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Aus dem Buch "Der Mensch im Teufelskreis - Dr. FAUSTUS Auferstehung" / Autor: Harry Popow
EIN RÄTSELHAFTES
DENKE-MAL
Diese Geschichte begab sich, sagen Zeitzeugen, als sich in jüngster Zeit (2020/2021) über Land und Leute, gar über den ganzen Planeten, eine unheimliche Stille ausbreitete – eine tödliche. Ein Virus ging um, und die Menschen verschanzten sich hinter Mundmasken und hinter den Mauern ihrer Häuser. Wie so oft in Gefahrensituationen beschlich den einen oder anderen diese oder jene Erinnerung, als es noch menschengemachte tödliche und maschinell betriebene Abschlachtungen gab.
Zweiter
Textauszug:
S: 27-31
Die Skulptur „Der Bogenschütze“ ist das Modell für eines der bekanntesten Werke des Rixdorfer Künstlers Ernst Moritz Geyger (1861–1941). Das Original steht im Schlosspark von Sanssouci.
Manchmal träumt er, der alte Bogenschütze: An seiner fast vier Meter hohen Skulptur im schönen Park Sanssouci strömen die Touristen zuhauf vorbei, begutachten die starke jugendliche Figur, doch dicht daneben sitzt am Wegesrand auf einem Hocker er, der einstige echte Bogenschütze, den Hut in die Stirne gezogen, neben sich im niederen Gras im Auftrag von Verlagen zahlreiche Sachbücher gegen Krieg und Kriegsgeschrei. Zum Verkauf. Die Bücher, die sieht man nicht, aber man vermisst einen Hut vor dem Alten. Und so gehen sie verständnislos weiter, die vorwiegend mit ihren Smartphone mit sich selbst beschäftigten jungen Leute...
Ungläubig scheint auch die Figur des Denke-Mals dreinzuschauen. Streift dessen Blick in dankbarer Erinnerung den am Wegesrand hockenden Schützen? Als wolle er fragen: Ist der Mut des Neubeginns vergessen? Fragt niemand nach dem Warum und Wofür und Wohin? Sind Inhalte nicht mehr gefragt? Triumphieren Oberflächlichkeit, Belanglosigkeiten. Substanzloses Gerede wie Freiheit, Demokratie, Verantwortung in der Welt übernehmen - alles eingängige aber hohle Worte? Ohne Maskierungen hat das Kapital keine Chance. Es braucht die Täuschung, die Schminke. Doch man könne den Hintern schminken wie man will, es wird kein ordentliches Gesicht daraus, so zitierte Kurt Tucholsky in „Schloß Gripsholm“ seinen Freund Karlchen.
Da entdeckt er, der echte alte Bogenschütze, eine Figur, der er bereits als ganz junger Mann begegnet war. Im Traum natürlich. Ob auch dieser FAUST sich an diesen jungen literaturbeflissenen Schnösel erinnern mag?
Während FAUST nicht ohne Neugier die Polizisten schmunzelnd beobachtet ob ihres ängstlichen Getues, grübelt er, ob er diesen Namen „Denke-MAL“ schon einmal vernommen hatte. Es muss schon viele Jahre her sein. Zu einer Zeit, als Goethe wohl mit seinem Spruch, „freies Volk auf freiem Grund“ breitesten Widerhall bei vielen Menschen gefunden hatte. Als Geist spürte FAUST seit jeher, wie er in dem bekannten FAUSTBUCH von Goethe gelesen und verstanden wurde, was ja mitunter in den Jahren des 19. Jahrhunderts überhaupt nicht selbstverständlich war. Und so blitzte es in seinem alten Hirn als angenehme Erinnerung auf. Tatsächlich, dieser Bogenschütze las den FAUST sogar in Arbeitspausen, hatte das kleine Reclameheft gar in der Hosentasche verstaut. Insgeheim hatten beide wohl eine innige geistige Freundschaft geschlossen.
Soeben will FAUST sich wieder auf den Weg begeben, um einen Unterschlupf zu suchen, unbehelligt von irgendwelchen Maskensuchern, da hört er das bereits hinter ihm liegende Denke-Mal rufen: “Ich habe sie erkannt, lieber FAUST. Kann doch wohl nicht wahr sein, dass sie aus ihrer Gruft hervorgekrochen sind, um etwa unsere moderne Gesellschaft kennen zu lernen? Es gibt viel zu erzählen. Aber das wird schwierig sein, denn man will meine Wenigkeit als DENKE-MAL völlig isolieren und möglicherweise einen Zaun um mich herum als steinerne Mauer errichten. Deshalb gebe ich ihnen, lieber Herr Dr. FAUSTUS, den Rat, sich ganz alleine umzuschauen, zu beobachten, zu erkennen, zu urteilen. Gehen sie auf die Straße. Und wenn Sie Lust und Zeit haben, dann kommen sie zu mir, und wir sprechen über alles. Der Drahtzaun oder die Mauer soll kein Hindernis sein, genau so wenig wie eine einstige Mauer manche davon nicht abhielt, sie trotz Verbote und im Glauben, das Paradies zu finden, zu überwinden. Ich lasse mich nicht einschüchtern und bin bereit, ihnen neben ihren eigenen Erfahrungen und Beobachtungen die Wahrheit über unsere Geschichte ab dem 19. Jahrhundert zu sagen. Nur ein Tipp: Suchen sie Freunde, Gleichgesinnte. Nur gemeinsam macht es schließlich Spaß, Neues zu entdecken.“
FAUST bedankt sich, stellt dem Bogenschützen allerdings vorläufig noch eine letzte Frage: „Warum spannst du den Bogen und gegen wen richtet sich der Pfeil?“
Das DENKE-MAL vertröstet ihn auf ein späteres Gespräch, denn das sei eine der wichtigsten Fragen, die in Ruhe besprochen und durchdacht sein müssen. FAUST solle auf die Straße gehen, viel beobachten, sich auch amüsieren und viel nachdenken. „Man sieht sich“, verspricht FAUST dem steinernen Monument, nicht ahnend, das auch diese Erinnerung, ebenso wie ein einstiges „Gespenst“, das nach wie vor in der Welt warnend seine Stimme erhebt, bald wieder einmal rücksichtslos verteufelt werden würde.
Dr. FAUST, aufgeschreckt durch die bisherigen Erlebnisse mit den
Polizisten, die auf der Jagd nach Menschen ohne Masken seien, erbittet
wissbegierig und mit Nachdruck um Auskunft, was denn nun in der Welt los
sei. Er nimmt den Rat gerne an, sich im Volk um zu sehen, in der
täglichen Praxis das Geschehen zu erkennen und zu beurteilen.
„Gut“, erwidert der Bogenschütze, „dann will ich Dir, wir können doch Du
zueinander sagen, eine persönliche Beobachtung erzählen, die noch aus
alten guten Zeiten stammt. Von einem Ehepaar will ich kurz erzählen, das
ich oft beobachtet habe in diesem schönen Park, willst du das hören?“
FAUST nickt. Aber ja, das sei interessant, nichts ist wichtiger, als die
Menschen kennen zu lernen, die hier leben oder im Park spazieren
gegangen sind. Vergangenes ist immer interessant. So odr so. Es kommt
doch wohl auf die Sicht darauf an. „Ich höre...“
Der Bogenschütze senkt den steinernen Kopf und erinnert sich: Er denke
an den Anfang seiner beruflichen Laufbahn. Tatsächlich, da sah er gerne
in den FAUST Teil 1, und er vermerkte im Laufe der Zeit, dass er mit der
Gesellschaft gut im politischen Einklang stand. Widersprüche - ob
persönliche oder gesellschaftliche - , die es immer gibt, mussten
gesehen, gründlich beachtet und gemeistert werden, was aber leider nicht
immer gelingt.
Und später, als er zum Denkmal gekürt wurde, sieht er oft dieses schöne
Bild vor sich: Sooft sie Zeit haben, spazieren zwei junge Leute am
Denkmal vorüber in diesem herrlichen und weitläufigen Park. Und immer,
wenn sie an ihm, den Bogenschützen, vorbeikommen, verharrt Greta, so
nennt er seine Geliebte, schweigend und versonnen vor ihrer
wunderschönen Lieblingsskulptur. Und wenn ihr Blick auf den muskulösen
Waden haften bleibt, dann kann sie nicht anders, dann stellt sie
Vergleiche an, und die fallen recht schmeichelhaft aus für den Buchnarr,
gesteht sie. Du bist mein Bogenschütze, du musst mich beschützen,
glaubt er in ihren schalkhaften Augen und in ihrem stillen Lächeln zu
lesen …
Ja, so war das, erinnert sich der Schütze und FAUST hört interessiert
zu. Also damals - der Bogenschütze sieht den beiden träumend hinterher:
Greta, die „Plauener–Spitzen-Frau“ und ihr „Buchnarr“, wandern weiter
auf ihren so sehr vertrauten Wegen im Park von Sanssouci und schweigen
und reden und reden und schweigen. Und dann und wann sprechen sie auch
darüber, erzählte er später – irgendwann wird ihr Glücksweg abbrechen,
wird ein Pfad abzweigen, und den muss einer alleine gehen, während der
andere hoffnungslos zurückbleiben muss. Was dann? Alleine, einsam, durch
die Landschaft schleichen wie ein geprügelter Elch? Was zu tun bleibt,
das wissen sie. Sie werden es denen da oben gleichtun, denn dort am
blauen Herbsthimmel ziehen weiße Schwäne wieder in langer Kette nach
Süden. Greta und der Alte werden in der Erinnerung ihrer Kinder
bleiben... Sehr lange Zeit.
FAUST nimmt sich vor: Er wird sehen, bedenken und erkennen. Er will
nicht mehr rettungslos weder wildem Streben noch irgendwelchen
Verlockungen von modernen Mephistos erliegen. Man wird sehen: Er will an
sich arbeiten, sich selbst ändern und – wenn möglich – den heutigen
Menschen des 21. Jahrhunderts eigene Erfahrungen übermitteln. Aber
welche? Das ist ihm völlig unklar. Umso gründlicher muss er mit viel
Geduld und Mühe hinschauen was Sache ist. Dabei freut er sich schon
darauf, gute Freunde zu finden.
In ihm ist die Neugier für diesen Buchnarr und seine gleichgesinnten
Bekannten geweckt und er fragt sich, ob er ihn und seine Greta, diesen
Namen erinnert ihn an sein Gretchen in Goethes „FAUST“, irgendwo noch
sehen kann, die doch inzwischen beide über 80 Jahre alt sein müssten.
Der Bogenschütze nickt, er solle nur suchen, aber Buchnarren gäbe es im
Lande trotz allem recht viele... Und außerdem wohl auch eine Helena...
FAUST aber grübelt, weshalb wohl dieser Bogenschütze von der Obrigkeit so gemieden wird? Woher komme diese Angst vor eine Staut? Was und wen symbolisiert sie? Er will es herauskriegen.
Harry Popow: "DER MENSCH IM TEUFELSKREIS", Sprache: Deutsch, ISBN: 9783754166666, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 384, Erscheinungsdatum: 18.09.2021
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