Mittwoch, 31. Dezember 2014

Tanz auf dem Vulkan


Der Tanz auf dem Vulkan

Alles Gute zum neuen Jahr 2015, lieber User x. Du hast meinen Beitrag „Arme Seelen zwischen allen Stühlen“ gelesen und fragst nun, warum wir in der DDR nicht die Widersprüche gesehen haben, die zahlreiche Leute veranlassten, abzuhauen. Diese Frage wird wohl stets im Raum stehen. Denke nicht, dass diese Problematik nicht gesehen oder gespürt wurde. Nahezu alle – auch die Bürgerbewegungen – wollten die DDR erhalten, aber eine veränderte. Ehe dies oben richtig ankam, da war es – auch auf die „tollen Versprechungen und Verlockungen des Westens“ hin - zu spät. Das nicht geschossen wurde, zeugt von einem hohen Grad von Vernunft und Achtung vor dem eigenen Volk. Und nun, an der Schwelle zum Jahr 2015, stehen die Völker vor noch größeren Problemen. Manchen schreiben von einem Tanz auf dem Vulkan.

Ich schrieb kürzlich die 51. Buchrezension zu einem politischen Sachbuch. Ich bin in zahlreichen Foren drin. Und ich merke: Diejenigen, die den heutigen Schlamassel sehen, einschließlich der Ukraine-Krise und mutig nach Wahrheit suchen und sie auch aussprechen, registrieren die Widersprüche im Kapitalismus, haben aber selten Lösungen parat. (Und wären es solche Schlussfolgerungen wie „stürmt die Mauern der Gelddiktatur...“) dann würden sie gegen das Grundgesetz verstoßen und...
 
Andere, und keine Minderheit, zerren Einzeltatsachen ans Tageslicht, um die DDR in jeder Hinsicht zu diffamieren. Ein grundlegender intellektueller und bewusst fabrizierter Fehler: Politische Zusammenhänge will man nicht sehen, sie sind tabu. So auch die Ursachen der großen Weltkriege als auch die eigentlichen Verursacher der Ukraine-Krise. Solange das hohe Geldkapital so daher schwindelt und die Wahrheit unterdrückt, solange nehme ich den Imperialismus als den größten Feind der Menschheit zur Kenntnis. Alle meine schriftlichen Zeugnisse belegen das. Allerdings will auch ich die DDR, so wie sie war, mit ihren Fehlleistungen, die nicht mehr in jeder Hinsicht auf Erkenntnissen des Marxismus/Leninismus beruhten, nicht mehr zurück haben. Aber Spuren, die wir als Alternative gezogen haben, die dürfen im Zuge der nächsten Veränderungen im System nicht untergehen. Gruß von Harry

Hinweis für meine Blog-Leser, die inzwischen auf eine Gesamtzahl von 24.366 angewachsen ist, auf den folgenden Link zur Kriegsproblematik:

Mittwoch, 24. Dezember 2014

Die Eroberung Europas durch die USA


„Die Eroberung Europas durch die USA“ - von Wolfgang Bittner


Friedensengel“ bedrängen den Frieden

Buchtipp von Harry Popow
Diejenigen, von denen in dieser Rezension die Rede ist – sie nennen sich Freunde. Es sollen Friedensengel sein. Sie kommen in großen Scharen aus Übersee, im Bunde mit der NATO. Sie hatten sich bereits nach 1945 in Westdeutschland ökonomisch und militärisch festgebissen, und nun ist die gesamte EU dran. Sie erobern die Völker nur mit einem Ziel: Um gegen die Ostvölker – wie eh und je – angeblich „gewappnet“ zu sein. „Auf zum neuerlichen Marsch gen Osten?“

Dazu gibt es ein neues Buch mit dem Titel „Die Eroberung Europas durch die USA. Zur Krise in der Ukraine“ von Wolfgang Bittner. Es hat 148 Seiten und ist eine Chronologie der Aufpeitschung imperialer Machtinteressen gegenüber Russland – vor allem in den letzten Monaten und Jahren. Der Autor spannt den Bogen von der Osterweiterung der NATO, entgegen vertraglichen Vereinbarungen mit Gorbatschow, über Begehrlichkeiten Deutschlands und anderer EU-Staaten auf neue Absatzmärkte in Osteuropa, über die von den USA finanzierte „orangene Revolution“ im Jahre 2004, über die Maidan-Bluttaten, über das auf der Krim vom Parlament beschlossene Referendum zum Beitritt zur Russischen Föderation bis zu den Ereignissen im September 2014.

Der Autor hält sozusagen den Finger am Puls der Ukraine-Krise. Mit ihren nahe am dritten Weltkrieg gefährlichen Zuspitzungen, mit ihrem Auf- und Ab von gegenseitigen wirtschaftlichen und militärischen Drohungen, mit ihren bürgerlichen Medien-Lügen und mit den Beschwichtigungen und angemahnten Gegenmaßnahmen durch die russische Seite.

Gewiss, viele Tatsachen sind bekannt, decken sich mit den kritischen Analysen der Autoren Brigitte Queck und Peter Strutynski (Hg.), um nur zwei Beispiele zu nennen, die die Ukraine im Fokus der NATO und den Konflikt als ein Spiel mit dem Feuer charakterisieren. Meiner Meinung nach ist die Herangehensweise des Autors Wolfgang Bittner, die Ereignisse chronologisch darzustellen, gut dazu geeignet, die Abfolgen und die gegenseitige Bedingtheit der Tatsachen und ihrer Ursachen deutlich herauszuarbeiten. Unübersehbar das Bemühen, die Hauptschuldigen, die Brandstifter der Krise und die Instrumentalisierung der EU durch die USA und durch die NATO, an zahlreichen Textstellen kenntlich zu machen. Erhebliche Beihilfe leisten dem Autor dabei u.a. der niederländische Publizist und Politikwissenschaftler Karel van Wolferen, der Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, der einstige Bundestagsangehörige, OSZE-Vizepräsident sowie verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU im Bundestag,Willy Wimmer, sowie Albrecht Müller, Publizist und Herausgeber des Internetportals NachDenkSeiten.


Autor Wolfgang Bittner

NRhZ-Archiv

Bereits auf der Seite 14 stellt der Autor fest: „Die westlichen Politiker fallen zurück in den Kalten Krieg.“ Er zitiert auf Seite 54 den Niederländer van Wolferen, der betont, dass die US-amerikanische Politik eine „Geschichte wirklich atemberau-bender Lügen“ (ist): „Über Panama, Afghanistan, Irak, Syrien, Venezuela, Lybien und Nordkorea.“ Nicht zu vergessen die Besetzung unseres Planeten mit einigen tausend Militärbasen. Als Ursachen benennt Albrecht Müller u.a. den Vormarsch der Neokonservativen und der Rechten in den USA im Umfeld der Teaparty-Bewegung. Zu Wort kommt auf Seite 49 Willy Wimmer: „Das amerikanisch- Kiew-ukrainische Ziel dieses Vorgehens wird notfalls auf den offenen Krieg mit Russland aus sein, um letztlich die Ukraine als Bollwerk … gegen Russland nutzen zu können. Sollte es gelingen, die Ukraine derart den USA dienstbar zu machen, wird es einen kompletten Riegel unter US-Kontrolle zwischen dem Baltikum über Polen und die Ukraine zum Schwarzen Meer geben.“ „Russland“, so der Autor auf Seite 92, solle „durch einen neuen ´Eisernen Vorhang´ von Westeuropa getrennt“ werden.

Die Eskalation des Konfliktes mit Russland sei in wesentlichen Elementen ebenso bewusst und mutwillig „herbeigeführt worden wie der Überfall auf den Irak;“ zitiert Wolfgang Bittner die Einschätzung in German Foreign Policy. Der Autor lässt es an Fakten zur Destabilisierung der Lage in der Ukraine nicht fehlen. So pflegt die Stiftung „Open Ukraine“ des Oligarchen Arsenij Jazenjuk intensive Beziehungen zum US-Außenministerium und zur NATO „und wird von einflussreichen westlichen Organisationen gesponsert“. Mehr als fünf Milliarden Dollar hätten die USA für den „Regime Change“ in der Ukraine gespendet, was „in den westlichen Medien kaum zur Sprache“ kam. (S. 25) Erwiesen sei auch, so der Autor auf Seite 35, „dass subversive Kräfte, insbesondere westliche Geheimdienste und allen voran die CIA, die Maidan-Bewegung vorbereitet und finanziert haben“, abgesehen davon, „dass sich hochrangige westliche Politiker seit Jahren in die inneren Angelegenheiten der Ukraine eingemischt haben“. (S. 35) Nicht nur Politiker, sondern ebenso Journalisten in maßgeblichen Positionen werden von der CIA, vom US-Außenministerium und von Konzernen finanziell unterstützt. „Dazu gehören die Atlantik-Brücke, Goldmann Sachs Foundation, The American Interest, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, Atlantische Initiative und Münchner Sicherheitskonferenz.“ ( S. 41)

Der Autor verweist auf einen Aufruf vom 25. Mai, den etwa 10.000 Bürger unterzeichnet haben, der Konflikt um die Ukraine sei das Resultat der EU- und der NATO-Erweiterung. Mit der Durchsetzung des Assoziierungsabkommens habe man mit Unterstützung der antirussischen und faschistischen Kräfte in der Ukraine dazu beigetragen, „Russland militärisch einzukreisen“. (S. 44)

Der angeblichen Friedensengel erinnert sich der aufgeweckte Leser bei der Ankündigung des NATO-Generalsekretärs, in der Westukraine Manöver abzuhalten, beim Versprechen Obamas, „für die zusätzliche Stationierung von Truppen in osteuropäischen Ländern“ eine Milliarde Dollar auszugeben sowie militärisch an der Seite Polens, Litauens und Rumäniens zu stehen. (S. 53) Mehr noch: Die NATO beschloss, siehe Seite 94, „den Aufbau einer neuen Krisen-Eingreiftruppe und einen Aktionsplan für Osteuropa, der neue NATO-Stützpunkte im östlichen Bündnisgebiet vorsieht“. Bleibt die dringliche Frage: „Wird der Moment kommen, in dem klar wird, dass es bei der Ukraine-Krise als allererstes darum geht, Star-Wars-Raketen auf einem langen Abschnitt der russischen Grenze in Stellung zu bringen. Was Washington … die Möglichkeit eines Erstschlages eröffnet?“, so ein Zitat von van Wolferen. (S. 68) Die US-Regierung gehe mit der Rüstungs- und Erdöl-Lobby im Rücken im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen, schreibt Wolfgang Bittner. (S. 54) In Bezug auf Europa mache man sich nichts vor. Wimmer weist zu Recht darauf hin, dass den USA „nicht an einem wirtschaftlich starken, friedlichen Europa liegt“. Die amerikanischen Globalkonzerne seien mit gefüllten Kassen dabei, das von der europäischen Industrie aufzukaufen, „was bisher noch nicht im Bestand der USA ist“. (S. 71) „Die Ukraine scheint die Blaupause für weiteres Vorgehen in Europa und darüber hinaus zu werden“, so Wimmer auf Seite 62. Ergänzend dazu der Autor: Zuerst werde ein Land aufgemischt, bis es zum Bürgerkrieg kommt, „und hinterher spielen USA, EU und NATO den Friedensengel“. (S. 66)

Wolfgang Bittner klagt nicht nur die Brandstifter für die Ukraine-Krise an, sondern auch die Medien, die die Rolle der Brandbeschleuniger übernommen haben. So zitiert er den Schweizer Historiker und Friedensforscher Daniele Ganser, der feststellt, „dass es eine Art ´NATO-Netzwerk` … gibt“, bei dem sowohl kritische Fragen zum Bündnisfall als auch zur Ukraine-Krise tabu sind. Die NATO-Osterweiterung werde praktisch nie erwähnt, die Hintergründe des Regierungssturzes in der Ukraine nicht genannt.

Das Fazit zieht der Autor, indem er festhält, die USA sind kein Vorbild für Frieden und Freiheit, seit über einem halben Jahrhundert schon nicht mehr. Spätestens seit dem 11. September 2001 sei dort „eine Schranke der Rechtsstaatlichkeit gefallen“. (S. 109) „Man wünschte den USA Politikern, dass die den Mut hätten, das eigene Land als Interventionsfall zu erkennen“, so Wolfgang Bittner auf Seite 110.

Der chronologische Bericht des Autors ermöglicht aufmerksamen Lesern, die Fakten im Zusammenhang zu erfassen, wie sich eine Tatsache aus der anderen ergibt, wie sich die USA zunächst die EU und dann, mit deren Schützenhilfe, Russland gefügig machen wollen. Sein Verdienst besteht in der klaren Auflistung der schrittweise begangenen kriegsvorbereitenden Machenschaften zur Ausrichtung der Ukraine samt der EU zum Aufmarschgebiet gen Osten. Werden dabei Putins Warnungen, die NATO nicht so dicht an die Grenzen Russlands vorrücken zu lassen, überhört? Mitunter schreibt der Autor vom möglichen Gesinnungswandel, vor allem der BRD-Regierung im Konflikt zwischen Ost und West. Allerdings geben die Machteliten dazu wenig Raum zum Weiterdenken. Auf Aggressionen vom Großkapital im Streben nach Ressourcen getrimmt, ist mehr Wachsamkeit als Hoffnung auf Veränderung angesagt. Es wird weiter an der Eskalationsschraube gedreht, stellt Wolfgang Bittner auf Seite 91 bitter fest. „Friedensengel“ bedrängen den Frieden. Nach wie vor. (PK)

Wolfgang Bittner: „Die Eroberung Europas durch die USA. Zur Krise in der Ukraine“. Broschiert: 148 Seiten, Verlag: VAT Verlag André Thiele; Auflage: 1 (1. Oktober 2014), ISBN-10: 3955180298, ISBN-13: 978-3955180294, Größe: 11,6 x 1 x 20,5 cm, Preis: 12,90 Euro


Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung



 

Letzte Chance - Gedicht


Letzte Chance

Das Jahr ist rum, was soll man weiter sagen.
Ob es ein gutes war? Wer weiß das schon.
Doch hört man landesweit noch keine Klagen,
man lebt ganz gut mit seiner Illusion.

Das neue Jahr, es steht schon vor den Türen.
Wir drücken Daumen, dass es Frieden bringt,
dass wir vom kleinen Zipfel Glück was spüren,
das man fürs Dasein braucht ganz unbedingt.

Die letzte Chance, sich auch mal zu besinnen,
sich rauszuwühlen aus dem Muff und Mief,
das nächste Jahr soll klüger doch beginnen.
Na Prost, dann wollen wir mal! Geht schon schief.



Hanna Fleiss

24.12.14

Samstag, 20. Dezember 2014

Statt Stille - GROß-ALARM!!!


Groß-Alarm!!!

Ein Zitat, entnommen aus: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21108

Werden im Helmholtz-Zentrum Berlin nur alte Bilder und Knochen untersucht?
Hinweise auf Vorbereitung für einen Atomkrieg
Von Dietrich Antelmann

(…) „Den bisherigen Höhepunkt dieser unheilvollen Entwicklung bildet das von den Medien ausgeblendete US-Gesetz (H.Res.758), das am 4. Dezember vom amerikanischen Repräsentantenhaus verabschiedet wurde. Es gibt dem amerikanischen Präsidenten und den Oberkommandierenden der Streitkräfte grünes Licht, ohne weitere Zustimmung des Kongresses in einen Prozess der militärischen Konfrontation mit Russland einzutreten (eine entsprechende Abstimmung im Senat steht zwar noch aus; die Zustimmung dürfte jedoch feststehen). Das schon seit mehr als zehn Jahren von Planungsabteilungen des Pentagon vorangetriebene Szenario eines Dritten Weltkriegs gegen Russland ist nun auf die "operationelle Ebene" gesetzt worden (13).

Bleibt mir nur noch der Hinweis auf Art. 20 (4) des dem Frieden und Völkerrecht verpflichteten Grundgesetzes: „Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“. (PK)“

Donnerstag, 18. Dezember 2014

Das weiße Spitzenkleid


Das weiße Spitzenkleid

(Entnommen meinem Buch: Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)


Plauen. Die Nacht zum 15. Februar 1957, einem Freitag, da schrillte die Sirene. Alarm! In Sekundeneile schlüpfen die Schüler des dritten Lehrjahres geübt in die Klamotten. Waffen empfangen, abmarschbereit! Ein kilometerlanger Marsch. Bei Eis und Schnee. Über Wald- und Feldwege, im unwegsamen Gelände. Zwischendurch die berüchtigten Einlagen: „Flieger von rechts, Maschinengewehrfeuer von links, chemischer Alarm, vor uns Baumsperre!“ Schnelles Fassen von Entschlüssen. Und da ist jeder mal dran, schließlich müssen die Männer jetzt ganze Züge im „Gefecht“ führen. Da entscheidest du im Ernstfall mit über Tod oder Leben von dreißig Mann. Viel Kopfarbeit ist also angesagt. Erst am späten Nachmittag marschieren (oder schleichen) die Schüler durch das Kasernentor zurück in die Unterkunft. Etwa fünfzig Kilometer haben sie unter die Füße genommen. Kaputt und todmüde sind sie. Da heißt es auf einmal, noch am gleichen Abend sollen oder dürfen sie zum Faschingsabend, also zum Tanz! Die DAKO, die Damenkonfektion von Plauen, der Patenbetrieb, hätte eingeladen. Einige Unentwegte jubeln. Andere fluchen, auch Henry. Er denkt an Erfurt zurück. Nach einem zweitägigen 70-Kilometermarsch, bei einigen Schülern drang bereits das Blut durch die Socken, hieß es in der Kaserne plötzlich, wer will, kann noch ausgehen. Und die ganz Kühnen zogen sich um, die Blasen bekamen Jod, und ab durch das Kasernentor. Henry nicht. Sich mit mehr oder weniger Schmerzen über die Tanzfläche schleichen oder einfach nur Bier saufen? Wozu die Mühe? So, und heute Abend? Kurze Überlegung: Immerhin eine weitere gute Gelegenheit – muß er sich ehrlich eingestehen – auf nette und niveauvolle Bekanntschaften, keine Weiber von gewöhnlichen Schwofabenden. Sein Entschluß: Er wird dabei sein. Was er nicht bedachte, auch die Näherinnen und Bandarbeiterinnen sowie die Lehrlinge der DAKO freuten sich auf den Abend mit den Jungs. Nur eine nicht, wie Henry später erfuhr. Sie mochte das ganze nicht. Im Gegenteil. Sie wollte wieder fort, so schnell wie möglich. Und so belagert sie den Lehrausbilder, um eine Unterschrift zu bekommen für das Berichtsheft, denn die Teilnahme wird als gesellschaftliche Tätigkeit bewertet. Nach dem Vermerk hätte sie sofort verschwinden können. Doch sie muß vorerst bleiben. Mit Widerwillen sitzt sie also still und ungeduldig an einem Tisch, sieht sich kaum um, und wenn, dann mit einem geringschätzigen und abwertenden Blick. Doch einmal, da stutzt sie. Geht doch einer der Offiziersschüler, sehr schlank, schmales Gesicht, schwarze Haare, über die Tanzfläche. Und wie der geht, stolz und fast schwebend. „Mein Gott, wie ist denn das passiert“, denkt sie. Wie und durch wen kam der denn in diesen Verein? Der sieht ja aus wie einer aus dem Adelsnest. Hoffentlich kommt der nicht und holt dich, da kriegste nur Probleme. Und damit stößt sie diese Gedanken wieder weit von sich, für sie hat sich ja ohnehin alles erledigt. Schon schaut sie wiederholt auf ihre Armbanduhr. Was geht es sie an, wer da noch so rumschwebt von diesen Uniformierten, die sie ohnehin nicht mag, überhaupt nicht.

Den sie da ansieht, das ist Henry. Er spürt trotz aller Müdigkeit sehr genau, jemand mustert ihn. Sein Blick geht nach links. An einem Tisch sitzen zwei junge Mädchen. Die eine kannst du vergessen, doofes Gesicht, furchtbar gewöhnlich. Aber die rechts daneben!! Ho, ho! Zwei ernste und wunderschöne Augen. Mit einem Schlag ist der junge Mann hellwach. Die Augen des Mädchens schauen in seine Richtung, aber es verzieht keine Miene. Ihr Blick scheint durch ihn hindurch zu gehen, er wirkt gedankenverloren, rätselhaft. Eine Kraft geht von diesem jungen Mädchen aus – er kann das nicht näher deuten. Und warum sieht sie überhaupt her? Henry wird ein wenig unruhig, denn die faszinierenden Augen schweifen schließlich ab, denken gar nicht mehr daran, bei ihm zu bleiben. Guck doch noch mal, bitte, dann weiß ich, quatsch, dann kann ich hoffen, mit dir tanzen zu dürfen, dieser Gedanke schießt Henry durch den Kopf. Ihm wird heiß, denn nun muß er einen Entschluß fassen, was aber nicht gelehrt wurde wie bei der vorangegangenen Übung. Und schon legt die Drei-Mann-Kapelle wieder los. Ob sie mit mir tanzen wird? Noch ehe er aufspringt, ist Dieter, der Lockenkopf, bereits am Ball – bei der Schönen. ,Ich blöder Kerl‘, Henry ist entsetzt. Ihm bleibt fast die Luft weg. Und verteufelt noch mal, er kann es nicht fassen, da legt doch der Dieter, Mädchenaufreißer, sofort seinen Kopf an den ihren, aber sie wehrt ihn ab, hält ihn auf Abstand. Gott sei Dank. Ein Pressefotograf sucht seine Motive, wie dem Offiziersschüler scheint, hat er auch SIE im Visier. Schließlich gelingt es ihm, er tanzt mit ihr. Sie ist zart, sehr schmal, im weißen Spitzenkleid und roten Schuhen. Ihm fällt auf, sie läßt sich nicht ohne weiteres wie andere führen. Auch ihn hält sie auf Abstand. Aber sie zittert kaum merklich, Henry spürt das. Ist sie unsicher? Was geht in ihr vor? Und was soll man reden? Fragen über die Berufsziele? Eine etwas niveauvolle „Blabla-Unterhaltung“ kommt zustande, da sind die drei Tanzrunden beendet. Ehe er nach dem Tanz seine weitere Strategie durchhecheln kann und schnell mal einen neuen Augenblick zu ihrem Platz wirft, ist sie plötzlich weg. Zur Toilette? Und wenn sie nun schon nach Hause wollte? Er holt seinen Mantel aus der Garderobe und stürzt hinaus. Keine Menschenseele. Im Laufschritt zur Straßenbahnendstelle, vielleicht erwische ich sie noch, bangt er. Tatsächlich, Henry entdeckt sie auf der hinteren Plattform der Straßenbahn. Da klingelt der Schaffner bereits ab. Mit Schrecken fällt ihm ein, er hat ja keine Adresse. Blitzschnell springt er auf die Plattform, und die ernste Schöne sagt ihm mit einer verdächtigen Schnelligkeit ihren Namen und wo sie wohnt. Mit Mühe wiederholt Henry auf dem Weg zum Kasernengebäude so für sich Vorname, Name, Straße und Hausnummer, bis er im Hundertmann-Schlafsaal aus dem Nachtschrank endlich Zettel und Bleistift angelt und mit zitternder Hand notieren kann: Cleo, ...straße 6. Sehr viel später erfährt er, sie hatte lediglich Mitleid mit ihm …
 
(Und er würde die Adresse ohnehin nicht behalten. Sie täuschte sich!! Einmalig!!...)

(Heirat der beiden im Jahre 1961. Haltbar bis heute, Dezember 20014, und das bis zur Unendlichkeit...)

Mittwoch, 17. Dezember 2014

"Das Blendwerk" - Autor: Horst Rückert


„Das Blendwerk. Von der ´Colonia Dignidad´ zur ´Villa Baviera´“ von Horst Rückert


Verkrüppelung im Namen Gottes
Buchtipp von Harry Popow


Wer greift sich da nicht an den Kopf: Es gibt Menschen, die sich bewusst verkrüppeln lassen, geistig und moralisch. Sie fügen sich einer einzigen Person, die im Namen Gottes die Außenwelt, die Liebe, die Ehe, das Individuelle als Teufelswerk bezeichnet und zum Verzicht auf materielle Gaben und auf ein solidarisches Miteinander aufruft. Was Wunder, wenn z.B. ein Ehepaar nebeneinander im Bett liegt und – ohne sich zu berühren – wochenlang auf ein Kind wartet. Als Frau und Mann nach Wochen erfahren, was zu tun sei, schreien sie auf und beschimpfen den schönsten und menschlichsten Akt als Teufelswerk.


Diese beiden und hunderte andere Bewohner einer deutschen Siedlung in Chile unterwarfen sich „festen Ritualen, um sich öffentlich von Sünden zu reinigen...“ (S. 23) Mehr noch: Wer sündigte, wurde verprügelt. Bei besonderen Vergehen gab es Elektroschocks. Kinder wurden vom Gründer und Führer der Gemeinde missbraucht, selbstverständlich unter größter Verschwiegenheit. Trotz harter Arbeit wurden Löhne nicht gezahlt, Freizeit und Urlaub gab es nicht, auch kein Fernsehen und Radio, weder Zeitungen noch Zeitschriften. Männer und Frauen lebten getrennt voneinander. Während der Militärdiktatur Pinochets gab es im Gelände der Siedlung bis 1978 unterirdische Tunnel, Waffen und Sprengstoffe. Politische Gefangene wurden gefoltert. Die „Colonia Dignidad“ war … „ein Aktionszentrum der chilenischen Militärdiktatur, die sich in einem Krieg gegen den internationalen Terrorismus wähnte“. (S. 76)

So nachzulesen in einem aufsehenerregenden Buch von Horst Rückert mit dem Titel „Das Blendwerk. Von der ´Colonia Dignidad´zur ´Villa Baviera´“. Der Autor begab sich 2006 auf die Spuren dieses von den Bewohnern und anliegenden chilenischen Menschen zwar wohlwollend hingenommenen aber im eisigen Keller der Verschwiegenheit versunkenen menschenverachtenden Lagers. Er wurde fündig und recherchierte außerordentlich gründlich.


Paul Schäfer - Fahndungsfoto
Quelle: dw.de

Die Rede ist zunächst von Paul Schäfer, geboren am 4. Dezember 1921 in Deutschland. Er geriet bereits als junger Mann in Verdacht, ihm anvertraute Jugendliche sexuell missbraucht zu haben. Er sah sich als „der wahre Nachfolger Jesu, er empfange seine Wahrheit direkt von Gott“. (S. 16) Dieser im Jahr 2005 in Chile verhaftete „Vertreter Gottes“ und Verbrecher wurde bereits Anfang der sechziger Jahre in Deutschland wegen Kindesmissbrauch per Haftbefehl gesucht, flüchtete mit Kindern und Helfern nach Chile und baute dort sein autoritär geführtes Imperium der Gewalt und Alleinherrschaft auf und starb 2010 in Argentinien.

Hinter 2,80 Meter hohen insgesamt 8.000 Betonpfählen, abgetrennt von der Welt der Chilenen, vegetierten die Siedler im Glauben, der Führer und Gründer der Sekte brächte – das war Anfang der 1960er Jahre - „seine kleine Gemeinde aus dem von bolschewistischer Unterdrückung bedrohten Westdeutschland in das leere Land im Süden Chiles, das zu kultivieren und fruchtbar zu machen der Auftrag Gottes“ sei. (S. 31) Das nach außen verkündete Programm des Lagers „Colonia Dignidad“, wie es sich nannte: Wohltätig zu sein, „armen und kranken Leuten zu helfen“. (S. 30) Das Blendwerk bestand darin, so heißt es im Klappentext, dass diese hermetisch abgeriegelte Siedlung vierzig Jahre lang „ein Musterbild deutscher Tüchtigkeit und Ordnung“ bot.



Bewohner der „Villa Baviera“
Quelle: http://ciperchile.cl

Es sind zwei gravierende Dinge, die der Autor aufdeckt: Erstens die abenteuerliche Motivierung. Da wurde den Bewohnern vorgegaukelt, sie gehörten einer auserwählten Elite an, die sich im Namen Gottes von allen menschlichen Sünden befreien würde, so von der gesamten Außenwelt. Der Führer, Herr Schäfer, wäre der Repräsentant Gottes, er sei der Vermittler, ihm hätten alle Lagerinsassen hörig zu sein. Wer dagegen opponiere, sei des Teufels und müsse streng bestraft werden. „Es gelte, sich auf das nahe Ende der Welt, auf das bevorstehende Gericht Gottes über die Menschheit vorzubereiten“. (S. 16) Die Bedrohung käme „aus dem kommunistischen Osten“, er sah im Traum den „russischen Stiefel“, der „Europa niedertritt“. (S. 28) Wesentliche Bestandteile dieses Glaubens waren der „religiöse Antikommunismus und die Zweiteilung der Welt in ein gutes Drinnen und ein böses Draußen...“ (S. 71)

Horst Rückert fragt zweitens mit Recht nach der deutschen Hilfestellung für die Siedler in diesem berüchtigten Lager in Chile. Was er herausfindet, ist mager genug. Noch 1972 habe man in der Siedlung „ein Stück Auslandsdeutschtum“ gesehen. Sie würde allerdings weiterhin Deutschland mehr belasten als nützen. Die Motive und Hintergründe dieser bis 1985 währenden Zurückhaltung trotz Informationen über mögliche Verbrechen in der deutschen Siedlung sind unbekannt. „Bis heute weigert sich die Bundesregierung, Wissenschaftlern oder Journalisten Zugang zu den Akten zu geben...“(S. 89) Die Entschuldigung: Man halte sich an die Regeln des Völkerrechts und respektiere die Souveränität Chiles. (S. 91) Der Rechtsanwalt Winfried Hempel, so der Autor, würde derzeit wegen unterlassener Hilfeleistung Prozesse vorbereiten, „in denen er die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Chile auf insgesamt 120 Millionen US-Dollar Schadensersatz verklagen will“. (S. 95)

Es geht um Vergangenheitsbewältigung. Rückert plädiert für eine sehr differenzierte Ursachenforschung. Auf keinen Fall könne man dem einzelnen Verführer und Verbrecher die alleinige Schuld an Unmenschlichkeit zuordnen und sich so von Mitschuld unterschiedlicher Größe freisprechen. Die Mittäter seien ausfindig zu machen und zu bestrafen. Doch im Nachhinein wollen die älteren Lagerbewohner von „Colonia Dignidad“ nichts wissen. Sie sprechen bei ihrer Schuld nur von einem WIR, ohne in den Tiefen ihrer Seele nach eigenen willenlosen Mitmach-Attacken gegenüber hilflosen Opfern zu forschen und so ebenfalls ein eindeutiges Schuldbekenntnis abzugeben. Die Alteingesessenen seien bis heute nicht bereit, sich mit den Verbrechen der Sekte auseinanderzusetzen. Sie wollten ihre Gemeinschaft in der „Villa Baviera“ erhalten. Damit sei eine „bruchlose Verwandlung eines Folterzentrums in ein Freizeitparadies“ nicht gelungen, schreibt Horst Rückert auf Seite 224. Leid würde abstrahiert, relativiert und „in einen höheren Plan Gottes“ eingeordnet. (S. 232)

Dieses Unterdrückungslager präsentiere sich ab 2005 mit der „Villa Baviera“ als deutsche Touristenattraktion, wo nach wie vor deutsche Gemütlichkeit, deutsche Sitten und Gebräuche ihr bayerisches Zuhause in Chile haben, wirtschaftlich weitgehend auf eigenen Füssen stehend, aber die einstigen Mordtaten und Kindermisshandlungen nur nebenbei erwähnend.

Das Buch „Blendwerk“ deckt nicht nur vergangene Verbrechen auf. Es verweist nicht nur auf die Schuld von Mittätern. Es erinnert nicht nur an eine gründlich vorzunehmende Vergangenheitsbewältigung. Es beleuchtet vor allem die kausalen Zusammenhänge zwischen Macht, Anbetung des Gottes Markt und Manipulierung der Menschen durch Politik und bürgerliche Medien. Deutlich ablesbar u.a. am Verschweigen der wahren Ursachen sowohl der beiden Weltkriege als auch des Ukraine-Konfliktes. Ein Blendwerk neuer Art ist im Gange. Aufarbeitung, so Horst Rückert auf Seite 244, geschehe nur, um „das Funktionieren und die Entwicklung der neuen Ordnung nicht“ zu gefährden.

So nimmt der geistige und moralische Verfall – oftmals wolle man das nicht wahrhaben – seinen immer spürbarer werdenden Fortgang. Das Blendwerk Konsum, Freiheit und Demokratie, Wachstum und Bündnistreue tut das Seinige für ein sorgenfreies Wohlgefühl unter dem Motto „Mir geht es ja gut“. Grünes Licht für Verkrüppelungen „im Namen Gottes“, im Namen des Antikommunismus? (PK)

Horst Rückert: Das Blendwerk: Von der „Colonia Dignidad“ zur „Villa Baviera“, Broschiert, 256 Seiten, Verlag: A1; Auflage: 1 (27. August 2014), ISBN-10: 3940666564, ISBN-13: 978-3940666567

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

Samstag, 13. Dezember 2014

Aufruf von Prominenten




Aufruf: "Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!"

08.12.2014: Die Sorge um den Frieden bewegt zunehmend auch Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum. "Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten. .. Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. ... Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer." Mit diesem Aufruf warnen mehr als 60 Prominente aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien vor einem Krieg mit Russland und fordern eine neue Entspannungspolitik für Europa.

Der Aufruf im Wortlaut:

Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!
Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten. Alle Europäer, Russland eingeschlossen, tragen gemeinsam die Verantwortung für Frieden und Sicherheit. Nur wer dieses Ziel nicht aus den Augen verliert, vermeidet Irrwege.
Der Ukraine-Konflikt zeigt: Die Sucht nach Macht und Vorherrschaft ist nicht überwunden. 1990, am Ende des Kalten Krieges, durften wir alle darauf hoffen. Aber die Erfolge der Entspannungspolitik und der friedlichen Revolutionen haben schläfrig und unvorsichtig gemacht. In Ost und West gleichermaßen. Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.

In diesem Moment großer Gefahr für den Kontinent trägt Deutschland besondere Verantwortung für die Bewahrung des Friedens. Ohne die Versöhnungsbereitschaft der Menschen Russlands, ohne die Weitsicht von Michael Gorbatschow, ohne die Unterstützung unserer westlichen Verbündeten und ohne das umsichtige Handeln der damaligen Bundesregierung wäre die Spaltung Europas nicht überwunden worden. Die deutsche Einheit friedlich zu ermöglichen, war eine große, von Vernunft geprägte Geste der Siegermächte. Eine Entscheidung von historischer Dimension. Aus der überwundenen Teilung sollte eine tragfähige europäische Friedens- und Sicherheitsordnung von Vancouver bis Wladiwostok erwachsen, wie sie von allen 35 Staats- und Regierungschefs der KSZE-Mitgliedsstaaten im November 1990 in der "Pariser Charta für ein neues Europa" vereinbart worden war. Auf der Grundlage gemeinsam festgelegter Prinzipien und erster konkreter Maßnahmen sollte ein "Gemeinsames Europäisches Haus" errichtet werden, in dem alle beteiligten Staaten gleiche Sicherheit erfahren sollten. Dieses Ziel der Nachkriegspolitik ist bis heute nicht eingelöst. Die Menschen in Europa müssen wieder Angst haben.
Wir, die Unterzeichner, appellieren an die Bundesregierung, ihrer Verantwortung für den Frieden in Europa gerecht zu werden. Wir brauchen eine neue Entspannungspolitik für Europa. Das geht nur auf der Grundlage gleicher Sicherheit für alle und mit gleichberechtigten, gegenseitig geachteten Partnern. Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.
Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.
Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten. Einbinden statt ausschließen muss das Leitmotiv deutscher Politiker sein.
Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa. Es geht darum, den Menschen wieder die Angst vor Krieg zu nehmen. Dazu kann eine verantwortungsvolle, auf soliden Recherchen basierende Berichterstattung eine Menge beitragen.
Am 3. Oktober 1990, am Tag der Deutschen Einheit, sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker: "Der Kalte Krieg ist überwunden. Freiheit und Demokratie haben sich bald in allen Staaten durchgesetzt. ... Nun können sie ihre Beziehungen so verdichten und institutionell absichern, dass daraus erstmals eine gemeinsame Lebens- und Friedensordnung werden kann. Für die Völker Europas beginnt damit ein grundlegend neues Kapitel in ihrer Geschichte. Sein Ziel ist eine gesamteuropäische Einigung. Es ist ein gewaltiges Ziel. Wir können es erreichen, aber wir können es auch verfehlen. Wir stehen vor der klaren Alternative, Europa zu einigen oder gemäß leidvollen historischen Beispielen wieder in nationalistische Gegensätze zurückzufallen."
Bis zum Ukraine-Konflikt wähnten wir uns in Europa auf dem richtigen Weg. Richard von Weizsäckers Mahnung ist heute, ein Vierteljahrhundert später, aktueller denn je.

Die Unterzeichner
Mario Adorf, Schauspieler
Robert Antretter (Bundestagsabgeordneter a. D.)
Prof. Dr. Wilfried Bergmann (Vize - Präsident der Alma Mater Europaea)
Luitpold Prinz von Bayern (Königliche Holding und Lizenz KG)
Achim von Borries (Regisseur und Drehbuchautor)
Klaus Maria Brandauer (Schauspieler, Regisseur)
Dr. Eckhard Cordes (Vorsitzender Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft)
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin (Bundesministerin der Justiz a.D.)
Eberhard Diepgen (ehemaliger Regierender Bürgermeister von Berlin)
Dr. Klaus von Dohnanyi (Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg)
Alexander van Dülmen (Vorstand A-Company Filmed Entertainment AG)
Stefan Dürr (Geschäftsfu?hrender Gesellschafter und CEO Ekosem-Agrar GmbH)
Dr. Erhard Eppler (Bundesminister für Entwicklung und Zusammenarbeit a.D.)
Prof. Dr. Dr. Heino Falcke (Propst i.R.)
Prof. Hans-Joachim Frey (Vorstandsvorsitzender Semper Opernball Dresden)
Pater Anselm Grün (Pater)
Sibylle Havemann (Berlin)
Dr. Roman Herzog (Bundespräsident a.D.)
Christoph Hein (Schriftsteller)
Dr. Dr. h.c. Burkhard Hirsch (Bundestagsvizepräsident a.D.)
Volker Hörner (Akademiedirektor i.R.)
Josef Jacobi (Biobauer)
Dr. Sigmund Jähn (ehemaliger Raumfahrer)
Uli Jörges (Journalist)
Prof. Dr. Dr. h.c. Margot Käßmann (ehemalige EKD Ratsvorsitzende und Bischöfin)
Dr. Andrea von Knoop (Moskau)
Prof. Dr. Gabriele Krone-Schmalz (ehemalige Korrespondentin der ARD in Moskau)
Friedrich Küppersbusch (Journalist)
Vera Gräfin von Lehndorff (Künstlerin)
Irina Liebmann (Schriftstellerin)
Dr. h.c. Lothar de Maizière (Ministerpräsident a.D.)
Stephan Märki (Intendant des Theaters Bern)
Prof. Dr. Klaus Mangold (Chairman Mangold Consulting GmbH)
Reinhard und Hella Mey (Liedermacher)
Ruth Misselwitz (evangelische Pfarrerin Pankow)
Klaus Prömpers (Journalist)
Prof. Dr. Konrad Raiser (eh. Generalsekretär des Ökumenischen Weltrates der Kirchen)
Jim Rakete (Fotograf)
Gerhard Rein (Journalist)
Michael Röskau (Ministerialdirigent a.D.)
Eugen Ruge (Schriftsteller)
Dr. h.c. Otto Schily (Bundesminister des Inneren a.D)
Dr. h.c. Friedrich Schorlemmer (ev. Theologe, Bürgerrechtler)
Georg Schramm (Kabarettist)
Gerhard Schröder (Bundeskanzler a.D.)
Philipp von Schulthess (Schauspieler)
Ingo Schulze (Schriftsteller)
Hanna Schygulla (Schauspielerin, Sängerin)
Dr. Dieter Spöri (Wirtschaftsminister a.D.)
Prof. Dr. Fulbert Steffensky (kath. Theologe)
Dr. Wolf-D. Stelzner (geschäftsführender Gesellschafter: WDS-Institut für Analysen in Kulturen mbH)
Dr. Manfred Stolpe (Ministerpräsident a.D.)
Dr. Ernst-Jörg von Studnitz (Botschafter a.D.)
Prof. Dr. Walther Stützle (Staatssekretär der Verteidigung a.D.)
Prof. Dr. Christian R. Supthut (Vorstandsmitglied a.D. )
Prof. Dr. h.c. Horst Teltschik (ehemaliger Berater im Bundeskanzleramt für Sicherheit und Außenpolitik)
Andres Veiel (Regisseur)
Dr. Hans-Jochen Vogel (Bundesminister der Justiz a.D.)
Dr. Antje Vollmer (Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages a.D.)
Bärbel Wartenberg-Potter (Bischöfin Lübeck a.D.)
Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker (Wissenschaftler)
Wim Wenders (Regisseur)
Hans-Eckardt Wenzel (Liedermacher)
Gerhard Wolf (Schriftsteller, Verleger)

Donnerstag, 11. Dezember 2014

Gedicht von Hanna Fleiss


Gedicht von Hanna Fleiss

Boat People

Tief sind die Wasser des Mittelmeers.
Die Fische erbrechen unterm
Überangebot menschlicher Leiber.
Und kein Moses in Sicht.

Völkerscharen wälzen sich
durch die Straßen Europas - Schreckbild
jedes ordnungsliebenden mittleren Angestellten.
Und die es über das Meer geschafft haben,
jene erbärmlichen Gestalten des Elends,
gefesselt an Traum und Trauma,
erwärmen ihre blutigen Glieder an den Feuern
brennender Asylunterkünfte.

Wir, vor den Bildschirmen, die uns
das Ausmaß deutscher Jämmerlichkeiten
nicht zumuten wollen, wenden uns ab,
verschließen, aufrichtig ergriffen, die Türen
Arkadiens mit doppelten Riegeln.

9.12.14

ALEX: In mir kocht´s


Am 10.12.2014 23:01, schrieb ALEX:
"In mir kocht´s" - aber es hilft nix

Da läuft seit Monaten die Diskussion, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Ramelow und andere Linke sagen : JA, sie war es! Gysi sagt unumwunden, sie war kein Rechtsstaat, sie war aber auch kein Unrechtsstaat.Was soll der ganze Quatsch. Wer das vermeintlich Richtige sagt wird Ministerpräsident .
Wer über eine rechtswissenschaftlich nicht definierte staatliche Rechtsordnung palavert, sie dennoch in dieser oder jener Richtung je nach Befinden einordnet und sich nicht eindeutig festlegt, der hat also damit immer Recht. Scheint mir auch recht pluralistisch. Hauptsache, er befindet sich auf der Rechtsgrundlage handelnder Fertigmacher, wie Du es im Blog beschreibst. Das mag vielleicht von mir etwas stark vereinfacht und um die Ecke gedacht sein. Aber darauf läuft´s doch hinaus.
Der "Unrechtsstaat DDR" hatte das Gesetzbuch der Arbeit. Und damit war er dem Rechtsstaat BRD haushoch überlegen und ließ Fertigmachern keinen Raum. Und wenn es schon mal quer lief, dann gab es ja noch die Konfliktkommissionen. Aber im Rechtsstaat steht jeder für sich allein und es gilt: Recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Sachen.

Ein anderes Beispiel beliebiger Handhabung von Recht und Rechtlosigkeit wird angesichts der eklatanten und fortgesetzten Verletzung der Universalität der Menschenrechte in der Folterpraxis der USA sichtbar. Wenn ich sage, in mir kocht´s, dann besonders deshalb, weil ich in einem Staatswesen leben muss, das sich von solchen Praktiken nie eindeutig und klar distanzieren kann. Der Staat BRD ist als Bündnispartner der USA befangen. Und ich bin als ein das Bündnis zwangsläufig duldender Staatsbürger in ihm GEFANGEN .

Lieber Harry, das sind wieder mal Gedanken, die das Gewissen bedrücken.
Die letzten Wochen hatte ich nur Termine bei allen möglichen Ärzten und Instanzen. Deshalb auch wenig Zeit und Lust zum Schreiben. Du verstehst?

Vielleicht liegt es neben den schlechten Befunden auch am blöden Wetter . Oder ich bin zu alt.

Tschüss , ALEX

Antwort von Harry:

Lieber ALEX, Deine Worte ins Goldene Buch der Wahrheiten!!! Folgendes schrieb ein User u.a. in einem Forum zur Rezi "Fertigmacher":
"Übrigens: Dass es hier in dem Text eigentlich nicht um eine Buchrezension sondern um Stimmungsmache geht, legt der (erste) Anfang nahe - er macht Stimmung, was das Zeug hält. Das ist schade, es verdirbt den ansonsten auf Sachlichkeit ausgerichteten Text. Wenn es um solche Themen geht, halte ich jede Polemik - auch den Verdacht auf Polemik – für kontraproduktiv. Man kann dann selbst Fakten-Argumente zu leicht als reine Meinungsäußerung abstempeln und beiseite wischen."

Inhalte ignorieren und Formsachen in den Vordergrund rücken, das ist eine der zahlreichen Methoden der Rückwärtsgewandten! Diese Masche trifft man sehr oft an. Und das "Stimmung machen" ist ja gerade der Ausdruck eines Standpunktes zu diesem oder jenem Buch... Manche Knallköppe wollen keine Emotionen, keine Positionierung, nur flaches und verblödendes Gewäsch. Und das haben wir mit der Merkeln und anderen politischen Flachzangen ja zur Genüge. Nein danke!!
Gruß von Harry

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Buchtipp: "Die Fertigmacher"


„Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung"


Rote Karte contra Mobbing

Buchtipp von Harry Popow
Du denkst, dich tritt ein Pferd. Hast nach der Probezeit einen Arbeitsvertrag abgeschlossen. Freust dich riesig. Zum Termin des ersten Arbeitstages aber wirst du plötzlich krank. Der Arbeitgeber: Wenn das schon so anfängt, brauchen wir sie nicht!! Vertrag annulliert. Nun fängt die Arbeitssuche erneut an, rund um die Uhr, kräftezehrend, entwürdigend...



Fristlose Kündigungen!! Da fällt einem die Kassiererin Emmely von der Supermarkt-Kette Kaiser´s ein. Das war vor Jahren: Man warf sie hinaus – nach 31 Jahren treuer Arbeit. Und nur wegen einer Bagatelle. Aber die Kassiererin wehrte sich. Erfolgreich. Sie kehrte in ihre angestammte Filiale zurück. Kein so seltener Fall von Mut und Kraft.

Wer kann nicht ein Lied davon singen: Der Arbeitgeber hat letztendlich in den meisten Fällen das Sagen, unterstützt von zahllosen gut bezahlten Dienstleistern. Nachgewiesen von den Autoren Werner Rügemer und Elmar Wigand in ihrem 238-seitigen Buch „Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung“. Bezugnehmend auf die oben genannte Kassiererin Emmely stellen sie fest, deren Kündigung ist nicht nur ungerecht gewesen, sondern sei durch das Personalmanagement und deren Helfer „auf kriminelle Weise konstruiert“ worden. Bestenfalls gib es Vorzeichen einer fristlosen Kündigung: Eine Personalakte mit präventiv gefüllten Abmahnungen. (S. 14)

Rügemer und Wigand fragen sich, was die Unternehmen zu so einer „zynischen Aggressivität“ gegenüber den einfachen Beschäftigten treibt. „Gibt es eine Systematik hinter diesem Vorgehen?“ (S. 10) An der Spitze ihrer zahlreichen Textbeispiele und die daraus folgenden Erkenntnisse halten die Autoren fest: „In der deutschen Arbeitswelt findet seit Ende der 1990er Jahre eine Umwälzung statt, die eine Art unerklärter Kleinkrieg beinhaltet, der auf US-amerikanische Methoden und Prinzipien zurück greift“, die systematische Bekämpfung von Mitbestimmung und gewerkschaftlicher Organisierung. Sie nennt sich Union Busting und heißt wörtlich: “Gewerkschaften plattmachen”, gerichtet in Deutschland auch gegen Betriebsräte, Vertrauensleute und kritische Arbeiter- und Arbeiterinnen. (S. 10/11)

Zu den Methoden der Willkür und den dahinter stehenden Interessen der Unternehmen nach Gewinn und Profit gehören - mit Hilfe von internen Stabsstellen - Betriebsräte und Gewerkschaften zurückzudrängen, einzuschüchtern, einzulullen oder ganz zu entfernen. Im Visier habe man sogenannte „Problemkinder“, „Totes Holz“, langsam Arbeitende, auch die zu lange im Betrieb sind, stehen auf der Abschussliste, körperlich ältere und schwächere Menschen, selbstbewusste, unangepasste, potentiell rebellische Arbeiter, Angestellte, die längere Zeit krank geworden sind. Mit Zucker werden dagegen diejenigen behandelt, die für das Unternehmen den höchsten Gewinn versprechen, man nennt sie „aufsteigende Sterne“. Ihnen folgen die noch geduldeten „Arbeitspferde“. Zu den Helfern der Arbeitgeber zählen vor allem die Medien. Sie betreiben eine strategische Kommunikation statt einer biederen Öffentlichkeitsarbeit. Es herrsche eine Gewerkschafts-Vernichtungs- und eine Mitbestimmungs-Vertreibungsindustrie.

Zusammengerottet haben sich unter dem Dach und der Duldung der Politik und des Staates Fachanwälte, Anwaltskanzleien, Unternehmensberater, Personalmanager, Detektive, PR-Agenturen, Detekteien, die Klassenjustiz, Stiftungen, der BDI und der BDA, betriebsratsfreie Zonen, eine arbeitgeberfinanzierte Universitätsindustrie, Medienagenturen und, und, und... Sie leisten die Drecksarbeit für die Arbeitgeber, sie agieren allesamt unter einer Tarnkappe, unter der das „Arbeitsrecht als Teil des Privatrechts und als Kampfrecht im Interesse der Unternehmensseite“ zu verstehen ist. (S. 112) Auf Seite 63 schreiben die Autoren von einem Netzwerk, das sich – unbeachtet von den Gewerkschaften – herausgebildet hat, „in dem Methoden der kapitalistischen Menschwerdung – Unterwerfung als Freiheit – nicht nur ausgeheckt, sondern in der Arbeitswelt umgesetzt werden“. Das System der Arbeit solle umgestaltet werden, wozu die Unternehmen als Eigentümer angehalten sind, als neue Bürger gesellschaftliche Anliegen „wie Menschenrechte, Bildung, Migration, Armutsbekämpfung, Gesundheit und Chancenfairness“ aufzugreifen. Statt Demokratie nunmehr „Der Staat sind wir, die Unternehmensleitungen“. (S. 61)

Diesem Ziel dient vorrangig die Europäische Union (EU), nämlich „für private Unternehmen die günstigsten Bedingungen zu schaffen und staatliche Unternehmen und Dienstleistungen zu privatisieren“, so die Autoren auf Seite 164. „Dieses Interesse trifft sich mit dem Konzept der zuvor genannten Union Busting (USA). Das Endziel sei die Auflösung der Gesellschaft in einen Markt aus freien, ungebundenen, ideologisch entwurzelten, flexiblen Individuen, die in ständiger Konkurrenz zueinander“ stehen. Der Begriff der Arbeiterklasse sei historisch widerlegt, wer dem noch anhänge, sei ein „Ewiggestriger“ „und damit zum Abschuss frei gegeben“. (S. 21)

Die Autoren mahnen im Zusammenhang mit Arbeitsunrecht und Union Busting Widerstand an gegen soziale Zerfallserscheinungen (S. 17), denn Arbeitsrechte sind Teil der Menschenrechte. „Arbeits- und Sozialrechte scheinen nicht dazu zu gehören.“ (S. 219) Wenn in weiten Teilen Europas aus der Freiheit der arbeitenden Menschen das Recht zum freien Fall ins Bodenlose geworden ist, dann ist auch der politische Streik gesetzlich nicht verboten. Die Autoren warnen vor der Naivität, die Fertigmacher bräuchten „nur mal eins auf die Finger“. (Seite 16) Eher schon die „Rote Karte“ durch zahllose couragierte Emmelys.

Das Buch besticht durch unzählige faktenreiche Belege sowie durch neun Konfliktporträts und dreizehn Personenporträts. Tatsachen werden durch kurze Autorenkommentare gedanklich vertieft, sodass sich auch im Arbeitsrecht Unbewanderte ein genaues Bild von der Willkür der Politik und den hochbezahlten Dienstleistern im Interesse der Arbeitgeber gegenüber den Lohnabhängigen und ihrem Arbeitsrecht machen können. Lesenswert vor allem für Systemkritiker, Betriebsräte, Arbeiter, Streikende, Gewerkschafter und Arbeitssuchende. (PK)

Werner Rügemer, Elmar Wigand: „Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle Gewerkschaftsbekämpfung“, PapyRossa Verlag, 238 S.,Auflage: 1 (1. Oktober 2014), ISBN-10: 3894385553 , ISBN-13: 978-3894385552 , Preis: 14.90 Euro

Erstveröffentlichung der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung