Freitag, 2. Oktober 2015

Besser als der beste Kapitalismus


Aus: Ausgabe vom 02.10.2015, Seite 12    / Thema

Besser als der beste Kapitalismus

Die Leistungen des Sozialismus in der DDR lassen sich an den heutigen Zuständen ablesen: Kriege, Not, Elend und ein deutscher Imperialismus, der wieder einmal auf dem Sprung ist. Betrachtungen zur Konterrevolution vor 25 Jahren.

Von Patrik Köbele

Zum 25. Jahrestag der »deutschen Einheit« hat die DKP eine Erklärung verfasst: »Sozialismus ist heute nötiger denn je!« Sie findet sich unter: news.dkp.de

Der 3. Oktober 1990 war ein schwarzer Tag für die gesamte Linke in Deutschland und darüber hinaus. Die Ereignisse und Entwicklungen, die an dieses Datum geknüpft sind, fügten ihr eine schwere Niederlage zu, von der sie sich bis heute nicht erholt hat. Verkümmerung und Verfall, Resignation und Orientierungslosigkeit waren das unmittelbare Ergebnis, das noch immer das Fortkommen einer grundsätzlichen Opposition lähmt. Auch wenn damit noch lange keine Lösung geboten wird, spricht viel dafür, sich des eigenen Erbes zu besinnen, auch und vor allem angesichts der gegenwärtigen Misere. Oder anders gesagt: Das Verhältnis zum realen Sozialismus in Europa und im Speziellen zur DDR ist für jeden Linken ein Prüfstein, der ehrlich den Anspruch hat, den gegenwärtigen Kapitalismus zu überwinden und eine sozialistische Entwicklung einzuleiten.

Nostalgisch ist daran nichts. Gewiss, der Sozialismus in Europa bzw. der Sozialismus in der DDR war am Ende zu schwach, zu ausgezehrt, zu zerrüttet, um den inneren Widersprüchen zu begegnen, die Angriffe von außen abzuwehren, den konterrevolutionären Bestrebungen entgegenzutreten. Dem Imperialismus nun aber vorzuwerfen, dass er diesen Zustand herbeigeführt, gefördert und ausgenutzt hat, ergibt wenig Sinn, das war sein Job und wird es bei Strafe seines Untergangs immer sein. Gleichwohl, eine gründliche Analyse, wie es soweit kommen konnte, bleibt unverzichtbar, wenn weiterhin die Absicht besteht, daraus die notwendigen Konsequenzen für einen erneuten Anlauf, einen erneuten Ausbruch aus dem Kapitalismus zu ziehen.

Das aber wird nur gelingen, wenn man sich grundsätzlich auf die Seite des Sozialismus stellt, so, wie er sein soll, aber eben auch so, wie er war. Man entschuldigt sich nicht beim Klassengegner – nicht für die einstmalige Verteidigung des Sozialismus und auch nicht für dabei gemachte Fehler. An einer Fehleranalyse hat dieser Klassengegner nämlich naturgemäß kein Interesse. Bei SPD und Grünen, die irgendwann einmal zumindest vorgaben, etwas anderes zu wollen als die reine Bewahrung des Kapitalismus, verhält es sich nicht unbedingt anders. Um gar nicht in die Nähe einer Sympathie für den gewesenen wie den zukünftigen Sozialismus zu geraten, bitten sie um nachträgliche Entschuldigung für das Wagnis der Überwindung des Kapitalismus, leisten Abbitte für ehemals radikalere Positionen, wünschen Pardon für die Enteignung der Faschismusförderer und Kriegsverbrecher, der Großkonzerne und Junker. Es geht ihnen um die Verbreitung ihrer »Wahrheit«: Der Sozialismus hatte keine Fehler, der Sozialismus war der Fehler. Bedauerlicherweise lässt sich auch von der Linkspartei bzw. ihrer Vorgängerorganisation nicht behaupten, dass sie in dieser Frage Haltung bewiesen hätte. Das Bekenntnis zu einem wie auch immer gestalteten Sozialismus ist zwar nach wie vor programmatisch verankert, ein Bezug zur Vergangenheit in den letzten Jahren aber weitgehend gekappt worden. Das Bedürfnis, sich für die Taten oder Untaten der DDR entschuldigen zu müssen, erschien so zwanghaft, dass man sich fragen musste, wann eigentlich das nächste »Mea culpa« ausgesprochen würde. Signalisiert wird damit: Auch wir wollen mit dem gewesenen Sozialismus nichts mehr zu tun haben. Dabei gibt es gute Gründe, sich seiner zu erinnern.

Von der Kette gelassen


Auch als es ihn gab, hatte der Imperialismus nicht aufgehört, das zu tun, was er am besten kann und was ihn so verabscheuungswürdig macht: Er raubte, er mordete, er führte Krieg. Letzteres besonders brutal auch und gerade gegen Versuche, eine Gesellschaft jenseits von Unterwerfung, Kolonialismus und Kapitalismus zu errichten, wie in Korea und Vietnam. Gleichwohl zwang dieser Sozialismus seinen Kontrahenten zu einer veränderten Strategie. Der jederzeitige offene Einsatz des Militärs war ihm nicht mehr ohne weiteres möglich. Zugleich nivellierte der Sozialismus die Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten so stark, dass diese Kriege gegeneinander unterließen und auch kaum mehr ihre Stellvertreterkriege untereinander ausfochten. Anders als irgendwann einmal behauptet, war der Imperialismus zu keiner Zeit »friedensfähig«. Aber der reale Sozialismus zwang ihn zu einer relativen Friedlichkeit.

Das war einmal. Heute erleben wir eine Welt, in der Krieg wieder zum Normalzustand geworden ist. Seit der durch SPD und Grüne organisierten Teilnahme der Bundeswehr am völkerrechtswidrigen Bombardement gegen Jugoslawien 1999 ist auch der deutsche Imperialismus wieder dabei. Nach dem Ende der DDR konnte er sich von einem quasi gefesselten Imperialismus zu einer Macht entwickeln, die über die Kontrolle des EU-Hinterlands daran arbeitet, den Abstand zum US-Imperialismus zu verringern. Dabei gilt jedoch: Der Jugoslawien-Krieg hätte im Falle einer da noch existierenden DDR nie stattgefunden, die derzeit schlimmste Gefahr für den Frieden, die NATO-Osterweiterung, wäre ohne Umwälzung der ehedem sozialistischen Staaten nicht möglich gewesen. Die Vorstellung, mit militärischen Mitteln ließe sich unter den obwaltenden Umständen irgendetwas zum Besseren wenden, weisen Kommunisten als illusionär und verhängnisvoll zurück. Zudem darf angenommen werden, dass eine Billigung von Kriegseinsätzen ganz gleich welcher Art die letzte Bedingung einer Regierungsbeteiligung darstellt. Kräfte in- und außerhalb der Linkspartei arbeiten seit langem daran, dieses Ticket zu lösen. Die ersten Schritte sind längst gegangen, ehemals konsequente Positionen bereits unterminiert. Wenig spricht dafür, dass dieser Trend zu stoppen ist.

Weltweit 60 Millionen Menschen befinden sich in diesen Tagen auf der Flucht, Tausende ertrinken im Mittelmeer, etliche ersticken in Lkw. Und in diesem Land finden erneut rechte Aufmärsche gegen Flüchtlinge statt, ereignen sich beinahe täglich Anschläge auf deren Unterbringungsstätten. Die katastrophalen Ausmaße dieser Zustände stehen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einem System, das infolge seines alles beherrschenden Profit-, Konkurrenz- und Ausbeutungsprinzips gleichsam naturwüchsig Elend, Not und Krieg produziert.

Angesichts dessen ist eine zweite Leistung des Sozialismus kaum in ihrer historischen Größe zu erfassen. Er ermöglichte und förderte (politisch, finanziell und teilweise auch durch militärische Unterstützung) die Zurückdrängung von Kolonialismus und Neokolonialismus. Befreiungsbewegungen in den damals direkt abhängigen Ländern konnten genauso auf die Unterstützung der DDR zählen wie fortschrittliche und Friedenskräfte in den kapitalistischen. Da floss viel Geld, auch an die DKP, genauso wie an Kräfte der Friedens- und der antifaschistischen Bewegung in der BRD. Viele wussten das, einige schämten sich deswegen. Aber musste sich die DDR dafür schämen, dass sie das tat? Sicher nicht. Der Imperialismus finanzierte seinerseits die Konterrevolutionen in Chile und Portugal und lieferte Waffen zur Liquidierung der Fortschrittskräfte weltweit.

Formieren und niederwalzen
Deutlich ist heute spürbar, was zu Zeiten der Existenz des realen Sozialismus mancher Gewerkschafter nur hinter vorgehaltener Hand aussprach: Die DDR saß bei Tarifgesprächen als unsichtbarer Verhandlungspartner mit am Tisch. Zu manchem Zugeständnis war das Kapital damals bereit. Denn der BRD kam auch eine Schaufensterfunktion zu: Es sollte ein Land präsentiert werden, das »Wohlstand für alle« garantierte und ein schier unerschöpfliches Warenreservoir zu bieten hatte; ein Land zumal, in dem die Integration der Arbeiterklasse großenteils gelingt und die Sozialstaatsillusion weitgehend verfängt.

Alles wurde anders mit dem Datum 3. Oktober 1990. Die Zerschlagung der Industrie in der DDR und eine wachsende Massenarbeitslosigkeit in ganz Deutschland waren geeignete Anknüpfungspunkte für eine Offensive des Kapitals. Wie so oft in solchen Fällen bediente man sich zur Ausführung der schlimmsten Angriffe auf die Rechte und Errungenschaften der Arbeiterbewegung deren immer noch maßgebenden und einflussreichen Teils – der alten Sozialdemokratie. Agenda 2010 und Hartz-Gesetze waren die Waffen, mit denen man Deutschland im Verhältnis zu seiner Produktivität zu einem Niedriglohnland zurechtstutzte. Das wiederum schuf die Voraussetzung dafür, die übrigen Staaten der EU – der Beseitigung der Zollschranken und der Einführung des Euro sei Dank – mit deutschen Exportwaren zu überschwemmen, niederzuwalzen, auszupowern.

Exportorientierung und Strukturreformen auf der einen, der Verlust einer über den Kapitalismus hinausgehenden Perspektive seitens reformistischer politischer Kräfte und der Gewerkschaften – auch eine Folge der Ergebnisse des 3. Oktober 1990 – auf der anderen Seite ließen die Ideologie der Standortlogik innerhalb der Arbeiterbewegung triumphieren. Die unreflektierte Hinnahme dieser Ideologie vor allem bei den Funktionären der Arbeiterbewegung, die auf die Bewusstseinsbildung der gesamten Klasse keinen unerheblichen Einfluss ausüben, hatte und hat verheerende Folgen. Denn sie suggeriert, es gebe eine Interessenübereinstimmung zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Herrschenden und Beherrschten.

Die Akzeptanz einer solchen Behauptung ist aber die Bedingung, den Nationalismus massenwirksam werden zu lassen. Beispiele, auf welche Weise dieser Nationalismus geschürt werden kann, sind in der jüngeren Zeit hinlänglich bekannt geworden. Prominent und hässlich ist da der, wenn nicht medial ersonnene, so zumindest schrill verstärkte Ruf: »Wir zahlen nicht für faule Griechen«. Zum Zwecke einer Formierung aller Deutschen richtet sich so etwas dann schnell gegen die Flüchtlinge, denen unterstellt wird, sie seien »Wirtschaftsflüchtlinge«, die ohne Gegenleistung vom im Schweiße unseres Angesichts erarbeiteten Wohlstand profitieren wollten und daher schnellstmöglich in »sichere Drittstaaten« abgeschoben gehörten.

Eine solche nationalistische Formierung vermag immer auch der Aggression nach außen zu dienen, wie sich das in der Feindmarkierung »des Russen« im Zuge der Ukraine-Krise wieder einmal beobachten ließ. Die Kommunisten in der BRD gehen davon aus, dass eine wachsende Aggressivität des deutschen Imperialismus nach innen und nach außen bevorsteht. Die weitgehende ideologische Entwaffnung der Arbeiterbewegung stellt dabei eine erhebliche Gefahr dar. Gleichwohl müssen auf der Grundlage dieser Einschätzung Wege für ein gemeinsames Handeln aller Linken und der Kräfte des Friedens gefunden werden.

Der Widerspenstigen Zähmung

Eine weitere Entwicklung seit dem 3. Oktober 1990 ist in Augenschein zu nehmen bzw. darf von denjenigen, die noch auf irgendeine Weise an einer gesellschaftsverändernden Perspektive festhalten wollen, nicht übersehen werden. In der DDR wurden Fehler im Umgang mit der Macht begangen. Hauptmoment der Schwäche dieses Staates gegen Ende seiner Existenz war, dass die Arbeiterklasse kein Bewusstsein mehr von ihrer führenden Rolle besaß und die kommunistische Partei das Vertrauen ebendieser Klasse eingebüßt hatte. Dieser Umstand ist nach wie vor gründlich zu analysieren, anstatt ihn, wie es heute in der Regel geschieht, moralisch zu bewerten.

Mangelhafte Analyse ist auch mit Blick auf das kapitalistische Deutschland in seiner politischen Form der bürgerlichen Demokratie festzustellen. Da wird nicht mehr nach seinem Wesen als Herrschaft des Kapitals bzw. des Monopolkapitals gefragt, und über die Fragen der Macht zu reden, gilt als unfein. Das entwaffnet die Linkskräfte, lässt sie durch ihre bloße Parlamentsfixierung verkümmern. Gegen den Kampf um und in bürgerlichen Parlamenten ist nichts einzuwenden, er sollte auch nicht unterschätzt werden. Sobald man allerdings dem Trugschluss aufsitzt, sie seien die realen Stätten der Macht, hat man die Erkenntnisse der politischen Ökonomie und der marxistischen Staatstheorie ad acta gelegt. In den Parlamenten kann dann ungestört geschehen, was eine der Funktionen der Parlamente ist: der Widerspenstigen Zähmung. Der Vorgang lässt sich dieser Tage einmal mehr im Bundestag beobachten.

In der DDR war das Recht auf Arbeit verwirklicht, Arbeitslosigkeit im Grunde unbekannt. Diese Leistung lässt sich 25 Jahre nach ihrer Beseitigung nur noch negativ erfassen: Die Drangsal der Erwerbslosen und der Ausgegrenzten und deren Gängelei von Staats wegen. Letztlich aber betrifft das die gesamte Klasse. Erwerbslosigkeit ist auch ein Kampf- und Spaltungsmittel. Sie ist der beständige Druck, der von der »Reservearmee« auf den in Lohn und Brot stehenden Teil der Klasse ausgeht. Eine hohe Arbeitslosenquote bildete die Rechtfertigung der vergangenen Angriffe unter der Bezeichnung Agenda 2010. Weitere Attacken mit dem Ziel einer fortschreitenden Aushöhlung des Streikrechts werden geführt bzw. sind in Planung. Man denke nur an das jüngste Urteil gegen den von der Spartengewerkschaft Cockpit organisierten Streik der Piloten. Schwer vorstellbar, dass man sich das bei Fortexistenz der DDR, bei einem Weiterbestehen des realen Sozialismus getraut hätte. Allerdings darf bei dieser Angelegenheit nicht übersehen werden, dass sich der Widerstand der großen Gewerkschaften bisher in engen Grenzen hält, bisweilen sogar die Kooperation mit dem Kapital gesucht wird, wie das unrühmliche Beispiel Tarifeinheitsgesetz beweist.

Man mag nun gar behaupten, dass auch die faktische Abschaffung des sozialen Wohnungsbaus nicht möglich gewesen wäre, gäbe es noch den Konkurrenten von jenseits der Elbe. Bereits vor 1989 waren die Wohnungen in der BRD eine lukrative Einkommensquelle und die Mieten oft sehr hoch. Trotzdem konnte es sich der westdeutsche Staat nicht leisten, im direkten Vergleich mit der DDR, die um genügend Wohnraum für alle kämpfte, abgehängt zu werden. Die Wohnungen in der BRD waren daher nicht selten schöner und komfortabler. Gleichwohl wird heute ein ganz grundsätzlicher Unterschied des Städtebaus erkennbar. Die Plattenbauten des Ostens verfielen im Westen schon zum Zeitpunkt ihrer Errichtung der Verdammnis, man sah in ihnen schauderhafte Wohnghettos. Heute sind diese Siedlungen mancherorts tatsächlich Stätten der Vereinzelung, der Vereinsamung und der Verwahrlosung. Dies aber einzig deshalb, weil sie der entscheidenden städtebaulichen Komponente der DDR beraubt wurden: der wohnortnahen Sozialeinrichtungen, die heute oft als Ruinen vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse in der Mitte der Wohnbezirke vor sich hin rotten. Was lässt sich daraus lernen? Der Kapitalismus orientiert sich an Profit und Geldvermehrung, der Sozialismus hatte selbst in der Zeit des Kampfes gegen den Wohnungsmangel ein neues Prinzip hervorgebracht. Eine Stadtplanung, der nicht an Profit, sondern an den Interessen der Menschen gelegen war.

Heutige Schüler und Studenten haben die Existenz der DDR nicht mehr bewusst erlebt. Sie haben mithin auch nicht mehr erlebt, dass das Bildungssystem der BRD einmal von anderer Gestalt war. Heute besteht eine unverkennbare Ausrichtung der Bildungsanstalten und der Lehrinhalte an den Verwertungsinteressen des Kapitals. Dafür stehen die Schlagworte G 12 und Bologna-Reform, also die Einführung des Bachelor- und Masterstudiums. Etabliert hat man letztlich ein Bildungswesen der gesellschaftlichen Spaltung, das tendenziell die Masse der Menschen mit Grundwissen versorgt und einer kleinen Elite spezielle Techniken und Herrschaftswissen beibringt. In Zeiten, als es noch zwei deutsche Staaten gab, war das etwas anders. Bildungsprivilegien wurden zaghaft abgebaut, dem dreigliedrigen Schulsystem war die Integrierte Gesamtschule zur Seite gestellt, und Arbeiterkinder waren an Universitäten nicht mehr ganz die Exoten, die sie heute wieder zu werden drohen. Die alte BRD stand damals gehörig unter Druck, den ein einheitliches und durchgängiges Bildungswesen der DDR sowie Ansätze der Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit, wie sie im polytechnischen Bildungswesen zum Ausdruck kamen, ausübten. Damalige Forderungen der Gewerkschaftsjugend und der Schülerbewegung in der BRD lesen sich heute wie Aufrufe zur Revolution. Sie waren allerdings – solange es die DDR gab – keineswegs unrealistisch.

\"Verordnet\", na und?

Ein letzter Aspekt dessen, was war, aber nicht mehr ist. Der Antifaschismus der DDR, heißt es allenthalben, sei »verordnet« gewesen. Ein Dauerbrenner der Verleumdungen. Der Antifaschismus war, im Gegensatz zu den westdeutschen Zuständen, den Statuten der DDR gewissermaßen eingeschrieben. Antifaschisten bauten diesen Staat auf, Antifaschismus war dort Bildungsauftrag. Insofern mag man ihn verordnet nennen. Über seinen Inhalt ist damit noch nichts ausgesagt. Die Mühe einer Auseinandersetzung auf dieser Ebene macht man sich selten. Wer dem untergegangenen Staat vorwirft, er habe seinen Antifaschismus »verordnet«, den empört, dass es überhaupt einen gegeben hat. In der BRD existierte er offiziell erst gar nicht. Faschisten waren beteiligt am Aufbau und Funktionieren eines Staatsapparats, von dem Jahrzehnte später herauskam, dass er von den Umtrieben einer neonazistischen Mordorganisation intime Kenntnisse besaß und sein Personal im Umfeld der Täter agieren ließ. Man mag sich die Frage vorlegen, was mehr Unbehagen bereitet: Ein Staat, der Antifaschismus verordnet, oder einer, der die NSU-Morde an Migranten tatenlos mit ansieht, begleitet und mitunter gar fördert?

Wenn behauptet wird, die relative Stärke der Faschisten im Osten sei die Folge der autoritären Strukturen der DDR, so geht das einigermaßen weit an den realen Ursachen vorbei. Wahr dürfte vielmehr sein, dass man verunsicherte und auch wütende Menschen in deindustrialisierten und kahlgeschlagenen, eher verdorrten als blühenden Landschaften zurückgelassen hat, die für die Demagogie organisierter, nicht selten aus dem Westen importierter (auch das sollte man nicht vergessen) faschistischer Kader empfänglich wurden. Faschistische Pogrome hat es in der DDR jedenfalls nie gegeben.

Es bestand hier nicht, wenn auch dieser Vorwurf erhoben werden mag, die Absicht, Untergegangenes zu beschwören, auf dass es bald wiederkehre. Aber die Leistungen der DDR und des Sozialismus lassen sich ein Vierteljahrhundert nach ihrem Ableben durch ihren Verlust sehr genau bemessen. Die bloße Existenz der DDR verhinderte einen Wiederaufstieg des deutschen Imperialismus, der heutzutage zum Wehe der Bevölkerungen anderer Staaten eine unheilvolle Machtstellung auf dem europäischen Kontinent einnimmt. Man muss die DDR nicht gemocht haben, um sich zu dieser Erkenntnis durchzuringen. Es gibt einen zutreffenden Satz des ungarischen Marxisten Georg Lukács, der so geht: »Der schlechteste Sozialismus ist besser als der beste Kapitalismus.« Daran war zu erinnern.

Patrik Köbele ist Vorsitzender der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).



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