Freitag, 27. August 2021

Niedergang Weltimperialismus - LZ

 

Entnommen: https://linkezeitung.de/2021/08/28/hinter-dem-niedergang-des-us-imperialismus-steht-der-niedergang-des-weltkapitalismus/


Hinter dem Niedergang des US-Imperialismus steht der Niedergang des Weltkapitalismus


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 28. AUGUST 2021

von https://de.internationalism.org

Der überstürzte Rückzug der US-amerikanischen und anderer westlicher Streitkräfte aus Afghanistan ist ein deutlicher Beweis für die Unfähigkeit des Kapitalismus, etwas anderes als zunehmende Barbarei zu bieten. Aber als Marxisten können wir die Ereignisse nicht nur kommentieren, sondern müssen ihre historischen Wurzeln analysieren, was wir in dem folgenden Artikel tun wollen.

Der überstürzte Rückzug der US-amerikanischen und anderer westlicher Streitkräfte aus Afghanistan ist ein deutlicher Beweis für die Unfähigkeit des Kapitalismus, etwas anderes als zunehmende Barbarei zu bieten. Der Sommer 2021 hat bereits eine Beschleunigung von miteinander verknüpften Ereignissen erlebt, die zeigen, dass der Planet bereits in Flammen steht: der Ausbruch von Hitzewellen und unkontrollierbaren Bränden von der Westküste der USA bis nach Sibirien, Überschwemmungen, die anhaltenden Verwüstungen durch die Covid-19-Pandemie und die von ihr verursachten wirtschaftlichen Verwerfungen. All dies ist “eine Offenbarung des Grades der Fäulnis, der in den letzten 30 Jahren erreicht wurde“[1]. Als Marxisten besteht unsere Aufgabe nicht nur darin, dieses wachsende Chaos zu kommentieren, sondern seine Wurzeln zu analysieren, die in der historischen Krise des Kapitalismus liegen, und die Perspektiven für die Arbeiterklasse und die gesamte Menschheit aufzuzeigen.

Der historische Hintergrund der Ereignisse in Afghanistan


Die Taliban werden als Feinde der Zivilisation dargestellt, als eine Gefahr für die Menschenrechte und insbesondere für die Rechte der Frauen. Sie sind zweifellos brutal und werden von einer Vision angetrieben, die an die schlimmsten Aspekte des Mittelalters erinnert. Sie sind jedoch keine seltene Ausnahme in der heutigen Zeit. Sie sind das Produkt eines reaktionären Gesellschaftssystems: des dekadenten Kapitalismus. Ihr Aufkommen ist insbesondere Ausdruck der Zerfallsphase, dem letzten Stadium der Dekadenz des Kapitalismus.

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre eskalierte der Kalte Krieg zwischen den imperialistischen Blöcken der USA und Russlands, wobei die USA Marschflugkörper in Westeuropa stationierten und die UdSSR zu einem Wettrüsten zwangen, das sie sich immer weniger leisten konnte. Im Jahr 1979 stürzte jedoch einer der Pfeiler des westlichen Blocks im Nahen Osten, der Iran, ins Chaos. Alle Versuche ausgeheckter Fraktionen der Bourgeoisie, Ordnung zu schaffen, scheiterten, und die rückständigsten Elemente des Klerus nutzten dieses Chaos, um an die Macht zu kommen. Das neue Regime brach mit dem westlichen Block, weigerte sich aber auch, dem russischen Block beizutreten. Der Iran hat eine ausgedehnte Grenze zu Russland und war somit ein wichtiger Akteur in der westlichen Strategie der Einkreisung der UdSSR. Nun war der Iran zu einer unberechenbaren Waffe in der Region geworden. Diese neue Unordnung ermutigte die UdSSR, in Afghanistan einzumarschieren, als der Westen versuchte, das pro-russische Regime zu stürzen, das er 1978 in Kabul hatte installieren können. Mit dem Einmarsch in Afghanistan hoffte Russland, zu einem späteren Zeitpunkt auch Zugang zum Indischen Ozean zu erhalten.

In Afghanistan wurden wir nun Zeuge einer schrecklichen Explosion militärischer

Barbarei. Die UdSSR ließ die gesamte Macht ihres Arsenals auf die Mudschaheddin („Freiheitskämpfer“) und die Bevölkerung im Allgemeinen los. Auf der anderen Seite bewaffnete, finanzierte und trainierte der US-Block die Mudschaheddin und die afghanischen Kriegsherren, die sich den Russen widersetzten. Darunter befanden sich viele islamische Fundamentalisten und auch ein wachsender Zustrom von Dschihadisten aus aller Welt. Diese sog. „Freiheitskämpfer“ wurden von den USA und ihren Verbündeten in allen Künsten des Terrors und der Kriegsführung unterrichtet. Dieser Krieg für die „Freiheit“ kostete zwischen 500.000 und 2 Millionen Menschen das Leben und hinterließ ein verwüstetes Land. Er war auch die Geburtsstätte einer globaleren Form des islamischen Terrorismus, der durch den Aufstieg von Bin Laden und Al-Qaida verkörpert wird.

Gleichzeitig drängten die USA den Irak in einen acht Jahre dauernden Krieg gegen den Iran, in dem rund 1,4 Millionen Menschen getötet wurden. Während Russland sich in Afghanistan erschöpfte, was wesentlich zum Zusammenbruch des russischen Blocks 1989 beitrug, und der Iran und der Irak in die Kriegsspirale hineingezogen wurden, zeigte die Dynamik in der Region, dass der Ausgangspunkt, die Verwandlung des Irans in einen „Schurkenstaat“, eines der ersten Anzeichen dafür war, dass die sich vertiefenden Widersprüche des Kapitalismus die Fähigkeit der Großmächte zu untergraben begannen, ihre Autorität in verschiedenen Regionen des Planeten durchzusetzen. Hinter dieser Tendenz steckte etwas Tieferes: die Unfähigkeit der herrschenden Klasse, ihre Lösung für die Krise des Systems – einen weiteren Weltkrieg – einer Weltarbeiterklasse aufzuzwingen, die in einer Reihe von Kämpfen zwischen 1968 und den späten 80er Jahren ihre mangelnde Bereitschaft gezeigt hatte, sich für den Kapitalismus zu opfern, ohne jedoch in der Lage zu sein, eine revolutionäre Alternative zum System zu präsentieren. Kurz gesagt, eine Sackgasse zwischen den beiden großen Klassen bestimmte den Eintritt des Kapitalismus in seine letzte Phase, die Phase des Zerfalls, die auf imperialistischer Ebene durch das Ende des Zwei-Blöcke-Systems und die Beschleunigung des „Jeder für sich“ gekennzeichnet ist.

Afghanistan im Zentrum des imperialistischen „Jeder für sich“


In den 1990er Jahren, nach dem Abzug der Russen aus Afghanistan, stürzten sich die siegreichen Kriegsherren aufeinander und nutzten alle Waffen und das Wissen über den Krieg, das ihnen vom Westen zur Verfügung gestellt wurde, um die Ruinen zu kontrollieren. Massenhaftes Abschlachten, Zerstörung und massenhafte Vergewaltigungen zerstörten das bisschen an sozialem Zusammenhalt, das der Krieg übrig noch gelassen hatte.

Die sozialen Auswirkungen dieses Krieges beschränkten sich nicht auf Afghanistan. Die Heroinsucht, die seit den 1980er Jahren explosionsartig zunahm und Elend und Tod in die ganze Welt brachte, war eine der direkten Folgen des Krieges. Der Westen ermutigte die Taliban-Gegner, Opium anzubauen, um die Kämpfe zu finanzieren.

Der rücksichtslose religiöse Fanatismus der Taliban war also das Ergebnis jahrzehntelanger Barbarei. Sie wurden auch von Pakistan manipuliert, um zu versuchen, eine Art Ordnung vor seiner Haustür zu schaffen.

Die US-Invasion im Jahr 2001, die unter dem Vorwand gestartet wurde, Al-Qaida und die Taliban loszuwerden, sowie die Invasion des Irak im Jahr 2003 waren Versuche des US-Imperialismus, angesichts der Folgen seines Niedergangs seine Autorität durchzusetzen. Er versuchte, andere Mächte, insbesondere die Europäer, dazu zu bringen, als Reaktion auf den Angriff auf eines seiner Mitglieder zu handeln. Mit Ausnahme Großbritanniens war die Reaktion aller anderen Mächte lauwarm. In der Tat hatte Deutschland bereits Anfang der 1990er Jahre einen neuen „unabhängigen“ Weg eingeschlagen, indem es die Abspaltung Kroatiens unterstützte, die wiederum das schreckliche Gemetzel auf dem Balkan auslöste. In den folgenden zwei Jahrzehnten wurden Amerikas Rivalen noch mehr ermutigt, als sie zusahen, wie sich die USA in nicht zu gewinnende Kriege in Afghanistan, Irak und Syrien verstrickten. Der Versuch der USA, ihre Vorherrschaft als einzige verbleibende Supermacht zu behaupten, offenbarte mehr und mehr den wahren Niedergang der imperialistischen „Führungsrolle“ Amerikas; und weit davon entfernt, dem Rest des Planeten eine monolithische Ordnung aufzwingen zu können, waren die USA nun zum Hauptverursacher des Chaos und der Instabilität geworden, die die Phase des kapitalistischen Zerfalls kennzeichnen.



Bidens Realpolitik in Kontinuität mit der von Trump


Die Politik des Rückzugs aus Afghanistan ist ein klares Beispiel für Realpolitik. Die USA müssen sich von diesen teuren und sie schwächenden Kriegen befreien, um ihre Ressourcen auf die Verstärkung ihrer Bemühungen zur Eindämmung und Unterminierung Chinas und Russlands zu konzentrieren. Die Regierung Biden hat sich bei der Verfolgung der US-Ambitionen als nicht weniger zynisch erwiesen als Trump.

Gleichzeitig haben die Bedingungen des US-Rückzugs dazu geführt, dass die Botschaft der Biden-Regierung „America is Back“, dass Amerika ein zuverlässiger Verbündeter ist, einen schweren Schlag erlitten hat. Langfristig setzt die Regierung wahrscheinlich auf die Angst vor China, um Länder wie Japan, Südkorea und Australien dazu zu zwingen, mit der „Ostverschiebung“ der USA zu kooperieren, die darauf abzielt, China im Südchinesischen Meer und anderswo in der Region einzudämmen.

Es wäre ein Fehler, daraus zu schließen, dass sich die USA einfach aus dem Nahen Osten und Zentralasien zurückgezogen haben. Biden hat deutlich gemacht, dass die USA in Bezug auf terroristische Bedrohungen eine „Over the Horizon“-Politik verfolgen werden. Das bedeutet, dass sie ihre Militärbasen auf der ganzen Welt, ihre Marine und ihre Luftwaffe einsetzen werden, um Staaten oder einzelne Ziele in diesen Regionen zu vernichten, wenn sie die USA gefährden. Diese Bedrohung hängt auch mit der zunehmend chaotischen Situation in Afrika zusammen, wo sich zu den gescheiterten Staaten wie Somalia auch Äthiopien gesellen könnte, das von einem Bürgerkrieg heimgesucht wird und dessen Nachbarn die eine oder andere Seite unterstützen. Diese Liste wird noch länger werden, da islamistische Terrorgruppen in Nigeria, im Tschad und anderswo durch den Sieg der Taliban ermutigt werden, ihre Kampagnen zu verstärken.

Wenn der Rückzug aus Afghanistan mit der Notwendigkeit begründet wird, sich auf die Gefahr zu konzentrieren, die vom Aufstieg Chinas und dem Wiedererstarken Russlands als Weltmächte ausgeht, so sind seine Grenzen offensichtlich, denn er bietet dem chinesischen und russischen Imperialismus sogar einen Weg nach Afghanistan selbst. China hat bereits massiv in sein Projekt der Neuen Seidenstraße in Afghanistan investiert, und beide Staaten haben diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufgenommen. Aber keiner dieser Staaten kann sich über eine zunehmend widersprüchliche Weltordnung erheben. Die Welle der Instabilität, die sich in Afrika, im Nahen Osten (zuletzt der Zusammenbruch der libanesischen Wirtschaft), in Zentralasien und im Fernen Osten (insbesondere in Myanmar) ausbreitet, ist für China und Russland eine ebenso große Gefahr wie für die USA. Sie sind sich darüber im Klaren, dass Afghanistan keinen wirklich funktionierenden Staat hat und dass die Taliban nicht in der Lage sein werden, einen solchen aufzubauen. Die Bedrohung der neuen Regierung durch die Warlords ist hinlänglich bekannt. Teile der Nordallianz haben bereits erklärt, dass sie die Regierung nicht akzeptieren werden, und der ISIS, der sich ebenfalls in Afghanistan engagiert hat, betrachtet die Taliban als Abtrünnige, weil sie bereit sind, mit dem ungläubigen Westen Geschäfte zu machen. Teile der alten herrschenden Klasse Afghanistans könnten versuchen, mit den Taliban zusammenzuarbeiten, und viele ausländische Regierungen öffnen ihre Kanäle, aber nur, weil sie Angst davor haben, dass das Land wieder in Warlordismus und Chaos versinkt, was sich auf die gesamte Region ausweiten würde.

Der Sieg der Taliban kann die uigurischen islamischen Terroristen, die in China aktiv sind, nur ermutigen, auch wenn die Taliban sie nicht unterstützt haben. Der russische Imperialismus kennt den bitteren Preis der Verstrickung in Afghanistan und weiß, dass der Sieg der Taliban den fundamentalistischen Gruppen in Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan – Staaten, die einen Puffer zwischen den beiden Ländern bilden – neuen Auftrieb geben wird. Die USA werden diese Bedrohung nutzen, um ihren militärischen Einfluss in diesen und anderen Staaten zu verstärken, aber sie können erkennen, dass selbst die Macht der US-Kriegsmaschinerie eine solche Dynamik nicht niederschlagen kann, wenn dieser genügend Unterstützung aus anderen Staaten erhält.

Die USA waren nicht in der Lage, die Taliban zu besiegen und einen zusammenhängenden Staat zu errichten. Sie haben sich in dem Bewusstsein zurückgezogen, dass sie zwar eine echte Demütigung hinnehmen mussten, aber eine Zeitbombe der Instabilität hinterlassen haben. Russland und China müssen nun versuchen, dieses Chaos einzudämmen. Die Vorstellung, dass der Kapitalismus dieser Region Stabilität und irgendeine Form von Zukunft bringen kann, ist eine reine Illusion.

Barbarei mit humanitärem Antlitz


Die USA, Großbritannien und alle anderen Mächte haben das Schreckgespenst Taliban benutzt, um den Terror und die Zerstörung zu verbergen, die sie der afghanischen Bevölkerung in den letzten 40 Jahren angetan haben. Die von den USA unterstützten Mudschahedin metzelten, vergewaltigten, folterten und plünderten genauso viel wie die Russen. Wie die Taliban führten sie Terrorkampagnen in den von den Russen kontrollierten städtischen Zentren durch. Dies wurde jedoch vom Westen sorgfältig verheimlicht. So ist es auch in den letzten 20 Jahren gewesen. Die schreckliche Brutalität der Taliban wurde in den westlichen Medien hervorgehoben, während die Nachrichten über die Todesopfer, Morde, Vergewaltigungen und Folterungen durch die „demokratischen“ Regierungen und ihre Unterstützer zynisch unter den Teppich gekehrt wurden. Offenbar ist es nicht erwähnenswert, dass die Granaten, Bomben und Kugeln der von den „demokratischen“, „menschenrechtsfreundlichen“ USA und Großbritannien unterstützten Regierung Junge und Alte, Frauen und Männer in Stücke gerissen haben. Tatsächlich wird nicht einmal das ganze Ausmaß des Terrors, den die Taliban angerichtet haben, berichtet. Es wird als nicht „berichtenswert“ angesehen, es sei denn, es könnte dazu beitragen, den Krieg zu rechtfertigen.

Die europäischen Parlamente haben sich den US-amerikanischen und britischen Politikern angeschlossen und das schreckliche Schicksal der Frauen und anderer Menschen in Afghanistan unter den Taliban beklagt. Dieselben Politiker haben Einwanderungsgesetze erlassen, die Tausende von verzweifelten Flüchtlingen, darunter viele Afghanen, dazu gebracht haben, ihr Leben bei dem Versuch zu riskieren, das Mittelmeer oder den Ärmelkanal zu überqueren. Wo bleibt ihr Wehklagen über Tausende, die in den letzten Jahren im Mittelmeer ertrunken sind? Welche Sorge zeigen sie für die Flüchtlinge, die gezwungen sind, in der Türkei oder in Jordanien in Konzentrationslagern zu leben (die von der EU und Großbritannien finanziert werden) oder auf den Sklavenmärkten in Libyen verkauft werden? Diese bürgerlichen Sprachrohre, die die Taliban für ihre Unmenschlichkeit verurteilen, befürworten den Bau einer Mauer aus Stahl und Beton um Osteuropa, um die Flüchtlingsströme zu stoppen. Der Gestank der Heuchelei ist fast überwältigend.

Das Proletariat ist die einzige Kraft, die dieser Hölle ein Ende setzen kann.


Der Anblick von Krieg, Pandemien, Wirtschaftskrise und Klimawandel ist in der Tat furchterregend. Deshalb füllt die herrschende Klasse ihre Medien mit diesen Themen. Sie will, dass das Proletariat unterdrückt wird, dass es vor der düsteren Realität dieses verrottenden Gesellschaftssystems in Angst und Schrecken erstarrt. Sie wollen, dass wir wie Kinder sind, die sich an den Rockzipfel der herrschenden Klasse und ihres Staates klammern. Die großen Schwierigkeiten, die das Proletariat in den letzten 30 Jahren im Kampf um die Verteidigung seiner Interessen hatte, lassen diese Angst noch stärker hervortreten. Die Vorstellung, dass das Proletariat die einzige Kraft ist, die eine Zukunft, eine völlig neue Gesellschaft, bieten kann, kann heute absurd erscheinen. Aber das Proletariat ist die revolutionäre Klasse, und drei Jahrzehnte des Rückzugs haben dies nicht ausgelöscht, auch wenn die Dauer und Tiefe dieses Rückzugs es der internationalen Arbeiterklasse erschwert, das Vertrauen in ihre Fähigkeit wiederzuerlangen, den wachsenden Angriffen auf ihre wirtschaftlichen Bedingungen zu widerstehen. Aber nur durch diese Kämpfe kann die Arbeiterklasse ihre Kraft wieder entfalten. Wie Rosa Luxemburg sagte, ist das Proletariat die einzige Klasse, die ihr Bewusstsein durch die Erfahrung von Niederlagen entwickelt. Es gibt keine Garantie dafür, dass das Proletariat in der Lage sein wird, seiner historischen Verantwortung gerecht zu werden, der übrigen Menschheit eine Zukunft zu bieten. Dies wird sicherlich nicht geschehen, wenn das Proletariat und seine revolutionären Minderheiten der erdrückenden Atmosphäre der Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit erliegen, die von unserem Klassenfeind gefördert wird. Das Proletariat kann seine revolutionäre Rolle nur erfüllen, wenn es der düsteren Realität des zerfallenden Kapitalismus ins Auge blickt und sich weigert, die Angriffe auf seine wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen hinzunehmen, wenn es Isolation und Hilflosigkeit durch Solidarität, Organisation und wachsendes Klassenbewusstsein ersetzt.

[1]https://en.internationalism.org/content/17042/report-pandemic-and-development-decomposition

https://de.internationalism.org/content/3004/hinter-dem-niedergang-des-us-imperialismus-steht-der-niedergang-des-weltkapitalismus


Dienstag, 24. August 2021

Die Demütigung des Wertewestens in Afghanistan - Rainer Rupp, nd

Entnommen: https://www.kundschafter-ddr.de/die-demuetigung-des-wertewestens-in-afghanistan/


Die Demütigung des Wertewestens in Afghanistan


(Rainer Rupp)


"Das ist nicht Saigon". Mit diesen Worten verteidigte US-Außenminister Anthony Blinken die chaotische Evakuierung des US-Botschaftspersonals und weiterer US-Bürger aus der afghanischen Hauptstadt Kabul. Damit wies er die Anspielungen in US-Medien und internationalen Presse auf die Niederlage der USA im Vietnamkrieg 1975 zurück. Damals gingen die apokalyptischen Bilder der Rettung des US-Personals per Hubschrauber vom Dach der US-Botschaft in Saigon rund um die Welt.

Derweil sprechen US-Senatoren und Kongressabgeordnete sogar von einer Situation, die „schlimmer als Saigon“ ist und werfen Präsident Joe Biden vor, „sich in Camp David zu verstecken, während die Taliban Amerika erniedrigen. Die Einnahme Kabuls durch die Taliban und der US-Abzug aus Afghanistan seien für die Vereinigten Staaten das „schlimmste außenpolitische Desaster seit Generationen“, so z.B. Senator Ben Sasse (Republikaner von Nebraska) letzten Montag.


Aber Senator Sasse bellt den falschen Baum an. Nicht der überhastete US- und NATO-Abzug aus Afghanistan ist das Desaster, sondern die verbrecherische politische Entscheidung vor 20 Jahren, Afghanistan militärisch zu erobern und zu amerikanisieren. Senator Sasse sollte an die Hunderttausende von toten afghanischen Zivilisten denken und sich empören. Stattdessen sind es die über 5.000 toten US-Soldaten und US-Söldnern, und die 2250 Milliarden Dollar (2.250.000.000.000 $) offizieller Afghanistan-Kriegskosten, die sein Land in Afghanistan für nichts und wieder nichts in den Sand gesetzt hat.

Auch in den NATO-Hauptstädten hat inzwischen das politische Spielchen der Schuldzuweisung für die dieses Desaster begonnen. Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum, wer für den kriminellen Angriffskrieg gegen Afghanistan und das nachfolgende Besatzungsregime verantwortlich ist, sondern es geht nur um das Abzugsdesaster. In Deutschland hatten sich vor 20 Jahren alle etablierten Parteien – mit Ausnahme der „Linken“ – Hals über Kopf an der Seite der Amerikaner in den Afghanistan-Krieg gestürzt, um Washington ihre Vasallenqualität zu demonstrieren.


Aber genau, wie das Afghanistan-Desaster nun auf Washington zurückfällt und auch noch die Reste seines Prestiges als „unverzichtbare Nation“ und alleinige Supermacht demoliert, so trifft es im gleichen Masse auch Deutschland und dort besonders die etablierten Parteien, deren Spitzen an allen desaströsen Afghanistan-Entscheidungen mitgewirkt haben, die dann von deren Abgeordneten im Bundestag brav abgenickt wurden.

Vor allem sind die CDU und Bundeskanzlerin Angela Merkel betroffen. Sie hat den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan in ihrer gesamten Regierungszeit mitbegleitet und später als Kanzlerin gelenkt. In all den Jahren hat sie stets das hohe Lied von der transatlantischen Wertegemeinschaft und der US-geführten, Regel basierten internationalen Ordnung gesungen, die man auch in Afghanistan einpflanzen müsse. Dabei säuselte sie von Nationenbildung, Demokratie und Menschenrechten und Mädchenschulen und von anderen noblen Zielen, mit denen man Bundeswehrsoldaten und ihren Vätern und Müttern weiß machte, dass es sich lohne dafür in Afghanistan zu kämpfen und womöglich zu sterben.
Das Sterben deutscher Soldaten hielt sich anfangs in Grenzen, denn die Bundeswehr vermied in den ersten Jahren Kampfeinsätze und machte Ausbildung und Überwachung. Von der Bevölkerung wurde der Afghanistaneinsatz damals kaum hinterfragt. Aber als die Taliban wieder erstarkten und die Zahl der toten, schwer verwundeten und traumatisierten Bundeswehrsoldaten stieg, musste ein weiteres Motiv her, um die Kampfmoral zu stärken und so erfand ein Schwachkopf von SPD-Kriegsminister die Losung: „Deutschlands Sicherheit wird am Hindukusch verteidigt“.

Aber nachdem die letzten Bundeswehrsoldaten vor einigen Tagen klammheimlich bei Nacht und Nebel aus ihrem Feldlager bei Mazar-el-Sharif nach Hause ausgeflogen worden sind, bedeutet das im Umkehrschluss, dass niemand mehr unsere Sicherheit am Hindukusch verteidigt und Deutschland jetzt in großer Gefahr ist. Oder? Das ist natürlich Quatsch. Die Losung diente ebenso wie alle anderen „noblen Gründe“ die 20 Jahre lange Mord und Zerstörungsorgie der US-NATO in Afghanistan zu rechtfertigen.


Jetzt wurde durch den blitzschnellen Vormarsch der Taliban der mit westlichen Werten geschmückte Glitzer-Vorhang weggerissen, der uns eine blühende und wehrhafte Demokratie nach westlichem Vorbild in Afghanistan vorgegaukelt hat. Frei gegeben wurde der ungeschminkte Blick auf die marode Kulisse eines zerfallenden und korrupten Staates. In dem waren nicht einmal mehr die von den USA und auch von Deutschland ausgebildeten und gut bezahlten Soldaten der Eliteeinheiten bereit, für das abgehalfterte US-Marionetten Regime von Präsident Ghani einen Schuss gegen die Taliban abzugeben.


Nach US-Angaben hatte das Pentagon in Afghanistan eine der schlagkräftigsten Armeen im Vergleich zu den zentralasiatischen Nachbarländern aufgebaut, mit Panzerfahrzeugen, Artillerie, modernen Kommunikationsmittel und sogar einer recht umfangreichen Luftwaffe mit Kampfhubschraubern, Bombern und Transportflugzeugen. Der Kostenpunkt lag bei knapp 90 Milliarden Dollar, - das ist erheblich mehr als Russland in einem Jahr für sein Militär ausgibt, Sold und Pensionszahlungen für die Soldaten inklusive. Das alles ist jetzt unzerstört in die Hände der Taliban gefallen; für das Pentagon ein Albtraum.

Der Grund, warum die Taliban so schnell und so gut wie ohne Gegenwehr alle Provinzhauptstädte und das Land dazwischen und zuletzt auch die Landeshauptstadt Kabul in Besitz nehmen konnten, liegt daran, dass die Taliban-Führung allen Regierungssoldaten und auch Regierungsbeamten Straffreiheit zugesichert und ihnen auch eine neue Kariere in Aussicht gestellt hatte, nämlich im Rahmen einer neuen Armee der nationalen Einheit. Damit war jede Motivation, für die von den USA herangezüchteten, korrupten US-Regierungsmarionetten zu kämpfen und zu sterben, dahin.

Ein Beispiel für die Korruption der politischen Elite war, dass der amtierende Präsident Ashraf Ghani dabei erwischt worden ist, eine große Summe Geld außer Landes zu schmuggeln. Laut russischer Nachrichtenagenturen hatte man ihm am Flughafen in Kabul 5 Millionen Dollar in bar konfisziert, mit denen er sich einen Tag vor dem Fall Kabuls mit einem Militärflugzeug über die Grenze nach Usbekistan absetzen wollte. Ghani, ein Geschöpf der USA war ehemaliger Direktor der in Washington residierenden Weltbank.

Was die Frage der angeblichen Unvorhersehbarkeit des blitzschnellen Siegeszugs der Taliban betrifft, wird die Schuld für die schwerwiegende Fehleinschätzung der Lage vor allem den US-Geheimdiensten zugewiesen. Dabei hätte man auch in Berlin wissen müssen, dass die US-Geheimdienste in der Regel keine realistische Einschätzung, sondern politische Gefälligkeitsgutachten abgeben.

Diesmal entsprach die gemeinsame Einschätzung der US-Geheimdienste voll und ganz den persönlichen Wünschen und Hoffnungen von Präsident Biden und seiner Mannschaft. Die hatten sich das symbolträchtige Datum des 11. September 2021 – also genau 20 Jahre nach dem Anschlag auf die Türme des World Trade Centers in New York– ausgesucht, um sich in einer groß inszenierten Show als Sieger in Afghanistan zu präsentieren. An dem Tag sollte die letzte Einheit amerikanischer Soldaten aus Afghanistan zu Hause in den USA eintreffen, siegreich und ungeschlagen Das selbstgesteckte Ziel – nämlich die Vernichtung von al Kaida – war erreicht. „Mission Accomplished“ sollten die Banner auf den TV-Bildern verkünden.

In feierlichen Reden sollte über die selbstlose US-Hilfe in Afghanistan gesprochen werden und nun sei die Zeit gekommen, wo die afghanische Armee und Gesellschaft stark und fähig genug sei, um selbst für Ordnung im Land zu sorgen. Und in der Zukunft werde Afghanistan - Dank weiterer, enger Zusammenarbeit mit den USA - in seiner Region zu einem Pfeiler der Stabilität und einem Leuchtturm westlicher Werte werden. So schön hatten sich Joe Biden und seine Leute im Weißen Haus den Abzug aus Afghanistan vorgestellt. Und die US-Geheimdienste lieferten die dazu passende Einschätzung.

Noch Anfang Juni 2021 hieß es von den US-Geheimdienstexperten, dass die Regierung von Präsident Ashraf Ghani bis zu zwei Jahre nach dem Abschluss des US-Rückzugs überleben könnte.i So kam es dann zu der fatalen Fehleinschätzung im politischen Washington, wovon Präsident Bidens Bemerkungen am 8. Juli 2021ii anlässlich einer Presseerklärung zum Abzug der US-Streitkräfte in Afghanistan zeugen.

Bemerkungen von Präsident Biden zur Frage:

„Ist eine Übernahme Afghanistans durch die Taliban jetzt unvermeidlich?

DER PRÄSIDENT: Nein, ist es nicht.
Frage: Warum?
DER PRÄSIDENT: Weil Sie - die afghanischen Truppen haben 300,000 gut ausgestattet — so gut ausgestattet wie jede Armee der Welt- und eine Luftwaffe gegen so etwas wie 75,000 Taliban. Es ist nicht unvermeidlich.
Frage:  Herr Präsident, würden Sie diese Frage bitte bekräftigen. Warum vertrauen Sie den Taliban nicht?
DER PRÄSIDENT: Es ist eine - es ist eine dumme Frage. Vertraue ich den Taliban? Nein. Aber ich vertraue auf die Kapazität des afghanischen Militärs, das besser ausgebildet, besser ausgerüstet und in Bezug auf die Kriegsführung kompetenter ist.
Frage: Herr Präsident, einige vietnamesische Veteranen sehen Ähnlichkeiten mit ihren Erfahrungen jetzt bei diesem Abzug aus Afghanistan. Sehen Sie Parallelen zwischen diesem Rückzug und dem, was in Vietnam passiert ist, mit einigen Leuten, die das Gefühl haben —
DER PRÄSIDENT: Überhaupt keine. Null. Sie hatten ganze Brigaden, die die Tore unserer Botschaft durchbrachen -sechs, wenn ich mich nicht irre. Die Taliban sind nicht der Süden -die nordvietnamesische Armee. Sie sind nicht -sie sind nicht im Entferntesten vergleichbar in Bezug auf die Fähigkeit. Es wird keinen Umstand geben, in dem Sie sehen werden, wie Menschen vom Dach der Botschaft gerettet werden. - der Vereinigten Staaten in Afghanistan. Es ist überhaupt nicht vergleichbar.


(Anmerkung, die stotternde Sprache und Unstimmigkeiten im deutschen Text sind keine Übersetzungsfehler, sondern Präsident Biden spricht so.)


Dann vor einer Woche, als es längst zu spät war, änderten sich unter dem Eindruck des nicht mehr schön zu redendem Vormarsch der Taliban die Einschätzungen der US-Geheimdienste. Sie gaben der Hauptstadt Kabul nun nur noch 90 Tage bis zur Einnahme durch die Taliban. Auch das erwies sich als pures Wunschdenken. Aus den 90 Tagen wurden gerade mal 90 Stunden, bis Kabul von den Taliban am Montag, den 16. August kampflos übernommen wurde. Das zeigt, was von der Qualität US-amerikanischer, gemeinsamer Geheimdiensteinschätzungen zu halten ist, vor allem, wenn sie an die Öffentlichkeit durchgesickert werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sie so gut wie nie die Realität widerspiegeln, sondern auf dem Weg durch die Geheimdienst-Bürokratie nach oben zu den politischen Entscheidungsträgern entsprechend der gerade geltenden Opportunität zu politischen Instrumenten zurechtgebogen werden.

Im vorliegenden Fall tritt jedoch vor allem die geballte Inkompetenz der Chefetagen der US-Geheimdienste zutage. Denn eine derartige Einschätzung wie die jüngste zu Afghanistan kann nur auf dem Boden der maßlosen US-Arroganz und des Glaubens an die eigene Unfehlbarkeit entstanden sein, zusätzlich verstärkt durch die engstirnige Überzeugung von der US-Überlegenheit und Unbesiegbarkeit. Vor allem für die deutsche Politik, die sich gerne auf gemeinsame Einschätzungen der US-Geheimdienste verlässt, sollte das eine Lehre sein, ebenso wie für die selbsternannten deutschen „Qualitätsmedien“, die nur zu gerne die nicht selten groben Lügen der US-Dienste als belastbare Wahrheit verbreiten.

Aber der dramatische Fall Kabuls, die chaotische Flucht der Amerikaner und ihrer NATO-Verbündeten, die totale politisch-militärische Fehleinschätzung Washingtons, wird geostrategische Auswirkungen haben, die jahrelang nachhallen werden, nicht nur in Asien, wo aktuell die USA und ihre NATO-Vasallen unter den APEC-Staaten neue Verbündete gegen China zu gewinnen suchen. Auch im Mittleren Osten und Afrika bis hin nach Lateinamerika werden alle, die sich bisher in ihrer Politik zu sehr auf die USA verlassenen haben, vorsichtiger werden und den siechen Hegemon mit neuen Augen betrachten. Diesbezüglich wird auch die Art und Weise, wie lokale Politiker und Hilfskräfte der US-NATO in Afghanistan zurückgelassen wurden, in die Einschätzung der Verlässlichkeit der westlichen Herren eingehen.

Die USA und die anderen NATO-Länder werden in Afghanistan keine wichtige Rolle mehr spielen. Die Demütigung der USA und ihrer NATO-Verbündeten ist vollkommen und die Position der USA als globaler Hegemon liegt in Trümmern. Die aktuellen Ereignisse in Afghanistan werden eine regionale politische, wirtschaftliche und militärische Neuordnung zur Folge haben, deren Konturen sich bereits seit einiger Zeit abzeichnen. China, Russland und Iran sind bereit, mit einer Taliban geführten Regierung der nationalen Einheit zusammenzuarbeiten und beim Wiederaufbau des Landes zu helfen.


Bei der Planung für die post-amerikanische Zeit hatten eine hochrangige Taliban-Delegation eine Reihe von Nachbarländern besucht. Die erste Reise führte in den Iran, wo die Taliban herzlich empfangen wurden, was der beste Beweis dafür ist, dass die religiös-extremistische, von Saudi-Arabien unterstützte Wahhabi-Linie der Taliban von vor 20 Jahren in der heutigen Taliban-Bewegung nicht mehr existiert. Der nächste Besuch der großen Taliban-Delegation führte nach Moskau und dann nach Peking, wo jeweils Gespräche auf höchstem Niveau stattfanden, nämlich mit den Außenministern Lawrow und Wang Yi. Dabei zogen die Chinesen und die Russen am selben Strang.

Moskau und China boten den Taliban Hilfe beim Wiederaufbau des Landes an, ohne sich in dessen inneren Angelegenheiten einzumischen. Im Gegenzug verlangten die Chinesen und Russen, dass unter einer neuen Taliban-Regierung Afghanistan nicht wieder zum sicheren Hafen für ausländische Terroristen werden darf, die von dort Operationen gegen China in Xiang Jan oder gegen andere Länder durchführen.

Zudem betonten Moskau und Peking, dass sie nur an der Unterstützung für eine stabile Regierung in Afghanistan interessiert seien, was eine inklusive Koalitionsregierung der nationalen Einheit voraussetzt, in der die wichtigsten Ethnien des Landes vertreten sind und deren Interessen berücksichtigt werden. Eine weitere Voraussetzung sei die Abkehr von religiösem Extremismus und die Akzeptanz anderer Glaubensrichtungen. Letzteres wurde von dem obersten, für Religionsfragen zuständigen Taliban-Vertreter, der ebenfalls zu der Delegation gehörte, zugesichert. Man habe dazu gelernt, sagte er und auch den Frauen und Mädchen werde der Zugang zu Schulen, Bildung und Beruf nicht mehr verwehrt, wie das unter dem Vorgänger Regime der Wahhabi-Taliban geschehen war. Nur einen Chador (wie in Iran) müssten die Frauen wieder tragen.

Das Verhalten der Taliban bei der Befreiung des Landes von ausländischen Besatzern scheint zu bestätigen, dass sich die Taliban aus eigener Überzeugung an diese Vereinbarungen halten. Auch die Taliban-Fußtruppen zeigen soweit große Disziplin. Es gab bisher keinerlei Übergriffe gegen Regierungssoldaten, die ihre Waffen niedergelegt hatten. Es gab keine Plünderungen oder Gewaltakte oder Beleidigungen der Zivilbevölkerung in den eroberten Städten. Es sind die Taliban, die jetzt in den Straßen Kabuls für Ordnung und Sicherheit sorgen, die wichtige Gebäude bewachen und vor Plünderungen durch Zivilisten schützen.

Für Soldaten, Polizei und Regierungsbeamte gibt es eine allgemeine Amnestie. An die gebildete Schicht richteten die Taliban einen Aufruf, im Land zu bleiben, denn jeder werde für den Wiederaufbau gebraucht. In der am Flughafen in Kabul aktuell immer noch herrschenden Panik fallen solche Aufrufe allerdings auf taube Ohren. Die russische Botschaft in Kabul dagegen scheint den Taliban zu vertrauen dort gibt es keine Not-Evakuierung, sondern es wird weiter normal gearbeitet.

Alles in allem gibt es also einen Hoffnungsschimmer für einen Neuanfang in Afghanistan - ohne ausländische Soldaten und westliche Einmischung. Und sicherlich wird es auch Rückschläge geben, denn die tiefen Wunden, die in den über 40 Jahren Krieg und Bürgerkrieg geschlagen wurden, werden so schnell nicht heilen. Echter wirtschaftlicher Fortschritt und bescheidener Wohlstand für die Menschen durch die selbstbestimmte Integration Afghanistans in die regionalen Wirtschaftsräume wäre ein wichtiger Schritt in diesem Heilungsprozess. Mit der Unterstützung Chinas, Russlands, Irans, Pakistans und der zentralasiatischen Republiken, die alle im der Shanghai Kooperationsorganisation vereint sind, könnten die Taliban als Führer einer inklusiven Regierung der nationalen Einheit in Afghanistan eine neue Ära einläuten.

Daher sollten wir nicht unverantwortlichen Politikern und Medien nachplappern, die hierzulande schon wieder eine neuen Taliban-Terrorgefahr für Europa und Deutschland beschwören, und die unfähig sind aus einer politischen und menschlichen Katastrophe eine Lehre zu ziehen.

Sbg., den 17.08. 2021


Freitag, 20. August 2021

Der Globus brennt - redaktion kommunisten.de

 

Entnommen: https://www.kommunisten.de/rubriken/internationales/8274-der-globus-brennt


Der Globus brennt

13.08.2021: Feuer rund um das Mittelmeer, in Nord- und Südamerika, Afrika, Asien und Australien ++ Das Schmelzen von Grönlands Gletscher geht unaufhaltsam weiter ++ Auf der anderen Seite der Wetterextreme: sintflutartige Regenfälle und gewaltige Stürme ++ "Es ist zu spät, den unkontrollierten Klimawandel zu stoppen. … das, was wir 'Zivilisation' nennen – könnten sich auch auflösen", meint der Nachhaltigkeitsforscher Jem Bendell ++ Der Imperialismus des 21. Jahrhunderts ist die exterministische (ausrottende) Phase des Kapitalismus, schreiben John Bellamy Foster, Hannah Holleman und Brett Clark in dem anhängenden Artikel.

Griechenland brennt, Sizilien brennt, die Türkei brennt, Algerien brennt - Feuer rund um das Mittelmeer. Neben den südlichen Ländern Europas brennt es auch in Nord- und Südamerika, Afrika, Asien und Australien. Die grünen Lungen der Welt - Amazonien und Sibirien - ersticken im Rauch. Knapp 50 Grad Celsius auf dem 50sten Breitengrad in Kanada oder 48,8 Grad in Sizilien - glühend heiße Luft macht das tägliche Leben zur Qual und zerstört die Ernten. Das Schmelzen von Grönlands Gletscher geht unaufhaltsam weiter. Auf der anderen Seite der Wetterextreme: sintflutartige Regenfälle und gewaltige Stürme. Dass die Klimakatastrophe auch in der Bundesrepublik längst angekommen ist, zeigen einmal mehr die Juli-Fluten. Trockneten die letzten drei Dürresommer den Boden bis in tiefe Bodenschichten aus, kam nun das Wasser.

Klar ist, die immer häufiger und stärker auch auf Europa treffenden Katastrophen sind nur der Anfang des globalen Klimawandels. Noch drastischere Verwerfungen werden auf die Menschheit zukommen. Sie werden Zündstoff sein für neue Konflikte um Wasser, Boden und andere Ressourcen, vor allem im Globalen Süden, sie werden Treibstoff sein für bestehende Konflikte weltweit, auch für Migrationsbewegungen. Fast 31 Millionen Menschen wurden im letzten Jahr von Naturkatastrophen vertrieben, meist im eigenen Land. Sie flohen vor dem Zyklon Amphan in Asien oder wurden in Zentralamerika und der Karibik Opfer von Wirbelstürmen. Wegen Überschwemmungen mussten in Afrika und dem Mittleren Osten Millionen ihre Häuser verlassen. Die Toten im Zusammenhang mit den Katastrophen im Globalen Süden sind vielfach ungezählt.

Die immer schnellere Abfolge von Extremwetterereignissen, hier und weltweit, ist eine Folge der Erderhitzung. Wetterextreme wie anhaltende Starkregen und Hitzewellen werden zukünftig immer häufiger auftreten, sagt der Weltklimarat in seinem jüngsten Bericht. In neun Jahren könnte der Anstieg der globalen Mitteltemperatur 1,5 Grad überschreiten, prognostiziert der Weltklimarat – und warnt vor nie erreichten Extremwetterereignissen. Der Trend lässt sich nur verlangsamen.

Grundsätzlich neu sind die Erkenntnisse über die absehbare Entwicklung des Klimas auf der Erde nicht, die der jetzt vorgestellte erste Teil des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC zusammenfasst. [1] Neu ist die größere Genauigkeit der Klimamodelle, die auch regionale Prognosen möglich machen. Vor allem aber ist neu, dass manch Szenario der früheren Berichte wohl bei Weitem zu optimistisch war. Denn wesentliche Veränderungen sind bereits unumkehrbar: das Abschmelzen des Eises in der Arktis, das Ansteigen des Meeresspiegels, die Versauerung der Ozeane. Hier sind Prozesse in Gang gesetzt, die selbst bei einem sofortigen Stopp der Produktion von Treibhausgasen nicht in wenigen Jahren wieder aufhören. Das Ziel des Pariser Klimaabkommens, die globale Temperaturerhöhung möglichst auf 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen, wäre inzwischen nur noch mit extremen Maßnahmen erreichbar. Doch die herrschende Politik und die Konzernlobbyisten die Fossil-Industrie haben nicht nur in der Vergangenheit unentwegt gebremst und verharmlost - sie werden dies auch künftig tun. (siehe z.B.: Klimagipfel der G20. Der Berg kreißte und gebar eine Maus)

Dabei kommt die Entwicklung nicht überraschend. So warnt Professor Jem Bendell, Nachhaltigkeitsforscher an der University of Cumbria in Großbritannien, seit Jahren, "dass es zu spät ist, den unkontrollierten Klimawandel zu stoppen" und dass "wir uns auf zerstörerische und unkontrollierbare Ausmaße des Klimawandels zubewegen, die Hunger, Zerstörung, Bevölkerungswanderungen, Krankheiten und Krieg mit sich bringen werden".

"Es ist zu spät, den unkontrollierten Klimawandel zu stoppen. … das, was wir 'Zivilisation' nennen – könnten sich auch auflösen"
Jem Bendell, Nachhaltigkeitsforscher


Jem Bendell forderte bereits 2018 auf, "zu erkennen, dass der gesellschaftliche Zusammenbruch bereits im Gange ist, aber ungleich verteilt" und verweist darauf, "dass bereits Millionen von Menschen schrecklich unter dem Klimachaos leiden". So durchlitt Indien im Sommer 2018 eine noch nie dagewesen Hitzewelle mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius. Und die kaum erträglichen Temperaturen werden in den nächsten Jahrzehnten wohl noch weiter steigen.

Doch Bendell sieht den Zusammenbruch nicht nur im globalen Süden. "Wenn man sich die aktuellen klimatischen Veränderungen, die steigenden Emissionen und die Zerstörung von Lebensräumen, die biologischen Auswirkungen, die wärmenden Rückkopplungen, die landwirtschaftlichen Auswirkungen, die Langsamkeit der Reaktion, die Unnachgiebigkeit des Kapitalismus und seiner abhängigen Politiker*innen, die kulturelle Abhängigkeit von Fortschritts- und Kontrollideen und die Zunahme von Schuldgefühlen ansieht, die die Realität vermeiden und Unwissenheit und Hass fördern, dann denke ich, dass ein Zusammenbruch wahrscheinlich oder fast sicher ist." "Unsere Verhaltensnormen – das, was wir 'Zivilisation' nennen – könnten sich auch auflösen", schreibt er in der Studie "Deep Adaptation: A Map for Navigating Climate Tragedy" (deutsche Übersetzung hier: lifeworth.com/DeepAdaptation-de.pdf)


Der Imperialismus des 21. Jahrhunderts ist die exterministische (ausrottende) Phase des Kapitalismus.
John Bellamy Foster, Hannah Holleman und Brett Clark


Der Klimawandel ist eine planetarische Angelegenheit und erfordert einen globalen Aufstand der Menschheit, um die kapitalistische Machtstruktur zu überwinden, die versucht, das fossile Brennstoffsystem und das gegenwärtige System der maximalen Umweltzerstörung und menschlichen Ausbeutung endlos zu verfestigen, schreiben John Bellamy Foster, Hannah Holleman und Brett Clark in dem bereits früher auf kommunisten.de veröffentlichten Artikel "Imperialismus im Anthropozän- die ausrottende Phase des Kapitalismus".

Hier geht es zu dem Artikel: Imperialismus im Anthropozän- die ausrottende Phase des Kapitalismus


Anmerkungen:

[1] https://www.nd-aktuell.de/artikel/1155389.neuer-ipcc-bericht-diese-dekade-ist-entscheidend.html


Samstag, 14. August 2021

Eine Mauer reicht nicht - jW - Arnold Schölzel

 

Entnommen: https://www.jungewelt.de/artikel/408345.eine-mauer-reicht-nicht.html


Eine Mauer reicht nicht


BRD und 60 Jahre 13. August 1961


Von Arnold Schölzel

Sie führen Krieg und reden ungern darüber, erst recht nicht von Frieden. Nach 20 Jahren Gemetzel in Afghanistan und mindestens 200.000 Toten als Folge der westlichen Invasion zieht die Bundesregierung faktisch schweigend ihre Soldaten zurück. Hetze, Rüstung und militärischer Aufmarsch gegen Russland und China werden fast täglich gesteigert. Passend dazu kommt das Wort »Frieden« in der Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der zum 80. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion noch viel Wahres sagte, zum 60. Jahrestag des Mauerbaus nicht vor.

Dabei gibt es zwischen dem 22. Juni 1941 und dem 13. August 1961 eine kausale Verbindung: Die Außen- und Militärpolitik der Sowjetunion nach 1945 hatte als oberstes Ziel, eine Wiederholung von 1941 zu verhindern. Das gilt auch für das heutige Russland. Es bedarf schon eines Linke-Politikers wie Bodo Ramelow, um das nicht zur Kenntnis zu nehmen: Ihm fielen neulich als wichtige Geschichtsdaten dieses Jahres in einem Atemzug der Überfall und der Mauerbau ein. Was, wie aus der Partei zu hören ist, keine Gleichsetzung von Ausrottungskrieg und Aggressionsabwehr war. Denn letzteres war die Mauer: Solange es sie gab, zog die BRD nicht in einen Krieg, nach ihrer Öffnung sofort.

Die letzte Entscheidung zur Grenzschließung 1961 fiel jedenfalls mit Blick auf 1941 und war anders als von der DDR-Führung geplant. Sie hatte keine militärische Anlage vorgesehen. Es bleibt daher eine Lüge, wenn Steinmeier behauptet, Walter Ulbrichts Satz vom Juni 1961 »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten« sei als »eine der dreistesten Lügen in die deutsche Geschichte eingegangen«. So hätten es die Erzähler von Märchen über die DDR gern, aber die Einführung von Grenzkontrollen aus ökonomischen Gründen ist etwas anderes als eine Mauer. Was genau zur militärischen Lösung führte, schlummert in Moskauer Archiven. Aber zu verschweigen, dass »imperialistischer Irrsinn« (General Fritz Streletz in jW vom 13. August) die Hauptursache für die militärische Variante war, hat Gründe: Das damalige »Spiel« mit Krieg und Atombombe des Westens war keine Fiktion.

Wie hieß es im Brief von Bundeskanzler Konrad Adenauer an US-Präsident John F. Kennedy im Oktober 1961? Der Westdeutsche fürchtete, die USA wären nicht zum Äußersten bereit, faselte von einem »präventiven Nuklearschlag« und drängte: »Die Entscheidung, Nuklearwaffen zu benutzen, muss den Sowjets klargemacht werden ebenso wie die Tatsache, dass die Sowjetunion selbst ein Ziel sein würde.« Da versuchte der Bonner Schwanz mit dem US-Hund zu wackeln. Es dauerte ein Jahr, dann war in der Kuba-Krise der atomare Weltkrieg fast erreicht.

Nach der Drohung des jetzigen US-Präsidenten mit einem »echten« Krieg gegen Großmächte lässt sich sagen: 2021 ist in dieser Hinsicht 1961. Eine Mauer reicht nicht mehr


Freitag, 13. August 2021

OHNE DIE MAUER... Buchtipp von Harry Popow

 

"Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben"



Buchtipp von Harry Popow

Wie nicht anders zu erwarten: Das Buch mit dem Titel "Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben" von Armeegeneral a. D. Heinz Keßler und Generaloberst a. D. Fritz Streletz (2011 www.edition –ost.de im Verlag Das Neue Berlin, Berlin, ISBN 978 3-360-01825-0, 220 Seiten), wirft gehörig Staub auf. Zerrt es doch ans Licht, was allzu gerne totgeschwiegen wird: Die Schuld des Westens am Kalten Krieg, der ein heißer zu damaliger Zeit zu werden drohte. Und nach der sogenannten Wende fürchten die Kapitaloberen und ihre Marionetten in der Politik nichts so sehr wie ein Dacapo einer echten Alternative zum jetzigen Herrschaftssystem. Das sind sie - die echten Ewiggestrigen, die von einer dringend notwendigen Veränderung des Gesellschaftssystems nicht nur nichts halten, sondern jede Idee zum Besseren für das Wohl der Menschheit mit Füßen treten und jede Idee dahin im Keime ersticken wollen.

Das ist in der krisengeschüttelten Gegenwart nicht verwunderlich, ruft doch selbst so ein gestandener Mann wie der Franzose Stéphane Hessel dazu auf, sich gegen das weltweit agierende Finanzkapital zu erheben, sich zu empören. Ist es doch eine Frage des Überlebens geworden, den nationalen und internationalen Profitjägern, Verdummern, Lügnern, Geschichtsfälschern mit knallharten Tatsachen ins Handwerk zu pfuschen. Deshalb auch dieser Stich ins Wespennest: Die beiden NVA-Militärs schreiben Klartext. Faktenreicher gehts wirklich nicht - endlich ist es da, das sehr gründlich recherchierte, für die Geschichte so wichtige Buch.

Wie viele andere hatte auch ich kürzlich die Freude, es anläßlich der ersten Mitgliederversanmmlung des Traditionsverbandes der NVA e.V. nicht nur schlechthin zu kaufen, sondern es von den Autoren signieren zu lassen: Die 220 Seiten habe ich in nur wenigen Stunden regelrecht "verschlungen". Natürlich liest man Bekanntes, Ablauf und Gründe für den Bau der "Mauer". Richtig interessant und bisher weitgehend unbekannt sind die in die Tiefe gehenden Passagen, die - weiter ausholend - die Fakten im Zusammenhang betrachten, so zum Beispiel, als bereits im Frühjahr 1945 in der Schweiz mit der Geheimoperation "Sunrise" der eigentliche Anstoß für den Kalten Krieg gegeben wurde. Ganz zu schweigen vom Verlauf der internen und offenen Kriegsvorbereitungen nach 1945 gegen die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder. Ich erspare mir hier die zahlreichen und unwiderlegbaren Details der Kausalkette des knallharten Kampfes gegen den Osten anzuführen. Nicht unerwähnt soll sein: Auch dadurch wird der "Nur-Rührseligkeits-Welle" mit Tränen der Opfer die Einseitigkeit genommen. Die Reduzierung großer politischer Zusammenhänge aufs Detail, aufs Pars pro toto (Teil fürs Ganze), wie es im Stilistischen heißt - das ist Methode!! (Geht es den Hassern des Fortschritts etwa um die Menschen, um deren Schicksale? Sie werden nur benutzt, denn da spielen ganz andere Dinge eine Rolle und die Heuchelei feiert ihre Triumphe!!)

Es ist nicht nur unverschämt und zeugt von einer Nicht-Gewollten-Wahrheitsfindung, wenn die jetzigen Machthaber samt ihrer Medien zum Beispiel vom Verhöhnen der "Opfer" des Mauerbaus faseln. (Jedes Opfer ist immer eins zuviel, aber ohne zusammenhängendes Denken und Analysieren gelangt man nicht zur Wahrheit.) Vergessen sind also die insgesamt etwa 80 Millionen Toten des II. Weltkrieges? Und die 17 Millionen des I.Weltkrieges? Und wenn man die 70 Millionen Opfer dazurechnet, die es bei einer bewaffneten Auseinandersetzung allein in den USA gegeben hätte? (Siehe im Klappentext Kennedys Aussage!!) Ich wage gar nicht die tödliche Leere und Stille im europäischen Raum nach einem großen Knall zu beziffern! Und wer verhöhnt vor allem diese Opfer? Nicht diejenigen, die dem Kriege und deren kapitalherrschaftliche Ursachen endgültig den Garaus machen wollten, sondern jene, die um die Ursachen von weltweiten Konflikten große Bogen machen und alle Schuld auf "Terroristen", auf "Linksradikale", auf jene lenken wollen, die nicht müde werden - dankenswerterweise - der Welt eine andere, friedvollere Perspektive zu geben. Nicht, weil sie es möchten, sondern weil es längst nach zwölf Uhr ist, den Ewiggestrigen mit Worten und Argumenten, mit Demonstrationen und mit der gesamten breiten Palette der Kunst und Kultur in den Arm zu fallen. Dafür stand auch die DDR ein. Dafür und darum stand die "Mauer", von der Kennedy einst sagte, sie sei nicht schön, aber tausendmal besser als Krieg. Möge die neuerliche Mauer zwischen Ost und West, zwischen oben und unten, zwischen Arm und Reich, zwischen etwas Unbedarften und Sehenden Stück für Stück durchlöchert werden - so wie das die hochbetagten und verdienstvollen beiden NVA-Generäle ihr Leben lang und mit diesem wunderbaren Buch getan haben. Wer heutige gesellschaftliche Widersprüche mißachtet, sie nicht sehen will, macht sich wieder einmal mitschuldig - wie 1933 und danach... Deshalb die nachdrückliche Nachhilfe für Ewiggestrige.


(Ich schrieb diesen Beitrag vor Jahren... Dem ist nichts hinzuzufügen, die Lügen und Unwahrheiten über den „Mauerbau“ haben zugenommen. Statt Tiefgründigkeit bleibt nur das Heulen der wirklich EWIGGESTRIGEN.) Harry Popow)
 




Montag, 2. August 2021

Deutsche Fregatte im Pazifik - jW - Arnold Schölzel

 

Entnommen: https://www.jungewelt.de/artikel/407599.vorausfahrt.html


Vorausfahrt


Deutsche Fregatte im Pazifik


Von Arnold Schölzel


Kleines Schiff, gewaltige Worte. Zur Fahrt der auf U-Bootjagd spezialisierten Fregatte »Bayern« (4.500 Tonnen) Richtung Ostasien trompetete Heiko Maas auf der Internetseite des Auswärtigen Amtes am Montag: »Im Indopazifik entscheidet sich die Ausgestaltung der internationalen Ordnung der Zukunft. Wir wollen diese mitgestalten und Verantwortung übernehmen für den Erhalt der regelbasierten internationalen Ordnung.« Die Bundeswehr war weniger lautstark und sah die »Bayern« auf einer »diplomatischen Mission«. Standardvokabeln: »Zeichen für freie Handelswege« und »Wir ducken uns nicht weg« (Marineinspekteur Kay-Achim Schönbach). Denn furchtbar bedroht, so das aktuelle Kanonenbootpolitmärchen, seien die internationalen Handelswege, von denen »unser Wohlstand« (Annegret Kramp-Karrenbauer) abhänge. Außen- und Kriegsministerium scheuten sich, diesmal China als Bedrohungsgespenst zu nennen, zumal die scheidende Kanzlerin den deutschen »Wohlstand« mit Hilfe der Volksrepublik retten wollte. Das besagt: Die »Bayern«-Tour ist eine Nach-Merkel-Aktion. Die »Mission« endet im Februar 2022, wenn die neue Bundesregierung vermutlich installiert ist.

Diese Seereise, die offenbar nicht nur wegen der Pandemie, sondern auch wegen Vorbehalten des Kanzleramtes nicht 2020 stattfand, setzt eine Zäsur. Maas und Kramp-Karrenbauer repräsentieren einen neuen imperialistischen Geist, der nationalistischen Größenwahn, neokoloniales Diktat und ideologischen Hegemonialanspruch vereint. Allerdings: Der neue globale Platz an der Sonne kann nur gemeinsam mit anderen erobert werden. In den Ozeanen vor China wird also geklotzt. Vergangene Woche fuhr die bislang größte britisch geführte Flugzeugträgerkampfgruppe um die »HMS Queen Elizabeth« (65.000 Tonnen) ins Südchinesische Meer ein (siehe jW vom 2.8.). US-Kriegsminister Lloyd Austin würdigte das am 27. Juli in Singapur als »historisch« und kündigte »integrierte Abschreckung« als strategische Vision des 21. Jahrhunderts an.

Nicht auf der Höhe dieser neuen Kriegsvorbereitungszeit erscheint, was z. B. Dietmar Bartsch im ARD-»Sommerinterview« am Sonntag zu den militärpolitischen Absichten der Linkspartei sagte. So richtig die Forderung nach Reduzierung des deutschen Militäretats ist, so wenig ist von der aktuellen Brandstifterei zu hören. Jetzt erst recht darf die Bundeswehr nirgendwo als Truppe eingesetzt werden, denn Maas, Kramp-Karrenbauer und ihre Freunde in Washington und London haben ein neues Kapitel eröffnet. Die »Bayern« fährt nicht als Symbol, sondern dem »echten« Krieg Joseph Bidens voraus.