Samstag, 31. Oktober 2015

Die Illusion vom Wandel des Kapitalismus

Transformationstheorie:




Kri­tik der “Transformations-​Theorie”
 


Geschrieben von Pablo Graub­ner — https://​the​o​riepraxis​.word​press​.com Haup­tkat­e­gorie: The­o­rie    Kat­e­gorie: Strate­gie und Tak­tik     Veröf­fentlicht: 31. Okto­ber 2015  Zugriffe: 50
transformationsstrategieIsolierung der Monopolbourgeoisie


Michael Brie, Mario Can­deias und Dieter Klein vertei­di­gen das Konzept der »dop­pel­ten Trans­for­ma­tion« als Beitrag zur »rev­o­lu­tionären Realpoli­tik« (siehe jW-​Thema vom 15.9.2015). Darin benen­nen die drei Wis­senschaftler des Insti­tuts für Gesellschaft­s­analyse der Rosa-​Luxemburg-​Stiftung fünf Dif­feren­zen zwis­chen ihnen und ihren Kri­tik­ern, die zwar Anhalt­spunkte dafür liefern, worum es bei der Auseinan­der­set­zung mit den Begrif­fen »dop­pelte Trans­for­ma­tion« und »rev­o­lu­tionäre Realpoli­tik« geht. Sie ver­mei­den jedoch, die eigentliche Haupt­frage her­auszuar­beiten: Worin besteht der Unter­schied zwis­chen der Strate­gie kom­mu­nis­tis­cher Parteien und dem Konzept der »dop­pel­ten Trans­for­ma­tion«? Diese Frage ist deshalb von beson­derer Rel­e­vanz, weil »rev­o­lu­tionäre Realpoli­tik« aus­drück­lich als Nega­tion kom­mu­nis­tis­cher Reformkämpfe und »dop­pelte Trans­for­ma­tion« aus­drück­lich als Absage an eine kom­mu­nis­tis­che Strate­gie begrif­fen werden.

Im fol­gen­den wird daher die Notwendigkeit einer anti­mo­nop­o­lis­tis­chen Strate­gie begrün­det, wie sie für kom­mu­nis­tis­che Parteien maßge­blich ist. Die hier vertretene These lautet: Jeder Ver­such, eine neolib­erale Poli­tik zu bekämpfen, ohne zugle­ich das anti­mo­nop­o­lis­tis­che Lager zu stärken, scheit­ert am Herrschafts– und Gewaltver­hält­nis des mod­er­nen Kap­i­tal­is­mus, scheit­ert an der Macht der Monopolbourgeoisie.

»Große« und »kleine« Trans­for­ma­tion
Im Kern wird bei einer Tran­for­ma­tion von einem möglichen inneren Wan­del der kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft unter Beibehal­tung der beste­hen­den Pro­duk­tions– und Eigen­tumsver­hält­nisse aus­ge­gan­gen. Ein Gedanke, der bere­its in der Ver­gan­gen­heit in unter­schiedlichen Vari­anten geäußert wurde. Die marx­is­tis­chen Ökonomen Jörg Huff­schmid und Heinz Jung waren im Jahr 1988 die Urhe­ber der »Refor­mal­ter­na­tive«. Die DKP sollte darauf ori­en­tiert wer­den, unter Fortbe­stand der staatsmo­nop­o­lis­tis­chen Pro­duk­tions– und Eigen­tumsver­hält­nisse den Kap­i­tal­is­mus in »eine andere Entwick­lungsvari­ante des staatsmo­nop­o­lis­tis­chen Kap­i­tal­is­mus« zu über­führen und damit einen zivilen, refor­mof­fe­nen und frieden­sori­en­tierten Kap­i­tal­is­mus durchzusetzen.¹ Erk­lärtes Ziel der Autoren war, »die anti­mo­nop­o­lis­tis­che Ori­en­tierung, wie sie für die marx­is­tis­che Strate­gie in der Ver­gan­gen­heit bes­tim­mend war, in den Hin­ter­grund« treten zu lassen.² Einen analo­gen Vor­gang gab es auch in der dama­li­gen SED-​PDS.

Der heutige Ansatz der »dop­pel­ten Trans­for­ma­tion« nach Brie, Can­deias und Klein trägt diesen Grundgedanken ebenso in sich. Sie gehen davon aus, dass das neolib­erale und finanz­do­minierte »Akku­mu­la­tion­sregime« in vielfältiger Weise in eine Krise ger­aten ist. Die »mul­ti­ple Krise« bet­rifft die Finanzwelt und die Wirtschaft, sie ist sozial-​ökologisch und erstreckt sich ebenso auf das Zusam­men­leben in einer Demokratie. Sofern diese Krise die Fun­da­mente des gegen­wär­ti­gen »Akku­mu­la­tion­sregimes« bedro­hen, so schreiben Brie, Can­deias und Klein, kön­nen diese auch Anknüp­fungspunkte für linke Poli­tik sein: »Dif­feren­zierungs– und Lern­prozesse (kön­nen) Teile der Machteliten in der Auseinan­der­set­zung mit den kon­ser­v­a­tiven Frak­tio­nen im Macht­block zu pro­gres­siven Trans­for­ma­tio­nen nöti­gen«, die von Linken befördert und für beträchtliche Verän­derung­sprozesse genutzt wer­den müssten.

Die drei entlehnen ihre Idee von der Abfolge rel­a­tiv sta­biler Phasen (»Akku­mu­la­tion­sregimes«) inner­halb der Entwick­lung des Kap­i­tal­is­mus der Reg­u­la­tion­s­the­o­rie, einer let­ztlich auf den franzö­sis­chen Philosophen Louis Althusser (siehe jW-​Thema vom 22.10.2015) zurück­ge­hen­den Idee aus den 70er Jahren. Dem­nach sind der Kap­i­tal­is­mus freier Konkur­renz, der Monopolka­p­i­tal­is­mus, der sozial­staatlich reg­ulierte Kap­i­tal­is­mus (»Fordis­mus«) und der neolib­erale Kap­i­tal­is­mus For­men bürgerlich-​kapitalistischer Gesellschaften in Europa. The­o­retisch kann es Kap­i­tal­is­men unter­schiedlich­ster Form geben, die ineinan­der überge­hen, sich trans­formieren. Der Über­gang zu einer sozial­is­tis­chen Gesellschaft wäre dem­nach eine »große Trans­for­ma­tion«, die nach Ansicht von Dieter Klein »eher mit einer ›kleinen‹ Trans­for­ma­tion, das heißt mit einer Trans­for­ma­tion im Rah­men des Kap­i­tal­is­mus« begin­nen wird.³

Pro­duk­tionsver­hält­nis Monopol
Das Prob­lem bei diesem Herange­hen – eine innere Trans­for­ma­tion des Kap­i­tal­is­mus unter Beibehal­tung der Pro­duk­tionsver­hält­nisse – ist nicht, dass es keine rel­a­tiv sta­bilen Phasen inner­halb kap­i­tal­is­tis­cher Entwick­lung gäbe. Es besteht vielmehr darin, dass das bes­tim­mende Pro­duk­tionsver­hält­nis aus dem Blick gerät, das den heuti­gen Kap­i­tal­is­mus seit Ende des 19. Jahrhun­derts über alle rel­a­tiv sta­bilen Phasen hin­weg struk­turi­ert: das Monopol.

Worin besteht der Unter­schied zwis­chen Pro­duk­tionsver­hält­nis­sen und diesen als Akku­mu­la­tion­sregimes beze­ich­neten Phasen des Kap­i­tal­is­mus? Let­zteres, so zitiert Dieter Klein den franzö­sis­chen Reg­u­la­tion­s­the­o­retiker Alain Lip­i­etz, »ist ein Modus sys­tem­a­tis­cher Verteilung und Real­loka­tion des gesellschaftlichen Pro­duk­tes, der über eine län­gere Peri­ode hin­weg ein bes­timmtes Entsprechungsver­hält­nis zwis­chen Verän­derun­gen der Pro­duk­tions­be­din­gun­gen (dem Vol­u­men des einge­set­zten Kap­i­tals, der Dis­tri­b­u­tion zwis­chen den Branchen und den Pro­duk­tion­snor­men) und den Verän­derun­gen in den Bedin­gun­gen des End­ver­brauches (Kon­sum­nor­men der Lohn­ab­hängi­gen und anderer sozialer Klassen, Kollek­ti­vaus­gaben usw. …) herstellt«.⁴ Ein Akku­mu­la­tion­sregime ist fol­glich – vere­in­facht aus­ge­drückt – ein rel­a­tiv sta­biles Gle­ichgewicht zwis­chen Organ­i­sa­tion der Pro­duk­tion und den Bedin­gun­gen der Kon­sump­tion. Ein Akku­mu­la­tion­sregime und die poli­tis­chen Insti­tu­tio­nen, die es stützen, bes­tim­men zusam­mengenom­men die hege­mo­ni­ale Struk­tur der kap­i­tal­is­tis­chen Gesellschaft, also die Herrschaftsform.

Ist hier nicht der Marxsche Gedanke von der ökonomis­chen Struk­tur der Gesellschaft erfasst, von der »Pro­duk­tion­sweise des materiellen Lebens«, die »den sozialen, poli­tis­chen und geisti­gen Leben­sprozess über­haupt« bed­ingt? Dem ist nicht so. Für Marx ist der Begriff »Pro­duk­tionsver­hält­nisse« zen­tral, also »bes­timmte, notwendige, von ihrem Willen unab­hängige Ver­hält­nisse« zwis­chen Men­schen, Ver­hält­nisse, die einer bes­timmten Entwick­lungsstufe der materiellen Pro­duk­tivkräfte entsprechen.⁵ Der Begriff bezieht sich nicht in erster Linie auf die stof­flichen Eigen­schaften der Pro­duk­tion, das Ver­hält­nis zwis­chen Branchen, die Kon­sump­tions­for­men usw., son­dern umfasst Eigen­tums– und grundle­gende gesellschaftliche Ver­hält­nisse wie das Kap­i­talver­hält­nis (die Beziehung zwis­chen Kap­i­tal und Arbeit). Herrschaft, Macht, auch Herrschafts­for­men im Kap­i­tal­is­mus sind nach Marx an Pro­duk­tions– und Eigen­tumsver­hält­nisse gebun­den. Und im monop­o­lis­tis­chen Sta­dium des Kap­i­tal­is­mus ist das Monopol das dominierende Herrschafts– und Gewaltverhältnis.

Ist diese Struk­turierung nicht viel zu grob für die heutige Zeit? Was sagen die Pro­duk­tions– und Eigen­tumsver­hält­nisse über die neolib­erale Poli­tik aus, gegen die sich ver­schieden­ste Kräfte in Europa stem­men? Der Neolib­er­al­is­mus ist eine Poli­tik und Ide­olo­gie, die die aggres­siven Erfordernisse eines krisen­haften Sta­di­ums der Kap­i­talver­w­er­tung aus­drückt. Sie recht­fer­tigt alle Meth­o­den, die Prof­i­traten der Mono­pole auf Kosten der ganzen Gesellschaft anzuheben. Ein­er­seits durch Prof­i­traten­sub­ven­tion­ierung, etwa durch Gewinns­teuersenkun­gen und Pri­vatisierun­gen. Ander­er­seits durch Verbesserung der Ver­w­er­tungs­be­din­gun­gen: Die Mono­pole sind an einem sink­enden Wert der Ware Arbeit­skraft inter­essiert, fol­glich fordert der Neolib­er­al­is­mus die Aufhe­bung jeder Ein­schränkung der Konkur­renz unter Lohn­ab­hängi­gen, die Zer­schla­gung von Gew­erkschaften und die Abschaf­fung des soge­nan­nten Wohlfahrtsstaats. Diese Rück­sicht­slosigkeit im Inter­esse der Mono­pole drückt sich auch in anderen Poli­tik­feldern, ins­beson­dere in der Gestal­tung des poli­tis­chen Sys­tems, der demokratis­chen Teil­habe und in der Außen­poli­tik aus: Es existiert ein bona­partis­tis­che Züge tra­gen­des poli­tis­ches Sys­tem, ver­bun­den mit einem zen­tral­isierten Staat­sap­pa­rat mit aufgerüsteten Repres­sion­sor­ga­nen und einer zunehmend aggres­siver wer­den­den Außenpolitik.

Die Liste ließe sich fort­führen. Ihre Quin­tes­senz läuft jedoch darauf hin­aus: Neolib­erale Poli­tik ist nicht ein­fach nur eine von vie­len möglichen Poli­tik­for­men im Kap­i­tal­is­mus; sie ist auch nicht in erster Linie eine hege­mo­ni­ale Struk­tur, die sich aus einem spez­i­fis­chen Akku­mu­la­tion­sregime ergibt. Nein, die Grund­lage neolib­eraler Poli­tik besteht im Monopol als Produktions-​, Herrschafts– und Gewaltver­hält­nis, zu deutsch: Das, was heute als »neolib­eraler Kap­i­tal­is­mus« beze­ich­net wird, besteht im Inter­esse der heuti­gen, »mod­er­nen« Monopolbourgeoisie.

»Eine neue linke For­ma­tion«
Brie, Can­deias und Klein ver­ste­hen ihre »dop­pelte Trans­for­ma­tion« als eine »Aufhe­bung« schein­barer Gegen­sätze, als »Aufhe­bung« von Reform und Rev­o­lu­tion. Die Begrif­flichkeit ist zwar der Revi­sion­is­mus­de­batte zwis­chen Eduard Bern­stein und Rosa Lux­em­burg entlehnt, den­noch geht es in den Dar­legun­gen der Autoren weniger um die Dialek­tik von Reform und Rev­o­lu­tion, wie sie immer wieder disku­tiert wurde und wird. Es geht um etwas anderes. »Trans­for­ma­tion« ist weniger ein in sich geschlossenes the­o­retis­ches Konzept als eine Art dop­pelte Absage an »ortho­doxe sozialdemokratis­che wie kom­mu­nis­tis­che Ori­en­tierung«, wie Michael Brie schreibt.⁶

Was sagt das über den Charak­ter der Strate­gie der »dop­pel­ten Trans­for­ma­tion« aus? Es ist eine poli­tis­che Orts­bes­tim­mung, also eine Angabe darüber, welchen poli­tis­chen Raum man einzunehmen gedenkt. Denn die neolib­erale Poli­tik hat die reformistis­che Strö­mung inner­halb der Arbeit­erk­lasse – die sich in der SPD und in Teilen der Gew­erkschaft wiederfindet und die eine Har­mon­isierung der Inter­essen von Kap­i­tal und Arbeit zum Ziel hat – in eine Krise gestürzt. Ein­er­seits muss diese Strö­mung ihre inte­gra­tive Wirkung angesichts einer aggres­siven Poli­tik im Inter­esse des Monopolka­p­i­tals in der Arbeit­erk­lasse ent­fal­ten, wenn sie weiter ein Exis­ten­zrecht genießen will – wie die Poli­tik der Regierun­gen von Anthony Blair in Großbri­tan­nien und Ger­hard Schröder in der BRD. Ander­er­seits steht diese Poli­tik der Vertreter des Reformis­mus im krassen Wider­spruch zu den Inter­essen ihrer Stammwäh­ler­schaft bzw. zur Basis ihrer Parteien, so dass Teile davon herausbrechen.

Die kom­mu­nis­tis­chen Parteien haben die Krise der klas­sis­chen Sozialdemokratie nicht zu nutzen ver­mocht, im wesentlichen aus zwei Grün­den. Nach dem Ende des Sozial­is­mus in Osteu­ropa haben sich zwar einige Parteien kon­so­li­diert. Aber der implo­sion­sar­tige Ver­lust an Ori­en­tierung, Organ­i­sa­tion­skraft und Per­spek­tive, der mit der his­torischen Nieder­lage von 1989⁄91 ein­herg­ing, wirkt in der kom­mu­nis­tis­chen Bewe­gung immer noch nach. Ferner geht die Krise der klas­sis­chen Sozialdemokratie nur in begren­ztem Maße mit einem Auf­schwung von Klassenkämpfen ein­her. Sozial­part­ner­schaft und Stan­dort­na­tion­al­is­mus – die ide­ol­o­gis­che Basis des Reformis­mus – sind in der Arbeit­erk­lasse nach wie vor vorherrschend.

In dieser Sit­u­a­tion zielt die Strate­gie der drei Stiftungswis­senschaftler auf die ent­standene Lücke. Michael Brie: »Die bish­erige Strate­gie (…) der Mehrheit der europäis­chen Sozialdemokratie, eine neolib­erale Wirtschaftsstrate­gie und eine des Umbaus der sozialen Sys­teme mit linker Rhetorik zu verbinden, (…) ist gesellschaft­spoli­tisch zum Scheit­ern verurteilt.« Statt dessen gebe es Poten­tial für »eine neue linke For­ma­tion, teils durch Trans­for­ma­tion ›alter‹, teils durch Bil­dung neuer Akteure. (…) Es wäre eine Auf­gabe, die immer die Schaf­fung einer neuen bre­iten Linken, eine linke Hege­monie über die Mitte der Gesellschaft und ein zukün­ftiges poli­tisch regierungs­fähiges Mitte-​Links-​Bündnis im Auge hat.«⁷

Diese Auf­fas­sung wird nicht allein vom Reform­flügel in Die Linke in Deutsch­land geteilt, son­dern ist ein inter­na­tionales Phänomen. Inner­halb EU-​Europas besteht mit der Europäis­chen Linkspartei (ELP), ein »Bünd­nis ›trans­formieren­der‹ linker Parteien« (Michael Brie). Die griechis­che Partei Synaspis­mos etwa – bis zu ihrem Aufge­hen in ihrer Nach­fol­gerin Syriza poli­tis­che Heimat von Alexis Tsipras – war ELP-​Gründungsmitglied. »Synaspis­mos« war von 1989 bis 1991 der Name eines Wahlbünd­nisses der Kom­mu­nis­tis­chen Partei Griechen­lands (KKE) mit anderen linken Kräften. Die dama­li­gen »Erneuerer« in der KKE machten sich Hoff­nun­gen, ent­täuschte Wäh­ler von der regieren­den sozialdemokratis­chen Pasok übernehmen zu kön­nen. Sie ver­suchten, das Wahlbünd­nis inklu­sive der KP in eine linke Wahlpartei zu trans­formieren, dem ent­zog sich die KKE allerdings.

Die Krise der sozialdemokratis­chen Pasok war zum dama­li­gen Zeit­punkt noch nicht voll aus­geprägt. Erst die Ent­täuschung ihrer Wäh­ler und Mit­glieder über ihre rig­orose Kürzungspoli­tik und die Umset­zung der Troika-​Auflagen in den Jahren 2009 bis 2012 spülte einen großen Teil der Wäh­ler­schaft und der Aktiven der Sozialdemokraten in die Rei­hen von Syriza und machte Pasok zu einer Splitterpartei.

Alle nicht­mo­nop­o­lis­tis­chen Schichten
Der grund­sät­zliche Unter­schied zwis­chen dem – in vielfälti­gen Vari­anten angestrebten – »Mitte-links«-Wahlbündnis und einer anti­mo­nop­o­lis­tis­chen Strate­gie besteht nicht in erster Linie aus dem Gegen­satz von Fun­da­men­talop­po­si­tion und Regierungs­beteili­gun­gen. Eine Koali­tion­sregierung kann unter ganz bes­timmten Umstän­den die Form sein, in der ein anti­mo­nop­o­lis­tis­ches Bünd­nis zusam­me­nar­beitet. Es geht bei dieser Frage nicht um einen kün­stlichen Gegen­satz, son­dern um die Dialek­tik von Form und Inhalt: Koali­tion­sregierun­gen kön­nen das Ergeb­nis eines verän­derten Kräftev­er­hält­nisses zwis­chen Monopol­bour­geoisie ein­er­seits sowie ander­er­seits einer organ­isierten und kampf­bere­iten Arbeit­erk­lasse und anderen nicht­mo­nop­o­lis­tis­chen Schichten sein. Diese Ver­schiebung des Kräftev­er­hält­nisses kann aber keines­falls durch eine »regierungs­fähige«, also durch eine wahlar­ith­metisch mögliche »Mitte-links«-Regierung abgekürzt werden.

In einem gewis­sen Rah­men ist das den Akteuren in der Debatte um »Crossover« und »Rot-​Rot-​Grün« auch bewusst. Tom Strohschnei­der, Chefredak­teur des Neuen Deutsch­lands, etwa spricht von der »Kon­trapro­duk­tiv­ität von Mitte-​links-​Regierungen« – nicht nur in Deutsch­land, son­dern auch in Por­tu­gal, Frankre­ich, Ital­ien, Spanien und Norwegen.⁸ Die Antwort besteht in einem über­triebe­nen Prag­ma­tismus, nach dem Motto: Wenn man an einer »Mitte-links«-Regierung nichts Gutes finden kann, dann muss man sich eben einer Lupe bedi­enen. Die-​Linke-​Kovorsitzende Katja Kip­ping treibt dieses Herange­hen bei der Bew­er­tung der Poli­tik von Tsipras auf die Spitze: Immer­hin habe die griechis­che Regierung wenig­stens kurzzeitig »eine Gegen­macht in Europa auf­blitzen lassen«. Das sei zwar nicht alles, sei aber auch »nicht Nichts«,⁹ beruft sie sich auf Hegel, der damit aus­drücken wollte, dass selbst in einem voraus­set­zungslosen Anfang nicht das reine Nichts steckt, son­dern ein Nichts, von dem ein Anfang aus­geht. Man kann es auch so aus­drücken: Wenn der Erfolg selbst mit der Lupe nicht mehr sicht­bar ist, hilft nur noch zur Meta­physik degradierte Philosophie.

Die Hoff­nun­gen auf eine Europäis­che Union ohne eine neolib­erale Poli­tik sind in Griechen­land an der­Ma­cht ins­beson­dere des deutschen Monopolka­p­i­tals zer­schellt. Es rächt sich nun, dass die Syriza-​Partei und ihre Vor­läuferin seit jeher die EU als ein neu­trales Feld des demokratis­chen Kampfs ver­standen haben, anstatt die Machtver­hält­nisse zwis­chen impe­ri­al­is­tis­chen Staaten ins Zen­trum ihrer Strate­gieen­twick­lung zu stellen. Ein fataler Fehler aller Trans­for­ma­tion­s­the­o­retiker, nicht nur in Griechen­land. Auch in den Rei­hen der Partei Die Linke klin­gen noch die fatalen Sätze von André Brie nach, dem ehe­ma­li­gen Europaab­ge­ord­neten und Pro­gram­mau­tor der PDS: Keine poli­tis­che Kraft könne »proeu­ropäis­cher sein als die Linke«, zu deutsch: Man wolle die EU-​Integration »aktiv und konkret« unterstützen.¹⁰

Inzwis­chen setzt Tsipras die Poli­tik der Mem­o­ran­den und damit die der sozialdemokratis­chen Pasok fort, deren Rolle Syriza über­nom­men hat. Mit ihr ver­fügt diese Poli­tik heute de facto wieder über eine sta­bile par­la­men­tarische Mehrheit. Die Trans­for­ma­tion­sstrate­gie ist aber nicht auf­grund indi­vidu­ellen Ver­rats gescheit­ert. Es geht um etwas viel Grund­sät­zlicheres: Jeder Ver­such, eine neolib­erale Poli­tik zu bekämpfen, ohne zugle­ich das anti­mo­nop­o­lis­tis­che Lager zu stärken, muss an der Macht der Monopol­bour­geoisie scheitern.

Eine sozial­is­tis­che Bewe­gung muss sich daher der schwieri­gen Auf­gabe stellen, nicht nur die Zer­split­terung der Arbeit­erk­lasse in Arbeit­slose, Prekäre, Stamm­belegschaften usw. zu über­winden sowie Stan­dort­na­tion­al­is­mus und den Glauben an Sozial­part­ner­schaft zurück­zu­drän­gen. Sie muss auch weit­ere nicht­mo­nop­o­lis­tis­che Schichten für die Vertei­di­gung und Erweiterung noch beste­hen­der demokratis­cher und sozialer Errun­gen­schaften gewin­nen, so dass das Monopolka­p­i­tal isoliert und ein Weg zum Sozial­is­mus geöffnet wer­den kann.

Zur Lösung dieser Auf­gabe sind Erfahrun­gen in den kom­mu­nis­tis­chen Parteien bewahrt und the­o­retisch ver­all­ge­mein­ert wor­den. Ihre Destruk­tion in Linksparteien ging daher dort, wo sie gelang, mit einem her­ben Ver­lust an the­o­retis­chem und prak­tis­chem Wis­sen für die anti­mo­nop­o­lis­tis­che Bewe­gung ein­her. In der DKP kon­nte dieses Bestreben – mit Hilfe einer kri­tis­chen Debatte um die »Poli­tis­chen The­sen« des ehe­ma­li­gen Sekre­tari­ats um Heinz Stehr und Leo Mayer – gewen­det wer­den: Hin zu einer Befas­sung mit der Frage, wie eine zeit­gemäße anti­mo­nop­o­lis­tis­che Strate­gie mit Leben gefüllt wer­den kann. Denn kom­mu­nis­tis­che Poli­tik darf sich nicht auf die Ent­larvung der Trans­for­ma­tion­sstrate­gie reduzieren. Sie muss immer mit einem Ange­bot ein­herge­hen: dem Ange­bot zum gemein­samen Kampf gegen das Monopolka­p­i­tal, über alle weltan­schaulichen Gren­zen hinweg.

Anmerkun­gen

1 In: Marx­is­tis­che Blät­ter, Heft 10/​1988, S. 60

2 Arbeits­ma­te­ri­alien des IMSF, Heft 28: Jörg Huffschmid/​Heinz Jung, Refor­mal­ter­na­tive. Ein marx­is­tis­ches Plä­doyer. Frank­furt am Main 1988, S. 152 f.

3 Dieter Klein: Das Mor­gen tanzt im Heute. Trans­for­ma­tion im Kap­i­tal­is­mus und über ihn hin­aus. Ham­burg 2013, S. 22 und S. 13

4 Alain Lip­i­etz: Akku­mu­la­tion, Krisen und Auswege aus der Krise. in: Prokla, Heft 58/​1985, S. 120

5 Karl Marx: Zur Kri­tik der Poli­tis­chen Ökonomie, in: Marx-​Engels-​Werke, Band 13, S. 8 f.

6 Michael Brie: Ele­mente einer sozial­is­tis­chen Trans­for­ma­tion­skonzep­tion, in: Trans­form!, Heft 12 – 13⁄2013

7 Ebd., S. 90 und 96

8 Tom Strohschnei­der: Linke Mehrheit? Über Rot-​Rot-​Grün, poli­tis­che Bünd­nisse und Hege­monie. Ham­burg 2014, S. 46

9 http://​www​.katja​-kip​ping​.de/​d​e​/​a​r​t​i​c​l​e​/​9​5​6​.​e​u​r​o​ p​a​-​r​e​v​o​l​u​t​i​o​n​i​e​r​e​n​.​h​t​m​l (Zugriff am 14.10.2015)

10 André Brie: The­sen für die EU-​Konferenz der GUE/​NGL und der Rosa-​Luxemburg-​Stiftung am 10./11.3.2007, S. 2 f.

über­nom­men mit fre­undlicher Genehmi­gung aus der marx­is­tis­chen Tageszeitung junge Welt vom 23.10.2015

https://​the​o​riepraxis​.word​press​.com/​2​0​1​5​/​1​0​/​2​6​/​k​r​i​t ​i​k​-​d​e​r​-​t​r​a​n​s​f​o​r​m​a​t​i​o​n​s​-​t​h​e​o​r​i​e​/




Freitag, 30. Oktober 2015

Unausrottbare Naivität

Entnommen: http://www.rotfuchs.net/buecherschau-lesen/gefaehrliche-illusionen-die-transformationspolitik-in-der-kritik.html


Gefährliche Illusionen – 

Die Transformationspolitik in der Kritik


von RF-Online-Redaktion – 29. Oktober 2015
Es ist das Verdienst der beiden Buchautoren Klaus Blessing und Matthias Werner, dass sie das Thema Transformation in den Fokus der politischen Auseinandersetzung gestellt haben.
Schon vor über 100 Jahren fasste in der SPD die Vorstellung Fuß, man werde friedlich vom Kapitalismus in den Sozialismus hinüberwachsen. Wie weiland in der Bibel aus dem Saulus ein Paulus wurde, so ließe sich auch Finanzkapital und Großbourgeoisie läutern. Es gibt in der Weltgeschichte viele Belege dafür, dass bei einem demokratischen Regierungswechsel, bei dem auch die Machtfrage gestellt wurde, die tatsächlichen Machthaber dies nicht hinnahmen und freiwillig abtraten. Sie schlugen zurück und verteidigten ihre Macht. Man denke an Spanien 1936, an Chile 1973 oder an Griechenland 2015.
Dennoch scheint diese naive Vorstellung unausrottbar. Und manche meinen gar, wenn diese Idee von der angeblich friedlichen Transformation einer in die andere Gesellschaft denn aktiv verbreitet werde, dies absichtsvoll zur Lähmung des revolutionären Elans geschehe. Dagegen müsse man sich aktiv und mit Argumenten zur Wehr setzen.
Am 20. Juni 2015 fand deshalb in Berlin eine wissenschaftlich-kritische Konferenz des Ostdeutschen Kuratoriums von Verbänden (OKV) statt: »Das OKV diskutiert« zum Thema »Kann man in den Sozialismus hinein tanzen? - Der Einfluss der Transformationstheorie auf linke Politik«. Der vorliegende Band vereint die Diskussionsbeiträge von Edeltraud Felfe, Herbert Graf, Ekkehard Lieberam, Herbert Meißner, Hans Modrow und anderen.
Wie ein roter Faden zieht sich durch das Buch die Ablehnung von pseudo-linker praktizierter Transformationspolitik. Bei manchem Leser werden wohl völlig neue Erkenntnisse vermittelt und bei anderen wiederum dürfte es so manchen „Aha-Effekt“ geben, weil sie Vergleichbares in ihrem Umfeld selbst erleben.
Dieses Buch ist aber mehr als nur die bloße Wiedergabe einer sehr regen Podiumsdiskussion, da es viel tiefer in diese schwierige Materie eindringt.
Den Autoren sei gedankt, weil hier in verständlicher Art, nicht nur für politisch Interessierte, ein Nachschlagewerk entstanden ist, sondern weil vor allem Anregungen zum Nachdenken und Handeln vermittelt werden.
Einziges Manko dieses Buches ist die fehlende sachliche Auseinandersetzung mit den Vertretern der Transformationstheorie, die leider trotz Einladung der Organisatoren zur besagten Podiumsdiskussion nicht reagierten und es bisher vorgezogen haben, in teilweise diffamierender Art und Weise in verschiedenen Medien zu dieser Thematik Stellung zu beziehen.
Dieses Buch erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit aller zu behandelnden Themen und Sichtweisen. Es ist aber umso wertvoller, weil es neben den vielfach dargelegten Argumenten die so dringend notwendigen Impulse gibt, über den Weg zur Überwindung dieser kapitalistischen Gesellschaftsordnung nachzudenken. Die Zeit dazu ist auf Grund der großen Kriegsgefahr  und der nicht gelösten sozialen Probleme mehr als reif.
Klaus Blessing, Matthias Werner (Hrsg.):
Gefährliche Illusionen
Die Transformationspolitik in der Kritik
Verlag am Park, Berlin 2015
196 S., brosch.
ISBN 978-3-945187-37-1
12,99 Euro

Kommentar von Hanna Fleiss:
 

Lieber Harry,

ich weiß nicht, ob das Dein eigener oder der Titel des "Rotfuchs" ist, aber er schon verrät im Zusammenhang mit der "Transformationstheorie" eine ziemliche Prise Unverständnis dessen, worum es sich handelt.

Die "Transformationstheorie" ist ein Rückgriff auf Bernsteins und Kautskys Revisionismus des Marxismus und will uns klarmachen, dass wir den Kapitalismus auch ohne Revolution, durch Reformen und bürgerlichen Parlamentarismus besiegen können. Dass dies Traumtänzerei par excellence ist, dürfte einsichtig sein. Die "Transformationstheorie" wird von der Partei Die Linke zwecks noch mehr Kapitalismus-Kompatibilität, das heißt, das Mitregieren in einer bürgerlichen Koalition, benötigt. Womit alle Zweifel über den Charakter der Partei Die Linke ausgeräumt sein sollten. 

Was hält dich ab, dies auch so deutlich und unmissverständlich zu schreiben?

Lieben Gruß, Hanna





Mittwoch, 28. Oktober 2015

ALEX: Es ist nicht mehr schön

ALEX: Es ist nicht mehr schön

Lieber Harry,
ich lese wie immer im Schreiber Blog. Nach wie vor Zustimmung:
Rainer Rupp zu Iran,Syrien u. Libanon; TTIP-Gegner, RotFüchse und mutige Aufklärer, (Du gehörst dazu!) - sie finden meinen Beifall. Und dem neuen Vorsitzenden des Fördervereins und Chefredakteur der jungen Welt Arnold Schölzel natürlich meinen Glückwunsch zu seiner Wahl.

Der Mut, gegen den Strom zu schwimmen, er richtet sich wirklich gegen das hochgejubelte ICH. Ich will Dir das nur wissen lassen , weil ich ja einige Zeit schwieg. Es ist keine Abstinenz gegenüber den uns bewegenden Sorgen, besonders gesundheitiche. Sie erfordern Zurückhaltunmg und nehmen mir viel Zeit.

Als Ur-Plauener Kind bewegt mich gegenwärtig eine neue Form „demokratischen Aufbegehrens“ in Gestalt sonntäglicher Demos - bisher sechs an der Zahl - unter dem Motto „WIR SIND DEUTSCHLAND“. Immer sonntags auf dem Plauener Altmarkt in der Zeit zwischen 17:00 und 18:00 Uhr.

Dass mich das brennend interessiert, das kannst Du Dir ja vorstellen. Nun beanspruche ich ja nicht Lokalpatriot zu sein. Aber 1952 zog ich die Uniform an um zu helfen, dass sich Vergangenes nicht wiederholt. Ich habe ja alle Bombenangriffe auf Plauen und all das folgende Elend des Krieges als Plauener Kind erlebt. Das taten wir Jungen ja nicht nur für Plauen. Und so fühlten wir uns auch als Patrioten. Dass 1989 alles zu Ende ging und wir in eine Situation gerieten, in der wir uns nach den Willen Andersdenkender hätten in Jutesäcke kleiden sollen, das ist ein zwar trauriges, aber doch wohl erledigtes Kapitel. Das nahm ich an. Und die da riefen "Wir sind das Volk" - sie bemerken heute, sie sind ein betrogenes Volk.

Wenn ich Dir das schreibe, dann deshalb, weil ich mit vielen dieser  Menschen fühle. Nicht mit den rechtslastigen Wohlstandsbürgern. Und nicht mit Ausländerfeinden. Im Widerstreit zu den  die Bürger bewegenden Fragen in meiner Heimatstadt wollte ich mehr wissen. Was sind die Probleme? Wer wirft sie auf ? Welche Antworten? Werden in den problematischen Fragen schon indirekt die Antworten und welche impliziert ? Was hat sich gegenüber 1989/90 verändert?  Also habe ich die Scheu überwunden und mir die Videos einiger der Kundgebungen / Demos  angesehen und die Beiträge angehört. Es ist ein Vergleich zwischen damals und heute. Ich erlebte  Plauen damals hautnah. Ich erlebe es heute jeweils mit den Sonntags - Demos. Die große, bei ARD;ZDF; PHÖNIX und in den Printmedien sowie im Internet dargestellte Politik und ihre Reflexion bei den Menschen "auf der Straße", ich habe mir das einfach mal "reingezogen". Es ist kein Pegida! Es ist anders.


Allerdings kenne ich  Geldgeber. Sie waren schon 1989 aktiv. Sie haben heute mehr Geld als damals. Aber weniger erfüllte Erwartungen von der gesegneten kapitalistischen Marktwirtschaft und den großen und auch kleinen regionalen Politikern. Deshalb auch geschickter aufgezogen als Pegida. Aber auch genau nach rechts abdriftend und den enttäuschten Volkswillen benutzend. Die Organisatoren sind Unternehmer. Die Agierenden sind Enttäuschte, zum Teil "Gutmenschen"; AfD lässt auch grüßen, bissel religiös Verbrämtes gehört auch dazu, deutsch-tümelnde  Sentimentalität und bissel Heinrich - Heine (denk ich an Deutschland in der Nacht) ist auch dabei. Aber von Links kommt nix !! Außer ein geschickt - hämischer Kommentar zu einer saublöden Plakatierung der Linken gegen eine Nazi – Demo. Schweigen im Wald. Es ist nicht mehr schön.

Dienstag, 27. Oktober 2015

RotFüchse im Widerstand

RotFüchse im Widerstand

TTIP-Gegner, RotFüchse und mutige Aufklärer
Mehrfach Hoffnung 
Von Harry Popow
Kaum waren nach der grandiosen Großdemo gegen TTIP am 10. Oktober in Berlin zwei Wochen vergangen, da traf es sich, dass ein weiterer Strohhalm der Hoffnung ins Blickfeld von aufmunternden Widerständlern geriet. Es handelte sich um die 8. Mitgliederversammlung des "RotFuchs“-Fördervereins e.V.. Sie fand im Münzenberg-Saal des Bürogebäudes Franz-Mehring-Platz 1 in Berlin statt, (siehe Foto)

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"RotFuchs“-Förderverein-Mitgliederversammlung
Foto: online, Förderverein

Hatte ich in meinen persönlichen Beobachtungen am 10. Oktober besonders ein junges glückliches Ehepaar mit deren Kindern ins Auge gefasst und geschrieben, es gehe um das Leben und um nichts weiter, so erkannte ich im vollbesetzten Münzberg-Saal erfahrene und politisch versierte Mitstreiter gleicher Gesinnung. Nie wieder Krieg, Stopp den Konzernen und den Banken und den Politikern und den Medien, die sich bereits einmal wieder im Schlachtengetümmel wähnen und drauf und dran sind, die Völker in einen neuen Krieg zu treiben. 

Um nur einige wenige Stichworte aus der Rechenschaftslegung und der Diskussion zu erwähnen: Es gehe nicht darum, sich lediglich organisatorisch zusammen zu schließen, sondern darum, eine linke Gegenmacht aufzubauen – so schwer das auch angesichts der derzeitigen Übermacht des US-Kapitals im Bündnis mit dem der BRD auch fallen möge. Dazu müsse die Orientierungslosigkeit durch klare Ansagen unserer marxistischen Klassiker ersetzt werden. Die Merkel müsse den USA ob ihres ökonomischen und militärischen Schwertes der NATO die rote Karte zeigen. Rüstungsstopp und raus aus dem aggressiven Militärbündnis. Vor allem müsse die soziale Frage gelöst werden, wie soll es angehen, dass seit 1989 eine gigantische Umverteilung von unten nach oben stattgefunden hat? Demokratie sei eine Spielwiese geworden, sie wird unterdrückt unter dem Deckmantel der „Menschenrechte“, das tiefere Nachdenken über politische Vorgänge werde verspottet. Mit grinsender Häme werden auch jene bedacht, die die Idee des realen Sozialismus auf ihre Fahnen geschrieben haben, ohne Wenn und Aber. Weil das keine Frage der Nostalgie sei, sondern ein Ziel um der Zukunft willen. 

Im Gegenzug zum hochgejubelten ICH, jeder mache das Seine, müsse das WIR angestrebt werden, denn wir, die RotFüchse, seien keine Sektierer. Deshalb mehr Werbung für die auflagenstärkste marxistische Zeitschrift RotFuchs und für eine Mitgliedschaft im Förderverein. Jeder tue das ihm Gemäße - Gespräche mit Kindern, Enkelkindern und Bekannten. Der Zersplitterung dürfe man den Kampf ansagen, was nicht ohne Bildung geht. 

Jeder tue also etwas, was Sinn macht. In Gesprächen und auf Versammlungen der Regionalgruppen, eingeschlossen alle Gutwilligen. Alle!! Und wenn es nur die schriftliche Äußerung sei, ob in Briefen oder im Internet. So freut sich beispielsweise der Schreiber dieser Zeilen auf die nächste Rezension zu dem Buch „Mutige Aufklärer im digitalen Zeitalter. Carl-von-Ossietzky-Medaillen an Edward Snowden, Laura Poitras und Glenn Greenwald“. Herausgeber: Rolf Gössner. Mut gehört schon dazu, will man ernsthaft gegen den Strom schwimmen, um die miserablen kapitalistischen Schweinezustände, wie mehrmals voller Zorn treffend formuliert, Schritt um Schritt zum Erliegen zu bringen. (Glückwunsch dem neuen Vorsitzenden des Fördervereins Arnold Schölzel, dem Chefredakteur der jungen Welt) (PK)

Wer mehr über den Förderverein, sprich marxistischer Bildungsverein, lesen möchte, der klicke folgenden Link an: http://www.rotfuchs.net


Donnerstag, 22. Oktober 2015

Geostrategische Umwälzung, siehe junge Welt

Geostrategische Umwälzung

Russlands Intervention gegen den »Islamischen Staat« weist die USA in die Schranken. Moskau festigt Bündnis zwischen Iran, Syrien und Libanon

Von Rainer Rupp
Russlands Präsident Wladimir Putin und sein US-Amtskollege Barac
Russlands Präsident Wladimir Putin und sein US-Amtskollege Barack Obama beim Pressetermin in der UN-Zentrale in New York (28. September 2015)

»Verliebt in Putin«

Aus außenpolitischer Perspektive gibt es kaum einen größeren Erfolg, als vor den Augen der Weltöffentlichkeit die unglaublichen Fehler, die bodenlose Inkompetenz, die hartnäckige Resistenz gegen jegliche Vernunft und nicht zuletzt die scheinheilige Verantwortungslosigkeit seiner Gegner vorzuführen und daraus zugleich einen geostrategischen Vorteil zu ziehen, der einem Paradigmenwechsel gleichkommt. Die USA und ihre westlichen Verbündeten, zusammen mit Saudi Arabien und Katar haben in Syrien und der Region all »diese Fehler mit schrecklichen Ergebnissen gemacht, mit Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen«, urteilte am Wochenende Zero Hedge, das in den USA bekannte Internetportal für Finanzanalysen. Daher sollte einem »vergeben werden, wenn man sich angesichts der jüngsten Entwicklungen ein bisschen in die Russen verliebt«, hieß es dort weiter. Denn in einem »außergewöhnlich eleganten, geopolitischen Schachzug« habe Russlands Präsident Wladimir Putin erstens die wahren Absichten der USA entlarvt, und damit auch, warum sie an einer Eliminierung des »Islamischen Staats« nicht interessiert sind. Zweitens markiere seine Politik eine triumphale Rückkehr Russlands auf die Weltbühne. Drittens habe Putin dadurch seine Beziehungen zu Teheran verstärkt – das zu einem Zeitpunkt, da Iran wieder seinen Platz als bedeutender Faktor in der Weltenergiewirtschaft einnimmt. Und viertens schließlich habe Putin sehr effektiv dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad den Rücken gestärkt und zugleich eine bedeutende russische Präsenz im Nahen Osten wiederhergestellt. »Und das alles im Zeitraum von nur drei Wochen«, konstatierte Zero Hedge mit unverhohlener Bewunderung. Die findet man derzeit auch bei anderen Analytikern im englischsprachigen Raum – nicht selten gepaart mit Häme für die Obama-Administration und die US-Falken. Das geht aufrechten Hurra-Patrioten wie dem Chefnachrichtensprecher von CNN, Fareed Zakaria, offensichtlich zu weit. Am Sonntag ist er in einem Meinungsartikel in der Washington Post unter dem Titel: »Hört mit dem Schwärmen für Putin auf!« mit all jenen ins Gericht gegangen, die die »Entschlossenheit« des russischen Präsidenten bewundern, die ihn im Nahen Osten »in den Fahrersitz« katapultiert hat. (rwr)
Hat der russische Präsident Wladimir Putin mit seiner Rede am 28. September in New York anlässlich des 70. Jahrestags der Gründung der Vereinten Nationen den Anfang vom Ende der US-Hegemonie eingeleitet? Dieser Meinung ist zumindest Paul Craig Roberts, ehemaliger Staatssekretär unter US-Präsident Ronald Reagan (1981–1989). Und damit steht er nicht allein. Auf der ganzen Welt freuen sich Kommentatoren darüber, dass endlich jemand die scheinheiligen USA auf der Weltbühne in die Schranken gewiesen hat. In den vergangenen Jahrzehnten hatte Washington immer ungezügelter und willkürlicher seine Macht ausgenutzt, um anderen Ländern, die sich nicht fügen wollten, zu schaden oder sie einzuschüchtern. Widerstand gegen den US-Willen brachte rasche Vergeltung. Im Nahen Osten und in Afrika bedeutete das wirtschaftliche Sanktionen und militärische Invasionen, die ganze Länder zerstörten.
Schon wenige Tage nach seinem wegweisenden Appell zur Respektierung des Völkerrechts und der nationalen Souveränität der Staaten, des Rechts auf eigene Entwicklung und der klaren Ansage, dass Russland keine weiteren von westlichen Sponsoren angeleitete »Farbenrevolutionen« mehr dulden wird, hat Putin in Syrien seinen Worten Taten folgen lassen: in politischer und militärischer Zusammenarbeit mit der rechtmäßigen Regierung in Damaskus und deren regulärer Armee sowie deren verbündeten Milizen, wie z.B. der im Häuserkampf erfahrenen libanesischen Hisbollah und mit irakischen und iranischen Truppen. Die Präzision und Wirkung der russischen Luftangriffe auf schwer befestigte Positionen des »Islamischen Staats« (IS), den syrischen Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front und andere, vom Westen offen unterstützte »moderate« Terrorgruppen, die Koordination von Luft- und Bodenangriffen und das reibungslose Zusammenspiel bei den gemeinsamen Operationen zur Befreiung der von Aufständischen unterschiedlichster Couleur besetzten und ausgeplünderten Gebiete hat alle verblüfft.
Noch bevor die eigentliche Bodenoffensive der syrischen Regierungsarmee und der verbündeten Kräfte begonnen hatte, erreichten drei Tage andauernde Angriffe der russischen Luftwaffe offensichtlich mehr gegen IS und Al-Qaida, als die mächtige U.S. Air Force in über einem Jahr geschafft hatte. Teilweise in chaotischer Auflösung flohen die IS- und Al-Qaida-Angehörigen zu Hunderten aus ihren Festungen.
Der »Kaiser in Washington« war mit einem Mal nackt vor den Augen der Welt. Schließlich hatten die USA dem »Islamischen Staat« zum Nimbus der Unbesiegbarkeit verholfen, weil es, so sah es aus, selbst der schier allmächtigen Luftwaffe im Laufe von 13 Monaten nicht gelungen war, dessen Vormarsch zu stoppen. Nicht nur im Irak wurde nach dem durchschlagenden Erfolg der Russen die Frage gestellt, ob die USA überhaupt ernsthaft gegen die Terrormiliz vorgehen wollten?
Bezeichnend ist die Reaktion im Westen. Wegen der überzeugenden Resultate der russischen Luftwaffe und der koordinierten Bodenoffensive der syrischen Armee und ihrer Verbündeten sehen die USA, Frankreich, Großbritannien, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad, mit dessen Ende sie schon fest gerechnet hatten, wieder gestärkt. Wütend heulen sie, Russland bombardiere ihre gemäßigten Terroristen und drohten Moskau alle möglichen Konsequenzen an. Zu deren Vollzug sind sie jedoch kaum in der Lage, wenn sie nicht noch größere Risiken eingehen wollen.
Durch die politisch-militärische Kooperation zwischen Iran und Russland, die übrigens auch von China politisch unterstützt wird, ist das Fundament für ein feste Verbindung von Teheran über Bagdad und Damaskus bis zu Beirut gelegt worden. Die geostrategischen Karten im Nahen Osten sind dadurch neu verteilt worden. Iran ist auf dem besten Weg, Saudi-Arabien als tonangebende Regionalmacht zu verdrängen. Zugleich ist Russlands Stern im Aufstieg begriffen, im Nahen Osten und darüber hinaus, während das Ansehen der USA immer mehr schwindet. Washington bleibt entweder, sich noch stärker und offener an der Seite der Terroristen einzusetzen und damit einen Krieg mit Russland zu riskieren, den die Obama-Administration jedoch nicht will. Oder die USA retten ihr Gesicht und bekämpfen an der Seite Russlands, Irans und Syriens den IS und Co.

Sonntag, 18. Oktober 2015

ALEX zu MH 17

ALEX zu MH 17

Guten Tag, lieber Harry,
    was zu diesem Thema das NVA FORUM betrifft stimme ich Dir zu. Gelaber von einigen Leuten, die die BUK - Variante als Schuldzuweisung an die Russen benutzen. Schändlich von Ehemaligen. Natürlich finden sie da Widersacher im Forum. Aber sich auf Kommunisten_online zu berufen ist unfein und wird genau so mit Nichtachtung bedacht wie die Rede Sarah Wagenknechts im Bundestag. Ich habe sie verfolgt und auch das unmögliche Verhalten der Politiker und Koalitionäre bemerkt.
Über die wahren Ursachen und Schuldigen  des Abschusses von MH 17 wird genau so Gras wachsen wie die neuen Twin Tower über das zerstörte World Trade Center. 

Das Leben und die Welt sind zur Tagesordnung übergegangen. Die EU mauert sich ein. Inzwischen werden die ersten Flüchtlinge erschossen. Die neue Völkerwanderung rollt voll von Süd nach Nord und bald von Ost nach West. Mit dem Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Kulturen, Religionen, Lebensweisen kommt es leider in zunehmendem Maße nicht nur zu Spannungen. Es wird jetzt schon ein zunehmendes Hauen und Stechen erkennbar. Aber Angie hat ja alle Deutschen hinter sich. Und die “schaffen das“. Wirklich? Und wenn sie dazu noch den Erdogan bezahlen muss... Sie hat eben bissel bei Lenin aufgepasst. Der hat ja auch sinngemäß gesagt, und wenn ´s nutzt muss man sich auch mit dem Teufel verbinden“ Die Frage ist nur, wem es nutzt... Lenin hat das ja in Bezug zum Frieden für Sowjetrussland gesagt.
Die bipolare Welt gibt's nicht mehr. Das Anwachsen des Nationalismus führt aber nicht zwanghaft wieder zur Multipolarität.  Es ist der Weg gerade zu ins nicht mehr beherrschbare Chaos. Ich bin jedenfalls stark verunsichert.

Freitag, 16. Oktober 2015

Ein Schnappschuss - zwei Welten

Ein Schnappschuss spricht Bände...

(Entnommen jW vom 16.10.2015)



Entnommen: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22146 

Rede der neuen Fraktionsvorsitzenden der LINKEN zur Flüchtlingskrise:

"Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr!"

Von Sahra Wagenknecht, MdB der LINKEN

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bundeskanzlerin! Es gibt Werte, die man mit Blick auf die großen Traditionen von der Antike bis zur Aufklärung mit gutem Grund und im besten Sinne als europäische Werte bezeichnen kann. Demokratie, Solidarität und auch Gerechtigkeit gehören dazu. Wie wenig die Europäische Union mit solchen Werten zu tun hat, zeigt sich in der Flüchtlingskrise besonders krass. Europäische Einigkeit besteht gegenwärtig eigentlich nur darin, mehr in die Abschottung der EU-Außengrenzen zu investieren - ein Konjunkturprogramm für die Stacheldrahthersteller und für die Schleusermaffia statt einer verantwortungsvollen europäischen Flüchtlingspolitik. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für Europa. 

Natürlich weiß jeder, dass die Lösung nicht darin liegt, die vielen Millionen verzweifelten Menschen, die weltweit auf der Flucht vor Krieg, vor Bürgerkrieg und vor Terror sind, in die EU oder gar nach Deutschland zu holen. Aber gerade deshalb wäre es endlich an der Zeit, über die Beseitigung von Fluchtursachen nicht nur zu reden, sondern endlich auch real etwas dafür zu tun, dass es auf dieser Welt weniger Krieg, weniger Bürgerkrieg und weniger Terror gibt. 

Sagen Sie jetzt nicht, das läge nicht in Ihrer Macht. Die Vereinigten Staaten haben ihre Öl- und Gaskriege immer mit Beteiligung europäischer Länder geführt. US-Drohnen morden mit logistischer Unterstützung aus Deutschland. Die Saudis führen ihren Krieg im Jemen unter anderem mit deutschen Waffen. Es ist doch zutiefst verlogen, über die Beseitigung von Fluchtursachen zu reden und gleichzeitig die Waffenexporte ausgerechnet nach Saudi-Arabien zu verdreifachen. So bekämpft man Fluchtursachen nicht, sondern so macht man glänzende Geschäfte mit ihnen. 
Deshalb muss ich Ihnen sagen: Solange Sie Waffenexporte in Spannungsgebiete nicht endlich verbieten, ist das ganze Gerede über die Bekämpfung von Fluchtursachen vollkommen unglaubwürdig. 

Darüber hinaus brauchen wir endlich eine eigenständige europäische Politik gegenüber den Vereinigten Staaten, gerade wenn sie sich als oberster Feldwebel dieser Welt aufspielen und bomben und töten, wo immer es ihnen passt. Ohne den Irakkrieg gäbe es den „Islamischen Staat“ nicht, der heute in Syrien wütet. Das jüngste Kriegsverbrechen in Kunduz mit 22 zivilen Toten, Ärzten und Patienten, zeigt erneut den ganzen Zynismus dieser angeblichen Antiterrorkriege. Genau diese Kriege mit ihren Tausenden zivilen Opfern sind es doch, die den Hass säen, auf dem der islamistische Terror gedeiht. 

Deshalb unterstützen wir es durchaus, dass Sie, Frau Merkel, eben noch einmal für eine politische Lösung für Syrien plädiert haben. Ich denke, es gibt keinen anderen Weg. Auch der IS, der sich in Städten mit Tausenden zivilen Einwohnern versteckt, lässt sich nicht mit Bomben stoppen, und zwar weder mit amerikanischen noch mit russischen. 
Wenn man den IS stoppen will, dann muss man ihn von Waffenlieferungen und Finanzen abschneiden. Eines der Länder, die in der Vergangenheit genau das Gegenteil getan haben und immer noch tun, die den IS also direkt und indirekt unterstützt haben, ist allerdings die Türkei, und ausgerechnet die soll jetzt unser großer Partner in der Flüchtlingskrise werden, ausgerechnet Erdogan, der sein eigenes Land durch die Aufkündigung des Friedensprozesses mit den Kurden an den Rand eines Bürgerkrieges führt. 

Wie gut die Türkei zum sicheren Drittstaat taugt, hat der furchtbare Anschlag mit über 100 Toten am letzten Wochenende gezeigt. Ich finde, es ist eine humanitäre Bankrotterklärung, mit einem Regime zu paktieren, das Journalisten, Kurden und Gewerkschafter verfolgt. 

Frau Merkel, sagen Sie deshalb Ihre Türkeireise ab. So kurz vor den Wahlen ist sie nichts anderes als direkte Wahlkampfhilfe für Erdogan. 

Natürlich ist es wichtig, dass die Lager vor Ort, in denen sich ungleich mehr Flüchtlinge aufhalten als in der gesamten EU, besser ausgestattet werden. Das erreichen wir aber doch nicht dadurch, dass wir uns für Erdogans Machtpolitik einspannen lassen, sondern indem wir Hilfsorganisationen wie die Welternährungsorganisation der UN besser ausstatten, damit sie ihre Aufgaben dort erfüllen können. 
Ich muss sagen: Sie können doch nicht im Ernst glauben, dass Sie mit einer zusätzlichen Milliarde, die die EU jetzt in Aussicht gestellt hat, die Lebensbedingungen von etwa 10 Millionen Flüchtlingen, die es derzeit in und um Syrien gibt, wirklich verbessern können. Wer so etwas erzählt, der ist doch einfach unseriös. 

Inzwischen ist davon auszugehen, dass in diesem Jahr über eine Million Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Die Willkommenskultur, die große Teile der Bevölkerung in den letzten Wochen und Monaten an den Tag gelegt haben, ist wirklich bewundernswert. Es ist jetzt aber auch langsam an der Zeit für eine Verantwortungskultur der Politik, und zwar vor allem der Bundespolitik, die damit beginnen muss, dass man sich den vorhandenen Problemen stellt, statt sie kleinzureden. 
Die hundertste Wiederholung Ihres „Wir schaffen das“, Frau Bundeskanzlerin, hilft dem Bürgermeister einer Gemeinde unter Haushaltsnotstand, der eine winterfeste Unterbringungsmöglichkeit für die Flüchtlinge braucht und schon überlegt, in welchen anderen Bereichen er dafür kürzen muss, nicht. Wir erleben zurzeit doch ein eklatantes Staatsversagen, und jetzt rächt es sich, dass die politischen Weichen in diesem Land seit vielen Jahren in die falsche Richtung gestellt wurden. 

Es ist doch nicht erst seit dem Zuzug der Flüchtlinge so, dass bezahlbarer Wohnraum gerade für diejenigen fehlt, die kein dickes Portemonnaie haben. Das ist seit vielen Jahren so. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass die Kommunen durch Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen finanziell ausgehungert wurden, sodass viele unter diesem Druck eben ihren Wohnungsbestand verkauft haben. Das ist doch eine Realität. 
Genauso ist es nicht erst seit dem Zuzug der vielen Flüchtlingskinder so, dass in diesem Land Lehrer fehlen. Schon seit vielen Jahren werden Lehrerstellen abgebaut, weil die Verkleinerung des öffentlichen Dienstes natürlich immer das leichteste Mittel ist, um im Korsett der Schuldenbremse klarzukommen. 

Einige von Ihnen reden hier von Leitkultur, aber Sie schaffen es noch nicht einmal, zu verhindern, dass wegen des Lehrermangels immer mehr Deutschstunden ausfallen und viele Kinder die Schule verlassen, ohne jemals einen Zugang zu Thomas Manns Der Zauberberg oder Goethes Faust gefunden zu haben. 

Dieses Bildungselend, die Wohnungsnot und auch den riesigen Niedriglohnsektor gab es schon, bevor die Flüchtlinge kamen, aber natürlich werden diese Probleme jetzt ins Extremste verschärft. Die Stimmen, die den ohnehin schon lückenhaften Mindestlohn weiter aufweichen wollen, werden immer lauter. Das heißt, die Zuwanderung soll jetzt auch noch für Lohndumping missbraucht werden. Ich finde das unerträglich. Das muss verhindert werden. 
Wir brauchen stattdessen dringend bessere Sicherungen gegen Lohndrückerei. Wir brauchen ein groß angelegtes öffentliches Wohnungsbauprogramm. Wir brauchen eine massive Aufstockung der Bildungsausgaben. Wer jetzt immer noch meint, dieses Problem ließe sich dadurch lösen, indem man die Budgets ein bisschen umschichtete, der hat, finde ich, den Ernst der Lage nicht begriffen. 
Natürlich können wir es schaffen. Deutschland ist ein reiches Land. Aber dann muss man eben auch den Mut haben, sich das Geld bei den Reichen zu holen und nicht bei den Armen. 
Allein die 500 reichsten Familien in Deutschland haben ein Privatvermögen in Höhe von über 600 Milliarden Euro. Die zehn reichsten Familien kassieren zusammen Dividenden in Höhe von 2,4 Milliarden Euro im Jahr. 

Aber statt solch unverschämten Reichtum höher zu besteuern, lassen Sie es zu, dass die Kosten für die Flüchtlinge als Argument dafür herhalten müssen, warum wir unsere Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas nicht ordentlich bezahlen können. Sie lassen es zu, dass Mietern in kommunalen Wohnungen gekündigt wird, um Wohnraum für Flüchtlinge zu schaffen. Wissen Sie nicht, was Sie damit anrichten? 

Frau Merkel, Sie haben mehrfach Ihre Aussage wiederholt, dass Sie Menschen in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen wollen. Aber ganz abgesehen davon, dass das freundliche Gesicht mit den geplanten Internierungslagern an der Grenze zu einer ziemlich hässlichen Grimasse zu werden droht, fragen sich auch viele: Wo war und wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber Menschen in Notsituationen hier im Land? Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber denen, die von Jobcentern gedemütigt und in miese Billiglohnjobs gedrängt werden? 

Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der alleinerziehenden Mutter, die ihre Kinder nur noch dank des Angebots der Tafeln satt bekommt? 
Wo ist Ihr freundliches Gesicht gegenüber der wachsenden Zahl von Menschen, denen nach einem langen Arbeitsleben Armut im Alter droht? 

All diese Notsituationen lassen Sie seit vielen Jahren zu - mit einem ziemlich ungerührten Gesicht. 
Ich erinnere Sie daran, wie viel Geld Sie über Nacht bereitgestellt haben, als deutsche Banken ins Taumeln gerieten. Heute taumeln in Deutschland Städte und Gemeinden, aber Sie hantieren mit Kleinbeträgen. 

Ich sage Ihnen: Wer selbst von Zukunftsangst gequält wird, der ist selten bereit, anderen mit offenen Armen eine Perspektive zu bieten. 
Nehmen Sie endlich Ihre Verantwortung wahr, statt zuzulassen, dass AfD, Pegida und Co. dort ernten gehen, wo Sie Spannungen und Überforderung gesät haben, sonst - das muss ich Ihnen sagen - wird mir angst und bange, wenn ich daran denke, wie dieses Land in ein oder zwei Jahren aussehen wird. (PK)

Sarah Wagenknecht hat diese Rede einige Tage nach ihrer Wahl zur gemeinsamen Fraktionsvorsitzenden mit Dietmar Bartsch vergangenen Mittwoch im Bundestag gehalten

Donnerstag, 15. Oktober 2015

Mit strategischer Bedeutung...

Neueste Waffen


:

Den Geg­ner KALIB­Ri­eren: strate­gis­che Fol­gen des rus­sis­chen Marschflugkörper-​Abschusses

Geschrieben von Wladimir Kosin — http://​vine​yard​saker​.de Haup­tkat­e­gorie: Aus­land    Kat­e­gorie: Naher Osten     Veröf­fentlicht: 15. Okto­ber 2015  Zugriffe: 71

Das größte Ereig­nis der let­zten Woche in Syrien war der Ein­satz von 26 seegestützten Lan­dan­griff­s­marschflugkör­pern (land-​attack cruise mis­siles, LACMs) durch die kaspis­che Flotte der rus­sis­chen Marine im Rah­men der Oper­a­tion Hmeymim, die elf mil­itärische Ziele von Daesh und Jab­hat al-​Nusra in Syrien trafen, die etwa 1500 km vom Star­tort der Raketen ent­fernt lagen:

Aus dem süd­west­lichen kaspis­chen Meer wurde ein mas­siver Schlag mit Kalibr-​NK LACMs geführt. Die Ziele des Angriffs waren Fab­riken, die Granaten und Sprengstoffe pro­duzierten, Kom­man­dostel­lun­gen, Munitions-​, Waf­fen– und Treib­stof­flager und Aus­bil­dungslager der Ter­ror­is­ten in den syrischen Prov­inzen Rakka, Aleppo und Idlib. Die Marschflugkör­per haben, mit einer Fehler­a­b­we­ichung von etwa drei Metern, jedes der Ziele getrof­fen, die zwei Tage zuvor fest­gelegt wurden. (...)

(…)
Dieser erste Ein­satz weitre­ichen­der LACMs in der wirk­lichen Welt durch Rus­s­land hat eine entschei­dende strate­gis­che Bedeu­tung, denn die Träger solcher Sys­teme (Schiffe und U-​Boote), die ander­norts auf dem Ozean sta­tion­iert sind, kön­nen die mögliche Ver­wen­dung nuk­learer Waf­fen und offen­siver Anti­raketen­sys­teme durch solche Staaten min­imieren, die die rus­sis­che Föder­a­tion für ihren „größten möglichen Feind“, einen „Agres­sorstaat“ und einen „annek­tieren­den Staat“ hal­ten. Diese hochwirk­samen Waf­fen­sys­teme kön­nten für einen präven­tiven wie für einen Vergel­tungss­chlag mit nicht­nuk­learen Gefecht­sköpfen genutzt werden.

Das kaspis­che Bin­nen­meer erlangt eben­falls strate­gis­che Bedeu­tung für Rus­s­land, da Rus­s­land von dort mit Nutzung der LACMs chirur­gis­che Schläge im gesamten Nahen Osten ver­set­zen kann, ohne Gegen­maß­nah­men der Seestre­itkräfte der NATO zu riskieren.

Nun, da die rus­sis­chen Stre­itkräfte solche Hoch­präzi­sion­swaf­fen der Öffentlichkeit vorgestellt haben, kann das Pen­ta­gon aufhören, sein Geld bei dem Ver­such zu ver­schleud­ern, seine mil­itärischen Möglichkeiten aufzubauen, die direkt gegen Rus­s­land gerichtet sind. Anders gesagt,
es gibt keine Notwendigkeit, bedeu­tende Beträge auszugeben, um amerikanis­che tak­tis­che Nuk­lear­waf­fen in Europa zu sta­tion­ieren oder land– und seegestützte Anti­raketenein­rich­tun­gen nach Rumänien und Polen zu ver­lagern – oder in die asiatisch-​pazifische Region – da es von jetzt an völ­lig klar ist, dass sie im Fadenkreuz nicht nur rus­sis­cher LACMs bleiben wer­den, son­dern schon bald in dem noch effek­tiverer weitre­ichen­der hoch­präziser Über­schall­waf­fen, die mit nicht-​nuklearen Gefecht­sköpfen aus­ges­tat­tet sind.

(…)



Dienstag, 13. Oktober 2015

TTIP-Gegner unter den Teppich gekehrt

Zitate_TTIP-Gegner

TTIP-Ja-Sager lügen wie gedruckt


 ...Die Vorbehalte der Teilnehmer hält die Regierung aber für unbegründet – und will als Konsequenz aus der Demo noch mehr für das Abkommen werben.

...Die Bundesregierung will nicht über die Risiken von TTIP informieren, weil man einfach keine Risiken sieht, sondern nur Chancen. Darum informiert man die deutsche Bevölkerung auch ständig nur über die Vorteile des Abkommens. stelle ich fest, dass diese politische Demonstration nach kurzem Aufflammen sogleich 1. diffamiert und 2. inzwischen komplett unter dem Teppich gekehrt wird. Weiterhin finde ich es sehr Interessant in welcher Rubrik der meisten Medien-Sites diese „Nachrichten“ versteckt werden. Ich würde bei einer Demonstration ja davon ausgehen, dass dies ein politisches Thema ist, es wird bei fast allen im Bereich Wirtschaft abgelegt und zwar ganz unten auf der Site. Also auf dem ersten Blick nicht auffindbar.

...Ein Thema totschweigen oder zur Randnotiz machen, auch das ist Meinungsmache.

1. Das Engagement der Demonstranten wird inhaltlich belächelt, die Themen relativiert und auch gar nicht eingegangen – die Brücke zu PEGIDA erneut geschlagen. Hier nur ein Beispiel, da man eigentlich den gesamten Artikel zitieren müsste:

2. „Die Demo ist eine Loveparade der Wutbürgerchen.  beiläufig das Wort“Empörungsindustrie“ eingestreut und schon sind alle Demonstranten nur noch Leute die sich nicht genug informierten.

3. Eine weitere Variante der diffamierenden Hetze gegen den Bürgerwillen. Diesmal wird nicht unterstellt bei TTIP-Kritikern handle es sich um Rechtsradikale, sondern der Autor Matthias Finger suggeriert, das Gros der Demonstranten sei gekauft worden und wüssten gar nicht gegen was sie demonstrierten. Schon die Semantik der Einleitung ist infam: „Herangekarrte Massen aus ganz Deutschland …..“



14.10.2015: Mail vom Campact-Vorstand 

Lieber Harry Popow,
gestern haben wir gemeinsam Geschichte geschrieben: 250.000 Menschen strömten in das Berliner Regierungsviertel – eine der größten Demonstrationen, die dieses Land je gesehen hat. Es war unglaublich: überall Fahnen und Transparente gegen TTIP und CETA, Entschlossenheit in den Gesichtern, kraftvolle Sprechchöre. Die Botschaft des Tages in allen Abendnachrichten: Diese Bürgerbewegung ist bereit, noch lange zu kämpfen. Sie ist gigantisch im Netz – und auch auf der Straße.

Ganz klar: Die TTIP-Befürworter sind nervös. Kurz vor der Demo schmähten sie die Aktiven des breiten Bündnisses als Opfer einer „Empörungsindustrie“ – und stempelten sie sogar als „einfach strukturiert“ ab. Den Monsantos, Bayers und Googles dieser Welt scheint längst jedes Mittel recht – und sie geben noch lange nicht auf. Denn es geht um viel Geld, Einfluss und Macht.

Die „einfach strukturierten“ Bürger jedoch haben das durchschaut. Vergangenen Dienstag lief die selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA mit 3.263.922 Unterschriften ins Ziel ein. Die größte, die es bisher gab! Und dann gestern die 250.000 Menschen auf den Straßen Berlins: Was für ein Ereignis, was für ein Signal!

Doch um TTIP und CETA wirklich zu Fall zu bringen, werden wir viel Ausdauer brauchen. Wir müssen nicht nur dranbleiben, sondern weiter kräftig zupacken. Als nächstes beim SPD-Parteitag in Berlin im Dezember, wenn um die Abkommen gerungen wird. Und dann bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Berlin, wo sich entscheidet, ob es im Bundesrat eine Mehrheit gegen TTIP und CETA gibt.















Samstag, 10. Oktober 2015

"Probe-Aufstand"

Impression vom „Probe-Aufstand“
Unvergesslicher 10. Oktober 2015: Stoppt TTIP, TTIP ohne uns, bremst die Macht der Konzerne. Flaggen, Fahnen, Spruchbänder, Trommelwirbel, Trompeten, Transparente – ein farbenfrohes Bild, ein großes Gedränge bereits am Berliner Hauptbahnhof. Lachende Gesichter, Einmütigkeit bei Menschen allen Alters, Familien mit Kindern. Vor uns ein junges Ehepaar. Sie führt einen etwa fünfjährigen Jungen an der Hand. Er schräg hinter ihr. Auf dem Arm ein Kleinkind. Sie dreht sich immerfort nach ihrem Mann um, ein unsagbar liebes Lächeln im Gesicht. Sie strahlt ihn an. Eine stille und wunderschöne Szene. Ruhige Gewissheit in schrillender Umgebung. Im Interesse des Lebens, nur darum geht es. Welch ein Bild...

Fröhlichkeit gegen dumpfes Gebaren der USA, das Freihandelsabkommen durchsetzen zu wollen. Ein endlos scheinender Demonstrationszug bewegt sich vom Bahnhof durch die Innenstadt in Richtung Siegessäule. Langsam, ganz langsam geht es vorwärts. Laute Musik, wieder Trommeln. Eine tolle Stimmung wie schon lange nicht mehr.
Meine Gedanken schweifen zurück. 11. Oktober 1949: Mit Fackeln, mit Trommeln und Trompeten – die Gründung der Republik wird gefeiert. Auf dem Marx-Engels-Platz. Großes Hoffen, große Erwartungen an ein humanistisches Deutschland. Dann der sich anbahnende Abbruch großen Bemühens – der 4. November 1989. Meine Frau und ich wieder dabei, auf dem Alex. Für eine bessere Politik der DDR. Gute Worte am Rednerpult. Alles ohne Gewalt. Doch die Kapitalkeule zerschlägt jegliche Bürgerinitiativen für eine andere und bessere DDR. Jahrzehnte später, in den Jahren nach 2013 bis 2015: Demos gegen Fluglärm in Friedrichshagen. Wieder sind wir dabei. Und heute bei dieser größten Demo seit Jahren in Berlin. Die Macher sprechen von 250.000 Teilnehmern, die Polizei nur von 150.000. Ganz Doofe beschränken sich auf nur 100.000 Teilnehmern.
Ein Aufruf, ein Nein, ein Wille einer Masse von Bürgern, die mit über 600 Bussen und mit Sonderzügen aus allen Teilen Deutschlands angereist kamen. Die im Neoliberalismus zu Einzelkämpfern abgestempelten und unter der Flagge der Vielfalt zu allen Meinungen zugelassen Bürgern finden hier und heute zu einem großartigen WIR zusammen. Man fühlt sich mitgerissen, in eins mit der Einsicht: Wir lassen uns vom US-Kapital im Bündnis mit dem in der BRD nicht in die Suppe spucken. Aber was tun, wenn die Obrigkeit sich nicht zuckt? Auf einem Schild lese ich: Aufstand. Das wärs, denke ich. Wem sollte da der Schreck in die Glieder fahren? Am anderen Ufer der Spree sehen die friedlich demonstrierenden Volksmassen das Regierungsviertel. Nach nicht bestätigten Augenzeugenberichten baut man dort bereits eine Mauer um den Sitz der Regierung und des Parlaments. Man tüftelt darüber, wie man sich ein neues Volk wählen könne...

Achtung: In Stellung gebracht wurden indessen rings um das Regierungsviertel – und nicht nur dort -  die berüchtigten vom Kapital ausgehaltenen Medienkanonen mit den hochbezahlten Flachzangen, den Medienkanonieren. Einer von ihnen ist Alexander Neubacher. Er reitet wie Münchhausen im SPIEGELONLINE vom 10.10.2015 u.a. folgende Attacke: „Die dümmsten Parolen auf den Anti-TTIP-Plakaten bedienen dabei genau jene Ressentiments, mit denen in rechten Kreisen schon immer gegen "die Hochfinanz", "die Konzerne" und "das Kapital" gehetzt wurde. Dass bei diesen "Konzernen" in Deutschland einige Millionen Menschen beschäftigt sind, die wiederum ihre Arbeitsplätze zu einem wesentlichen Teil dem Handel mit anderen Ländern verdanken, scheint keine Rolle zu spielen.“


Harry

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Krank durch Früherkennung

Zuvor großen Glückwunsch zum 07. Oktober. Ein Glück, dass sie existiert hat. Das wird sich später noch erweisen... Gesundung durch Früherkennung!!


NRhZ_Krank

Krank durch Früherkennung" - von Frank Wittig

Vorsorge auf dem Prüfstand


Buchtipp von Harry Popow


Du fühlst dich gesund, hast aber ein Zipperlein. Gehste zum Arzt oder... Soll ich oder soll ich nicht? Keine Frage, man sollte... Aber was dann, wenn der Arzt – aus persönlicher Verantwortung heraus – Symptome feststellt, die zu einer Vorsorgeuntersuchung Anlass geben. Es geht um einen oder um mehrere Tests, man kann schon sagen Fahndung, auf Grenzwerte, Screening genannt. Soweit so gut. Aber was ist, wenn die vorbeugende medikamentöse Behandlung – mitunter monatelang - gar nichts ans Licht befördert? Eine Früherkennungsmaßnahme ohne Resultat? Eine unnütze Untersuchung? Und wenn du dabei noch krank wirst, durch eine Überdosierung? Dann sitzt der Schock tief. Dann merkst du endlich, dass dein Vertrauen in die Medizin missbraucht wurde. Deine Gesundheit wurde in Krankheit umgewandelt und dabei ist Geld geflossen, viel Geld. Allerdings nicht in deine Taschen.

Wer dabei die Gewinner sind, das erfährst du in dem Buch „Krank durch Früherkennung“ von Frank Wittig. Der Autor opponiert keineswegs gegen die Vorsorge, schon gar nicht gegen das Gesundheitswesen insgesamt. Im Gegenteil, er unterstreicht, wenn sich etwas verändert, wenn dauernde Störungen auftreten, dann sollte man zum Arzt gehen. Eigentlich eine banale Aufmunterung, denn niemand rennt ohne Grund zu seinem Weißkittel. Wovor der Autor allerdings warnt, ist die im deutschen Gesundheits- wesen überstrapazierte Überdiagnostizierung. Man hat etwas festgestellt, „das aber im Leben nicht gefährlich geworden wäre“. (Seite 33)

Dr. Frank Wittig studierte Literaturwissenschaft und Psychologie, arbeitete als Wissenschaftsjournalist und seit 1996 als Redakteur und Autor beim Südwestrundfunk in der Abteilung Wissenschaft mit dem Schwerpunkt Medizin. Auf 214 Seiten lässt der Autor kaum eine Krankheit aus, die für die Bürger von großem Interesse sind. Krebs nimmt dabei einen vorderen Platz ein sowie Cholesterin, Bluthochdruck, Blutzucker, Glaukom oder Thrombose. Alles Bereiche, bei denen jeder Laie sehr zahlreiche Hintergrundinformationen erhält.

Verweisend auf den „Eid des Hippokrates“ nimmt der Autor die aktuellsten und besten Studien zu den jeweiligen Themen – deutsche als auch in den USA getätigte - unter die Lupe. Wenn die Ärzteschaft nicht bereit ist, Früherkennung kritisch zu beleuchten, dann müssen die Patienten es tun. Dazu diene auch dieses Buch. (S. 12) Es gehe schlicht darum, die Chancen und Risiken von Vorsorgemaßnahmen abzuwägen. Um es noch genauer zu sagen: Beim allgemeinen Gesundheitstest, dem Check-up 35, werden kaum Krankheiten diagnostiziert, sondern Grenzwertverletzungen. Etwa mit den Worten: Sie haben zu hohen Blutdruck“. Frank Wittig warnt: Das Risiko, Opfer von unnötiger Medizin zu werden ist sehr viel größer als die Chance, aus der Früherkennung Nutzen zu ziehen. (S. 15) Die reale Gefahr einer ernsten Krankheit liege oft nur „im einstelligen Prozentbereich“. So auch in dem so wichtigen Bereich bei Herz-Kreislauf-Störungen. (S.17) Auf Seite 32 schreibt er von einer erschütternden Tatsache bei Brustkrebs, dass durch das Mamma-Screening „in zehn Jahren pro 2.000 Frauen zehn Frauen unnötig gegen Krebs therapiert wurden: Bestrahlung, Teilresektion oder Amputation, Chemotherapie.“ Von einer sinnlosen Kastrierung von Frauen schreibt er auf Seite 153. So wurde bei 1.292 Frauen „infolge der vaginalen Sonografie“ zumindest ein Eierstock herausoperiert. 212 aber hatten tatsächlich Krebs.

Oder ein Beispiel zum Darmkrebs: „Von 1.000 Studienteilnehmern, die sich der Früherkennung unterzogen, erkrankten sechs Personen am Krebs im unteren Darmabschnitt und eine Person verstarb daran.“ In der Kontrollgruppe ohne Spiegelung erkrankten neun Personen, zwei verstarben. Eine Reduktion von zwei auf eins also, so der Autor. Toll! (S. 163) Aus einer aktuellen Studie gehe hervor, dass 2.000 Frauen zehn Jahre lang zum Screening gehen müssten, „damit eine tatsächlich durch diese Maßnahme vor dem Brustkrebstod gerettet wird“. (S. 29) Es gehe lediglich um Gewebeveränderungen, die entdeckt und behandelt werden, „die in ihrem Leben nicht `klinisch´geworden wären. (S. 36) Ein Fall von Überdosierung – eine gigantische Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Radiologen. Deshalb gehöre Mamma-Screening vor Gericht. (S. 38) So oder ähnlich sieht es bei allen Früherkennungsmaßnahmen aus, stellt der Autor ernüchtert fest: „Deutsche Gynäkologen verstümmeln vorsätzlich und sinnlos eine unnötige große Zahl der Frauen, die sich ihnen vertrauensvoll ausliefern.“ (S. 157)

Nun muss man kein Wissenschaftler sein, um die Ursachen der Treibjagd nach noch gesunden Menschen zu erkennen, die mittels kostspieliger Vorsorgeuntersuchungen in die Fangnetze der Weißkittel geraten und damit dem Gewinnstreben der Pharmaindustrie genüge tun. Auf den Seiten 159/160 zieht Frank Wittig gegen das Gewinnstreben zu Felde, das besonders in der Medizin so fatal ist. Es gehe um unglaublich viel Geld. „Denn es steht dadurch nicht mehr das im Zentrum, worum es in der Medizin eigentlich immer gehen sollte: das Wohl der Menschen.“ Der ökonomische Gewinn sei eine unheilvolle Triebkraft „in unserer heißgelaufenen Medizin“. (S. 47) Als Beispiel nennt er ZERO, eine Selbsthilfeorganisation in den USA, die angeblich die Interessen der Patienten vertritt, in Wirklichkeit aber die der Industrie. Zu den Sponsoren, so der Autor, gehören u. a. die Pharmafirmen Abbott, Astra, Zeneca, Pfizer und Sanofi, „die mit teuren Hormonpräparaten bei `Prostata-Patienten´ ordentlich Kasse machen“. Weiter: Beim Cholesterinsenken erziele man einen Jahresumsatz von 30 Milliarden Dollar. Das sei ein starker Grund, dieses Geschäftsmodell mit gekaperten Fachgesellschaften von oben her auf Kurs zu bringen. Pharmafirmen wenden im Schnitt drei Prozent ihres Marketingbudgets für Sonderzuwendungen an ausgewählte Professoren auf. „So wird die öffentliche Berichterstattung manipuliert.“ (S. 98) Früherkennung ist ein Wahnsinnsgeschäft, schreibt er! (S. 53)

Wer gewohnt ist, den Fachkräften auf medizinischem Gebiet alles bedenkenlos zu glauben, dem wird diese Lektüre wie ein Sturm im Wasserglas erscheinen. Offen, ehrlich, faktenreich und entlarvend, was die „Anstrengungen“ zur Profitmaximierung auch im medizinischen Bereich betrifft. So präsentiert sich ein außergewöhnliches Buch. Was Wunder, wenn es auf Widerstand in unserer Gesellschaft stoßen wird, entzieht es doch mit dieser Aufklärung gegenüber den Patienten den Pharmazeuten, der Industrie und den Ärzten zusätzliche Einnahmequellen. Möglicherweise!!

Methoden der Täuschung sind in der Medizin ähnlich wie die in der Politik, das lässt sich u.a. an folgenden phraseologischen Aussagen ablesen: Man will die Wahrheit kleinreden, Kritiker nennt man Querulanten, man begrüße zwar Kritiken, entschuldigt sich mit schlechtem Gewissen und mache trotzdem weiter. Eingesetzt werde eine gezielte Desinformation, auch bediene man sich der astrologischen Ratgeber und man missbrauche populäre Persönlichkeiten für die Lobhudelei von Medikamenten. Frank Wittig spricht unverblümt von einem medizinisch-industriellen Komplex, der staatliche Strukturen für die Medikalisierung der Gesellschaft instrumentalisiere. (S. 140) Die Manipulation von Studien oder das Verschweigen von negativen Studienergebnissen „gilt als Kavaliersdelikt“. (S. 101)

Er, der Autor, sei keinesfalls ein Robin-Hood, der gegen gesellschaftliche Missstände ins Feld ziehe, schreibt er auf Seite 159, halte aber die Kritik an der Medizin für wichtig, „da sie immer wieder auf das Intensivste in unser Alltagsleben“ hineinreiche. Man muss ihm bescheinigen, durch eine klare Sprache und direktes Ansprechen der Leser ein wohltuendes Klima der Vertrautheit zwischen Autor und Leser geschaffen zu haben.

Welchen Rat kann der Autor den Lesern geben? Die Politik müsse Fachgesellschaften entmachten und die „Deutungshoheit in medizinischen Fragen in unabhängige Hände legen“. (S. 198) Der einzelne Patient solle extrem skeptisch sein und stets fragen, welche schädlichen Nebenwirkungen zu befürchten seien. Auch im Internet, so bei „Cochrane-Netzwerk“, finde man gute Informationen. Grundsätzlich gehe es stets darum, sich gründlich zu informieren, zum Beispiel im vertrauensvollen Gespräch mit dem jeweiligen Arzt.

An dieser Stelle muss der Rezensent vermerken, dass der Autor zwar die Symptome der Ausbeutung vieler Patienten benannt und die totale Ökonomisierung des Gesundheitswesens in der freien Marktwirtschaft frontal angegriffen, dabei aber notwendige Veränderungen im Gesellschaftssystem nur punktuell angesteuert hat. Ein Wunsch, sicherlich im Namen zahlreicher interessierter Leser: In einer weiteren Auflage könnten Begriffsbestimmungen der wichtigsten medizinischen Vokabeln von großem Nutzen sein.

Es sei zum Schluss an ein Gesundheitswesen erinnert, das keinem Profitstreben unterlag und in dem das Wohl des Menschen oberste Priorität hatte. Dazu folgendes Zitat aus „Saschas Welt“, Blogger Norbert Gernhardt: „Das Gesundheitswesen in der DDR zählte zu den fortgeschrittensten in der Welt. Hervorzuheben ist hierbei insbesondere die kostenlose medizinische Versorgung und Betreuung der DDR-Bürger, die generelle Arzneimittelfreiheit und die Vorsorge am Arbeitsplatz. Die DDR war ein sozialistischer Staat, in dem mit der Krankheit eines Menschen kein Geld zu verdienen war. (…)“
(PK)

Frank Wittig: „Krank durch Früherkennung. Warum Vorsorgeuntersuchungen unserer Gesundheit oft mehr schaden als nutzen“, gebundene Ausgabe: 214 Seiten, Verlag: Riva (7. September 2015), 1. Auflage, Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3868836306, ISBN-13: 978-3-86883-630-1, Größe und/oder Gewicht: 15,7 x 2,4 x 21,7 cm, 19.99 Euro

(1) 
http://sascha313.blog.de/2013/06/12/gesundheitswesen-ddr-16116463 /

Erstveröffentlichung dieser Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung:
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22102

Weitere Texte des Rezensenten:


http://cleo-schreiber.blogspot.com

Harry Popow: „Platons Erben in Aufruhr. Rezensionen, Essays, Tagebuch- und Blognotizen, Briefe“, Verlag: epubli GmbH, Berlin, 316 Seiten, www.epubli.de, ISBN 978-3-7375-3823-7, Preis: 16,28 Euro





kontakt@epubli.de 

Telefonische Bestellung 09 – 16 Uhr : 030/617890 200

Harry Popow: „In die Stille gerettet. Persönliche Lebensbilder.“ Engelsdorfer Verlag, Leipzig, 2010, 308 Seiten, 16 Euro, ISBN 978-3-86268-060-3



ALEX-Kommentar zu „Vorsorge 
auf dem Prüfstand“ 

Hallo lieber Harry, das ist eine sehr gute Rezi. Ich schätze, sie wird mit Sicherheit viele zustimmende Leser finden. Du kennst meine Meinung zur hohen Qualität Deiner von mir bewunderten Rezensionen. Wie viele zustimmende und auch konträr abwertende Links Du erhältst, das weiß ich ja nicht. Aber mein Gefühl, meine persönlichen Erfahrungen zu unseren gesellschaftskritisch geäußerten Ansichten und die darauf jeweils zu erwartenden Reaktionen sagen mir, dass Du mit dieser Rezi einen besonders großen und interessierten Kreis erreichen wirst. Nicht nur wegen der konkreten Sachbezüge des Buches. Deine ergänzenden Bemerkungen zum Gesundheitswesen der DDR werden insbesondere Anklang bei denen finden, die den Vergleich aus eigenem Erleben haben; das sind wir etwas älteren, direkt und unmittelbar betroffenen "Gestrigen".

Tschüss und Dank, ALEX