwicklungsländern
können Beschränkungen der Freizügigkeit von Personen (z.B.
Dienstleistungsanbieter) und Waren diesmal den Puffereffekt aufheben,
den die selbständige Erwerbstätigkeit in diesen Ländern
normalerweise hat.“[17] Darüber hinaus sind in der informellen
Wirtschaft Zehntausende von Arbeiter*innen, die keinerlei
statistische oder sonstige finanzielle Unterstützung des Staat
erhalten, ohne Beschäftigung. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es
noch zu früh, um sich ein Bild vom allgemeinen Grad der
Verschlechterung des Lebensstandards zu machen.
Angriffe
auf allen Ebenen
Lohnkürzungen, längere Arbeitszeiten,
Steuern, niedrigere Renten, Sozialleistungen. Es scheint auch, wie in
Frankreich, dass die Bourgeoisie versucht, die realen Arbeitszeiten
zu verlängern. Es geht aber auch darum, den Direktlohn insbesondere
durch neue, durch die Pandemie „gerechtfertigte“ Steuern zu
senken. Die Europäische Union prüft zum Beispiel eine Covid-Steuer
sehr ernsthaft – ein wahrlich tolles Programm!
Die
Schuldenlast wird immer kolossaler, was notwendigerweise eine
Gegenleistung mit sich bringt: die Verschärfung der Sparmaßnahmen
gegenüber den Arbeiter*innen.
In diesem Rahmen müssen wir
die Idee des Allgemeinen Grundeinkommens sehen, eines Mittels, um
soziale Spannungen einzudämmen und den Lebensbedingungen als
staatlich organisierter Schritt zur allgemeinen Verarmung einen
schweren Schlag zu versetzen.
In den zentralen Ländern und
besonders in Westeuropa wird die Bourgeoisie versuchen, die Angriffe
so vernünftig wie möglich zu verwalten und sie auf „politische“
Weise anzuwenden, wobei sie die größten Spaltungen innerhalb des
Proletariats provoziert. Auch wenn der Handlungsspielraum der
Bourgeoisie auf diesem Terrain tendenziell schrumpfen wird, dürfen
wir folgendes nicht aus den Augen verlieren: „Gleichzeitig sind die
am meisten entwickelten Länder von Nordeuropa, die USA und Japan
noch weit weg von einem solchen Szenario. Dies weil einerseits ihre
nationalen Ökonomien fähiger geworden sind, der Krise zu begegnen,
doch auch weil die Arbeiterklasse in diesen Ländern, vor allem in
Europa, nicht bereit ist, ein solches Niveau von Angriffen auf ihre
Lebensbedingungen zu akzeptieren. Dieser wichtige Faktor bei der
Entwicklung der Krise unterliegt keinem strikt ökonomischen
Determinismus, sondern spielt sich auf der Ebene der sozialen
Verhältnisse ab – dem Kräfteverhältnis zwischen den zwei
wichtigsten sozialen Klassen der Gesellschaft – zwischen der
Bourgeoisie und der Arbeiterklasse.“ (20. Kongress der IKS,
Resolution zur internationalen Lage)
[1]
http://www.mlwerke.de/me/me13/me13_007.htm, Marx, Zur Kritik der
Politischen Ökonomie, Vorwort, S. 9
[2] Karl Marx, Theorien
über den Mehrwert, MEW Bd. 26.2 S. 469 (Vierter Band Das Kapital, 2.
Teil, 8.-18. Kapitel, 16. Kapitel, Ricardos Profittheorie, 3. Gesetz
vom Fall der Profitrate, e) Ricardo über das Fallen der Profitrate
und seine Rententheorie)
[3]
http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_251.htm#Kap_15_III, Marx, Bd. 25,
15. Kapitel: Entfaltung der innern Widersprüche des Gesetzes, S.
268
[4]
https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationalen-lage-2019-imperialistische-spannungen-leben-der
[5]
https://de.internationalism.org/content/2861/resolution-zur-internationa…
[6]
Auszug aus: La Vanguardia vom 25. April 2020, „Las zonas de riesgo
del sistema financiero“
[7] Auszug aus: La Vanguardia vom
22. April 2020, „La quiebra de las petroleras golpeará a los
mayores bancos de EE.UU“
[8] Ebda.
[9] La Vanguardia
vom 23. April 2020, „Cómo el coronavirus está acelerando el
proceso de desglobalización“
[10] BBC World Service,
6.4.2020
[11] Aus einer Einführung auf einer Sektionssitzung
der IKS
[12] Mehr dazu in Política Exterior
[13] Mehr
in Politica Exterior
[14] Innerhalb der Demokratischen Partei
entwickeln sich jedoch protektionistische Positionen, ähnlich denen
von Trump. Im März 2020 legten zwei demokratische
Kongressabgeordnete einen Vorschlag für den Austritt der Vereinigten
Staaten aus der WTO vor.
[15] Política Exterior
[16]
Política Exterior
[17] Bericht der IAO
2020
https://de.internationalism.org/content/2970/die-auswirkungen-des-zerfalls-auf-die-wirtschaft-bericht-ueber-die-wirtschaftskrise-24
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