Leserbrief vom 14.10.2011:
Donnerwetter, selten ist ein Buchtitel so hereingeplatzt in die gesellschaftliche Realität wie dieser von Eugen Ruge: „In Zeiten des abnehmenden Lichts.“ Einer, der aus dem Morgenrot Kommenden landet in der Abenddämmerung der Gegenwart. Mehr noch: In zunehmender Herbstkälte! Ohne diese Lektüre eines Schriftstellers aus den östlichen Gefilden zunächst gelesen zu haben, ahnt jeder Schlaukopf, wohin gegenwärtig der entlarvende Schuß mit dem sich abschwächenden Licht in Wirklichkeit geht. Da sind wir nämlich längst drin, in dieser Zeit. Denn seit das östliche Licht nicht mehr leuchtet, ist auch die Abendsonne am Horizont auf ewig am Verschwinden.
Manchen einstigen DDR-Bürgern gingen gleich nach der „Wende“ die Augen auf, so z. B. der ehemaligen Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: Sie setzte alles daran, so sagte sie damals, eine andere Gesellschaft zu erreichen, und sie merke (…), das sei ja alles noch viel schlimmer, perspektivloser, ressourcenvergeudender und unsozialer als damals.
Wer wüßte und spürte das nicht: Europa ist krisengeschüttelt, das Kapital sucht krampfhaft mit einem gewaltigen „Rettungsschirm“ nach Auswegen, um zu überleben. Soziale Kämpfe erschüttern in riesigem Umfang die Ränder Europas. Siehe die spanischen Massenproteste, die Forderung nach tatsächlicher Demokratie, danach, beteiligt zu sein bei der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums. So sieht es bei allen Protesten aus. Auch in Deutschland: Stuttgart 21 und der berechtigte enorme Widerstand im Südosten Berlins gegen das zukünftige Drehkreuz in Schönefeld, das so nicht geplant war, gegen Fluglärm und Nachtflugverbote von 22 Uhr bis 06 Uhr früh.
Was hat das mit dem verlöschenden Licht auf sich? Das ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da dieses Buch mit dem Deutschen Buchpreis geehrt wurde, die an den Ketten der Finanzmacht liegende Justiz und die Politik den Protesten des Volkes ein klares und kaltschäuziges Nein zum Nachtflugverbot entgegengeschmettert haben. Eine Absage an den Volkswillen, eine bodenlose Ignorierung der dem engegenstehenden Fakten. Und das ist die zu bewundernde „Hellseherei“ des Autors: Der unüberwindliche Widerspruch: Hier die eindeutig favorisierten und hochgejubelten Wirtschaftsinteressen, dort die Gesundheit der Leute. Ein Grundkonflikt, der auch den Unbedarftesten ins Augen springen muß.
Hat der Autor dem schier abnehmenden Licht einen erneuten Sonnenaufgang entgegegenzusetzen? Warten wir es ab. Nach dem Lesen sind wir schlauer.
Soviel steht fest: Die im Süden und Südosten Berlins wohnenden und arg Betrogenen und schikanös Behandelten wissen es schon jetzt besser: Laut Meinungen von Experten kann es wohl nunmehr keine juristische Konfliktbereinigung mehr geben. Deshalb werden sie ganz sicher den Horrorszenen von ganz oben zunehmend und verschärft Paroli bieten. Zunächst – so kann man vermuten – wird es eine Menschen- und Lichterkette um ein bestimmtes Amt geben. Ob den Insassen dabei nun endlich einmal ein Licht aufgeht? Man kann ja noch wörtlich hinzufügen „Wegtreten!“ Oder ein härteres Wort anwenden… Ehe alles Licht verlischt!!
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Freitag, 14. Oktober 2011
Den eigentlichen Verklärern ins Handwerk pfuschen
Am 12.11.2011 an´s nd gesendet als Kommentar
Ich bin an diesem Roman sehr interessiert, da persönlich Erlebtes sehr wichtig ist – auch für die Geschichtsschreibung. Hier also meine Bemerkungen zu Schütts Feuilleton:
Den eigentlichen „Verklärern“ ins Handwerk pfuschen
Was die DDR angeht, deren Deutungshoheit zurückgewonnen muß, dazu paar Worte, die Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) am 24.08.2011 gegenüber der Super-Illu äußerte: „Je weiter wir uns von der Zeit der DDR entfernen, desto mehr müssen wir (...) tun – weil Erinnerungen verblassen, Zeitzeugen weniger werden. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass in den Schulen ein realistisches Geschichtsbild von der DDR gezeichnet wird. (…) Und deshalb wehre ich mich auch gegen die im Westen verbreiteten Klischees, wo man die DDR gerne auf das Thema Staatssicherheit reduziert. (…)
Wer will mir mein Leben verbiegen und alles besser wissen wollen, wenn ich als einstiger DDR-Bürger aus meinen Erfahrungen berichte? Vor allem: Es ist wohl keine Diskussion möglich, wenn fanatische Kapitalanbeter und Rothasser bereits auf Sichtweite drohend den Knüppel schwingen. Komme man mir nicht mit Verklärung der DDR-Geschichte. Ich kenne niemanden, der das macht. Die Verklärer sind im Gegenteil jene, die DDR - Erfahrungen totschweigen wollen, denen ist ins Handwerk zu pfuschen.
Im Übrigen meinte der Schriftsteller Dietmar Dath im Gespräch mit Martin Hatzius – über Potenziale gesellschaftlichen Fortschritts, Systemkrisen, veröffentlicht im ND am 03.09.2011 zu der Frage zum gescheiterten real existierenden Sozialismus: (…) „Aber das heißt doch noch lange nicht, dass eine sozialistische Gesellschaft nicht funktionieren kann. Es ist doch wunderbar, dass im Ostblock all diese Fehler begangen worden sind. Indem wir sie kennen, indem wir sie analysieren, können wir aus diesen Fehlern lernen. Die haben so viele Fehler gemacht, die man beim nächsten Versuch alle nicht mehr machen muss.“ (…)
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Ich bin an diesem Roman sehr interessiert, da persönlich Erlebtes sehr wichtig ist – auch für die Geschichtsschreibung. Hier also meine Bemerkungen zu Schütts Feuilleton:
Den eigentlichen „Verklärern“ ins Handwerk pfuschen
Was die DDR angeht, deren Deutungshoheit zurückgewonnen muß, dazu paar Worte, die Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) am 24.08.2011 gegenüber der Super-Illu äußerte: „Je weiter wir uns von der Zeit der DDR entfernen, desto mehr müssen wir (...) tun – weil Erinnerungen verblassen, Zeitzeugen weniger werden. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass in den Schulen ein realistisches Geschichtsbild von der DDR gezeichnet wird. (…) Und deshalb wehre ich mich auch gegen die im Westen verbreiteten Klischees, wo man die DDR gerne auf das Thema Staatssicherheit reduziert. (…)
Wer will mir mein Leben verbiegen und alles besser wissen wollen, wenn ich als einstiger DDR-Bürger aus meinen Erfahrungen berichte? Vor allem: Es ist wohl keine Diskussion möglich, wenn fanatische Kapitalanbeter und Rothasser bereits auf Sichtweite drohend den Knüppel schwingen. Komme man mir nicht mit Verklärung der DDR-Geschichte. Ich kenne niemanden, der das macht. Die Verklärer sind im Gegenteil jene, die DDR - Erfahrungen totschweigen wollen, denen ist ins Handwerk zu pfuschen.
Im Übrigen meinte der Schriftsteller Dietmar Dath im Gespräch mit Martin Hatzius – über Potenziale gesellschaftlichen Fortschritts, Systemkrisen, veröffentlicht im ND am 03.09.2011 zu der Frage zum gescheiterten real existierenden Sozialismus: (…) „Aber das heißt doch noch lange nicht, dass eine sozialistische Gesellschaft nicht funktionieren kann. Es ist doch wunderbar, dass im Ostblock all diese Fehler begangen worden sind. Indem wir sie kennen, indem wir sie analysieren, können wir aus diesen Fehlern lernen. Die haben so viele Fehler gemacht, die man beim nächsten Versuch alle nicht mehr machen muss.“ (…)
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Sonntag, 9. Oktober 2011
"Gefährliches" Erbe
(Geschrieben Herbst 2009, gekürzt veröffentlicht in RotFuchs Mai 2010)
Eine Laudatio auf ein unbezahlbares DDR-Kapital
Ehj, der macht einem wirklich Sorgen. Zum Beispiel der ehemalige Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm (CDU). Hatte der doch allen Ernstes behauptet, in den neuen Bundesländern gebe es „eine verbreitete Stillosigkeit – im Umgang wie bei der Kleidung“. Aufgrund der „Entchristlichung“ in der DDR fehle vielen Menschen außerdem „ein geistlicher Halt“. Ein Politiker kommentierte dazu treffend, dieser Mann könne seinen „Ekel vor Ostdeutschen nicht mehr verbergen“. („junge welt“, 23.11.2009)
Das läßt einem keine Ruhe. Der arme Mann. Wie muß er sich während seiner Amtszeit gequält haben. Lauter Ossis um ihn herum. Es muß wohl ein starkes Gegengift in ihm gewesen sein, so etwas auszuhalten. Ist dem Mann überhaupt zu helfen? Will er sich helfen lassen? Jedenfalls muß ein Virus in ihm stecken, der nicht totzukriegen ist. Also her mit einem Eimer … Für einen Hartgesottenen aus der Gilde der Unbelehrbaren.
Und diese Gilde ist riesengroß. Selbst wenn man die meisten Medien und die Reden der Politikergarde unter die Lupe nimmt, dann weiß man, wie miserabel es den heutigen Machtbeflissenen geht. Sie deckeln alles ab, was einmal der andere Teil Deutschlands war. Sie lassen auch nach zwanzig Jahren keinen grünen Zweig an der DDR. Was könnte denen - also auch dem einstigen General der Bundeswehr - in die Quere gekommen sein?
Dabei haben die Oberen aus der vollständigen Vereinnahmung Ostdeutschlands glänzend profitiert. Sämtliches Volkseigentum haben sie wieder an sich gerissen und mit dem Osten neue Absatzmärkte geschaffen. „Vom Volkseigentum der DDR profitierten zu 85 Prozent Westdeutsche, zu zehn Prozent internationale Konzerne und nur zu fünf Prozent DDR- Bürger. Das Eigentum der DDR wurde durch die Treuhand verschleudert. Das alles nenne ich nicht Revolution. Es ist die Restauration des Kapitalismus, was im Herbst keine Forderung des Volkes war.“ („junge welt“, 19.09.2009, Gespräch mit Egon Krenz. Über sein Buch »Herbst ’89«, den Untergang der DDR und über Legenden und Realität am 9. November vor 20 Jahren). Harry Nick dazu im ND vom 13.11.2009: „In den vom Zeitgeist so sehr bemühten Wende-Erinnerungen hätte auch an das Schicksal der ostdeutschen Industrie erinnert werden müssen. Deren Absturz in den Jahren 1990/92 ist schließlich der spektakulärste Vorgang in der Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit: Mitten in Europa und mitten im Frieden wurden über zwei Drittel des Industriepotenzials brachgelegt. Das hatte es selbst im Gefolge der Weltkriege nicht gegeben.“
Die Inbesitznahme Ostdeutschlands nach der Implosion der DDR kann doch keinen Ekel erregen. Oder?
Es muß da etwas geben, was sie, die Haßprediger des politischen Tieffliegergeschwaders und mediengeschädigte Einfaltspinsel nicht vereinnahmen konnten, was sie nicht mit noch so großen Jubelfesten auch im Jahre 2010 totzuschweigen imstande sind: Das ist der ehrliche Gedanke zurück, der sich nicht nur mit Halbwahrheiten und Lügen abgibt, sondern dann der Wahrheit näherkommt, wenn er dabei den gesamten Entstehungsprozeß der DDR als einzigartige Alternative zum Kapitalismus ins Blickfeld holt. Sicher, die jetzigen Herrschenden mögen es gar nicht lustig finden, wenn nicht wenige der Älteren unter den einstigen DDR-Bürgern die Geschichte - mit zwei prüfenden Augen sehend – erzählen und so ihr Wissen und ihre Erfahrungen an Jüngere würdevoll übermitteln. Kann es nicht sein, dass dabei Wertvolles zutage kommt, das, was man heute nicht mehr wahrhaben will, was kaum noch zu finden ist? Kann es da nicht passieren, daß Kritik am Bestehenden aufkommt, am Marktgebaren? Könnte da nicht ein Dacapo am Himmel aufleuchten? Ein Wiederaufleben humanistischer Gesellschaftsideen? Herbert Willner hält in dem Buch „Kundschafter im Westen“, edition ost, S. 310, folgendes fest: Die Herren der Globalisierung, der Konzerne und Banken hätten längst entsorgt werden können. „Ihr Fazit: Das darf sich niemals wiederholen! Entsprechend müssen die Reste sozialistischen Aufbegehrens mit Stumpf und Stiel ausgemerzt werden. Selbst die Erinnerung muß so gründlich wie möglich getilgt werden. Die Menschen müssen entsozialisiert, entsolidarisiert und entpolitisiert werden, um sie – Teile und herrsche! – beherrschen und um jegliche gesellschaftsverändernden Aktivitäten ausbremsen oder verhindern zu können.“
Die Furcht davor wäre immerhin denkbar, jagt doch ein gewisses Gespenst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts den Geldmachtbeflissenen Angst und Schrecken ein. Und nun revanchieren sie sich: Nie wieder Sozialismus/Kommunismus! Der Abgesang des Sozialismus sei auch das Ende der Geschichte, sagen sie. Aber kann eine Idee so leicht untergehen? Sind die Gründe dafür denn zu Grabe getragen worden? Wer zählt die Vernunftbeganten, die dem widersprechen? Einer von vielen ist der Regisseur Wolfgang Kohlhaase. Er sagt in einem ND-Interview „Wie die Wende ins Kino kam“: „Das damals prognostizierte Ende der Geschichte ist ja nicht eingetreten, die Geschichte geht weiter, als großes unbekanntes Abenteuer. Und der östliche Gesellschaftsversuch ist ja nicht gescheitert, weil die Gründe für den sozialistischen Weltverbesserungs-Entwurf aus dem 19. Jahrhundert sich erledigt haben. Die Gründe sind noch da.“ Gar nicht nebenbei gesagt: Eine englische Studie, eine Befragung in 27 europäischen Ländern ergab, dass 87 Prozent der Menschen sich eine andere, humanere Gesellschaftsordnung vorstellen können.
Gerade heraus: Alte „Ossis“ haben manches in petto, was einfach unbezahlbar ist. So Generalmajor a.D. Heinz-Joachim Calvelage im „RotFuchs“ vom Dezember 2009. Das gefiel mir. Man kann sogar von einem Reichtum sprechen der inneren Werte, der Menschlichkeit, der Draufsicht auf ein Leben in Frieden und gegenseitiger Achtung, auf die angestrebte – aber nicht immer praktizierte - Würde gegenüber jedem Einzelnen. Nicht zuletzt auf die systembedingte Möglichkeit, sich nicht der Diktatur des Geldes unterwerfen zu müssen. So unsere Anfangsbestrebungen.
Und das sei zu vererben? So einfach liegen die Dinge nicht. Inge von Wangenheim schrieb in der Zeitschrift „neue deutsche literatur“ 3/81, Seite 99, dass sich die Kinder der ersten Generation, die die DDR aufgebaut haben, damals die Früchte dieses Sieges bereits genießen konnten, „ohne sich über sein Zustandekommen noch viel Gedanken zu machen. Warum auch sollten sie? Ständige Verbeugungen vor Eltern und Großeltern beschränken den Blick für die Weite des eigenen Horizonts.“ Wie aber kann man eine Hoffnung, eine Idee, eine Fackel weiterreichen? Wenigstens aber Antennen, sprich Neugier, für das, was da politisch gespielt wird. Wer will davon überhaupt noch etwas wissen?
Ich gehöre auch zu den Alten. 1936 geboren und in der KVP sowie in der NVA gedient von 1954 bis 1986. Im Oktober 1949 mit der Fackel in der Hand auf dem Lustgarten stehend, jubelte auch ich der gerade gegründeten DDR zu. Später bildete auch ich junge Männer militärisch aus und griff schließlich zum Kugelschreiber und schrieb über jene, wie sie sich plagen, wie sie das Notwendige meistern lernten, den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat zu schützen. Ja, ich habe als Offizier und Militärjournalist in der Nationalen Volksarmee zweiunddreißg Jahre mitgewirkt an einer Alternative zum Krieg, an einem Entwurf für ein großartiges Gesellschaftsgemälde. Das trägt der Oberstleutnant a.D. mit Würde. Schmerz aber erfüllte ihn und Millionen anderen Leuten, daß man im kleinen Land mit der Zeit vieles vermasselt hatte. Eine ganze geschichtliche Periode, ein Startversuch in ein menschenwürdigeres Dasein ist durch Unvermögen abgestürzt. Auf absehbare Zeit unwiderruflich. Verspielte Chancen!
Und die standen anfangs nicht schlecht. Was für einen Reichtum wir angehäuft hatten: Gerne zitiere ich an dieser Stelle noch einmal Egon Krenz („junge welt“, 19.09.2009), dem es vor allem zu verdanken ist, dass kein Schuß beim Systemwechsel gefallen war: „In der Erinnerung vieler wird bleiben, was Menschen heutzutage so schmerzlich vermissen: Eine solidarische Gemeinschaft, in der der Mensch des Menschen Freund und nicht sein Wolf ist, in der nicht das Geld diktiert und soziale Angst über den Tag hinaus regiert, in der es Arbeit für alle gibt und gleiche Bildungschancen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Ohne Arbeit kann es keine wirkliche Freiheit geben. DDR-Bürger kannten ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit, es gab gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Gleichberechtigung der Geschlechter und der Generationen war selbstverständlich. Solange es die DDR gab, kamen keine deutschen Soldaten aus Krieggebieten in Särgen nach Deutschland.“
Und man gibt dem einstigen Staatsratsvorsitzenden recht, wenn er Nachdenklichkeit über Deutschland – nicht nur auf die DDR reduziert - einfordert und die Frage stellt, was denn bewahrenswert aus den Erfahrungen der DDR ist? Wer soll den Enkeln und Urenkeln Rede und Antwort stehen, falls diese Fragen irgendwann einmal gestellt werden? Und tatsächlich, „wie lebt es sich in einem Land“, so Harry Nick (ND 16.10.2009), „ ohne Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut, ohne sehr Reiche, ohne soziale Ängste; in einem Land, in dem Minister und Generaldirektoren großer Konzerne höchstens das Vierfache und nicht wie manche Bosse im heutigen Deutschland das vielhundertfache Einkommen des Durchschnittsverdieners erhalten? Wie lebt es sich in einem Land ohne Bildungsprivilegien? Wie lebt es sich, wenn Gesundheitsleistungen kostenlos sind? Wie lebt es sich ohne organisierte Kriminalität, Drogenkriminalität, in einem Land, in welchem die Kriminalitätsrate nur ein Sechstel im Vergleich zum benachbarten kapitalistischen Staat beträgt? Gab es in der DDR nicht in der Tat mehr menschliche Wärme, wie vor der Wende selbst die »FAZ« äußerte; mehr Hilfsbereitschaft unter den Menschen, mehr Kinderfreundlichkeit?“
Ja, Herr Schönbohm, die Ekel-Ossis!
Da wagt es doch (siehe ND vom 30.10.2009) ein Kölner Institut den Ostdeutschen in die Seele zu blicken und entdeckt ganz menschliche Züge. Wolfgang Hübner schrieb dazu: Von den Ostdeutschen würden zwei Medienbilder existieren: „der Wendeheld und der Jammerossi.“ … „Die meisten Ossis bewegen sich zwischen den Stereotypen. Sie zeichnen sich durch »praktizierte Lebensbeherrschung« aus, weshalb sie auf Luxus verzichten, Obst preiswert kaufen und selbst kochen und backen. Sie sind bodenständig und naturverbunden, was sich etwa in ihrem Hang zum Wandern dokumentiert. Sie bevorzugen einen geregelten Tagesablauf mit festen Aufsteh-, Essen- und Schlafzeiten – im Gegensatz zum »überfrachteten und fragmentierten westlichen Multioptions-Alltag«. Sie basteln lieber mit ihren Kindern Kastanienmännchen und genießen dabei »das Gefühl, ein eigenes, konkretes Werk zu schaffen«.
Wohl niemand macht sich da etwas vor: Sowohl die vererbungswürdigen Schätze an DDR-Erfahrungen als auch die subjektiv-dummen, unverzeihlichen sowie teilweise größeren Zusammenhängen geschuldeten Fehler – sie sind unter einem Dach groß geworden. Widersprüche, die zu ernsten Konflikten zwischen oben und unten führten. Was einst als sozialistische Persönlichkeit aus der Taufe gehoben werden sollte, verdarb mitunter zur Deformation der Menschen im Denken und Verhalten. Was sollte man denn davon halten, dass in den letzten Jahren vor 1989 kaum heikle Fragen gestellt werden durften. Weder in den Schulen, noch in den Betrieben. Gespräche zu politischen Widersprüchen nur hinter der vorgehaltenen Hand? Das ist unwürdig. So erzieht man nur Ja-Sager und keine reifen, kritikfähigen Mitstreiter in einer Gesellschaft, die ja etwas ganz Neues in der deutschen Geschichte darstellen sollte. Das konnte, und vieles andere mehr, nicht gut gehen.
Und es ging nicht gut. Mit recht platzte tausenden Bürgern zu gegebener Zeit der Kragen. Kann man ihnen nicht verübeln. Wer wollte bezweifeln, dass die meisten von ihnen eine reformierte DDR wollten. Ob das 1989 noch möglich geworden wäre, sei dahingestellt. Die Implosion der DDR und des ganzen Sozialismus trieb die Mauerspechte allerdings nicht in ein vermeintliches Paradies, sondern in die gesellschaftliche Sackgasse.
Was dem Ostbürger nach der Maueröffnung drübergestülpt, ja zugemutet wurde, das war mehr als nur Deformation der Persönlichkeit. Er fand sich plötzlich im Konsumrausch, was natürlich Fröhlichkeit einschließt, er sah sich – bemerkbar oder nicht – in einem Labyrinth unzähliger verfluchter Fragen und neuen, nicht gekannten Ängsten. Mehr noch: Manche bemerkten gar nicht, dass die Gegenwart und auch die Zukunft von der Vergangenheit gefressen wurde. Gunnar Decker schrieb dazu am 23.05.2009 im „ND“: „Die eigentliche Frage dieses Mauerfall-Jubiläumsjahres wird in den Medien des Landes auffallend viel beschwiegen: Das Leben führt zum Tode, aber wohin führt die Geschichte? Wir kommen nicht darum herum, das Gestorbene am Gestern zu trennen von dem, was weiterlebt. Um diesen Prozess der Scheidung geht es. Im Wiedererinnern wird beides sichtbar: Das, was lebt und das, was tot ist.“ In dem Buch „Vertreibung ins Paradies“, stellte Daniela Dahn auf Seite 207 fest: „Die DDR war mein Problem, sie hat mich trotz allem betroffen und interessiert, ihre utopische Potenz bewahrte bis zuletzt einen Impuls von 'Verändern-wollen', sie war bis zum Schluß wenigsten noch wert, abgelehnt oder auch gehaßt zu werden. Die BRD ist nicht mein Problem, sie langweilt mich, weil sie nichts mit mir zu tun hat. Sie läßt mich gleichgültig, weil ich nicht daran glaube sie verändern zu können."
Beifall für sie: Das nach „außen“ leben wollen und müssen, sich zeigen, sich präsentieren, sich verkaufen müssen!! Die Genügsamkeit: Meine Arbeit, mein Haus und Garten, mein Mann, mein Glück!! Maßlose Gier- und Verschwendungssucht der Geldleute – nein, und nochmals nein, das kann nicht zukunftsbestimmend sein, erst recht nicht die Kriege, die im Interesse der Machterhaltung der globalisierten Marktanbeter geführt werden.
Mir gefiel, was Countertenor Jochen Kowalski in diesem Zusammenhang am 14.11.2009 gegenüber dem ND äußerte: „Für nichts ist mehr Ruhe, Zeit und die nötige Freiheit von Druck da. Man hat Angst, nicht mehr besetzt, gar entlassen zu werden, die Menschen sind in einem erbärmlichen Maße damit beschäftigt, sich wichtig und unentbehrlich zu machen. Das ist doch irre: Alle fühlen sich frei, und jeder geht zum Psychiater.“
Was will denn eigentlich der normale Bürger? Man denke an die Geschichte von Leo Tolstoi „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ Darin ging es um die Gier eines Bauern, mehr Land haben zu wollen, als er eigentlich bearbeiten kann. Daran ging er zu Grunde. Heute sind die Läden zwar voll mit allem was das Herz begehrt, aber das, was ihn erst innerlich reifen läßt und seine Würde unterstreicht, das ist die Arbeit. Und eine bezahlbare Wohnung. Und eine kostenlose Gesundheitsversorgung. Und Liebe. Und das in einem Gesellschaftssystem, das dies durch eine andere Verteilung des Reichtums als Rahmenbedingung garantieren könnte. „Ich denke, ich bin kein gieriger Mensch. Deshalb ist es nicht mein System. Wie viele Menschen, die ich kenne, wünsche ich mir einen sicheren Arbeitsplatz, eine Wohnung, die ich bezahlen kann – alles andere richtet sich. Das kann und will mir das System nicht garantieren. Braucht es mich nicht mehr, stößt es mich ab. Ich und viele andere kriegen die Krise, wenn sie daran denken.“ So die Meinung von Christina Matte (ND, 28.05.2009).
Wohin führen Deformationsprozesse, wenn Leute nicht gefragt sind, wenn es nur ums Geld geht, wenn Nachdenken über Visionen nur ein abfälliges Lächeln erzeugen? Ein bemerkenswertes Eingeständnis von Maxim Leo, eines einstigen DDR-Bürgers, in seinem Buch „Haltet euer Herz bereit“ (Seite 15): „Ich habe einen gut bezahlten Job in einer Zeitung, und meine Hauptsorge besteht gerade darin, ob wir in unserer Küche Dielen- oder Steinfußboden haben sollten. Ich brauche keine Haltung mehr zu zeigen, muß mich nicht engagieren, benötige keinen Standpunkt. Politik kann ein Gesprächsthema sein, wenn einem sonst nichts einfällt. Nicht die Gesellschaft, ich selbst bin zum Hauptthema meines Lebens geworden. Mein Glück, mein Job, meine Projekte, meine Träume.“
Ohne Kommentar!
Spätestens hier sei die Frage angebracht: Bräuchte nicht ein einstiges Siebzehnmillionen-Volk angesichts fehlender Zukunftsvisionen sehr viele Eimer?
Ist das nicht grotesk: Zur Zeit der Jubelfeiern zum „Mauerfall“ um den neunten und zehnten November 2009 herum, bei der auch der letzte Ruf nach einer Debatte über
grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen zu Grabe getragen werden sollte, versammelten sich Historiker, Politologen, Schriftsteller und Informatiker zu einer Podiumsdiskussion an der FU Berlin. Sie diskutierten über den Sozialismus, über die Aktualität einer Utopie. „Wir wollen darüber reden,“ so heißt es, „wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der nicht Profit und Markt, sondern gesellschaftliche Bedürfnisse die Produktion bestimmen, in der die Verteilung von Arbeit und Ressourcen demokratisch geplant wird. Eine Gesellschaft ohne selbst produzierte Sachzwänge, eine Gesellschaft, die willens und fähig ist, der ökologischen Katastrophe zu entgehen. Eine historische Analyse des sogenannten »real existierenden Sozialismus« ist dabei unverzichtbar.“
Unter diesen – nun erst recht wieder erstrebenswerten – Bedingungen lassen sich leichter jene Werte ansteuern, die ansonsten immer mehr ins Hintertreffen geraten könnten. Der Schriftsteller K.H. Roehricht stellte dazu in seinem Buch „Großstadtmittag“ S. 206 fest: „Es sind immer die Zuverlässigkeit und die Bescheidenheit, der Fleiß und die Güte, die einen Menschen seinen wahren Wert auch außerhalb der Bildung geben.“ Und Christa Wolf fragt sich, „was will der Mensch. … Der Mensch will starke Gefühle erleben, und er will geliebt werden. Punktum.“
Sicher, Liebe, verbunden mit andauernder herzlicher Kameradschaft, verändert nicht die Welt – aber sie gibt Halt und Kraft, im Leben zu bestehen und manchmal mehr zu tun, als verlangt wird. Dann erst wächst einer über sich selbst hinaus. Nicht die Funktion, der Besitz materieller Dinge, das Getue – dieses ganze Blendwerk der Macht und Ehrgeizgierigkeit – nicht dies ist es, was die Reife eines Menschen zeigt, seine Seele aufdeckt, ihn zum Menschen macht. In ihrem sehr bemerkenswertem Buch „Meine ersten drei Leben“ entwirft Ingeborg Rapoport ein sehr schönes Bild vom Menschen (Seite 36): „Aber ist nicht jeder besonders, und leuchtet nicht jeder in der Berührung mit einem anderen auf, vielleicht nur für kurze Zeit – wie das Laub draußen im Garten, wenn die Sonnenstrahlen hindurchgehen? Und hat nicht jeder das Recht, mit Liebe aus der Erinnerung geholt zu werden für eine kleine flüchtige Wiederkehr ins Leben?“
Kulturgeschwätz? Hirngespinste der Alten? Wer winkt da ab? Klarsicht und Vernunft stünden den Deutschen besser zu Gesicht… Eimer ade also... Und das auf beiden Seiten der noch existierenden „Mauern in den Köpfen“, wie man zu sagen pflegt.
Harry Popow, Schöneiche b. Berlin
Eine Laudatio auf ein unbezahlbares DDR-Kapital
Ehj, der macht einem wirklich Sorgen. Zum Beispiel der ehemalige Innenminister von Brandenburg, Jörg Schönbohm (CDU). Hatte der doch allen Ernstes behauptet, in den neuen Bundesländern gebe es „eine verbreitete Stillosigkeit – im Umgang wie bei der Kleidung“. Aufgrund der „Entchristlichung“ in der DDR fehle vielen Menschen außerdem „ein geistlicher Halt“. Ein Politiker kommentierte dazu treffend, dieser Mann könne seinen „Ekel vor Ostdeutschen nicht mehr verbergen“. („junge welt“, 23.11.2009)
Das läßt einem keine Ruhe. Der arme Mann. Wie muß er sich während seiner Amtszeit gequält haben. Lauter Ossis um ihn herum. Es muß wohl ein starkes Gegengift in ihm gewesen sein, so etwas auszuhalten. Ist dem Mann überhaupt zu helfen? Will er sich helfen lassen? Jedenfalls muß ein Virus in ihm stecken, der nicht totzukriegen ist. Also her mit einem Eimer … Für einen Hartgesottenen aus der Gilde der Unbelehrbaren.
Und diese Gilde ist riesengroß. Selbst wenn man die meisten Medien und die Reden der Politikergarde unter die Lupe nimmt, dann weiß man, wie miserabel es den heutigen Machtbeflissenen geht. Sie deckeln alles ab, was einmal der andere Teil Deutschlands war. Sie lassen auch nach zwanzig Jahren keinen grünen Zweig an der DDR. Was könnte denen - also auch dem einstigen General der Bundeswehr - in die Quere gekommen sein?
Dabei haben die Oberen aus der vollständigen Vereinnahmung Ostdeutschlands glänzend profitiert. Sämtliches Volkseigentum haben sie wieder an sich gerissen und mit dem Osten neue Absatzmärkte geschaffen. „Vom Volkseigentum der DDR profitierten zu 85 Prozent Westdeutsche, zu zehn Prozent internationale Konzerne und nur zu fünf Prozent DDR- Bürger. Das Eigentum der DDR wurde durch die Treuhand verschleudert. Das alles nenne ich nicht Revolution. Es ist die Restauration des Kapitalismus, was im Herbst keine Forderung des Volkes war.“ („junge welt“, 19.09.2009, Gespräch mit Egon Krenz. Über sein Buch »Herbst ’89«, den Untergang der DDR und über Legenden und Realität am 9. November vor 20 Jahren). Harry Nick dazu im ND vom 13.11.2009: „In den vom Zeitgeist so sehr bemühten Wende-Erinnerungen hätte auch an das Schicksal der ostdeutschen Industrie erinnert werden müssen. Deren Absturz in den Jahren 1990/92 ist schließlich der spektakulärste Vorgang in der Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit: Mitten in Europa und mitten im Frieden wurden über zwei Drittel des Industriepotenzials brachgelegt. Das hatte es selbst im Gefolge der Weltkriege nicht gegeben.“
Die Inbesitznahme Ostdeutschlands nach der Implosion der DDR kann doch keinen Ekel erregen. Oder?
Es muß da etwas geben, was sie, die Haßprediger des politischen Tieffliegergeschwaders und mediengeschädigte Einfaltspinsel nicht vereinnahmen konnten, was sie nicht mit noch so großen Jubelfesten auch im Jahre 2010 totzuschweigen imstande sind: Das ist der ehrliche Gedanke zurück, der sich nicht nur mit Halbwahrheiten und Lügen abgibt, sondern dann der Wahrheit näherkommt, wenn er dabei den gesamten Entstehungsprozeß der DDR als einzigartige Alternative zum Kapitalismus ins Blickfeld holt. Sicher, die jetzigen Herrschenden mögen es gar nicht lustig finden, wenn nicht wenige der Älteren unter den einstigen DDR-Bürgern die Geschichte - mit zwei prüfenden Augen sehend – erzählen und so ihr Wissen und ihre Erfahrungen an Jüngere würdevoll übermitteln. Kann es nicht sein, dass dabei Wertvolles zutage kommt, das, was man heute nicht mehr wahrhaben will, was kaum noch zu finden ist? Kann es da nicht passieren, daß Kritik am Bestehenden aufkommt, am Marktgebaren? Könnte da nicht ein Dacapo am Himmel aufleuchten? Ein Wiederaufleben humanistischer Gesellschaftsideen? Herbert Willner hält in dem Buch „Kundschafter im Westen“, edition ost, S. 310, folgendes fest: Die Herren der Globalisierung, der Konzerne und Banken hätten längst entsorgt werden können. „Ihr Fazit: Das darf sich niemals wiederholen! Entsprechend müssen die Reste sozialistischen Aufbegehrens mit Stumpf und Stiel ausgemerzt werden. Selbst die Erinnerung muß so gründlich wie möglich getilgt werden. Die Menschen müssen entsozialisiert, entsolidarisiert und entpolitisiert werden, um sie – Teile und herrsche! – beherrschen und um jegliche gesellschaftsverändernden Aktivitäten ausbremsen oder verhindern zu können.“
Die Furcht davor wäre immerhin denkbar, jagt doch ein gewisses Gespenst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts den Geldmachtbeflissenen Angst und Schrecken ein. Und nun revanchieren sie sich: Nie wieder Sozialismus/Kommunismus! Der Abgesang des Sozialismus sei auch das Ende der Geschichte, sagen sie. Aber kann eine Idee so leicht untergehen? Sind die Gründe dafür denn zu Grabe getragen worden? Wer zählt die Vernunftbeganten, die dem widersprechen? Einer von vielen ist der Regisseur Wolfgang Kohlhaase. Er sagt in einem ND-Interview „Wie die Wende ins Kino kam“: „Das damals prognostizierte Ende der Geschichte ist ja nicht eingetreten, die Geschichte geht weiter, als großes unbekanntes Abenteuer. Und der östliche Gesellschaftsversuch ist ja nicht gescheitert, weil die Gründe für den sozialistischen Weltverbesserungs-Entwurf aus dem 19. Jahrhundert sich erledigt haben. Die Gründe sind noch da.“ Gar nicht nebenbei gesagt: Eine englische Studie, eine Befragung in 27 europäischen Ländern ergab, dass 87 Prozent der Menschen sich eine andere, humanere Gesellschaftsordnung vorstellen können.
Gerade heraus: Alte „Ossis“ haben manches in petto, was einfach unbezahlbar ist. So Generalmajor a.D. Heinz-Joachim Calvelage im „RotFuchs“ vom Dezember 2009. Das gefiel mir. Man kann sogar von einem Reichtum sprechen der inneren Werte, der Menschlichkeit, der Draufsicht auf ein Leben in Frieden und gegenseitiger Achtung, auf die angestrebte – aber nicht immer praktizierte - Würde gegenüber jedem Einzelnen. Nicht zuletzt auf die systembedingte Möglichkeit, sich nicht der Diktatur des Geldes unterwerfen zu müssen. So unsere Anfangsbestrebungen.
Und das sei zu vererben? So einfach liegen die Dinge nicht. Inge von Wangenheim schrieb in der Zeitschrift „neue deutsche literatur“ 3/81, Seite 99, dass sich die Kinder der ersten Generation, die die DDR aufgebaut haben, damals die Früchte dieses Sieges bereits genießen konnten, „ohne sich über sein Zustandekommen noch viel Gedanken zu machen. Warum auch sollten sie? Ständige Verbeugungen vor Eltern und Großeltern beschränken den Blick für die Weite des eigenen Horizonts.“ Wie aber kann man eine Hoffnung, eine Idee, eine Fackel weiterreichen? Wenigstens aber Antennen, sprich Neugier, für das, was da politisch gespielt wird. Wer will davon überhaupt noch etwas wissen?
Ich gehöre auch zu den Alten. 1936 geboren und in der KVP sowie in der NVA gedient von 1954 bis 1986. Im Oktober 1949 mit der Fackel in der Hand auf dem Lustgarten stehend, jubelte auch ich der gerade gegründeten DDR zu. Später bildete auch ich junge Männer militärisch aus und griff schließlich zum Kugelschreiber und schrieb über jene, wie sie sich plagen, wie sie das Notwendige meistern lernten, den ersten Arbeiter-und-Bauern-Staat zu schützen. Ja, ich habe als Offizier und Militärjournalist in der Nationalen Volksarmee zweiunddreißg Jahre mitgewirkt an einer Alternative zum Krieg, an einem Entwurf für ein großartiges Gesellschaftsgemälde. Das trägt der Oberstleutnant a.D. mit Würde. Schmerz aber erfüllte ihn und Millionen anderen Leuten, daß man im kleinen Land mit der Zeit vieles vermasselt hatte. Eine ganze geschichtliche Periode, ein Startversuch in ein menschenwürdigeres Dasein ist durch Unvermögen abgestürzt. Auf absehbare Zeit unwiderruflich. Verspielte Chancen!
Und die standen anfangs nicht schlecht. Was für einen Reichtum wir angehäuft hatten: Gerne zitiere ich an dieser Stelle noch einmal Egon Krenz („junge welt“, 19.09.2009), dem es vor allem zu verdanken ist, dass kein Schuß beim Systemwechsel gefallen war: „In der Erinnerung vieler wird bleiben, was Menschen heutzutage so schmerzlich vermissen: Eine solidarische Gemeinschaft, in der der Mensch des Menschen Freund und nicht sein Wolf ist, in der nicht das Geld diktiert und soziale Angst über den Tag hinaus regiert, in der es Arbeit für alle gibt und gleiche Bildungschancen unabhängig vom Geldbeutel der Eltern. Ohne Arbeit kann es keine wirkliche Freiheit geben. DDR-Bürger kannten ein hohes Maß an sozialer Gerechtigkeit, es gab gleichen Lohn für gleiche Arbeit, die Gleichberechtigung der Geschlechter und der Generationen war selbstverständlich. Solange es die DDR gab, kamen keine deutschen Soldaten aus Krieggebieten in Särgen nach Deutschland.“
Und man gibt dem einstigen Staatsratsvorsitzenden recht, wenn er Nachdenklichkeit über Deutschland – nicht nur auf die DDR reduziert - einfordert und die Frage stellt, was denn bewahrenswert aus den Erfahrungen der DDR ist? Wer soll den Enkeln und Urenkeln Rede und Antwort stehen, falls diese Fragen irgendwann einmal gestellt werden? Und tatsächlich, „wie lebt es sich in einem Land“, so Harry Nick (ND 16.10.2009), „ ohne Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit und Armut, ohne sehr Reiche, ohne soziale Ängste; in einem Land, in dem Minister und Generaldirektoren großer Konzerne höchstens das Vierfache und nicht wie manche Bosse im heutigen Deutschland das vielhundertfache Einkommen des Durchschnittsverdieners erhalten? Wie lebt es sich in einem Land ohne Bildungsprivilegien? Wie lebt es sich, wenn Gesundheitsleistungen kostenlos sind? Wie lebt es sich ohne organisierte Kriminalität, Drogenkriminalität, in einem Land, in welchem die Kriminalitätsrate nur ein Sechstel im Vergleich zum benachbarten kapitalistischen Staat beträgt? Gab es in der DDR nicht in der Tat mehr menschliche Wärme, wie vor der Wende selbst die »FAZ« äußerte; mehr Hilfsbereitschaft unter den Menschen, mehr Kinderfreundlichkeit?“
Ja, Herr Schönbohm, die Ekel-Ossis!
Da wagt es doch (siehe ND vom 30.10.2009) ein Kölner Institut den Ostdeutschen in die Seele zu blicken und entdeckt ganz menschliche Züge. Wolfgang Hübner schrieb dazu: Von den Ostdeutschen würden zwei Medienbilder existieren: „der Wendeheld und der Jammerossi.“ … „Die meisten Ossis bewegen sich zwischen den Stereotypen. Sie zeichnen sich durch »praktizierte Lebensbeherrschung« aus, weshalb sie auf Luxus verzichten, Obst preiswert kaufen und selbst kochen und backen. Sie sind bodenständig und naturverbunden, was sich etwa in ihrem Hang zum Wandern dokumentiert. Sie bevorzugen einen geregelten Tagesablauf mit festen Aufsteh-, Essen- und Schlafzeiten – im Gegensatz zum »überfrachteten und fragmentierten westlichen Multioptions-Alltag«. Sie basteln lieber mit ihren Kindern Kastanienmännchen und genießen dabei »das Gefühl, ein eigenes, konkretes Werk zu schaffen«.
Wohl niemand macht sich da etwas vor: Sowohl die vererbungswürdigen Schätze an DDR-Erfahrungen als auch die subjektiv-dummen, unverzeihlichen sowie teilweise größeren Zusammenhängen geschuldeten Fehler – sie sind unter einem Dach groß geworden. Widersprüche, die zu ernsten Konflikten zwischen oben und unten führten. Was einst als sozialistische Persönlichkeit aus der Taufe gehoben werden sollte, verdarb mitunter zur Deformation der Menschen im Denken und Verhalten. Was sollte man denn davon halten, dass in den letzten Jahren vor 1989 kaum heikle Fragen gestellt werden durften. Weder in den Schulen, noch in den Betrieben. Gespräche zu politischen Widersprüchen nur hinter der vorgehaltenen Hand? Das ist unwürdig. So erzieht man nur Ja-Sager und keine reifen, kritikfähigen Mitstreiter in einer Gesellschaft, die ja etwas ganz Neues in der deutschen Geschichte darstellen sollte. Das konnte, und vieles andere mehr, nicht gut gehen.
Und es ging nicht gut. Mit recht platzte tausenden Bürgern zu gegebener Zeit der Kragen. Kann man ihnen nicht verübeln. Wer wollte bezweifeln, dass die meisten von ihnen eine reformierte DDR wollten. Ob das 1989 noch möglich geworden wäre, sei dahingestellt. Die Implosion der DDR und des ganzen Sozialismus trieb die Mauerspechte allerdings nicht in ein vermeintliches Paradies, sondern in die gesellschaftliche Sackgasse.
Was dem Ostbürger nach der Maueröffnung drübergestülpt, ja zugemutet wurde, das war mehr als nur Deformation der Persönlichkeit. Er fand sich plötzlich im Konsumrausch, was natürlich Fröhlichkeit einschließt, er sah sich – bemerkbar oder nicht – in einem Labyrinth unzähliger verfluchter Fragen und neuen, nicht gekannten Ängsten. Mehr noch: Manche bemerkten gar nicht, dass die Gegenwart und auch die Zukunft von der Vergangenheit gefressen wurde. Gunnar Decker schrieb dazu am 23.05.2009 im „ND“: „Die eigentliche Frage dieses Mauerfall-Jubiläumsjahres wird in den Medien des Landes auffallend viel beschwiegen: Das Leben führt zum Tode, aber wohin führt die Geschichte? Wir kommen nicht darum herum, das Gestorbene am Gestern zu trennen von dem, was weiterlebt. Um diesen Prozess der Scheidung geht es. Im Wiedererinnern wird beides sichtbar: Das, was lebt und das, was tot ist.“ In dem Buch „Vertreibung ins Paradies“, stellte Daniela Dahn auf Seite 207 fest: „Die DDR war mein Problem, sie hat mich trotz allem betroffen und interessiert, ihre utopische Potenz bewahrte bis zuletzt einen Impuls von 'Verändern-wollen', sie war bis zum Schluß wenigsten noch wert, abgelehnt oder auch gehaßt zu werden. Die BRD ist nicht mein Problem, sie langweilt mich, weil sie nichts mit mir zu tun hat. Sie läßt mich gleichgültig, weil ich nicht daran glaube sie verändern zu können."
Beifall für sie: Das nach „außen“ leben wollen und müssen, sich zeigen, sich präsentieren, sich verkaufen müssen!! Die Genügsamkeit: Meine Arbeit, mein Haus und Garten, mein Mann, mein Glück!! Maßlose Gier- und Verschwendungssucht der Geldleute – nein, und nochmals nein, das kann nicht zukunftsbestimmend sein, erst recht nicht die Kriege, die im Interesse der Machterhaltung der globalisierten Marktanbeter geführt werden.
Mir gefiel, was Countertenor Jochen Kowalski in diesem Zusammenhang am 14.11.2009 gegenüber dem ND äußerte: „Für nichts ist mehr Ruhe, Zeit und die nötige Freiheit von Druck da. Man hat Angst, nicht mehr besetzt, gar entlassen zu werden, die Menschen sind in einem erbärmlichen Maße damit beschäftigt, sich wichtig und unentbehrlich zu machen. Das ist doch irre: Alle fühlen sich frei, und jeder geht zum Psychiater.“
Was will denn eigentlich der normale Bürger? Man denke an die Geschichte von Leo Tolstoi „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ Darin ging es um die Gier eines Bauern, mehr Land haben zu wollen, als er eigentlich bearbeiten kann. Daran ging er zu Grunde. Heute sind die Läden zwar voll mit allem was das Herz begehrt, aber das, was ihn erst innerlich reifen läßt und seine Würde unterstreicht, das ist die Arbeit. Und eine bezahlbare Wohnung. Und eine kostenlose Gesundheitsversorgung. Und Liebe. Und das in einem Gesellschaftssystem, das dies durch eine andere Verteilung des Reichtums als Rahmenbedingung garantieren könnte. „Ich denke, ich bin kein gieriger Mensch. Deshalb ist es nicht mein System. Wie viele Menschen, die ich kenne, wünsche ich mir einen sicheren Arbeitsplatz, eine Wohnung, die ich bezahlen kann – alles andere richtet sich. Das kann und will mir das System nicht garantieren. Braucht es mich nicht mehr, stößt es mich ab. Ich und viele andere kriegen die Krise, wenn sie daran denken.“ So die Meinung von Christina Matte (ND, 28.05.2009).
Wohin führen Deformationsprozesse, wenn Leute nicht gefragt sind, wenn es nur ums Geld geht, wenn Nachdenken über Visionen nur ein abfälliges Lächeln erzeugen? Ein bemerkenswertes Eingeständnis von Maxim Leo, eines einstigen DDR-Bürgers, in seinem Buch „Haltet euer Herz bereit“ (Seite 15): „Ich habe einen gut bezahlten Job in einer Zeitung, und meine Hauptsorge besteht gerade darin, ob wir in unserer Küche Dielen- oder Steinfußboden haben sollten. Ich brauche keine Haltung mehr zu zeigen, muß mich nicht engagieren, benötige keinen Standpunkt. Politik kann ein Gesprächsthema sein, wenn einem sonst nichts einfällt. Nicht die Gesellschaft, ich selbst bin zum Hauptthema meines Lebens geworden. Mein Glück, mein Job, meine Projekte, meine Träume.“
Ohne Kommentar!
Spätestens hier sei die Frage angebracht: Bräuchte nicht ein einstiges Siebzehnmillionen-Volk angesichts fehlender Zukunftsvisionen sehr viele Eimer?
Ist das nicht grotesk: Zur Zeit der Jubelfeiern zum „Mauerfall“ um den neunten und zehnten November 2009 herum, bei der auch der letzte Ruf nach einer Debatte über
grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen zu Grabe getragen werden sollte, versammelten sich Historiker, Politologen, Schriftsteller und Informatiker zu einer Podiumsdiskussion an der FU Berlin. Sie diskutierten über den Sozialismus, über die Aktualität einer Utopie. „Wir wollen darüber reden,“ so heißt es, „wie eine Gesellschaft aussehen könnte, in der nicht Profit und Markt, sondern gesellschaftliche Bedürfnisse die Produktion bestimmen, in der die Verteilung von Arbeit und Ressourcen demokratisch geplant wird. Eine Gesellschaft ohne selbst produzierte Sachzwänge, eine Gesellschaft, die willens und fähig ist, der ökologischen Katastrophe zu entgehen. Eine historische Analyse des sogenannten »real existierenden Sozialismus« ist dabei unverzichtbar.“
Unter diesen – nun erst recht wieder erstrebenswerten – Bedingungen lassen sich leichter jene Werte ansteuern, die ansonsten immer mehr ins Hintertreffen geraten könnten. Der Schriftsteller K.H. Roehricht stellte dazu in seinem Buch „Großstadtmittag“ S. 206 fest: „Es sind immer die Zuverlässigkeit und die Bescheidenheit, der Fleiß und die Güte, die einen Menschen seinen wahren Wert auch außerhalb der Bildung geben.“ Und Christa Wolf fragt sich, „was will der Mensch. … Der Mensch will starke Gefühle erleben, und er will geliebt werden. Punktum.“
Sicher, Liebe, verbunden mit andauernder herzlicher Kameradschaft, verändert nicht die Welt – aber sie gibt Halt und Kraft, im Leben zu bestehen und manchmal mehr zu tun, als verlangt wird. Dann erst wächst einer über sich selbst hinaus. Nicht die Funktion, der Besitz materieller Dinge, das Getue – dieses ganze Blendwerk der Macht und Ehrgeizgierigkeit – nicht dies ist es, was die Reife eines Menschen zeigt, seine Seele aufdeckt, ihn zum Menschen macht. In ihrem sehr bemerkenswertem Buch „Meine ersten drei Leben“ entwirft Ingeborg Rapoport ein sehr schönes Bild vom Menschen (Seite 36): „Aber ist nicht jeder besonders, und leuchtet nicht jeder in der Berührung mit einem anderen auf, vielleicht nur für kurze Zeit – wie das Laub draußen im Garten, wenn die Sonnenstrahlen hindurchgehen? Und hat nicht jeder das Recht, mit Liebe aus der Erinnerung geholt zu werden für eine kleine flüchtige Wiederkehr ins Leben?“
Kulturgeschwätz? Hirngespinste der Alten? Wer winkt da ab? Klarsicht und Vernunft stünden den Deutschen besser zu Gesicht… Eimer ade also... Und das auf beiden Seiten der noch existierenden „Mauern in den Köpfen“, wie man zu sagen pflegt.
Harry Popow, Schöneiche b. Berlin
Es kriecht immer noch aus dem gleichen Schoß
(Nach dem 13. August 2011 ins Netz gestellt)
Noch haben wir im Ohr, was Herr Wowereit zum Fluglärm über dem Müggelsee vor wenigen Tagen von sich gab: Wenn das Umweltbundesamt (UBA) die Routen prüft und das mit Gosen nicht ginge, na dann müssen die Menschen eben die Belastungen hinnehmen (die „Wirtschaftlichkeit“ müsse beachtet werden). Stunden später stellt er sich – ebenso wie andere Politiker – am 13. August ans Rednerpult und heult den Leuten in heuchlerischerweise vor: Für Tote durch Mauer und Stacheldraht gäbe es keine Gründe. Das sagt also ausgerechnet einer, der von den Bürgern fordert, „Gedankenlosigkeit und auch Unkenntnis“ zu Teilung und Mauerbau zu überwinden.Welche Ursachen führten denn letztendlich zur Abriegelung zwischen den zwei größten und weltmächtigsten Militärblöcken? Und war das etwa eine „innerdeutsche Grenze“?
Mauertote? Und wenn sie nicht gebaut worden wäre? Es ist nicht auszudenken, mit welchem Zynismus über damalige neue Gefahren für den Weltfrieden hinweggegangen wird. Ist das nicht kriminell? Dazu noch volksverdummend? Gar nicht zu reden von dem, was die DDR-Bürger nach dem Mauerbau für Vorteile genießen konnten. So die „junge welt“ vom 13. August 2011 u.a.: 28 Jahre Friedenssicherung, keine Beteiligung an Kriegseinsätzen, ohne Guidoknoppgeschichten, keine Erwerbslosigkeit, keine Suppenküchen, keine Neonazis, keine Zwei-Klassen-Medizin, 28 Jahre Bildung für alle.
Hier nur mal ein Zitat aus Rotfuchs, Heft 138, Juli 2009: Der Kalte Krieg wurde mit allen Mitteln forciert, und man sah auch anderes vor: Am 9. Juli 1961 verlangte die „Bonner Rundschau“, der Westen müsse dazu in der Lage sein, „alle Mittel des Krieges, des Nervenkrieges, des Schießkrieges anzuwenden. Dazu gehören nicht nur herkömmliche Streitkräfte und Rüstungen , sondern auch die Unterwühlung, das Anheizen des inneren Widerstandes, die Arbeit im Untergrund, die Zersetzung der Ordnung, die Sabotage, die Störung von Verkehr und Wirtschaft, der Ungehorsam, der Aufruhr.“
Hat er das und anderes mehr vergessen? Oder gar nicht gewußt? Was ist denn das für eine Gedankenakrobatik? Wie ewig gestrig ist denn dieser Mann? Nähert sich diese Geisteshaltung – in Umgehung der geschichtlichen Ursachen - nicht BILD an? Herr Wowereit, Sie spielen mit den Emotionen der Menschen. Und was lese ich weiter? Über die deutsche Teilung und den Mauerbau solle mehr in den Familien gesprochen werden? Das tun wir ehemaligen DDR-Bürger ohnehin, je nach eigenen Erfahrungen. Und wahrlich nicht unbedingt in dem Sinne, wie ein Herr Wowereit das vorzugeben wünscht. Ihre Ratschläge, Herr Wowereit, brauchen wir wirklich nicht dazu.
Wieviel Tränen und Gedenkminuten gab es wegen der Millionen Opfer des von Deutschland angezettelten zweiten Weltkrieges? Eine Schande, wenn man daran denkt, wie im damaligen Westdeutschland Blutrichter wieder in Amt und Würden kamen. Wie die KPD verboten wurden, wie Antifaschisten verfolgt wurden. Wie die Spaltung forciert wurde durch die separate Währungsunion 1948 in den Westzonen und die Gründung der BRD. Alles vergessen? Das ist ja nicht zum Aushalten.
So einfach ist das. Alles wischt er vom Tisch: Den Kalten Krieg von Anbeginn seit 1945, die Hallstein-Doktrin, mit der der Osten wirtschaftlich ausgeblutet werden sollte, die kriegerischen Absichten, Ostdeutschland „befreien“ zu wollen.
Nicht zuletzt nochmals die Demos gegen Fluglärm und Nachtflügen betreffend: Wer immerfort Ämter, Kontrollmechanismen, Bürokratie und sonstige "Entscheidungsträger" den menschlichen und berechtigten Interessen der betroffenen Einwohner vorzieht, also Regeln, die für einige Leute „wirtschaftlich“ wichtiger sind als die Gesundheit der Bürger, der kann kein echter Volksvertreter sein, der ist ein Menschenverachter. Der steht unter dem Diktat des Geldes, das weiß doch jeder... Und: Es sind Ausflüchte, um sein Gesicht nicht zu verlieren.
Die Trauer der Maueropfer wegen – natürlich ist sie berechtigt und notwendig. Aber mit Augenmaß! Sie muß gleichzeitig Mahnung sein! Für echte Alternativen zum gegenwärtig krisenverursachenden Großkapital. Die Opfer des Kalten Krieges und die für die Anwohner unzumutbaren Flugrouten – die Ursachen, die giftigen Triebkräfte, sie kriechen aus dem gleichen Schoß.
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Noch haben wir im Ohr, was Herr Wowereit zum Fluglärm über dem Müggelsee vor wenigen Tagen von sich gab: Wenn das Umweltbundesamt (UBA) die Routen prüft und das mit Gosen nicht ginge, na dann müssen die Menschen eben die Belastungen hinnehmen (die „Wirtschaftlichkeit“ müsse beachtet werden). Stunden später stellt er sich – ebenso wie andere Politiker – am 13. August ans Rednerpult und heult den Leuten in heuchlerischerweise vor: Für Tote durch Mauer und Stacheldraht gäbe es keine Gründe. Das sagt also ausgerechnet einer, der von den Bürgern fordert, „Gedankenlosigkeit und auch Unkenntnis“ zu Teilung und Mauerbau zu überwinden.Welche Ursachen führten denn letztendlich zur Abriegelung zwischen den zwei größten und weltmächtigsten Militärblöcken? Und war das etwa eine „innerdeutsche Grenze“?
Mauertote? Und wenn sie nicht gebaut worden wäre? Es ist nicht auszudenken, mit welchem Zynismus über damalige neue Gefahren für den Weltfrieden hinweggegangen wird. Ist das nicht kriminell? Dazu noch volksverdummend? Gar nicht zu reden von dem, was die DDR-Bürger nach dem Mauerbau für Vorteile genießen konnten. So die „junge welt“ vom 13. August 2011 u.a.: 28 Jahre Friedenssicherung, keine Beteiligung an Kriegseinsätzen, ohne Guidoknoppgeschichten, keine Erwerbslosigkeit, keine Suppenküchen, keine Neonazis, keine Zwei-Klassen-Medizin, 28 Jahre Bildung für alle.
Hier nur mal ein Zitat aus Rotfuchs, Heft 138, Juli 2009: Der Kalte Krieg wurde mit allen Mitteln forciert, und man sah auch anderes vor: Am 9. Juli 1961 verlangte die „Bonner Rundschau“, der Westen müsse dazu in der Lage sein, „alle Mittel des Krieges, des Nervenkrieges, des Schießkrieges anzuwenden. Dazu gehören nicht nur herkömmliche Streitkräfte und Rüstungen , sondern auch die Unterwühlung, das Anheizen des inneren Widerstandes, die Arbeit im Untergrund, die Zersetzung der Ordnung, die Sabotage, die Störung von Verkehr und Wirtschaft, der Ungehorsam, der Aufruhr.“
Hat er das und anderes mehr vergessen? Oder gar nicht gewußt? Was ist denn das für eine Gedankenakrobatik? Wie ewig gestrig ist denn dieser Mann? Nähert sich diese Geisteshaltung – in Umgehung der geschichtlichen Ursachen - nicht BILD an? Herr Wowereit, Sie spielen mit den Emotionen der Menschen. Und was lese ich weiter? Über die deutsche Teilung und den Mauerbau solle mehr in den Familien gesprochen werden? Das tun wir ehemaligen DDR-Bürger ohnehin, je nach eigenen Erfahrungen. Und wahrlich nicht unbedingt in dem Sinne, wie ein Herr Wowereit das vorzugeben wünscht. Ihre Ratschläge, Herr Wowereit, brauchen wir wirklich nicht dazu.
Wieviel Tränen und Gedenkminuten gab es wegen der Millionen Opfer des von Deutschland angezettelten zweiten Weltkrieges? Eine Schande, wenn man daran denkt, wie im damaligen Westdeutschland Blutrichter wieder in Amt und Würden kamen. Wie die KPD verboten wurden, wie Antifaschisten verfolgt wurden. Wie die Spaltung forciert wurde durch die separate Währungsunion 1948 in den Westzonen und die Gründung der BRD. Alles vergessen? Das ist ja nicht zum Aushalten.
So einfach ist das. Alles wischt er vom Tisch: Den Kalten Krieg von Anbeginn seit 1945, die Hallstein-Doktrin, mit der der Osten wirtschaftlich ausgeblutet werden sollte, die kriegerischen Absichten, Ostdeutschland „befreien“ zu wollen.
Nicht zuletzt nochmals die Demos gegen Fluglärm und Nachtflügen betreffend: Wer immerfort Ämter, Kontrollmechanismen, Bürokratie und sonstige "Entscheidungsträger" den menschlichen und berechtigten Interessen der betroffenen Einwohner vorzieht, also Regeln, die für einige Leute „wirtschaftlich“ wichtiger sind als die Gesundheit der Bürger, der kann kein echter Volksvertreter sein, der ist ein Menschenverachter. Der steht unter dem Diktat des Geldes, das weiß doch jeder... Und: Es sind Ausflüchte, um sein Gesicht nicht zu verlieren.
Die Trauer der Maueropfer wegen – natürlich ist sie berechtigt und notwendig. Aber mit Augenmaß! Sie muß gleichzeitig Mahnung sein! Für echte Alternativen zum gegenwärtig krisenverursachenden Großkapital. Die Opfer des Kalten Krieges und die für die Anwohner unzumutbaren Flugrouten – die Ursachen, die giftigen Triebkräfte, sie kriechen aus dem gleichen Schoß.
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Freitag, 7. Oktober 2011
Einäugigkeiten
Einäugigkeit als Lügner-Methode / Was ist Wahrheit?
Tausende Tatsachen/Fakten stürmen mitunter täglich auf einen ein. Dich wird nur weniges „jucken“, je nach Interesse. Soweit hast Du vollkommen recht. Du triffst also eine Auswahl, oft unbewußt und unkontrolliert. Das ist ganz normal. Sind es Details aus dem geistigen Bereich/Theorie/Politik usw., dann nimmst Du dir ebenfalls nur das heraus, was schnell kapiert wird, was schnell ins Hirn fließt, ohne große Anstrengung. Ein Beispiel: Du liest, ein Schwarzer wurde tot aufgefunden. Schon denkst du wie gewohnt an ein Verbrechen, an einen Mord. Aber das er tot ist, ist eben nur eine absolute Tatsache. Warum er gestorben ist, das ergibt erst die Untersuchung aller Umstände. Danach kommt erst die „Wahrheit“ ans Licht: Er wurde aus Rache ermordet. Das ist sehr simpel, sagt aber folgendes aus: Tatsachen, vollendete und absolute gibt es zuhauf, wer aber die Zusammenhänge analysiert und eine Synthese aller Fakten vornimmt, ist in der Lage, ein Urteil zu fällen, der Wahrheit gerecht zu werden.
Wahrheit kommt nur Aussagen über die Wirklichkeit zu – also subjektiven menschlichen Äußerungen. Und hier hast Du wiederum recht: Wer und wie eine Auswahl der Tatsachen vornimmt, hängt von dem jeweiligen Standpunkt ab – was will man mit der angeblichen Wahrheit erreichen? Gar nur ein Teil sagen und die anderen Fakten unterschlagen, sie verschweigen, nur eine Teilwahrheit mitteilen, die nur die Widerspiegelung streng ausgesuchter subjektiver Kriterien ist? (Übrigens muß man zugeben, daß man sich im Allgemeinen nur der Wahrheit nähern kann – das Weltall zu erkennen gelingt nur schrittweise, wird aber niemals absolut geschehen können, wobei einzelne Tatsachen absolut sind wie die Existenz der schwarzen Löcher usw.)
Der Brisanz dieser Feststellung begegnest Du im Politischen allemal: Da wird die Alternative zum Kapitalismus, die DDR, auf Diktatur und Stasi reduziert, da wird die Befreiung vom Faschismus auf „Kriegsende“ umgedeutet, da wird die Tatsache der zweiten Front durch die westlichen Allierten als der entscheidende Anteil des Sieges über Hitlerdeutschland hochsterilisiert, da werden die Opfer des Faschismus auf die Judenverfolgung reduziert, da werden (fällt mir gerade ein) Dichter wie Brecht auf allgemeine Aussagen reduziert, also entpolitisiert, da wird der Griff des Kapitals auf die Energiequellen in Südostasien und anderswo auf den Kampf gegen Terror und für „Menschlichkeit“ eingeengt, da werden die Ursachen des I. und II. Weltkrieges auf den Kaiser und auf Hitler absolut verengt.
Um jede Ursache gesellschaftlicher Fehlleistungen wird ein Umgehungsschild aufgestellt!!! Ja nicht in die Tiefe gehen. Und so predigen die heutigen Machthaber immerfort, die Welt sei ohnehin nicht erkennbar und damit auch nicht veränderbar. Fast jeder Arbeitslose – hört er auf die verdummenden Medien – glaubt letztlich, er selbst sei durch Faulheit Schuld an seinem Unglück.
Fazit: Erkennbarer ist die Welt nur durch eine gründliche Analyse und durch die nachfolgende Synthese, der neuen Zusammensetzung aller Fakten. Das aber hängt, und damit der Wahrheitsgehalt, von dem jeweiligen Auswahlprinzip ab, von dem subjektiven Standpunkt des Betrachters. Betrachte den „Mauerbau“ und Du siehst zur Zeit nur die vor Rührung und Tränen geschüttelten Opfer im Fernsehen usw. Da haben wir den vollendeten Wahrheitsgehalt. Nachdenken ist nicht IN!!
Zur DDR: Wenn man erkannte Wahrheiten nicht immer wieder mißt an der Praxis – so, wie das die Klassiker stets forderten - ,dann kippt das Ganze… Es kann bei der Wahrheitsuche und Verkündung derselben niemals Dogmen geben, allenfalls nur für einige Zeit gültige feste Grundsätze, Gesetzmäßigkeiten. Scheitern müssen stets jene, die die Wahrheit nicht wahrhaben wollen. Im Klartext: Deren Ende kommt, so oder so… Wann auch immer!
Du siehst, in allem hast Du recht gehabt. So denke auch ich.
Gruß an einen Genossen Mitstreiter.
Herzlichst Harry
Tausende Tatsachen/Fakten stürmen mitunter täglich auf einen ein. Dich wird nur weniges „jucken“, je nach Interesse. Soweit hast Du vollkommen recht. Du triffst also eine Auswahl, oft unbewußt und unkontrolliert. Das ist ganz normal. Sind es Details aus dem geistigen Bereich/Theorie/Politik usw., dann nimmst Du dir ebenfalls nur das heraus, was schnell kapiert wird, was schnell ins Hirn fließt, ohne große Anstrengung. Ein Beispiel: Du liest, ein Schwarzer wurde tot aufgefunden. Schon denkst du wie gewohnt an ein Verbrechen, an einen Mord. Aber das er tot ist, ist eben nur eine absolute Tatsache. Warum er gestorben ist, das ergibt erst die Untersuchung aller Umstände. Danach kommt erst die „Wahrheit“ ans Licht: Er wurde aus Rache ermordet. Das ist sehr simpel, sagt aber folgendes aus: Tatsachen, vollendete und absolute gibt es zuhauf, wer aber die Zusammenhänge analysiert und eine Synthese aller Fakten vornimmt, ist in der Lage, ein Urteil zu fällen, der Wahrheit gerecht zu werden.
Wahrheit kommt nur Aussagen über die Wirklichkeit zu – also subjektiven menschlichen Äußerungen. Und hier hast Du wiederum recht: Wer und wie eine Auswahl der Tatsachen vornimmt, hängt von dem jeweiligen Standpunkt ab – was will man mit der angeblichen Wahrheit erreichen? Gar nur ein Teil sagen und die anderen Fakten unterschlagen, sie verschweigen, nur eine Teilwahrheit mitteilen, die nur die Widerspiegelung streng ausgesuchter subjektiver Kriterien ist? (Übrigens muß man zugeben, daß man sich im Allgemeinen nur der Wahrheit nähern kann – das Weltall zu erkennen gelingt nur schrittweise, wird aber niemals absolut geschehen können, wobei einzelne Tatsachen absolut sind wie die Existenz der schwarzen Löcher usw.)
Der Brisanz dieser Feststellung begegnest Du im Politischen allemal: Da wird die Alternative zum Kapitalismus, die DDR, auf Diktatur und Stasi reduziert, da wird die Befreiung vom Faschismus auf „Kriegsende“ umgedeutet, da wird die Tatsache der zweiten Front durch die westlichen Allierten als der entscheidende Anteil des Sieges über Hitlerdeutschland hochsterilisiert, da werden die Opfer des Faschismus auf die Judenverfolgung reduziert, da werden (fällt mir gerade ein) Dichter wie Brecht auf allgemeine Aussagen reduziert, also entpolitisiert, da wird der Griff des Kapitals auf die Energiequellen in Südostasien und anderswo auf den Kampf gegen Terror und für „Menschlichkeit“ eingeengt, da werden die Ursachen des I. und II. Weltkrieges auf den Kaiser und auf Hitler absolut verengt.
Um jede Ursache gesellschaftlicher Fehlleistungen wird ein Umgehungsschild aufgestellt!!! Ja nicht in die Tiefe gehen. Und so predigen die heutigen Machthaber immerfort, die Welt sei ohnehin nicht erkennbar und damit auch nicht veränderbar. Fast jeder Arbeitslose – hört er auf die verdummenden Medien – glaubt letztlich, er selbst sei durch Faulheit Schuld an seinem Unglück.
Fazit: Erkennbarer ist die Welt nur durch eine gründliche Analyse und durch die nachfolgende Synthese, der neuen Zusammensetzung aller Fakten. Das aber hängt, und damit der Wahrheitsgehalt, von dem jeweiligen Auswahlprinzip ab, von dem subjektiven Standpunkt des Betrachters. Betrachte den „Mauerbau“ und Du siehst zur Zeit nur die vor Rührung und Tränen geschüttelten Opfer im Fernsehen usw. Da haben wir den vollendeten Wahrheitsgehalt. Nachdenken ist nicht IN!!
Zur DDR: Wenn man erkannte Wahrheiten nicht immer wieder mißt an der Praxis – so, wie das die Klassiker stets forderten - ,dann kippt das Ganze… Es kann bei der Wahrheitsuche und Verkündung derselben niemals Dogmen geben, allenfalls nur für einige Zeit gültige feste Grundsätze, Gesetzmäßigkeiten. Scheitern müssen stets jene, die die Wahrheit nicht wahrhaben wollen. Im Klartext: Deren Ende kommt, so oder so… Wann auch immer!
Du siehst, in allem hast Du recht gehabt. So denke auch ich.
Gruß an einen Genossen Mitstreiter.
Herzlichst Harry
Mit Scheuklappen gegen Rot
Werter Herr Kurt Pätzold, besten Dank für Ihre volle Zustimmung zur Titelseite „Dank“ der jW vom 13. August. Sie haben völlig recht, wenn Sie schreiben, „es kann (vielen, H.P.) … nicht entgangen sein, daß diese Zeitungsseite ein entschiedener, scharfer, nicht zu ignorierender Protest gegen ein Geschichtsbild der DDR war, das sich, gesteigert bis zur Hysterie, seit Wochen auf die deutsche Öffentlichkeit ergießt.
Dazu im Gegenzug in einem Offenen Brief des AK Geschichte ¬sozialer Bewegungen Ost/West vom 16.8.2011: „Am 13.August 2011 dankte die junge Welt auf dem Titelblatt breit aufgemacht den Mauerbauern für 28 Jahre Einsperren der DDR-Bevölkerung und feierte offen die stalinistische Unterdrückung, garniert mit den üblichen Propagandalügen der SED-Diktatur und Mythen über ihre »Errungenschaften«. …
Wieviel Speichellecker müssen denn noch zu Wort kommen, um endlich zu begreifen, daß es gar nicht um die Menschen, sondern um die materielle und geistige Knebelung der ehemaligen DDR geht. Aufschlußreich und selbstentlarvend der folgende Satz dieser wirklich Ewiggestrigen: „Der Antikommunismus des Westens wie der Antikapitalismus des Ostens dienten nur der Denunziation des Gegners und der Stabilisierung der eigenen Herrschaft. Wir können uns weder hinter die einen noch hinter die anderen »Anklagen« stellen, unabhängig davon, daß an beiden »was dran ist».“
Wer sich so zwischen alle Stühle setzt, mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Danke für diese geistvolle und standortbestimmende Offenbarung! Im Übrigen scheinen diese Leute überhaupt nicht viel von unwiderlegbaren Argumenten zu halten. Ich glaube jedenfalls nicht, daß sie jemals auch nur einen Blick in das Buch "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" geworfen, geschweige es von vorne bis hinten studiert haben.
(Armeegeneral a. D. Heinz Keßler und Generaloberst a. D. Fritz Streletz , 2011 www.edition –ost.de im Verlag Das Neue Berlin, Berlin, ISBN 978 3-360-01825-0, 220 Seiten.)
Zerrt dies Buch doch ans Licht, was allzu gerne totgeschwiegen wird: Die Schuld des Westens am Kalten Krieg, der ein heißer zu damaliger Zeit zu werden drohte. Und nach der sogenannten Wende fürchten die Kapitaloberen und ihre Marionetten in der Politik nichts so sehr wie ein Dacapo einer echten Alternative zum jetzigen Herrschaftssystem. Das ist in der krisengeschüttelten Gegenwart nicht verwunderlich, ruft doch selbst so ein gestandener Mann wie der Franzose Stéphane Hessel dazu auf, sich gegen das weltweit agierende Finanzkapital zu erheben, sich zu empören. Ist es doch eine Frage des Überlebens geworden, den nationalen und internationalen Profitjägern, Verdummern, Lügnern, Geschichtsfälschern mit knallharten Tatsachen ins Handwerk zu pfuschen. Deshalb auch dieser Stich ins Wespennest: Die beiden NVA-Militärs schreiben Klartext. Faktenreicher gehts wirklich nicht. Kein Wunder, daß es von den heutigen Wahrheitsverdrehern nicht nur gemieden, sondern auch verteufelt wird.
Kurzum: Möge die neuerliche Mauer zwischen Ost und West, zwischen oben und unten, zwischen Arm und Reich, zwischen etwas Unbedarften und Sehenden Stück für Stück durchlöchert werden - so wie das die hochbetagten und verdienstvollen beiden NVA-Generäle ihr Leben lang und mit diesem faktenreichen Buch getan haben. Wer heutige gesellschaftliche Konflikte mißachtet, sie nicht sehen will, mit Riesenscheuklappen gegen Rot wettert, macht sich wieder einmal mitschuldig…
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Dazu im Gegenzug in einem Offenen Brief des AK Geschichte ¬sozialer Bewegungen Ost/West vom 16.8.2011: „Am 13.August 2011 dankte die junge Welt auf dem Titelblatt breit aufgemacht den Mauerbauern für 28 Jahre Einsperren der DDR-Bevölkerung und feierte offen die stalinistische Unterdrückung, garniert mit den üblichen Propagandalügen der SED-Diktatur und Mythen über ihre »Errungenschaften«. …
Wieviel Speichellecker müssen denn noch zu Wort kommen, um endlich zu begreifen, daß es gar nicht um die Menschen, sondern um die materielle und geistige Knebelung der ehemaligen DDR geht. Aufschlußreich und selbstentlarvend der folgende Satz dieser wirklich Ewiggestrigen: „Der Antikommunismus des Westens wie der Antikapitalismus des Ostens dienten nur der Denunziation des Gegners und der Stabilisierung der eigenen Herrschaft. Wir können uns weder hinter die einen noch hinter die anderen »Anklagen« stellen, unabhängig davon, daß an beiden »was dran ist».“
Wer sich so zwischen alle Stühle setzt, mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Danke für diese geistvolle und standortbestimmende Offenbarung! Im Übrigen scheinen diese Leute überhaupt nicht viel von unwiderlegbaren Argumenten zu halten. Ich glaube jedenfalls nicht, daß sie jemals auch nur einen Blick in das Buch "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" geworfen, geschweige es von vorne bis hinten studiert haben.
(Armeegeneral a. D. Heinz Keßler und Generaloberst a. D. Fritz Streletz , 2011 www.edition –ost.de im Verlag Das Neue Berlin, Berlin, ISBN 978 3-360-01825-0, 220 Seiten.)
Zerrt dies Buch doch ans Licht, was allzu gerne totgeschwiegen wird: Die Schuld des Westens am Kalten Krieg, der ein heißer zu damaliger Zeit zu werden drohte. Und nach der sogenannten Wende fürchten die Kapitaloberen und ihre Marionetten in der Politik nichts so sehr wie ein Dacapo einer echten Alternative zum jetzigen Herrschaftssystem. Das ist in der krisengeschüttelten Gegenwart nicht verwunderlich, ruft doch selbst so ein gestandener Mann wie der Franzose Stéphane Hessel dazu auf, sich gegen das weltweit agierende Finanzkapital zu erheben, sich zu empören. Ist es doch eine Frage des Überlebens geworden, den nationalen und internationalen Profitjägern, Verdummern, Lügnern, Geschichtsfälschern mit knallharten Tatsachen ins Handwerk zu pfuschen. Deshalb auch dieser Stich ins Wespennest: Die beiden NVA-Militärs schreiben Klartext. Faktenreicher gehts wirklich nicht. Kein Wunder, daß es von den heutigen Wahrheitsverdrehern nicht nur gemieden, sondern auch verteufelt wird.
Kurzum: Möge die neuerliche Mauer zwischen Ost und West, zwischen oben und unten, zwischen Arm und Reich, zwischen etwas Unbedarften und Sehenden Stück für Stück durchlöchert werden - so wie das die hochbetagten und verdienstvollen beiden NVA-Generäle ihr Leben lang und mit diesem faktenreichen Buch getan haben. Wer heutige gesellschaftliche Konflikte mißachtet, sie nicht sehen will, mit Riesenscheuklappen gegen Rot wettert, macht sich wieder einmal mitschuldig…
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Tatort "Süd-Ost-Republik"
Es ist vollbracht: Wovon die Autobahn-Verlängerungs-Gegner nur träumen können in ihren langwierigen sogenannten Koalitionsverhandlungen, das sollen die Fluglärmgegner laut Augenzeugenberichten endlich erreicht haben. Nach unzähligen zahlreichen monatelangen lautstarken und sangesfreudigen Protesten auf dem Friedrichshagener Marktplatz, auf dem sich seit Juli 40 Tausend Aufrechte versammelt hatten, nicht mitgerechnet die 24.000 Bürger rund um den Müggelsee und die Menschenketten um den Bundestag sowie um das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, ist nun die „Süd-Östliche-Republik“ ausgerufen worden. Der Beifall wollte an diesem bedenklichen 03. Oktober in Friedrichshagen kein Ende nehmen, als dazu aufgerufen wurde, den Oberen endlich ganz weh zu tun, damit der Müggelsee überflugfrei bleibt. Mit der Gründung des eigenständigen Staates im Südosten Berlins wird ab sofort auch eine Flugverbotszone ausgerufen. Sollte diese Bürgerinitiative, die sich nunmehr in der Verantwortung einer Regierung befindet, keine sofortige diplomatische Anerkennung finden, dann ist laut vertrauensvollem Hörensagen folgender Völkerbeschluß zu erwarten: Für die Lobby und den Politiker-Marionetten wird im fernen Bonn eine Enklave zum Wohnen und sich Ausgrenzen vom Völkergeschehen angeboten. Menschlich fühlend, wird Herrn Wowereit dort der Posten eines Nachtwächters angeboten – zum Schutz der Wohlhabenden gegen eventuellen Fluglärm.
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
rbb fluglärmgeschädigt?
Eine Überraschung jagt die andere: In der Abendschau des rbb!! Gewohnt, niveauvolle Abwechslung im städtischen Kolorit zu bekommen, interessant und immer wieder neu, werden wir an den Fernsehschirmen mit ganz neuen, unerwarteten Aspekten der Informationspolitik überschüttet: Ab dem 1. August trommelt es täglich in den Ohren der Südost-Bewohner am Rande Berlins: Der Fluglärm über dem Norden Berlins – von Tegel ausgehend – höre ja nun bald auf. Doch statt Frohsinn der Anwohner aus Malchow, Pankow oder Hohenschönhausen gibt es Tränen. Tränen? Kaum zu glauben, weshalb denn? Die O-Töne flöten es in alle Ohren: Wir sind ja so dran gewöhnt. Es macht uns gar nichts mehr aus. Wir winken den Fluggeräten sogar zu. So lieb haben wir die. Was heißen soll (laut Sendeauftrag des rbb): Leute rund um den Müggelsee, hört auf zu jammern. Macht Schluß mit Euren dämlichen Montagdemos! Kerosin? Lärm im Minutentakt? Nachtflüge? Macht gar nichts. Naturschädigung? Ohrenschädigung? Tourismusschädigung? Nichts da. Im Gegenteil: Euer Herz wird sich in Liebe öffnen. Mögen die lieben Flugzeuge brummend so niedrig wie möglich über unsere Köpfe hinwegbrausen. Da brauchen wir nur noch die Hand zum Gruß erheben. Liebe Piloten – weiter so. Ihr seid unsere Freunde und bringt Freude in die Häuser und Gärten, wo selbst die Frösche keinen Grund mehr haben, in ihrerm Gequake innezuhalten. (Wie Frau Inge Komm am 01.08. auf der Demo so überzeugend rüberbrachte: „Nein, lacht nicht, das stimmt…)
Gar nicht so lieber rbb: Welcher Teufel hat Euch geritten, uns mit solchem unglaublichen Zynismus Dummdreistes zu offerieren? Ihr nennt Euch Kultursender? Ehe wir mit verschärftem Fluglärm zu Schaden kommen – die Einwohner von Friedrichshagen, Schöneiche, Rahnsdorf, Neuenhagen, Münchehofe, Fredersdorf, Waldesruh, Märchenviertel, Erkner und Petershagen – scheint es, Eure Redakteure der Serie „Leben in der Einflugschneise“ seien zuvor bereits hochgradig geistig belastet. Die nun schon montags weit über dreitausendvierhundert Demonstranten zählenden auf dem Marktplatz von Friedrichshagen haben einen tollen Vorschlag für Euch, den devot vor den Kapitaloberen kriechenden Journalisten: Kommt her. Montags. Stimmt ein in unser Lied „Bald ist Schluß mit guter Luft, Luft, Luft, ganz Berlin kriegt Kerosin als Duft, …“ Empört Euch mit uns. Macht Euch Luft. Sendet nur das, was Ihr selbst verantworten könnt. Sonst hören und sehen wir Euch nicht mehr gerne. Protestiert gegen geistige Unfähigkeit und Mut, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Möge die siegende Vernunft Euch bewahren vor einem Absturz in den Müggelsee – denn der wird nach Eurem Verständnis für Lärm, Kerosin und Nachtflügen voller Mitgefühl und Liebe vergiftet sein. Reicht Euch diese Aussicht?
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Gar nicht so lieber rbb: Welcher Teufel hat Euch geritten, uns mit solchem unglaublichen Zynismus Dummdreistes zu offerieren? Ihr nennt Euch Kultursender? Ehe wir mit verschärftem Fluglärm zu Schaden kommen – die Einwohner von Friedrichshagen, Schöneiche, Rahnsdorf, Neuenhagen, Münchehofe, Fredersdorf, Waldesruh, Märchenviertel, Erkner und Petershagen – scheint es, Eure Redakteure der Serie „Leben in der Einflugschneise“ seien zuvor bereits hochgradig geistig belastet. Die nun schon montags weit über dreitausendvierhundert Demonstranten zählenden auf dem Marktplatz von Friedrichshagen haben einen tollen Vorschlag für Euch, den devot vor den Kapitaloberen kriechenden Journalisten: Kommt her. Montags. Stimmt ein in unser Lied „Bald ist Schluß mit guter Luft, Luft, Luft, ganz Berlin kriegt Kerosin als Duft, …“ Empört Euch mit uns. Macht Euch Luft. Sendet nur das, was Ihr selbst verantworten könnt. Sonst hören und sehen wir Euch nicht mehr gerne. Protestiert gegen geistige Unfähigkeit und Mut, der Wahrheit ins Auge zu blicken. Möge die siegende Vernunft Euch bewahren vor einem Absturz in den Müggelsee – denn der wird nach Eurem Verständnis für Lärm, Kerosin und Nachtflügen voller Mitgefühl und Liebe vergiftet sein. Reicht Euch diese Aussicht?
Harry Popow, Schöneiche bei Berlin
Mittwoch, 5. Oktober 2011
"In die Stille gerettet" / Autobiographischer Roman / Buchtipp
DDR-Erinnerungsliteratur ist zunehmend gefragt. Sie wird besonders dann interessant und spannend, wenn es um ehrliche Rückblicke geht, wenn aus ganz persönlicher Sicht sowohl Privates als auch Gesellschaftliches eng verwoben beleuchtet werden, wenn auch Uneingeweihte einen Einblick in die inneren Motive, in das alltägliche Denken und Handeln bekommen. Herz, Geist und Gutwilligkeit vorausgesetzt, können so weiter Brücken entstehen – zwischen Ost und West. Einer von jenen DDR-Bürgern, die dies ebenfalls versuchen, bin ich mit meinem erst kürzlich veröffentlichten Buch „In die Stille gerettet“.
In Tagebuchnotizen erzähle ich, warum „Henry“ (das bin ich), ein fast 60jähriger Mann – der den Krieg noch als Kind hat erleben müssen, der sich voller Überzeugung im DDR-Alltag einbrachte und die Wende heil überstand – mit seiner Frau in die Stille der schwedischen Wälder abhaute. Sechs Jahre nach der Deutschen Einheit! Niemand trieb uns, keiner wurde steckbrieflich gesucht, keiner verunglimpft … Träume einerseits und Unvereinbarkeiten mit neuen Zuständen andererseits?
Um weitgehend Eigenwerbung zu vermeiden, füge ich hier mal die Meinung einer Lektorin (von ihr genehmigt) aus dem Verlag Haag+Herchen GmbH aus Hanau zu diesem Buch hinzu:
Da ich immer erst den Text anschaue … , konnte ich ganz entspannt lesen und mich freuen – über die wunderschöne Liebesgeschichte zweier Menschen, die harte Zeiten erlebt haben und doch im Herzinneren stets beieinander waren und sind.
Das Buch ist schön aufgebaut. Natürlich chronologisch, ich meine aber inhaltlich. Es besteht im Grund aus zahlreichen Mosaiksteinchen des Lebens, die wie eine Loseblattsammlung beginnt und dann nach und nach zu einem dichten Lebensteppich zusammenwächst unter einem Grundthema – Liebe.
Erinnerung … , es sind die kleinen Momente, … die unser Erleben prägen, … In Ihrem Fall ist das Cleo, grad heraus, unverblümt, herzlich und konstant, wissend und mutig und Sie, Lehrling, NVA-Offizier, Journalist, dann die Arbeit beim Fernsehen und die zweite Karriere, Schreiben, Malen, Auswandern.
Es sind kleine Spotlights, die den Weg zurück beleuchten, angefangen bei den Erinnerungen der jungen Mutter Tamara, die ihre Zukunft träumt und sie doch nie finden wird, anders als ihr Sohn, der sofort weiß – die ist es.
… Die Momente des Mauerfalls aus dieser Sicht sind sehr interessant, zumal es im ehemaligen „Westen“ bis heute nicht wirklich klar ist, was das für ehemalige Ostler bedeutet hat – die Tochter flüchtet, der Vater muss Rede und Antwort stehen in einem System, das es nicht mehr gibt, in dem aber alle aufgewachsen sind, das für alle als „wahr“ galt – eine ausgesprochen schwierige Situation.
Das Leben in Schweden bringt wieder Ordnung innen und außen, Ruhe und Gemeinschaft und das, was wirklich wichtig ist – menschliche Nähe, Gespräche und Zweisamkeit, die Natur und die enge Verbundenheit innerhalb der Familie, auch das sehr auffallend im Gegensatz zu so vielen Berichten der gleichen Zeitepoche aus „Westsicht“, in denen es überwiegend um Egoismus und Trennung geht und um die Frage, wer wen wie ausnimmt.
… Starke Frauen begleiten Ihren Lebensweg, das hat mich sehr beeindruckt.
Sie fragten, … ob manches nicht zu privat ist - … Es ist eher berührend und zauberhaft und von daher kostbar, nicht nur für Sie als Paar, sondern auch für den Leser, der sich so etwas wie Ihre Ehe natürlich auch wünscht (und hoffentlich lebt). … Es ist ein Herzenstext, …
Christine Krokauer, Lektorat
Harry Popow: „In die Stille gerettet“. Persönliche Lebensbilder. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3
"Fast ein ganzes Menschenleben" / Harry Luckner / Buchtipp von mir
Nordlichter! Wer wünschte sich nicht, dieses faszinierende Naturschauspiel selbst erleben zu dürfen. Faszinierend, wie der Autor des Buches mit dem Titel „Fast ein ganzes Menschenleben“ dies beschreibt. Ein seltsamer Tanz der Farben und des Lichts. Kalt zwar, aber das Herz erwärmend. Der Autor war dort im Norden. Nicht nur einmal. Als Globetrotter hatte er mit seiner Frau u.a. Finnland, Schweden und Norwegen bereist. Und das gezeigt, was Menschen auszeichnet: Entdeckerfreude und Neugier. Und nun hat der 1932 in Breslau geborene Mann eine Autobiographie geschrieben.
Kurz: Der Autor des obigen Buches, er wohnt in Westfalen, wollte einen Ostler finden etwa gleichen Alters, um zu verstehen, wie der denn alles so erlebt hatte. Er fand im gleichen Verlag das Buch mit dem Titel „In die Stille gerettet“. Er suchte meine Adresse heraus und sendete mir eine E-Mail: „..stöberte ich in den Verlagsseiten und stieß auf Ihren Autorensteckbrief. Ihr Buch habe ich bestellt um es zu lesen. Persönlich möchte ich sie um ein paar Ratschläge bitten,…“
Seine Beobachtungsgabe, seine Kontaktfreudigkeit zu anderen Menschen, seine Naturliebe, seine Lust am Abenteuer, nicht zuletzt – sein urwüchsiger Witz und seine große Liebe zu seiner Frau und den Kindern – das alles wird erst so richtig sichtbar in seinen Berichten u.a. aus den Reisen nach Skandinavien. Da leuchtet etwas auf an Natürlichkeit, an Menschlichkeit, die in einer egoistischer werdenden Welt aufhebenswert ist für die Nachkommen.
(Harry Luckner „Fast ein ganzes Menschenleben. Auf holprigen Wegen vergangener acht Jahrzehnte“; ISBN 978-3-86268-205-8, 1.Auflage 2011, Engelsdorfer Verlag Leipzig, Preis: 16,00 EURO)
Internetseite von Harry Luckner: www.harry-luckner.de
Internetseite von Harry Luckner: www.harry-luckner.de
Der Titel klingt etwas müde, aber ich habe dieses Buch mit großem Interesse gelesen. Warum? Weil meine Frau und ich selber neun Jahre in Schweden wohnten und nicht eine Minute bereut haben. Wir kehrten nach der sogenannten Wende Deutschland aus unterschiedlichen Motiven den Rücken. Vor allem ich wollte abschalten.
Den Ostautor freute das. Nicht aus kommerziellen Gründen – das kann ein namenloser Schreiber bei diesem Buchgetümmel auf dem hart umkämpften Markt vergessen, sondern aus menschlichen Gründen. Möchte er doch mithelfen, Brücken zwischen Ost und West zu bauen, mehr von den Lebensläufen voneinder zu erfahren. Die sind besonders dann interessant und spannend, wenn es – von beiden Seiten - um ehrliche Rückblicke geht, wenn aus ganz persönlicher Sicht sowohl Privates als auch Gesellschaftliches miteinander eng verwoben beleuchtet werden, wenn auch Uneingeweihte einen Einblick in die inneren Motive, in das alltägliche Denken und Handeln bekommen.
Nun aber wollte ein „Normalbürger“, wie er sich selber bezeichnet, mein Buch lesen. Auch ich kaufte sein Buch. Und bin nicht enttäuscht worden. Da blättert er sein Leben vor dir als Leser auf. Seine Kindheit in Breslau, seine Erlebnisse nach 1945, als die Familie – wie tausende andere auch – nach Westdeutschland evakuiert wurden. Die Schwierigkeit, als Kriegs- und Flüchtlingskind einen Schulabschluß hinzukriegen. Sehr früh gründet er eine Familie. Er versucht sich immer wieder in neuen Berufen, bis er mit seiner Familie gut von seiner Tätigkeit leben kann.
Harry Luckner betont, dass Heimat für ihn dort ist, wo er gut leben kann. So einfach ist das. Man denke an die Geschichte von Leo Tolstoi „Wieviel Erde braucht der Mensch?“ Darin ging es um die Gier eines Bauern, mehr Land haben zu wollen, als er eigentlich bearbeiten kann. Daran ging er zu Grunde. Heute sind die Läden zwar voll mit allem was das Herz begehrt, aber das, was ihn erst innerlich reifen läßt und seine Würde unterstreicht, das ist die Arbeit, eine bezahlbare Wohnung und eine bezahlbare Gesundheitsversorgung. Und die Liebe. Und das in einem Gesellschaftssystem, das dies durch eine andere Verteilung des Reichtums als Rahmenbedingung garantieren könnte.
Erstaunlich, zu welcher Erkenntnis der westdeutsche Autor kommt, wenn er schreibt, trotz anfänglicher Staatsgläubigkeit heute den Glauben an den Staat wegen der Globalisierung, der zunehmenden Proftgier und der starken Kluft zwischen Arm und Reich verloren zu haben.
Die Offenbarungen des Autors sprechen von einer rückhaltlosen Ehrlichkeit – ohne Wenn und Aber. Er pflegt von Anbeginn einen faktenreichen Berichtsstil, gewürzt mit zahlreichen interessanten Vergleichen, einem selbstkritischen Ton und herzhaftem Humor.
Nordlichter? Sie wärmen nicht, aber sie muß man entdecken wollen – und so wirkt auch jeder ehrlich geschriebene Lebenslauf wie ein faszinierendes Feuer der Lebenslust, ansteckend und nachdenklich stimmend.
Und was meint Harry Luckner zum Buch seines Ostlers, der auch Harry heißt: „Zu deinem Buch muß ich Dir sagen, das auch wir Deine aufrichtige Ehrlichkeit entdeckt haben, und um Deine Gefühle nach der Öffnung der Mauer zu begreifen, haben wir beide, Waltraud und ich, Dein Buch ein zweites mal mit ´Verstand´ gelesen. Heut möchte ich fast sagen, diese beiden Bücher gehören zusammen. Wir widersprechen uns darin in keinster Weise, obwohl sich unser Leben in zwei total gegensätzlichen Systemen abspielte, und wir beide uns bis heute noch nie gesehen haben.“
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