Montag, 29. Juni 2015

Aktuell: Griechische Erklärung

Aktuell: Griechische Erklärung

Liebe Leser der RATIONLAGALERIE

(Mail von Uli Gellermann)


Aus gegebenem Anlass veröffentliche ich hier die Erklärung von Alexis Tsipras zur aktuellen Lage. Mit einer Veröffentlichung in den Regierungs-Medien ist nicht zu rechnen.

Mt solidarischen Grüßen, Uli Gellermann

Erklärung des Ministerpräsidenten Alexis Tsipras


Die gestrige Entscheidung der Eurogroup, dem Gesuch der griechischen Regierung nach einer wenige Tage umfassenden Verlängerung des Programms, in denen sich das Volk zum Ultimatum der Gläubiger äußern kann, nicht zu entsprechen, verkörpert für europäische Verhältnisse offenkundig einen Akt, der das Rechts eines souveränen Staates auf ein demokratisches Votum, auf das höchste und heilige Recht der Meinungsäußerung, infrage stellt.


Diese Entscheidung hat heute dazu geführt, dass die EZB die Liquidität der griechischen Banken nicht erhöhen wird und die Bank von Griechenland zur Inkraftsetzung von Maßnahmen der Bankenschließung und der Beschränkung der Bankabhebungen gezwungen. Es ist mehr als sicher, dass dieser Beschluss kein anderes Ziel verfolgt, als den Willen des griechischen Volkes unter Druck zu setzen und das normale demokratische Verfahren des Volksentscheides zu behindern.


Sie werden es nicht schaffen. Diese Schritte werden genau das Gegenteil bewirken. Sie werden das griechische Volk nur noch mehr in seiner Wahl bestätigen, die nicht hinnehmbaren Vorschläge des Kürzungsprogrammes und die Ultimaten der Gläubiger abzulehnen.


Eine Sache bleibt jedoch gewiss: Die Verweigerung einer nur wenige Tage umfassenden Verlängerung und der Versuch der Entwertung eines der wertvollsten demokratischen Verfahren stellt einen Akt der Entwürdigung und der größten Schande für die demokratische Tradition Europas dar.


Aus diesem Grund habe ich heute erneut die Bitte um eine kurzzeitige Verlängerung vorgebracht, in diesem Fall beim Vorsitzenden des Europarates und bei den 18 Regierungschefs der Länder der Eurozone, ebenso wie bei den Leitungen der EZB, der Kommission und des Europaparlaments. Ich erwarte ihre unverzügliche Reaktion auf eine begründete Forderung nach Demokratie.


Es sind die Einzigen, die so bald wie möglich, sogar noch heute Abend, den Entschluss der Eurogroup wenden und der EZB die Möglichkeit geben können, den Liquiditätsfluss der Banken wiederherzustellen. Dessen ungeachtet ist in den nächsten Tagen Nüchternheit und Geduld in jedem Fall erforderlich.


Die Bankeinlagen der Bürger bei den griechischen Banken sind absolut sichergestellt.

Ebenso sichergestellt ist auch die Überweisung von Gehältern und Renten.


Jedweden auftretenden Schwierigkeiten muss mit Besonnenheit und Entschlossenheit begegnet werden. Je besonnener wir den Schwierigkeiten begegnen, desto eher werden wir sie überwinden und desto milder werden ihre Auswirkungen sein.


Wir haben heute die Möglichkeit, uns selbst und der ganzen Welt zu beweisen, dass das Recht gewinnen kann. Wir haben ein weiteres Mal die historische Chance, eine Botschaft der Hoffnung und der Würde nach Europa und in die ganze Welt hinaus zu schicken.


Und mögen wir uns daran erinnern: In diesen kritischen Stunden, in denen wir uns alle mit der Größe unserer Geschichte messen, ist unsere einzige Angst die Angst. Wir werden es nicht zulassen, dass sie über uns siegt.

Wir werden es schaffen.


Die würdevolle Haltung der Griechen gegenüber den Erpressungen und dem Unrecht wird eine Botschaft der Hoffnung und des Stolzes nach ganz Europa hinaus schicken.

Donnerstag, 25. Juni 2015

Nachdenklicher ALEX

Nachdenklicher ALEX

Hallo Harry, nicht dass Du denkst es gäbe mich nicht mehr. Nach wie vor lese ich in Deinem Blog und habe meine Meinung - wie immer! Nur, es gibt nicht mehr viel Erbauliches, das geeignet wäre, mich groß anzuheben.

Aber nun ist wieder mal was ganz Großes da: Die adlige britische Königin traf sich mit dem freudig und huldvoll Steuergelder verjubelnden Schloßherren aus dem Belevue. Das ist das Ereignis, das mich nun doch anhebt. Es ist doch echt ein Anlass zum Fähnchen schwenken und jubeln. Friede, Freude, Eierkuchen ...god save the queen!

Aber nun gibt es für mich auch die niederdrückenden und im Jubel des royalen Trubels meine kleinen unbedeutenden (?) Gedanken überschattenden anderen Geschehnisse. Das Säbelrasseln. Du machst in Deinen letzten Blogbeiträgen darauf aufmerksam. Es scheint, als wollte man der Welt klarmachen, dass die Russen uns morgen oder demnächst überrollen. Und da fällt mir immer wieder die fragende Textzeile "glaubst du, die Russen wollen Krieg?" ein.
Sicher, 2015 ist nicht 1994. Da haben die Sowjets Deutschland verlassen. Und die Menschen der DDR auch. Niemand war darüber böse.

Vertrauen auf Versprechen des Westens und die Illusion, es werde alles so kommen wie versprochen. Inzwischen sind die Deutschen in der NATO ganz vorn und gefragt. Als SPEERSPITZE! Wieder einmal. Und mit dem neuen und modernsten Schützenpanzer der Welt, dem Puma. Für die Bundeswehr geht das Wettrüsten und einträgliche Rüstungsgeschäft in eine neue und gefährliche Runde. Und was die deutschen Soldaten betrifft, sie werden gut darauf getrimmt. Ganz vorne (VORWÄRTSVERTEIDIGUNG?) werden sie in der ´Schnellen Nato - Eingreiftruppe´ vorbereitet.

Nun habe ich vernommen, lieber Harry, dass aus der Kaserne Marienberg, in der ich als NVA-Soldat diente, ein Kontingent von 350 Soldaten mit 80 Radfahrzeugen und 20 Kettenfahrzeugen ( Panzer ) im polnischen Raum Sagan am Manöver "Noble Jump" ( "Prächtiger Sprung") im Rahmen SCHNELLE SPEERSPITZE teilnahmen.
Von 1956 bis 1990 dienten im Marienberger Regiment MSR-7  laut der Regiments-Chronik
ca 42 000 Soldaten ( Freiwillige und Grundwehrdienst )
ca 12 000 Reservisten
ca 10 000 Unteroffiziere und
ca 10 000 Offiziere und Berufssoldaten sowie
ca 1 500 Zivilbeschäftigte.

Sie dienten ehrenhaft für den Schutz des Friedens, verbunden mit ihren sowjetischen und im Warschauer Pakt verbundenen sozialistischen Waffenbrüdern. Ich gehörte zu ihnen. Heute kommt aus gleicher Kaserne ein Teil der gegen Russland gerichteten SPEERSPITZE. Auch Deutsche ...
Das lässt mich nachdenken, berührt mich sehr und darf auch für andere ein Grund zur Nachdenklichkeit sein.


Mach´s gut, Harry

Dienstag, 23. Juni 2015

Aufrüstung gegen Russland

Aufrüstung gegen Russland

So ticken Medien

(Textauszüge – von sachlicher Meldung über Hetze zu klarer politischer Haltung)

neues deutschland


22.06.2015 Ausland
NATO will Eingreiftruppe um 27.000 Soldaten erweitern
Carter: Schweres Gerät soll in Osteuropa stationiert werden

Die NATO will expandieren und zwar gewaltig: Zusätzliche 27.000 Soldaten sollen für Einsätze in Osteuropa bereitgestellt werden. Auch über die Stationierung schwerer Waffen in dieser Region wird diskutiert.
NATO
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts will die Nato ihre Eingreiftruppe auf 30.000 bis 40.000 Soldaten erweitern. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte am Montag in Brüssel, damit werde die »aktuelle Größe mehr als verdoppelt«. Den Beschluss dazu würden die Nato-Verteidigungsminister auf ihrem Treffen am Mittwoch und Donnerstag in Brüssel treffen. Bisher zählt der Kern der Nato-Eingreiftruppe rund 13.000 Soldaten, hinzu kommen Kommandoeinheiten und eine Unterstützungsreserve. (...)

Frankfurter Allgemeine


Vereinigte Staaten
„Wir werden uns Russland entgegenstellen“
Der amerikanische Verteidigungsminister Ashton Carter hat bei einem Deutschland-Besuch Russland klare Grenzen aufgezeigt. Eine Einflusssphäre wie zu Sowjet-Zeiten werde man nicht akzeptieren.
Washington erwägt deshalb weitgehende Pläne.
22.06.2015
34982339
© AFP
Die Verteidigungsminister von der Leyen und Carter mit Oberst Hubertus von Rohr am Montag in Berlin.
Der amerikanische Verteidigungsminister Ashton Carter hat Pläne Washingtons zur Stationierung schweren Militärgeräts in Osteuropa bestätigt. „Wir erwägen dies und sprechen darüber mit unseren Partnern“, sagte Carter am Montag bei einem Besuch in Berlin. Es gehe dabei um „Ausstattung vornehmlich zur Ausbildung“ von Nato-Truppen, einschließlich „schwerem Gerät“. Ziel sei es, „die Widerstandsfähigkeit der Allianz und insbesondere von Verbündeten an ihren Rändern zu erhöhen“, sagte Carter.

„Wir werden uns Russland entgegenstellen, wenn es versucht, sich eine Einflusssphäre wie in der Sowjetzeit zu verschaffen“, sagte Carter mit Blick auf die Ukraine-Krise. Der Minister bekräftigte Erwägungen, Militärmaterial in Europa vorauszustationieren. Dies diene hauptsächlich dazu, die Ausrüstung für Trainingszwecke bereits vor Ort zu haben. Deutschland lobte der Minister für die geplante Erhöhung seines Wehr-Etats. Sie reiche allerdings noch nicht aus, die Bundesregierung müsse  noch mehr tun. (...)

Berliner Morgenpost


EU
Russland-Sanktionen verlängert - US-Vorwürfe gegen Moskau
 
Foto: Caroline Seidel
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen besucht zusammen mit ihrem us-amerikanischen Amtskollegen Ashton Carter (l) das Deutsch-Niederländische Korps in Münster.

Keine Ost-West-Entspannung: Die EU verlängert Sanktionen gegen Russland. Und US-Verteidigungsminister Carter wirft dem Kreml "nukleares Säbelrasseln" vor. Russland zahlt mit gleicher Münze heim.
Luxemburg/Moskau. Trotz Milliardenverlusten für heimische Unternehmen hat die EU die Wirtschaftssanktionen gegen Russland bis zum 31. Januar 2016 verlängert.


So lange der Minsker Friedensplan zum Ukrainekonflikt nicht umgesetzt sei, werde es keine Lockerung der Handels- und Investitionsbeschränkungen geben, machten die EU-Außenminister am Montag in Luxemburg klar. Russland reagierte mit scharfer Kritik und brachte eine Verlängerung seiner eigenen Strafmaßnahmen auf den Weg. US-Verteidigungsminister Ashton Carter warf dem Kreml "nukleares Säbelrasseln" vor und warnte vor einem neuen Kalten Krieg. (...)

Carter bestätigte Pläne der USA, schweres Militärgerät in den osteuropäischen Mitgliedstaaten zu stationieren. "Das ist etwas, das wir erwägen", sagte er bei einer Grundsatzrede im Allianz Forum in Berlin. Die Verlegung der Rüstungsgüter sei aber in erster Linie zu Übungszwecken vorgesehen. Kurz nachdem das bekannt geworden war, hatte Putin die Aufstockung seines Atomraketen-Arsenals angekündigt.

Carter warnte Moskau zum Auftakt einer fünftägigen Europa-Reise deutlich: "Wir werden uns gegen russische Aktionen und den Versuch Russlands wehren, wieder eine Einflusssphäre wie zu Sowjetzeiten aufzubauen". Zugleich betonte er, die USA seien nicht an einer weiteren Eskalation des Konflikts interessiert: "Wir wollen keinen kalten und schon gar keinen heißen Krieg mit Russland". (...)


junge welt


Aus: Ausgabe vom 23.06.2015, Seite 8/ Ansichten

Schritt zum Krieg
NATO rüstet gegen Russland auf
Von Arnold Schölzel

Die NATO hat zu Lande gegen Russland die Distanzen im Vergleich zu den 90er Jahren um mehrere hundert Kilometer verkürzt. Die faktische Einverleibung der Ukraine in die NATO vollendete das Vorrücken. Das geschah gegenüber einem Land, das den 22. Juni 1941, den Tag des Überfalls der faschistischen deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion, erlebt hat. Ohne diese Erfahrung sind weder die sowjetische Militär- und Außenpolitik noch die der Russischen Föderation seit 1945 zu begreifen. Sie folgten und folgen dem Grundsatz: Ein solcher Tag wie 1941 darf sich nie wiederholen. Das schloss eine aggressive Politik nach außen aus, es galt vielmehr, die günstigsten Bedingungen für die eigene Sicherheit im näheren Ausland herzustellen.

Die westlichen Siegermächte des Zweiten Weltkrieges akzeptierten allerdings nie die Existenz der Sowjetunion und versuchten, mit ihrem zeitweiligen Monopol an Atomwaffen und ihrer Überlegenheit an Bombern und Raketen, das durch den Hitler-Krieg enorm geschwächte Land in die Knie zu zwingen. Erst das Gleichziehen der sozialistischen Supermacht ermöglichte die sogenannte Entspannungspolitik. Den Untergang der Sowjetunion und ihrer Verbündeten konnte das nicht mehr verhindern, vielmehr bewirkte das Wettrüsten wirtschaftliche Stagnation und Niedergang.

Propagandistisch wurde der Kalte Krieg seit 1991 vom Westen nie beendet. Im Gegenteil. Der zwischen nationalistischer Besoffenheit und juristischer plus sozialer Diskriminierung schwankende Umgang der in der Bundesrepublik Regierenden mit der Geschichte der DDR und deren Bevölkerung besagt, dass das Leben in einem Staat, der auf den Ruinen entstand, die ein Resultat des zweiten von Deutschland ausgehenden imperialistischen Krieges um die Weltmacht waren, der ein Staat gegen die Wiederholung eines solchen Krieges war, nicht verziehen wird.

Die Anti-DDR-Hysterie, die auch 25 Jahre nach deren Ende die bundesdeutsche Politik und den Medienbetrieb anlasslos zu Veitstänzen treibt, hat wie zuvor auch seit 1990 eine praktische Komponente: Krieg, das erklärten Bundeswehrstrategen bereits im Sommer jenes Jahres, müsse wieder »Normalität« werden. Das schien bis vor wenigen Jahren nur im NATO- und EU-Verbund möglich, der neuen Vormachtstellung der BRD in Westeuropa folgt aber nun eine weitere Eskalation. Wenn die amtierende Kriegsministerin erklärt, »Aus einer Position der Stärke lässt es sich besser mit Moskau sprechen«, ist das nicht nur eine lügnerische Blödelei – als hätte der gigantisch aufgerüstete Westen je aus einer Position der Schwäche gehandelt –, sondern auch das Signal: Die Deutschen sind bereit, den nächsten Schritt gegen Russland ganz vorn mitzugehen. Der Einkreisung des Landes und der Verkürzung der Distanzen folgt das Vollstopfen des westlichen Waffenarsenals unmittelbar vor Moskau. Es ist ein weiterer Schritt zum Krieg. 

Donnerstag, 18. Juni 2015

Tänzelnd in die Zukunft?



Aus: Ausgabe vom 18.06.2015, Seite 3 / Schwerpunkt
Tanzend zum Sozialismus 2.0

Konferenz in Berlin: Der Einfluss der Transformationstheorie auf linke Politik. Thesen des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden

Welchen Einfluss hat die Transformationstheorie auf linke Politik, fragt der Verein »Ostdeutsches Kuratorium von Verbänden« (OKV) auf einer Konferenz am Samstag in Berlin. Dort diskutieren unter anderem Herbert Meißner, Edeltraut Felfe, Wolfgang Gehrcke, Ekkehard Lieberam und Hans Modrow über den real existierenden Kapitalismus und die Möglichkeiten der Umgestaltung der Gesellschaftsordnung in eine sozialistische. Das OKV ist ein Netzwerk von Initiativen und Vereinen, die sich der Überwindung von Diskriminierungen, Defiziten und Benachteiligungen im Prozess der Vereinigung Deutschlands verschrieben haben. jW dokumentiert die vom OKV in Vorbereitung der Tagung formulierten Thesen.


1. Seit der Niederlage der sozialistischen Entwicklung in den osteuropäischen Ländern hat sich das Kapital weitgehend ungebremst im Weltmaßstab weiter ausgebreitet. Das kapitalistische System ist dabei zum Finanzmarktkapitalismus mutiert. Infolge dieser Entwicklung steht die Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten vor existenzbedrohenden Problemen: Kriege im Interesse der Machterweiterung sind wieder zum grausamen Alltag geworden. Armut, Hunger und Krankheiten bestimmen das Leben von Milliarden Menschen. Der kapitalistische Wachstumswahn zerstört die Umwelt und führt zu ökologischen und Klimakatastrophen.

Der durch Ausbeutung von Mensch und Natur herausgepresste Reichtum konzentriert sich in immer weniger Händen. Er findet kaum noch produktive Anlagemöglichkeiten und treibt ein die Menschen ruinierendes weltweites Spekulationssystem an. Die Völker sind diesem Treiben zunehmend ausgesetzt. Die regierenden Politiker sind zu Vollstreckern des Willens des internationalen Finanzkapitals verkommen.

Diese Entwicklung hat sich auch in Europa – einem der reichsten Kontinente – festgesetzt. Die Erpressung der Völker und der Politiker durch das Kapital zwingt immer mehr Bürgern unzumutbare Lasten auf. Die Grenze des Erträglichen ist in den Ländern Südeuropas und vielen der ehemals sozialistischen Länder erreicht. Die Außengrenzen der EU werden mit Menschenleben verachtenden Methoden vor den Opfern von Krieg und Armut »geschützt«. Auch in Deutschland – dem Hauptprofiteur in der EU – verschärfen sich die Gegensätze weiter. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft ständig weiter auseinander. Die nächste wirtschaftliche und politische Krise ist unausweichlich. Diese Entwicklungen verlangen zwingend eine andere Gesellschaftsordnung.


2. Darauf sind die linken Kräfte in Europa nicht vorbereitet. Sie haben keine einheitliche gesellschaftspolitische Orientierung, sind zersplittert, in sich zerstritten und unorganisiert. Anerkennenswerte Bestrebungen zu einheitlichen massenwirksamen Aktionen scheitern an diesen Mängeln.


3. In der Führung der in Deutschland parlamentarisch vertretenen Partei Die Linke haben sich Illusionen und romantische Vorstellungen über eine sozialistische Zukunft breitgemacht. Die sozialistische Zukunftsvision der Parteiführung besteht in einem undefinierten »Sozialismus 2.0«, in einer »dritten Position der Demokratie«, »in einer Transformation der politischen und ökonomischen Formen«. Katja Kipping und Bernd Riexinger wollen laut ihrem Manifest »Die kommende Demokratie: Sozialismus 2.0«, »einen freien, grünen, feministischen und lustvollen Sozialismus«. Die Parteivorsitzende glaubt, »sich einen Kopf darüber zu machen, wie man die Verhältnisse zum Tanzen bringt bzw. wie die Party weitergehen soll«. Als Handlungsmaxime gibt das Führungsduo zum »Sozialismus 2.0« aus: »Sollte sich auch in unserem Land eine neue gesellschaftliche Dynamik entwickeln (…), wollen und werden wir mittendrin und aktiv dabeisein und nicht am Rande stehen.« Damit verabschiedet sich die Partei Die Linke endgültig von einer die Gesellschaft verändernden Position hin zu einer des »Mittendrin-Dabei-seins«.


4. Für diese (un)politischen Positionen wurden seit langem die theoretischen Grundlagen geschaffen. Seit Jahren verbreiten Transformationstheoretiker theoretische Lehrmeinungen, die suggerieren sollen, dass es genügt, im herrschenden politischen System mitzutanzen, statt es aktiv zu verändern. Die Kernaussagen der Transformationstheorie lauten: »Eine Transformation im Rahmen des Kapitalismus wird zunehmend bereits Tendenzen einschließen, die über den Kapitalismus hinausweisen. Das ist der Grundgedanke des Konzepts doppelter Transformation in Europa. (…) Ein solches Konzept orientiert linke Strategien in Europa für die nächsten Jahrzehnte zugleich auf eine sozialökologische Transformation im bürgerlich-kapitalistischen Rahmen. Das ist das realistische Moment radikaler Realpolitik. Es stützt sich auf analytisch feststellbare Ansätze einer solchen Veränderung in den gegenwärtigen Verhältnissen. (…) Eher als die einst angestrebte Enteignung aller wichtigen Privatunternehmen könnte es beispielsweise gelingen, etwa in nächsten Finanzkrisen eine demokratische Kontrolle über die großen Finanzakteure (…) durchzusetzen (…). Dabei hat sich die Linke auf eine wahrscheinlich lange Dauer eines künftigen emanzipatorischen Transformationsprozess einzustellen.« (Aus Dieter Klein: Das Morgen tanzt im Heute, VSA-Verlag, Hamburg 2013)

Auf Grundlage dieser Position verbreiten die Transformationstheoretiker die Illusion, durch nationale und internationale Institutionen und Klein-klein-Schrittchen ein kapitalistisches in ein sozialistisches Gesellschaftssystem umwandeln zu können. Die Partei Die Linke wird in diesem Prozess zur Mosaiklinken degradiert. Die Parteiführung hat diese Herabstufung bereits akzeptiert: »Die Linke ist keine Partei wie die anderen. Wir sind als verbindende Partei einer pluralen Linken bereits (…) ein integraler Bestandteil der Mosaiklinken.«


5. Die linken Kräfte, die eine wirkliche Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse durch Überwindung des Kapitalismus erreichen wollen, haben die Wirkung dieser Auffassungen bisher unterschätzt. Sie gingen von der Annahme aus, dass ihre Absurdität und Naivität keinen politischen Nährboden finden könne. Diese Einschätzung war falsch. Die Theorie der Transformation hat zwar keine politische Massenbasis in der Bevölkerung und der Partei, sie wurde aber von der Linke-Führung aufgenommen und in praktisches Handeln umgesetzt. Sie bildet die theoretische Grundlage zum Mittanzen und dessen höchster Form, dem Mitregieren, in der bestehenden kapitalistischen Gesellschaft. Der bisherige negative Tiefpunkt wurde mit der Aufgabe jedweden politischen Anstandes zum Zwecke der Regierungsbeteiligung in Thüringen erreicht. Dieses Verhalten und dessen Unterstützung durch die Parteiführung stößt auf Ablehnung in größeren Kreisen von Mitgliedern, Wählern und Sympathisanten der Partei Die Linke. Nennenswerte politische Auseinandersetzungen zur ideologischen Überwindung dieses Zustandes sind jedoch bisher nur vereinzelt spürbar.


6. Wir betrachten es deshalb als unsere Aufgabe zur Stärkung aller Kräfte, die eine wirkliche Überwindung des herrschenden kapitalistischen Systems anstreben, diesen Zustand durch öffentliche außerparteiliche Initiativen zu überwinden. Es ist unser Ziel, durch Entlarvung der illusionären und schädigenden Vorstellungen einer Transformation der Gesellschaft eine öffentliche, über die Partei Die Linke hinausgehende, Debatte anzustoßen.

Wir betrachten die Theorie und Praxis einer Transformation der Gesellschaft durch Mittanzen im bestehenden System als eine gefährliche Illusion, die der Erhaltung des Systems und nicht dessen Überwindung dient. Sie widerspricht jeglichen historischen und gegenwärtigen praktischen politischen Erfahrungen. Weder der amerikanische New Deal, noch der schwedische Wohlfahrtsozialismus oder die Erhardsche soziale Marktwirtschaft, von deren Rückkehr die Transformationstheoretiker und andere linke Kräfte träumen, haben die rigorose Entfaltung eines immer brutaler werdenden Kapitalismus aufhalten können.

Wenn es noch eines Beweises für die Unmöglichkeit einer transformatorischen Umgestaltung eines entwickelten kapitalistischen Systems bedurft hätte, wird diese exemplarisch am griechischen Volk vorexerziert. Eine demokratisch gewählte linke Regierung – der höchste Traum aller Transformationsvorstellungen – wird unter Missachtung des Willens des Volkes und demokratischer Regularien erpresst, um den Verpflichtungen des Finanzkapitals nachzukommen.


7. Es bleibt als unumstößliche historische Wahrheit und Erfahrung, dass grundlegende gesellschaftliche Veränderungen nur durch Umgestaltung der Eigentumsverhältnisse und, darauf aufbauend, der Machtverhältnisse möglich sind. Konstruktive Diskussionen über deren praktische Umsetzung statt Transformationsträumen sind zwingend notwendig. 

Mittwoch, 10. Juni 2015

Rezi: Zwischen Rebellion und Gebet

Rezi2_Flucht_NRhZ

Meine Flucht nach Hause“ - Josef Ben-Eliezer

Zwischen Rebellion und Gebet

Buchtipp von Harry Popow

Wie dicht beieinander liegen mitunter Begeisterung und nachfolgende bittere Enttäuschung? Wie ermutigend sind hohe Gedankenflüge und wie lähmend kann der Absturz vor dem Sieg über sich selbst sein? Vor allem in einer vom Markt getriebenen Gesellschaft, wo du genötigt bist, sich anzupassen oder zu rebellieren. Und doch muss man beide Pole akzeptieren, sie wahrnehmen als menschliche Höhen und Tiefen, vor denen niemand gefeit ist. Du hast die Wahl: Entweder sich wehren oder wie ein Schaf anpassen? Rebellieren, etwas tun oder gar nur beten?

Es geht um den Leidensweg eines Jungen, eines Juden und seiner sehr ernsthaften Suche nach dem Sinn des Lebens, nach menschlichem Glück und Frieden für alle Menschen. „Meine Flucht nach Hause“, so der Titel eines erregenden, mit ermutigender Offenheit geschriebenen 144-seitigen Buches von Josef Ben-Eliezer aus dem Neufeld Verlag. (Englische Übersetzung Ingrid von Heiseler.)

Der Autor (1929-2013) wurde als Josef Nacht in Frankfurt am Main als Sohn osteuropäischer Juden, die aus Polen stammten, geboren. Zunächst wollte er seine Geschichte nur für seine Angehörigen aufschreiben (er war verheiratet, hatte sieben Kinder und zahlreiche Enkel), doch auf Drängen der Familie wurde sie 2015 veröffentlicht, zwei Jahre nach dem Tod des 84-jährigen.

Josef Ben-Eliezer, so nennt er sich später, teilt seine Erinnerungen in fünfzehn Kapitel. Darin berichtet er von seiner Kindheit, von der Flucht vor der nahenden Shoa im faschistischen Deutschland, von Aufenthalten in Polen, im lebensrettenden Sibirien, in Samarkand, Teheran und Palästina. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges besuchte er Israel, beteiligte sich von 1947 bis Ende 1948 am bewaffneten Kampf gegen die Araber und nahm mit Empörung Misshandlungen der israelischen Soldaten gegenüber Palästinensern wahr. Sein innerer Aufruhr mündete in der Frage, ob die Israelis wirklich fähig waren, „anderen genau dasselbe anzutun, was man uns im vorangegangenen Krieg angetan hatte?“

Er wechselte ruhelos seine Wohnorte zwischen Deutschland, Israel und Paris. Er betont, er sei kein überzeugter Zionist gewesen, aber er wolle etwas, was „größer ist als ich.“ Auf Seite 62 notiert er: „Warum begann ich, gegen die jüdische Religion zu rebellieren? Ich denke, dass mein Bild von einem strengen Gott, der dazu da ist, uns zu strafen, viel dazu beitrug.“

Interessant für heutige Leser - mehr als die äußeren Umstände seiner „Flucht nach Hause“ - sind die inneren Beweggründe und Motive seiner fortwährenden Suche nach Glück und Frieden, nach dem Sinn des Lebens. So schlägt er einen faktenreichen Bogen von seinen Erlebnissen bei Flucht, Krankheit, Hunger, Leid und Tod der Mutter bis zu Erkenntnissen über deren gesellschaftliche Ursachen und politische Zusammenhänge. Das festzustellen ist insofern wichtig, da, wie Thomas Mann in seinem Aufsatz über „Die Kunst des Romans“ schrieb, man „von äußerem Leben das innere in die stärkste Bewegung bringe; denn das innere ist eigentlich der Gegenstand unseres Interesses“. (S. 286 in „Es geht um den Menschen...“, Verlag Progress, Moskau 1976)

Mehrfach stellt er in seinem Verhältnis zu Freunden und Bekannten fest, dass jene oftmals materiellen Dingen und dem Spaß am Leben nachjagen, er sich aber dem Drang nach politischen Erkenntnissen und politischer Bildung hingezogen fühlt, um seinen „Horizont“ zu erweitern. Bereits mit 16 Jahren stellte er sich die Frage nach dem Sinn des Lebens. Darüber suchte er das Gespräch mit anderen, vertrauliche, voller Toleranz und Mitgefühl für Andersdenkende. Auf Seite 116 schreibt der nicht religiös gebundene Autor, bezugnehmend auf Gläubige: „Ich beschloss, ihnen einfach als Menschen zu begegnen … sei offen! Sagte ich mir.“

Wiederholt fragt er sich, warum können die Menschen nicht friedlich und harmonisch miteinander auskommen? Ein Verwandter von ihm, ein Leninist, hilft ihm, die Ursachen von Holocaust, Krieg und Gewalt zu durchschauen. Josef wird selbst aktiv, indem er u.a. russische klassische Literatur (Dostojewski, Tolstoi, die er in Hebräisch findet) liest und sich in Kursen mit dem Marxismus/Leninismus vertraut macht. Seine persönlichen Erlebnisse mit den Eltern im lebensrettenden Sibirien nach der Flucht aus dem von Faschisten überfallenen Polen sowie die nach 1945 beginnende verstärkte antikommunistische Hetze wegen „tyrannischer Ungerechtigkeiten“ in der Sowjetunion ließen Josef Ben-Eliezer innerlich auf Abstand zu seinen bisherigen theoretischen Erkenntnissen gehen. Man wolle schließlich einen „wahren Kommunismus“. Zunehmend verlor er auch den Glauben, dass der Mensch sich ändern könne. Teil eines jeden sei „das Ego, Eigensinn und übermäßige Empfindsamkeit“. (S. 119)

Er schreibt von einem „Durchbruch“, als er in einer christlichen Gemeinschaft, im Bruderhof, 1958 in Deutschland plötzlich eine „Erleuchtung“ bekommt, seinen Mittelpunkt im Denken und Handeln findet und ab sofort an Gott glaubt. Es ist sein Kniefall vor „Gott“, vor dem, den er als nicht berufen und schon gar nicht für mitverantwortlich hielt, das Schicksal der Menschheit zu beeinflussen. Er wundert sich selbst über diesen Umschwung, gibt aber nicht auf, in den Werkstätten der Bruderhöfe zu arbeiten und als Seelsorger zu helfen und Rat zu geben.

Glaubhaft liest sich der sprachlich sachliche Stil dieses Lebensberichtes, der durch seine Konkretheit und Offenherzigkeit geradezu besticht. So, wenn der Autor die von ihm erlebten jüdischen Gesänge, „die zu Herzen gehen“ beschreibt und die jüdischen Rituale. Seine Liebe gehört den Verwandten und Bekannten. Er empfindet ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Auch wenn diese Erinnerungen aus heutiger Sicht geschrieben wurden, so wirkt es seltsam, von „indoktrinären“ Erziehungsmethoden (siehe Aufenthalt in Sibirien) und von „Gehirnwäsche“ in einem Internat von Jerusalem zu sprechen. Das hat der Autor als Jugendlicher sicher anders empfunden und bezeichnet.

Bleibt die Frage: Muss ein Mensch erst Entwürdigung, Hunger, Niedertracht, gar Krieg und menschliche Wunden ertragen, bevor er imstande ist, sich nach einem neuen Gedankengebäude für ein menschliches und humanes Miteinander zu sehnen und danach zu streben? Womit sich jemand als Glücksuchender geistig rüstet, ist Privatsache. Unabhängig davon spielt das Buch ohne Zweifel dem im Neoliberalismus hochgejubelten ICH sowie der Dominanz der Privatheit in die Hände. Weltabgewandtheit! Jeder mache das Seine! Nicht rütteln am Gefüge des Kapitalismus! Glauben und beten statt rebellieren. Leser werden die Abhandlung spannend finden und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. Wer wollte das ernsthaft abstreiten: Gebete allein stillen deinen Hunger nicht und verändern schon gar nicht die Welt zum Besseren.

Etwas tun für sich... Ist das alles??? Der Philosoph Wolfgang Fritz Haug schrieb einst: „Individuen müssen die Grenzen ihres Berufes, ihrer fachlichen Spezialisierung und zugleich die der Privatheit überschreiten, um Intellektuelle zu werden. Intellektueller ist nicht bloß ein weiteres Steinchen im horizontalen Mosaik der Berufe.“ (Aus „junge welt“ vom 2./3. Mai 2009, Seite 10, „Rückkehr kritischer Potenz“)
(PK)

Antworten auf diese Frage finden sich im Nachwort dieses Buches, hier ein Auszug: (S. 133-135)

Der fortdauernde Konflikt in Israel war eine besondere Sorge, die Josef sehr naheging, dazu die schmerzlichen Erinnerungen an seine eigene Rolle in den frühesten Jahren dieses Konflikts. Er sah vor seinem geistigen Auge immer noch die Gesichter der Menschen von Lod, die seine Einheit aus ihren Häusern vertrieben hatte, und, wenn er noch weiter in der Zeit zurückging, die Geschichte seines eigenen Volkes, als es während des Krieges aus seinen Häusern in Polen vertrieben worden waren

1997, fast fünfzig Jahre nach der Räumung von Lod, kam er mit dem Palästinenser Jakoub Munayer dort in Berührung, dessen Familie im Aufstand von 1948 unter israelischen Soldaten gelitten hatte. Nach einem kurzen Briefwechsel reiste Josef nach Lod und lernte Jakoub und seinen Sohn Salim kennen.

Josef bat Jakoub um Verzeihung für das, was damals geschehen war [woran er als 19jähriger israelischer Soldat teilgenommen hatte], und dieser erfüllte seine Bitte mit Wärme und Verständnis. Danach erzählten die Männer einander ihre Erlebnisse und tauschten Erinnerungen aus. Am Ende dieser Begegnung fanden sie gemeinsam zur vollkommenen persönlichen Versöhnung. Josef machte von dieser persönlichen Begegnung niemals viel Wesens. Für ihn war es ein bescheidener Versuch, Frieden zwischen zwei Menschen zu schließen und dem Schwall der täglichen Geschichten über Spannungen, Feindseligkeiten, Selbstmordattentätern und Racheangriffe etwas entgegenzusetzen. Später sagte er, er hoffe sehr, dass derartige Begegnungen eine Kettenreaktion in Gang bringen könnten. „Gewalt fordert Gewalt, aber wenn man einen anderen Prozess in Gang setzt, indem man eine Hand ausstreckt und Vergebung und Versöhnung findet, dann kann sich das ausbreiten. Wir alle können das in unseren Beziehungen zueinander tun: um Vergebung bitten und eine bessere Welt aufzubauen versuchen.“    [Video davon: https://www.youtube.com/watch?v=kQHyKY_Z-T4]

Die Tatsache, dass Josef eine derartige Reise (damals war er 68) unternahm, und andere ähnliche Unternehmungen veranschaulichen, wie sehr ihn seine Leidenschaft für Gerechtigkeit immer wieder antrieb. Immer suchte er und ruhte sich nie aus oder erlaubte sich zu glauben, er wäre „angekommen“. […]

Im übertragenen Sinn war Josef ein Vater nicht nur für seine eigenen Kinder, sowohl innerhalb des Bruderhofs als auch darüber hinaus
Sein weiser Rat und die Demut, mit der er ihn erteilte, machten ihn zu einem vertrauenerweckenden Mentor, Ratgeber und „Beichtvater“ für Freunde und Bekannte von New York über Europa und bis in den Nahen Osten. (Nur zwei Monate vor seinem Tod begann er zwei junge Amerikaner zu betreuen, die ein Jahr lang Freiwilligendienst in Bethlehem taten.)

Josef Ben-Eliezer: „Meine Flucht nach Hause“. Gebundene Ausgabe: 144 Seiten, Format 13,5 x 21cm, Neufeld Verlag Schwarzenfeld; www.neufeld-verlag.de, Auflage: 1. Auflage 2015 (26. Januar 2015), Preis: 12,90 Euro, Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3862560597, ISBN-13: 978-3862560592

Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung

http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=2169 5

Dienstag, 9. Juni 2015

Verhunztes "Nachtasyl"

Bühnen-Kotze - ein Ausrutscher?

(siehe nd vom 09.06.2015)


Danke Hans-Dieter Schütt für Ihre für Sie typische gekonnte Kanonade gegen das Maxim Gorki Stück „Nachtasyl“ in der Schaubühne, inszeniert von Michael Thalheimer. Hörte ich bereits eine saftige Kritik im rbb ob der ohne jede Sinngebung dargebotenen Aufführung, so bestätigt sich auch durch Ihren Beitrag, dass es zunehmend im Kulturbetrieb um Äußeres geht, Inhalte wegrationalisiert und vor allem entpolitisiert werden, im Grunde vielfach Oberflächliches, Flachgebürstetes als geistige Kost im „Angebot“ sind. Da stimmt die Kasse. Und das angepasste Denken und Verhalten. Der Neoliberalismus, jeder denke sich seinen Teil und kotze ihn im Pluralistischen System auch aus, lässt grüßen. Scharf der Satz von Schütt, eine der traurigsten Fortschrittsgeschichten komme zur Leere im Magen das Elend der Köpfe. Hat es auch den Journalisten Schütt schon längst erwischt? Warum schlägt er nicht den Bogen zur Gesellschaftskritik, wo solche hirnverbrannten „Kulturgüter“ wie das verhunzte „Nachtasyl“ nicht nur geduldet, sondern von der Machtelite zur Verschleierung der Verdummungsprozesse in der Medien- und Kulturlandschaft bejahend gefördert werden? Ist diese Theateraufführung etwa ein Ausrutscher?
Harry Popow

Montag, 8. Juni 2015

Blick hinter die Kulissen


Blick hinter die Kulissen



Rus­s­lands ober­ster Nachrich­t­en-
­di­en­st­an­a­lyst tritt aus dem Schat­ten


Geschrieben von Alexan­der Mer­couris — http://​vine​yard​saker​.de
Haup­tkat­e­gorie: Aus­land
Kat­e­gorie:Rus­s­land
 Veröf­fentlicht: 08. Juni 2015
 Zugriffe: 325

Vorbe­merkung: ein Video mit Reschet­nikow hat­ten wir jüngst in dem Artikel Von Odessa nach Transnistrien.
Gen­er­alleut­nant Reschet­nikow vom Rus­sis­chen Insti­tut für Strate­gis­che Forschung gibt ein viel The­men streifendes Inter­view zu den Bedro­hun­gen, denen sich Rus­s­land aus dem Westen gegenüber sieht, zu mil­i­tan­ten islamis­chen Grup­pen bis zum Kon­flikt in der Ukraine

Let­ztes Jahr war das Jahr, in dem Rus­s­lands Chefs­pi­one aus dem Schat­ten traten.
Bild: Gen­er­alleut­nant a.D. Leonid Reschet­nikow – Direk­tor des Rus­sis­chen Insti­tuts für Strate­gis­che Forschungen
Im ver­gan­genen Jahr haben wir Auszüge eines Inter­views veröf­fentlicht, das Niko­lai Patr­uschew gegeben hat, der der ober­ste Kopf des ganzen nachrich­t­en­di­en­stlichen Appa­rates ist.

Vor eini­gen Wochen hat Gen­er­aloberst Igor Ser­gun, der Chef des Haupt­di­rek­torats des mil­itärischen Nachrich­t­en­di­en­stes (GRU) des Gen­er­al­stabs der rus­sis­chen Stre­itkräfte ein kurzes Inter­view gegeben, in dem er die USA öffentlich mit dem Jihadis­mus verknüpfte.

Jetzt ist Gen­er­alleut­nant Leonid Retschnikow an der Reihe, Direk­tor des Rus­sis­chen Insti­tuts für Strate­gis­che Forschung (RISR), dem wichtig­sten Zen­trum der rus­sis­chen Regierung für die aussen­poli­tis­che Analyse.
Dass Rus­s­land ein solches Zen­trum besitzt, das die aussen­poli­tis­che Analyse für die rus­sis­che Regierung vorn­immt, und dass dieses mit dem wichtig­sten Aus­land­snachrich­t­en­di­enst des Lan­des, dem SWR, ver­bun­den ist, wird nie­man­den überraschen.

Sowohl die USA als auch Großbri­tan­nien haben solche Zen­tren. In den USA ist es die RANDCor­po­ra­tion. In Großbri­tan­nien ist es das Königliche Insti­tut für Inter­na­tionale Angele­gen­heiten („Chatham House“). (AdÜ: In Deutsch­land ist es die Stiftung für Wis­senschaft und Poli­tik)
Das RISR scheint eine analoge Funk­tion zu erfüllen. Selbst seine Exis­tenz wurde jedoch bis vor kurzem geheim gehal­ten. Im Ergeb­nis wis­sen wir sehr wenig darüber obwohl es scheint, dass es erst jüngst, 1992, gegrün­det wurde, und einen Stab von 200 Ana­lysten beschäftigt.
Inter­es­san­ter­weise ist die Per­son in der rus­sis­chen Macht­struk­tur, an die Reschet­nikow berichtet, Sergej Iwanow, Putins Stab­schef, der eben­falls eine Hin­ter­grund als nachrich­t­en­di­en­stlicher Ana­lyst hat, und dessen Hin­ter­grund und Rolle wir jüngst disku­tiert haben.
Was der genaue Aus­löser dafür war, dass Reschnet­nikow jetzt beschloss, an die Öffentlichkeit zu treten wis­sen wir nicht. Ein nicht unvorstell­barer Aus­löser kön­nte ein Artikel sein, den die Neo­con– Insti­tu­tion Jamestown Foun­da­tion im Jan­uar 2015 veröf­fentlichte. Dieser behauptete, das RISRhabe bere­its vor dem Putsch des Maidan auf einen rus­sis­chen Ein­marsch in die Ukraine gedrängt, und würde nun Rus­s­land aufrufen, den Sturz des belorus­sis­chen Präsi­den­ten Lukaschenko vorzubereiten.

In seinem Inter­view geht Reschet­nikow nicht geson­dert auf den Artikel der Jamestown Foun­da­tion ein.
Er weist ihn jedoch indi­rekt zurück, indem er deut­lich macht, dass er gegen ein rus­sis­ches mil­itärisches Ein­greifen in der Südos­tukraine steht, um dort den Milizen zu helfen.
Er sagt, das RISR habe vor dem Maidan-​Putsch dazu aufgerufen, pro-​russische NGOs aufzubauen, um der Ver­bre­itung rus­so­phober Ein­stel­lun­gen in der Ukraine entgegenzutreten.
Das ist ein klas­sis­cher „Soft Power“-Ansatz, offen von der US-​Praxis kopiert, und etwas ziem­lich Anderes als ein Einmarsch.

Während Reschet­nikow nicht spez­i­fisch auf die Behaup­tun­gen eingeht, das RISR strebe den Sturz Lukaschenkos an, sagt er sehr pointiert, dass die rus­sis­chen Nachrich­t­en­di­en­ste, anders als die CIA, klas­sis­che Nachrich­t­en­di­en­ste seien, die sich nicht mit Sub­ver­sion oder außerg­erichtlichen Mor­den befassen.
Der inter­es­san­teste Teil seines Inter­views sind jedoch seine Bemerkun­gen zur Ukraine.
Reschet­nikow gab klar zu ver­ste­hen, dass er den Maidan-​Putsch für ein geopoli­tis­ches Spiel derUSA hält, dessen Ziel Rus­s­land ist.
Er glaubt, es gäbe keine Möglichkeit, wie die zwei Volk­sre­pub­liken friedlich in die Ukraine rein­te­gri­ert wer­den kön­nten. Der Vorschlag der Föder­al­isierung sei, zumin­d­est in der Form, wie er im Früh­jahr 2014 in Blick genom­men wurde, unerr­e­ich­bar. Selbst die Lösung einer Kon­föder­a­tion, wie sie gegen­wär­tig vorgeschla­gen wird, könne nur eine vorüberge­hende sein, da die Men­schen der zwei Volk­sre­pub­liken „nicht länger Ukrainer sein wollen.“
Reschet­niko zieht hier den sel­ben Schluss, den Rus­sia Insider wieder­holt zog: Kiew wider­steht erbit­tert einer föderalen Lösung und ist nur an einem ein­heitlichen Staat inter­essiert, der der einzige Weg ist, auf dem es seine ide­ol­o­gis­chen Ziele erre­ichen kann.
Reschet­nikow sagt, dies sei eben­falls das Ziel der Hard­liner in Wash­ing­ton. Er malt in grellen Far­ben das Bild von gegen Rus­s­land gerichteten US Mil­itärstützpunk­ten an Orten wie Kharkow und Lugansk, soll­ten die Wash­ing­toner Hard­liner ihre Ziele erreichen.
Seine inter­es­san­teste Bemerkung ist seine Vorher­sage zur Zukunft der Ukraine. Er sagt ein Ansteigen des Wider­stands gegen die jet­zige Regierung im ganzen Land vorher – weit über den Don­bass hin­aus – und den wom­öglichen teil­weisen oder voll­ständi­gen Zer­fall des Landes.
Ein ehe­ma­liger Nachrich­t­en­di­en­stler sagte mir einma, es brauche min­destens ein Jahr, ehe sich gegen einen Besatzer oder eine autoritäre Regierung Wider­stand organ­isiert. Die Über­raschung bestand darin, dass sich der Wider­stand in der Ostukraine so schnell entwickelte.
Die Berichte aus der Ukraine kön­nten das bekräfti­gen und die Wahrheit dessen bestäti­gen, was Reschet­nikow sagt.
Es gibt Berichte über anwach­sende Wider­stand­sak­tiv­itäten an Orten wie Odessa und Kharkow. Die Infor­ma­tion ist jedoch bruch­stück­haft und das Niveau des Wider­stands scheint im Augen­blick niedrig zu sein.
Reschet­nikow hat jedoch Zugang zu den Infor­ma­tio­nen der rus­sis­chen Nachrich­t­en­di­en­ste, die extrem gut über die Lage in der Ukraine unter­richtet sind. Seine Vorher­sage sollte daher nicht bei­seite geschoben werden.
Reschet­nikow hat auch zu anderen The­men als der Ukraine viel Inter­es­santes zu sagen.
Er gibt eine sehr alarmierende Beschrei­bung der US-​Methoden, um Wes­teu­ropa im Griff zu hal­ten – ein­schließlich der Ermor­dung abwe­ichen­der poli­tis­cher Führer, auch wenn er kein Beispiel nennt. Er stellt klar, dass er keine Erwartun­gen hegt, Wes­teu­ropa könne sich in näherer Zukunft von den USA lösen.
Er teilt eben­falls die in Rus­s­land ver­bre­it­ete Sicht, die USA seien der Haupt­förderer des mil­i­tan­ten jihadis­tis­chen Terrorismus.
Er ist offen­sichtlich sehr besorgt über das Wach­s­tum mil­i­tan­ten Jihadis­mus im nördlichen Kaukausus und in Zentralasien.
Er hat jedoch eine opti­mistis­che Sicht auf Rus­s­lands Zukunft, erwartet, dass das Land in den näch­sten fünf bis sechs Jahren endlich aus dem post-​sowjetischen Über­gang her­vortreten wird. Er sagt vorher, die neue Iden­tität würde das Beste aus der zaris­tis­chen und der sow­jetis­chen Ver­gan­gen­heit entleihen.
Er sieht Rus­s­land auf der richti­gen Seite der Geschichte, es bilde einen Teil des wach­senden inter­na­tionalen Wider­stands gegen die west­lichen Ver­suche, ein unipo­lares Sys­tem rund um dieUSA zu errichten.
Er ver­mit­telt den Ein­druck eines Lan­des, das schwer ange­grif­fen wird, aber die Schläge abwehrt, dabei stärker und selb­st­be­wusster wird und im Stande ist, für sich selbst zu sor­gen und seinen Fre­un­den vertraut.
Diese Über­set­zung des Inter­views mit Gen­er­alleut­nant Reschet­nikow wurde erst­ma­lig auf dem Blog Colonel Cas­sad veröf­fentlicht.

Sie waren unter einem ganz anderen Dach – dem SWR. Warum soll­ten sie Sie plöt­zlich aus der Geheimhal­tung ent­lassen?


Wir waren tat­säch­lich ein geschlossenes Insti­tut des Aus­land­snachrich­t­en­di­en­stes, das vor allem auf die Analyse der ver­füg­baren Infor­ma­tio­nen aus dem fer­nen und nahen Aus­land spezial­isiert war. Das heisst, der Infor­ma­tio­nen, die nicht nur vom Nachrich­t­en­di­enst gebraucht wer­den, son­dern auch von den Struk­turen, die die Aussen­poli­tik des Lan­des bes­tim­men. Eige­nar­tiger­weise gab es keine entsprechen­den ana­lytis­chen Zen­tren in der Ver­wal­tung des rus­sis­chen Präsi­den­ten. Obwohl es eine Menge solcher „Insti­tu­tio­nen“ gab, in denen nur der Direk­tor, die Sekretärin und die Ehe­frau des Direk­tors sind, die als Ana­lystin arbeitet. Der Prä­sidi­alver­wal­tung fehlten wirk­liche Spezial­is­ten, also musste der Nachrich­t­en­di­enst teilen.
Heute ist unser Grün­der der Präsi­dent von Rus­s­land, und alle Regierungsan­fra­gen nach Unter­suchun­gen wer­den vom Stab­schef Sergej Iwanow gezeichnet.

Welche Nach­frage gibt es dort draussen für Ihre Analy­sen? Denn wir sind ein Land des Papiers: jeder schreibt, schreibt eine Menge – aber bee­in­flusst das am Ende die Ergeb­nisse?


Manch­mal sehen wir die Hand­lun­gen, die unsere ana­lytis­chen Papiere wider­spiegeln. Manch­mal ist es beein­druck­end, wenn man eine bes­timmte Idee artikuliert und sie ein Trend in der öffentlichen Mei­n­ung Rus­s­lands wird. Es ist klar, dass viele Anweisun­gen reif sind, umge­setzt zu werden.

In den USA wird etwas ähn­liches durch das Analy­sezen­trum Strat­for gemacht, und durch das strate­gis­che Forschungszen­trum RAND Cor­po­ra­tion. Welches von Euch ist „cooler“?


Als wir, nach dem Über­gang der Prä­sidi­alver­wal­tung im April 2009, die neue Satzung des Insti­tuts machten, wurde uns der Vorschlag gemacht, sie zum Vor­bild zu nehmen. Damals dachte ich, „wenn ihr uns finanziert, wie Strat­for oder die RAND Cor­po­ra­tion finanziert wer­den dann wer­den wir all diese aus­ländis­chen Analy­sege­sellschaften schla­gen.“ Denn die rus­sis­chen Ana­lysten sind die stärk­sten der Welt. Noch viel mehr die regionalen Spezial­is­ten die „frischere“, weniger ver­dor­bene Gehirne. Ich kann zuver­sichtlich davon sprechen, ins­ge­samt habe ich 33 Jahre Erfahrung in der ana­lytis­chen Arbeit. Zuerst im ersten Haupt­di­rek­torat des KGB der UdSSR, und dann im Auslandsnachrichtendienst.

Es ist wei­thin bekannt, dass die RAND Cor­po­ra­tion den Plan für die ATO im Südosten der Ukraine entwick­elt hat. Hat Ihr Insti­tut Infor­ma­tio­nen über die Ukraine geliefert – ins­beson­dere über die Krim?


Natür­lich. Im Grund­satz waren nur zwei Insti­tute mit der Ukraine befasst: das RISR und das Insti­tut der CIS-​Länder von Kon­stan­tin Sat­ulin. Seit Anfang unserer Tätigkeit haben wir ana­lytis­che Papiere geschrieben über das Wach­s­tum antirus­sis­cher Ein­stel­lun­gen in der Ukraine und über die Stärkung der pro-​russischen Ein­stel­lun­gen auf der Krim. Wir haben die Hand­lun­gen der ukrainis­chen Regierun­gen analysiert. Aber wir haben keine alarmistis­chen Daten geliefert – wie, alles ist ver­loren – wir haben vielmehr die Aufmerk­samkeit auf ein wach­sendes Prob­lem gelenkt.
Wir haben vorgeschla­gen, die Tätigkeit der pro-​russischen Nichtregierung­sor­gan­i­sa­tio­nen deut­lich zu ver­stärken, den Druck der, wie man heute sagt „Soft Power“-Politk zu erhöhen.

Mit einem Botschafter wie Surabow brauchen wir keine Feinde mehr!


Die Arbeit jeder Botschaft und jedes Botschafters ist Gegen­stand einer Reihe von Ein­schränkun­gen. Ein Tritt daneben – und es gibt einen Skan­dal. Ausser­dem gibt es ein enormes Prob­lem mit pro­fes­sionellem Per­sonal in dem Land. Und nicht nur auf dem Feld der Diplo­matie. Irgend­wie haben wir das Ange­bot erschöpft – sehr wenige starke Leute mit guten Grund­la­gen verbleiben im Dienst der Regierung.
Es ist schwer, die Rolle von NGOs zu über­schätzen. Die Far­brev­o­lu­tio­nen sind ein deut­liches Beispiel, die vor allem von den amerikanis­chen NGOs vorgewärmt wer­den. Das ist auch in der Ukraine passiert. Unglück­licher­weise wurde der Schaf­fung und Unter­stützung von entsprechen­den Organ­i­sa­tio­nen, die in unserem Inter­esse han­deln wür­den, nicht genug Aufmerk­samkeit geschenkt. Und wenn sie arbeiten wür­den, kön­nten sie zehn Botschaften und zehn Botschafter erset­zten, selbst sehr kluge. Jetzt fängt die Lage an, sich zu ändern, auf einen direk­ten Befehl des Präsi­den­ten hin. Es bleibt zu hof­fen, dass die zweite Reihe diese Entwick­lung nicht verwässert.

Wie, glauben Sie, wer­den sich die Ereignisse in Noworossija im Frü­jahr und Som­mer entwick­eln? Wird es einen neuen Feldzug geben?


Unglück­licher­weise ist die Wahrschein­lichkeit dafür sehr hoch. Noch vor einem Jahr war die Idee einer föder­al­isierten Ukraine real­isier­bar. Aber jetzt braucht Kiew nur den Krieg. Nur einen eini­gen Staat. Aus mehreren Grün­den. Der Haupt­grund ist, dass das Land jetzt von ide­ol­o­gisch anti-​russischen Leuten geführt wird, die nicht nur Wash­ing­ton unter­stellt sind, son­dern tat­säch­lich von den Kräften gekauft und bezahlt wer­den, die hin­ter der US-​Regierung stehen.

Und was braucht diese berüchtigte „Wel­tregierung“?


Es ist ein­facher, zu sagen, was sie nicht braucht: sie braucht keine föderale Ukraine, ein solches Gebiet wäre schwer zu kon­trol­lieren. Es wäre unmöglich, ihre Mil­itärstützpunkte dor­thin zu ver­lagern, eine neue Staffelung eines Anti­raketen­schirms. Und es gibt solche Pläne. Aus Lugansk und Kharkow kön­nen tak­tis­che Cruise Mis­siles bis hin­ter den Ural reichen, wo sich der Haupt­teil unserer nuk­learen Abschreck­ungskräfte befindet. Und sie kön­nen silo­gestützte und mobile bal­lis­tis­che Raketen auf der auf­steigen­den Flug­bahn mit hun­dert­prozentiger Wahrschein­lichkeit tre­ff­fen. Augen­blick­lich kann diese Region nicht erre­icht wer­den, weder aus Polen noch aus der Türkei noch aus Südostasien. Das ist das Hauptziel. Also wer­den die USA bis zum let­zten Ukrainer um den Don­bass kämpfen.

Also geht es nicht um die Schiefer­gasvorkom­men, die in diesem Gebiet ent­deckt wur­den?


Ihr strate­gis­ches Hauptziel ist eine ein­heitliche Ukraine unter ihrer vollen Kon­trolle, um gegen Rus­s­land zu kämpfen. Und das Schiefer­gas oder das Ack­er­land – das ist nur ein angenehmer Bonus. Ein Kol­lat­er­al­gewinn. Und ein ern­sthafter Schlag gegen unseren militärisch-​industriellen Kom­plex, durch die Durchtren­nung der Verbindun­gen zwis­chen jenem in der Ukraine und jenem in Rus­s­land. Das wurde bere­its erreicht.

Wir wur­den übertrumpft: „Schweine­hund“ Janukow­itsch muste mit Hilfe der Set­snaz gerettet wer­den, und Wash­ing­ton hat seine eige­nen „Schweine­hunde“ platziert?


Aus mil­itärstrate­gis­cher Sicht wur­den wir sicher übertrumpft. Rus­s­land erhielt eine „Kom­pen­sa­tion“ – die Krim. Es gibt eine „Kom­pen­sa­tion“ – den Wider­stand der Ein­wohner des ukrainis­chen Südostens. Aber der Feind hat bere­its enorme Gebi­ete gewon­nen, die Teil der Sow­je­tu­nion und des rus­sis­chen Reiches waren.

Was wer­den wir dieses Jahr in der Ukraine sehen?


Den Prozess eines hal­ben oder gar eines völ­li­gen Zer­falls. Viele sind angesichts des wirk­lichen Nazis­mus noch still. Aber die Leute, die ver­ste­hen, dass die Ukraine und Rus­s­land stark miteinan­der ver­bun­den sind, haben noch nicht ihr let­ztes Wort gesprochen. Weder in Odessa, noch in Kharkow, noch in Saporoschje noch in Tsch­ernigow. Dieses Schweigen wird nicht ewig dauern. Und der Deckel auf diesem Kessel wird unver­mei­dlich wegge­blasen werden.

Und wie wer­den sich die Beziehun­gen zwis­chen Noworossija und dem Rest der Ukraine entwick­eln?


Es gibt eine geringe Wahrschein­lichkeit für ein transnistrisches Szenario. Aber ich glaube nicht daran – das Gebiet der DNR und LNR ist viel größer, Mil­lio­nen Men­schen wur­den schon in diesen Krieg hineinge­zo­gen. Bisher kann Rus­s­land die mil­itärische Führung noch davon überzeu­gen, eine vorüberge­hende Atem­pause und einen Waf­fen­still­stand zu stützen. Aber genau das – eine vorüberge­hende. Es ist nicht länger die Rede von einer Rück­kehr Noworossi­jas in die Ukraine. Die Leute des Südostens wollen keine Ukrainer sein.

Also wenn unser Land wegen der Wiedervere­ini­gung mit der Krim global isoliert wurde, warum steigen wir nicht ganz ein im Südosten? Wieviel Heuchelei ist möglich?


Ich denke, es ist noch zu früh, ganz einzusteigen. Wir unter­schätzen den Grad der Aufmerk­samkeit unseres Präsi­den­ten, der von bes­timmten Prozessen in Europa weiss, die für aussen­ste­hende Beobachter nicht deut­lich erkennbar sind. Diese Prozesse geben Grund zur Hoff­nung, dass wir unsere Inter­essen mit anderen Meth­o­den und Mit­teln schützen können.

Über dem Infor­ma­tions­fluss, der aus der Ukraine strömt, vergessen wir das explo­sive Wach­s­tum religiösen Extremismus´in Zen­tralasien…


Das ist ein Trend, der für unser Land extrem gefährlich ist. Die Lage in Tad­schik­istan ist sehr schwierig. Die Lage in Kir­gis­tan ist insta­bil. Aber Turk­menistan kön­nte die Rich­tung sein, aus der der erste Schlag kommt, genau wie „AN“ geschrieben hat. Irgend­wie vergessen wir es ein wenig, weil Aschkhabad irgend­wie allein steht. Aber dieses „Haus“ kön­nte das erste sein, das fällt. Wer­den sie stark genug sein, das zurück­zuschla­gen? Oder wer­den wir in einem Land ein­greifen, das so lange so große Dis­tanz zu uns gehal­ten hat? Also, diese Rich­tung ist schwierig.
Und nicht nur durch den „Islamis­chen Staat“ sick­ern Mil­i­tante in die Region. Nach den let­zten Infor­ma­tio­nen wer­den die USA und die NATO Afghanistan nicht ver­lassen und ihre Stützpunkte dort behal­ten. Aus mil­itärischer Sicht kön­nen die fünf– oder zehn­tausend Sol­daten, die dort bleiben, inner­halb eines Monats auf eine Gruppe von 50 – 100 Tausend ver­stärkt werden.
Das ist ein Teil des Gesamt­plans, um Rus­s­land einzukreisen und unter Druck zu set­zen, der von den USA mit dem Ziel ver­folgt wird, Präsi­dent Wladimir Putin loszuw­er­den und das Land zu zerteilen. Ein typ­is­cher Laie mag das natür­lich nicht glauben, aber Leute, die Zugang zu einer großen Menge an Infor­ma­tion haben, wis­sen das ziem­lich gut.

Ent­lang welcher Gren­zen wird die Spal­tung ver­laufen?


Zuerst pla­nen sie schlicht, das abzuschnei­den was „ein­fach“ ist. Gle­ich, was davon abfällt: Kalin­ingrad, der Nord­kauka­sus oder der Ferne Osten. Das dient dann als Zün­der eines sich inten­sivieren­den Prozesses. Das ist kein Pro­pa­gan­daphan­tom – das ist eine echte Idee. Diese Art des Drucks aus dem Westen (Ukraine) und dem Süden (Zen­tralasien) wird weiter ansteigen. Sie ver­suchen, durch die west­lichen Tore zu sick­ern, aber sie wer­den auch die südlichen austesten.

Was ist für uns die gefährlich­ste strate­gis­che Rich­tung?


Die südliche Rich­tung ist sehr gefährlich. Aber bisher funk­tion­ieren die Puffer­staaten – die früheren zen­tralasi­atis­chen Sow­je­tre­pub­liken – noch. Und der Krieg im Westen findet bere­its an der Grenze statt. Tat­säch­lich auf unserem Gebiet.
Augen­blick­lich ist es dort kein Blut­bad zwis­chen Ukrain­ern und Russen, son­dern eher ein Krieg glob­aler Sys­teme. Manche denken, sie „seien Europa“, andere – sie seien Rus­s­land. Denn unser Land ist nicht nur ein Gebiet. Es ist eine getren­nte, riesige Zivil­i­sa­tion, die der ganzen Welt ihre eigene Sicht der glob­alen Ord­nung gebracht hat. Zuerst ist das natür­lich das rus­sis­che Reich als Beispiel der östlichen, ortho­doxen Zivil­i­sa­tion. Die Bolschewiki haben sie zer­stört, aber sie haben eine neue zivil­isatorische Idee errichtet. Eine dritte nähert sich. Und wir wer­den sie inner­halb von fünf, sechs Jahren sehen.

Was wird das sein?


Ich denke, es wird eine annehm­bare Sym­biose der vorher­gen­den sein. Und unsere „geschwore­nen Kol­le­gen“ ver­ste­hen das per­fekt. Darum begann der Angriff von allen Seiten.

Das heisst, der gemein­same russisch-​amerikanische Kampf gegen den Ter­ror, ins­beson­dere gegen ISIS – ist eine Fik­tion
?

Natür­lich. Amerika schafft Ter­ror­is­ten, nährt sie, bildet sie aus und erteilt dem ganzen Rudel dann den Befehl: „Fasst!“ Vielle­icht erschiessen sie mal einen „toll­wüti­gen Hund“ aus dem Rudel, aber die anderen Hunde wer­den dann noch aktiver eingesetzt.

Leonid Petrow­itsch, Sie denken, dass die USA und die amerikanis­chen Präsi­den­ten nur Werkzeuge sind. Wer, glauben Sie, entschei­det über ihre Politik?


Es gibt Grup­pen von Leuten, die der Öffentlichkeit weit­ge­hend unbekannt sind, die nicht nur über die amerikanis­chen Präsi­den­ten bes­tim­men, son­dern ebenso über die Regeln des ganzen „großen Spiels“. Das sind ins­beson­dere die transna­tionalen Finanzge­sellschaften. Aber nicht nur sie.
Augen­blick­lich findet ein Prozess statt, in dem das finanzielle und wirtschaftliche Sys­tem der Welt neu aufge­setzt wer­den soll. Es gibt erkennbar einen Ver­such, die ganze Struk­tur des Kap­i­tal­is­mus neu zu denken, ohne ihn abzulehnen. Die Aussen­poli­tik ist Gegen­stand rascher Verän­derung. DieUSA haben plöt­zlich Israel im Stich gelassen – ihren Hauptver­bün­de­ten im Nahen Osten – im Inter­esse besserer Beziehun­gen mit dem Iran. Ist das, weil Teheran jetzt wichtiger und bedeu­ten­der ist als Tel Aviv? Weil es eines der Län­der um Rus­s­land herum ist. Diese verdeck­ten Kräfte set­zen das Ziel, unser Land als ern­sten Mit­spieler auf der glob­alen Bühne zu liq­ui­dieren. Weil Rus­s­land eine zivil­isatorische Alter­na­tive zum ganzen vere­in­ten Westen darstellt.
Mehr noch, es gibt ein sprung­haftes Wach­s­tum anti-​amerikanischer Ein­stel­lun­gen weltweit. Ungarn, wo kon­ser­v­a­tive Kräfte der Rechten an der Macht sind, und die Linken Griechen­lands – diame­tral ent­ge­genge­set­zte Kräfte – haben sich fak­tisch vere­int und ver­suchen, das US-​Diktat über Europa „abzuw­er­fen“. Auch in Ital­ien, Öster­re­ich, in Frankre­ich und so weiter gibt es solche, die es ver­suchen kön­nten. Wenn Rus­s­land jetzt seine Stel­lung hält, wer­den die Prozesse, die für jene Kräften, die ver­suchen, die glob­ale Herrschaft zu beanspruchen, nicht gün­stig sind, in Europa begin­nen. Und diese Kräfte ver­ste­hen das genau.

Einige europäis­che Führer kla­gen bere­its, die USA habe ihnen die Sank­tio­nen förm­lich aufgezwun­gen. Kön­nte Europa aus der „fre­undlichen“ amerikanis­chen Umar­mung aus­brechen?


Nie. Amerika hält es an zwei Ket­ten: den Druck­maschi­nen der Fed­eral Reserve, der Dro­hung mit Far­brev­o­lu­tio­nen und der mit der physis­chen Eli­m­inierung uner­wün­schter Politiker.

Übertreiben Sie nicht mit der physis­chen Eliminierung?


Ganz und gar nicht. Die Cen­tral Intel­li­gence Agency der USA ist nicht ein­mal ein Nachrichten dienst, wenn man die Art der Auf­gaben ansieht, die sie erfüllt. Die Aus­landsabteilung des KGBoder der SWR der rus­sis­chen Föder­a­tion sind klas­sis­che Nachrich­t­en­di­en­ste: sie sam­meln Infor­ma­tio­nen und berichten der Führung des Lan­des. In der CIA ste­hen diese tra­di­tionellen Merk­male eines Nachrich­t­en­di­en­stes am unteren Ende ihrer Auf­gaben­liste. Ihre Hauptziele sind: Eli­m­inierung, ein­schließlich physis­cher der Poli­tiker und die Organ­i­sa­tion von Putschen.
Und das tun sie in Echtzeit.
Nach dem Ver­lust des U-​Boots „Kursk“ besuchte uns der CIA-​Direktor George Tenet. Ich wurde gebeten, ihn am Flughafen zu tre­f­fen. Tenet brauchte lang, um aus dem Flugzeug zu kom­men, aber die Tür stand offen, also kon­nte ich ein Blick in seine „Her­cules“ wer­fen. Das war ein fliegen­des Haup­tquartier, eine com­put­er­isierte Kom­man­dozen­trale, voller Aus­rüs­tung und Kom­mu­nika­tion­ssys­teme, die die Lage auf der ganzen Welt ver­fol­gen und darstellen kön­nen. Die beglei­t­ende Del­e­ga­tion bestand aus zwanzig Leuten. Und wir – wir flo­gen und fliegen mit Lin­ien­flü­gen, in Grup­pen von zwei bis fünf Per­so­nen. Man kann den Unter­schied sozusagen fühlen.

Neben­bei, was Nachrich­t­en­di­en­ste angeht. Es gibt wieder ein­mal Gerede um die Idee, durch eine Vere­ini­gung von SWR und FSB wieder einen ein­heitlichen rus­sis­chen Nachrich­t­en­di­enst herzustellen. Wie denken sie darüber?


Ich sehe das sehr neg­a­tiv. Wenn wir die zwei beson­deren Dien­ste – den Aus­land­snachrich­t­en­di­enst und die Gegen­s­pi­onage – zusam­men­brin­gen, schaf­fen wir eine einzige Infor­ma­tion­squelle für die höch­ste Führung des Lan­des anstatt zweien. Dann wird die Per­son, die an diesem „Quell der Infor­ma­tion“ sitzt, zum Monop­o­lis­ten. Und sei kann das zur Erre­ichung irgen­deines Ziels manip­ulieren. Im KGB waren solche Manip­u­la­tio­nen der Infor­ma­tion selbst für den Haupt­mann Reschet­nikow erkennbar. Für einen Präsi­den­ten, einen Zaren, einen Pre­mier­min­is­ter – gle­ich, wie der ober­ste Regierungschef genannt wird – ist es vorteil­halft mehrere unter­schiedliche, unab­hängige geheim­di­en­stliche Quellen zu haben. Im andern Fall wird er zur Geisel eines bes­timmten Führers der Struk­tur oder der Struk­tur selbst. Das ist sehr gefährlich.
Die Autoren dieser Idee denken, eine solche Vere­ini­gung würde uns stärken. Statt dessen schüfen wir eine Bedro­hung für uns selbst.

Und jetzt gehen wir von glob­alen Ver­schwörungs­the­o­rien zu unseren örtlichen Prob­le­men. Wie kön­nen sie einen Amt­sträger, der nicht weiss, was er tut, von einem ein­flussre­ichen Agen­ten, der weiss, was er tut, unter­schei­den?


Es gibt nicht so viele ein­flussre­iche Agen­ten auf ern­stzunehmen­dem Niveau in der Welt wie viele denken. Ern­ste strate­gis­che Entschei­dun­gen gegen die Inter­essen des eige­nen Lan­des zu tre­f­fen oder nicht zu tre­f­fen, wird üblicher­weise von, so kön­nte man sagen, ide­ol­o­gis­chen Agen­ten ini­ti­iert. Das sind jene unter unseren Funk­tionären, die auf eine hochrangige Stel­lung im Inland ger­aten sind, deren Seele aber im Westen lebt. Es ist nicht nötig, sie anzuwer­ben oder ihnen Befehle zu erteilen. Für diese Leute ist alles, was „dort“ getan wird, die höch­ste Errun­gen­schaft der Zivil­i­sa­tion. Und hier ist – das „unge­wasch­ene“ Rus­s­land. Sie verbinden die Zukunft ihrer Kinder, die sie ins Aus­land geschickt haben, nicht mit dem Land. Und das ist ein weit deut­licherer Hin­weis als Kon­ten bei aus­ländis­chen Banken. Solche „Kam­er­aden“ mögen Rus­s­land zutiefst nicht, dessen „Entwick­lung“ sie überwachen.

Sie haben ger­ade ein ziem­lich gutes Por­trait einiger unserer Min­is­ter geze­ich­net. Wie wer­den wir es mit ihnen durch das Jahr 2015 schaf­fen?


Dieses Jahr wird schwierig, mit ihnen oder ohne sie. Näch­stes Jahr dürfte ver­mut­lich auch nicht leichter wer­den. Aber danach ist das neue Rus­s­land zuver­sichtlich auf dem Weg.
Russia’s Chief Intel­li­gence Ana­lyst Comes Out of the Shad­ows auf Rus­sia Insider
http://​vine​yard​saker​.de/​u​k​r​a​i​n​e​/​r​u​s​s​l​a​n​d​s​-​o​b​e​r ​s​t​e​r​-​n​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​d​i​e​n​s​t​a​n​a​l​y​s​t​-​t​r​i​t​t​- ​a​u​s​-​d​e​m​-​s​c​h​a​t​t​e​n​/​#​m​o​r​e​-​3​6​6​3

Sonntag, 7. Juni 2015

Der Finanzgipfel G7


7.-8.Juni, Deutschland:

G7-Gipfel in Schloss Elmau – die Diktatur des Finanzkapitals


Quelle: Arbeit – Zukunft vom 2. Juni 2015


Seit 1973 gibt es diese Treffen von Regierungsvertretern der großen imperialistischen Staaten, zunächst als G5, dann G6, dann G7 und zeitweise auch unter Einschluss der kapitalistischen Großmacht Russland als G8. Dass dieses Jahr wieder eine G7-Tagung unter Ausschluss Russlands stattfindet, zeigt deutlich, wie stark die Spannungen unter den imperialistischen Großmächten gewachsen sind und wie damit die Kriegsgefahr steigt.
Diese Treffen waren von Anfang an Geheimtreffen, gut abgeschottet vom Volk. Wikipedia bemerkt, es „gilt der Grundsatz, einen Ort zu wählen, der gut abgesichert werden kann; es soll verhindert werden, dass die publizistische Wirkung von Protesten den Gipfel ruiniert.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/G7)
Dass ist auch nötig, denn ohne jede demokratische Legitimation sitzen hier die Regierungen des Finanzkapitals zusammen und versuchen, die Welt nach ihren Bedürfnissen zu gestalten. Und das wichtigste Bedürfnis ist der Profit, das zweitwichtigste ist die Absicherung des Reichtums der Reichen.
Von den G7-Treffen gehen regelmäßig Impulse aus zu Kürzungen im sozialen Bereich, mehr Konkurrenz der Ware Arbeitskraft auf internationaler Ebene und damit Senkung der Löhne und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Ein immenser Druck wird ausgeübt, um das Gesundheitswesen, die staatliche Versorgung wie z.B. bei Wasser und Energie zu privatisieren und damit zu verschlechtern und dem Profitprinzip zu unterwerfen. Hier werden neue Geschäftsfelder für das Kapital eröffnet.

Real hat diese Politik dazu geführt, dass Armut und Umweltzerstörung auf der Welt wachsen, dass immer mehr Menschen in ihrer Existenz gefährdet sind. Selbst in den reichen Industriestaaten ist durch diese Politik die Zahl der Menschen, die keine Lebensperspektive mehr besitzen, rasant gewachsen.
Auf der anderen Seite sind die Reichen immer reicher geworden. Laut einer Studie von Oxfam werden 2016 nur 85 Personen mehr besitzen als die restlichen 99% der Weltbevölkerung zusammen. Die Konzentration des Reichtums in den Händen einiger weniger steigt Jahr für Jahr an. Möglich ist das nur, indem man alles dem Profit unterwirft und die Ärmsten immer tiefer herabdrückt.

Diktatur des Finanzkapitals

Ein Merkmal dieser Entwicklung ist, dass noch mehr als früher schon die Reichen unmittelbar auf den scheinbar über den Klassen stehenden Staat Einfluss nehmen. Man kann das gerade sehr gut am Beispiels Griechenlands oder der Ukraine sehen. Beide Staaten stehen am Rande der Pleite, nicht etwa, weil sie zu viele „Wohltaten“ an das Volk verteilt haben, sondern weil sie von den reichen Oligarchen in Zusammenarbeit mit dem internationalen Finanzkapital ausgeplündert wurden. Und nun fordert das Finanzkapital kompromisslos, dass das Volk diese Schulden zu zahlen hat. Das bedeutet Massenarbeitslosigkeit, Steuererhöhungen, Preissteigerungen, Zerschlagung des Bildungs- und Gesundheitswesens. Das Finanzkapital diktiert offen in die Staaten hinein, bestimmt Regierungsmitglieder oder ganze Regierungen, setzt Gesetze in seinem Interesse durch, fordert den Ramsch-Ausverkauf staatlichen Vermögens usw.
Und wenn sich eine Regierung wie die von Syriza nur ein wenig wehrt (sie betont ja, dass sie sich an die Spielregeln des kapitalistischen Systems halten und nur etwas mehr Luft für Reformen haben will), dann wird sie erpresst, unter Druck gesetzt, fertig gemacht.
Was bei diesen Ländern so offen zu Tage tritt, findet auch in den reichsten Ländern statt. Mit der immensen Staatsverschuldung als Druck, muss jeder US-Präsident beim Finanzkapital ständig um neue Kredite betteln und dementsprechend Politik machen. Merkel und Schäuble, Gabriel und Steinmeier müssen ebenfalls Jahr für Jahr die Betteltour beim Finanzkapital machen. Die Chefs der Deutschen Bank, des Allianz-Konzerns oder von Daimler sind um ein Vielfaches mächtiger. Ohne oder gar gegen sie kann in diesem System nicht regiert werden.

Gewalt und Krieg – für den Profit

Das System bleibt nicht bei ökonomischer Gewaltanwendung in Form von Erpressung und Druck stehen. Waffenlieferungen an Diktatoren, die ihr Volk grausam unterdrücken wie beispielsweise in Saudi-Arabien gehören genauso dazu wie der Abbau demokratischer Rechte in den reichen Staaten. Wenn derzeit das Streikrecht in Deutschland noch weiter eingeschränkt wird oder wenn europaweit Nazis und Rassisten hochkommen und teilweise in Regierungen sitzen wie in der Ukraine oder Ungarn, wenn in Deutschland jahrelang der NSU und andere faschistische Terrorgruppen mit staatlicher Hilfe wüten konnten, dann gehört das zu diesem System, dass nur herrschen kann, indem es spaltet, Menschen gegeneinander hetzt und ihnen jeglichen Einfluss raubt.
Am grausamsten wird dieses System, wenn es sich gewaltsam andere Länder und deren Rohstoffe und Wirtschaftskraft einverleibt. Das konnte man beim Krieg gegen den Irak mit zahllosen Toten und ungeheurem Elend und Vernichtung sehen. „Blut für Öl“ war die Devise. Das hat sich in Libyen wiederholt, wo man den Erdölreichtum in die gierigen Profitkrallen bekommen wollte. Ähnliches passiert gerade in Syrien und in der Ukraine.
Im Assoziationsabkommen zwischen der EU und der Ukraine wurde die ökonomische und militärische Integration der Ukraine in die EU und in die Strukturen der NATO ohne offenen Beitritt vereinbart. Das ist eine offene Konfrontation und Kampfansage gegen Russland und hat die Kriegsgefahr nach Europa gebracht.
Beim G7-Gipfel im Juni auf Schloss Elmau in den bayrischen Alpen sitzen Regierungen zusammen, die mit ihren Waffenexporten und Kriegseinsätzen verantwortlich für Krieg und Diktaturen in aller Welt sind. An ihren Händen klebt Blut.

Viel Propaganda

Auf der offiziellen Webseite der Bundesregierung zum G7-Gipfel in Deutschland wird viel Propaganda gemacht und noch mehr versprochen. Da soll es um Umweltschutz, verbindliche Arbeitsstandards oder Hilfsprogramme für Afrika gehen. Wie oft wurde so etwas schon versprochen? Wie oft erwies sich das als Luftblasen? Nun soll eine Luftblase dazu kommen, um die Herrschaft des Finanzkapitals zu verschleiern. Und versteckt hinter den Luftblasen wird knallharte Politik für den Profit gemacht.
Doch es wird auch gedroht. Auf der verlinkten Webseite der Bundespolizei wird erklärt, dass man den Einsatz gegen „gewaltbereite Globalisierungsgegner“ vorbereite. Tausende Polizisten werden zum Kampf gegen die angeblich „gewaltbereiten Globalisierungsgegner“ aufgefahren. Wie oft daraus Knüppelorgien, Polizeikessel, Massenverhaftungen werden, wissen viele Menschen, die gegen solche Veranstaltungen gekämpft haben.
Die Frage nach den Ursachen der Wut vieler junger Menschen aus aller Welt gegen dieses System wird gar nicht gestellt. Ohne Perspektive, ohne Arbeit, mit ständiger Existenzunsicherheit hassen sie dieses System und suchen nach Alternativen.

Eine andere Gesellschaft ist möglich

Trotz aller Mängel, trotz der Deformation durch die revisionistische Entartung vieler ehemals sozialistischer Staaten hat der Sozialismus eine Lebenskraft bewiesen und eine grundlegende Alternative zum Kapitalismus aufgezeigt. Wenn wir aus den Fehlern lernen und eine erneute Entartung vermeiden, dann kann er der Menschheit eine bessere Zukunft bieten.
Dafür werden wir bei den Protesten gegen den G7-Gipfel eintreten.
Ein Vertreter von „Arbeit Zukunft“ wird beim „Internationalen Gipfel der Alternativen“ vom 3.-4. Juni 2015 in München im Workshop II „Die Rolle der BRD und EU – Einfluss der Außenpolitik auf die Innenpolitik – was wären Alternativen?“ auf dem Podium mitdiskutieren.
Das Programm dieses Alternativtreffens gibt es unter
Ebenso haben wir den Aufruf unterschrieben. Infos gibt es unter http://www.stop-g7-elmau.info/.
Wir rufen alle unsere Leser/innen auf, sich an den Protesten zu beteiligen und nach München und am 6. Juni 2015 zur Großdemonstration nach Garmisch-Partenkirchen zu kommen.




Donnerstag, 4. Juni 2015

Erinnerung: Ein Meister der Lüfte

Rez_Start_und_Landung

Zwischen Start und Landung

Buchtipp von Harry Popow




Zum Autor: Geboren 1936, beendete Eckhard Lange nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone in Steinhöfel / Kreis Angermünde die Grundschule, erlernte den Beruf des Landmaschinenschlossers, meldete sich zur Kasernierten Volkspolizei, wurde Segelflieger und ehrenamtlicher Fluglehrer, arbeitete später bei INTERFLUG als Flugzeugmechaniker und Meister und wurde sogar - trotz äußerer und innerer Widersprüche - „Held der Arbeit“. Eckhard Lange hat zwei Töchter und zwei Enkelinnen und hat es schließlich bis nach Namibia geschafft.

Zum Buch: Was kann einem Jugendlichen besseres passieren als dies: Er erwischt eine solide Ausbildung, später sogar einen festen Arbeitsplatz. Wenn er dies noch verknüpfen kann mit einem Wunschberuf, vielleicht sogar mit seinem Hobby, dann sind schon mal etliche Glückswürfel gefallen. Wer schüttelt da den Kopf und stöhnt, da gäbe es wenig Chancen?

Nicht so ein Siebzehnjähriger. Der hatte einst hochfliegende Pläne. Damals zu DDR-Zeiten! Er heißt Eckhard Lange. Heute ist er weit über siebzig. Er hat aufgeschrieben, wie er die Chancen in der neuen Gesellschaftsordnung genutzt hat. Sein Buch nennt er „Zwischen Start und Landung“. Es ist sein Lebensbericht. Ein doppeldeutiger Titel - für Jung und Alt gleichermaßen hochinteressant: Keine Sorgen, ordentlich und solide ausgebildet zu werden. Keine Bange, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Keinen großen Geldbeutel, um schon als Jugendlicher in die Segelfliegerei – seinem ersehnten Steckenpferd – einzusteigen.

Was er dem geneigten Leser präsentiert, das ist nicht nur sein Interesse für die Flugtechnik, nein, das ist auch ein Stück Alltag der DDR. Was dazugehörte: Viel Enthusiasmus, viel Schweiß und Fleiß – verbunden mit so manchen persönlichen Opfern – sowie Charakterstärke, um sich durchbeißen und behaupten zu können. Ob als ehrenamtlicher Segelfluglehrer oder auch als Mitarbeiter bei INTERFLUG, sozusagen im weiten Vorfeld des heutigen Desaster-Großflughafens Schönefeld. Der Alltag vor und während der Wende – ganz aus persönlicher Sicht. Gespickt mit interessanten und lebendig geschilderten Episoden und Eindrücken. Er hilft, Pannen im Betriebsgefüge zu meistern, er wird von seiner Brigade anerkannt, er empfindet Freude und Stolz, erlebt eine gute Kameradschaft zwischen den Arbeitskollegen. Bis eben das Ende der DDR eingeläutet wird. Auch diese bittere Pille schluckt er, der Arbeiter.

Auf 168 Seiten – mit zahlreichen Fotos und Dokumenten illustriert – , erfährt der Leser in diesem Buch den Aufstieg des Eckhard Lange zu einem sinnerfüllten Leben. In diesem authentischen Lebensbericht, aufgeschrieben als Ghostwriter von mir – schildert er, wie er in den Aufwind der neuen Gesellschaft kam, seine Möglichkeiten nutzte und seine verantwortungsvollen Aufgaben mit Bravour meisterte. Wie er, der Flugzeugmechaniker und Segelflieger, nach 1989 im Zenit seines Lebens in Afrika das goldene Segelfliegerabzeichen mit drei Diamanten absolvierte. Wie er, der Fluglehrer, auch heute noch seine Erfahrungen an die Jüngeren weitergibt.

Im Detail: Eine Anzeige in der Zeitung, viele Jahre nach der Wende: Das weltbeste Segelflugzentrum in Namibia sucht einen Werkstattleiter und Motorenwart. Der erfahrene Segelfluglehrer schickt sofort eine Bewerbung nach Afrika. Bevor er Antwort erhält, erinnert er sich seiner Kindheit in Pommern. Er, der neunjährige Eckhard, Sohn eines Landbäckers in Uchtdorf (heute Lisie Pole in Polen) trotzt dem Vater. Er will nicht in dessen Fußstapfen treten. Er will nicht backen, nicht Kühe hüten. Was Technisches soll es sein. Verfolgt mit staunenden Blicken die Flugzeuge, die in diesen End-Kriegszeiten des Jahres 1944 über dem Dorf dahinjagen. Ja, er will später mal fliegen, ebenso wie die da oben. Seine Träume sind hochfliegend in einer Zeit, in der es ums Überleben geht. Sein Vater warnt ihn: „Das ist nichts für dich, bleib auf dem Boden!“ Doch der Trotz in dem Jungen ist nicht totzukriegen.

Endlich die Befreiung. Nach der Flucht aus Pommern ein Neubeginn in der Sowjetischen Besatzungszone. Und nun will der Träumer endlich durchstarten. Wieder trotzt er dem Vater, als dieser ihn ermahnt, dieser Sozialismus würde sich nicht lange halten. Eckhard aber will selbst die Weichen für sein Leben stellen. Er erlernt den Beruf des Landmaschinenschlossers, hält aber weiter Ausschau nach weit oben. Die Kasernierte Volkspolizei, hört er, suche Leute, auch für die Flugausbildung. Er schmettert ihnen ein Nein entgegen, als Werber den jungen Mann an die Grenze schicken wollen. Da ist er wieder - sein Trotz.

Für Kenner der Segelfliegerei besonders spannend: Das Leewellenfliegen über dem Riesengebirge in der damaligen Volksrepublik Polen. Er berichtet – übrigens mit viel Witz und Humor – von seiner ersten großen Entscheidung, „Trapper oder Pilot“ zu werden, von einem „Agenten“ am Straßenrand, von einem Absturz eines Kameraden, von viel Geheimnistuerei um den 13. August 1961 herum, von notwendigen Tüfteleien bei Arbeiten auf Flugplätzen, vom Bergwandern mit Freunden in Bulgarien, von einem „abgehauenen“ Segelflieger, von manchem Schwachsinn und von manchen Illusionen zur „Wendezeit“.

Sein Weg führte ihn nach oben: Nach zahlreichen Qualifizierungen als Fluglehrer und als Prüfer für Luftfahrtgeräte - landet er bei INTERFLUG. Als Mechaniker leistet er eine hervorragende Arbeit. Er erzählt in seinem Buch von Rissen in Triebwerken und wie er das Titanschweißen einführte und so dem Betrieb Millionen Mark der DDR einsparte. Wie er sich schließlich auf einem hohen Podest wiederfand und vom Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker als „Held der Arbeit“ geehrt wurde. Er und seine Kollegen fragten sich angesichts vieler Widersprüche in der Wirtschaftpolitik immer öfter: „Wie hell leuchtet unser Stern wirklich?“ Zur Wendezeit schildert er die vielerorts angetroffene Reg- und Sprachlosigkeit, aber auch die Freude, verbunden mit zahlreichen Illusionen bei vielen Betriebsleuten.

Die Rückschau auf das bisherige Leben wird unterbrochen mit dem positiven Bescheid aus Afrika und der nachfolgenden Schilderung der für ihn noch ungewohnten aber sehr interessanten Erlebnisse in der Wüste. Trotzdem hält der Erzähler Eckhard immer wieder inne und blickt zurück auf seinen nicht leichten aber zielstrebig verfolgten Lebensweg – eine Komposition, die aufgeht. Sie unterstreicht, wie wichtig es für ältere Menschen ist, gebraucht zu werden. Und sie verdeutlicht den hohen Wert des Namibia-Aufenthaltes als einen der Höhepunkte im Leben dieses Meisters der Lüfte. Auch die Sprache in diesem Buch ist schön und hält die Neugier wach. Frank-Dieter Lemke vom Flieger-Club Strausberg resümierte zu diesem Buch: „Eckhard Lange gewährt uns mit seinen ehrlichen Erinnerungen nicht nur einen interessanten Einblick in ein Stück Luftfahrtsgeschichte der DDR, sondern auch in Entscheidungen bei schwierigen Situationen …“


Eckhard Lange: „Zwischen Start und Landung, Gelebt-gearbeitet-geflogen“, ein Lebensbericht, 168 Seiten, Preis: 17,50 Euro – Versandkostenfrei, Juli 2013, Druck und Verlag: dbusiness.de Digital Business and Printing Gmbh, Prenzlauer Allee 174, 10409 Berlin, E-Mail:info@copyhouse.de,www.copyhouse.de, Telefon: 030 44650342. Buchbestellungen bitte über die email Adresse info@copyhouse.de.

BÜCHER DRUCKEN - Books on Demand

Möchten auch Sie Ihre Erinnerungen, Romane, Tagebücher oder Diplomarbeiten bei uns kostengünstig innerhalb von 2-5 Werktagen im Digitaldruckverfahren drucken lassen? Wir sind darauf spezialisiert. Gilt auch für Verlage!


(Der Ghostwriter und Rezensent für das Buch „Zwischen Start und Landung“, Harry Popow, (www.cleo-schreiber.blogspot.com) veröffentlichte außerdem als ehemaliger Reporter und Redakteur der DDR Wochenzeitung „Volksarmee“ seinen autobiografischen Roman mit dem Titel „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder“. Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3)

Beide erstgenannten Bücher sind auch zu finden in der „Erinnerungsbibliothek DDR“ e.V. unter http://www.erinnerungsbibliothek-ddr.de/index.htm

Ausserdem schrieb Harry Popow:

Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten, www.epubli.de , ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro
http://www.epubli.de/shop/buch/PLATONS-ERBEN-IN-AUFRUHR-Harry-Popow-9783737538237/44867



Leseprobe (Start und Landung: Seite 29)

Trapper oder Pilot?

Walzwerk Finow. Ein Volkseigener Betrieb. Ich erinnere mich genau. Nach der Lehre als Maschinenschlosser bewarb ich mich in einem Werk, das total neu aufgebaut wurde. Damals brauchte ich keine Klimmzüge machen, wie die Heutigen, um als Junggeselle angenommen zu werden. Welch ein Unterschied zum Lehrlingsbetrieb in Angermünde. Riesige Werkhallen, riesige Kräne. Neue Maschinen, die vom Hersteller selbst aufgestellt wurden. Gabelstapler transportierten große Stahlplatten und Segmente, die von Hand nicht zu bewegen waren. Wir Gesellen gaben Hilfestellung. Sollten doch später völlig selbständig die Wartung und Instandhaltung übernehmen. Mich beeindruckte dieses neue Walzwerk, spürte, welche Kraft davon einmal ausgehen würde, und war richtig froh, dabei mitmischen zu können.

Wie das so ist – aller Anfang ist wirklich nicht leicht. Man sah zum Beispiel, was da noch alles fehlte, aber bereits im Entstehen war: Betriebsküche, Aufenthalts- und Frühstücksräume. Alles noch im Rohbau. Vor allem deshalb hat jeder seine Stullen mitgebracht. Ansonsten gab es in einer Kantine Bockwurst und Suppe. Für mich ungewohnter Schichtbetrieb. Nächste Sorge: Wo sollte ich schlafen? An Unterkünften für die Belegschaft war noch nicht zu denken. Hatte jedoch wieder einmal Glück: In Eberswalde nahm mich ein Schulfreund vom Dorf mit in seine Einraumwohnung zur Untermiete. Seine Wirtin hatte dem zugestimmt. Zum Walzwerk, das am anderen Ende der Stadt lag, fuhr ich mit dem Fahrrad eine dreiviertel Stunde durch die Stadt, abends zurück. Auch in den Wintermonaten. Fiel todmüde ins Bett oder besuchte dann und wann mit meinem Kumpel das Kino. Die Wochenenden verbrachte ich zu Hause in Steinhöfel.

Später kam Nachtschichtbetrieb hinzu. Da wurde alles noch etwas komplizierter. Doch dem Flugwesen war ich noch keinen Schritt nähergekommen. Manche meinten, du spinnst, was willste denn bei den Fliegern, die es doch gar nicht so richtig gibt in der DDR. „Man hat es mir doch versprochen“, entgegnete ich. Aber glaubte ich noch daran? Ich bekam heraus, dass in der Nähe der Stadt ein Flugplatz lag. Auf dem starteten und landeten russische Flugzeuge. Aus der Nähe den Flugbetrieb zu betrachten kam nicht in Frage. Durftest ja nicht näher als fünf Kilometer ran, hatten wir herausgefunden. Doch im Werkgelände gab es einen Turm. Den bestiegen einige Neugierige und ich. Von dort aus ließ sich beobachten, wie Strahlflugzeuge, soviel konnten wir erkennen, rasant von der Startbahn abhoben. Das will ich auch, dachte ich. Und bekam neuen Auftrieb. Allerdings hätte ich diesen beinahe vermasselt. Durch jugendliche Neugier, durch Leichtsinn... Doch dazu später.

Nun war es soweit. Fasste den Entschluss: Jetzt gehst du zum Kreiskommando Angermünde. Meldest dich zur KVP. Freiwillig, das war mir wichtig. Freudig empfing man mich. „Pilot wollen sie werden? Hm? Und was ist mit Grenze?“ Ziemlich energisch verneinte ich ein weiteres Mal. Warum die das nur immer wieder versuchen, mich in eine andere Laufbahn zu drängen? Werden es wohl nötig haben. Doch nicht mit mir. Es bleibt dabei, ich will zu den Fliegern. Wieder ein Hm! „Na, dann gehen sie mal zum Arzt, werden sehen, was sich machen läßt.“ Die Ärztin untersuchte mich. Überaus genau und gründlich. Zu gründlich? Denn sie stellte fest, ich habe Schwierigkeiten, die richtigen Farben auf der medizinischen Farbprüftafel auseinanderzuhalten. Die Farbschwäche stellte ich bereits während der Schulzeit fest. Sie ist vererbbar. Zirka acht Prozent aller Männer und ein halbes Prozent aller Frauen sind davon betroffen. Später habe ich über vierzig Jahre lang bei den Flugmedizinischen Untersuchungen mit diesem Problem gekämpft: mal tauglich, mal bedingt tauglich, mal untauglich. Damit war für mich der Traum eines großen Piloten gestorben. Für den Segelflug würde es aber noch reichen, sagte man.

Beinahe hätte ich unmittelbar nach meinen Gesprächen im Kreiskommando alles, aber auch alles versaut. Denn es gab ein Vorkommnis, wie es offiziell hieß.

Es war im Januar 1956. Ein Arbeitskollege und ich hatten ein paar Tage Urlaub. Anschließend wollte ich im Walzwerk kündigen. Da hatten wir eine tolle Idee: Wir könnten doch mal zur „Grünen Woche“ nach Westberlin fahren. Haben zwar kein Geld, aber irgendwie werden wir das Ding schon schaukeln. Wir von Eberswalde los mit der Bahn und dann mit der S-Bahn weiter und nichts wie rüber Richtung Funkturm. Mein Staunen über die große Stadt Berlin fing schon in Pankow an. Die Häuser, der Verkehr, die vielen Leute. Ich als Dörfler mittendrin. Ein unbeschreibliches schönes und aufregendes Erlebnis. Dann aber am Funkturm. Bekam den Mund nicht mehr zu: Als Ostler hatten wir freien Eintritt. Bestaunte die tollen technischen Geräte. Uhren, Radios. Alles, was das Herz begehrte. Auch große Fotos von Kanada. Von Fallenstellern, von Bärenjagden. Prospekte machten uns an: Kommt herüber! Kommt nach Kanada! Dort könnt ihr auch jagen, wohnen, arbeiten. Im richtigen Urwald. Dazu Bilder von richtig hohen schneebedeckten Bergen. Ich hatte noch nie ein Gebirge gesehen. Das wars doch. Da ging mit einem die Phantasie durch. Plötzlich rief mein Kumpel einen recht übermütigen Satz: „Mensch, das wäre doch was, stell dir vor, wir in Kanada!“ Und schon sahen wir uns mit einem Gewehr im Urwald jagen und fischen, wie ich es in Klein-Steinhöfel gemacht hatte. War ja dort auch „Fallensteller“ und „Fischer“. Oh, diese verlockende Traumwelt im allzu weiten Kanada.

Wir sackten alle bunten und verlockenden Werbebroschüren, die wir greifen konnten. Auch politische. Ein Heft über die DDR habe ich zusammengerollt und in die Tasche gesteckt. Bis Bernau mit der S-Bahn ging alles gut. Keiner achtete auf uns Jugendliche. Wir waren gerade in den Zug nach Eberswalde gestiegen, da sahen wir schon die Männer vom Zugbegleitkommando. Mulmig wurde uns, ganz mulmig in der Magengegend. Eigentlich waren wir sogar naiv. Konnten uns nicht vorstellen, etwas sehr böses getan zu haben, nur weil wir im Westen waren. „Ihre Ausweise bitte!“ „Was haben sie denn da? Na, kommen sie mal mit.“ Langsam mußten wir uns durch den vollen Zug zu einem Abteil der Transportpolizei drängeln. Schön langsam. Ich zuerst, mein Kumpel hinter mir, der Uniformierte als dritter. Mensch, du hast ja noch die Eintrittskarte vom Funkturm, auf dem wir ebenfalls waren, dachte ich mit Schrecken, habe sie zwischen den Waggons weggeworfen. „Vorwärts, vorwärts!“, rief der hinter uns gehende Beamte. Nur eine Station bis Eberswalde. Endlich der Bahnhof. Wir landeten auf der Wache des Zugbegleitkommandos: „Na zeigen sie mal, was haben sie denn da...?“ Packten alle eingeklaubten „Schätze“ von der „Grünen Woche“ auf einen Tisch. „Wollten sie abhauen in den Westen?“ Wir: „Nein, nein, wir hatten nur Urlaub und wollten uns am Funkturm mal umsehen.“ Mein handfestes Argument: Ich werde zur KVP gehen, was soll ich da im Ausland? Das zog offenbar. Wir durften nach Hause gehen, die schönen Prospekte waren futsch.

Mein Schulfreund im Zimmer: „Mensch, pack deine Sachen, hau ab. Dich sperren die ein. Sehe zu, dass du wegkommst aus dem Osten!“ Bekam ich Angst? Schließlich hauten so viele ab, Bauern, Arbeiter, ganze Familien. So ungewöhnlich war das ja nicht. Hand aufs Herz: Ich habe nur paar Sekunden gebraucht zum Nachdenken. Dachte so bei mir: Nee, rübermachen, das willste ja gar nicht. Sehe keinen Sinn darin, was willste denn im Westen? Mein Weg war doch klar, ich wollte doch Pilot werden. Ob ich das drüben erreichen könnte, ist doch fraglich. Die sichere Zukunftsaussicht, die war mir schon sehr viel wert. Also blieb ich. Nicht so mein Arbeitskollege. Der packte im Handumdrehen seinen Koffer und verschwand auf Nimmerwiedersehen.

Ich schicke einen Blick voraus. Als ich wenig später bei den bewaffneten Kräften landete, schrieb mir dieser Arbeitskollege einen Brief. Aus dem Westen! Der erreichte mich aber nie. Er sorgte allerdings für Aufregung! Bei Vater in Steinhöfel und danach in meiner Dienststelle. Musste zum Staatsanwalt. Sollte erklären, wie das alles mit dem Besuch der „Grünen Woche“ zusammenhängt. Ich staunte, was die alles bereits wussten. Hing meine Zukunft am seidenen Faden? Nein, ich wurde lediglich verwarnt. Seitdem hatte ich nie wieder Kontakt mit der anderen Seite. Wollte mit so einem Quatsch keinesfalls mehr anecken. Wozu auch? Das brachte nichts, absolut nichts. Hatte also „Freie Bahn“ für einen neuen Start ins Berufsleben. Ins Fliegerleben? Solche und ähnliche Gedanken kamen mir während des Fluges nach Afrika. Diesmal kein neuer Start in einen neuen Berufsabschnitt, sondern in die Sphäre meines Hobbys. Ausschließlich. Na, schauen wir mal...



Leseprobe ( Start und Landung, Seite 47)

Siegel lädiert, was nun?

April 1959. Am 1. Mai sollte über Leipzig eine Luftparade stattfinden. Die dafür vorgesehenen Jagdflugzeuge wurden nach Klotzsche bei Dresden überführt. Das war der Flugplatz, wo zuvor die von der DDR entwickelten und konstruierten Verkehrsflugzeuge des Typs 152 für einige Zeit gebaut und gestartet waren. Ich hatte als Diensthabender Techniker alle an der Parade teilnehmenden MiG 17 abends an eine Wache zu übergeben und am nächsten Morgen wieder zu übernehmen. Das war die Nacht vom 30. April bis zum 1. Mai. Für die Piloten musste die Gewissheit bestehen, keiner war am Flugzeug und hat daran herummanipuliert. Nicht auszudenken das politische Fiasko: Eine MiG über Leipzig abgestürzt!! Für mich war klar, du mußt sehr gewissenhaft am Morgen der Parade alle Siegel überprüfen. Wäre eines aufgebrochen gewesen, ich hätte das melden müssen. Als „Besonderes Vorkommnis“, so hieß das damals (und auch heute noch).

Früher Morgen des 1. Mai. Ich komme auf den Platz. Da stehen die Maschinchen stumm in einer Reihe. Alle zugedeckt mit Planen. Schnüre herum. Die Wache übergibt mir. Damit war für mich gewiß, kein Hase oder anderes Untier hätte sich den Flugmaschinen des nachts unbemerkt nähern können. Ich schlage die Planen zurück. Flugzeug für Flugzeug. Untersuche alle Siegel mit ganz besonderer Sorgfalt auf irgendwelche Veränderungen. Alles okay, wie man heute sagt. Auch an meiner Maschine. Im gleichen Moment trifft mich der Schlag. Es ist beschädigt! Ausgerechnet an meiner mir zugeteilten Maschine. Nicht aufgebrochen, aber leicht lädiert. Wie denn das? Was machste jetzt? Sagste was oder sagste nichts? Keiner konnte doch ran an die Maschinen. Ergo weiß es niemand. Nur ich. Ich alleine muß nun entscheiden, was zu tun ist. Schrecksekunden. Unfassbar der Aufwand bei der Untersuchung des „Falles“. Und ein Verdacht würde aufkommen – gegen wen? Ich genoss zwar großes Vertrauen, aber weiß man, wie die Leute von der Staatssicherheit, in der Armee Verwaltung 2000 bzw. VO (Verbindungsoffiziere) genannt, reagieren würden? Da höre ich hinter mir Schritte. So hat mein Herz noch nie geschlagen, auch nicht in großen Flughöhen. „Na, Genosse Lange, alles in Ordnung?“ Der kam wie gerufen – der Genosse K. von der Staatssicherheit. Ohne noch zu überlegen antwortete ich: „Ja, richtig übernommen, nichts beschädigt, nichts kaputt.“


K. nickte. Wir kannten uns schon lange. Er war immer freundlich, zuvorkommend, warmherzig. Ich muß allerdings an dieser Stelle gestehen, mir war das am Anfang der Armeezeit überhaupt nicht bekannt, dass in den Einheiten, Geschwadern usw. Vertreter des Ministeriums für Staatssicherheit fungierten. Das war und ist für mich auch heute kein Thema. Wer seinen Staat nicht zu schützen weiß, auch mit geheimen Abwehrmitteln, der verdient nicht, über sich selbst hinauszuwachsen, Höhe zu gewinnen. Aber der Vorfall auf dem Flugplatz in Klotzsche gab mir lange Zeit zu denken: Wodurch und durch wen war das Siegel beschädigt worden? Ein Fremdkörper? Aber was? Oder war das ganze eine kleine Falle, ein Trick, um meine Haltung zu so einem Vorkommnis zu überprüfen? Ich konnte mir keinen Reim darauf machen und stehe auch heute noch vor einem Rätsel. Jedenfalls hatte ich ab sofort bei Kontrollen lieber dreimal hingeguckt.