VOR 72 JAHREN...
Leseprobe
aus „AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder“
anlässlich des 72. Jahrestages der Gründung der DDR am 07. Oktober
1949
Der Autor wurde 1936 in Berlin-Tegel geboren, wuchs in der DDR auf,
arbeitete als Militärjournalist im Dienstgrad Oberstleutnant in der NVA
und betätigt sich heute als Blogger, Buchrezensent und Autor. Er ist
seit 1961 glücklich verheiratet.
Träumender Trommler
Mama Tamara arbeitet inzwischen als Personalchefin beim 2. Gleisbau,
eine wichtige Strecke für die WISMUT von Johanngeorgenstadt nach Aue im
Erzgebirge. Henry und seine Geschwister werden von Tante Lotte versorgt.
Mit ihr fahren sie im Sommer 1949 nach Rathen im Elbsandsteingebirge.
Sie wohnen in der romantischen Burgruine Rathen, direkt über der Elbe.
In der Burg ist ein Hotel untergebracht. Früher gehörte sie einem
Schweizer Bankier, so ist zu erfahren. Später wird sich eine Sparkasse
aus Berlin die „Ruine“ als Ferienheim einrichten. In Erinnerung bleiben
die Wanderungen zum Amselsee und zur Bastei, in der Felsenbühne Rathen
begeistert sie die Operette „Schwarzwaldmädel“. Die Burgkost ist schmal,
deshalb holen sie beim Fleischer für fünfzig Pfennige heiße
Knochenbrühe, denn der Hunger ist noch ein ständiger Begleiter. Henry
zeichnet eine Skizze von der Burg. Außerdem will er „wissenschaftlich“
arbeiten, so beobachtet er mit seinem einrohrigen Fernglas, das er von
seinem Papa hat, die täglichen Wolkenbewegungen und notiert`s in einem
Heftchen. Er fühlt sich wohl. Schliesslich ist eine Karte an Mama
fällig: Ich schreibe Dir den ersten Gruß aus dem Kurort Rathen. Sei
bitte nicht traurig, daß ich solange nicht geschrieben habe. Eben kommen
wir von einem Spaziergang zurück. Es geht uns hier sehr gut. Ich freue
mich sehr über die herrliche Gegend. Gestern waren wir trotz schlechtem
Wetter mit Eberhardt zum Felsen ‚Talwächter‘. Mama, ich bin wirklich
schreibfaul. Herzliche Küsse von Deinem Henry.
Zurück nach Berlin-Friedrichshagen. In der Bölschestraße, der
Hauptstraße, wird ein Jugendklub gegründet. Der gehört der neuen
Pionierorganisation. Dort trifft man sich und bekommt auch blaue
Halstücher. Henry will auch mitmachen. Er geht einfach hin. Der soeben
gegründete Fanfarenzug zieht ihn an, vor allem das Trommeln. Man übt
oft. Erst im Keller des Klubs, dann auf der Straße, wo viele
interessiert zusehen. Das gefällt Henry. Und dann heißt es: „Wir
bereiten uns auf eine große Sache vor ...“
Nach der Schule wird tüchtig geprobt. Fast jeden Abend. Dann ist es
soweit. Ein neuer Staat wurde am 7. Oktober 1949 gegründet – die DDR!
Der Fanfarenzug trifft sich am 11. Oktober mit Tausenden anderen im
Lustgarten. Fackeln, Fanfaren, Menschen über Menschen. Und alle fröhlich
und voller Erwartung. Extra für diesen Anlass wurden viele kleine
Bäumchen am Rande des Platzes gepflanzt. Dieser historische Abend war
ein unauslöschliches Erlebnis. Wenige Tage danach bekommt auch Henry
sein blaues Halstuch. In der Pioniergruppe geht es lebendiger zu als in
der Schule. Da gibt es Bücherabende, man übt sich im Laienspiel, man
lernt Lieder wie „Du hast ja ein Ziel vor den Augen“, „Dem Morgenrot
entgegen“ und „Dunja unser Blümelein ...“ Er fühlt sich wohl, ist
mittenmang. „Disziplin Pioniere!“, ermahnt oft der Gruppenleiter. Neue
Worte für die Schüler. Langsam nisten sie sich ein in den Köpfen. Im
Kino von Karlshorst besuchen die „Jungen Pioniere“ eine Veranstaltung
mit Erich Weinert. Wer das ist? Der Gruppenleiter erklärt, es ist ein
Schriftsteller, der in die Sowjetunion emigrieren musste und dort im
Nationalkomitee Freies Deutschland gegen die Faschisten gekämpft hat.
Dieser Mann beeindruckte Henry ungemein.
Henry ist seit der Scheidung der Eltern mit seinen Geschwistern oft
alleine. Mama arbeitet im Erzgebirge, zum Vater gibt es keine Kontakte
und die Haushälterin Tante Lotte hat andere Sorgen, als die vielen
Fragen zu beantworten, besonders die von Henry. Es interessiert ihn,
warum wird denn soviel aufgebaut, wenn doch wieder Krieg kommen könnte,
wie man im Radio immer hört ... Aber er bleibt alleine mit seinen Fragen
… Viel später wird er erkennen, mit den Fragen fängt das Denken an.
AUSBRUCH AUS DER STILLE. Persönliche Lebensbilder in Umbruchzeiten.
Taschenbuch: 500 Seiten, Verlag: epubli; Auflage 1 (18. Februar 2019),
Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3748512988, ISBN-13: ISBN: 9783748512981,
Preis: 26,99 Euro
NACH 72 JAHREN...
Das neueste Buch von Harry Popow:
Harry Popow: "DER MENSCH IM TEUFELSKREIS", Sprache: Deutsch, ISBN: 9783754166666, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 384, Erscheinungsdatum: 18.09.2021
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Exposè (Textauszug)
Nach nahezu 200 Jahren völliger Stille in der Gruft von Dr. Faustus, den
Goethe als den modernen Menschen darzustellen versuchte, erwacht Faust
durch ungeheuren Lärm. Neue Särge werden in den Friedhof verbracht und
neue Gräber geschaufelt. Bis das Getöse und Gedonner immer
aufdringlicher wird. Er hält es nicht mehr aus - der Greis im Oberrock
des 18. Jahrhunderts. Klettert aus der Grube und will es wissen: Was
passiert in der Welt? Manche schreien außerhalb des Friedhofs das Wort
„Pandemie“, andere wieder „Klima“, andere wieder „Krieg“, daneben immer
zu hören: „Vorsicht vor einem Linksruck, da soll der Mensch ja erzogen
werden.“ Dazu fuchtelt die Politik hilflos mit den Armen und jagt den
Völkern Angst ein. Grauer Himmel über dem Planeten statt ein „Himmel auf
Erden?“ Dem Alten wird übel: „Sind denn alle des Teufels?“
Im Streben nach Erkenntnissen will er ein Mensch bleiben, ein moderner,
der stets von sich aus bejaht oder verneint, ohne einen Teufel befragen
zu müssen. Um Abhilfe zu schaffen? Nein, dazu ist er nicht befugt, aber
für Wißbegier nicht zu alt.
In dieser 382 Seiten umfassenden Lektüre bemüht sich Dr. Faustus –
gemeinsam mit seinen gleichgesinnten Freunden – um die Dialektik der
Widersprüche, wie es Goethe und alle fortschrittlichen deutschen Dichter
und Denker bereits vor ihm getan haben. Sie stoßen auf Konflikte,
lösbare und unlösbare. Und auf eine bodenlose Ignoranz, die in der
Marktwirtschaft ihr Zuhause hat. Erschrocken wird er sich fragen, ob
sein Ausstieg aus der Gruft nicht zu einer neuen und sehr „modernen“
führt? Erst tot und dann noch toter? Wer lässt sich das schon gefallen
in diesem Teufelskreis? (...)
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