„KAPITALFEHLER“
- Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues
Wirtschaftsdenken brauchen – von Matthias Weik & Marc Friedrich
Schlangenbeschwörer
Buchtipp
von Harry Popow
„Anaconda“.
Das ist der Name eines Manövers der NATO in Polen, mit dem im Juni
2016 wieder einmal das „aggressive“ Russland eingeschüchtert
werden sollte. Die im Hintergrund die Fäden ziehen, das sind die
Finanzeliten, voran die der USA und der BRD. Jene Kräfte, die im
Hintergrund einen dritten Weltkrieg machtbesessen und nach
Ressourcen gierend kaltblütig ins Kalkül fassen.. Sie darf man
zusammenfassend getrost auch „Anakonda“ nennen - die größte
Würgeschlange der Welt. Ihr den Garaus zu machen, steht im Fokus
eines weiteren hochinteressanten Sachbuches mit dem Titel
„KAPITALFEHLER“.
Es
erschien im Eichborn Verlag in der Bastei Lübbe AG Köln. Auf den
352 Seiten markieren die Autoren Matthias Weik & Marc Friedrich
in sieben Kapiteln den Finanzkapitalismus als schlechten Kapitalismus
und mahnen an, die Finanzmärkte strikt zu regulieren, so bereits im
Klappentext zu lesen.
Wie
alle gesellschaftskritischen Bücher stellt auch diese zum
produktiven politischen Streit anregende Lektüre eine Fundgrube für
Ökonomen, Politiker und vor allem für Studenten dar, die das Gehege
der Anakonda weiter erkunden und Symptome ihres gefährlichen Würgens
in aller Welt nicht nur festhalten wollen, sondern darum bemüht sein
sollten, deren Unwesen an den Pranger zu stellen.
Von
Anbeginn führen die beiden Autoren den Leser auf den Spuren der
„Anakonda“ durch ein Wirrwarr von Beispielen und Symptomen des
größten Jägers nach Profit zu einem Weltbild des Chaos, des
Niedergangs und der Gefahren für die Fortentwicklung der Menschheit.
Im Vergleich zum Taschenbuch „Der CRASH ist die Lösung“ -
ebenfalls von beiden Autoren - ,in dem sie vor allem tagesaktuelle
Fakten geboten haben, wollen sie nunmehr in die Tiefe der
Krisenanalyse gehen. Sie wollen herauskriegen, weshalb der
Kapitalismus „zu einem System mutiert, in dem nur noch die
Interessen von ein paar Dutzend globalen Konzernen, einer immer
kleineren Zahl von Superreichen und einer von der Realwirtschaft fast
vollständig abgeschotteten Finanzelite zählen.“ (S. 12)
Das
Duo benennt zum Teil bekannte Wahrheiten: So zum Beispiel, dass immer
mehr Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht mehr leben können. In
der BRD würden im Niedriglohnsektor acht Millionen Menschen
arbeiten. Dieser Sektor sei seit 1991 um 139 Prozent angestiegen,
„während die wichtigen sozialversicherungspflichtigen
Vollzeitjobs, die die Renten finanzieren, um über 18 Prozent
zurückgegangen sind“. (S. 17) Gravierend mit katastrophalen Folgen
würgt die Anakonda im Interesse von Profit der Großkonzerne,
besonders der Agrarkonzerne, in ärmeren Ländern unter dem „Etikett
der Entwicklungshilfe und Armutsbekämpfung. So gesehen sind die von
den Autoren angeführte Beispiele Belege für die eigentlichen
Fluchtursachen. (S. 302/303)
Von
„Wohlstand“ wird in diesem Buch viel geschrieben. Zunächst
scheint unklar, ob die Autoren den Wohlstand der oberen Schichten mit
denen der unteren und schlechter verdienenden verwechseln, die Gruft
zwischen Arm und Reich übersehen. Die Korrektur kommt erst spät, ab
Seite 280. Es komme zu einer absurden Wohlstandsverteilung, „weil
Steuerflucht einige wenige immer reicher und viele immer ärmer
macht“. Empörend, dass internationale Konzerne und Superreiche
kaum oder keinerlei Steuern zahlen. Interessant: Derzeit würden
weltweit 32 Billionen Dollar in Steueroasen lagern. Frage: Wäre der
Arbeitnehmer nicht arm, so wäre der Arbeitgeber nicht reich. Warum
wird hier das Mehrwertgesetz gar nicht erwähnt? Wenn auf Seite 38
betont wird, dass 0,1 Prozent der Weltbevölkerung über 80 Prozent
des weltweiten Finanzvermögens besitzen, dann kann man doch nicht
die Frage nach einer schlechten Verteilung stellen, das ist doch
reine Illusion, da die „Anakonda“ als Eigentümerin wie eine
Glucke auf ihrem Privatvermögen sitzt, es in lukrativeren Anlagen
außerhalb der Produktionssphäre mehren muss, bei Strafe ihres
Unterganges.
Dick
unterstreichen sollte man die Forderung der Autoren, dass Gemeingüter
wie Wasser oder Rohstoffe nicht „den üblichen Mechanismen von
Angebot und Nachfrage“ unterliegen sollten (S. 188). Die „Profite
aus Rohstoffen müssen daher der Gesellschaft und dem Gemeinwohl
zufließen“. (S. 194)
Die
zahlreichen Fakten für den Irrsinn der Profitjägerei füttern die
Autoren mit Begriffen aus der Ökonomie, bei denen interessierte
Leser zum Duden greifen sollten. Dabei geht es nicht nur um Angebot
und Nachfrage, sondern um zyklische Krisen, um Derivate, um
Energiequellen, um Spekulanten, um fiktive Waren wie Arbeit, Boden
und Geld, um Profiteure des globalen Raubtierkapitalismus sowie nicht
zuletzt um den Billigwahn, der so viele arm und ganz wenige reich
macht.
Als
Ursachen nennen die Autoren u.a. gewollte Krisen, den
Neoliberalismus, den sie als Kamikazekurs bezeichnen, sowie die
Enteignung der Bürger durch Niedrigzinsen bzw. Negativzinsen. Daraus
schlussfolgernd: Wenn sich Politik und Gesellschaft nicht endlich aus
dem Würgegriff (siehe Anakonda, H.P.) der Finanzmärkte befreien,
dann würden Marktwirtschaft und Kapitalismus endgültig „von
Förderern zu Totengräber unseres Wohlstandes“. (S. 25)
Schade,
dass das Duo die Blutspur, die die „Anakonda“ vor allem seit den
beiden Weltkriegen bis heute zieht, weitgehend außen vor lässt.
Lediglich diese Aussage: So habe man in einigen Ländern aus den
Erfahrungen der beiden verheerenden Weltkriegen gelernt, „indem der
Völkerbund und die UN gegründet wurden, um den Frieden zu sichern“.
(S.306) Kein Wort von dem gegenwärtigen aggressiven Würgegriff der
NATO bis an die Grenze zu Russland, was einem Selbstmord nicht nur
der USA, sondern vor allem auch Europas im Kriegsfalle gleichkäme.
Die
Königsfrage: Aus welchem Sumpf kriecht die „Anakonda“, wo liegen
die eigentlichen Ursachen des dem Crash entgegen stürzenden
Kapitalismus? Zwar wollen die Autoren den unregulierten Finanzsektor
als alleinigen Schuldigen darstellen, übersehen jedoch grundlegende
und stets wirkende Widersprüche zwischen der gesellschaftlichen
Produktion und der privaten Aneignung der Produktionsergebnisse.
Nicht wenigen belesenen Lesern ist doch die Erkenntnis geläufig,
dass durch Überakkumulation ein Überfluss an Kapital entsteht, aber
in der Realwirtschaft nicht immer gewinnbringend angelegt werden
kann. Ergo – man flieht in die globale Finanzwelt, in der keine
Waren erzeugt, dafür aber Profit gescheffelt wird. „Finanzkapital
sticht seit Langem das Produktivkapital – und damit die gesamte
reale Wirtschaft der Güter und Dienstleistungen“, so die Autoren
auf Seite 26.
Geld
heckt eben Geld, die alte bekannte Formel. Deshalb kann jeder
Vernunftbegabte nicht davon ausgehen, dass die Gier das Denken und
Handeln der Finanzeliten bestimmt, sondern der enorm wachsende Zwang,
mehr und gewinnbringender zu produzieren als der Konkurrent. Das wird
jedoch kaum in aller Deutlichkeit nachvollzogen.
Sich
an Marx erinnernd, zitieren die Autoren aus dem Kommunistischen
Manifest, in dem von der Epidemie der Überproduktion die Rede ist.
Weiter vertiefend gehen sie auf das Problem der Konjunktur, auf
Wettbewerb, auf Angebot und Nachfrage, auf die Investitionstätigkeit
sowie auf die aufgeblähten Finanzmärkte ein. Auf den Seiten 172 und
178 ist die Rede vom Ende der Realpolitik und vom Finanzkapitalismus,
der die Gesellschaft mit hoher Arbeitslosigkeit und
Staatsverschuldung plagt. Und so kommen die Ökonomen zu folgendem
Schluss: „Heute leben wir in der Zeit des globalen und totalen
Kapitalismus.“ Die Märkte würden diktieren, es drehe sich nur
noch um Profit. Als sekundär zählen Werte, Moral, Anstand,
Fairness. „Wen interessiert heute noch morgen? Mehr denn je heißt
es ´Nach mir die Sintflut´.“
Das
Kernproblem in diesem sehr aufschlussreichen Buch der Ökonomie des
Kapitalismus, die Herrschaft des Finanzkapitals, steht in den Augen
der Autoren wie ein subjektiv gewolltes Phänomen dar, das die
alleinige Schuld am gesellschaftlichen Desaster trage. Alle
Rückbesinnung auf die reine Marktwirtschaft und die Abkoppelung der
weltweit dominierenden Finanzelite durch Regeln, die die Profiteure
im Zaum halten sollen, bleiben erfahrungsgemäß Wunschträume. Es
ist, als würde man eine „Anakonda“ mit Knallerbsen beschießen
wollen. Zuzustimmen ist den Autoren bei deren Aussage, man müsse da
„radikal Ordnung schaffen“. (Siehe auch auf den Seiten 308 –
314 die 29 Forderungen der Autoren, wie man die Finanzwelt regulieren
könne.) Das WIE bleibt die Frage aller Fragen, an denen sich die
Geister scheiden. So gedeiht die „Anakonda“ in ihrem vom
Grundgesetz geschützten privaten Gehege fröhlich weiter und hält
die Welt – bis zur Möglichkeit eines atomaren Untergangs - im
Schach.
„KAPITALFEHLER“
ist ein Bestseller für gläubige Neoliberale, dagegen ein
vergeblicher Zähmungsversuch in den Augen der Realisten. Einen
kapitalen Fehler macht das Volk, wenn es glaubt, mit „klugen“
Vorschlägen und der sogenannten Transformation in eine andere
Wirtschaftsform die Kapitalelite zur Korrektur ihrer „Fehler“
bewegen zu können.
Matthias
Weik & Marc Friedrich: „KAPITALFEHLER“ - Wie unser Wohlstand
vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen,
Gebundene
Ausgabe:352 Seiten, Verlag:Eichborn Verlag (13. Mai 2016), Sprache:
Deutsch, ISBN-10: 3847906054, ISBN-13: 978-3847906056, Preis: 19,99
Euro