Sonntag, 29. Oktober 2017

Judith´s Reisenotizen

Erkundungen in Brandenburg



Neue Notizen von Judith, Mitautorin im Buch „EISZEIT-BLÜTEN“

Oktober 2017: Nun ist der Sommer fast vorbei und damit gehen auch meine, unsere Fahrten in Brandenburg  im wesentlichen zu Ende. Das Land hat einen Verbund von 29  Städten, die jeweils einen historisch wertvollen Stadtkern besitzen.  Sie werden besonders gefördert. 27 habe ich bereits besucht mit vielen schönen Eindrücken.

Im wesentlichen folge ich einem Plan: Besuch der  Touristen-Information, man erfährt was zu den sozialen Verhältnissen, wie Betriebe wurden nach der Wende plattgemacht, unabhängig vom Zustand, sondern aus Konkurrenzgründen, Wegzug vieler junger Menschen, weite Wege zu neuen Arbeitsplätzen, Arbeitslosigkeit. Die Städte sind schön anzuschauen, fast alles rekonstruiert und renoviert, und ich frage mich dann immer, warum wir das in der DDR nicht besser hinbekommen haben. Dann Besuch des Rathauses, der Kirche mit möglicher Turmbesteigung,  Kloster, Stadtmauer, Heimatmuseum und Natur (Parks, See, oder Fluss) oder auch kulturelle Events.


In diesem Jahr habe ich mich auf Luther´s Spuren begeben. Deshalb, weil ich seine Vision, seine Standhaftigkeit unter Einsatz seines Lebens (als vogelfrei erklärt) und Durchsetzungsvermögens mit Unterstützung vieler Mitstreiter bewundere. Er hat den Menschen  die Angst vor dem Fegefeuer und  der Hölle genommen, den Ablaßhandel erfolgreich bekämpft, die Klöster aufgelöst u.v.m. Leider hat er den revolutionären Kampf der Bauern um ihre Befreiung von Not und  Elend  unter Führung von Thomas Müntzer nicht verstanden bzw. gehasst wie auch die Juden.
In Wittenberg war ich im vergangenen Jahr. Dieses Jahr  war ich in

Mühlberg /Elbe

Hier fand der Schmalkaldische Glaubenskrieg (Bündnis der protestantischen  Reichsstände) unter  Kurfürst Friedrich gegen Herzog Moritz von Sachsen auf der Seite des katholischen Kaiser statt. Als Überraschungsangriff wurde es ein  großes Gemetzel, dem Tausende protestantische Krieger zum Opfer fielen. Kurfürst Friedrich wurde gefangen genommen, zum  Tode verurteilt und später begnadigt. Im Ergebnis des Krieges wurde das Albertinische Kurfürstentum Sachsen als mächtigsten Staat im mitteldeutschen Raum  gebildet. Die riesige Anlage Kloster und Klosterkiche sind noch gut erhalten u. durch moderne  bauliche Anbauten ergänzt. Besuch des Museums, der Frauenkirche , des Rathauses, dem Schloß, welches noch auf einen Investor wartet.

Herzberg



Die Stadt bekannte sich sehr früh zur Reformation. In der gotischen Hallenkirche wurde schon ab 1522 Gottesdienst in deutscher Sprache abgehalten. Die Kirche hat wunderschöne Gewölbemalereien aus dem 15. Jahrhundert mit überregionaler Bedeutung. Luther nahm auch an vielen Kirchen- und Schulvisitationen teil und forderte die Einrichtung christlicher Schulen. Aufgrund seiner Initiative wurde durch Melanchthon die 1. Schulordnung erlassen (Text in der Kirche veröffentlicht mit klaren Regelungen  für Lehrer und Schüler).
Auch im Ergebnis dessen  wurde 1578 die „Deutsche Grammatik“ verfasst. Außerdem steht am Stadtpark  ein Wunderstein in Erinnerung, als Wittenberger Studenten wegen der Pest in diese Stadt geflüchtet waren. Es gibt auch einen schönen Botanischen Garten  durch einen reichen Bürger gegründet.

Lutherstadt Eisleben



Die Stadt, in der Martin Luther geboren und gestorben ist. Sie hat einige Totalbrände erlebt und so wurde verfügt, dass alle Häuser verputzt wurden. Die Eltern kamen aus Mansfeld und die Familie war teilweise in den Kupfer-, Silber-, und Goldabbau involviert. Das Geburts- wie auch Sterbehaus sind nicht mehr original erhalten und mit interessanten Ausstellungen bestückt.


Besuch der zwei Kirchen ( Taufkirche). Auf dem Rathausplatz steht ein monumentales  Lutherdenkmal. Das Besondere daran ist, dass Luther eine Kopfbedeckung trägt, was sonst nur  dem hohen Adel vorbehalten war und den Unmut des Regierenden hervorrief, aber die Eislebener Bürger haben sich durchgesetzt. Die Stadtführung war auch sehr interessant. Bemerkenswert ist, dass sehr viel Geld investiert wurde, u.a. Bahnhöfe in Wittenberg und Eisleben. Verständlich, denn die Kirche sollte ja auch im staatlichen Interesse gestärkt werden, damit die Menschen geduldig und wieder frommen werden sollen, denn der liebe Gott wird es schon
richten !!!

Außerdem war ich in diesem Sommer noch in Rheinsberg (Musikakademie), Kyritz, Frankfurt /0., Angermünde, Potsdam, Falkenberg, Brügk, Ribbek, Treuenbrietzen, Perleberg u.a.

Fahren werde ich noch nach Jüterbog, Cottbus, Brandenburg, Görlitz aber dann sind die Tage schon zu kurz.

Das nächste Mal wieder mehr zur Politik und zu unserem Buch „EISZEIT-BLÜTEN“. Ich hoffe, dass die Bestellung bei Amazon bald kommen wird.

PS: Ich bin ja gespannt, was zur Ehrung von Karl Marx im nächsten Jahr passiert ? Sicher nicht viel.

Viele Grüße von Judith




Samstag, 28. Oktober 2017

Leseprobe aus "EISZEIT-BLÜTEN"

Leseprobe aus „EISZEIT-BLÜTEN“

Helle, dem Morgendämmern vorauseilende Lichtflecke huschten über das ebene Land.“

Worte voller Poesie! Sie schrieb Tschingis Aitmatow in seiner wunderschönen Novelle „Dshamila“. (Nachzulesen in „Tschingis AITMATOW“, Verlag Volk und Welt, Berlin 1974, S. 102.)

Eingefrorene Menschlichkeit

Ein früher Morgen. Wie andere auch. Wir treten auf den Balkon. Dieser Duft. Frisches frühlingshaftes Grün. Wie es glänzt im Sonnenlicht nach nächtlichem Regen. Ich sage: Guten Morgen, du Schöne. Was der Wahrheit entspricht. Zärtlichkeit. Auch nach 60 Jahren. Wärme menschlicher Nähe. Tiefes Durchatmen. Frei sein. Im Alter. Die verrinnende Zeit. Kostbar, je älter du bist. Wie lange noch? An jedem Tag dieses Glücksgefühl. Ausnahmslos. Liebe! Aus dem tiefsten Innern. Man liebt nur einmal – dann aber richtig.

Überhaupt: Empfindet man etwas Schönes, liest man Geistvolles, erfährt man menschliche Wärme – muss man sich da vor innerer Freude zurückhalten? Ist es nicht im gleichen Atemzug genauso mit dem Zorn, dem Zweifel. Wie könnte man jeglichem Angriff auf´s Menschliche widerstehen, ohne im Herzen die Liebe zu spüren, die Kraft, die in einem ist? Die ins Umfeld wirkt – in eine weltweite Ungewissheit, die seit dem geschichtlichen Rückfall jegliche Erinnerung im Keime zu ersticken sucht, die neue Zukunftsträume zu Eis gefrieren lässt? Was gehört dazu, mutig zu protestieren, Widerstand zu leisten? Trillerpfeifen? Spruchbänder? Lichterketten? Teilnahme an Demonstrationen? Sich mit Gleichgesinnten zusammenschließen? Jeder muss tun, was er kann.

Ein Morgen hat viele Gesichter. Die zum Aufstehen wegen des Geldverdienens gezwungen sind, können sich glücklich schätzen. Sie mühen sich so gut es geht, auch wenn sie sich fragen müssen „wie lange noch?“ Und was ihnen entgegenpoltert: Stete Ungewissheiten. Wirkliche Anerkennung? Würde? Man misst dich wegen deiner Konsumkraft, nicht wegen deiner moralischen und politischen Einstellung. Politik ist nicht gefragt, nur wählen darfst du, auch demonstrieren, aber bitte im Rahmen. Und versuche keine Fragen zu stellen. Die Antworten werden dich niemals befriedigen. Hauptsache, du passt dich an. Maskiere dich. Falle auf. Du als dein eigenes ICH. Kleidung. Äußeres. Halte mit oder du machst dich lächerlich.

Und da sind andere Gesichter, die man nicht gerne sieht: Traurige. Sie halten dir die Zeitung „Straßenfeger“ hin. Du gibst ihnen eine Kleinigkeit, das Gesicht hellt sich auf, denn die Zeitung lässt du de, bettelnden Geschöpf. Große Augen machten anfangs DDR-Bürger in diesem ganz anders „aufgestelltem“ Deutschland: Schlafende unter Brücken – Obdachlose. Aber es gibt ja die Tafel, hin und wieder... Schamröte steigt in dir auf ob dieser fassungslosen Ungerechtigkeit, diese Ohnmacht des Kapitalismus, Soziales in den Griff zu bekommen.

Jeder Morgen verspricht den nahenden Tag. Ist er nicht auch ein Synonym für´s Zukünftige? Die meisten Feinsinnigen trauen dem nicht, da wenig Aussicht auf ein menschliches Dasein bestehe, sie sind zufrieden mit dem was sie haben oder nicht haben, einige haben sich abgewöhnt, darüber nachzudenken. Lohne es sich überhaupt? Sei doch alles für die Katz. Gehe lieber in dich, ziehe dich in dein ICH zurück und lebe in den Tag und, so eine andere Stimme: „Die Armen sind selber Schuld.“ Außerdem: „Gott wird es schon richten“.

Richtig leben? Fehlt da nicht das Vertrauen in Beständigkeit? Einst hatte es Ansätze gegeben, beim Übergang vom Feudalismus zum Frühkapitalismus. Da war zunächst Zukunftsträchtiges zu erwarten. Was folgte waren letztendlich weltweite Massenmorde. Zuletzt gebändigt durch eine gänzlich neue Gesellschaftsformation, bei dem die Eigentümer der Produktionsmittel das Volk wurde, wenigsten in Teilen der Welt. Bis dies alles – besonders durch äußeren Druck und durch Negierung innerer Widersprüche aus „krankhafter Zurückhaltung vor Angriffen des Klassengegners“ – zusammenbrach. Und nun sind sie wieder von der Kette, die Verursacher, die an Rüstung und Kriegen mächtig verdienenden. Und jedermann politisch beschlagene weiß, wer gemeint ist. Es ist halt so: Die nicht durch Mahnungen zu bremsende Profitgier der einen bedingt den geistig-kulturellen und sozialen Niedergang der anderen.

Wie soll da Morgenstimmung aufkommen? Liebe. Frieden, der Ewige? Vergessen alles Vergangene? Als Blüten wirklich noch sprießten, weil die da unten frei waren, abgeschüttelt hatten, was Unmenschlichkeit im Namen der Menschlichkeit hieß. Winter adé ? So der Titel eines kritischen und hoffnungsvollen Dokumentarfilms von Helke Misselwitz im schon untergehenden Ländle mit den einst so blühenden und gutherzigen menschlichen Beziehungen? Zu spät! Zu spät! Zurück blieben verstörte und zum Teil verkrüppelte Seelen. Gefangen in marktbedingten Stricken - saure Gesichter oft, mittelfrohe Herzen, zum Teil hohle Köpfe, auch solche, die nie und erst recht nicht in der „neuen Zeit“ einen Arsch in der Hose hatten...

Doch da rauft sich Gegenwehr zusammen: Zu erinnern ist - um nur einige Beispiele zu nennen - an solche hervorragende aufklärerische Lektüre wie „No way out“ (Hrsg. Hermann L. Gremliza), „Euroland wird abgebrannt. Profiteure, Opfer, Alternativen“, (Lucas Zeise), „Wir sind der Staat“ (Daniela Dahn), „Lob des Kommunismus“ (Hrsg. Wolfgang Beutin, Hermann Klenner, Eckart Spoo), „Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient“, (Jürgen Grässlin) oder Wolfgang Bittner mit „Die Eroberung Europas durch die USA“ in erweiterter Neuauflage. Widerstands- und Aufklärungsbemühungen auch von Vereinen, Organisationen, von außerparlamentarischen Aktionen, von Streiks, von Gewerkschaften... Und bei Parteien zwinkert manches linke Auge...

Warum sollte man die geistigen und politischen Blüten von Erfahrungen und Erkenntnissen für eine bessere Welt nicht aus der bürgerlichen Friedhofsruhe aufscheuchen, sie aus der Erde, aus der erstarrenden politischen Eiszeit wieder herauskratzen? Sie nicht bündeln? Für interessierte Leute. Für jene, die sich noch nicht – in Zeiten der politischen und kriegerischen Tumulte – satt zurücklehnen. Der Schrei nach „Etwas-Tun-Wollen“ ist - spätestens seit „Empört Euch!“ von Stéphane Hessel - zum Entsetzen der bürgerlichen Ewiggestrigen sehr lauter geworden. Mögen die ehrlichen Widerständler manchen Gegenwind bekommen, aber kaum einen persönlichen Feind, denn Ideen sind nicht totzukriegen.

Es freut mich, wenn solche Freunde wie Günther Ballentin, ALEX, Lotti, Hanna oder Judith mir voller Vertrauen erlaubten, ihre Gedanken, Motive und Erinnerungen an die so verheißungsvolle DDR-Aufbruchs- und Umbruchzeit in einem Büchlein, das eher einem Kaleidoskop gleicht als einem Sachbuch oder einer Biografie, zusammenzufassen. Sind es doch warmherzige Worte, richtige Blüten des sich nicht Abfindens mit der gegenwärtig kälter werdenden Gesellschaft. Wer will das bestreiten, ihre erkenntnisreichen Rückblicke und die sehr kritischen und offenen Anmerkungen im Heute sind zwar nur wenige Sandkörner auf dem Damm der Vernunft gegen weltweit überschwappendes Profit-Ungemach (siehe auch die weit über 900 Buchexemplare von Erinnerungen von DDR-Bürgern, die sich im Verein Erinnerungsbibliothek DDR zusammengefunden haben). Immerhin – vorauseilende Lichtzeichen in notwendig aufkommender Morgendämmerung...

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an die „Neue Rheinische Zeitung“, die über 70 kritische Buchrezensionen des Autors Harry Popow veröffentlicht hat. Die NRhZ ist seit Jahren die Erbin jener Neuen Rheinischen Zeitung, die Karl Marx und Friedrich Engels vom 1. Juni 1848 bis zum 19. Mai 1849 in Köln als Nachfolgerin ihrer 1843 unter König Friedrich Wilhelm IV. verbotenen Rheinischen Zeitung produziert hatten.
Harry Popow: „EISZEIT-BLÜTEN. ROTE-NELKEN-GRÜßE AUS BLÜHENDEN LANDSCHAFTEN“, Taschenbuch: 508 Seiten, Verlag: Independently published, Brokatbook Verlag (17. September 2017), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 1549766864, ISBN-13: 978-1549766862, Größe und/oder Gewicht: 14 x 3,2 x 21,6 cm, Preis: 12,50 Euro

Inhalt









Donnerstag, 26. Oktober 2017

Revolution mit Zukunft




Revolution mit Zukunft


Eine Konferenz in Berlin zu 100 Jahren Roter Oktober


Von Roman Stelzig  |    Ausgabe vom 27. Oktober 2017


Ge­lei­tet vom An­spruch, Wis­sen über Ge­schich­te als In­stru­ment zur Ge­stal­tung der Ge­gen­wart zu ge­brau­chen, ver­an­stal­te­ten die DKP, der Rot­fuchs För­der­ver­ein und die SDAJ am 21.10. im Kino Ba­by­lon in Ber­lin eine Kon­fe­renz zum Thema „100 Jahre Ok­to­ber­re­vo­lu­ti­on“ unter dem Motto: „Re­vo­lu­ti­on hat Zu­kunft“.


Und darin waren sich alle einig: Die Große So­zia­lis­ti­sche Ok­to­ber­re­vo­lu­ti­on ist nicht nur ein Er­eig­nis der Ge­schich­te, son­dern ein his­to­ri­scher Schritt in die Zu­kunft – ver­gleich­bar mit der Er­öff­nungs­sze­ne eines Schau­spiels, in dem die Masse der Aus­ge­beu­te­ten die Bühne als herr­schen­de Klas­se be­tritt, um alle öko­no­mi­schen, so­zia­len und po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se um­zu­ge­stal­ten, und des­sen letz­ter Akt noch nicht vor­über ist. „In die­sem Sinne“, be­wahr­hei­tet sich das Ur­teil Rosa Lu­xem­burgs, „ge­hört die Zu­kunft über­all dem Bol­sche­wis­mus.“


Wel­che tra­gi­sche Rolle darin das Schei­tern der deut­schen Re­vo­lu­ti­on spiel­te, hob der His­to­ri­ker des Rot­fuchs För­der­ver­eins, Götz Dieck­mann, her­vor. Der mu­ti­ge Auf­bruch des rus­si­schen Pro­le­ta­ri­ats grün­de­te sich auf der Hoff­nung, dass die Ar­bei­ter Deutsch­lands ihm zu Hilfe kom­men wür­den. Dass das nicht ge­schah, be­ein­fluss­te nicht nur die Re­vo­lu­ti­on, son­dern die Ge­schich­te Eu­ro­pas, und Clara Zet­kin be­zeich­ne­te den Fa­schis­mus spä­ter als eine Stra­fe für das Aus­blei­ben der Re­vo­lu­ti­on in Deutsch­land. Bei­fall ern­te­te Götz Dieck­man für die Fest­stel­lung, dass deut­sche Kom­mu­nis­ten dem Ur­teil der Ge­schich­te nicht ehr­los aus­ge­setzt sind, wovon die Ja­nu­ar­kämp­fe 1919 oder der Ham­bur­ger Auf­stand zeu­gen.


Das Mit­glied des Äl­tes­ten­ra­tes der Par­tei „Die Linke“, Bruno Mahlow, ver­tei­dig­te die Be­deu­tung der Ok­to­ber­re­vo­lu­ti­on vor den An­grif­fen des An­ti­kom­mu­nis­mus. Ihre Leis­tun­gen müs­sen Linke wür­di­gen und ihren Ver­lauf nach ihren Her­aus­for­de­run­gen und Be­din­gun­gen be­ur­tei­len. Den Auf­bau des So­zia­lis­mus in der So­wjet­uni­on solle man ver­ste­hen als „Auf­bruch in ge­sell­schaft­li­ches Neu­land“, für den keine Kon­zep­te be­reit stan­den. Tra­gi­scher als Sta­lin sei der Zer­fall des So­zia­lis­mus. Auf ähn­li­che Weise stell­te der Autor Diet­mar Dath die Macht­fra­ge als Kern des Ur­teils über die Ok­to­ber­re­vo­lu­ti­on her­aus. Denn „So­zia­lis­mus ohne Macht macht nichts“. Seine Ge­schich­te habe be­wie­sen, dass sich die Herr­schaft des Ka­pi­ta­lis­mus und seine Nach­schub­we­ge nicht zer­bre­chen las­sen ohne po­li­ti­sche Ge­walt. Nicht nur als Er­geb­nis des Ers­ten Welt­krie­ges führe die Ok­to­ber­re­vo­lu­ti­on zu dem Grund­satz: Der Kampf für den Frie­den muss in den Kampf für den So­zia­lis­mus mün­den. Sonst bricht der Kampf für den Frie­den ab.


Pa­trik Kö­be­le, der Vor­sit­zen­de der DKP, stell­te die Rolle der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei für den Kampf um den So­zia­lis­mus her­aus. Sie sei Trä­ge­rin einer Welt­an­schau­ung, aus der sich eine po­li­ti­sche Stra­te­gie und Tak­tik ab­lei­tet, ohne die kein Bruch mit dem Ka­pi­ta­lis­mus mög­lich ist. Ohne es aus­zu­spre­chen, mach­te er Be­zü­ge zu ak­tu­el­len De­bat­ten deut­lich und legte we­sent­li­che Ge­dan­ken der an­ti­mo­no­po­lis­ti­schen Stra­te­gie der DKP in der Ge­gen­wart dar.


Eine Gruß­bot­schaft sen­de­te der In­ter­na­tio­na­le Se­kre­tär der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Ve­ne­zue­las, Ca­ro­lus Wim­mer, und ging darin auf die Si­tua­ti­on in sei­ner Hei­mat ein. Denn die Pro­ble­me der Stra­te­gie und Tak­tik, die 1917 auf­tauch­ten, ste­hen dort auf der Ta­ges­ord­nung, und ihre Fra­gen nach Macht und Re­vo­lu­ti­on sind noch nicht ge­löst. Über den Ver­lauf der 19. Welt­fest­spie­le der Ju­gend in Sot­schi be­rich­te­ten Ge­nos­sen der SDAJ mit einer Bild­prä­sen­ta­ti­on und spar­ten darin nicht an deut­li­chen Wor­ten, um die wi­der­sprüch­li­che Rolle des rus­si­schen Staa­tes als Ver­an­stal­ter kri­tisch zu be­nen­nen.


Kul­tu­rell be­glei­tet wurde die Kon­fe­renz von Ellen Scher­nikau mit einer Le­sung aus dem Werk ihres Soh­nes Ro­nald M. Scher­nikau, der Rot­fuchs-Sin­ge­grup­pe sowie Achim Bigus und Erich Schaff­ner, die mit einem ge­mein­sa­men Auf­tritt für eine Pre­mie­re sorg­ten. Nicht nur die ehe­ma­li­gen Mit­glie­der des Ber­li­ner En­sem­bles „Ni­ko­lai Ber­s­a­rin“ wur­den im Pu­bli­kum beim Sin­gen be­ob­ach­tet und sorg­ten für eine frohe Stim­mung im Saal.


Auf einer Po­di­ums­dis­kus­si­on de­bat­tier­ten Ellen Brom­ba­cher von der Kom­mu­nis­ti­schen Platt­form der Par­tei Die Linke, Wolf­gang Dock­horn vom Rot­fuchs För­der­ver­ein, Flo­ri­an Hain­rich, Bun­des­ge­schäfts­füh­rung der SDAJ, Tors­ten Schö­witz, der Vor­sit­zen­de der KPD, Pa­trik Kö­be­le und Bruno Mahlow unter der Mo­dera­ti­on von Ste­fan Huth, Chef­re­dak­teur der „jun­gen Welt“, Fra­gen der ak­tu­el­len Po­li­tik und Bünd­nis­ar­beit. Der Wunsch nach ge­mein­sa­mem po­li­ti­schen Han­deln kam darin ge­nau­so zum Aus­druck wie Un­ter­schie­de in der Sicht auf­ein­an­der und der Wahr­neh­mung der po­li­ti­schen Rol­len ver­schie­de­ner Ak­teu­re.


Be­denkt man die schwe­ren Be­din­gun­gen und ge­rin­gen Kräf­te, unter denen der Ok­to­ber­re­vo­lu­ti­on an ihrem 100. Jah­res­tag ge­dacht wurde, ist die Kon­fe­renz, der un­ge­fähr 500 Gäste bei­wohn­ten, als gro­ßer Er­folg zu sehen, der nur mög­lich war durch die auf­op­fe­rungs­vol­le Ar­beit vie­ler Ge­nos­sen. Auch wenn sich kri­tisch be­mer­ken lässt, dass noch viele Wi­der­sprü­che und Pro­ble­me, die mit der Ge­schich­te der Gro­ßen So­zia­lis­ti­schen Ok­to­ber­re­vo­lu­ti­on ver­bun­den sind, nicht an­ge­spro­chen wor­den sind – in ihrer his­to­ri­schen Be­deu­tung, in der op­ti­mis­ti­schen Stim­mung aller Be­tei­lig­ten an der Kon­fe­renz und ihrem so­li­da­ri­schen Han­deln bei der Be­wäl­ti­gung prak­ti­scher Pro­ble­me liegt das Un­ter­pfand für die Zu­ver­sicht: „Wir sind das Bau­volk der kom­men­den Welt. Wir sind der Sä­mann, die Saat und das Feld. Wir sind die Schnit­ter der kom­men­den Mahd. Wir sind die Zu­kunft und wir sind die Tat.





Video vom ROTEN OKTOBER im BABYLON

DIE FRIEDENSTAUBE

Es war am 21. Oktober 2017: Ich suchte sehr lange nach dieser Taube, denn sie wurde verschwunden. Weder im Fernsehen gesehen noch in den „Qualitätsmedien“ erwähnt. Man schien sie vermisst, oder doch besser verjagt zu haben aus dem Gedächtnis der Menschen. Und heute, genau am 21. Oktober des Jahres 2017, wurde ich fündig. Im Filmtheater Babylon. Da saß ich nun auf Einladung meiner so treuen und tollen Neuen Rheinischen Online-Zeitung im großen Saal, der voll gerammelt war. Eingeladen hatten die DKP, der Förderverein RotFuchs und der SDAJ. Mein Blick zur Tribüne. Und da stockte mir der Atem: Da war sie, die Taube. Auf einer großen Leinwand. Sie saß in der so wohlbekannten roten Sichel mit dem so wohlbekannten Hammer. Über dem allen die Erinnerung daran, dass wir nunmehr den 100. Geburtstag des Roten Oktober begehen. Tolle und inhaltsreiche Reden, Gesang und Gedichte, wo auch Bert Brecht und andere Publizisten und Dichter mit ihren politischen Erkenntnissen und Bekenntnissen nicht fehlten. So auch „Partisanen vom Amur“.

Durch's Gebirge durch die Steppen zog
Unsre kühne Division:
Hin zur Küste dieser weißen,
Heiß umstrittenen Bastion:|

Rot von Blut wie unsere Fahne
war das Zeug. Doch treu dem Schwur-
stürmten wir, die Eskadronen,
Partisanen von Amur. -

Kampf und Ruhm und bittere Jahre!
Ewig bleibt im Ohr der Klang,
das Hurra der Partisanen,
als der Sturm auf Spassk gelang.

Klingt es auch wie eine Sage,
kann es doch kein Märchen sein:
Wolotschajewska genommen!
Rotarmisten zogen ein.

Und so jagten wir das Pack zum Teufel,
General und Ataman.
Unser Feldzug fand sein Ende
erst am Stillen Ozean.




Im Saal nicht nur Graubärte, die dieses Lied ja wohl kannten, sondern auch viele Jugendliche. Neben mir johlte es, man sang die Strophen mit, und nicht nur von diesem Text, auch von anderen Kampfliedern. Welch ein glücklicher Moment. Denn es geschah sehr Außerordentliches: Die Friedenstaube wurde wieder flügge, ganz nach dem Motto, das diese Konferenz prägte: REVOLUTION HAT ZUKUNFT

Harry Popow

26.10.2017: Neues zum ROTEN OKTOBER

Siehe Konferenz am 21. Oktober im Filmtheater Babylon

Motto: REVOLUTION HAT ZUKUNFT

Hier das von Arbeiterfotografie produzierte Video von der Podiumsdiskussion während dieser Konferenz anlässlich des 100. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution. Entnommen der Neuen Rheinischen Zeitung mit deren Genehmigung.
Harry Popow




Montag, 23. Oktober 2017

BLÜTENLESE - Rezension von Elke Bauer

Harry Popow: Eiszeit – Blüten. Rote – Nelken – Grüße aus blühenden Landschaften


BLÜTENLESE

Buchtipp von Elke Bauer


Blüten – schönste Zier des menschlichen Umfeldes, werden in diesem Buch ans rechte Licht gebracht, besser, ins linke Licht gestellt. Blüten, geschaffen vom menschlichen Geist, Tatkraft/Leistungen und Visionen zur Verständigung über das Erhaltenswerte und zu Bedenkende. Vielen Menschen ist das seit 1989 verschwundene Gesellschaftsgebilde Volksdemokratien, Sowjetstaat und eine gesicherte Zukunft noch im Bewusstsein.



Die Blüten der kurz zurückliegenden Vergangenheit werden von Harry Popow, Offizier und Militärjournalist zu DDR –Zeiten, an die Öffentlichkeit gebracht. Er knüpft ideenreich an den sensationellen Fund von 30 000 Jahre alten Pflanzen an, die sibirische Forscher unlängst unter sibirischem Eis entdeckten und wieder zum Leben erwecken konnten. Nun zeigt er in seinem 508-seitigen Buch, dass doch auch Errungenschaften und Gedankengut, die in den letzten 100 Jahren in östlichen Bereichen erkämpft und entwickelt wurden, gegenwärtig wohl unters Eis gebracht werden – aber sie könnten und müssten doch wieder gefunden und als nötig in eine spätere Gesellschaft integriert und wieder zum Blühen gebracht werden.

Gemeinsam mit seinen Blog- Usern bringt er aus deren  realen Lebenserfahrungen der genannten letzten 100 Jahre Bedenkenswertes dem Leser nah und will zur Diskussion anregen. Zu Wort kommen also Zeitgenossen, die sowohl Vergangenes als auch Gegenwärtiges ihres Lebens sehr lebendig und natürlich, mit kritischem Blick, darstellen. Sie machen sich auch Gedanken über die vielgepriesenen „blühenden Landschaften“, die nicht zur Dankbarkeit gegenüber den „Brüdern und Schwestern“ westlicher Hemisphäre führten. Sie wollen die Glasperlen, mit denen man „unterentwickelten Völker“ vergangener Epochen köderte, nicht. Sie zeigen den Echtheitsgrad der Perlen im heutigen Leben. So können ALEX, Günther, Lotti, Hanna, Judith und Harry selbst, weit über dem heute verbreiteten Gazetten – Niveau hinaus, ihre Ansichten zur Diskussion stellen.

So beschreibt die studierte Ökonomin Judith ihre Entwicklung und Tätigkeit in den staatlichen Handelsorganisationen und in der Wirtschaft der DDR. Trotz aller Probleme hatte sie ein erfülltes Leben. Durch Ihre Erfahrungen im Sozialismus vermag sie bei ihren Reisen in und um das gegenwärtige Deutschland herum die gepriesenen blühenden Landschaften hintersinnig und kritisch zu durchschauen und darzustellen. Ihr Blick auf Weimar und die Ostsee, die Krim, Irland, das Baltikum, Bulgarien und Russland zeigt unbestechlich heutige und historische Verhältnisse. Sehr treffend die Fragestellung nach der Zugehörigkeit der Krim seit dem 18.Jahrhundert zu Russland, wie war das doch mit Potjomkin, Katharina der Zweiten und der Krim?

Da schreibt ALEX über seine Erfahrungen von der furchtbaren Zerstörung Plauens, seiner Heimatstadt, die schweren Jahre der Nachkriegszeit für einen Jungen, der nicht mit einem goldenen Löffel im Mund geboren wurde. Er berichtet von seinem Weg als Offizier der DDR-Streitkräfte, den er gegen den Krieg zur konsequenten Friedenserhaltung ging. Wie viele Soldaten der Bundeswehr mussten im offenen oder verdeckten Kampf in den verschiedensten Gegenden der Welt, z.B. am Hindukusch, der auf einmal zu Deutschland gehörte, ihr Leben lassen. Diese Gedanken fordert ALEX geradezu heraus – uninteressant für den Zeitgeist jeden Couleurs?

In Günthers Beitrag sticht vor allem die fundierte Einschätzung des Wirkens Gorbatschows heraus. Seine Einschätzung ist so umfassend, dass dem nicht zu widersprechen ist. Er studierte Journalistik, ging 10 Jahre zur Armee um dann im Militärverlag der DDR zu arbeiten. Zu seinen im Kiro – Verlag erschienen Erzählungen gehört auch das  Anti – Kriegsbuch „….angeordnet Schweigen. Das Ende einer Mädchenklasse“.

Hanna, als gestandene Frau, mit umfassendem Wissen und Klassenstandpunkt, steuert kritisch und unverblümt ihre Meinung zu den Zeitereignissen bei. Stalinnote - (von Adenauer abgelehnt – wer kennt ihre Bedeutung?), Mauerbau - wem nützte er wirklich ?  Wem nützt das Nachrücken der NATO im Ring um Russland?  Viel Bedenkenswertes. Ein besonderer Beitrag im Buch sind ihre eingefügten Gedichte, poetisch, sowohl in der Darstellung menschlicher Gefühle als auch gesellschaftlicher Gegebenheiten. Auch ein paar kritische Seitenhiebe gegen heutige linke Politik und Politiker fehlen nicht – Salz an der Suppe – und sehr treffend herausgearbeitet.

Lotti beschäftigt sich mit Rezensionen und gegenwärtiger progressiver Literatur aus dem Blog von H. Popow und seinem eigenen literarischen Schaffen. Sie will auch Literatur, die contra Mainstreamdenken und Oberflächlichkeit wirkt, bekannt machen. Vieles belegt sie mit Zitaten und Abhandlungen aus der klassischen Literatur. Sie will, dass das von den Vätern ererbte,  bedeutsame geistige Vermächtnis, mit in die Zukunft genommen wird und diese damit menschenwürdig gestaltet wird.

Harry Popow hat das Verdienst, die Stimmen seiner Mitakteure zu Gehör zu bringen und trägt eigenes Wissen und geistiges Potential bei. Durch seine Beiträge erfährt man die Darstellung gesellschaftlicher Probleme eines unbestechlichen Zeitkritikers, Bloggers und Autoren. Durch ihn erkennen wir, dass sich ein Mensch nach der Wende nicht verbiegen muss, wenn er schriftstellerisch und sachlich eingreift und die Finger auf obskure Zeitereignisse legt. Er macht in seinen kritischen Buchrezensionen progressiv denkender Zeitgenossen auf Gedanken aufmerksam, wie man entgegen der sogenannten „Lügenpresse“ die Zeitereignisse auch sehen kann und kritisch hinterfragen muss. Damit sei auf seine streitlustigen Sachbücher und seine autobiografischen Romane hingewiesen. Poetisch und eindringlich zum Beispiel die  Bücher um seine Mutter Tamara, „In die Stille gerettet“, „Im Stillen Park der untoten Seelen“ sowie „Der Schütze von Sanssouci“. Stephane Hessels „Empört Euch“ durchzieht die Abhandlungen. Dank dem Autoren und Herausgeber für unser Aller Bereicherung.

Harry Popow: „EISZEIT-BLÜTEN. ROTE-NELKEN-GRÜßE AUS BLÜHENDEN LANDSCHAFTEN“, Taschenbuch: 508 Seiten, Verlag: Independently published, Brokatbook Verlag (17. September 2017), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 1549766864, ISBN-13: 978-1549766862, Größe und/oder Gewicht: 14 x 3,2 x 21,6 cm, Preis: 12,50 Euro
https://www.amazon.de/EISZEIT-BL%C3%9CTEN-ROTE-NELKEN-GR%C3%9C%C3%9FE-AUS-BL%C3%9CHENDEN-LANDSCHAFTEN/dp/1549766864/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1508245074&sr=1-1&keywords=EISZEIT-BL%C3%9CTEN





Samstag, 21. Oktober 2017

Sensation im Filmtheater Babylon

Die Taube im Babylon

Ich suchte sehr lange nach dieser Taube, denn sie wurde verschwunden. Weder im Fernsehen gesehen noch in den „Qualitätsmedien“ erwähnt. Man schien sie vermisst, oder doch besser verjagt zu haben aus dem Gedächtnis der Menschen. Und heute, genau am 21. Oktober des Jahres 2017 wurde ich fündig. Im Kino Babylon. Da saß ich nun auf Einladung meiner so treuen und tollen Neuen Rheinischen Zeitung im großen Saal, der voll gerammelt war. Eingeladen hatten die DKP, der Förderverein RotFuchs und der SDAJ. Mein Blick zur Tribüne. Und da stockte mir der Atem: Da war sie, die Taube. Auf einer großen Leinwand. Sie saß in der so wohlbekannten roten Sichel mit dem so wohlbekannten Hammer. Über dem allen die Erinnerung daran, dass wir nunmehr den 100. Geburtstag des Roten Oktober begehen. Tolle und inhaltsreiche Reden, Gesang und Gedichte, wo auch Bert Brecht und andere Publizisten und Dichter mit ihren politischen Erkenntnissen und Bekenntnissen nicht fehlten. So auch „Partisanen vom Amur“.

Durch's Gebirge durch die Steppen zog
Unsre kühne Division:
Hin zur Küste dieser weißen,
Heiß umstrittenen Bastion:|

Rot von Blut wie unsere Fahne
war das Zeug. Doch treu dem Schwur-
stürmten wir, die Eskadronen,
Partisanen von Amur. -

Kampf und Ruhm und bittere Jahre!
Ewig bleibt im Ohr der Klang,
das Hurra der Partisanen,
als der Sturm auf Spassk gelang.

Klingt es auch wie eine Sage,
kann es doch kein Märchen sein:
Wolotschajewska genommen!
Rotarmisten zogen ein.

Und so jagten wir das Pack zum Teufel,
General und Ataman.
Unser Feldzug fand sein Ende
erst am Stillen Ozean.

Im Saal nicht nur Graubärte, die dieses Lied ja wohl kannten, sondern auch viele Jugendliche. Neben mir johlte es, man sang die Strophen mit, und nicht nur von diesem Text, auch von anderen Kampfliedern. Welch ein glücklicher Moment. Denn es geschah sehr Außerordentliches: Die Friedenstaube wurde wieder flügge, ganz nach dem Motto, das diese Konferenz prägte: REVOLUTION IST ZUKUNFT


Harry Popow

Lottis Meinung:
Harry, Du hast ein wunderbares Erlebnis gehabt, Du hast anknüpfen können an die Zeiten, in denen wir voller Zukunftsfreude auch das Lied gesungen haben. Zuletzt habe ich es mit Freunden vor ein paar Jahren gesungen. Hab vielen Dank für Deinen Hinweis, ich glaube, da wäre ich auch mit Begeisterung dabei gewesen. Das gibt uns unsere Festigkeit, in unserer Kindheit angelegt und uns immer Kraft gebend begleitend, unsere Glut, um die man uns beneidet und die sich nicht löschen lässt - von niemandem.

ALEX schrieb:
Als ich vorhin im Blog davon las und den Text der "Partisanen vom Amur" sah, kamen mir Erinnerungen. Nicht nur daran, dass wir das alte russische Kampflied oft schon 1952 in der KVP und später in der NVA sangen. Aber nach der großen Rückwärtswende 1990 dann nicht mehr. Es gab dazu keine Anlässe. Heute jedoch kam eine Erinnerung. Es war 1999 oder 2000 am Ausgang U-Bahnhof Kurt-Schuhmacher-Platz in Berlin. Im Ausgang ein russisches Paar. Mann und Frau. Er mit Akkordeon und sie mit heller Stimme spielten und sangen diese beiden Strassenmusikanten in der U-Bahnstation das Lied der Partisanen vom Amur. Als ich einstimmte und wir gemeinsam "und so  jagden wir das Pack zum Teufel" sangen, die Russen und ein Deutscher, und das im "tiefen Westen". Das klang gut. Nicht wehleidig. Freudig. Optimistisch. Kämpferisch.
Danke für den Text. Danke für die Erinnerung. Der Mensch lebt von der Erinnerung. Sie führt zur Besinnung.

(Lotti und Alex sind Mitautoren im DDR-Erinnerungsbuch "EISZEIT-BLÜTEN")

Freitag, 20. Oktober 2017

...wie die Wolke den Regen - von Generalleutnant a.D. Grätz



Der Krieg ist kein Gesetz der Natur, der Frieden kein Geschenk

Manfred Grätz, Generalleutnant a.D., Vorsitzender des Verbandes zur
Pflege der Traditionen der NVA und der GT der DDR

Rede auf der Protestveranstaltung des OKV am 03. Oktober 2017

Frieden“, „Für den Frieden der Welt“ – wie erhaben
diese Worte klingen, nahezu feierlich. Oft
ausgesprochen, gewohnheitsgemäß, ja, achtlos,
oberflächlich mitunter. Klingt ja gut! Doch was
verbirgt sich hinter diesen Worten? Was ist ihr
tieferer Sinn? Sind das Hoffnungen, Wünsche,
Sehnsüchte der Menschen? Wenn ja, wessen?
Ist es ein Programm, ein edles, hehres Ziel?
Und wieder, wenn ja, wessen?

Und wie weit sind wir davon entfernt, in der
Welt voller Kriege, Konflikte, Terror, Not und
Elend? Und schließlich: Ist die Welt überhaupt friedensfähig,
solange es möglich ist, am Krieg
zu verdienen? „Trägt doch der Kapitalismus
den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen“,
so Jean Jaures, französischer Politiker des 20.
Jahrhunderts.
Johannes R. Becher kleidete es in die Worte:
„Der Krieg ist ein Patent der bürgerlichen Gesellschaft
und wird als solcher gesetzlich geschützt.“
Mehr Fragen, als Antworten in 15 Minuten
hinreichend überzeugend gegeben werden
können.
Versuchen wir es dennoch, durch Konzentration
auf Schwerpunkte, die uns alle bewegen, in
gebotener Kürze.
Die gegenwärtige Weltlage nährt wenig Hoffnung,
hat kaum Optimistisches zu bieten. Die
Welt scheint aus den Fugen geraten.
Es brennt auf nahezu allen Kontinenten unserer
Erde, auch in Europa. Allein eine Aufzählung
der gegenwärtigen Kriege genügt, um die
Ausmaße der Gefahr und den Ernst der Lage zu
verdeutlichen. Das vorangegangene Video „Nie
wieder Krieg“ hat es eindrucksvoll gezeigt.
Allein 2016/17 zählte das Heidelberger Institut
für Internationale Konfliktforschung 19 Kriege
und 225 gewaltsame Konflikte.
Die kapitalistische Welt, unter Führung der
USA, verklausuliert auch „westliche Wertegemeinschaft“
genannt, getrieben von der Gier
nach alleiniger Weltherrschaft und neuen ökonomischen
Einflusssphären, maßt sich an, historisch
entstandene Kulturen, Länder, ganze Regionen
nach dem fragwürdigen Muster sogenannte
freiheitlich parlamentarischer Demokratien reformieren
zu wollen.
Keiner der Kriege der jüngeren Vergangenheit,
ohnehin unter fadenscheinigen, auf Lügen beruhenden
Begründungen angezettelt, hat jedoch
die vorgetäuschten Kriegsziele – „Kampf dem
Terror“ – je erreicht.
Ausnahmslos alle haben Not und Elend im
Lande vermehrt und Terror geboren, ganz so,
wie es Jürgen Todenhöfer einmal formulierte:
„Antiterror-Kriege sind Terror-Zuchtprogramme“.
Und der Antikommunismus, jene Jahrhunderttorheit,
die seit der Großen Sozialistischen
Oktoberrevolution verstärkt ihr Unwesen treibt,
trägt täglich neue Blüten. Der alte Feind Russland
ist neu entdeckt. Eine Russophobie ohnegleichen
ist wieder ausgebrochen. Lügen und DiffamieKampf
zur Befreiung des deutschen Volkes von
der faschistischen Barbarei. Wir würdigen die
heutige Rolle Russlands für die Erhaltung des
Weltfriedens gegen die imperialen Interessen
der USA, der NATO, der EU und der BRD. Wir
verurteilen die Teilnahme der BRD an internationalen
Kriegseinsätzen. Vor allem ostdeutsche
Jugendliche dienen als Kanonenfutter für imperiale
Ziele zur Rohstoffsicherung und Unterdrü-
ckung anderer Völker. Sie werden durch scheinheilige
falsche Versprechen und Lügen verführt,
Waffen gegen andere Völker einzusetzen. Wir
fordern die Beendigung aller deutschen Kriegseinsätze
und Waffenexporte und die Rückkehr
zu einer aktiven solidarischen Friedenspolitik.
Uns erfüllt mit Sorge und tiefer Anteilnahme
das millionenfache Schicksal der Flüchtlinge in
aller Welt, besonders der Tausenden von Toten
an den künstlich geschaffenen Grenzen und
Mauern. Wir fordern, endlich durch Unterstützung
statt Ausbeutung der Entwicklungsländer
die Ursachen für Krieg und Armut zu beseitigen,
statt die Opfer zu verleumden. Wir wenden uns
gegen jede Form des Rechtsruckes und der Faschisierung
und des Missbrauches des Flüchtlingselends
für populistische politische Ziele.
Wir rufen erneut alle linken und fortschrittlichen
Kräfte dazu auf, sich im Kampf gegen Krieg, Faschisierung
und Armut noch enger zusammen
zu schließen und alles Trennende beiseite zu
schieben.
Uns ist bewusst: Der Kapitalismus trägt den
Krieg in sich, wie die Wolke den Regen. Deshalb
kann es dauerhaften Frieden nur geben, wenn
die Herrschaft des Kapitals überwunden wird.
Dafür treten wir ein!
„Für den Frieden der Welt“
Alternative Einheitsfeier
Protestveranstaltung des Ostdeutschen Kuratoriums
von Verbänden zum 3. Oktober 2017
Willenserklärung
der Teilnehmer der 11. Protestveranstaltung
Der 3. Oktober ist auch 27 Jahre nach dem Anschluss
der Deutschen Demokratischen Republik
kein „Tag der deutschen Einheit“. An diesem
Tag wurden nicht zwei Staaten „vereint“, sondern
das DDR-Gebiet wurde – ohne das deutsche
Volk darüber entscheiden zu lassen - der
BRD einverleibt. Die DDR wurde annektiert.
Die Nachkriegsordnung wurde beendet. Viele
ältere Teilnehmer dieser Protestveranstaltung
haben den faschistischen Weltkrieg am eigenen
Leibe erlebt. Sie haben Familienangehörige
verloren, barbarische Bombennächte durchlebt
und waren Teil der Deutschland durchziehenden
Flüchtlingsströme. Sie waren Teilnehmer
des antifaschistischen Widerstandskampfes.
Sie waren Aktivisten des Aufbaues eines friedlichen
Deutschland. Es ist unerträglich, dass an
die Stelle einer aktiven DDR-Friedenspolitik die
grundgesetzwidrige BRD-Kriegspolitik gesetzt
wurde. Uns erfüllt mit Abscheu, dass unter der
Regierung der BRD Hetze gegen Russland und
aktive Kriegsvorbereitung an dessen Grenzen
wieder zum politischen Alltag geworden sind.
Dem stellen wir uns mit aller Entschiedenheit
entgegen. Wir danken den Völkern der Sowjetunion
für ihren heldenhaften und opferreichen
ISOR aktuell Oktober 2017 Seite 2
rungen sind an der Tagesordnung. „Russland ist
die Wurzel allen Übels“, so der Mainstream der
westlichen Welt, dabei geflissentlich verschweigend,
dass es die NATO ist, die marschiert, marschiert
gen Osten.
Hier nur wenige, ausgewählte Fakten:
Seit März 1999 wurden 13 osteuropäische
Staaten in die NATO aufgenommen. Wie verkündete
doch Wörner im Jahre 1990, damals Generalsekretär
der NATO, vorher deutscher Verteidigungsminister?
„Die Tatsache, dass wir bereit sind, keine NATO-Truppen
außerhalb des Territoriums der BRD
zu stationieren, gibt der SU feste Sicherheitsgarantien.“
Mit Aufnahme der baltischen Staaten im März
2004 erfolgte die Stationierung von Luftwaffeneinheiten
der NATO-Staaten zunächst in Litauen,
später in Estland, zur „Luftraumüberwachung
und zum Schutz des Luftraumes der baltischen
Staaten“; „Airpolicing“ wird das Ganze genannt,
seit 2014 sogar „verstärktes Airpolicing“, weil
mit 8 bis 12 NATO-Kampfflugzeugen aus zwei
oder mehr Staaten verstärkt.
2016 dann der nächste wortbrüchige Beschluss
der NATO-Ratstagung in Warschau zur
Stationierung von vier gemischten Kampfbataillonen
zu je 1000 Soldaten mit entsprechender
Ausrüstung in den drei baltischen Staaten und in
Polen, eines davon, in Litauen, unter deutscher
Führung. Außerdem, ohne große mediale Aufmerksamkeit,
Verlegung einer US-Panzerbrigade
in diese vier Länder.
Beginnend unter US-Präsident Bush jr. Errichtung
eines sog. Raketenabwehrsystems mit
Startstellungen in Polen und Rumänien, Groß-Radaranlage
in der Türkei, vier mit Abwehrraketen
bestückten Kampfschiffen im Mittelmeer und der
Kommandozentrale in Ramstein.
Seit mehreren Jahren beobachten wir die zunehmende
Manövertätigkeit der US-geführten
Militärallianz in den östlichen Staaten, unweit
der Westgrenze Russlands, mit dem Ziel, die „Abschreckungsfähigkeit“
zu erhöhen. „Anakonda“,
„Saber Strike“, „Iron Wolf“ werden diese Übungen
z.B. genannt.
Allein an der Übung „Anakonda“, einem von
mehreren solcher Manöver, im Juni vergangenen
Jahres nahmen Kontingente aus 24 Staaten, darunter
bezeichnender Weise auch aus der Ukraine,
mit insgesamt 31.000 Soldaten, 3000 Fahrzeugen,
105 Flugzeugen und 12 Kampfschiffen teil.
Für das Jahr 2017 wurden wieder mehrere
NATO-Manöver an der Westgrenze Russlands
angekündigt und durchgeführt. „Saber Strike“
und „Iron Wolf 2017“, im Juni und Juli in den
baltischen Staaten, wiederum unverkennbar
gegen Russland gerichtet, reihen sich ein in die
Kette der Provokationen, natürlich unter dem
Vorwand, „die Sicherheit der Menschen in den
östlichen NATO-Ländern zu erhöhen“ und sie vor
einer „russischen Aggression zu schützen.“
Da nehmen sich doch die 12.700 Soldaten, davon
5.500 aus Russland, 250 Panzer, 200 Geschütze,
70 Flugzeuge und 10 Schiffe die am lange angekündigten
Manöver „Sapad 2017“ Russlands
und Weißrusslands teilnehmen – wohlgemerkt
auf eigenem Territorium - vergleichsweise relativ
bescheiden aus. Und die bedrohen nunmehr die
NATO! Welch abenteuerliche Argumentation!
Nimmt man die verstärkten NATO-Aktivitä-
ten in der Ostsee und im Schwarzen Meer hinzu,
besonders deutlich seit der Wiedereingliederung
der Krim in die Russische Föderation; die durch
NATO-Generalsekretär Stoltenberg angekündigte
Erhöhung der Militärpräsenz im Schwarzen
Meer; die jüngsten Aktivitäten der NATO in Georgien
in Form von Kriegsspielen und Übungen
im Raum Tiflis (unter Teilnahme der Nicht-NATOMitglieder
Georgien, Armenien und Ukraine),
dann hat man die fortschreitende Umklammerung,
Einkreisung Russlands im wahrsten Sinne
des Wortes auch bildlich vor Augen!
Aber, und das ist das Perverse: Die im Mainstream
vereinten Medien der westlichen Welt
tönen ohn Unterlass: „Die Kriegsgefahr geht von
Russland aus. Putin ist es, der die Welt bedroht.“
Welch eine Scheinheiligkeit, welch eine Lüge!
Wer fragt eigentlich nach den Gefühlen, Empfindungen,
Sehnsüchten der Menschen in Russland,
jetzt, 76 Jahre nach dem faschistischen
Überfall auf ihr Land?
Wer unternimmt auch nur den Versuch, sich
hineinzudenken in die Gefühlswelt z.B. jener
Menschen in der St. Petersburger Region, die
selbst noch oder deren Eltern und Großeltern die
Blockade Leningrads in schrecklichster Erinnerung
haben und nunmehr wieder Panzer faktisch
vor ihren Toren wissen, darunter auch deutsche?
Die Haare sträuben sich bei all jenen, die die
russische Seele, die „russkaja dusha“ kennen und
lieben gelernt haben, und deren Sehnsucht nach
Frieden. Und das sind Viele von uns hier im Saale.
Schlimm und beängstigend für uns alle, dass
die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Bundeswehr
maßgeblich beteiligt ist, mittendrin
steckt in diesem die Welt bedrohenden neuerlichen
Chaos. Allein die Tatsache, dass sich die
Bundeswehr zum gegenwärtigen Zeitpunkt
(Stand Juli 2017) an insgesamt 15 Auslandseinsätzen
mit über 3200 Soldaten beteiligt und
der sogenannte Genehmigungswert für den
Rüstungsexport im Jahre 2016 der zweithöchste
jemals beschlossene war, - allein das ist Anlass
genug zu ernster Sorge.
Kein Wunder allerdings, wenn man sich das
„Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft
der Bundeswehr“ vom Jahre 2016 zu Gemüte
führt, welches für sich in Anspruch nimmt, das
„oberste sicherheitspolitische Grundlagendokument
Deutschlands“ zu sein.
In diesem Dokument ist nunmehr der Führungs-
und Machtanspruch Deutschlands
schwarz auf weiß geregelt, nachdem er von
Gauck, Merkel und von der Leyen wiederholt,
insbesondere seit der letzten Münchener Sicherheitskonferenz,
immer wieder proklamiert wurde.
In unterschiedlichen Formulierungen zieht sich
dieser Machtanspruch wie ein roter Faden durch
das gesamte Dokument, dabei auf die Lehren der
Vergangenheit verweisend, so als habe es den
vom deutschen Faschismus entfesselten 2. Weltkrieg
nie gegeben.
Wie ein Hohn mutet es an, wenn man liest:
„Die Staaten Europas haben – gemeinsam mit
den USA – auf dem europäischen Kontinent seit
dem Ende des Kalten Krieges eine einzigartige
Friedensordnung geschaffen“. Etwas einschränkend
folgt dann: „… auch wenn diese Friedensordnung
den Ausbruch vorübergehender, lokal
begrenzter gewaltsamer Auseinandersetzungen
in Europa nie ganz verhindern konnte ...“
Aha, so schlimm war es also gar nicht mit den
Balkankriegen in den 90er Jahren mit ihren nach
Hunderttausenden zählenden Toten! Makaber
aber wird es, wenn man im gleichen Atemzug
fortfährt:
„Durch seine auf der Krim und im Osten der
Ukraine zutage getretene Bereitschaft, die eigenen
Interessen auch gewaltsam durchzusetzen
und völkerrechtlich garantierte Grenzen einseitig
zu verschieben, stellt Russland die Europäische
Friedensordnung offen in Frage. Dies hat
tiefgreifende Folgen für die Sicherheit in Europa
und damit auch für die Sicherheit Deutschlands.
Russland wendet sich damit von einer engen
Partnerschaft mit dem Westen ab und betont
strategische Rivalität. Ohne eine grundlegende
Kursänderung wird Russland somit auf absehbare
Zeit eine Herausforderung für die Sicherheit
auf dem europäischen Kontinent.“
Da ist er wieder, der Feind Nr. 1!
Vergessen die Rede des russischen Präsidenten
vor dem Deutschen Bundestag im Jahre
2001, in der er Europa die Hand reichte und „eine
vollwertige Zusammenarbeit und Partnerschaft“
anbot.
Vergessen auch seine Rede auf der Münchener
Sicherheitskonferenz 2007, in der er deutlich
hervorhob, dass sich „Russland durch die amerikanische
Hegemonie und die NATO-Osterweiterung
bedroht sieht“.
Vergessen natürlich auch der Vorschlag Medwedjews
für einen europäischen Sicherheitsvertrag
aus dem Jahre 2008, der im Westen ohne
nennenswerte Resonanz blieb. Ja, so werden
Menschen für einen Krieg manipuliert.
Berthold Brecht drückte das mit der ihm eigenen
direkten Sprache einmal so aus:
„Die Kapitalisten reden vom Frieden, um den
Krieg führen zu können“.
Ernüchterndes Fazit aus alledem:
Die Lage in der Welt ist ernst. Wir leben in latenter
Kriegsgefahr. Die Gefahr der Ausweitung
lokaler Kriege und Konflikte zu einem Weltenbrand
ist groß.
Und ein unberechenbarer, nach Alleinherrschaft
strebender US-Präsident mit seinem Slogan
„America first“, der die „völlige Zerstörung“
ISOR aktuell Oktober 2017 Seite 3
ganzer Völker und Staaten“ androht, die Existenz
von weltweit 700 US-Stützpunkten und -Basen,
die Stationierung von ca.250.000 US-Soldaten
in 38 Ländern, machen das Ganze nicht sicherer.
Und ebenso ernüchternd wie makaber: Im
gerade zu Ende gegangenen „Wahlkampf“ zur
Wahl des Deutschen Bundestages kamen die
Worte Frieden und Kriegsgefahr, wenn überhaupt,
nur in Nebensätzen vor.
Nunmehr nach der Wahl meine Bitte an die
neuen Regierenden: Machen Sie die Erhaltung
des Friedens endlich zum Regierungsprogramm,
denn ohne Frieden ist alles andere nichts.
Was können wir tun?
Wir alle sind gefordert. Frieden, dieses oft gebrauchte,
edle Wort, muss uns mehr bedeuten als
Sehnsucht, Wunsch, Hoffnung.
Lasst es uns zu einem machtvollen Programm,
zu einer Aktion machen, wofür zu arbeiten und
zu kämpfen lohnt, zu einer Aktion, die Solidarität,
Hilfe und Unterstützung für alle Betroffenen in
Kriegs- und Krisengebieten, einschließt. Unser
Verband wird sich daran u.a. mit einer Spende
von 300 EUR für den Verein „FriedensbrückeKriegsopferhilfe
e.V.“ beteiligen.
Albert Einstein mahnte schon vor mehr als
100 Jahren: „Bloßes Lob des Friedens ist einfach,
aber wirkungslos. Was wir brauchen, ist Teilnahme
am Kampf gegen den Krieg und alles, was
zum Kriege führt.“
Ganz in diesem Sinne äußerte sich auch Georgi
Dimitroff: „Es genügt nicht, den Frieden zu
wollen, für den Frieden muss man kämpfen.“
Matthias Platzeck, Vorsitzender des DeutschRussischen
Forums, hat es, Egon Bahr zitierend,
aktualisierend auf die heutige Situation, auf den
Punkt gebracht, indem er allen, die gern die westliche
Wertegemeinschaft als das Non plus Ultra
preisen, ins Stammbuch schrieb:
„Nicht Demokratie und Menschenrechte, nicht
einmal die Freiheit, sondern der Frieden muss
global der oberste Wert bleiben.“
Unser „Verband zur Pflege der Traditionen
der NVA und der GT der DDR“ hat bereits vor
zwei Jahren anlässlich des 70. Jahrestages der
Befreiung vom Faschismus gemeinsam mit
ISOR einen vielbeachteten Aufruf „Soldaten für
den Frieden“ gestartet, dem sich mittlerweile
weit über 1000 Gleichgesinnte angeschlossen
haben und der in Ost und West eine erstaunliche
Resonanz gefunden hat.
Nunmehr, nach zwei Jahren, haben wir
eine Friedenspublikation veröffentlicht, in
der unter anderen 25 namhafte Militärs der
NVA und der Grenztruppen, Unterzeichner
jenes Aufrufes, erneut ein leidenschaftliches
Bekenntnis gegen den Krieg, für den Frieden
ablegen und ihren Stolz zum Ausdruck bringen,
in jener deutschen Armee gedient zu haben,
die keinen Krieg geführt hat, in der NVA der
DDR. Möge auch von unserer heutigen Veranstaltung
das Signal, der flammende Appell
ausgehen, alles nur Menschenmögliche gegen
den Krieg, für die Erhaltung des Friedens, zu
tun.
All das sagt ihnen ein ehemaliger Soldat, der
38 Jahre seines Lebens bewusst und überzeugt
in der NVA der DDR gedient hat, nachdem er,
damals noch im Kindesalter, den 2. Weltkrieg
erlebt, persönliches Leid erfahren, seinen Vater
verloren und den Krieg regelrecht hassen
gelernt hatte. Und dessen einzige Motivation,
Soldat zu werden es war, seinen bescheidenen
persönlichen Beitrag zur Erhaltung des Friedens
in der Welt leisten zu können.
Das ist uns, Soldaten des Friedens, gelungen.
So lange wir dienen durften, Seite an Seite
mit unseren Waffenbrüdern im Warschauer
Vertrag, mit dem verpflichtenden Auftrag, der
Menschheit den Frieden zu erhalten, hat es keinen
Krieg in Europa gegeben.
Und darauf bin ich, sind wir alle, ich meine
zu Recht, stolz.




Mittwoch, 18. Oktober 2017

Der unnütze Mensch

Entnommen: https://linkezeitung.de/2017/10/18/digital-last/

Digital last!

18. OKTOBER 2017
von Roland Rottenfußer

Innovationsopportunisten blasen zum Angriff auf unsere Kultur

Eigentlich ist es absurd: In Deutschland werden Tausende in die Armut getrieben, durch miese Renten und Löhne, überhöhte Mieten, Steuern und Abgaben. Überall auf der Welt brennt es, sterben und verhungern Menschen – und Politiker halten es für vordringlich, zu fordern, dass mehr Informationseinheiten im Datenverkehr in Nullen und Einsen umgerechnet werden. Kinder und Jugendliche können ihre Blicke schon jetzt kaum noch von den flimmernden Bildschirmen der Smartphones, Tablets und Notebooks lösen – und Christian Lindner fordert, zu Heilungszwecken die Dosis des Gifts zu erhöhen. Unsere Gesellschaft befindet sich im Würgegriff einer immer aggressiver agierenden Elektronikindustrie, sekundiert von ihren Lobbyisten in den Parteien, die im Chor das Mantra „Digitalisierung“ intonieren. Das Ziel der Kampagne ist nicht nur, Arbeitnehmerrechte aufzuweichen; intendiert ist eine Cyborg-Menschheit, die für die Zwecke der Wirtschaft leichter handhabbar ist.

„Digitalisierung“, sagte Christian Lindner. „Digitalisierung“ sagte Angela Merkel. „Digitalisierung“ sagten auch Horst Seehofer, Martin Schulz und Cem Özdemir. Vielfalt ist derzeit angesagt in der Angebotspalette der deutschen Politik. Keiner entgeht der Digitalisierung in diesen Tagen. Schon bekommt die strauchelnde SPD von den Presse-Meinungsführern wohlmeinende Ratschläge serviert: Statt der „Rezepte von gestern –Umverteilung und soziale Gerechtigkeit – solle sie sich lieber „modernen“ Themen widmen, die die Bürger „wirklich bewegen“: Sicherheit, Zuwanderung und das beklagenswerte Hinterherhinken Deutschlands in der Digitalisierungsfrage.

Was genau meint eigentlich „Digitalisierung“? Es scheint fast, als verstünde jeder etwas anderes darunter: Angela Merkel blieb – nicht untypisch für sie – eher im Ungefähren: „Durch den digitalen Fortschritt wird sich vieles ändern. Wir alle sehen das. Allein das Smartphone steht prototypisch dafür.“ Irgendwas mit Smartphones also. Martin Schulz ging es eher um schnellere Hochladezeiten beim Surfen: “Solange wir in Deutschland beim Ausbau des schnellen Internets nicht merklich vorankommen, bleibt die Digitalisierung eine akademische Debatte.”

Die Grünen geben sich in ihrem Wahlprogramm etwas kritischer: „Netzpolitik und Digitalisierung sind zentrale politische Querschnittsaufgaben für eine moderne Gesellschaft. Im Mittelpunkt stehen für uns der freie Zugang zum Netz für alle, der Schutz unserer Privatsphäre und persönlichen Daten, eine zukunftsfähige digitale Infrastruktur und eine modernisierte Wirtschaft und Verwaltung.“ Die eher schwammige Message: Wir wollen irgendwie auch modern sein, sind uns aber auch der Gefahr von Datenmissbrauch bewusst.

FDP: Bedenken second

So richtig Bescheid weiß natürlich nur die FDP, die die Digitalisierung zur zentralen Menschheitsaufgabe unserer Epoche erhoben hat und das Wahlvolk vor dem 24. September mit dem Denglisch-Klassiker „Ditschitäl först – Bedenken säkänd“ verstörte: „Selbst fahrende Autos, sich selbst steuernde Fabriken oder Ärzte, die über tausende Kilometer hinweg Operationen durchführen“ droht das FDP-Wahlprogramm an. „Der digitale Fortschritt verändert unser Privatleben, unserer Arbeitswelt und unsere Wirtschaft nachhaltig. Damit die Menschen die Chancen der Digitalisierung nutzen können, muss die Politik gezielt Zukunftsimpulse setzen. Eine unzureichende digitale Infrastruktur, zu starre Arbeitsgesetze, mangelnde Datenschutzregelungen und mittelmäßige digitale Bildung blockieren den Fortschritt.“

Was eigentlich haben Smartphones, ein schnelles Internet, Computer in Schulen und selbstfahrende Autos miteinander zu tun, außer dass alle diese Dinge ganz furchtbar hightechnisch sind? Hier muss man versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen: Merkel wie Lindner stellen zunächst fest: „Die Digitalisierung“ kommt und schafft Fakten. Diese Entwicklung ist nichts Gestaltbares, sondern bricht über die Menschheit herein wie ein Regenguss. Die Politik – und mithin die gesamte Menschheit – muss lediglich Wege finden, wie der Anpassungsprozess an „die Digitalisierung“ zu gestalten ist. Politiker räumen also offen ein, dass „Entwicklungen“ von den technischen Eliten vorgegeben werden, denen sie selbst nur noch folgen können. Das Problem für die Demokratie daran ist: Technische Eliten wurden vom Bürger nicht gewählt, so wenig wie Währungsspekulanten – dennoch beanspruchen beide Gruppen, Macht über Millionen Menschen auszuüben. „Alle Staatsgewalt geht von Computer-Nerds aus“ ist kein Artikel unserer Verfassung. Die „Unsichtbare Hand der Technik“ steuert jedoch faktisch – zusätzlich zu der des Marktes – unser aller Leben.

Das zweite, was die FDP in ihrem Wahlprogramm sagt, ist: In Zukunft machen Maschinen alles „selbst“: selbstfahrend, selbststeuernd, selbstorganisierend – Gipfelpunkt wäre das sich selbst schießende Selfie. Auch eine Werbeseite der Telekom bläst in dieses Horn: „Maschinen werden sich in der vernetzten Produktion zukünftig ‚unterhalten‘. Sie tauschen selbständig Daten aus, steuern ihre Arbeit automatisiert und sind damit flexibler einsetzbar.“

Indirekt ist damit gesagt: Menschen werden überflüssig, Arbeitsplätze werden abgebaut werden, nicht ohne dass man die arbeitslos Gewordenen hinterher eindringlich zu mehr Eigenverantwortung ermahnen wird.

Die lästigen „starren Arbeitsgesetze“

Der dritte Punkt ist im FDP-Text ein bisschen versteckt, man muss wachsam sein, um die Folgen zu begreifen: „zu starre Arbeitsgesetze“. Eine der Urängste der Marktradikalen bricht hier durch. „Zu starr“ meint: Arbeitnehmer haben gewöhnlich das Bedürfnis nach planbaren Tages- und Wochenabläufen, nach ausreichenden Einkünften über einen längeren Zeitraum. Dieser Anspruch ist Lindner und Konsorten jedoch ein Gräuel. Maßgeblich für die Arbeitszeitgestaltung, für Einstellung und Entlassung, darf für sie allein der Wille des Arbeitgebers sein. Menschengerechte Arbeitsplätze sind für Unternehmen ohnehin nicht zumutbar, Menschen überhaupt eher lästige Kostenfaktoren mit Besitzstandsdenken. Mit dem Gejammer muss jetzt Schluss sein. Das fordert unabweisbar – raten Sie! – „die Digitalisierung“.

Aber liegt da nicht ein Logikfehler vor? Wie sind wir überhaupt von Digitalisierung – irgendwas mit Smartphones, selbstfahrenden Autos und schnellerem Internet – zu flexiblen Arbeitszeiten gekommen? Diese Frage stellte sich der Linken-Bundestagsabgeordnete Michael Schlecht auch: Der meinte ketzerisch: „Ein 3-D-Drucker als solcher zwingt die Menschen zu gar nichts. Treiber sind die Unternehmen und ihr Interesse, dem die Digitalisierung dienen soll: mehr Rendite.“ Für ihn ist Digitalisierung „keine Naturgewalt, der wir uns beugen müssen, sondern die wir gestalten können.“ Nicht schlecht, Herr Schlecht. Aber Sie übersehen, dass bei der FDP, egal welche Verse gesungen werden, der Refrain immer gleich lautet: Abbau von Arbeitnehmerrechten für den Profit.


Auch der WDR meldete an, was Christian Lindner ja eigentlich nicht erlauben wollte: Bedenken. „Doch welche Konzepte hat die Partei? Offensichtlich keine, das lässt das ‚Bedenken second‘ erahnen. Denn Christian Lindner ist ja gegen Denken. Zumindest will er nichts bedenken. Der Wahlspruch der FDP macht deutlich: Lindner und seine Mannschaft wollen Bedenken abwerten.“ Aber bräuchte es nicht gerade Bedenken? Als einen generellen Fortschrittsfeind betrachte ich mich nicht. Ich bin über manche Errungenschaften, die ich erst im Erwachsenenalter nutzen konnte, sehr froh: über Emails vor allem. Es geht schlicht um die Freiheit, auszuwählen, welchen technischen Neuerungen wir uns anschließen wollen und welchen nicht. Besitzen wir diese Freiheit noch, oder haben wir sie bereits am Eingangsportal zum digitalen „Second Life“ abgegeben?

Eine Welt aus Nullen und Einsen

Im Kern meint Digitalisierung: Komplexe Informationen – etwa ein Foto, ein Text oder Musik – werden in unzählige „Entscheidungen“ zwischen Null und Eins zerlegt. Das binäre System. Auf diese Weise sind Informationen gut und ohne Qualitätsverluste transportabel, es können mehr von ihnen in kürzerer Zeit verarbeitet werden. Wir kennen alle die Vorteile: CDs sind im Vergleich zu Schallplatten reiner im Klang und auch bequemer handhabbar. Sie sind computerkompatibel. Digikameras speichern unzählige Bilder, die man nicht „zum Entwickeln bringen“ muss und die auf den Computer geladen werden können. In Bibliotheken erleichtert die Umwandlung von Analog in Digital, Informationen haltbar und besser „durchsuchbar“ zu machen, schließlich mehr Informationseinheiten auf engem Raum aufzubewahren.

Das ist ohne Zweifel „smart“. Aber man muss sich bewusst machen, dass auch hier wieder die Ökonomie die Puppen tanzen lässt. Unternehmer können mit Hilfe der Digitalisierung Zeit, Geld, Lagerplatz und Menschen einsparen. Und natürlich – Wachstum generieren: „Analysten zufolge soll die vierte industrielle Revolution in den nächsten zehn Jahren allein in Deutschland die Wertschöpfung um 80 Milliarden Euro erhöhen“, heißt es in einer Werbung der Telekom, die mit ihrem Digitalisierungsschub vor drei Jahren ein halbes Land tyrannisiert hat. Digitalisierung, das hieß für nicht wenige Kunden: quälende Stunden in Telefonwarteschleifen zu verbringen, Verzögerungen, Schikanen, Tage ohne Telefon- und Internetanschluss.

Verehrt wird der Kassettenrekorder, nicht die Musik

Nicht zum ersten Mal war ein Großkonzern rücksichtslos mit Innovationsopfern umgegangen, vermittelte den von ihm abhängigen Einzelmenschen ein Gefühl der Machtlosigkeit. „Widerstand ist zwecklos, Sie werden assimiliert werden.“ Heute beschränkt sich der Computer nicht mehr auf seine Kernkompetenz, etwa die Textverarbeitung. Es herrscht ein zwanghaftes Bedürfnis, alles mit Computern oder Smartphones in Verbindung zu bringen: den Kühlschrank, das Auto, den Bankverkehr, das Bezahlen an der Parkuhr, den Fernseher ohnehin. Wenn alle Lebensbereiche aber von einem oder zwei Geräten abhängig sind, verleiht das dem Gerätehersteller eine beängstigende Macht. Sich dieser Macht eilfertig zu unterwerfen, scheint vordringlichste Aufgabe „moderner“ Politik zu sein.

Viele Menschen definieren sich heute weitaus mehr über die „Kanäle“ als über die Inhalte, die mit diesen transportiert werden. In einem Beispiel: Man stelle sich Jugendliche in den späten 60ern vor, die nicht die Beatles oder Stones, sondern den Kassettenrekorder verehren, mit dem sie diese Musik abspielen können; die sich gar als „Kassettenrekorder-Generation“ bezeichnen lassen! Absurd? Aber so ähnlich sieht die Welt heute aus. Vielleicht liegt es auch daran, dass es für einen Lindner oder eine Merkel natürlich unbequem wäre, wenn die Menschen zu viel nachdächten. Bedenken second. Lieber sind ihnen Bürger, die sich verzetteln in unzähligen bedeutungsarmen Kommunikationsvorgängen. Unter den Politikern habe ich bisher nur von Sahra Wagenknecht Klagen darüber gehört, dass Schüler heute aufwachsen, ohne mit Goethes „Faust“ und Thomas Manns „Zauberberg“ vertraut zu sein. Über Inhalte wird ohnehin nur noch wenig geredet, eher darüber, wie man Content streamt oder downloadet. Das Mittel drängt den Zweck an den Rand. Wir sind auf dem Marsch zur Weltherrschaft des Sekundären.

Das digitale Klassenzimmer – Angriff auf die Kinderseele

Will man eine Gesellschaft im erwünschten Sinn verändern, greift man am besten auf die Seelen von Kindern und jungen Leuten zu. Bei denen rennt man mit allem, was irgendwie mit Technik zu tun hat, ohnehin offene Türen ein. Kinder lieben auch pappige Süßigkeiten mit Farbstoff und Unmengen zuckriger Limonade. In der Verantwortung von Älteren und auch der Politik läge es jedoch, ihnen einen maßvollen Umgang mit Suchtmitteln nahezubringen. Nicht so bei technischen Geräten, denn deren maßloser Gebrauch hilft ja „der Wirtschaft“, also jenem Götzen, dem alle opfern zu müssen meinen, solange er gilt. Ein „Schulpakt Digital“, so wurde im Juni gemeldet, solle fünf Milliarden für neue Hardware in Schulen ausgeben – das war noch vor der Wahl und vor der Regierung „Merkel/Linder“.

Liegt darin der Königsweg, um Kinderseelen wettbewerbsfähig zu kneten? Ralf Lankau, Professor für Medientheorie, zeigte in seinem Buch „Kein Mensch lernt digital“ anhand einer Reihe von Studien auf, dass Digitalisierung im Unterricht oft mehr schadet als nützt. Es sei nicht „Aufgabe von öffentlichen bzw. staatlichen Bildungseinrichtungen, Kindern und Jugendlichen den Gebrauch von Geräten der Unterhaltungsindustrie beizubringen – das können sie schon – oder den medialen Konsum zu fördern. Sie nutzen digitale Endgeräte bereits mehrere Stunden täglich – und gewöhnen sich an die Fremdbestimmung durch Algorithmen, Apps und Avatare.“ Zu den Gründen für die druckvolle derzeitige Digitalisierungskampagne sagte Lankau: „Es geht, ganz trivial, um Märkte. Es geht um Geschäftsfelder und vor allem um den Zugriff auf Nutzer- und Lerndaten.“

Systemmedien machen derzeit sehr massiv Kampagne für eine Lindnerisierung des Bildungswesens. Der Spiegel (Nr. 39/2017) natürlich allen voran mit einem umfassenden Schulbericht. Da wird dem „Problem“ (Unterdigitalisierung in Schulen) dann gleich eine Lösung (lobenswerte Digitalisierungsbereitschaft) gegenübergestellt. „Vorher“, in der Digi-Steinzeit, sah es noch schlimm aus: „Ein Computerraum findet sich zwar an vielen Schulen, aber im Unterricht sind Computer und Tablets oft Fremdkörper, Smartphones in den allermeisten Fällen verboten“. Anders der vom „Spiegel“ erkorene Vorzeigelehrer Tobias Weigelt: „Das gibt es in seiner Schule nicht. Im Gegenteil: Wer ohne Tablet, Laptop oder Smartphone zum Unterricht erscheint, muss sich schleunigst eines der Ersatzgeräte holen, die an der Schule für solche Fälle bereitliegen.“ Moderne Lehrer „laden ihre Lösungen hoch, posten die Hausaufgaben“. Brave Schüler 4.0 „chatten gelegentlich mit ihren Lehrern“ oder loaden eine vom Lehrer gepostete Quiz-Software down. Dort lösen sie Multiple-Choice-Aufgaben im Wettbewerbsmodus. Und wenn einige von ihnen die Lösung früher als nötig gefunden haben, ist nicht etwa eine Pause angesagt, nein: „Wer schneller mit einer Aufgabe fertig ist, erhält übers Smartphone oder Tablet zusätzlichen Lernstoff.“

In der digitalen Einzelzelle

Das Medium ist die Botschaft“ ist der Slogan einer inhaltlich weitgehend ausgehöhlten Epoche. Logischerweise fördern Computer und Smartphones eher das schnelle Abfragen von Faktenwissen, sie erschweren Vertiefung, vernetztes Denken, das selbständige Herstellen von Zusammenhängen und – von Digitalisierungsbefürwortern besonders gefürchtet – kritisches Denken. Nehmen wir an, Schüler sollen im Unterricht die Frage beantworten: „Ist Stefan Zweigs ‚Schachnovelle‘ eine Novelle, eine Kurzgeschichte, ein Gedicht oder ein Zeitungsartikel?“ – ist es dann für den Lernerfolg entscheidend, ob die Frage per Handzettel, Email, Chatfunktion, ICQ oder What’s App, ob sie mündlich, per Kreideschrift an der Tafel, per Handy, Smartphone, Tablet, Notebook oder Großcomputer gestellt wird? Wichtig ist doch, ob die Schüler sie richtig beantworten können. Noch wichtiger eigentlich (aber nicht Gegenstand des „Spiegel“-Artikels): ob Schüler das Wesen der Novelle begriffen haben und sich selbstständig Gedanken über das betreffende Werk gemacht haben.

Das geht dann in Universitäten so weiter. Bernd Ulrich, Chef des Verlags „Auditorium Netzwerk“ (55), besuchte nach langen Jahren einmal wieder als Gast eine Uni-Vorlesung. Sein Urteil über die Veränderungen, die es seither im Universitätsbetrieb gegeben hat: „Science fiction“. Vor allem wunderte sich der Diplom-Pädagoge über die Überpräsenz von Bildschirmmedien am Campus. „Fast jeder und jede der ca. 150 Studierenden hatte entweder einen Laptop oder ein Notebook vor sich stehen.“ Kein Mitschreiben mit Stift und Papier, keine physischen Flyer mehr, der Vorlesungsinhalt kann mühelos downgeloadet werden. Das hat große Vorteile, auf der Strecke bleibt aber der Kontakt unter den Studierenden sowie zwischen Studierenden und Lehrkräften. „Als ich im Hörsaal saß damals als Student, wir haben schon miteinander getuschelt oder irgendwie Kontakt gemacht, oder den Prof. angeschaut (…) Ich hab mal geschaut, ob das auch der Fall war an diesem Morgen. Ich hab‘s selten gesehen. Der Bildschirm fokussierte die Aufmerksamkeit.“

Digitalisierung also vereinfacht einige Vorgänge; aber der Preis dafür ist hoch: Die Aufmerksamkeit wird gleichgerichtet – um nicht zu sagen gleichgeschaltet – und auf das Bildschirmmedium fokussiert, während Menschen voneinander zunehmend entfremdet werden. Nicht nur das bei allen Lehrern traditionell verhasste „Schwätzen“ wird erschwert, auch der eigentlich erwünschte direkte Lehrer-Schüler-Dialog. Ist es Zufall, dass gerade dieser Menschentyp derzeit gezüchtet wird: in Aufmerksamkeitsblasen eingesperrte, voneinander isolierte Individuen, beziehungsarm, technikabhängig, steuerbar, überangepasst? Sind solche Erziehungsergebnisse etwa erwünscht, weil sie die Handhabbarkeit des Menschen in ökonomischen Verwertungszusammenhängen erleichtert? Grenzenlos flexibles Arbeitnehmermaterial, das sich in einem gnadenlosen Wettbewerb jeder gegen jeden um die wenigen Arbeitsplätze aufreibt, die die Roboter noch übrig lassen werden. Ja, schlimmer noch: Menschen, die selbst zunehmend roboterhaft agieren, an denen Maschinen-Applikationen wie Smartphones und GPS-Uhren fast so unlösbar festmontiert sind wie bei den Cyborgs in gewissen Science-fiction-Filmen.

Omnipräsentes Spielzeug: „Widerstand ist zwecklos“

Ist es möglich, den Trend noch zu stoppen oder wenigstens dessen schlimmste Auswüchse zu verhindern? Einige Schnapsideen früherer Zeiten wurden vom „Zeitgeist“ mittlerweile zum Glück wieder kassiert: Tamagotchis z.B.: elektronische Haustiere, die man elektronisch „füttern“ musste. Oder die Online-Plattform „Second Life“, von der es in der kurzen Zeit des Hypes 2003 hieß, niemand mehr werde sich künftig dem gesellschaftlichen Druck entziehen können, dort virtuell präsent zu sein. Man hört heute nichts mehr von Mini-Discs oder von dem Multi-User-Kommunikationsdienst „ICQ“. Im Gegensatz zu diesen Rohrkrepierern haben sich Smartphones allerdings heute auf breiter Front und nachhaltig durchgesetzt. Die Käufer haben quasi mit den Füßen darüber abgestimmt, dass aus dieser Idee ein kulturprägendes Werkzeug werden konnte.

Allerdings handelte es sich um eine gelenkte Form „spontaner Begeisterung“. Irritierend ist die Aufdringlichkeit der Verkaufsstrategie, so als könnten die Hersteller weiße Flecken auf der Vermarktungslandkarte nicht ertragen. Als wolle man noch die letzte smartphonefreie Zone um jeden Preis eingemeinden. In der „Fack ju Göthe“-Ära ist ein Haushalt ohne Buch ohne weiteres erlaubt; ein Mensch ohne Smartphone muss sich dagegen ständiger Vorwürfe und Umerziehungsversuche erwehren. Interessant ist in diesem Zusammenhang der jetzt verfilmte dystopische Roman „The Circle“ von Dave Eggers, der von einem großen Elektronikkonzern (ähnlich facebook) erzählt. Es gibt im Roman einen „Konservativen“, einen Technikverweigerer namens Mercer, der dramaturgisch so etwas wie das Sprachrohr des Autors ist. Mercer sagt an einer Stelle treffend: „Ihr wollt nicht bloß eure Daten, ihr brauch auch meine. Ohne seid ihr nicht vollständig. Das ist eine Krankheit“.


Lebt auch mal wieder offline!

Digitalisierung, Lindners Supergrundrecht, wird derzeit auf allen Kanälen in der bewährten Weise auf die Tagesordnung gedrückt: durch das Schüren von Angst. Deutschland sei in puncto Digitalisierung bestenfalls im Mittelfeld, es gehöre aber – wie in naivem ökonomischem Patriotismus vorausgesetzt wird – an die Weltspitze. Leistungsfähigere Völker des Ostens könnten uns im Schicksalskampf um (virtuellen) Lebensraum überholen. Deutschland – der schlimmste Vorwurf in einer innovationsopportunistischen Gesellschaft – sehe „alt aus“.

Digitalisierungsbefürworter erwecken stets den Eindruck, als hätten sie die Lebenstüchtigkeit und den praktischen Verstand gepachtet. Dabei ziehen sie eine Spur der Verwüstung durch die Seelen von Millionen Menschen. Der blassgesichtige Jugendliche, fahrig in den Bewegungen, den verschwommenen Blick stets auf irgendwelche flimmernden Bildschirme gerichtet – es ist ein Klischee, ja, aber keines, das ganz ohne Grund entstanden ist. Nennen wir die Dinge doch beim Namen: Es gibt des Virtuellen und Digitalen eigentlich schon längst zu viel. Wer unter diesen Umständen mehr „Maschinen“ im Unterricht fordert, muss sich vorwerfen lassen, eine Realität zu leugnen, die in puncto psychosozialer Gesundheit längst das Gegenteil verlangen würde: digitale Auszeiten, Technikfasten, eine Vermehrung der offline verbrachten Zeit aus Gründen des Selbstschutzes. Dort, wo übermäßige Nutzung bei Tausenden in Sucht umschlägt, wird der Ruf nach mehr Technik sogar gemeingefährlich. Drastisch ausgedrückt ist er Komplizenschaft mit Dealern. Es bräuchte die politische Ermutigung zu kollektivem Entzug, nicht die staatlich gepushte Anschaffung von noch mehr Suchtmitteln.

Im Buch „The Circle“ gibt es gegen Ende ein wichtiges Gespräch zwischen der Hauptakteurin Mae und Ty, dem Gründer und technischen Mastermind der Firma. Der würde die Geister, die er rief, nun am liebsten wieder loswerden: „Mae, eine ganze Menge von den Sachen, die ich erfunden habe, hab ich ehrlich aus Spaß gemacht, aus einer spielerischen Neugier heraus, ob sie funktionieren würden oder nicht, ob Leute sie benutzen würden. Ich meine, es war, als würde man auf dem Marktplatz eine Guillotine aufstellen. Du rechnest doch nicht damit, dass zig Leute Schlange stehen, um den Kopf reinzulegen.“
In der Digitalisierungsrepublik Deutschland ist die Schlange mittlerweile ziemlich lang geworden.

Roland Rottenfußer, Jahrgang 1963, war nach dem Germanistikstudium als Buchlektor und Journalist für verschiedene Verlage tätig. Von 2001 bis 2005 Redakteur beim spirituellen Magazin connection, später für den Zeitpunkt“. Aktuell arbeitet er als Lektor, Buch-Werbetexter und Autorenscout für den Goldmann Verlag. Seit 2006 ist er Chefredakteur von Hinter den Schlagzeilen.
https://www.rubikon.news/artikel/digital-last 



Teilen mit:



Dienstag, 17. Oktober 2017

Neues über EISZEIT-BLÜTEN-BUCH

"EISZEIT-BLÜTEN" ab sofort mit größerer Schrift


Harry Popow: „EISZEIT-BLÜTEN. ROTE-NELKEN-GRÜßE AUS BLÜHENDEN LANDSCHAFTEN“, Taschenbuch: 508 Seiten, Verlag: Independently published (17. September 2017), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 1549766864, ISBN-13: 978-1549766862, Größe und/oder Gewicht: 14 x 3,2 x 21,6 cm, Preis: 12,50 Euro

USA-Krise als Brandbeschleuniger


Trump, der Iran und das Streben der USA nach Weltherrschaft


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 17. OKTOBER 2017


von Keith Jones – http://www.wsws.org

Am Freitag hatte US-Präsident Donald Trump am Ende einer aggressiven und unaufrichtigen Rede angekündigt, er werde das Atomabkommen mit dem Iran von 2015 aufkündigen, wenn es nicht nach den Vorgaben der USA umgeschrieben wird.

Die Rede war beispielhaft für die Arroganz und Kriminalität der herrschenden Klasse in den USA. Trump warf dem Iran vor, er würde „im Nahen Osten und darüber hinaus Konflikte, Terror und Unruhe schüren“. Und das aus dem Munde des Präsidenten jenes Landes, das unendliches Leid über die Bevölkerung des Nahen Ostens gebracht hat! Die US-Angriffskriege in Afghanistan, dem Irak, Libyen und Syrien haben Millionen Menschen das Leben gekostet, weitere Millionen zu Flüchtlingen gemacht und ganze Gesellschaften zerstört.

Trump verurteilte die iranische Revolution von 1979, erklärte den von Klerikern regierten bürgerlichen Staat Iran in der Weltpolitik für vogelfrei und stellte die USA als Beschützer der demokratischen Rechte des iranischen Volkes dar.

Doch die iranische Bevölkerung hat nicht vergessen, dass die CIA 1953 einen Putsch gegen den gewählten Präsidenten Mohammad Mossaddegh organisiert und die brutale Diktatur des Schahs installiert hat, die von Washington 25 Jahre lang an der Macht gehalten wurde. Ebenso wenig hat sie vergessen, dass die USA in den letzten vier Jahrzehnten eine unerbittliche Kampagne gegen den Iran geführt haben. Sie haben dem Land immer wieder mit Krieg gedroht, Bagdad im Ersten Golfkrieg von 1980–1988 unterstützt und verheerende Wirtschaftssanktionen verhängt, die unter Obama in einen offenen Wirtschaftskrieg mündeten.

Trump hat deutlich gemacht, dass er nicht über seine Forderungen nach „Korrekturen“ der „vielen Fehler“ des Atomabkommens verhandeln wird. Sie sind faktisch ein Ultimatum an Teheran, sich einseitig zu entwaffnen, während die USA eine ganze Armada von Schiffen im Persischen Golf stationiert haben und ihre Verbündeten Saudi-Arabien und Israel bis an die Zähne bewaffnen. Der Iran müsste außerdem dauerhafte Einschränkungen seiner Souveränität und seine faktische Degradierung zu einem Vasallenstaat hinnehmen.

Die USA fordern vom Iran, die strengen Einschränkungen seines zivilen Atomprogramms dauerhaft festzuschreiben, statt sie elf Jahre nach Abschluss des Abkommens zu lockern; den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde ungehinderten Zugang zu militärischen Einrichtungen zu geben; und sein Raketenprogramm einzustellen.

Die europäischen Regierungschefs reagierten verärgert auf Washingtons Vorstoß. Sie werfen Trump vor, sich nicht an geltendes Gesetz zu halten, ein atomares Wettrüsten weltweit zu befeuern und die Kriegsgefahr im Nahen Osten und auf der koreanischen Halbinsel zu verschärfen. Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel warnte, wenn die USA auf diesem Weg beharren, würden sie „die Europäer in der Iran-Frage in eine gemeinsame Position mit Russland und China gegen die USA bringen“.

Es ist noch unklar, was als nächstes passiert. Ein Großteil des amerikanischen politischen Establishments und des Militär- und Sicherheitsapparats, einschließlich Trumps höchster Berater Verteidigungsminister James Mattis, Außenminister Rex Tillerson und der Nationale Sicherheitsberater H.R. McMaster, haben Trump davon abgeraten, das Abkommen mit dem Iran aufzukündigen. Mattis und Generalstabschef Joseph Dunford hatten letzte Woche vor dem Kongress zugegeben, dass sich der Iran an das Atomabkommen hält, und erklärt, dessen Fortbestand sei im Interesse der USA.

Trumps Generäle sind keineswegs weniger entschlossen, den Iran zu unterwerfen und die Hegemonie der USA über den Nahen Osten – der wichtigsten Erdöl exportierenden Region der Welt und einer strategischen Achse zwischen Asien, Afrika und Europa – zu sichern.

Auch bei Trumps Kritikern in den Reihen der Demokratischen Partei und den Medien sieht es nicht anders aus. Die New York Times und die Washington Post haben immer wieder zu einer aggressiveren militärischen und diplomatischen Offensive gegen den Iran gedrängt, vor allem in Syrien, wo Teheran eine wichtige Rolle bei der Niederlage der US-gestützten islamistischen Kräfte gespielt hat. Die Washington Post schrieb am Sonntag in ihrem Leitartikel unter der Überschrift „Trump hat einen gefährlichen Kurs gegenüber dem Iran eingeschlagen“, der Präsident habe eine „geopolitische Dummheit“ begangen, und warf ihm vor, er habe „keinen klaren Plan, was er gegen die militärische Festigung des Iran in Syrien tun kann, die einen neuen Konflikt mit Israel auslösen könnte“.

Die Differenzen in der herrschenden Elite sind zwar scharf, aber ausschließlich taktischer Natur. Sie drehen sich um die Frage nach dem geeigneten Ziel und Timing des nächsten US-Kriegs. Gleichzeitig wachsen die Sorgen, ein Showdown mit dem Iran könnte Washingtons militärisch-strategische Offensive gegen China und Russland schaden und die Spannungen mit Amerikas traditionellen europäischen Verbündeten verschärfen. Diese spielen durch die Nato weiterhin eine wichtige Rolle bei der internationalen Durchsetzung amerikanischer Machtinteressen, vor allem gegen Russland.

Der Widerstand gegen Trumps Plan, das Abkommen mit dem Iran aufzukündigen, steht im Kontext des internen politischen Kampfs in Washington, der sich mittlerweile so weit verschärft hat, dass offen darüber diskutiert wird, Trump unter Einsatz des 25. Zusatzartikels der Verfassung abzusetzen.

Trump plant außerdem, die Vorherrschaft der Wall Street über das globale Bankensystem und den Zugang zu den amerikanischen Märkten als Druckmittel zu benutzen, um die Europäer zu neuen Sanktionen gegen Teheran zu zwingen. Somit droht die Iran-Frage, die schon jetzt heftigen wirtschaftlichen Konflikte zwischen den USA und Europa, vor allem Deutschland, noch weiter anzuheizen. Die europäischen Mächte sprechen bereits von Vergeltungsmaßnahmen.

In ihren internationalen Raubzügen stehen die europäischen Imperialisten den USA jedoch in nichts nach. Sie waren wichtige Partner Washingtons im Wirtschaftskrieg gegen den Iran. Doch der neuerliche Konfrontationskurs der USA gegen Teheran bedroht ihre eigenen Pläne, Milliarden in den Iran zu investieren und das Land mit den viertgrößten Ölreserven und den größten Erdgasvorkommen der Welt wirtschaftlich auszunutzen. Zudem fürchten sie aufgrund ihrer Nähe zum Nahen Osten und ihrer Abhängigkeit von Ölimporten aus der Region die destabilisierenden Folgen eines weiteren US-Kriegs, in den schnell auch Atommächte wie Russland und China hineingezogen werden könnten.

Trumps Politik wirkt wie ein Brandbeschleuniger, aber die eigentliche Ursache für die Konflikte innerhalb der herrschenden Elite über den Kurs gegenüber dem Iran und die allgemeine imperialistische Strategie ist die tiefe politische Krise in den USA. Seit der Auflösung der Sowjetunion hat Amerika versucht, den Niedergang seiner wirtschaftlichen Stärke durch Angriffskriege auszugleichen. Doch diese Politik ist gescheitert.

Die USA haben in ihrem Streben nach Weltherrschaft den Nahen Osten verwüstet. Der Iran war eines der Hauptziele amerikanischer Aggression. Doch obwohl US-Truppen beide Nachbarstaaten Afghanistan und den Irak besetzten, konnte der Iran seinen Einfluss ausweiten. Gleichzeitig haben sich Russland und China zu wichtigen wirtschaftlichen und geopolitischen Akteuren im Nahen Osten entwickelt und dort Washingtons Pläne in Syrien durchkreuzt. Wie zuvor in Libyen versuchen die USA die syrische Regierung durch islamistische Stellvertretertruppen zu stürzen.

Der US-Imperialismus reagiert auf diese Rückschläge, indem er seine Kriegspläne verschärft und sich direkt gegen seine wichtigsten Rivalen stellt, vor allem gegen Russland und China. Europa und Japan betreiben ihrerseits eine rasante militärische Aufrüstung, um ihre eigenen imperialistischen Interessen gegen die USA durchzusetzen.

Die Menschheit ist mit der realen und akuten Gefahr konfrontiert, von den imperialistischen Mächten in einen Dritten Weltkrieg gezogen zu werden, in dem auch Atomwaffen zum Einsatz kommen würden.

In den herrschenden Klassen der Großmächte gibt es keine „Friedensfraktion“. Die einzige gesellschaftliche Kraft, die den Kurs auf eine nukleare Massenvernichtung aufhalten kann, ist die internationale Arbeiterklasse. Sie muss auf der Grundlage eines sozialistischen und internationalistischen Programms mobilisiert werden, um für die Abschaffung des Kapitalismus, der Ursache von Krieg, sozialer Ungleichheit und Diktatur, zu kämpfen. Das Internationale Komitee der Vierten Internationale baut eine internationale Antikriegsbewegung auf, die sich auf diese revolutionäre Perspektive stützt.

http://www.wsws.org/de/articles/2017/10/17/iran-o17.html