Geostrategische Umwälzung
Russlands Intervention gegen den »Islamischen Staat« weist die USA in die Schranken. Moskau festigt Bündnis zwischen Iran, Syrien und Libanon
Von Rainer Rupp
Russlands Präsident Wladimir Putin und sein US-Amtskollege Barack Obama beim Pressetermin in der UN-Zentrale in New York (28. September 2015)
Foto: Kevin Lamarque/Reuters
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»Verliebt in Putin«
Aus außenpolitischer Perspektive gibt es kaum einen größeren Erfolg, als vor den Augen der Weltöffentlichkeit die unglaublichen Fehler, die bodenlose Inkompetenz, die hartnäckige Resistenz gegen jegliche Vernunft und nicht zuletzt die scheinheilige Verantwortungslosigkeit seiner Gegner vorzuführen und daraus zugleich einen geostrategischen Vorteil zu ziehen, der einem Paradigmenwechsel gleichkommt. Die USA und ihre westlichen Verbündeten, zusammen mit Saudi Arabien und Katar haben in Syrien und der Region all »diese Fehler mit schrecklichen Ergebnissen gemacht, mit Hunderttausenden Toten und Millionen Flüchtlingen«, urteilte am Wochenende Zero Hedge, das in den USA bekannte Internetportal für Finanzanalysen. Daher sollte einem »vergeben werden, wenn man sich angesichts der jüngsten Entwicklungen ein bisschen in die Russen verliebt«, hieß es dort weiter. Denn in einem »außergewöhnlich eleganten, geopolitischen Schachzug« habe Russlands Präsident Wladimir Putin erstens die wahren Absichten der USA entlarvt, und damit auch, warum sie an einer Eliminierung des »Islamischen Staats« nicht interessiert sind. Zweitens markiere seine Politik eine triumphale Rückkehr Russlands auf die Weltbühne. Drittens habe Putin dadurch seine Beziehungen zu Teheran verstärkt – das zu einem Zeitpunkt, da Iran wieder seinen Platz als bedeutender Faktor in der Weltenergiewirtschaft einnimmt. Und viertens schließlich habe Putin sehr effektiv dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad den Rücken gestärkt und zugleich eine bedeutende russische Präsenz im Nahen Osten wiederhergestellt. »Und das alles im Zeitraum von nur drei Wochen«, konstatierte Zero Hedge mit unverhohlener Bewunderung. Die findet man derzeit auch bei anderen Analytikern im englischsprachigen Raum – nicht selten gepaart mit Häme für die Obama-Administration und die US-Falken. Das geht aufrechten Hurra-Patrioten wie dem Chefnachrichtensprecher von CNN, Fareed Zakaria, offensichtlich zu weit. Am Sonntag ist er in einem Meinungsartikel in der Washington Post unter dem Titel: »Hört mit dem Schwärmen für Putin auf!« mit all jenen ins Gericht gegangen, die die »Entschlossenheit« des russischen Präsidenten bewundern, die ihn im Nahen Osten »in den Fahrersitz« katapultiert hat. (rwr)
Schon wenige Tage nach seinem wegweisenden Appell zur Respektierung des Völkerrechts und der nationalen Souveränität der Staaten, des Rechts auf eigene Entwicklung und der klaren Ansage, dass Russland keine weiteren von westlichen Sponsoren angeleitete »Farbenrevolutionen« mehr dulden wird, hat Putin in Syrien seinen Worten Taten folgen lassen: in politischer und militärischer Zusammenarbeit mit der rechtmäßigen Regierung in Damaskus und deren regulärer Armee sowie deren verbündeten Milizen, wie z.B. der im Häuserkampf erfahrenen libanesischen Hisbollah und mit irakischen und iranischen Truppen. Die Präzision und Wirkung der russischen Luftangriffe auf schwer befestigte Positionen des »Islamischen Staats« (IS), den syrischen Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front und andere, vom Westen offen unterstützte »moderate« Terrorgruppen, die Koordination von Luft- und Bodenangriffen und das reibungslose Zusammenspiel bei den gemeinsamen Operationen zur Befreiung der von Aufständischen unterschiedlichster Couleur besetzten und ausgeplünderten Gebiete hat alle verblüfft.
Noch bevor die eigentliche Bodenoffensive der syrischen Regierungsarmee und der verbündeten Kräfte begonnen hatte, erreichten drei Tage andauernde Angriffe der russischen Luftwaffe offensichtlich mehr gegen IS und Al-Qaida, als die mächtige U.S. Air Force in über einem Jahr geschafft hatte. Teilweise in chaotischer Auflösung flohen die IS- und Al-Qaida-Angehörigen zu Hunderten aus ihren Festungen.
Der »Kaiser in Washington« war mit einem Mal nackt vor den Augen der Welt. Schließlich hatten die USA dem »Islamischen Staat« zum Nimbus der Unbesiegbarkeit verholfen, weil es, so sah es aus, selbst der schier allmächtigen Luftwaffe im Laufe von 13 Monaten nicht gelungen war, dessen Vormarsch zu stoppen. Nicht nur im Irak wurde nach dem durchschlagenden Erfolg der Russen die Frage gestellt, ob die USA überhaupt ernsthaft gegen die Terrormiliz vorgehen wollten?
Bezeichnend ist die Reaktion im Westen. Wegen der überzeugenden Resultate der russischen Luftwaffe und der koordinierten Bodenoffensive der syrischen Armee und ihrer Verbündeten sehen die USA, Frankreich, Großbritannien, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar den syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad, mit dessen Ende sie schon fest gerechnet hatten, wieder gestärkt. Wütend heulen sie, Russland bombardiere ihre gemäßigten Terroristen und drohten Moskau alle möglichen Konsequenzen an. Zu deren Vollzug sind sie jedoch kaum in der Lage, wenn sie nicht noch größere Risiken eingehen wollen.
Durch die politisch-militärische Kooperation zwischen Iran und Russland, die übrigens auch von China politisch unterstützt wird, ist das Fundament für ein feste Verbindung von Teheran über Bagdad und Damaskus bis zu Beirut gelegt worden. Die geostrategischen Karten im Nahen Osten sind dadurch neu verteilt worden. Iran ist auf dem besten Weg, Saudi-Arabien als tonangebende Regionalmacht zu verdrängen. Zugleich ist Russlands Stern im Aufstieg begriffen, im Nahen Osten und darüber hinaus, während das Ansehen der USA immer mehr schwindet. Washington bleibt entweder, sich noch stärker und offener an der Seite der Terroristen einzusetzen und damit einen Krieg mit Russland zu riskieren, den die Obama-Administration jedoch nicht will. Oder die USA retten ihr Gesicht und bekämpfen an der Seite Russlands, Irans und Syriens den IS und Co.
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