Mittwoch, 30. Oktober 2024

In Kasan hat sich die Weltordnung gewendet - LZ

 Entnommen: https://linkezeitung.de/2024/10/30/in-kasan-hat-sich-die-weltordnung-gewendet/

In Kasan hat sich die Weltordnung gewendet

VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 30. OKTOBER 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR


von Thierry Meyssan – http://www.voltairenet.org

Der BRICS-Gipfel in Kasan hat das Ende der Vorherrschaft der G7 über die Welt eingeläutet. Die angelsächsischen Regeln, die die internationalen Beziehungen organisierten, werden nach und nach durch die von jeder Partei eingegangenen Verpflichtungen, die nun eingehalten werden müssen, ersetzt werden. Diese Revolution führt uns zurück zu den Versuchen Russlands und Frankreichs im Jahr 1899, ein Völkerrecht zu begründen, welches durch die Atlantikkonferenz und das Doppel-Monopol Vereinigte-Staaten/Vereinigtes Königreich untergraben wurde.

Vom 22. bis 24. Oktober 2024 hat in Kasan (Russland) der XVI. Gipfel der erweiterten BRICS-Staaten stattgefunden [1]. Neben den neun Staats- und Regierungschefs, die dieser Organisation bereits angehören, haben elf weitere teilgenommen, und etwa zwanzig weitere Staaten haben ihre Beitrittsanträge eingereicht.

Dieses Ereignis ist der Höhepunkt der Strategie, die 2009 vom brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, dem russischen Regierungspräsidenten Wladimir Putin, dem indischen Premierminister Manmohan Singh und dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao begonnen wurde. Diese vier Männer hatten eine Vorstellung von internationalen Beziehungen auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen, die es jedem Land ermöglichen, sich zu entwickeln. Für sie ging es nicht darum, sich gegen den westlichen Imperialismus der G8 zu wehren (der Russland bis zum westlichen Staatsstreich auf dem Maidan angehörte), sondern einen anderen Weg zu beschreiten, ohne die Angelsachsen.

Wladimir Putin hat bei der Schaffung dieses Korpus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit eine zentrale Rolle gespielt, so wie Zar Nikolaus II. 1899 bei der Erfindung des Völkerrechts eine solche gespielt hatte [2]. Es war Putin, der den ersten Gipfel in Jekaterinburg organisiert hat, obwohl es Präsident Dmitri Medwedew war, der Russland dort vertrat.

In einem Interview anlässlich des Kasan-Gipfels bekräftigte Wladimir Putin unter Berufung auf die Worte des indischen Premierministers Narendra Modi, dass „die BRICS-Staaten keine antiwestliche, sondern eine nicht-westliche Organisation sind“.

In ihrer Abschlusserklärung befassen sich die Staats- und Regierungschefs mit vier unterschiedlichen Themen [3]:
• Multilateralismus;
• Zusammenarbeit für Stabilität und Sicherheit;
• Wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit;
• Zwischenmenschlicher Austausch.

Multilateralismus

Nachdem sie bemerkt haben, dass unabhängig von den westlichen Machtzentren neue Zentren entstehen, bekräftigen sie ihr Bekenntnis zur Charta der Vereinten Nationen, an deren Ausarbeitung alle beteiligt waren, mit Ausnahme der Vereinigten Arabischen Emirate, die ja noch nicht unabhängig waren. Dann plädieren sie für eine Reform der UNO und ihrer Agenturen, damit sich ihre Institutionen an die aktuelle Welt anpassen und neue Mächte integrieren. Sie nennen zwar kein Datum für eine Reform des UN-Sicherheitsrats und des Internationalen Währungsfonds (IWF), setzen aber eine Frist bis 2025 für die Reform der Welthandelsorganisation (WTO) und des Direktoriums der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD).

Sie bewerten die außerhalb des Sicherheitsrats getroffenen „Sanktionen“, ob nun politischer oder wirtschaftlicher Natur, als „illegale einseitige Zwangsmaßnahmen“.

Sie unterstützen die Arbeit des Weltklimarats (IPCC), kommentieren aber nicht die Schlussfolgerungen, die der Westen daraus zieht. Sie erklären sich zutiefst besorgt über seine Versuche, die Sicherheit mit der Agenda des Klimawandels zu verknüpfen. Später im Text (§ 83) verurteilen sie die Nutzung des Klimavorwands, um einseitige, strafende und diskriminierende protektionistische Maßnahmen durchzusetzen. Darüber hinaus unterstützen sie die Zusammenarbeit im Kampf gegen die Treibhausgase gemäß Artikel 6 des Pariser Abkommens (§ 85). Man erinnere sich jedoch, dass die Russische Akademie der Wissenschaften die westliche, anthropogenetische [durch Menschen verursachte] Auslegung des Klimawandels zurückweist.

Sie verpflichten sich zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte, einschließlich des Rechts auf Entwicklung, und der Grundfreiheiten im Rahmen der Grundsätze der Gleichheit und der gegenseitigen Achtung. Sie verpflichten sich ebenfalls, den Kampf gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und die damit verbundene Intoleranz, sowie die Diskriminierung aufgrund der Religion, des Glaubens oder der Weltanschauung, und alle ihre zeitgenössischen Formen in der ganzen Welt zu intensivieren, einschließlich der alarmierenden Tendenzen zunehmender Hassreden.

Zusammenarbeit für Stabilität und Sicherheit

Sie einigen sich auf einen gemeinsamen Standpunkt angesichts der aktuellen Konflikte, verweisen aber auf die Resolution 2686 (2023) des Sicherheitsrats (in der Intoleranz und Hassreden verurteilt werden) und die Resolution 46/182 (1991) der Generalversammlung der Vereinten Nationen (über humanitäre Nothilfe). Sie erinnern auch an die Notwendigkeit, die legitimen und vernünftigen Sicherheitsbedenken aller Länder zu respektieren.

Es folgte eine lange Liste von Stellungnahmen.

• Gaza (§ 30)
Sie unterstreichen die dringende Notwendigkeit einer sofortigen, umfassenden und dauerhaften Waffenruhe im Gazastreifen, der sofortigen und bedingungslosen Freilassung aller Geiseln und Gefangenen beider Seiten, die illegal in Gefangenschaft gehalten werden, der Bereitstellung umfangreicher, nachhaltiger humanitärer Hilfe und der Beendigung aller Aggressionen. Sie unterstützten jedoch die Zwei-Staaten-Lösung (ursprünglich Lord Peels Kolonialplan), die ihnen als die einzig mögliche friedliche Lösung erscheint.

• Libanon (§ 31-32)
Sie verurteilen den „vorsätzlichen terroristischen Akt“ der Detonation von Piepsern und Walkie-Talkies am 17. September 2024. Sie verurteilen auch die Angriffe auf UN-Mitarbeiter und die Bedrohung ihrer Sicherheit und fordern den jüdischen Staat auf, diese Aktivitäten im Libanon unverzüglich einzustellen. Sie sprechen sich für die strikte Einhaltung der Resolution 1701 (2006) aus, weil klarsteht, dass diese in gleicher Weise für Israel gilt, das sich daher hinter die „blaue Linie“ (Demarkationslinie) zurückziehen muss.

• Jemen (§ 33)
Sie sind für die Freiheit der Schifffahrt, aber anstatt Ansar Allah zu verurteilen, wie es der Westen tut, wollen sie die Ursachen des Konflikts bekämpfen und den Dialog und den Friedensprozess unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen unterstützen.

• Syrien (§ 34)
Sie bestehen darauf, dass die Souveränität und territoriale Integrität Syriens strikt respektiert wird. Sie verurteilen die illegale ausländische Militärpräsenz, die das Risiko eines umfassenden Konflikts in der Region erhöht. Sie betonen, dass die illegalen „einseitigen Sanktionen“ das Leid der syrischen Bevölkerung ernsthaft verschlimmern. Sie sprechen sich auch (§ 43) gegen die israelische Besatzung des syrischen Golan aus.

• Iran (§ 35 und 37)
Sie verurteilen den Angriff auf die diplomatischen Einrichtungen der Islamischen Republik Iran in Damaskus. Sie erinnern daran, dass das JCPOA-Abkommen vom Sicherheitsrat bestätigt wurde und die Vereinigten Staaten sich nicht mehr so daraus zurückziehen können, wie sie es getan haben.

• Ukraine (§ 36)
Sie betonen, dass alle Staaten in Übereinstimmung mit den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen in ihrer Gesamtheit handeln sollen (was der russischen Interpretation des Konflikts Recht gibt). Sie beurteilen mit Befriedigung die einschlägigen Vorschläge Chinas, Südafrikas und Indiens für Vermittlung und gute Dienste, die auf eine friedliche Beilegung des Konflikts durch Dialog und Diplomatie abzielen.

• Sudan (§ 40)
Sie verurteilen den Angriff der Truppen von Präsident Abdel Fattah al-Burhan auf die Residenz des Missionsleiters der Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate am 29. September 2024; ein Angriff, der mit dem Angriff Israels auf die iranischen diplomatischen Einrichtungen in Syrien vergleichbar ist. Sie rufen zu einem unverzüglichen, dauerhaften und bedingungslosen Waffenstillstand auf.

• Afghanistan (§ 42)
Sie verteidigen das Prinzip eines unabhängigen, vereinten und friedlichen Staates, ohne Terrorismus, Krieg und Drogen. Sie unterstreichen die Notwendigkeit, dem afghanischen Volk dringend und ununterbrochen humanitäre Hilfe zu leisten und die Menschenrechte aller Afghanen, einschließlich Frauen, Mädchen und verschiedener ethnischer Gruppen, zu schützen, wozu auch die Aufhebung wirksamer Verbote der Sekundar- und Hochschulbildung gehört.

• Abrüstung (§§ 43-46)
Sie sind für eine Beschleunigung der Umsetzung der Resolutionen über die Schaffung einer von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen freien Zone im Nahen Osten (d.h. für die Denuklearisierung Israels) in Übereinstimmung mit dem iranischen Vorschlag.
Sie plädieren auch dafür, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern, trotz des Widerstands der Vereinigten Staaten.

• Terrorismus (§§ 47-49)
Sie lehnen jeglichen Versuch ab, die Fragen des Kampfes gegen den Terrorismus und den Einsatz terroristischer Gruppen zur Erreichung politischer Ziele zu politisieren und betonen, dass nur die BRICS-Staaten eine effektive Organisation in diesem Bereich sind – eine direkte Anspielung auf die verdeckten Operationen der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs. Sie plädieren für die baldige Verabschiedung des Allgemeinen Übereinkommens über den internationalen Terrorismus im Rahmen der Vereinten Nationen.

• Grenzüberschreitende Kriminalität (§ 50-53)
Unter Russlands Initiative gehen die BRICS-Staaten die Probleme der Drogen, der grenzüberschreitenden Kriminalität und der Korruption an, indem sie eine koordinierte Reaktion der Strafverfolgungsbehörden verstärken.

Wirtschaftliche und finanzielle Zusammenarbeit

Die BRICS-Staaten studieren zunächst die Notwendigkeit einer Clearingstelle für den Austausch von Liquidität zwischen ihnen selbst (ohne das von den NATO-stay-behind geschaffene SWIFT-System benutzen zu müssen) und eines Rückversicherungssystems zur Sicherung des Warentransports (ohne über angelsächsische Unternehmen gehen oder indirekt von ihnen kontrolliert werden zu müssen).

Sie betrachten den Handel nicht durch die Brille des Freihandels oder der Zölle, sondern durch die Brille der Sicherheit, Widerstandsfähigkeit, Stabilität und Effizienz der Lieferketten. Im vergangenen Jahr haben sie ein Programm zur Harmonisierung und Koordinierung des Einsatzes der Informationstechnologie in Wirtschaft und Handel (PartNIR) eingeführt.

Was den Kampf gegen Krankheiten anbelangt, begrüßen die BRICS-Staaten zwar die Arbeit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), entwickeln aber ein eigenes Alarm- und Hilfssystem.

Was das geistige Eigentum anbelangt, beabsichtigen die BRICS, von dem sie wissen, dass Urheberrechte und andere Patente heute die Haupteinnahmequelle der Angelsachsen sind (und nicht ihre reale oder finanzielle Produktion), dieses System wieder auf die Beine zu stellen, indem sie den Fälschungen den Kampf erklären und auf unlautere Erhöhung ihrer Profite verzichten. Sie beabsichtigen, die Zusammenarbeit bei Forschungs-, Entwicklungs- und Innovationsprogrammen in den Bereichen Biomedizin, erneuerbare Energien, Weltraum und Astronomie sowie Meeres- und Polarwissenschaften zu verstärken.

Zwischenmenschlicher Austausch

Die BRICS-Staaten beabsichtigen vor allem, gegen die angelsächsische Ideologie des Clash of civilisations [4] zu kämpfen, indem sie sich auf zwei UN-Organisationen, UNICEF und die Allianz der Zivilisationen, stützen. Sie wollen den menschlichen Austausch unter sich in den Bereichen Medien, Kultur, Bildung, Sport, Kunst, Jugend, Zivilgesellschaft, öffentliche Diplomatie und akademischer Austausch intensivieren.

Die BRICS-Staaten wehren sich hier nämlich gegen einen Rückschritt: Das Konzept des Krieges der Kulturen, das ein wesentlicher Bestandteil der Rede von Präsident George Bush Jr. gewesen war, schien endgültig in Vergessenheit geraten zu sein. Mit der Kandidatur von Kamala Harris, die von den Neokonservativen unterstützt wird, kommt es wieder in Mode. Es handelt sich einfach nur um eine angeblich gelehrte Form des alten gewalttätigen Narratives der Jahre 1930-1945: Um zu überleben, haben die Westmächte keine andere Wahl, als die anderen zu eliminieren.



Die auf dem Kasan-Gipfel präsenten Staats- und Regierungschefs, Mitglieder und Gäste. Dieses Foto genügt, um die G7-Niederlage bei dem Isolierungsversuch Russlands zu erkennen.

Bemerkungen zu diesem Gipfel

Dieser Gipfel fand statt, als die Welt aus erster Hand Zeuge der ethnischen Säuberungen Israels wurde, zuerst in Gaza und dann im Südlibanon. Gleichzeitig wendet sich die russische militärische Spezialoperation zur Umsetzung der Resolution 2202 des Sicherheitsrats (der Minsker Vereinbarungen) in der Ukraine zum Vorteil Moskaus. Die ukrainische Armee wird den Winter nicht überstehen, und die „einseitigen Zwangsmaßnahmen“ des Westens sind allesamt gescheitert. Entschuldigung, vom Standpunkt des „Krieges der Kulturen“ aus gesehen, bedrohen die Araber von Gaza und die Russen der Ukraine den Westen und müssen eliminiert werden.

Die Teilnahme an den BRICS-Staaten erscheint daher wie eine Revolte gegen die angelsächsische Weltordnung. Man kann daher nur enttäuscht sein über den Rückzug des brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, der es nicht wagte, nach Kasan zu kommen und sich von seinem Außenminister Mauro Vieira vertreten ließ. Brasilien ist jedoch Gründungsmitglied der BRICS. Es stimmt jedoch, dass Brasilien beteiligt ist, da es den Vorsitz der Neuen Entwicklungsbank innehat. Ihren Vorsitz führt die ehemalige Präsidentin Dilma Youssef, die in einer ferngesteuerten Operation der Vereinigten Staaten und Israels gestürzt worden war.

Die gleiche Bemerkung muss gemacht werden zur Weigerung im letzten Moment des saudi-arabischen Prinzen Mohammed bin Salman, für die eine oder andere Seite Partei zu ergreifen und Kasan zu besuchen, obwohl sein privilegierter Verbündeter, die Vereinigten Arabischen Emirate, jetzt Mitglied der BRICS-Staaten sind und deren Präsident, Scheich Mohammed bin Zayed Al Nahyan, anwesend war.

Russland hatte Kasan, die Hauptstadt Tatarstans, als Gastgeber des Gipfels ausgewählt, weil diese dynamische Stadt sowohl die Integration der Muslime in die Russische Föderation als auch die Fähigkeit Moskaus, seine Macht zu übertragen, veranschaulicht.

An der wirtschaftlichen Front hat der Gipfel bei der Entdollarisierung des internationalen Handels Fortschritte erzielt. Die BRICS-Staaten bewegen sich auf einen digitalen Währungsstandard zu. Diskutiert wurden Ideen für eine gemeinsame Steuerbehörde, ein Tribunal zur Schlichtung von Wirtschaftsstreitigkeiten zwischen den Mitgliedsländern oder auch die Idee einer Getreidebörse. Auch die Möglichkeit, eine unabhängige grenzüberschreitende Abwicklungs- und Einlageninfrastruktur, „BRICS Clear“, aufzubauen. Schließlich treiben die BRICS-Staaten die Entwicklung eines Zahlungskartensystems namens „BRICS Pay“ voran, das auf dem Kasan-Gipfel vorgestellt wurde. Seine Funktionsweise scheint relativ klassisch zu sein: Die „BRICS Pay“-Karte soll es ermöglichen, Zahlungen in Landeswährung über die Verwendung eines QR-Codes abzuwickeln, indem eine elektronische Geldbörse belastet wird, die über eine gleichnamige Anwendung gespeist wird, indem eine Visa-, MasterCard- oder Mir-Bankkarte angehängt wird. Das Problem besteht darin, die volle Souveränität zu bewahren und gleichzeitig an einer kollektiven Währung teilzunehmen.

Der Gipfel hat vor allem auf politischer Ebene gezeigt, dass die BRICS-Staaten die wechselnden westlichen Regeln, die von der G7 je nach Ansprechpartner willkürlich festgelegt werden, ablehnen und es vorziehen, das gegebene Wort, d.h. das Völkerrecht, zu respektieren. Die Länder des „Globalen Südens“ (im Gegensatz zum „kollektiven Westen“) sind sich der Verpflichtungen und Verträge, die von den Angelsachsen unterzeichnet aber von ihnen schamlos verletzt wurden.
Der Westen ist tatsächlich der Ansicht, dass sich ein gewählter Staats- oder Regierungschef im Namen der Demokratie nicht an die Unterschrift seiner Vorgänger gebunden fühlen kann, während andere Staaten, ob illiberale oder diktatorische in ihren Augen, die Pflicht dazu haben. So hat Donald Trump zum Beispiel das JCPOA (Atomabkommen mit dem Iran) aufgekündigt, das sein Vorgänger Barack Obama ausführlich ausgehandelt hatte. Oder Joe Biden sah sich nicht an zwei von seinem Freund Barack Obama unterzeichnete Dokumente gebunden, weder an das Istanbul-Dokument (1999 [5]), noch an die Resolution 2202 (2015) zu den Minsker Vereinbarungen. Er behauptet daher, Russland sei in die Ukraine einmarschiert und verstoße gegen die UN-Charta, während viele spätere Texte zeigen, dass Russland das einzige Land ist, das alle Prinzipien buchstabengetreu befolgt hat.

Der IWF hat gerade seine Berechnungen revidiert und Russlands Bruttoprodukt (BIP) in Kaufkraftparität auf den vierten Platz hinter China, die Vereinigten Staaten und Indien gesetzt. Das russische BIP stieg daher plötzlich um 23 % und verließ den 48. Platz, auf dem es lange verweilte. Abgesehen von den wirtschaftlichen Realitäten (die BRICS-Staaten repräsentieren 37 % des weltweiten BIP und 45 % der Menschheit, während die G7 nur 29 % des BIP und 10 % der Weltbevölkerung ausmachen) öffnete dieser Gipfel jedoch vielen sehbehinderten Menschen die Augen. Die Welt ist umgekippt. Sie wird nicht mehr von Washington und London dominiert.

Übersetzung
Horst Frohlich
Korrekturlesen : Werner Leuthäusser

[1] Offizielle Website des Kasaner Gipfels.

[2] „Welche internationale Ordnung?“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich , Korrekturlesen : Werner Leuthäusser, Voltaire Netzwerk, 7. November 2023.

[3] “XVI BRICS Summit : Kazan Declaration”, Voltaire Network, 24 October 2024.

[4] „Der „Kampf der Kulturen““, von Thierry Meyssan, Übersetzung Sabine, Voltaire Netzwerk, 4. Juni 2004.

[5] „Istanbul-Dokument“, OSZE, 1999.

https://www.voltairenet.org/article221441.html


Freitag, 25. Oktober 2024

ENDE DER HEGEMONIALHERRSCHAFT - LZ

 Entnommen: https://linkezeitung.de/2024/10/25/global-change/

Global Change
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 25. OKTOBER 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR


von Wolfram Elsner – https://apolut.net

Wie die Welt sich vor unseren Augen verändert. BRICS, SCO, RCEP, Neue Seidenstraßen …

Die bleierne Zeit der Hegemonialherrschaft ist beendet


Die Feststellung ist inzwischen fast Gemeingut: Wir leben in einer Zeit, in der man „Geschichte“ tagtäglich fühlen, erleben, „greifen“ kann. Während seit dem 2. Weltkrieg lange Perioden von „bleiernen Zeiten“ vorherrschten, verändert sich die Welt zurzeit in einer selten erlebten Tiefe und Geschwindigkeit. Nach dem „bleiernen“ Ersten Kalten Krieg, nachdem die Sowjetunion aufgrund der unendlich höheren Ressourcen des  westlichen Imperialsystems militärisch niederkonkurriert werden konnte, wurde sogar  ein bleiernes „Ende der Geschichte“ (Fukuyama, 1992) verkündet, die totale Herrschaft des westlichen Hegemons, der einzigen Macht, die jemals einen unbeschränkten Weltherrschaftsanspruch praktizierte.

Wie kindlich-naiv diese Vorstellung natürlich war! Aber von den medialen, politischen und militärischen Eliten des Westblocks wird sie bis heute ernsthaft durchzusetzen versucht Deren intellektuelles und strategisches Niveau sank allerdings mit steigender Überheblichkeit im Zuge „grandioser Siege“ in ihren neokolonialen Kriegen (meist gegen nur leicht bewaffnete Sandalenträger) ins Bodenlose. Es wäre heute weniger erschreckend, wenn sie uns wie einst bewusst über die Welt belügen würden, als  erkennen zu müssen, dass sie ihre Überlegenheitsfantasien selbst glauben! Und daher auch für nichts mehr einen Plan B oder irgendeine Verhandlungsbereitschaft glauben haben zu müssen. Ein Kind, das keinen Ausweg mehr sieht, fängt an, um sich zu schlagen.

Warum z.B. hätte sich Russland sehenden Auges in ein Dutzend Kleinstaaten zerlegen lassen sollen, und seine Ressourcen den US-Konzernen zum Ausplündern überschreiben sollen, wie es in Washington, Brüssel und Berlin seit Gorbatschow bis heute fantasiert wird? Warum hätte sich China am Wiederaufstieg zu einer Nation hindern lassen sollen, die wieder ihren historisch normalen Platz als eine der größten und technologisch fortgeschrittensten Nationen einnimmt, den es Tausende Jahre lang innehatte? Diese Fragen hätte man sich auch 1992 schon stellen können.

Aber die Welt komplett in Brand zu setzen, war damals noch keine Option. Die Planungen für einen Vernichtungskrieg gegen Russland und China (vom US-Militär nun  für 2027 angekündigt) wurden als Ultima Ratio der Hegemoniesicherung erst in den letzten Jahren wieder mobilisiert (die konkreten Vorbereitungen der atomaren Vernichtung der UdSSR waren erst durch J.F. Kennedy eingestellt worden). Jetzt, wo es für den Westblock eindeutig zu spät ist, diesen großen Krieg noch gewinnen zu können.

Die Welt hat sich im 21. Jahrhundert nämlich massiv und beschleunigt verändert. Und zwar keineswegs nur zum Schlechteren. Zivilisation, Diplomatie, Austausch und Kooperation greifen weltweit wieder um sich. Der Globale Süden ist aufgewacht und macht sich auf in eine selbständige Entwicklung. Auch wenn wir unter unserer westlichen medialen Käseglocke von den wichtigsten Informationen darüber abgeschottet werden.

Süd-Süd-Kooperation, Friedliche Koexistenz, Diplomatie und Globale Initiativen

Chinas Außenpolitik z.B. ist (wenn man seine Geschichte betrachtet, klar nachvollziehbar) seit 1949 anti-hegemonial, multipolar und multilateral. Daher wurden praktisch alle Initiativen, Programme, Entwicklungsprojekte und Förderfonds im Rahmen der UN verankert, und die offizielle UN-Süd-Süd-Kooperation bildet seit langem den mit Abstand größten UN-Aktivitätsbereich. Die außenpolitischen Prinzipien der Friedlichen Koexistenz, Chinas „5 Prinzipien“, seit 1954 festgeschrieben und praktiziert: Territoriale Integrität, Nationale Souveränität, Nichteinmischung, Nicht-Erstangriff und Entwicklung von Win-Win-Kooperationen, sind z.B. Grundlage für Kooperationen mit  inzwischen mehr als 150 Staaten (von insgesamt gut 200) und über 40 Internationalen (UN) Partner-Organisationen der Neuen Seidenstraßen (Belt&Road-Initiative, BRI). Die jüngste 9. Ministerkonferenz (seit 2000) des Forum for China-Africa Cooperation (FOCAC) im September sah nicht nur praktisch alle (nämlich 53) afrikanischen Staats oder Ministerpräsidenten in Beijing sondern auch UN-Generalsekretär Guterres und die Präsidenten zahlreicher internationaler und UN-Organisationen. Die Prinzipien von Nichteinmischung, Augenhöhe, Kooperation und internationaler Projekt-Transparenz gelten auch für die Kooperation mit Lateinamerika und die Karibik (die CELAC, 33 Mitglieder), für die China-Arabien-Kooperation, das Zentralasien-Format (C+C5) oder die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU, 5 Länder, einige Assoziierte, Beobachter und Kandidaten). Sie sind auch integriert in die Grundladendokumente der Shanghai  Cooperation Organization (SCO, 10 Mitglieder, zahlreiche Gäste, Beobachter, Partner),  z.B. kein Erstangriff, kein Ersteinsatz von Atomwaffen (siehe dazu das  Kontrastprogramm NATO!) oder der BRICS (dazu unten).

Die UN-Abstimmungen über westliche Resolutionen, z.B. gegen China, sind dementsprechend, immer ca. 30 zu 100+. Entsprechend umgekehrt z.B. für globale Faschismus-Bekämpfung oder Atomwaffen-Verbot (GV 2020). Gelegentlich werden die USA, Ukraine und Israel bei Abstimmungen auch schon mal alleine gelassen von ihren westlichen Vasallen, dann gibt es nur 2 oder 3 Stimmen gegen globale Problemlösungen.

Chinesische Initiativen z.B. helfen inzwischen, die Welt zu organisieren, von der Initiative Global Energy Development and Cooperation (2015) über den chinesisch ausgestatteten Süd-Süd-Kooperations-Fonds (2020), den chinesischen Klimafonds für die ärmsten Länder (2021) und den Kunming (Bio-)Diversitätsfonds (nach COP 15, 2021) bis zum Shanghai-Swap-Modell (chinesischer Schuldenerlass gegen Umweltinvestitionen für die Länder des Globalen Südens). Den aktuellen Globalen Initiativen Chinas, Globale Entwicklungsinitiative (GDI, 2021), Globale Sicherheitsinitiative (GSI, 2022), Globale Zivilisationsinitiative (GCI, 2023) (daneben  noch Globale Governance Initiative (GGI, 2023) und Globale KI-Initiative (GKI, 2023)), haben sich jeweils 100+ Länder angeschlossen (z.B. jW 22.2.23), und man arbeitet an Konkretisierungen und Umsetzungsprojekten.

Diplomatie und Kooperation sind wieder möglich und haben die Welt ergriffen. Die „C+C5“-Afghanistan-Aufbaukonferenz der Nachbarländer (einschl. Pakistan) z.B. hat, nachdem der Westen ein Land im posthumanen Albtraum zurückgelassen hatte, schnell mit Nothilfen reagiert und die afghanische Hungersnot abgewendet, die der Krieg des Westen generiert hatte. (Der „feministischen“ Außenpolitikerin Baerbock allerdings waren verhungernde afghanische Mütter gleich.) Nach dem Devisendiebstahl der 9 Mrd.$ afghanischen Zentralbankreserven durch USA und EU wurde auch eine erste Rekapitalisierung vorgenommen, um nach dem westlichen Armageddon humane Mindeststandards wiederherzustellen. Mindestvoraussetzungen für eine künftige Rückführung Afghanistans in die internationale Gemeinschaft. Die Versöhnungsinitiative  Iran—Saudi-Arabien oder die nationale Einigung der 14 palästinischen politischen Organisationen, beide in Beijing abgeschlossen, haben sogar im westlichen Medienkartell einige Aufmerksamkeit erlangt.

Das übergreifende Ziel der meisten dieser diversen Bewegungen in Richtung globaler multipolarer Kooperation, auch inzwischen in Dutzenden internationaler Vereinbarungen festgeschrieben, ist so elementar wie es sich in unseren, mit Sprechblassen überfütterten Ohren zunächst trivial anhört: „Aufbau einer internationalen Gemeinschaft mit einer gemeinsamen Zukunft für die Menschheit als Ganzes“ (oder auch „Schicksalsgemeinschaft“). Man hört die Grünen der frühen 80er. Aber statt jahrzehntelanger grüner Sprechblasen und Trockenschwimmens im Politzirkus des Westens, der soeben alle seine Klimaziele 2030/5 beerdigt, bewegt die Idee der „globalen Commons“ heute tatsächlich den „Rest“ der Welt. Eine Welt im Aufbruch.

BRICS+, SCO+, RCEP

BRICS+ (mit Kolumbien nun aktuell 10 Mitglieder) und SCO+ (aktuell 9 Mitglieder) werden absehbar in den nächsten Jahren auf jeweils 20, 30 oder 40 Mitglieder kommen, gemessen an der Zahl der Kandidaten, Antragsteller, Interessierten und Beobachterstaaten. Die globale BRICS+ wird damit absehbar ca. 60% der Weltbevölkerung und ca. 50% des Weltsozialprodukts repräsentieren. Es ist schon jetzt größer als die G7, die immer noch glauben, die Welt kommandieren zu können. Sogar das NATO-Mitglied Türkei hat Aufnahmeantrag in die BRICS gestellt und dabei geäußert, seine Wartezeit für eine Mitgliedschaft in der EU sei abgelaufen.

BRICS verfügt auch bereits über 80% der Welt-Getreideernte, die man sukzessive den  Spekulations-Swaps der Wall Street aus den Händen nehmen wird, die das als reale Deckung ihrer Billiarden an fiktivem Geldkapital braucht für den Fall der nächsten  größeren Überspekulationskrise. BRICS hat nun eine eigene Getreide-Börse geschaffen  gegen die Wall-Street-Ressourcen-Aneignung. Und 160 Länder führen ihr Agrarmonitoring nun mit chinesischer open-access-Software für bessere Saat- und Ernte-Steuerung durch, während die US- und EU-Software den Drittländern den Zugang  zu ihren eigenen Agrardaten verweigert hatten. <1>

Die regionale südostasiatische Freihandelszone Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP), gegr. 2020 mit zentraler Beteiligung Chinas, hat Südostasien endgültig zur wirtschaftlich dynamischsten Region der Welt gemacht, sehr zur Überraschung des westlichen Politpersonals, das von seinen Medien wieder nicht richtig informiert worden war. Sie umfasst sogar die traditionellen politisch-militärischen Trabanten der USA im westpazifischen Raum: Japan, Australien, Neuseeland und Philippinen, insgesamt 15 Staaten, darunter die 10 ASEAN-Staaten. Sie repräsentieren 2,2 Mrd. Einwohner, 28% der Weltbevölkerung sowie 30% der Weltwirtschaftsleistung und des Welthandels, die größte Freihandelszone der Welt. RCEP hat die WTO Handelsregeln der Fairness, Rechtssicherheit, Gleichbehandlung, Transparenz und Multilateralität für sich übernommen. Handelsströme werden nun v.a. zu Lasten der EU nach Südostasien umgelenkt. Gegenseitige Währungsanerkennungen, eine Integration mit der BRI und die Nutzung der Asiatischen Infrastruktur-Investitions-Bank AIIB gehören  dazu.

Wirtschafts- und finanzpolitische Vorschriften werden dabei nicht gemacht, und das Bündnis kommt anscheinend gut mit den unterschiedlichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen zurecht, ohne lächerliche gegenseitige Belehrungen.

Handel, Auslandsinvestitionen, Wertschöpfungsketten: Decoupling scheitert

Kein Wunder, dass der Außenhandel, v.a. Chinas, mit dem Westblock tendenziell, und die westliche Wettbewerbsfähigkeit insgesamt, zurückgehen. Zu den Umleitungen der Handelsströme zu Lasten des Westens sind nun aber die westlichen politischen Entkopplungen hinzugekommen, die Sanktionen, Schutzzölle und anderen ausgefeilten („technischen“) Handelshemmnisse, durch die der Westen seine letzten wirtschaftlichen Karten erpresserisch, aber verzweifelt, auszuspielen versucht. Der Handel im „Rest der Welt“ aber steigt.

Allerdings lassen sich die globalen Wertschöpfungsketten nicht einfach durch westliche Politbürokratien verdrehen. Importe Chinas aus dem Westen werden angesichts westlicher sanktionsbedingter Exportbeschränkungen ersetzt durch westliche Produktion in China („Aus China für China“). Westliche Unternehmen produzieren in China nun aber auch für die westlichen Märkte, und für Drittmärkte, wo sie mit originär westlichen Produkten konkurrieren. Auch deutsche Joint Ventures mit chinesischen Firmen machen Sanktionen gegen China unwirksam. <2>

Der Globale Süden wird erstmals in der Geschichte ernsthaft industrialisiert (natürlich nicht durch den Westen) und exportiert nun auch Endprodukte in den Westen. Dazu gehören auch die Länder, in die der Westen seine Unternehmen zum „Friendshoring“ (Investitionsverlagerungen aus China heraus) zwingen will und deren Exporte noch nicht mit westlichen Schutzzöllen belegt sind. Die wiederum decken sich nun mit Zulieferkomponenten aus China ein. <3> Die Abhängigkeit von chinesischen Zulieferprodukten insgesamt steigt unverändert in allen westlichen Ländern, während  die chinesische Abhängigkeit vom Westen sinkt. <4> Auch verlagert China selbst Produktion  in Drittländer, Länder des Globalen Südens, die keinen Sanktionen oder Schutzzöllen unterliegen, aber auch in die EU (Ungarn, Türkei mit EU-Freihandelsabkommen). Das alles macht Sanktionen und Schutzzölle für den Westen zum letzten großen  handelspolitischen Schuss in den Ofen.

Deutsche Auslandinvestitionen in China sind auf Rekordniveau. Sie unterlaufen Sanktionen und politische Entkopplung und nehmen ihre Top-Zulieferer mit, die dort in Produktion und Forschung investieren, und nutzen im weiteren chinesische Zulieferer, bauen komplette Wertschöpfungsketten in China auf und koppeln sich so vom Westen ab. Es entsteht eine autarke deutsche Wirtschaft in China. Und ein Brandbrief von 300 deutschen Unternehmen an die deutsche Regierung (Baerbock) verlangt, die Tätigkeit chinesischer Mitarbeiter in Projekten nicht weiter durch Visaverweigerungen und -verzögerungen zu behindern. <6> Ähnlich machen es Apple, Nvidia und andere, entgegen  den politischen Forderungen aus Washington.

Ent-Dollarisierung

Der nächste BRICS-Gipfel in einigen Tagen im russischen Kasan, an dem wiederum der UN-Generalsekretär teilnimmt, wird die nächsten Stufen der Entthronung des ehemaligen Weltbeherrschers forcieren: Mittelfristig wird es ein BRICS Währungssystem geben, mit einer e-Währung (namens „SUR“ = „Süden“). Vom politisierten SWIFT-Zahlungssystem des Westens hat man sich bereits verabschiedet, das alternative CIPS-Zahlungssystem funktioniert. Die Zentralbanken von BRICS und  anderen nutzen das e-Verrechnungssystem mBridge, Dutzende bilateraler Währungs Swap-Abkommen zwischen den Mitgliedern von BRICS und darüber hinaus anerkennen ihre Währungen gegenseitig. Das gesamte neue Währungssystem ist abgesichert über die Blockchain-Technologie, also nicht mehr hackbar, nicht mehr politisch von außen störbar.

Als Transaktionseinheit für den Handel verliert der Dollar allmählich an Bedeutung. Zunehmende Teile des Welthandels werden in nationalen/regionalen Währungen fakturiert (Yuan, Rubel, Rupie, Riyal, Rial, Real …). Spektakulärstes Ereignis war in diesem Zusammenhang das Ende des Petrodollar Mitte dieses Jahres: Saudi-Arabien hat das Agreement mit den USA nach 50 Jahren nicht mehr verlängert.

Als Reserve-(Spekulations-)Einheit, trotz der langanhaltenden Zins-Rallye der Fed, um alles vagabundierende Kapital der Welt an die Wall Street zu ziehen, dankt der Dollar ebenfalls allmählich ab: Nur noch ca. 55% der Weltreserven (2023) werden in Dollar gehalten (2001 waren es noch 73%). <7> Das Vertrauen in den Dollar ist gleich mehrfach zerstört worden, z.B. durch den Diebstahl durch USA und EU von ca. 300 Mrd.$ russischer und der 9 Mrd.$ afghanischer Zentralbankreserven, durch die allmählich beängstigende US-Staatsverschuldung (36 Bio.$). Die Zentralbanken weltweit legen ihre Reserven nun verstärkt in Gold an oder eben in gegenseitigen Vertrauenswährungen. China, das lange Zeit fast 2 Bio.$ an US-Staatsbonds gehalten hat, geht langsam aber sicher auch aus den US-Staatsanleihen raus und halbierte den Bestand zwischen 2013 und 2024. Schließlich wird berechnet, dass die US-Banken als indirekten Effekt der Entdollarisierung Wertverluste von 500 Mrd.$ zu verbuchen haben. <8>

Neue Seidenstraßen

Die BRI-Programme, -Planungen und -Projekte werden nicht nur für die beteiligten regionalen Ländergruppen in regelmäßigen internationalen Foren transparent begleitet sondern international unter Beteiligung auch US-amerikanischer Universitäten und Forschungsinstitute analysiert und evaluiert, der größte, umfassendste und bestanalysierte und begleitete Projektverbund der Welt. Das Finanzierungspotential  beträgt 15-20 Bio.$, über mehr als einem Dutzend Entwicklungsbanken „gehebelt“. Seit 2000 wurden insgesamt über 840 Mrd.$ in 165 Ländern und insgesamt 13.400  Infrastruktur-Projekten investiert. <9> Mit Fondsbeständen sind insgesamt mehr als 5 Bio.$ investiert oder investierbar bereitgestellt worden. Große BRI-Projekte sind in UN Unterorganisationen integriert. Man leistet sich auch einen Internationalen Beirat, der u.a. aus westlichen Ex-Ministerpräsidenten besteht und jährlich tagt. Ziel ist gemeinsame Entwicklung und gemeinsamer Wohlstand. Die Formen sind Staatsverträge, wovon bereits über 230 mit 150 Ländern abgeschlossen wurden (die  75% der Weltbevölkerung repräsentieren), bei der UN hinterlegt. Inhaltlicher Schwerpunkt sind Infrastruktur-Investitionen, heute v.a. in der Perspektive der „Grünen Seidenstraßen“, mit Ökofonds-Begleitung und dem Transport-Schwerpunkt Bahn.

Die Alternativ-Banken zu IWF/WB sind v.a. die AIIB (mit westlicher Beteiligung), die BRICS-Bank, Ex-Im-Bank und die China-Development Bank. Sie geben günstigere und flexiblere Kredite als IWF/WB, und zwar ohne politische Bedingungen, bieten dem  Globalen Süden daher heute eine Wahlmöglichkeit und somit eine neue Souveränität.

Schuldenerlasse und Umschuldungen hat China allein wegen „Corona“ 2020 mit 70 Ländern abgeschlossen, und allein 2021 Rettungskredite i.H.v. 250 Mrd.$ für 22 Länder vergeben. Die BRI hat damit einen höheren Schuldenerlass geboten als G7 und G20. Die BRI stellt heute die „größte Quelle der internationalen Entwicklungsfinanzierung“ dar. <10> Und: „Den Schulden stehen höhere geschaffene Vermögenswerte der Zielländer gegenüber. <11> Und die „erbauten Infrastruktur-Werte werden unterschätzt“. <12> Es gibt  „keine Schuldenfallen“ <13>, und China gab mehr Schuldenerlass als die USA und die WB. “China has not taken draconian action against countries unable to repay their Chinese  debt.“ <14> Lateinamerika insbesondere hat übrigens mehr Schulden beim Westen als bei  China. <15>

Der Handel China-Afrika stieg von 11,7 Mrd.$ in 2000 auf 258 Mrd.$ in 2022. 80+% der Beschäftigten in chinesischen Unternehmen und Projekten in Afrika sind lokale Arbeitskräfte. 2/3 machen Aus- und Weiterbildung für Afrikaner, das Führungspersonal ist zu 44% afrikanisch. <16> McKinsey spricht z.B. von der „erstmaligen grundlegenden Industrialisierung Afrikas“ mit „neuen, angepassten Technologien“, die „lokales Kapital entwickeln“. Es werden z.B. günstige Handys in Afrika für afrikanische Bedürfnisse produziert oder günstige E-Dreiräder für Frauen in der Landwirtschaft. <17> Es wird nun generell mit kleineren Projekten gearbeitet, ein „Small is beautiful approach“. <18> Ca. 500.000 Afrikaner studieren in China, und mehr als 200.000 haben schon einen chinesischen Studienabschluss. Chinesische medizinische Teams arbeiten in fast allen afrikanischen Ländern, dazu 2.000 chinesische Agrarexperten, und 100.000 Berufsausbildungen sollen in Afrika bis 2030 durchgeführt werden. <19>

Eine große Mehrheit der Afrikaner sieht einen positiven Einfluss Chinas in Afrika, z.B. weil man „auf Augenhöhe“ miteinander umgeht. <20> A.-W. Asserate (der Neffe v. Haile Selassie) sagt: „China stellt die territoriale Einheit der afrikanischen Länder nicht  infrage, hat nie Soldaten sondern medizinisches Personal geschickt und Befreiungsbewegungen unterstützt … Sie haben das Leben der Afrikaner verbessert, bauen Straßen, Flugplätze, Wasserkraftwerke, Häfen, Mobilfunkanlagen …“ <21>. Oder: „Die Investitionen der Volksrepublik haben es ermöglicht, dass Projekte rechtzeitig und ohne die schwerfällige Bürokratie, die westliche Investitionen in Afrika oft kennzeichnet,  abgeschlossen werden können.“ <22>

McKinsey bezeichnet die BRI insgesamt als die „nächste Phase der Globalisierung“. <23> Es  handle sich um die „ … ambitionierteste Infrastruktur-Investitions-Anstrengung in der Geschichte …“ sagt das World Resources Institute. <24> Der UN-BRI-Report 6-21 sagt: „Die BRI ist eine Säule von Entwicklung, Umweltschutz, Integration und Gerechtigkeit.“

Neue Konnektivitäten: Die Landverbindung

Auf den Zugverbindungen von China nach Westeuropa, einem Teil der BRI, dem hierzulande besonderes Interesse gewidmet wird, sind seit 2008 60.000 Züge gefahren, auf heute 84 Zugstrecken in heute 217 Städte in 25 europäischen Ländern, aus 100 chinesischen Städten kommend. Gut 30% aller dieser Güter kommen im Duisburger Hafen an zur Weiterverteilung über den Rhein. <A>

2011 fuhren erst 17 Züge, 2022 schon 17.000, 2024 über 20.000. Das sind 57 Züge pro Tag, 2,4 Züge pro Stunde. 2014 wurden 25.000 TEU-Container transportiert, 2017 145.000, 2022 schon 1,86 Mio., und der Zuwachs in 2023 beträgt noch einmal über 30%, auf über 2,4 Mio. Die Bahn ersetzt Flugzeug und Dieselschiff und ist überwiegend elektrifiziert. Inzwischen fahren die Züge auch fast voll wieder zurück: Die deutsche Industrie hat sich an die neuen Möglichkeiten angepasst. <25>

Reaktionen des hegemonialen Blocks

Die internationale Hegemonie des Westblocks kollabiert also an vielen Stellen. In den Staaten des Blocks selber wird das angeblich einzig wahre Demokratiemodell von den Eliten selbst zu autoritär-bürokratischen Überwachungs-, Zensur- und Polizeistaaten einer neuartigen Postdemokratie, viele Analytiker sprechen von Protofaschismus, umfunktioniert. Das ruft weiteren Widerstand hervor, hat aber zugleich eine Dimension von Verzweiflung: erkennbarer Hegemonieverlust auch im Innern.

Unter dem Hegemonialsystem hatte es seit den 1980ern keinen relevanten Aufstieg von Nationen mehr gegeben, dafür viele Abstiege (Lateinamerika, Mittel- und Osteuropa, Japan …), v.a. von Entwicklungsländern, die in die „Middle-Income Trap“ geführt wurden: Hegemon-hörige korrupte Eliten, v.a. in Lateinamerika, hatten nach den ersten Wohlstandssteigerungen den ersten Reichtum nach oben umverteilt, an die Wall Street verbracht, Realinvestitionen und Produktivitätssteigerungen im eigenen Land vergessen und beim zwangsläufigen Rückfall des Landes das Entwicklungskonzept wieder auf Abstieg und verschärfte Rohstoffausbeutung zurückgedreht. <26> Einzige Ausnahme war im Wesentlichen China und Teile Südostasiens („kleine Tigerstaaten“).

Die Reaktion des Hegemonialsystems auf Chinas Aufstieg und den eigenen Abstieg und Hegemonieverlust, auch in der Technologie, bei diplomatischer Initiative, Kultur und Reputation, sowie auf den Kontrollverlust über Eurasien, war nicht, was sie in ihren Lehrbüchern des „freien Wettbewerbs“ schreiben: Die eigene Strategie überdenken und anpassen. Sie gehen offenbar lieber mit ihren Maschinengewehren rüber zum  Headquarter der Konkurrenz, die Marktanteile gewonnen hat, und wollen es zusammenschießen.

In den letzten Jahren wurde ein hierarchischer Westblock zusammengeschweißt mit klarer Unterordnung unter die USA und die NATO. 49 von 200 Ländern der Welt sind in der NATO organisiert, die allerdings nur noch ca. 20% der Weltbevölkerung und noch ca. 35% des Weltsozialprodukts repräsentieren, mit sinkender Tendenz.

Die letzten nicht-militärischen Potenziale und Pfunde sind eingesetzt worden und verpuffen: Wirtschaft und Handel, Währung und Finanzsektor sowie Technologie. Der Halbleiter-Krieg geht soeben verloren. Wirtschaft, Finanzen und Technologie sind im Hybriden Krieg der Dominanz einer Medienoligarchie und eines Parteien-Politkartells unterworfen und als Waffen politisiert worden, was Bloomberg eine „protektionistische Katastrophe“, nennt. <27>

Die Weltwirtschaft wurde in eine „Win-Lose-Globalisierung“ <28> pervertiert. Im Ergebnis soll die Welt in 2 separate Blöcke aufgespalten werden, in der unfassbar unrealistischen Hoffnung, noch der stärkere Block zu sein. Der globale Kooperationsindex sinkt. <29> Zu den Ergebnissen gehören Wachstumsverlust, eine weiterhin unkontrollierte Umwelt- und Klimakrise, Sicherheitsverlust usw. Internationale Auslandsinvestitionen, Wissenschaftsaustausch usw. sinken.

Das Hegemonialsystem besitzt allerdings noch eine gewisse militärische Dominanz in der Welt, zumindest 80-90% aller Militärstützpunkte und noch immer 70-80% aller Militärausgaben. Seine Reaktion ist daher „naturgemäß“ eine militärische. Dies selbst aber ist wiederum ein anderer Ausdruck von Hegemonieverlust: Es „zeigt an, dass sie die kulturell-zivilisatorische Hegemonie bereits verloren haben“. <30>

Kriege werden wohl auch nicht zuletzt entlang der Korridore der Neuen Seidenstraßen geführt: Die eurasische Konnektivität, Integration, Kooperation, gemeinsame  Entwicklung und Infrastrukturverbindungen sollen durch einen Eisernen Vorhang 2.0 verhindert werden. Beispiele sind die Kriege und Farbrevolten in der Kaukasus-Region, in Tschetschenien, Georgien, Armenien, Aserbaidschan. Hier geht es um die Unterbrechung des mittleren Seidenstraßen-Korridors (über Kaspisches und Schwarzes  Meer; s. Grafik oben). <31> Sodann geht es um die Ukraine, um Moldau und Transnistrien, die Verhinderung der ursprünglich geplanten Nord-Süd-Spange Moskau—Budapest, die durch die Ukraine gelaufen wäre (s. Grafik unten). Der Unterbrechung des Süd-Korridors dienten die Farbenrevolutionen in Kasachstan und Georgien und der Krieg um Aserbaidschan und Armenien. Auch der Krieg im Nahen Osten zerstört die traditionelle  südliche Trasse der Seidenstraßen, die schon in der Antike in den syrischen  Mittelmeerhäfen endete und dann übers Meer nach Europa weiterführte. Der Eiserne Vorhang 2.0 in Osteuropa dürfte die Nord-Route über Polen in die EU zerstören. <32>

Die Zerstörung der eurasischen Kooperation für viele Generationen durch einen Eisernen Vorhang 2.0 ist Washington mit seinen Helfershelfern in Berlin und Brüssel bereits gelungen. Sie folgt konsequent der angelsächsischen Heartland-Konzeption (J. McKinder, 1904): Wer Eurasien beherrscht, beherrscht die Welt. Da UK/US als maritime Mächte Eurasien nicht beherrschen können, ist jegliche eurasische Kooperation zu zerstören. Namentlich der kapitalistische Hauptkonkurrent Deutschland und der systemische und rassische Erzfeind Russland sind voneinander abzuspalten, da ihre komplementäre Kooperation für die angelsächsischen Mächte eine unüberwindbare ökonomische Stärke bedeuten würde. Seitdem ist die angelsächsische geostrategische Richtlinie Nr. 1: Verhindere jegliche Deutsch-Russische Kooperation. Wie der erste NATO-Generalsekretär Lord Ismay 1949 sagte: „NATO-Ziel ist es, die USA drin zu halten, Russland rauszuhalten, und Deutschland unten zu halten.“ 2024: Mission Completed!

Next stop is … Taiwan. Und damit China und das Südchinesische Meer. Regionale Konflikte um Inseln und Atolle (Nansha/Spratly, Xisha/Paracel u.a.), sollen ausgenutzt und eskaliert werden. Neben der Taiwan-Straße stehen die Malakka-Straße und im Weiteren die Straße von Hormus, die Jemen-Straße und der Suez-Kanal im Fadenkreuz. Durch die Malakka-Straße allein gehen 80% des chinesischen Meereshandels, aber nur 2% des US-Meereshandels. Die USA reklamieren für die permanenten ganzjährigen US und NATO+-Manöver vor den chinesischen Küsten, die „Freiheit d. Navigation“, die allerdings nicht eine Freiheit für Marinemanöver vor fremden Küsten beinhaltet. Die USA  haben zudem die Internationale Seerechtskonvention, auf die sie sich verbal beziehen, nie unterzeichnet.

Regionale Konfliktlösungen gegen Einmischungen von außen sind vielfältig auf dem Weg, etwa bilaterale Verhandlungen zwischen China und Indien über ihren Grenzkonflikt. China und Vietnam sind eine neue strategische Partnerschaft eingegangen. China und Indonesien kooperieren, China und Thailand führen gemeinsame Militärübungen durch, Myanmar, Laos, Thailand, Singapur, Kambodscha, Malaysia oder Brunei sind Kooperationspartner der BRI mit neuen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Mit Pazifik-Inselstaaten (Salomonen, Nauru …) hat China Abkommen geschlossen. Der ASEAN-Generalsekretär hat jüngst klar gemacht, dass ASEAN regional, multilateral und neutral bleiben und seine Konflikte in der Region  aushandeln will. <33>

Aber 10km vor der festlandchinesischen Küste haben die USA jüngst auf einem weit entfernt gelegenen Außenposten Taiwans Green-Berets Elitetruppen und Raketen stationiert, eine neue maximale Provokation Chinas. Auf den Philippinen wurden aktuell 4 neue US-Militärbasen mit neuen Mittelstreckenraketen errichtet. 250 US-Militärbasen existieren bereits um China herum, auf der sogenannten „ersten Inselkette“, 120 in Japan, 75 in Südkorea usw. <34>

Die ehemalige einzige Weltmacht hat es im Hegemonialsystem gut eingerichtet: Sie hat Eurasien langfristig gespalten und ihren Vasallen in der EU die Risiken und Kostenübernahmen (Finanzierung des Ukrainekrieges, Aufnahme von Kriegsflüchtlingen) sowie die Rolle als Schauplatz des Dritten Weltkrieges zugewiesen. Und auf diese Rolle als Zentrum des nächsten Atomkriegs sind die Berliner und  Brüsseler Diener Washingtons stolz!

Wird der Weg in eine produktive Multipolarität, in eine neue Souveränität der Länder des Globalen Südens, in ein neues friedlicheres Verhältnis der Länder der Erde, untergehen  in immer mehr regionalen Kriegen (next stop Iran), in dem großen Krieg gegen China und Russland, alle mit dem Potential zum atomaren Weltkrieg? Wir müssen auf die Reste  menschlicher Empfindungen bei den Eliten des Imperialsystems setzen, auf deren Angst vor dem eigenen Untergang (der allerdings durch neue Todeskulte überwunden werden  soll) sowie auf eine Restrationalität bei Kapitalbossen und Top-Militärs, die lieber leben, einige Macht behalten und einige Profite machen wollen, als auf die Gefahr des  Untergangs die Nummer eins zu sein. Die Welt würde eine lebendigere werden können. Bis dahin müssen friedliebende Menschen auf den Straßen dominieren.

Quellen
<1> Z.B. South China Morning Post 28.11.23.

<2> Z.B. G. Steingart, Pioneer Briefing 8.7.24.

<3> Z.B. Global Development Policy Center GDPC, Boston University (BU), Report 11.6.24.

<4> Z.B. National Bureau of Economic Research 4/24.

<5> Z.B. Merics Report 6/24.

<6> Z.B. Merkur 16.9.24.

<7> Z.B. Bloomberg 4/23.

<8> J. Gaines, BRICS US Banks Face $500B in Losses as De-Dollarization Grows, 5.10.24, https://watcher.guru/news/brics-us-banks-face-500b-in-losses-as-de-dollarization-grows.

<9> Z.B. W&E, Info-Brief 11-12/21.

<10> GDPC/BU 3-22.

<11> GDPC/BU 17.10.23.

<12> GDPC/BU 5.7.23.

<13> GDPC/BU 20.6.23.

<14> GDPC/BU, China-LA Financial Data Base, 29.3.22.

<15> GDPC/BU 1.8.24.

<16> Ofosu/Sarpong, JEI 1/22.

<17> Y. Jia in The East is Red 29.8.24.

<18> GDPC/BU Policy Brief 19.9.23 und 29.8.24.

<19> Chinah Sondernewsletter 11-23.

<20> Z.B. Afrobarometer 2019-2024.

<21> ChinaHirn 18.4.23.

<22> B.N. Omole, Die VR China und Afrika …, uz 1.3.24.

<23> McKinsey 9-19.

<24> Newsletter 22.3.22.

<25> Chinah Newsletter 2-2022 und 5-2023, S. 6; C. Hinne, Duisburg, Interview in ChinaHirn 14.5.22; M. Whitney, War Fever: Why China Should Prepare for the Worst, GlobalResearch 6.10.23.

<26> A.A. Marquetti, A. Miebach, H. Morrone, Unequal Development and Capitalism. Catching Up and Falling Behind in the Global Economy, London, NY, Routledge, 2024; M. Roberts, Catching up and falling behind, Brave New Europe 17.7.24.

<27> Bloomberg 8.4.24.

<28> S. Mariotti, Win-lose globalization and the weaponization of economic policies by nation-states, Critical Perspectives on International Business 16.7.24.

<29> McKinsey/WEF 2/24.

<30> S. Kebir, Die globale Hegemonie des Westens wackelt, uz 10.4.24, S.13.

<31> SCMP 24.11.23.

<32> M. Whitney, War Fever: Why China Should Prepare for the Worst, GlobalResearch 6.10.23.

<33> Die Multipolare Welt, Substack 5.8.24.

<34> Aljazeera.com/ 10.9.21.

<A> https://www.newsilkroaddiscovery.com/china-europe-freight-trains-in-2022-16000-trips-and-1-6-million teus-a-year-on-year-increase-of-9-and-10/

https://apolut.net/global-change-von-wolfram-elsner/


Mittwoch, 23. Oktober 2024

BRICS bietet Hoffnung - LZ

 Entnommen: https://linkezeitung.de/2024/10/22/pepe-escobar-rendezvous-mit-dem-schicksal-brics-bietet-hoffnung-in-einer-zeit-des-krieges/

Pepe Escobar: Rendezvous mit dem Schicksal – BRICS bietet Hoffnung in einer Zeit des Krieges

VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 22. OKTOBER 2024 ⋅ EIN KOMMENTAR


von Pepe Escobar – https://sputnikglobe.com

Übersetzung LZ

Das ist es. Ein Rendezvous mit dem Schicksal. Alles ist bereit für das wichtigste geopolitische/geoökonomische Treffen des Jahres und wohl auch des Jahrzehnts: der BRICS-Gipfel unter russischer Präsidentschaft in Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, wo sunnitische Tataren in perfekter Harmonie mit orthodoxen Christen koexistieren.

All die mühsame Arbeit der Sherpas und Analysten während des Jahres 2024 – unter der Aufsicht des für die BRICS zuständigen russischen Chefdiplomaten, des stellvertretenden Außenministers Sergej Rjabkow – mündete in drei abschließenden, separaten Schlüsselsitzungen in Moskau vor dem Gipfel, an denen die Finanzminister und Zentralbankgouverneure der BRICS, Arbeitsgruppen und der Wirtschaftsrat teilnahmen.

All dies in einem Kontext, der der globalen Mehrheit inzwischen vertraut ist. Das gemeinsame BIP der derzeitigen BRICS-Staaten beträgt über 60 Billionen Dollar und liegt damit weit vor dem der G7-Staaten; ihre durchschnittliche Wachstumsrate wird bis Ende dieses Jahres auf 4 % geschätzt und liegt damit über dem weltweiten Durchschnitt von 3,2 %; und der Großteil des Wirtschaftswachstums der nahen Zukunft wird von den BRICS-Staaten ausgehen.

Schon vor dem Treffen der Finanzminister und Zentralbankgouverneure betonte der russische Finanzminister Anton Siluanow, dass die BRICS daran interessiert seien, „politisierte“ westliche Plattformen zu umgehen – eine subtile Anspielung auf den Sanktions-Tsunami und die Bewaffnung des US-Dollars -, da die BRICS an der Schaffung ihres eigenen, der globalen Mehrheit genehmen internationalen Zahlungssystems arbeiten.

Der Kontext für das, was diese Woche in Kasan entschieden wird, ist nicht weniger als glühend, da das unkontrollierte Chaos der „Forever Wars“ des Hegemons – von der Ukraine bis Westasien – sogar die schwere Arbeit der BRICS und die Notwendigkeit, ein neues internationales System geoökonomischer Beziehungen praktisch von Grund auf aufzubauen, wesentlich beeinflusst hat.

Ein glaubwürdiges Kriegseskalationsszenario könnte durch das Durchsickern geheimer hochrangiger Informationen an die Five Eyes über die Vorbereitungen Israels und der USA für einen Schlag gegen den Iran vereitelt worden sein. Der Schlag wird irgendwann erfolgen – mit schrecklichen Folgen – aber wahrscheinlich nicht in dieser Woche, wenn er so geplant werden könnte, dass er den Gipfel in Kasan ausdrücklich und vollständig stört und ihn aus den weltweiten Schlagzeilen verdrängt.

Die gemeinsame Erklärung der BRICS-Finanzminister und Zentralbankgouverneure mag nicht allzu abenteuerlich klingen, aber die Einschränkungen spiegeln nicht nur die Vorsicht gegenüber einem gefährlichen, in die Enge getriebenen Hegemon wider, sondern auch interne Widersprüche zwischen den BRICS-Mitgliedern.

In der Erklärung wird „die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der globalen Finanzarchitektur anerkannt, um die Stimme der Entwicklungsländer und ihre Vertretung zu stärken“. Dennoch ist klar, dass die USA weniger als null Interesse an einer tiefgreifenden Reform des IWF, der Weltbank und des Bretton-Woods-Systems haben. Vor allem Russland und China sind sich darüber im Klaren, dass ein Post-Bretton-Woods-System erforderlich ist.

In der Erklärung wird die BRICS-Initiative für den grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr, BCBPI genannt, nachdrücklicher angesprochen und „die Verwendung lokaler Währungen im internationalen Handel“ sowie „die Stärkung der Bankennetzwerke“ begrüßt, um diese zu ermöglichen. Dennoch ist vorerst alles nur „freiwillig und unverbindlich“. Es wird erwartet, dass Kasan dem Prozess einen gewissen Schwung verleiht.

Keine anti-westliche Gruppe, nur eine nicht-westliche Gruppe“.

In seiner Rede vor dem BRICS-Wirtschaftsrat am vergangenen Freitag und in einem anschließenden Rundtischgespräch mit den Leitern der Mediengruppen der BRICS-Mitglieder fasste Präsident Putin tatsächlich alle wichtigen Dossiers zusammen. Hier sind die wichtigsten Punkte.

Zur Rolle der in Shanghai ansässigen NDB, der BRICS-Bank: Russland „wird die Fähigkeiten der NDB erweitern“; die Bank sollte zum Hauptinvestor für große Technologie- und Infrastrukturprojekte für die BRICS-Mitglieder und den weiteren globalen Süden werden. Das macht durchaus Sinn, denn die NDB finanziert die Entwicklung der Infrastruktur und arbeitet kommerziell mit lokalen, privaten Unternehmen zusammen. Der nächste Präsident der NDB wird übrigens ein Russe sein; der Spitzenkandidat ist Aleksei Mozhin, der zuvor beim IWF tätig war.

Schaffung einer einheitlichen digitalen Infrastruktur für die BRICS-Staaten: bereits in Arbeit. Russland arbeitet an der „Verwendung digitaler Währungen in Investitionsprozessen im Interesse anderer Entwicklungsländer“. Dies knüpft an die Arbeit der BRICS an ihrer eigenen Version von SWIFT für internationale Finanztransaktionen an. Und auch mit BRICS Pay – einer Debitkarte, deren erster Testlauf während des Wirtschaftsrats letzte Woche stattfand, nicht unähnlich AliPay in China, und die bald in allen BRICS-Mitgliedsländern eingeführt werden soll.

Eine BRICS-Einheitswährung: „Noch nicht in Erwägung gezogen, dieses Thema ist noch nicht reif“. Die Entdollarisierung, so betonte Putin, geht Schritt für Schritt voran: „Wir machen einzelne Schritte, einen nach dem anderen. Was die Finanzen betrifft, so haben wir den Dollar nicht fallen gelassen. Der Dollar ist die Weltwährung. Aber wir waren es nicht – er wurde uns verboten und verwehrt. Und jetzt werden 95 % des gesamten Außenhandels Russlands in nationalen Währungen abgewickelt. Sie haben es selbst mit ihren eigenen Händen gemacht. Sie dachten, wir würden zusammenbrechen.“

Die Herausforderung für eine einheitliche BRICS-Währung: Das „erfordert eine tiefgreifende wirtschaftliche Integration (…) Abgesehen von einem hohen Maß an Integration zwischen den BRICS-Mitgliedern würde die Einführung einer einheitlichen BRICS-Währung eine vergleichbare monetäre Qualität und ein vergleichbares Volumen voraussetzen (…) Andernfalls werden wir mit noch größeren Problemen konfrontiert sein als denen, die in der EU aufgetreten sind.“ Putin erinnerte daran, dass bei der Einführung des Euro in der EU die Volkswirtschaften weder vergleichbar noch gleichwertig waren.

Putin wird in Kasan mindestens 17 bilaterale Treffen abhalten. Er betonte erneut, dass „BRICS keine antiwestliche Gruppe ist, sondern einfach eine nicht-westliche Gruppe“.

Und er nannte die wichtigsten wirtschaftlichen Antriebskräfte der nahen Zukunft: Südostasien und Afrika. Die Entwicklung „wird objektiv vor allem in den BRICS-Mitgliedsländern stattfinden. Das ist der globale Süden. Das ist Südostasien. Das ist Afrika. Es wird ein positives Wachstum in mächtigen Ländern wie China, Indien, Russland und Saudi-Arabien geben, aber die Länder Südostasiens und Afrikas werden aus mehreren Gründen ein schnelleres Wachstum aufweisen.“

Er hob auch die wichtigsten Infrastrukturentwicklungsprojekte der BRICS-Staaten und des Globalen Südens hervor: die Nördliche Seeroute – die von den Chinesen als arktische Seidenstraße bezeichnet wird – und der Internationale Nord-Süd-Verkehrskorridor (INSTC), bei dem die BRICS-Triade Russland-Iran-Indien die wichtigsten Partner sind. In Bezug auf den Nördlichen Seeweg betonte Putin, dass „wir eine Eisbrecherflotte bauen, die weltweit ihresgleichen sucht. Es wird eine einzigartige Flotte sein, sieben nukleare Eisbrecher und 34 dieselbetriebene, hochklassige, schwere Eisbrecher“.

Zur strategischen Partnerschaft zwischen Russland und China: Sie ist einer der Schlüsselfaktoren für die Stabilität in der Welt; in den Beziehungen zwischen den beiden Ländern „gibt es weder Ältere noch Jüngere“. Zum großen Schachbrett: „Russland mischt sich nicht in die Beziehungen zwischen den USA und China ein“, auch wenn „die Europäer durch die NATO nach Asien hineingezogen wurden. Niemand fragt die Europäer, ob sie ihre Beziehungen zu China verschlechtern wollen, ob sie NATO-Einheiten nutzen wollen, um in Asien einzudringen und eine Situation zu schaffen, die für die Region, insbesondere für China, besorgniserregend wäre. Trotzdem werden sie wie ein Hündchen geschleppt.“

Ewige Kriege zielen auf BRICS

In Kasan wird es eine Sondersitzung zu Palästina geben, an der neben den BRICS-Mitgliedern auch die BRICS-Partner teilnehmen werden (die Türkei ist dabei). Putin glaubt, dass die Auflösung des Nahost-Quartetts ein Fehler war“. Dem Quartett gehörten Russland, die USA, die UN und die EU an. Theoretisch hätte es im israelisch-palästinensischen Friedensprozess vermitteln sollen. In der Praxis tat es das nicht.

Der berüchtigte Kriegstreiber Tony Blair war Teil des Quartetts. Auf diplomatischer Ebene sagte Putin: „Ich will die Vereinigten Staaten hier nicht in jeder Hinsicht beschuldigen, aber leider war es falsch, die vier [das Quartett] aufzulösen.“

Er betonte erneut, dass „Russland stets den Standpunkt vertreten hat, dass der Beschluss des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zwei Staaten – Israel und Palästina – zu schaffen, umgesetzt werden sollte“. Und er fügte hinzu, dass „Russland in ständigem Kontakt sowohl mit Israel als auch mit Palästina steht“.

Das kann man als strategische Vermittlung und ernsthaften Austausch über die Hinterkanäle interpretieren. Er sagte lediglich, er hoffe, dass der „endlose Schlagabtausch“ zwischen Israel und dem Iran aufhöre, und fügte hinzu, dass „die Suche nach einem Kompromiss im arabisch-israelischen Konflikt möglich ist, aber dies ist ein sehr heikler Bereich.“

All dies ist für den BRICS-Kontext von großer Bedeutung, denn die ewigen Kriege in Westasien haben die Arbeit innerhalb der BRICS ernsthaft beeinträchtigt. Darüber hinaus richten sich die ewigen Kriege – kalte, hybride und heiße – im Wesentlichen gegen drei BRICS-Mitglieder, nämlich Russland, Iran und China, die nicht zufällig als die drei größten existenziellen Bedrohungen für den Hegemon bezeichnet werden.

Und das bringt uns unweigerlich zur Ukraine. Putin betonte: „Die russische Armee ist zu einer der kampfeffektivsten und hochtechnisierten Armeen der Welt geworden (…) Wenn die NATO müde wird, diesen Krieg gegen uns zu führen, fragen Sie sie einfach. Wir waren bereit, den Kampf fortzusetzen, den Kampf fortzusetzen, und wir werden die Oberhand behalten.“

Putin bestätigte, was der renommierte Militäranalyst Andrej Martjanow seit Jahren untersucht hat, und erklärte, dass die moderne Kriegsführung ein Krieg der Mathematiker sei – etwas, das den Sesselkriegern der NATO völlig entgeht: „Ich habe von den Leuten, die vor Ort kämpfen, gehört, dass der heutige Krieg ein Krieg der Mathematiker ist. Funkstörsender wären gegen bestimmte Lieferfahrzeuge wirksam und würden sie unterdrücken. Die andere Seite hat zum Beispiel die Gegenkräfte berechnet und programmiert die Software ihrer Angriffsmittel in einer Woche oder drei Wochen um.“

Was das Schlachtfeld betrifft, so könnte Putin angesichts der Tatsache, dass die „auf Regeln basierende internationale Ordnung“ auf dem schwarzen Boden Noworossijas ihren demütigenden Untergang erlebt, nicht nachdrücklicher auf das „nukleare Ukraine“-Spiel eingehen: „Das ist eine gefährliche Provokation, denn jeder Schritt in diese Richtung wird eine Antwort nach sich ziehen (…) Ich sage es ganz offen: Russland wird das nicht zulassen, egal was passiert.“

Der Einsatz in Kasan könnte nicht höher sein. Bis zum Ende der Woche wird die globale Mehrheit wissen, ob Kasan als Meilenstein eines neuen, im Entstehen begriffenen Systems internationaler Beziehungen in die Geschichte eingehen wird, oder ob krasse Spaltungs- und Herrschaftstaktiken den unaufhaltsamen Untergang der alten Ordnung weiter hinauszögern werden.

https://sputnikglobe.com/20241021/pepe-escobar-date-with-destiny—brics-offer-hope-in-a-time-of-war-1120617552.html


Sonntag, 20. Oktober 2024

Joe Biden in Deutschland - Wolfgang Bittner

 Entnommen: https://www.freidenker.org/?p=20148

Joe Biden in Deutschland

19. Oktober 2024

,
USA
Der US-Präsident besucht seine Kolonie
Ein Kommentar von Wolfgang Bittner

Erstveröffentlichung als Tagesdosis vom 17.10.2024 auf apolut.net

Hinweis der Redaktion: Der Beitrag wurde vor dem Staatsbesuch von Joe Biden am 17./18.10.24 geschrieben.

Ursprünglich hatte sich US-Präsident Joseph (Joe) Biden für den 10. bis 13. Oktober in Berlin und Ramstein angesagt,[1] den Besuch jedoch kurzfristig verschoben, angeblich wegen des in Florida erwarteten Hurrikans Milton. Nun wurde bekannt, dass Biden seinen Abschiedsbesuch am 17. und 18. Oktober nachzuholen gedenkt.[2] Wie das Weiße Haus bei der ersten Ankündigung mitteilte, beabsichtigte er, führende deutsche Politiker zu treffen, um

„die enge Verbindung der Vereinigten Staaten und Deutschland als Verbündete und Freunde weiter zu stärken und sich über gemeinsame Prioritäten abzustimmen“.

Des Weiteren hieß es, Biden wolle

„das Engagement der USA und Deutschlands für Demokratie und gegen Antisemitismus und Hass bekräftigen“, die „unverbrüchlichen zwischenmenschlichen Verbindungen unserer Länder stärken“ und „für die Kooperation in Wirtschaft, Handel und Technologie werben“.

Außerdem wolle er Deutschland seine Anerkennung für die Unterstützung der Ukraine in ihrer Abwehr der russischen Aggression, für die Aufnahme der US-Militärangehörigen und für den Beitrag zur Sicherheit der Vereinigten Staaten, Deutschlands und des gesamten NATO-Bündnisses aussprechen.[3]

Ein stark reduziertes Programm
Während Biden zuvor noch an einem Gipfel-Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe auf der Luftwaffenbasis Ramstein teilnehmen wollte, wohin die USA führende Politiker aus etwa 50 Staaten eingeladen hatten.[4], ist jetzt nur noch ein stark reduziertes Programm im Gespräch: Ein Treffen mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz. Auch die Einladung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, der in Ramstein über seinen bereits in den USA präsentierten „Siegesplan“ sprechen wollte, ist abgesagt worden.

Bis sich zeigte, dass er allmählich dement wird, galt Biden als der maßgebende Realpolitiker des Westens, der das Schicksal der Welt bestimmt. Aber nach seinem Rücktritt von der Kandidatur für die nächste Präsidentschaft hat er nun auch in Deutschland an Glanz verloren, die neue Lichtgestalt ist die von den US-Demokraten als Präsidentschaftskandidatin gegen Donald Trump aufgestellte derzeitige Vizepräsidentin Kamala Harris.

Dennoch beabsichtigt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Joseph Biden mit der höchsten deutschen Ehrung, der Sonderstufe des Großkreuzes des Bundesverdienstordens, auszuzeichnen. Wie es am 3. Oktober aus dem Bundespräsidialamt hieß, beabsichtigt der Bundespräsident damit,

„die Verdienste von Präsident Biden um die deutsch-amerikanische Freundschaft und das transatlantische Bündnis“ zu würdigen, „welche Biden über fünf Jahrzehnte maßgeblich geprägt und insbesondere im Angesicht der russischen Aggression gegen die Ukraine gestärkt hat“.[5]

Die Absurdität einer solchen Ehrung scheint den wenigsten Politikern und Journalisten bewusst zu sein. Wir erinnern uns, dass sich Biden beim Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz am 7. Februar 2022 in Washington erlaubte, unter Missachtung der Souveränität Deutschlands ein Ende von Nord Stream 2 zu bestimmen.[6] Scholz schaute wortlos zu, auch noch als Biden auf die Frage, wie er das anstellen wolle, antwortete: „I promise you, weʼll be able to do it“ – „Ich verspreche Ihnen, wir werden in der Lage sein, es zu tun.“[7] Zu dieser Zeit bemühte sich Wladimir Putin noch, mit Biden über berechtigte Sicherheitsgarantien zu verhandeln, um den Krieg gegen die Ukraine zu vermeiden.

Das wird von heut auf morgen der Vergessenheit anheim gegeben, und jetzt soll derjenige, der den Energienotstand in Deutschland und damit den Niedergang der deutschen Wirtschaft zu verantworten hat, die höchste deutsche Ehrung erhalten. Die Unterwürfigkeit der Berliner Regierung einschließlich des Bundespräsidenten kennt offensichtlich keine Grenzen.

Bidens besonderer Einsatz bei der Übernahme der Ukraine
Dass Joseph Biden, der fast alle Konflikte und Kriege der vergangenen Jahrzehnte als Senator, Präsidentenberater und Vizepräsident mit zu verantworten hat, 2021 Präsident der Vereinigten Staaten wurde, ist ein großes Unglück. Ginge es mit rechten Dingen zu, müsste er vor den Internationalen Gerichtshof gestellt werden. Aber die US-Regierung weiß sehr genau, warum sie dieses Gericht nicht anerkennt.

Biden verfolgte die Agenda derjenigen, die ihn ein Leben lang protegiert und in dieses Amt geschoben haben, rigoros weiter. Und augenscheinlich hält er sich an die Analyse des Politologen und langjährigen Präsidentenberaters Zbigniew Brzezinski, der Europa als Schachbrett ansah, auf dem die USA ihre Züge machen, und in seinem 1997 erschienenen Buch „Die einzige Weltmacht“ über die Ukraine schrieb:

„Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schachbrett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als unabhängiger Staat zur Umwandlung Russlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“[8]

Insofern bewies Biden besonderen Einsatz bei der Destabilisierung und kalten Übernahme der Ukraine, wobei er von Außenminister John Kerry, CIA-Chef John Brennan, Senator John McCain und weiteren hochrangigen US-Politikern unterstützt wurde. Wie schon bei anderen Regime Changes, Konflikten und Kriegen profitierte die US-amerikanische Führungsschicht von dem Wechsel, so auch Joe Bidens Sohn Hunter, der schon zuvor offensichtlich durch Patronage in verschiedene gut dotierte Ämter befördert worden war. Im Mai 2014, also kurz nach dem Putsch in Kiew, erhielt er einen eigens für ihn geschaffenen Vorstandsposten im Verwaltungsrat der Burisma Holdings, dem größten nichtstaatlichen Gasproduzenten der Ukraine.[9] Weitere Vorstandsämter bei Burisma erhielten der ehemalige Wahlkampfleiter Kerrys, Devon Archer, der früher bei Merrill Lynch und J.P. Morgen tätige Investmentbanker Alan Apter sowie Polens Ex-Staatspräsident Aleksander Kwasniewski. Ihnen folgte im Februar 2016 noch Josef Kofer Black, von 1999 bis 2002 Direktor des CIA Counterterrorist Centers. Das alles geschah unter der Vizepräsidentschaft Joseph Bidens.

Seinerzeit begann der ukrainische Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin wegen Interessenkollision, Korruption und Vetternwirtschaft zu ermitteln. 2018 wurde dann bekannt, dass Biden den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Premierminister Arsenij Jazenjuk, beide Günstlinge der USA, genötigt hatte, Schokin zu entlassen.[10] Zu vermuten ist, dass die Ermittlungen den US-Vizepräsidenten und seinen Sohn schwer belastet hätten. Denn abgesehen von der Patronage hat Burisma Medienberichten zufolge 2014 und 2015 mehr als drei Millionen US-Dollar an eine Firma namens Rosemont Seneca Bohai LLC gezahlt, die bis zu 50.000 Dollar monatlich an Hunter Biden zahlte. Der wiederum war zusammen mit Christopher Heinz, dem Stiefsohn von John Kerry, Eigentümer von Rosemont Seneca Partners.[11]

Es handelte sich um eines der üblichen Beziehungs- und Korruptionsgeflechte der US-amerikanischen Führungsschicht. Daher zeigten die in die Washingtoner Obama-Clinton-Kamarilla eingebundenen Politiker und Journalisten, die eifrig wegen angeblicher Beziehungen Trumps zum Kreml polemisierten, wenig Interesse, die Vorwürfe zu überprüfen. Erst als Trump im Oktober 2020 im Wahlkampf Korruptionsvorwürfe gegen Biden erhob, kamen dessen Machenschaften in der Ukraine ans Licht. Biden reagierte empört:

„Es ist der letzte Versuch in dieser verzweifelten Kampagne, mich und meine Familie zu verleumden.“[12]

Lautete die Frage zuvor, warum geschäftliche Kontakte amerikanischer Politiker nach Russland ein Staatsverbrechen sein sollten, war jetzt zu fragen, warum nicht dem manifesten Korruptionsverdacht gegen den Präsidentschaftskandidaten und seinen Sohn nachgegangen wurde. Die Sache verlief im Sande. Vetternwirtschaft, Korruption, Erpressung, wohin man blickt.

Joseph Biden: „Ich regiere die Welt“
Dass die USA die Bedrohung Russlands unter Benutzung der Ukraine ständig vorangetrieben haben, bestätigte Biden am 2. Oktober 2014 in einer Rede an der Harvard Kennedy School in Cambridge/Massachusetts:

„Wir haben Putin vor die einfache Wahl gestellt: Respektieren Sie die Souveränität der Ukraine oder Sie werden sich zunehmenden Konsequenzen gegenübersehen. Dadurch waren wir in der Lage, die größten entwickelten Staaten der Welt dazu zu bringen, Russland echte Kosten aufzuerlegen. Es ist wahr, dass sie [die EU] das nicht tun wollten. Aber wiederum war es die Führungsrolle Amerikas und die Tatsache, dass der Präsident der Vereinigten Staaten darauf bestanden hat, ja, Europa des Öfteren in Verlegenheit bringen musste, um es dazu zu zwingen, sich aufzuraffen und wirtschaftliche Nachteile einzustecken, um Kosten [für Russland] verursachen zu können. Und die Folgen waren eine massive Kapitalflucht aus Russland, ein regelrechtes Einfrieren von ausländischen Direktinvestitionen, der Rubel auf einem historischen Tiefststand gegenüber dem Dollar, und die russische Wirtschaft an der Kippe zu einer Rezession.“[13]

Wie verlogen die Begründung für die Sanktionen ist, wird daran deutlich, dass die USA zu dieser Zeit den jahrelang vorbereiteten Staatsstreich in Kiew – unter Missachtung der Souveränität der Ukraine – bereits vollzogen und ihren Günstling Arsenij Jazenjuk als Ministerpräsidenten eingesetzt hatten.[14] Der Bürgerkrieg in der Ostukraine hatte begonnen, Kiew sollte die Blaupause für das sein, was man in Moskau beabsichtigt, und bis dato durch ständige Provokationen und den Ukraine-Krieg vorantreibt.

Wie es um das Selbstverständnis der US-amerikanischen Regierung bestellt ist, demonstrierte Präsident Joseph Biden am 6. Juli 2024 in einem Interview mit dem US-Sender ABC, als er nach einem desaströsen Wahlkampfduell mit Donald Trump nach seiner körperlichen und mentalen Verfassung gefragt wurde. Vor laufender Kamera erklärte er:

„Ich absolviere jeden Tag einen kognitiven Test. Wissen Sie, ich mache nicht nur Wahlkampf, ich regiere die Welt. Das klingt wie eine Übertreibung, aber wir sind die wichtigste Nation der Welt.“[15]

Diese Aussage wurde von den westlichen Politikern und Journalisten nahezu kritiklos hingenommen, was wiederum Rückschlüsse auf die mentale Verfassung dieser Akteure zulässt. Eingegangen wurde hauptsächlich auf die Frage, ob Biden noch die Fähigkeit für eine zweite Amtszeit habe. Die Kontroverse darum beendete er am 24. Juli 2024 durch seinen Verzicht auf die Kandidatur.[16] Dennoch beendete er noch nicht seine Aggressionspolitik gegen Russland, und er macht Wahlkampf für Kamala Harris, demnächst auch persönlich in Deutschland.

Dr. Wolfgang Bittner, Jahrgang 1941, lebt als freier Schriftsteller in Göttingen und ist Mitglied des Deutschen Freidenker-Verbandes und seines Beirats

Quellen und Anmerkungen

(1)  So www.tagesschau.de/ausland/amerika/biden-deutschlandbesuch-100.html

(2)  www.tagesschau.de/ausland/amerika/biden-berlin-besuch-100.html

(3)  Siehe www.whitehouse.gov/briefing-room/statements-releases/2024/09/24/statement-from-white-house-press-secretary-karine-jean-pierre-on-president-bidens-travel-to-germany-and-angola/

(4)  Vgl. www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/us-praesident-biden-laedt-zu-ukraine-treffen-in-deutschland,UPUfqBX sowie www.deutschland.de/de/news/ukraine-gipfel-mit-biden-in-ramstein

(5)  www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/10/241003-StB-USA.html

(6)  Vgl. ZDF heute, 8.2.2022; www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-krise-scholz-biden-washington-100.html (Fehler 404)

(7)  Zit. wie YouTube, 7.2.2022; www.youtube.com/watch?v=jwnoKjgcHmA, ab 1:43 (12.9.2022) (Video ist nicht verfügbar)

(8)  Zbigniew Brzezinski: Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft, Frankfurt/Main 2001, S. 74 f.

(9)  Vgl. Wolfgang Bittner: Die Eroberung Europas durch die USA, S. 48 f. mit weiteren Nachweisen sowie UKRAINE CRISIS, 27.9.2019, http://uacrisis.org/de/73460-burisma

(10)  Epoch Times, 29.4.2019, www.epochtimes.de/politik/welt/der-ehemalige-us-vize-praesident-joe-biden-und-die-ukraine-illegale-einflussnahme-auf-die-us-wahl-2016-a2870649.html

(11)  Vgl. Washington Examiner, 27.9.2019, https://www.washingtonexaminer.com/politics/john-kerrys-son-cut-business-ties-with-hunter-biden-over-ukrainian-oil-deal sowie https://de.wikipedia.org/wiki/Burisma_Holdings (2.10.2024)

(12)  Zit. wie Zeit Online, 21.10.2020, www.zeit.de/politik/ausland/2020-10/us-praesidentschaftswahl-joe-biden-korruptionsvorwuerfe-ukraine-donald-trump

(13)  Zit. wie www.youtube.com/watch?v=JLO7uKVarB8 (2.10.2024)

(14)  Dazu: Victoria Nuland, der Freitag, 22.4.2014, www.freitag.de/autoren/hans-springstein/5-milliarden-dollar-fuer-den-staatsstreich

(15) Zit. wie www.n-tv.de/politik/Widerstand-bei-Demokraten-gegen-Kandidatur-formiert-sich-US-Praesident-Biden-ballt-die-Faust-und-gibt-skurriles-Interview-article25067731.html

(16) Vgl. www.zdf.de/nachrichten/politik/ausland/biden-rede-nation-kandidatur-usa-wahl-demokraten-100.html

Bild oben: Joe Biden wird am 17. Oktober 2024 auf der Joint Base Andrews in Maryland von Oberst Paul Pawluk zur Air Force One begleitet, bevor er nach Berlin reist. (Offizielles Foto des Weißen Hauses)
Foto: The White House – P20241017AS-0064, Public Domain
Quelle: https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=154056158


Samstag, 19. Oktober 2024

Deutsche Staatsraison: Rechtfertigung von Kriegsverbrechen - Rainer Rupp - LZ

 Entnommen: https://linkezeitung.de/2024/10/19/rechtfertigung-von-kriegsverbrechen-als-deutsche-staatsraison/

Rechtfertigung von Kriegsverbrechen als deutsche Staatsraison

VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 19. OKTOBER 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR


von Rainer Rupp – https://apolut.net

Baerbock und die zivilen menschlichen Ziele in Gaza

Es hat ein paar Tage gedauert bis Annalena Baerbock von der vernichtenden Wirkung ihrer Rede am 10. Oktober im Bundestag eingeholt wurde. In der Rede zum Jahrestag des Hamas-Überfalls auf die israelische Besatzungsmacht gedachte Deutschlands intelligenteste Außenministerin aller Zeiten den auf 1200 geschätzten israelischen Todesopfern. Auch den von Hamas verschleppten israelischen Geiseln galt ihr eher theatralisches Mitgefühl, wobei sie allerdings nicht erwähnte, dass die Hamas ihre israelischen Geiseln gegen Tausende Palästinenser in israelischen Gefängnissen austauschen wollte, wie in der Vergangenheit wiederholt geschehen.

Ansonst war Baerbocks Rede mit den im Zusammenhang mit Israel bis zum Überdruss bekannten, leeren Phrasen prall gefüllt. Und dazu gehörte auch die wiederholt Erwähnung, dass „Israels Sicherheit“ angeblichen „deutsche Staatsraison“ ist.

Hier zwei Beispiele[i] aus der Rede, wiedergegeben im „Plenarprotokoll 20/191, Stenografischer Bericht der 191. Sitzung des Deutschen Bundestags, in Berlin, Donnerstag, den 10. Oktober 2024 (https://dserver.bundestag.de/btp/20/20191.pdf#P.24791) Der Link führt direkt zur Rede von Baerbock.

„Israels Sicherheit ist Teil unserer deutschen Staatsräson. Wir gemeinsam – wir als Bundesrepublik Deutschland, wir als Bundesregierung, ich als Außenministerin, wir als Parlament, die demokratische Mitte, Sie als Parlamentarierinnen und Parlamentarier – haben das immer wieder deutlich gemacht“. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP.)

Oder:

„Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson, unabhängig davon, wer Deutschland regiert, unabhängig davon, wer Außenpolitik macht.“ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP.)

Allerdings hängt der Begriff „Staatsraison“ haltlos im politischen Raum, denn keiner weiß, was Staatsraison wirklich ist. Es gibt nicht einmal einen Beschluss des Deutschen Bundestags, der den Begriff definieren würde, den viele so vollmundig benutzen.

Angeblich soll die Formel irgendwann mal Kanzlerin Angela Merkel über die Lippen gekommen sein, wonach sie prompt von pro-zionistischen Kreisen instrumentalisiert und sofort gegen zweifelnde Fragen mit Anti-Semitismus Verdächtigungen wehrhaft abgeschirmt wurde.  Hier folgt ein Versuch, den Begriff und die Politik drumherum einzuordnen:

Die Staatsräson, abgeleitet aus dem Französischen „raison d’état“, ist ein Überbleibsel autokratischer Regierungsformen hauptsächlich aus der Feudalzeit. Sie bezieht sich im Allgemeinen auf die Idee, dass der Staat, also der Herrscher in bestimmten Situationen Maßnahmen ergreifen kann, die aus Sicht der herrschenden Moral problematisch sind oder gegen geltendes Recht verstoßen, aber aus Sicht des Herrschers notwendig für das Überleben seines Staates, bzw. seiner Herrschaft ist.

Dieses Konzept hat ihn früheren Jahrzehnten zu teils hoch sophistischen, politischen und juristischen Streitigkeiten geführt. In jüngeren Zeiten und unter demokratischeren Staatsformen steht der Staat vor allem in der Verantwortung, die Interessen seiner Bürger zu schützen. Der Schutz der Bürger und ihrer Interessen hat demnach – zumindest in den Gesetzestexten Vorrang vor dem Schutz der staatlichen Institutionen.

Der Schutz des anonymen Staatsapparates wird jedoch von vielen Politikern und Staatsdienern aus nachvollziehbarem Eigeninteresse als höchste Staatsraison angesehen und führt zwingend zu Spannungen und Widersprüchen zwischen Schutz der Bürgerinteressen und dem Staatsschutz.

Mit anderen Worten der alte, vieldeutige Begriff Staatsraison, widerspiegelt das Spannungsfeld zwischen Gesetz, Recht, Moral einerseits und den Zielen von Politikern und Staatsdienern, bzw. den Kräften aus dem Tiefen Staat andererseits.  Aber egal wie unterschiedlichen die jeweiligen Interessen auf sein mochten, sie waren immer auf den eigenen Staat, bzw. auf die eigene Nation fokussiert.

Historisch und weltweit einmalig ist daher die Tatsache, dass Deutschlands Politiker deklamieren, dass die Sicherheit eines anderen, weit entfernten Staates deutsche Staatsraison ist! Das, obwohl dieser Staat in seiner kurzen Geschichte seit 1948 immer wieder seine Nachbarstaaten überfallen, die ansässige Bevölkerung vertrieben, immer wieder Landraub begangen und zu alledem auch noch einen Apartheidstaat auf den besetzten Gebieten errichtet hat.

Zu allem Überfluss wird dann auch noch diese Staatsraison-Formel von den Herrschenden in der deutschen Politik in eine unantastbare gusseiserne Form gegossen, der auf dem Altar der deutsch-israelischen Beziehungen jeden Tag obligatorische Ehrenbezeugungen erwiesen werden müssen.

Plenarprotokoll 20/191, der Stenografischer Bericht der 191. Sitzung des Deutschen Bundestags, in Berlin, Donnerstag, den 10. Oktober 2024 (https://dserver.bundestag.de/btp/20/20191.pdf#P.24791) Der Link führt direkt zur Rede von Baerbock.

Aber kommen wir nun zum Kern von Baerbocks Rede, der inzwischen rund um die Welt ging und sie mit Wucht eingeholt hat. Mit dem von ihr bereits gewohnten Durchblick hatte Deutschlands führende Völkerball-Rechtlerin vor den Kameras der Welt die notdürftigen Sammelunterkünfte in Gaza für bereits ausgebombte, obdachlose palästinensische Familien zu legitimen militärischen Zielen für die zionistische Soldateska erklärt, und denen in ihrem verbrecherischen Tun weiter deutsche Unterstützung zugesichert. Das ist der Skandal, der rund um die Welt geht.

Da aber der Rest von Baerbocks Rede voller leerer Worthülsen war, hatte scheinbar niemand so richtig hingehört, als die Außenministerin mit der Autorität unseres Landes erklärte, dass israelische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ordnung sind und Deutschland weiter hinter den Kindermassenmördern steht.

Was genau hatte nun Baerbock laut Plenarprotokoll gesagt:

„Das humanitäre Völkerrecht und das Existenzrechts Israels gehören auf das Engste zusammen. Dafür steht die deutsche Staatsräson.“

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

„Daher haben wir es immer wieder deutlich benannt: Selbstverteidigung bedeutet natürlich, dass man Terroristen nicht nur angreift, sondern zerstört. Deswegen habe ich so klar und deutlich gemacht: Wenn Hamas Terroristen sich hinter Menschen, hinter Schulen verschanzen, dann kommen wir in ganz schwierige Bereiche. Aber wir ducken uns davor nicht weg. Deswegen habe ich vor den Vereinten Nationen deutlich gemacht: Dann können auch zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren: weil Terroristen diesen missbrauchen. Dazu steht Deutschland, das bedeutet für uns Sicherheit Israels.“

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Den Stein ins weltweite Rollen hatte der Berliner Journalisten Tarek Baé gebracht, indem er Dienstag ein Video mit dem relevanten Ausschnitt aus Bearbocks Rede mitsamt englischen Untertiteln gepostet hatte. Die Wirkung war ungeheuer. Postwendend meldete sich sogar die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese auf X zu Wort:

“Als unabhängige Expertin der UN bin ich sehr besorgt wegen der Haltung, die Deutschland in Bezug auf Israel/Palästina einnimmt, und seine gefährlichen Implikationen und Konsequenzen. Ministerin Baerbock sollte eingeladen werden, Beweise für ihre Behauptungen vorzulegen und dann erklären, wie “zivile Objekte den geschützten Status verlieren und wie die Massaker rechtfertigt, die Israel im Gazastreifen und andernorts verübt.“

„Hat Deutschland entschieden, sich an die Seite eines Staates zu stellen, der Völkerrechtsverbrechen begeht, ist das eine politische Wahl, aber sie hat auch rechtliche Konsequenzen. Möge die Gerechtigkeit siegen, wo die Politik schrecklich versagte.”

Seit der ersten Veröffentlichung des Videos, in dem die “Völkerball-Rechtlerin“ Angriffe auf zivile Ziele rechtfertigt, ging die Nachricht nicht nur in alternativen Medien viral, sondern auch in den Leitmedien der Länder des Globalen Südens, von Al Jazeera über den türkischen Sender TRT und Kuwait Times, nur um einige zu nennen. Das Bearbock-Video hat definitiv eine große Reise durch den arabischsprachigen Raum und darüber hinaus angetreten. Hier ist z.B. eine Baerbock-Video-Persiflage[ii] mit arabischen Untertiteln.

Wenige Tage nach ihrer Bundestag-Rede, am 14. Oktober, hat dann die Genozid verdächtige israelische Armee Flüchtlingszelte vor einer Klinik in Gaza in Brand geschossen und die Bilder von den Frauen und Kindern, die mit brennenden Kleidern versuchten, sich zu retten, gingen ebenfalls um die Welt. Es war ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Aus Sicht des globalen Südens hat die deutsche Außenministerin genau solche Angriffe als rechtmäßig erklärt. So treffen diese Bilder und Baerbocks Rechtfertigung aufeinander und ergeben eine toxische Mischung, die definitiv dem Ruf und Ansehen Deutschlands nachhaltig schaden wird.

Der Schutzstatus ziviler Orte im Völkerrecht verfällt nämlich nicht so einfach, wie die deutsche Völkerball-Rechtsexpertin im Bundestag und vor dem Rest der Welt konstatiert hat.

Zugegeben, die Frage, ob zivile Orte ihren Schutzstatus verlieren, wenn Terroristen sie missbrauchen, ist ein komplexes und kontroverses Thema im Völkerrecht. Denn es berührt mehrere völkerrechtliche Instrumente, insbesondere das humanitäre Völkerrecht, die Haager Landkriegsordnung (HLKO) und die Genfer Konventionen, die den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten regeln. Schauen wir und das doch mal im Detail an:

Nach dem humanitären Völkerrecht, insbesondere der Haager Landkriegsordnung von 1907 und den Genfer Konventionen von 1949 sowie deren Zusatzprotokollen, sind zivile Personen und Orte vor Angriffen geschützt. Zivilisten dürfen nicht das Ziel von militärischen Angriffen sein, und zivile Objekte wie Wohnhäuser, Krankenhäuser und Schulen genießen besonderen Schutz.

Allerdings gibt eine anerkannte Regel im Völkerrecht, dass zivile Objekte ihren Schutzstatus verlieren können, wenn sie zu militärischen Zwecken genutzt werden, allerdings nicht, wenn sich jemand unter der Zivilbevölkerung versteckt. Zivile Objekte verlieren nur dann ihren Schutzstatus, wenn aus ihnen heraus Angriffe gegen den Gegner erfolgen, sie also zu militärischen Zwecken genutzt werden. Dieser Grundsatz wird oft als „dual-use“-Doktrin bezeichnet. Beispielsweise, wenn eine Schule oder ein Krankenhaus als Basis für militärische Operationen oder zur Lagerung von Waffen dient, kann es zum legitimen Ziel werden.

Das Zusatzprotokoll I zu den Genfer Konventionen (Artikel 52) besagt jedoch, dass „militärische Objekte“ ausschließlich solche Objekte sind, die einen effektiven Beitrag zu militärischen Handlungen leisten und deren Zerstörung einen klaren militärischen Vorteil verschafft. Dies bedeutet, dass der bloße Missbrauch eines zivilen Objekts durch Terroristen nicht automatisch zu einem Freibrief für wahllose Angriffe auf dieses Objekt führt. Jeder Angriff muss spezifisch gegen die militärische Funktion des Objekts gerichtet sein.

Eine wichtige Rolle spielt auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Ein zentrales Prinzip des humanitären Völkerrechts ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Artikel 51 und 57 des Zusatzprotokolls I). Dieser besagt, dass militärische Aktionen, auch wenn sie auf legitime militärische Ziele abzielen, nicht unverhältnismäßig viele zivile Opfer fordern dürfen. Der erwartete militärische Vorteil eines Angriffs muss in einem angemessenen Verhältnis zu den zivilen Verlusten und Schäden stehen.

Ein Angriff, der übermäßige zivile Opfer verursacht oder massive Zerstörung ziviler Infrastruktur nach sich zieht, kann leicht als unverhältnismäßig und damit völkerrechtswidrig gelten, selbst wenn das militärische Ziel legitim ist.

Die Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 verbietet wahllose Gewaltanwendung und verlangt von den Konfliktparteien, Schäden an der Zivilbevölkerung zu minimieren. Insbesondere Artikel 25 der HLKO verbietet den Beschuss von „nicht verteidigten“ Städten, Dörfern, Wohnstätten oder Gebäuden, und dies bezieht sich auch auf den Schutz von Zivilisten.

Wenden wir nun diese Grundsätze auf die aktuelle Lage im Gaza Konflikt an. Im aktuellen Kontext, etwa bei den Vorwürfen von „Gaza-Massakern“, geht es um die Frage, ob militärische Operationen, die eine große Zahl von zivilen Opfern fordern, völkerrechtskonform sind. Wenn Terroristen in dicht besiedelten zivilen Gebieten wie dem Gazastreifen agieren und zivile Objekte als Schutzschild benutzen, stellt dies die Konfliktparteien vor besondere Herausforderungen.

Artikel 8 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) betrachtet den bewussten Einsatz von Zivilisten als Schutzschild als Kriegsverbrechen. Doch selbst wenn eine Konfliktpartei Terroristen bekämpft, bleibt sie an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Dies bedeutet, dass selbst wenn Terroristen zivile Schutzschilde verwenden, ein Angriff nicht erfolgen darf, wenn er unverhältnismäßig hohe zivile Verluste zur Folge hat.

Der Vorwurf eines Genozids oder einer ethnischen Säuberung wird dann erhoben, wenn die Gewaltanwendung über das hinausgeht, was als „militärisch notwendig“ angesehen werden kann, und gezielt auf die Auslöschung einer Gruppe abzielt. Dies erfordert eine besondere Untersuchung, insbesondere unter den Vorgaben der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes von 1948.

Auch wahllose tödliche Gewaltanwendung der Zionisten, wie man sie in Gaza immer wieder sieht, ist nach dem Völkerrecht strengstens verboten. Die Genfer Konventionen und ihre Zusatzprotokolle verbieten explizit Angriffe, bei denen keine Unterscheidung zwischen Kämpfern und Zivilisten gemacht wird. Dies betrifft sowohl den Einsatz schwerer Bombardierungen in dicht besiedelten Gebieten als auch den Einsatz von Waffen, die keine präzise Zielsteuerung ermöglichen.

Fazit

Die Deutsche Außenministerin hat vor ihrer Bundestagsrede wahrscheinlich in ihrem Büchlein „Völkerrecht für Dummköpfe“ einen Kurztext gelesen, wonach zivile Orte unter bestimmten Umständen ihren Schutzstatus verlieren können, wenn sie von Terroristen für militärische Zwecke missbraucht werden. Sie hatte gefunden, was sie brauchte, und blätterte nicht weiter. Aber jeder, der auch nur zwei Semester Jura studiert hat, weiß, dass es für alles Ausnahmeregelungen oder Einschränkungen gibt, egal ob BGB, Handelsrecht oder Strafrecht. Immer ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zentral, und das gilt auch für das Völkerrecht und Kriegsrecht.

Jeder militärische Angriff muss daher sorgfältig abwägen, ob der militärische Vorteil den potenziellen Schaden für die Zivilbevölkerung rechtfertigt. Eine unterschiedslose Gewaltanwendung, die eine unverhältnismäßig große Zahl von zivilen Opfern fordert, ist völkerrechtswidrig und könnte als Kriegsverbrechen oder gar Völkermord geahndet werden. Auch die UN-Sonderberichterstatterin Francesca Albanese scheint das so zu sehen. Angesichts der Klage in Den Haag, in der Deutschland der Beihilfe zum Genozid beschuldigt wird, könnten Baerbocks Worte von Den Haag noch als Bestätigung angesehen werden. Deutschland befindet sich wieder einmal auf der falschen Seite der Geschichte.

Anmerkungen
[i] (https://dserver.bundestag.de/btp/20/20191.pdf#P.24791)

[ii] https://x.com/i/status/1846211978596942169

 

https://apolut.net/rechtfertigung-von-kriegsverbrechen-als-deutsche-staatsraison-von-rainer-rupp/