Rezension von "Ökonomie
des Müßiggangs" von Thomas M. Maritsch
Tiefgang
& Höhenflüge
Buchtipp von
Harry Popow
"Ökonomie des
Müßiggangs", so der Titel eines 680 Seiten dicken Buches von
Thomas M. Maritsch. Der Untertitel: „Zur Sozio- und
Psychopathologie von Arbeit, Eigentum und Geld – naturalistische
Betrachtungen zur Wirtschaftsphilosophie“. Da überbekommt den
Leser mindestens das Nachdenken. Sich abrackern in der Arbeit wie ein
Pferd und gleichzeitig faul sein, genießen? Wie soll das
zusammengehen? Ohne Zweifel, man ist verwirrt. Sollst du weniger
arbeiten und mehr genießen? Sollst du arbeiten, um endlich richtig
zu leben? Macht dich etwa das Wirtschaften, sprich Arbeiten, so
langsam kaputt, hast keine Zeit mehr für dich und deine Familie?
Und: Was ist überhaupt Ökonomie? Ist es nicht der berüchtigte
Kapitalismus? Und wie ihn überwinden? Wer ist denn der Autor?
Thomas M. Maritsch ist Jahrgang 1960. Nach einem
Studium der Sozialwissen-schaften arbeitet der Autor in der
Software-Industrie als Systemdesigner, also als Vermittler zwischen
Anwendern und Entwicklern. Er ist daher seit langer Zeit darin
geschult, möglichst klare und verständliche
Kommunikationsstrukturen zu realisieren. Als Mitarbeiter
multinationaler Unternehmen sind ihm die Mechanismen des
ökonomistischen Denkens und Handelns bestens vertraut. Daneben
widmet er sich noch immer kritisch den Zusammenhängen zwischen
Politik, Philosophie und Gesellschaft. Bisherige Veröffentlichung:
„Keine Löcher. Eine alltagstaugliche Naturphilosophie“, 2009.
Lassen wir die eingangs
aufgeworfenen Fragen beiseite und sehen wir uns an, was der Autor
unter Müßiggang versteht. Und da kommt gut in der Philosophie
bewanderten Lesern folgende inhaltliche Aussage auf Seite 589 bekannt
vor: „Was wir bisher nur einer kleinen Minderheit gestatten, (…)
den Millionären und Milliardären, das können wir uns mit einer
besseren Organisation alle leisten: Zeit zum Atmen, genügend Raum“
für Wünsche, „geringe Notwendigkeit für Erwerbsarbeit, sondern
weit umfangreichere freie Entfaltung der Persönlichkeit...“ Auf
Seite 612 plädiert er für ein Konzept „von lustvollem Müßiggang“
nur bei notwendigem Aufwand, was er auf Seite 593 in den bekanntem
Slogan münden lässt: Jedem sollte doch einleuchten, „dass wir
arbeiten, um zu leben, aber nicht leben, um zu arbeiten“.
Der Autor möchte zeigen,
dass Wirtschaften auf ganz anderen Grundvoraussetzungen aufbauen muss
und kann. (S. 19) Seine Gegenposition zur „glorifizierten
Marktfreiheit“ ist darauf angelegt, „Arbeit, Eigentum, Geld,
Werte, Produktions- und Verteilungsfragen und vieles mehr auf eine
humanistische, rationale, aufgeklärte und naturalistische Weise zu
verstehen“. (S. 20)
Thomas M. Maritsch
operiert vordergründig mit Begriffen wie Makroprozessen,
Subsystemen, Makrophänomenen und anderen, die offensichtlich vor
allem dem Bereich der Computerwelt entlehnt sind. Er will zeigen,
„wie irreal, irrational und zerstörerisch wir handeln, wenn wir
uns so verhalten, wie es die Ökonomie vorschlägt oder immer öfter
sogar aufzwingt“. Deshalb gehe er naturalistisch an die Analyse der
Wirtschaft heran, um die „tatsächlichen Auswirkungen auf uns
Menschen“ einschätzen zu können. Der Autor will sich unabhängig
machen von „gängigen ideologischen Kontroversen“. (S. 31/32)
Die Leser sollten sich
nicht an dem undefinierten WIR stoßen, auch nicht daran, dass
Maritsch bisher erkannte – aber nicht immer beachtete oder
geleugnete – Gesetzmäßigkeiten im Verhältnis zwischen
gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung weitgehend
unbeachtet lässt, ja, sie völlig ignoriert (siehe die
Klassiker-Erkenntnisse von Marx und Engels) und stattdessen den Blick
mehr auf das Bewusstsein wirft (idealistische Sicht), der allein dazu
fähig wäre, den Weg zu einem machbaren Humanismus freizukämpfen.
Es ist nicht nur
erstaunlich und bewundernswert, wie der Autor aus seiner
naturalistischen Sicht in drei größeren Abschnitten Detailanalysen
als auch mögliche Alternativen vorlegt, sondern mit nahezu jedem
Kapitel von ihm entworfenen Illusionen und Utopien in dankenswerter
Weise den zukünftigen Umwälzern der Geschichte Überlegenswertes
mit auf den Weg gibt. Klardenkende werden es dem Autor allerdings
ankreiden, dass er dabei durchgehend an die Vernunft appelliert:
„Wenn wir uns also in einem demokratischen System befinden, kann
die Mehrheit der Menschen, also gerade diejenigen ohne überbordenden
Anteil an Macht und Reichtum, die vorhandene Oligarchie ablösen,
und, wenn es sein muss, sogar ins Gefängnis bringen“. (S. 611) Dem
Autor gelingt es im Ganzen gesehen, die Begriffe Eigentum, Geld,
Arbeit, Markt, Profitmaximierung, Entfremdung, Neoliberalismus oder
Sinn des Daseins und andere für jedermann anschaulich darzustellen.
Als intellektuellen und
politischen Mangel empfindet der Rezensent die Kaltstellung
bisheriger ökonomischer Gesetzmäßigkeiten, die ja nicht
naturbedingt und schon gar nicht durch Willensentscheidungen von
Akteuren im Verlaufe der Geschichte entstanden sind und heute –
besonders durch die Ideologie des Neoliberalismus – weltweit
ausufern und zu Barbarei und neuen Kriegen tendieren. Wunschträume
nach einer besseren Welt gehen nur dann auf, wenn sie von knallharten
Realitäten ausgehen, wissenschaftlich fundiert sind und kühn und
tatkräftig von den bisher Benachteiligten gemeinsam umgesetzt
werden. Wer dabei die im sozialistischen Lager errungenen Erfahrungen
allerdings sträflich ignoriert, sie ad acta legt, der versperrt sich
den Zugang zu besseren Einsichten, zur Zukunft.
Das Buch des Thomas M.
Maritsch ist ein kluger Wälzer, der dazu beitragen möge, weitere
politische Angriffe gegen das noch übermächtige Kapital zu starten
und die gesellschaftlichen Bedingungen für die Dominanz der Akteure
gänzlich umzuwälzen. Vorausgesetzt, man verlässt die längst
überholte Schiene des einsamen und erfolglosen NUR-WOLLENS. Mein
persönliches Fazit aus diesem Buch von Maritsch: Je tiefer man
wissenschaftlich zu loten vermag, desto geringer fallen Höhenflüge
aus. Aber: Das Paket der Illusionen lässt sich als nachdenkenswertes
Gut für neue Ordnungen festmachen.(PK)
Thomas M. Maritsch:
„Ökonomie des Müßiggangs. Zur Sozio- und Psychopathologie von
Arbeit, Eigentum und Geld – naturalistische Betrachtungen zur
Wirtschaftsphilosophie“, gebundene Ausgabe: 680 Seiten, Verlag:
Books on Demand; erste Auflage 24. Juli 2014, Sprache: Deutsch,
ISBN-10: 3735754805, ISBN-13: 978-3735754806, Hardcover, 680 Seiten,
€ 53,90
Erstveröffentlichung
dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung