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Blut und blöder
Zum Kinostart der Filmkomödie »Vorwärts immer!«
Von Matthias Krauß
Frühjahr 1986, Studentenfete in Leipzig. Als Absolvent der Sektion Journalistik war ich für den Start ins Berufsleben nach Potsdam vermittelt worden, genau wie ein Absolvent der Theaterhochschule »Hans Otto«. In welchem Stadtteil er denn wohnen werde, fragte ich diesen Schauspieler. Ach, in Babelsberg. Kleiststraße 3? Ja, ich auch.
Jörg Schüttauf wohnte im Dachgeschoss. Bei ihm drang das Wasser von oben ein, bei mir im Parterre kam die Feuchtigkeit aus dem Keller. Wir haben in jenen Jahren häufig mal einige Gläser zusammen geleert. Er führte berechtigte Klage über die Zustände im Honecker-Staat, und ich bemühte mich, ihm darzulegen, dass der Sozialismus bei alldem seine Vorzüge hat und es sich lohnt, um ihn zu kämpfen. Wir haben uns wohl beide prächtig amüsiert. Dass Schüttauf einmal den Politiker Honecker spielen würde, war unvorstellbar.
Nun ist »Vorwärts immer!« mit ihm in dieser Rolle in die Kinos gekommen. Wie soll das funktionieren? fragt man sich unwillkürlich, die Gesichtszüge des »Zitronenmündchens« (Eberhard Esche über Honecker) und die rustikalen des Jörg Schüttauf sind kaum zu verwechseln. Zumal der Arbeiterjunge aus dem Saarland eher schmächtig war und der Arbeiterjunge aus Karl-Marx-Stadt eher stattlich ist. Aber simple Attribute wie Brille, Hut, Frisur reichen, und der Honecker-Schüttauf wird abgenommen. Auch Brecht besetzte gegen den Typ.
Die Story von »Vorwärts immer!«: Um Schlimmeres zu verhindern, macht sich der Schauspieler Otto Wolf in den letzten Tagen der DDR seine Ähnlichkeit mit Staatschef Honecker zunutze und dringt in dessen Arbeits- und Privatsphäre ein mit dem Ziel, den friedlichen Verlauf der Entwicklungen zu sichern. Das führt zu komischen Verwicklungen, nichts klappt auf Anhieb und alles kommt immer ganz anders. Schließlich landet Otto in Margots Schlafzimmer. Der »echte« Honecker mischt auch noch mit, so dass für Turbulenzen gesorgt ist.
»Von allen Geistern, die verneinen, ist mir der Schalk am wenigsten zur Last«, lässt Goethe im »Faust« den Herrgott sagen. Von allen Filmen, die mit der DDR abrechnen, sind die Klamotten noch die erträglichsten, möchte man abwandeln. Die Pointen des Film sitzen, er ist schwungvoll inszeniert und geschnitten, sehr anspruchsvoll geht es nicht zu. Honeckers Nuscheln oder die Schneidezähne des Egon Krenz sind der Stoff, aus dem die Pointen gemacht sind. Eine Gelegenheit mehr, diese Politiker als Idioten vorzuführen, als Hanswürste im Fürchterlichen. Margot Honecker (Hedi Kriegeskotte) zieht als Schneekönigin die Fäden, an denen ein seniler Erich zappelt. Die Staatssicherheit darf nicht fehlen, vorgeführt als Mix aus Blödheit und Blutgier, immerhin wird die Lust am Genickschuss zur Abwechslung von einer Frau verkörpert.
Wenn es diesen Leuten Spaß macht, auf dem toten Löwen herumzuhüpfen, dann sollen sie es tun. Ein Lustspiel lebt von Verzerrungen, Überdrehungen, mitunter von reinem Blödsinn. Den deutschen Aufarbeitern wird der Film gefallen, er hantiert mit den groben geistigen Klötzen, aus denen ihre Kirche errichtet ist: Einst war es schlecht, heut’ ist es gut. Zwei DDR-Jungen treten auf, sich sehnend nach einem Leben, in dem niemand ihnen etwas vorschreiben kann. Welches Leben sie nach der Wende auch geführt haben mögen – ein solches ganz bestimmt nicht. Millionen Ostdeutsche sind nach 1990 in Zwänge geraten, von deren Existenz sie sich bis dahin keine Vorstellung machen konnten. Die Bedrückung wurde für sie mehr ausgewechselt als abgeschafft. Wann werden sich Deutschlands Filmschaffende mal dieser Wahrheit stellen?
Soweit läuft noch das Übliche ab, in Grenzen unterhaltsam, nicht weiter der Rede wert. Ein komischer Film hat vielleicht sogar Anspruch darauf, nicht allzu ernst genommen zu werden. Allerdings kommt hier noch etwas Schwerwiegendes ins Spiel. »Vorwärts immer!« basiert auf der ernsthaft vorgebrachten Behauptung, die DDR-Führung habe im Herbst 1989 den Befehl gegeben, friedliche Demonstranten in Leipzig zu erschießen. Das setzt und hält die Handlung in Gang. Und hier hört der Spaß auf. Diesen Befehl gab es nicht, auch wenn die deutsche Aufarbeitungsindustrie Gold und Perlen für einen diesbezüglichen Beweis bezahlen würde. Jörg Schüttauf hätte wissen können, wessen Geschäft er hier betreibt. Dass er sich für ein solches Produkt hergegeben hat, ist enttäuschend. Ich hatte gehofft, mit meinen Appellen in der feuchten Wohnung vor 30 Jahren mehr durchgedrungen zu sein.
Als er in der DDR zur Schule ging, stand das Drama »Professor Mamlock« auf dem Pflichtprogramm. Darin lässt der Dichter Friedrich Wolf den jüdischen Professor sagen: »Man hat im Kampf auch den schärfsten Gegner zu achten und ihm nicht Infamien zuzutrauen, deren man vielleicht selbst fähig ist.«
Wenn im Film »Vorwärts immer!« die Künstlerin Josefine Preuß die neue Zeit als liebende deutsche Mutter empfängt, deren Kind nicht im DDR-Elend, sondern in der lichten Freiheit aufwachsen soll, dann kann ein künstlerisches Bild kaum stärker verunglücken bzw. mit der geschichtlichen Wirklichkeit kollidieren. Denn Kinder bekamen die Leute in der DDR und nicht in der 1990 errungenen »Freiheit«. Auf die reagierten die Ostdeutschen mit einem Gebärstreik, der in der Weltgeschichte seinesgleichen sucht. In den zehn Jahren vor der Wende sind anderthalb Millionen ostdeutsche Kinder mehr geboren worden als in den zehn Jahren danach.
Auch wenn noch 300 solcher Streifen »auf den Markt geworfen« werden, sie schaffen die historischen Tatsachen nicht aus der Welt. Und der Sieg der Vernunft wird der Sieg der Vernünftigen sein.
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