Das russische
Fernsehen über den Brexit: Großbritannien wurde auf einen Schlag
abgeschnitten
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 29. DEZEMBER 2020
von
Thomas Röper – https://www.anti-spiegel.ru/
Der Brexit ist zwar in dem allgemeinen Corona-Chaos in den
Hintergrund getreten, aber Politik und Medien in Europa sind
zufrieden. Die Erpressung Großbritanniens hat funktioniert.
Der
Brexit ist – wie nicht anders zu erwarten war – ein Fiasko für
Großbritannien. Die EU hat sich in allen wichtigen Punkten
durchgesetzt und Großbritannien wird die Folgen, die bis zu einem
Auseinanderbrechen des Landes führen können, noch zu spüren
bekommen. Schottland, das ohnehin wohl Großbritannien verlassen
will, wird massive Nachteile spüren, zwischen der englischen Insel
und Nordirland wird eine Zollschranke entstehen und die für
Großbritanniens Wirtschaft so wichtigen Dienstleistungen haben
keinen freien Zugang mehr zur EU.
Die EU hat erreicht, was sie
wollte: Großbritannien wurde bestraft und etwaige Nachahmer wurden
durch das Ergebnis abgeschreckt.
Das russische Fernsehen hat
am Sonntag in der Sendung „Nachrichten der Woche“ seine Sicht auf
die Brexit-Verhandlungen und das Ergebnis dargestellt und die ist
ziemlich ernüchternd, vor allem für die Briten. Ich habe den
Beitrag des russischen Fernsehens übersetzt.
Beginn der
Übersetzung:
Das Vereinigte Königreich befindet sich
derzeit in einem völligen Chaos. Britische Wissenschaftler haben
mutierte Viren gefunden, die die Insel angreifen. Es heißt jedoch,
die Mutanten erhöhen die Sterblichkeit nicht und der Impfstoff wirkt
gegen sie. Wenn das so ist, warum die Panik? Gesundheitsminister Matt
Hancock sagt sogar, die Situation sei außer Kontrolle.
Aus
London berichtet unser Korrespondent.
Beunruhigende Berichte
über ein neues mutiertes Virus im Vereinigten Königreich haben die
Welt gründlich erschüttert. Britische Wissenschaftler haben
festgestellt, dass der neue Stamm N501Y des Coronavirus hoch
ansteckend ist und seine Vorgänger schnell verdrängt. Mitte
Dezember waren zwei Drittel der Fälle in London mit ihm
infiziert.
„Das ist die schlechteste Nachricht der letzten
Zeit. Wir müssen einfach alles in unserer Macht Stehende tun, um
dieses Virus zu stoppen“, sagte Andrew Hayward, Epidemiologe und
Mitglied der Beratergruppe für neue und neu auftretende Bedrohungen
durch Atemwegsviren.
Der neue Virusstamm wird bereits als
„britisch“ bezeichnet. Es gibt immer noch keine Beweise dafür,
dass er tödlicher ist oder den Verlauf der Krankheit erschwert. Aber
die britische Regierung ist zu entschlossenem Handeln übergegangen.
Im Südosten Englands wurde eine Quarantäne eingeführt. Worauf die
Briten nicht vorbereitet waren, war, dass sie am Ende völlig
isoliert enden würden. Von den Bewohnern der Insel schirmt man sich
ab, als hätten sie die Pest. Am härtesten war die Entscheidung der
französischen Regierung, ihre Grenze für Einreisende zu schließen.
Großbritannien wurde auf einen Schlag vom Kontinent
abgeschnitten.
Das verzweifelte Wehklagen derer, die an den
englischen Ufern des Ärmelkanals festsaßen, konnte nichts ändern.
Die Franzosen haben die Grenze geschlossen, als die Verhandlungen
über das neue Handelsabkommen zwischen London und Brüssel in der
entscheidenden Phase waren. Die britische Presse sprach von einer
Rache für den Brexit.
In der Weihnachtszeit steigt die
Auslastung der Fährverbindungen über den Ärmelkanal und durch den
Eurotunnel um ein Vielfaches – auf beiden der Grenze wurden etwa
10.000 Lastwagen und Autos gestoppt. Saisonarbeiter, vor allem
Menschen aus Bulgarien und Rumänien, fahren in dieser Zeit nach
Hause. Daher hat sich hier sofort ein kolossaler Stau aufgebaut und
die Menschen konnten nicht aus ihm herauskommen und wurden für die
europäischen Politiker zu einem Faustpfand.
„Viele
Menschen, die hier sitzen, haben Lebensmittel für ein oder zwei
Tage. Mehr gibt es nicht“, sagen die Trucker.
Bewohner des
englischen Dorfes Mosem ließen an einem Seil Einkaufstaschen zu den
hungernden Truckern ab, die in Kent festsitzen. „Es tut uns sehr
leid für diese Lkw-Fahrer. Sie stehen hier tagelang und werden im
Regen nass. Die Dorfbewohner haben Kekse und Chips für sie
gesammelt“, sagen die Leute.
Das Mitgefühl der einfachen
Menschen ist das Einzige, worauf die zählen können, die wegen der
Krise an der Grenze gefangen sind. Rund tausend Lastwagen haben sich
auf dem Flugplatz Manston angesammelt, den die britische Regierung
vor zwei Jahren für den Fall eines harten Brexit umgebaut hat. Aber
als es soweit war, stellte sich heraus, dass es dort nur vier
Toiletten gibt. Es überrascht nicht, dass Lkw-Fahrer nach wenigen
Tagen bereits mit der Polizei aneinander geraten sind. In Ihrer
Verzweiflung haben sie das Wort Help mit Plastikkegeln auf den Platz
gemalt.
Auf Frankreichs Forderung begann man, die Fahrer zu
testen. Bis Ende der Woche wurden mehr als 15.000 Menschen getestet
und nur bei 36 Menschen wurde das Coronavirus gefunden.
„Das
liegt alles am Brexit. Corona hat damit nichts zu tun. Sie wollen
Großbritannien zu einem Deal zwingen, den es nicht will. Das ist
meine feste Überzeugung“, sagte einer der Fahrer.
Die Panik
war echt. 45 Prozent der Lebensmittel kommen vom Kontinent nach
Großbritannien. Aus Angst vor Versorgungsengpässen eilten die
alarmierten Briten in die Lebensmittelgeschäfte. Wieder sieht man
das bekannte Bild, das jeder hier zu Beginn der Pandemie in diesem
Frühjahr gesehen hat. (Anm. d. Übers.: Es werden leere Regale in
Geschäften gezeigt) Nur dieses Mal kam alles zusammen: Coronavirus,
Brexit, Weihnachten und vor allem die Ungewissheit.
Während
Freiwillige einer Sikh-Organisation Pizzen zu den Truckern im
englischen Kent brachten, bestellten die Unterhändler in Brüssel
auch Pizza und arbeiteten an den letzten Absätzen des
Handelsabkommens. Die Krise an der Grenze hat den britischen
Ministern die Lust genommen, sich von Europa zu trennen, ohne
wenigstens irgendeinen Vertrag zu unterzeichnen. Premierminister
Johnson präsentierte das abgepresste Dokument als bestes
Weihnachtsgeschenk.
Aber als die Menschen anfingen, sich die
Details anzuschauen, nahm die Freude ab. Schottische Landwirte haben
mehr als 20.000 Tonnen Kartoffeln auf den Kontinent verschifft und
damit mehr als 25 Millionen Pfund pro Jahr verdient. Jetzt ist es
ihnen verboten, Kartoffeln in der Europäischen Union zu verkaufen,
weil sie sich nicht auf eine Angleichung der Normen einigen konnten.
Schottland fischt 60 Prozent der Fische des Landes. Aber zur
versprochenen Souveränität über britische Gewässer ist es nicht
gekommen. Johnsons Drohungen, Kriegsschiffe zum Schutz vor
europäischen Fischern einzusetzen, verfing nicht. In den nächsten
fünfeinhalb Jahren bleibt alles beim Alten. Die EU hat sich bereit
erklärt, ihre Quote um nur 25 Prozent zu senken. Und das auch nur
schrittweise.
„Viele haben das vorhergesagt, aber das macht
es nicht einfacher. Die Tories haben erneut die schottischen Fischer
verraten. Versprechen, die nicht erfüllbar waren, wurden gebrochen“,
sagte die schottische Premierministerin Nicola Sturgeon.
Die
schottische Regierung drängt auf ein zweites
Unabhängigkeitsreferendum. Der ehemalige britische Premierminister
John Major hält die Spaltung Großbritanniens für eine der
gefährlichsten Folgen des Brexit: „Per Gesetz brauchen die
Schotten die Erlaubnis von Westminster, bevor sie legal ein neues
Unabhängigkeitsreferendum abhalten können. Aber wenn das abgelehnt
wird, wird es den Separatisten helfen, weil es neuen Unmut und
Vorwürfe geben wird. Die Scottish National Party wird das nutzen,
denn sie weiß meisterhaft, wie man mit der Unzufriedenheit spielt.
Die britische Regierung hat keine gute Wahl: Entweder erlaubt sie ein
Referendum zu oder sie verbietet es den Schotten. Beide Optionen sind
mit enormen Risiken behaftet.“
Das zur Krone gehörende
Nordirland ist nun auch wirtschaftlich von Britannien getrennt, um
die offene Grenze zum Süden der Insel zu erhalten, die Teil der
Europäischen Union ist. Nordirland bleibt de facto im Binnenmarkt
und in der Zollunion, was die britischen Hersteller zwingt, in
Zukunft Zollkontrollen nach Nordirland zu akzeptieren. Irland schätzt
bereits, dass die Zahl dieser Kontrollen von 200.000 auf 900.000 pro
Jahr steigen wird.
„Wir schätzen, dass im nächsten Jahr
mehr als 250 Millionen Zollerklärungen von EU-Unternehmen ausgefüllt
werden müssen, die ihre Waren nach Großbritannien schicken.
Bürokratie und Kosten werden steigen. Und der Verbraucher wird für
alles bezahlen“, sagte Alex Altman, Vorsitzender der britischen
Handelskammer in Deutschland.
Um Verzögerungen beim Zoll
sorgen sich auch die Autohersteller auf beiden Seiten des
Ärmelkanals. Für sie ist es wichtig, Komponenten zeitnah zu
bekommen – ihr Umsatz beträgt 14 Milliarden Euro pro Jahr. Darüber
hinaus sollen auf Anweisung der Europäischen Kommission ab dem neuen
Jahr die Lebensmittel aus dem Vereinigten Königreich streng
kontrolliert werden. Staus an der Grenze scheinen also
unvermeidlich.
„Das Chaos in Dover in dieser Woche und der
Last-Minute-Deal – all dies verspricht erhebliche
Versorgungsengpässe und steigende Preise“, sagte Ian Wright, Chef
der British Food and Drink Manufacturers Association.
Ja, es
gibt ein grundsätzlich wichtiges Abkommen darüber, dass die Briten
den Zugang zum Binnenmarkt ohne Zölle und Quoten behalten.
Gleichzeitig blieb jedoch das so wichtige Segment der
Dienstleistungen außen vor: finanzielle, rechtliche und andere
Dienstleistungen, die zusammen 80 Prozent der britischen Wirtschaft
ausmachen.
„Großbritannien hat beschlossen, die EU und den
Binnenmarkt zu verlassen, und sich dabei die Privilegien eines
Mitgliedstaates genommen, die im Rahmen der neuen Regelungen nicht
wiederhergestellt werden. Am 1. Januar erwarten viele Menschen und
viele Unternehmen gravierende Veränderungen. Das sind die Folgen“,
sagte Michel Barnier, der Brexit-Koordinator der EU.
Britischen
Studenten wird das Recht entzogen, im Rahmen des
Erasmus-Austauschprogramms an europäischen Universitäten zu
studieren. Britische Bürger müssen ein Visum für Arbeit und
langfristigen Aufenthalt in Europa beantragen. Das ist eine direkte
Folge dessen, wovon die britischen Brexit-Befürworter geträumt
haben: strengere Kontrollen der Migration durchzusetzen.
Schließlich
ist es eine Scheidungsvereinbarung, so dass Komplikationen in der
Beziehung unvermeidlich sind. Europa ist beleidigt und befürchtet,
dass andere das englische Beispiel nachahmen. Auch in London versteht
man nicht wirklich, was die Zukunft bringt: Auf der einen Seite ist
das Pfund wegen der Freiheit und der potenziellen Perspektiven vor
dem Hintergrund des Deals gestiegen, auf der anderen Seite sind all
die Nachteile bereits offensichtlich.
Das britische Parlament
wird dem Abkommen am 30. Dezember zustimmen. Daran zweifelt niemand.
Die Opposition hat bereits beschlossen, das Abkommen zu unterstützen,
und erklärt, dass dieses Abkommen besser ist, als gar kein
Abkommen.
Zeitungen veröffentlichten Fotos des
triumphierenden Johnson in seinem Büro. Auf dem Tisch ist Fast Food,
um den Hals trägt eine Krawatte mit Ornamenten von Fischen. Was
bleibt ihm auch, wenn Sie den Europäern einen wesentlichen Teil des
Fangs abgeben mussten? Für Johnson war es wichtig, überhaupt eine
Einigung zu finden.
Da die britische Regierung nicht wusste,
wie die Verhandlungen mit Brüssel enden werden und ob sie einen
Lockdown einführen müssen oder nicht, hat sie die
Weihnachtsansprache der Königin bis zuletzt herausgezögert. Die
Corona-isolierte Elizabeth II. sprach vor allem von der Überwindung
der Schwierigkeiten, die mit der Pandemie verbunden waren. Und das
Weihnachtslied wurde von einem Chor aus Krankenhausmitarbeitern
vorgetragen.
„Ihr seid nicht allein“, erklärte die BBC
die wichtigste Aussage der Ansprache. Ein Sender reagierte mit einer
Parodie, in der die Königin ihre Rede mit einer Liebeserklärung an
die chinesische App TikTok beendet. Der Programmdirektor des
TV-Senders begründete dies mit dem Wunsch, dem Publikum zu zeigen,
wie man mit modernen Technologien die Realität verzerren kann. Aber
die falsche Königin macht sich nicht über erfundene Fake News
lustig, sondern über echte Skandale in ihrer Familie und den
umstrittenen Ruf des Premierministers. Das war vielleicht nicht
lustig, aber ziemlich überzeugend. (Anm. d. Übers.: Der Clip, um
den es geht und in dem die Königin auf ihrem Schreibtisch einen
wilden Tanz aufführt, wird am Ende des Beitrages gezeigt)
Ende
der Übersetzung
Das russische
Fernsehen über den Brexit: Großbritannien wurde auf einen Schlag
abgeschnitten
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