Entnommen:
https://linkezeitung.de/2019/04/25/die-europaeische-union-ist-gezwungen-an-us-kriegen-teilzunehmen/
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 25. APRIL 2019
von Thierry Meyssan – http://www.voltairenet.org
Seit dem Maastricht-Vertrag haben alle Mitglieder der Europäischen Union (einschließlich der neutralen Staaten) ihre Verteidigung unter die Oberhoheit der NATO gestellt, die ausschließlich von den USA geleitet wird. Das ist der Grund, warum alle Mitglieder der Europäischen Union und der NATO gezwungen sind, die US-Sanktionen umzusetzen, wenn das Pentagon dem Finanzministerium die ökonomische Belagerung der Länder übergibt, die es zerstören will.
Nach dem Verlust der Mehrheit im Repräsentantenhaus bei den Zwischenwahlen hat Präsident Trump neue Verbündete gefunden, im Gegenzug für seinen relativen Freispruch in Bezug auf die Anschuldigung des Hochverrats durch den Staatsanwalt Mueller [1]. Er unterstützt von nun an die Ziele seiner Generäle. Der US-Imperialismus ist wieder da [2].
In weniger als sechs Monaten wurden die Grundlagen der internationalen Beziehungen neu gestaltet. Der Krieg, den Hillary Clinton versprochen hatte auszulösen, wurde tatsächlich begonnen, aber nicht ausschließlich mit militärischer Gewalt.
Diese noch nie seit dem Ende des zweiten Weltkriegs erlebte Änderung der Spielregeln, zwingt unmittelbar alle Akteure ihre Strategie zu überdenken und mithin alle Ziele der Bündnisse, auf denen sie beruhten. Jene die zögern, werden bald dafür bezahlen.
Der Wirtschaftskrieg ist erklärt
Kriege werden immer tödlich und grausam sein, aber für Donald Trump, der Geschäftsmann war, bevor er Präsident der Vereinigten Staaten wurde, ist es besser, wenn sie möglichst billig ausfallen. Daher soll eher durch wirtschaftlichen Druck, als mit der Waffe in der Hand getötet werden. Im Wissen darum, dass die Vereinigten Staaten mit den meisten Ländern, die sie angreifen, schon keinen Handel mehr treiben, werden die finanziellen Kosten (im wahrsten Sinne des Wortes) dieser „wirtschaftlichen“ Kriege in der Tat eher von Drittländern getragen und nicht vom Pentagon.
So haben die Vereinigten Staaten gerade beschlossen, Venezuela [3], Cuba [4] und Nicaragua [5] wirtschaftlich zu belagern. Diese Taten werden von den Regierungs-Sprechern als „Sanktionen“ präsentiert, ohne dass man weiss, mit welchem Recht Washington sie verhängt, um tatsächlich totbringende Kriege zu verbergen.
Sie werden mit ausdrücklicher Bezugnahme auf die „Monroe-Doktrin“ (1823) erlassen, wonach keine ausländische Macht auf dem amerikanischen Kontinent intervenieren darf, im Gegenzug mit dem Versprechen von Washington, nicht in Westeuropa einzugreifen. Nur China, das sich betroffen fühlte, hat darauf hingewiesen, dass Amerika nicht das Privateigentum der Vereinigten Staaten sei. Übrigens weiß jedermann, dass diese Doktrin sich schnell entwickelte, um den Yankee-Imperialismus im Süden des Kontinents (die „logische Roosevelt-Folge“) zu rechtfertigen.
Heute betreffen die US-Sanktionen mindestens 20 Länder: Belarus, Burma, Burundi, Nordkorea, Kuba, die Russische Föderation, Irak, den Libanon, Libyen, Nicaragua, die Arabische Republik Syrien, die Bolivarische Republik Venezuela, die Zentralafrikanische Republik, die demokratische Republik Kongo, die islamische Republik Iran, Serbien, Somalia, Sudan, Südsudan, die Ukraine, den Jemen und Simbabwe. Es ist eine sehr genaue Karte der durch das Pentagon geführten, und durch das US Finanz-Department unterstützten Konflikte.
Diese Ziele befinden sich nie in Westeuropa (wie in der „Monroe-Doktrin“ festgelegt), sondern nur im Nahen Osten, in Osteuropa, im Karibik-Becken und in Afrika. Alle diese Regionen waren bereits 1991 von Präsident George Bush Senior in seiner Strategie der nationalen Sicherheit angeführt worden, wie beabsichtigt, um sich in die „neue Weltordnung“ einzureihen. [6]. Da der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und sein Berater für die Transformation der Streitkräfte, Admiral Arthur Cebrowski, annahmen, dass sie nicht umgesetzt werden konnten oder sollten, wurden sie im Jahr 2001 von ihnen sanktioniert und zum Chaos verurteilt [7].
Der Ausdruck „Wirtschaftskrieg“ wurde jahrzehntelang missbraucht, um einen ungezügelten Wettbewerb zu bezeichnen. Es handelt sich heute absolut nicht darum, sondern um einen wirklich tötlichen Krieg.
Die Reaktionen der Opfer und die unangemessenen Reaktionen der Verbündeten
Die Syrer, die nun einen achtjährigen militärischen Krieg gegen die Söldner-Dschihadisten der NATO gewonnen haben, sind durch diesen Wirtschaftskrieg vollkommen verwirrt, der eine strikte Rationierung von Strom, Öl und Gas auferlegt und die Schließung des Fabriken verursacht, die gerade erst wieder neu begonnen hatten. Allenfalls können sie sich beglückwünschen, dass das Imperium ihnen diese beiden Formen des Krieges nicht zur gleichen Zeit auferlegt hat.
Die Venezolaner entdecken mit Entsetzen, was Wirtschaftskrieg bedeutet und erkennen, dass sie mit dem Abenteurer Juan Guiado sowie mit Präsident Nicolas Maduro werden kämpfen müssen, um ihren Staat zu behalten (d. h. einen Leviathan, der sie beschützen kann [8]).
Die Strategien der ins Visier genommenen Staaten sind selbst auf den Kopf gestellt. Da Venezuela zum Beispiel keine Medizin für die Krankenhäuser mehr importieren kann, hat es ein Abkommen mit Syrien geschlossen, das vor dem Krieg des Jahres 2011 ein wichtiger Produzent und Exporteur auf diesem Gebiet war. Fabriken, die durch die Türkei und die Dschihadisten zerstört wurden, sind in Aleppo wieder aufgebaut worden. Aber während sie gerade wieder geöffnet wurden, mussten sie aus Mangel an Elektrizität wieder schliessen.
Die Vervielfachung der Kriegschauplätze und mithin- und daher der sogenannten „Sanktionen“ – fangen an, für die Verbündeten der Vereinigten Staaten, einschließlich der Europäischen Union, ernste Probleme zu werden. Letztere nahm die Enteignungs-Bedrohungen gegenüber ihren Unternehmen, die in Kuba investiert wurden, schlecht hin, und hat in Erinnerung an die Aktionen um die Schließung des iranischen Marktes mit der Drohung reagiert, das Schiedsgericht der WHO einzuschalten. Dennoch ist diese Revolte der Europäischen Union, wie wir sehen werden, zum Scheitern verurteilt, weil sie vor 25 Jahren von Washington vorausgesehen worden war.
Die Europäische Union in der Falle
In Voraussicht auf die aktuelle Reaktion der Europäischen Union, die besorgt ist, nicht mit Ländern ihrer Wahl Handel betreiben zu können, hatte die Bush Sr.-Verwaltung die „Wolfowitz-Doktrin“ vorbereitet: nämlich sicherzustellen, dass die west- und mitteleuropäischen Länder niemals eine unabhängige Verteidigung haben, sondern nur eine autonome [9]. Deshalb kastrierte Washington die Europäische Union bei ihrer Geburt durch die Auferlegung einer Klausel im Vertrag von Maastricht: die Oberherrschaft der NATO – ich spreche hier von der Europäischen Union, und nicht von dem gemeinsamen Markt -.
Man denke an die nahtlose Unterstützung der Europäischen Union bei allen Abenteuern des Pentagons, die in Bosnien-Herzegowina, im Kosovo, Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, im Jemen folgten. In allen Fällen, ohne Ausnahme, hat sie sich hinter ihrem Lehnsherrn, der NATO, eingereiht.
Dieses Vasallentum ist übrigens der einzige Grund, warum man die Westeuropäische Union (WEU) aufgelöst hat und warum Präsident Trump den Plan aufgegeben hat, die permanente militärische Organisation der Atlantischen Allianz aufzulösen: ohne NATO würde die EU ihre Unabhängigkeit ergreifen, weil die Verträge nur auf die NATO – und nicht auf die Vereinigten Staaten – verweisen.
Sicherlich, die Verträge verlangen, dass all das im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen gemacht wird. – Aber die Vereinigten Staaten haben z. B. am 26. März 2019 die Beschlüsse in Frage gestellt, die sie für die Souveränität der Golan-Höhen vereinbart hatten. Sie änderten ohne vorherige Ankündigung ihre Meinung, und verursachten damit den Zusammenbruch des internationalen Rechts [10].
- Ein weiteres Beispiel: die Vereinigten Staaten haben diese Woche in Libyen für General Khalifa Haftar Stellung genommen – mit dem Präsident Trump telephoniert hat, um ihm seine Unterstützung zu versichern, wie es das Weiße Haus am 19. April enthüllt hat – also gegen die von den Vereinten Nationen geschaffene Regierung [11] und man sieht, wie ein Mitglied der Europäischen Union nach dem anderen sich ihnen anpasst.
Es ist unmöglich, wegen ihrer Gründungsverträge, dass die EU sich von der NATO befreit, und daher von den Vereinigten Staaten und sich als eine vollwertige Macht behauptet. Die Proteste gegen die Pseudo-Sanktionen gegen den Iran gestern, und gegen Kuba heute, sind im voraus zum Scheitern verurteilt.
Entgegen einer verbreiteten Meinung wird die NATO nicht vom Nordatlantikrat, d. h. den Mitgliedstaaten der Atlantischen Allianz geleitet: Als der Rat, der im Jahr 2011 eine Aktion zum Schutz des libyschen Volkes vor den vermeintlichen Verbrechen von Muammar Gaddafi gebilligt hatte, sich gegen einen „Regimewechsel“ stellte, beschloss die NATO den Angriff, ohne den Rat zu befragen.
Die Mitglieder der Europäischen Union, die während des Kalten Krieges nur einen Block mit den Vereinigten Staaten bildeten, entdecken mit Erstaunen, dass sie absolut nicht die gleiche Kultur haben wie ihr Verbündeter von der anderen Seite des Atlantiks. Während dieses Zwischenspiels hatten sie nicht nur ihre eigene europäische Kultur vergessen, sondern auch den US-amerikanischen „Exzeptionalismus“, und dachten zu Unrecht, dass sie alle untereinander einig seien.
Ob sie es mögen oder nicht, sie sind heute gemeinsam für Washingtons Kriege verantwortlich, darunter auch zum Beispiel für die Hungersnot im Jemen, Folge der Militäroperationen der saudischen Koalition und der US- Sanktionen. Sie müssen jetzt wählen, entweder diese Verbrechen zu unterstützen und daran teilzunehmen oder sich von den europäischen Verträgen zurückzuziehen.
Die Globalisierung ist aus
Der internationale Handel beginnt zu schrumpfen. Dabei handelt es sich nicht um eine vorübergehende Krise, sondern um ein tiefgreifendes Phänomen. Der Prozess der Globalisierung, der die Welt von der Auflösung der UdSSR bis zum Jahr 2018 der Mid-term US-Wahlen charakterisiert hat, ist vorbei. Ab jetzt ist es unmöglich, in die ganze Welt frei zu exportieren.
Nur China hat noch diese Fähigkeit, aber das US-Außenministerium entwickelt derzeit Mittel, um ihm den lateinamerikanischen Markt zu verschliessen.
Unter diesen Umständen haben die Diskussionen über die Vorzüge des Freihandels und des Protektionismus keinen Sinn, weil wir nicht mehr Frieden haben und es keine Auswahl mehr gibt.
Genauso ist die Konstruktion der Europäischen Union, die zu einem Zeitpunkt entworfen wurde, als die Welt in zwei unvereinbare Blöcke geteilt war, völlig unzureichend geworden. Wenn sie nicht bereit sind, von den Vereinigten Staaten in Konflikte verwickelt zu werden, die nicht ihre eigenen sind, müssen ihre Mitglieder sich von den Europäischen Verträgen und der integrierten Kommandostruktur der NATO loslösen.
So ist es für die Europäischen Parlamentswahlen völlig irrelevant geworden, zwischen Progressisten und Nationalisten zu unterscheiden [12], das ist überhaupt nicht mehr das Thema. Die Progressisten bekräftigen ihren Willen, eine durch das Völkerrecht geregelte Welt zu bauen, die ihr Sponsor, die Vereinigten Staaten, vernichten will, während manche Nationalisten, wie der Pole Andrzej Duda sich darauf vorbereiten, den Vereinigten Staaten gegen ihre Partner in der Europäischen Union zu dienen.
Nur einige Briten haben den aktuellen Umsturz gefühlt. Sie haben versucht, die Union zu verlassen, ohne ihre Parlamentsmitglieder davon überzeugen zu können. „Regieren ist voraussehen,“ sagt man, aber die meisten Mitglieder der Europäischen Union haben nichts kommen sehen.
Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser