Transformationstheorie:
Kritik
der “Transformations-Theorie”
Geschrieben
von Pablo Graubner — https://theoriepraxis.wordpress.com
Hauptkategorie: Theorie
Kategorie: Strategie und Taktik
Veröffentlicht: 31. Oktober 2015 Zugriffe:
50
transformationsstrategieIsolierung der Monopolbourgeoisie
transformationsstrategieIsolierung der Monopolbourgeoisie
Michael
Brie, Mario Candeias und Dieter Klein verteidigen das
Konzept der »doppelten Transformation« als
Beitrag zur »revolutionären Realpolitik«
(siehe jW-Thema vom 15.9.2015). Darin benennen die drei
Wissenschaftler des Instituts für Gesellschaftsanalyse
der Rosa-Luxemburg-Stiftung fünf Differenzen
zwischen ihnen und ihren Kritikern, die zwar
Anhaltspunkte dafür liefern, worum es bei der
Auseinandersetzung mit den Begriffen »doppelte
Transformation« und »revolutionäre
Realpolitik« geht. Sie vermeiden jedoch, die
eigentliche Hauptfrage herauszuarbeiten: Worin besteht
der Unterschied zwischen der Strategie
kommunistischer Parteien und dem Konzept der
»doppelten Transformation«? Diese Frage
ist deshalb von besonderer Relevanz, weil
»revolutionäre Realpolitik« ausdrücklich
als Negation kommunistischer Reformkämpfe
und »doppelte Transformation« ausdrücklich
als Absage an eine kommunistische Strategie
begriffen werden.
Im folgenden wird daher die Notwendigkeit einer antimonopolistischen Strategie begründet, wie sie für kommunistische Parteien maßgeblich ist. Die hier vertretene These lautet: Jeder Versuch, eine neoliberale Politik zu bekämpfen, ohne zugleich das antimonopolistische Lager zu stärken, scheitert am Herrschafts– und Gewaltverhältnis des modernen Kapitalismus, scheitert an der Macht der Monopolbourgeoisie.
»Große« und »kleine« Transformation
Im Kern wird bei einer Tranformation von einem möglichen inneren Wandel der kapitalistischen Gesellschaft unter Beibehaltung der bestehenden Produktions– und Eigentumsverhältnisse ausgegangen. Ein Gedanke, der bereits in der Vergangenheit in unterschiedlichen Varianten geäußert wurde. Die marxistischen Ökonomen Jörg Huffschmid und Heinz Jung waren im Jahr 1988 die Urheber der »Reformalternative«. Die DKP sollte darauf orientiert werden, unter Fortbestand der staatsmonopolistischen Produktions– und Eigentumsverhältnisse den Kapitalismus in »eine andere Entwicklungsvariante des staatsmonopolistischen Kapitalismus« zu überführen und damit einen zivilen, reformoffenen und friedensorientierten Kapitalismus durchzusetzen.¹ Erklärtes Ziel der Autoren war, »die antimonopolistische Orientierung, wie sie für die marxistische Strategie in der Vergangenheit bestimmend war, in den Hintergrund« treten zu lassen.² Einen analogen Vorgang gab es auch in der damaligen SED-PDS.
Der heutige Ansatz der »doppelten Transformation« nach Brie, Candeias und Klein trägt diesen Grundgedanken ebenso in sich. Sie gehen davon aus, dass das neoliberale und finanzdominierte »Akkumulationsregime« in vielfältiger Weise in eine Krise geraten ist. Die »multiple Krise« betrifft die Finanzwelt und die Wirtschaft, sie ist sozial-ökologisch und erstreckt sich ebenso auf das Zusammenleben in einer Demokratie. Sofern diese Krise die Fundamente des gegenwärtigen »Akkumulationsregimes« bedrohen, so schreiben Brie, Candeias und Klein, können diese auch Anknüpfungspunkte für linke Politik sein: »Differenzierungs– und Lernprozesse (können) Teile der Machteliten in der Auseinandersetzung mit den konservativen Fraktionen im Machtblock zu progressiven Transformationen nötigen«, die von Linken befördert und für beträchtliche Veränderungsprozesse genutzt werden müssten.
Die drei entlehnen ihre Idee von der Abfolge relativ stabiler Phasen (»Akkumulationsregimes«) innerhalb der Entwicklung des Kapitalismus der Regulationstheorie, einer letztlich auf den französischen Philosophen Louis Althusser (siehe jW-Thema vom 22.10.2015) zurückgehenden Idee aus den 70er Jahren. Demnach sind der Kapitalismus freier Konkurrenz, der Monopolkapitalismus, der sozialstaatlich regulierte Kapitalismus (»Fordismus«) und der neoliberale Kapitalismus Formen bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften in Europa. Theoretisch kann es Kapitalismen unterschiedlichster Form geben, die ineinander übergehen, sich transformieren. Der Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft wäre demnach eine »große Transformation«, die nach Ansicht von Dieter Klein »eher mit einer ›kleinen‹ Transformation, das heißt mit einer Transformation im Rahmen des Kapitalismus« beginnen wird.³
Produktionsverhältnis Monopol
Das Problem bei diesem Herangehen – eine innere Transformation des Kapitalismus unter Beibehaltung der Produktionsverhältnisse – ist nicht, dass es keine relativ stabilen Phasen innerhalb kapitalistischer Entwicklung gäbe. Es besteht vielmehr darin, dass das bestimmende Produktionsverhältnis aus dem Blick gerät, das den heutigen Kapitalismus seit Ende des 19. Jahrhunderts über alle relativ stabilen Phasen hinweg strukturiert: das Monopol.
Worin besteht der Unterschied zwischen Produktionsverhältnissen und diesen als Akkumulationsregimes bezeichneten Phasen des Kapitalismus? Letzteres, so zitiert Dieter Klein den französischen Regulationstheoretiker Alain Lipietz, »ist ein Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produktes, der über eine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen Veränderungen der Produktionsbedingungen (dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischen den Branchen und den Produktionsnormen) und den Veränderungen in den Bedingungen des Endverbrauches (Konsumnormen der Lohnabhängigen und anderer sozialer Klassen, Kollektivausgaben usw. …) herstellt«.⁴ Ein Akkumulationsregime ist folglich – vereinfacht ausgedrückt – ein relativ stabiles Gleichgewicht zwischen Organisation der Produktion und den Bedingungen der Konsumption. Ein Akkumulationsregime und die politischen Institutionen, die es stützen, bestimmen zusammengenommen die hegemoniale Struktur der kapitalistischen Gesellschaft, also die Herrschaftsform.
Ist hier nicht der Marxsche Gedanke von der ökonomischen Struktur der Gesellschaft erfasst, von der »Produktionsweise des materiellen Lebens«, die »den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt« bedingt? Dem ist nicht so. Für Marx ist der Begriff »Produktionsverhältnisse« zentral, also »bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse« zwischen Menschen, Verhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte entsprechen.⁵ Der Begriff bezieht sich nicht in erster Linie auf die stofflichen Eigenschaften der Produktion, das Verhältnis zwischen Branchen, die Konsumptionsformen usw., sondern umfasst Eigentums– und grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse wie das Kapitalverhältnis (die Beziehung zwischen Kapital und Arbeit). Herrschaft, Macht, auch Herrschaftsformen im Kapitalismus sind nach Marx an Produktions– und Eigentumsverhältnisse gebunden. Und im monopolistischen Stadium des Kapitalismus ist das Monopol das dominierende Herrschafts– und Gewaltverhältnis.
Ist diese Strukturierung nicht viel zu grob für die heutige Zeit? Was sagen die Produktions– und Eigentumsverhältnisse über die neoliberale Politik aus, gegen die sich verschiedenste Kräfte in Europa stemmen? Der Neoliberalismus ist eine Politik und Ideologie, die die aggressiven Erfordernisse eines krisenhaften Stadiums der Kapitalverwertung ausdrückt. Sie rechtfertigt alle Methoden, die Profitraten der Monopole auf Kosten der ganzen Gesellschaft anzuheben. Einerseits durch Profitratensubventionierung, etwa durch Gewinnsteuersenkungen und Privatisierungen. Andererseits durch Verbesserung der Verwertungsbedingungen: Die Monopole sind an einem sinkenden Wert der Ware Arbeitskraft interessiert, folglich fordert der Neoliberalismus die Aufhebung jeder Einschränkung der Konkurrenz unter Lohnabhängigen, die Zerschlagung von Gewerkschaften und die Abschaffung des sogenannten Wohlfahrtsstaats. Diese Rücksichtslosigkeit im Interesse der Monopole drückt sich auch in anderen Politikfeldern, insbesondere in der Gestaltung des politischen Systems, der demokratischen Teilhabe und in der Außenpolitik aus: Es existiert ein bonapartistische Züge tragendes politisches System, verbunden mit einem zentralisierten Staatsapparat mit aufgerüsteten Repressionsorganen und einer zunehmend aggressiver werdenden Außenpolitik.
Die Liste ließe sich fortführen. Ihre Quintessenz läuft jedoch darauf hinaus: Neoliberale Politik ist nicht einfach nur eine von vielen möglichen Politikformen im Kapitalismus; sie ist auch nicht in erster Linie eine hegemoniale Struktur, die sich aus einem spezifischen Akkumulationsregime ergibt. Nein, die Grundlage neoliberaler Politik besteht im Monopol als Produktions-, Herrschafts– und Gewaltverhältnis, zu deutsch: Das, was heute als »neoliberaler Kapitalismus« bezeichnet wird, besteht im Interesse der heutigen, »modernen« Monopolbourgeoisie.
»Eine neue linke Formation«
Brie, Candeias und Klein verstehen ihre »doppelte Transformation« als eine »Aufhebung« scheinbarer Gegensätze, als »Aufhebung« von Reform und Revolution. Die Begrifflichkeit ist zwar der Revisionismusdebatte zwischen Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg entlehnt, dennoch geht es in den Darlegungen der Autoren weniger um die Dialektik von Reform und Revolution, wie sie immer wieder diskutiert wurde und wird. Es geht um etwas anderes. »Transformation« ist weniger ein in sich geschlossenes theoretisches Konzept als eine Art doppelte Absage an »orthodoxe sozialdemokratische wie kommunistische Orientierung«, wie Michael Brie schreibt.⁶
Was sagt das über den Charakter der Strategie der »doppelten Transformation« aus? Es ist eine politische Ortsbestimmung, also eine Angabe darüber, welchen politischen Raum man einzunehmen gedenkt. Denn die neoliberale Politik hat die reformistische Strömung innerhalb der Arbeiterklasse – die sich in der SPD und in Teilen der Gewerkschaft wiederfindet und die eine Harmonisierung der Interessen von Kapital und Arbeit zum Ziel hat – in eine Krise gestürzt. Einerseits muss diese Strömung ihre integrative Wirkung angesichts einer aggressiven Politik im Interesse des Monopolkapitals in der Arbeiterklasse entfalten, wenn sie weiter ein Existenzrecht genießen will – wie die Politik der Regierungen von Anthony Blair in Großbritannien und Gerhard Schröder in der BRD. Andererseits steht diese Politik der Vertreter des Reformismus im krassen Widerspruch zu den Interessen ihrer Stammwählerschaft bzw. zur Basis ihrer Parteien, so dass Teile davon herausbrechen.
Die kommunistischen Parteien haben die Krise der klassischen Sozialdemokratie nicht zu nutzen vermocht, im wesentlichen aus zwei Gründen. Nach dem Ende des Sozialismus in Osteuropa haben sich zwar einige Parteien konsolidiert. Aber der implosionsartige Verlust an Orientierung, Organisationskraft und Perspektive, der mit der historischen Niederlage von 1989⁄91 einherging, wirkt in der kommunistischen Bewegung immer noch nach. Ferner geht die Krise der klassischen Sozialdemokratie nur in begrenztem Maße mit einem Aufschwung von Klassenkämpfen einher. Sozialpartnerschaft und Standortnationalismus – die ideologische Basis des Reformismus – sind in der Arbeiterklasse nach wie vor vorherrschend.
In dieser Situation zielt die Strategie der drei Stiftungswissenschaftler auf die entstandene Lücke. Michael Brie: »Die bisherige Strategie (…) der Mehrheit der europäischen Sozialdemokratie, eine neoliberale Wirtschaftsstrategie und eine des Umbaus der sozialen Systeme mit linker Rhetorik zu verbinden, (…) ist gesellschaftspolitisch zum Scheitern verurteilt.« Statt dessen gebe es Potential für »eine neue linke Formation, teils durch Transformation ›alter‹, teils durch Bildung neuer Akteure. (…) Es wäre eine Aufgabe, die immer die Schaffung einer neuen breiten Linken, eine linke Hegemonie über die Mitte der Gesellschaft und ein zukünftiges politisch regierungsfähiges Mitte-Links-Bündnis im Auge hat.«⁷
Diese Auffassung wird nicht allein vom Reformflügel in Die Linke in Deutschland geteilt, sondern ist ein internationales Phänomen. Innerhalb EU-Europas besteht mit der Europäischen Linkspartei (ELP), ein »Bündnis ›transformierender‹ linker Parteien« (Michael Brie). Die griechische Partei Synaspismos etwa – bis zu ihrem Aufgehen in ihrer Nachfolgerin Syriza politische Heimat von Alexis Tsipras – war ELP-Gründungsmitglied. »Synaspismos« war von 1989 bis 1991 der Name eines Wahlbündnisses der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) mit anderen linken Kräften. Die damaligen »Erneuerer« in der KKE machten sich Hoffnungen, enttäuschte Wähler von der regierenden sozialdemokratischen Pasok übernehmen zu können. Sie versuchten, das Wahlbündnis inklusive der KP in eine linke Wahlpartei zu transformieren, dem entzog sich die KKE allerdings.
Die Krise der sozialdemokratischen Pasok war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht voll ausgeprägt. Erst die Enttäuschung ihrer Wähler und Mitglieder über ihre rigorose Kürzungspolitik und die Umsetzung der Troika-Auflagen in den Jahren 2009 bis 2012 spülte einen großen Teil der Wählerschaft und der Aktiven der Sozialdemokraten in die Reihen von Syriza und machte Pasok zu einer Splitterpartei.
Alle nichtmonopolistischen Schichten
Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem – in vielfältigen Varianten angestrebten – »Mitte-links«-Wahlbündnis und einer antimonopolistischen Strategie besteht nicht in erster Linie aus dem Gegensatz von Fundamentalopposition und Regierungsbeteiligungen. Eine Koalitionsregierung kann unter ganz bestimmten Umständen die Form sein, in der ein antimonopolistisches Bündnis zusammenarbeitet. Es geht bei dieser Frage nicht um einen künstlichen Gegensatz, sondern um die Dialektik von Form und Inhalt: Koalitionsregierungen können das Ergebnis eines veränderten Kräfteverhältnisses zwischen Monopolbourgeoisie einerseits sowie andererseits einer organisierten und kampfbereiten Arbeiterklasse und anderen nichtmonopolistischen Schichten sein. Diese Verschiebung des Kräfteverhältnisses kann aber keinesfalls durch eine »regierungsfähige«, also durch eine wahlarithmetisch mögliche »Mitte-links«-Regierung abgekürzt werden.
In einem gewissen Rahmen ist das den Akteuren in der Debatte um »Crossover« und »Rot-Rot-Grün« auch bewusst. Tom Strohschneider, Chefredakteur des Neuen Deutschlands, etwa spricht von der »Kontraproduktivität von Mitte-links-Regierungen« – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Portugal, Frankreich, Italien, Spanien und Norwegen.⁸ Die Antwort besteht in einem übertriebenen Pragmatismus, nach dem Motto: Wenn man an einer »Mitte-links«-Regierung nichts Gutes finden kann, dann muss man sich eben einer Lupe bedienen. Die-Linke-Kovorsitzende Katja Kipping treibt dieses Herangehen bei der Bewertung der Politik von Tsipras auf die Spitze: Immerhin habe die griechische Regierung wenigstens kurzzeitig »eine Gegenmacht in Europa aufblitzen lassen«. Das sei zwar nicht alles, sei aber auch »nicht Nichts«,⁹ beruft sie sich auf Hegel, der damit ausdrücken wollte, dass selbst in einem voraussetzungslosen Anfang nicht das reine Nichts steckt, sondern ein Nichts, von dem ein Anfang ausgeht. Man kann es auch so ausdrücken: Wenn der Erfolg selbst mit der Lupe nicht mehr sichtbar ist, hilft nur noch zur Metaphysik degradierte Philosophie.
Die Hoffnungen auf eine Europäische Union ohne eine neoliberale Politik sind in Griechenland an derMacht insbesondere des deutschen Monopolkapitals zerschellt. Es rächt sich nun, dass die Syriza-Partei und ihre Vorläuferin seit jeher die EU als ein neutrales Feld des demokratischen Kampfs verstanden haben, anstatt die Machtverhältnisse zwischen imperialistischen Staaten ins Zentrum ihrer Strategieentwicklung zu stellen. Ein fataler Fehler aller Transformationstheoretiker, nicht nur in Griechenland. Auch in den Reihen der Partei Die Linke klingen noch die fatalen Sätze von André Brie nach, dem ehemaligen Europaabgeordneten und Programmautor der PDS: Keine politische Kraft könne »proeuropäischer sein als die Linke«, zu deutsch: Man wolle die EU-Integration »aktiv und konkret« unterstützen.¹⁰
Inzwischen setzt Tsipras die Politik der Memoranden und damit die der sozialdemokratischen Pasok fort, deren Rolle Syriza übernommen hat. Mit ihr verfügt diese Politik heute de facto wieder über eine stabile parlamentarische Mehrheit. Die Transformationsstrategie ist aber nicht aufgrund individuellen Verrats gescheitert. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres: Jeder Versuch, eine neoliberale Politik zu bekämpfen, ohne zugleich das antimonopolistische Lager zu stärken, muss an der Macht der Monopolbourgeoisie scheitern.
Eine sozialistische Bewegung muss sich daher der schwierigen Aufgabe stellen, nicht nur die Zersplitterung der Arbeiterklasse in Arbeitslose, Prekäre, Stammbelegschaften usw. zu überwinden sowie Standortnationalismus und den Glauben an Sozialpartnerschaft zurückzudrängen. Sie muss auch weitere nichtmonopolistische Schichten für die Verteidigung und Erweiterung noch bestehender demokratischer und sozialer Errungenschaften gewinnen, so dass das Monopolkapital isoliert und ein Weg zum Sozialismus geöffnet werden kann.
Zur Lösung dieser Aufgabe sind Erfahrungen in den kommunistischen Parteien bewahrt und theoretisch verallgemeinert worden. Ihre Destruktion in Linksparteien ging daher dort, wo sie gelang, mit einem herben Verlust an theoretischem und praktischem Wissen für die antimonopolistische Bewegung einher. In der DKP konnte dieses Bestreben – mit Hilfe einer kritischen Debatte um die »Politischen Thesen« des ehemaligen Sekretariats um Heinz Stehr und Leo Mayer – gewendet werden: Hin zu einer Befassung mit der Frage, wie eine zeitgemäße antimonopolistische Strategie mit Leben gefüllt werden kann. Denn kommunistische Politik darf sich nicht auf die Entlarvung der Transformationsstrategie reduzieren. Sie muss immer mit einem Angebot einhergehen: dem Angebot zum gemeinsamen Kampf gegen das Monopolkapital, über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg.
Anmerkungen
1 In: Marxistische Blätter, Heft 10/1988, S. 60
2 Arbeitsmaterialien des IMSF, Heft 28: Jörg Huffschmid/Heinz Jung, Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer. Frankfurt am Main 1988, S. 152 f.
3 Dieter Klein: Das Morgen tanzt im Heute. Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus. Hamburg 2013, S. 22 und S. 13
4 Alain Lipietz: Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise. in: Prokla, Heft 58/1985, S. 120
5 Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: Marx-Engels-Werke, Band 13, S. 8 f.
6 Michael Brie: Elemente einer sozialistischen Transformationskonzeption, in: Transform!, Heft 12 – 13⁄2013
7 Ebd., S. 90 und 96
8 Tom Strohschneider: Linke Mehrheit? Über Rot-Rot-Grün, politische Bündnisse und Hegemonie. Hamburg 2014, S. 46
9 http://www.katja-kipping.de/de/article/956.euro pa-revolutionieren.html (Zugriff am 14.10.2015)
10 André Brie: Thesen für die EU-Konferenz der GUE/NGL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 10./11.3.2007, S. 2 f.
übernommen mit freundlicher Genehmigung aus der marxistischen Tageszeitung junge Welt vom 23.10.2015
https://theoriepraxis.wordpress.com/2015/10/26/krit ik-der-transformations-theorie/
Im folgenden wird daher die Notwendigkeit einer antimonopolistischen Strategie begründet, wie sie für kommunistische Parteien maßgeblich ist. Die hier vertretene These lautet: Jeder Versuch, eine neoliberale Politik zu bekämpfen, ohne zugleich das antimonopolistische Lager zu stärken, scheitert am Herrschafts– und Gewaltverhältnis des modernen Kapitalismus, scheitert an der Macht der Monopolbourgeoisie.
»Große« und »kleine« Transformation
Im Kern wird bei einer Tranformation von einem möglichen inneren Wandel der kapitalistischen Gesellschaft unter Beibehaltung der bestehenden Produktions– und Eigentumsverhältnisse ausgegangen. Ein Gedanke, der bereits in der Vergangenheit in unterschiedlichen Varianten geäußert wurde. Die marxistischen Ökonomen Jörg Huffschmid und Heinz Jung waren im Jahr 1988 die Urheber der »Reformalternative«. Die DKP sollte darauf orientiert werden, unter Fortbestand der staatsmonopolistischen Produktions– und Eigentumsverhältnisse den Kapitalismus in »eine andere Entwicklungsvariante des staatsmonopolistischen Kapitalismus« zu überführen und damit einen zivilen, reformoffenen und friedensorientierten Kapitalismus durchzusetzen.¹ Erklärtes Ziel der Autoren war, »die antimonopolistische Orientierung, wie sie für die marxistische Strategie in der Vergangenheit bestimmend war, in den Hintergrund« treten zu lassen.² Einen analogen Vorgang gab es auch in der damaligen SED-PDS.
Der heutige Ansatz der »doppelten Transformation« nach Brie, Candeias und Klein trägt diesen Grundgedanken ebenso in sich. Sie gehen davon aus, dass das neoliberale und finanzdominierte »Akkumulationsregime« in vielfältiger Weise in eine Krise geraten ist. Die »multiple Krise« betrifft die Finanzwelt und die Wirtschaft, sie ist sozial-ökologisch und erstreckt sich ebenso auf das Zusammenleben in einer Demokratie. Sofern diese Krise die Fundamente des gegenwärtigen »Akkumulationsregimes« bedrohen, so schreiben Brie, Candeias und Klein, können diese auch Anknüpfungspunkte für linke Politik sein: »Differenzierungs– und Lernprozesse (können) Teile der Machteliten in der Auseinandersetzung mit den konservativen Fraktionen im Machtblock zu progressiven Transformationen nötigen«, die von Linken befördert und für beträchtliche Veränderungsprozesse genutzt werden müssten.
Die drei entlehnen ihre Idee von der Abfolge relativ stabiler Phasen (»Akkumulationsregimes«) innerhalb der Entwicklung des Kapitalismus der Regulationstheorie, einer letztlich auf den französischen Philosophen Louis Althusser (siehe jW-Thema vom 22.10.2015) zurückgehenden Idee aus den 70er Jahren. Demnach sind der Kapitalismus freier Konkurrenz, der Monopolkapitalismus, der sozialstaatlich regulierte Kapitalismus (»Fordismus«) und der neoliberale Kapitalismus Formen bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften in Europa. Theoretisch kann es Kapitalismen unterschiedlichster Form geben, die ineinander übergehen, sich transformieren. Der Übergang zu einer sozialistischen Gesellschaft wäre demnach eine »große Transformation«, die nach Ansicht von Dieter Klein »eher mit einer ›kleinen‹ Transformation, das heißt mit einer Transformation im Rahmen des Kapitalismus« beginnen wird.³
Produktionsverhältnis Monopol
Das Problem bei diesem Herangehen – eine innere Transformation des Kapitalismus unter Beibehaltung der Produktionsverhältnisse – ist nicht, dass es keine relativ stabilen Phasen innerhalb kapitalistischer Entwicklung gäbe. Es besteht vielmehr darin, dass das bestimmende Produktionsverhältnis aus dem Blick gerät, das den heutigen Kapitalismus seit Ende des 19. Jahrhunderts über alle relativ stabilen Phasen hinweg strukturiert: das Monopol.
Worin besteht der Unterschied zwischen Produktionsverhältnissen und diesen als Akkumulationsregimes bezeichneten Phasen des Kapitalismus? Letzteres, so zitiert Dieter Klein den französischen Regulationstheoretiker Alain Lipietz, »ist ein Modus systematischer Verteilung und Reallokation des gesellschaftlichen Produktes, der über eine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen Veränderungen der Produktionsbedingungen (dem Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischen den Branchen und den Produktionsnormen) und den Veränderungen in den Bedingungen des Endverbrauches (Konsumnormen der Lohnabhängigen und anderer sozialer Klassen, Kollektivausgaben usw. …) herstellt«.⁴ Ein Akkumulationsregime ist folglich – vereinfacht ausgedrückt – ein relativ stabiles Gleichgewicht zwischen Organisation der Produktion und den Bedingungen der Konsumption. Ein Akkumulationsregime und die politischen Institutionen, die es stützen, bestimmen zusammengenommen die hegemoniale Struktur der kapitalistischen Gesellschaft, also die Herrschaftsform.
Ist hier nicht der Marxsche Gedanke von der ökonomischen Struktur der Gesellschaft erfasst, von der »Produktionsweise des materiellen Lebens«, die »den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt« bedingt? Dem ist nicht so. Für Marx ist der Begriff »Produktionsverhältnisse« zentral, also »bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse« zwischen Menschen, Verhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe der materiellen Produktivkräfte entsprechen.⁵ Der Begriff bezieht sich nicht in erster Linie auf die stofflichen Eigenschaften der Produktion, das Verhältnis zwischen Branchen, die Konsumptionsformen usw., sondern umfasst Eigentums– und grundlegende gesellschaftliche Verhältnisse wie das Kapitalverhältnis (die Beziehung zwischen Kapital und Arbeit). Herrschaft, Macht, auch Herrschaftsformen im Kapitalismus sind nach Marx an Produktions– und Eigentumsverhältnisse gebunden. Und im monopolistischen Stadium des Kapitalismus ist das Monopol das dominierende Herrschafts– und Gewaltverhältnis.
Ist diese Strukturierung nicht viel zu grob für die heutige Zeit? Was sagen die Produktions– und Eigentumsverhältnisse über die neoliberale Politik aus, gegen die sich verschiedenste Kräfte in Europa stemmen? Der Neoliberalismus ist eine Politik und Ideologie, die die aggressiven Erfordernisse eines krisenhaften Stadiums der Kapitalverwertung ausdrückt. Sie rechtfertigt alle Methoden, die Profitraten der Monopole auf Kosten der ganzen Gesellschaft anzuheben. Einerseits durch Profitratensubventionierung, etwa durch Gewinnsteuersenkungen und Privatisierungen. Andererseits durch Verbesserung der Verwertungsbedingungen: Die Monopole sind an einem sinkenden Wert der Ware Arbeitskraft interessiert, folglich fordert der Neoliberalismus die Aufhebung jeder Einschränkung der Konkurrenz unter Lohnabhängigen, die Zerschlagung von Gewerkschaften und die Abschaffung des sogenannten Wohlfahrtsstaats. Diese Rücksichtslosigkeit im Interesse der Monopole drückt sich auch in anderen Politikfeldern, insbesondere in der Gestaltung des politischen Systems, der demokratischen Teilhabe und in der Außenpolitik aus: Es existiert ein bonapartistische Züge tragendes politisches System, verbunden mit einem zentralisierten Staatsapparat mit aufgerüsteten Repressionsorganen und einer zunehmend aggressiver werdenden Außenpolitik.
Die Liste ließe sich fortführen. Ihre Quintessenz läuft jedoch darauf hinaus: Neoliberale Politik ist nicht einfach nur eine von vielen möglichen Politikformen im Kapitalismus; sie ist auch nicht in erster Linie eine hegemoniale Struktur, die sich aus einem spezifischen Akkumulationsregime ergibt. Nein, die Grundlage neoliberaler Politik besteht im Monopol als Produktions-, Herrschafts– und Gewaltverhältnis, zu deutsch: Das, was heute als »neoliberaler Kapitalismus« bezeichnet wird, besteht im Interesse der heutigen, »modernen« Monopolbourgeoisie.
»Eine neue linke Formation«
Brie, Candeias und Klein verstehen ihre »doppelte Transformation« als eine »Aufhebung« scheinbarer Gegensätze, als »Aufhebung« von Reform und Revolution. Die Begrifflichkeit ist zwar der Revisionismusdebatte zwischen Eduard Bernstein und Rosa Luxemburg entlehnt, dennoch geht es in den Darlegungen der Autoren weniger um die Dialektik von Reform und Revolution, wie sie immer wieder diskutiert wurde und wird. Es geht um etwas anderes. »Transformation« ist weniger ein in sich geschlossenes theoretisches Konzept als eine Art doppelte Absage an »orthodoxe sozialdemokratische wie kommunistische Orientierung«, wie Michael Brie schreibt.⁶
Was sagt das über den Charakter der Strategie der »doppelten Transformation« aus? Es ist eine politische Ortsbestimmung, also eine Angabe darüber, welchen politischen Raum man einzunehmen gedenkt. Denn die neoliberale Politik hat die reformistische Strömung innerhalb der Arbeiterklasse – die sich in der SPD und in Teilen der Gewerkschaft wiederfindet und die eine Harmonisierung der Interessen von Kapital und Arbeit zum Ziel hat – in eine Krise gestürzt. Einerseits muss diese Strömung ihre integrative Wirkung angesichts einer aggressiven Politik im Interesse des Monopolkapitals in der Arbeiterklasse entfalten, wenn sie weiter ein Existenzrecht genießen will – wie die Politik der Regierungen von Anthony Blair in Großbritannien und Gerhard Schröder in der BRD. Andererseits steht diese Politik der Vertreter des Reformismus im krassen Widerspruch zu den Interessen ihrer Stammwählerschaft bzw. zur Basis ihrer Parteien, so dass Teile davon herausbrechen.
Die kommunistischen Parteien haben die Krise der klassischen Sozialdemokratie nicht zu nutzen vermocht, im wesentlichen aus zwei Gründen. Nach dem Ende des Sozialismus in Osteuropa haben sich zwar einige Parteien konsolidiert. Aber der implosionsartige Verlust an Orientierung, Organisationskraft und Perspektive, der mit der historischen Niederlage von 1989⁄91 einherging, wirkt in der kommunistischen Bewegung immer noch nach. Ferner geht die Krise der klassischen Sozialdemokratie nur in begrenztem Maße mit einem Aufschwung von Klassenkämpfen einher. Sozialpartnerschaft und Standortnationalismus – die ideologische Basis des Reformismus – sind in der Arbeiterklasse nach wie vor vorherrschend.
In dieser Situation zielt die Strategie der drei Stiftungswissenschaftler auf die entstandene Lücke. Michael Brie: »Die bisherige Strategie (…) der Mehrheit der europäischen Sozialdemokratie, eine neoliberale Wirtschaftsstrategie und eine des Umbaus der sozialen Systeme mit linker Rhetorik zu verbinden, (…) ist gesellschaftspolitisch zum Scheitern verurteilt.« Statt dessen gebe es Potential für »eine neue linke Formation, teils durch Transformation ›alter‹, teils durch Bildung neuer Akteure. (…) Es wäre eine Aufgabe, die immer die Schaffung einer neuen breiten Linken, eine linke Hegemonie über die Mitte der Gesellschaft und ein zukünftiges politisch regierungsfähiges Mitte-Links-Bündnis im Auge hat.«⁷
Diese Auffassung wird nicht allein vom Reformflügel in Die Linke in Deutschland geteilt, sondern ist ein internationales Phänomen. Innerhalb EU-Europas besteht mit der Europäischen Linkspartei (ELP), ein »Bündnis ›transformierender‹ linker Parteien« (Michael Brie). Die griechische Partei Synaspismos etwa – bis zu ihrem Aufgehen in ihrer Nachfolgerin Syriza politische Heimat von Alexis Tsipras – war ELP-Gründungsmitglied. »Synaspismos« war von 1989 bis 1991 der Name eines Wahlbündnisses der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) mit anderen linken Kräften. Die damaligen »Erneuerer« in der KKE machten sich Hoffnungen, enttäuschte Wähler von der regierenden sozialdemokratischen Pasok übernehmen zu können. Sie versuchten, das Wahlbündnis inklusive der KP in eine linke Wahlpartei zu transformieren, dem entzog sich die KKE allerdings.
Die Krise der sozialdemokratischen Pasok war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht voll ausgeprägt. Erst die Enttäuschung ihrer Wähler und Mitglieder über ihre rigorose Kürzungspolitik und die Umsetzung der Troika-Auflagen in den Jahren 2009 bis 2012 spülte einen großen Teil der Wählerschaft und der Aktiven der Sozialdemokraten in die Reihen von Syriza und machte Pasok zu einer Splitterpartei.
Alle nichtmonopolistischen Schichten
Der grundsätzliche Unterschied zwischen dem – in vielfältigen Varianten angestrebten – »Mitte-links«-Wahlbündnis und einer antimonopolistischen Strategie besteht nicht in erster Linie aus dem Gegensatz von Fundamentalopposition und Regierungsbeteiligungen. Eine Koalitionsregierung kann unter ganz bestimmten Umständen die Form sein, in der ein antimonopolistisches Bündnis zusammenarbeitet. Es geht bei dieser Frage nicht um einen künstlichen Gegensatz, sondern um die Dialektik von Form und Inhalt: Koalitionsregierungen können das Ergebnis eines veränderten Kräfteverhältnisses zwischen Monopolbourgeoisie einerseits sowie andererseits einer organisierten und kampfbereiten Arbeiterklasse und anderen nichtmonopolistischen Schichten sein. Diese Verschiebung des Kräfteverhältnisses kann aber keinesfalls durch eine »regierungsfähige«, also durch eine wahlarithmetisch mögliche »Mitte-links«-Regierung abgekürzt werden.
In einem gewissen Rahmen ist das den Akteuren in der Debatte um »Crossover« und »Rot-Rot-Grün« auch bewusst. Tom Strohschneider, Chefredakteur des Neuen Deutschlands, etwa spricht von der »Kontraproduktivität von Mitte-links-Regierungen« – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Portugal, Frankreich, Italien, Spanien und Norwegen.⁸ Die Antwort besteht in einem übertriebenen Pragmatismus, nach dem Motto: Wenn man an einer »Mitte-links«-Regierung nichts Gutes finden kann, dann muss man sich eben einer Lupe bedienen. Die-Linke-Kovorsitzende Katja Kipping treibt dieses Herangehen bei der Bewertung der Politik von Tsipras auf die Spitze: Immerhin habe die griechische Regierung wenigstens kurzzeitig »eine Gegenmacht in Europa aufblitzen lassen«. Das sei zwar nicht alles, sei aber auch »nicht Nichts«,⁹ beruft sie sich auf Hegel, der damit ausdrücken wollte, dass selbst in einem voraussetzungslosen Anfang nicht das reine Nichts steckt, sondern ein Nichts, von dem ein Anfang ausgeht. Man kann es auch so ausdrücken: Wenn der Erfolg selbst mit der Lupe nicht mehr sichtbar ist, hilft nur noch zur Metaphysik degradierte Philosophie.
Die Hoffnungen auf eine Europäische Union ohne eine neoliberale Politik sind in Griechenland an derMacht insbesondere des deutschen Monopolkapitals zerschellt. Es rächt sich nun, dass die Syriza-Partei und ihre Vorläuferin seit jeher die EU als ein neutrales Feld des demokratischen Kampfs verstanden haben, anstatt die Machtverhältnisse zwischen imperialistischen Staaten ins Zentrum ihrer Strategieentwicklung zu stellen. Ein fataler Fehler aller Transformationstheoretiker, nicht nur in Griechenland. Auch in den Reihen der Partei Die Linke klingen noch die fatalen Sätze von André Brie nach, dem ehemaligen Europaabgeordneten und Programmautor der PDS: Keine politische Kraft könne »proeuropäischer sein als die Linke«, zu deutsch: Man wolle die EU-Integration »aktiv und konkret« unterstützen.¹⁰
Inzwischen setzt Tsipras die Politik der Memoranden und damit die der sozialdemokratischen Pasok fort, deren Rolle Syriza übernommen hat. Mit ihr verfügt diese Politik heute de facto wieder über eine stabile parlamentarische Mehrheit. Die Transformationsstrategie ist aber nicht aufgrund individuellen Verrats gescheitert. Es geht um etwas viel Grundsätzlicheres: Jeder Versuch, eine neoliberale Politik zu bekämpfen, ohne zugleich das antimonopolistische Lager zu stärken, muss an der Macht der Monopolbourgeoisie scheitern.
Eine sozialistische Bewegung muss sich daher der schwierigen Aufgabe stellen, nicht nur die Zersplitterung der Arbeiterklasse in Arbeitslose, Prekäre, Stammbelegschaften usw. zu überwinden sowie Standortnationalismus und den Glauben an Sozialpartnerschaft zurückzudrängen. Sie muss auch weitere nichtmonopolistische Schichten für die Verteidigung und Erweiterung noch bestehender demokratischer und sozialer Errungenschaften gewinnen, so dass das Monopolkapital isoliert und ein Weg zum Sozialismus geöffnet werden kann.
Zur Lösung dieser Aufgabe sind Erfahrungen in den kommunistischen Parteien bewahrt und theoretisch verallgemeinert worden. Ihre Destruktion in Linksparteien ging daher dort, wo sie gelang, mit einem herben Verlust an theoretischem und praktischem Wissen für die antimonopolistische Bewegung einher. In der DKP konnte dieses Bestreben – mit Hilfe einer kritischen Debatte um die »Politischen Thesen« des ehemaligen Sekretariats um Heinz Stehr und Leo Mayer – gewendet werden: Hin zu einer Befassung mit der Frage, wie eine zeitgemäße antimonopolistische Strategie mit Leben gefüllt werden kann. Denn kommunistische Politik darf sich nicht auf die Entlarvung der Transformationsstrategie reduzieren. Sie muss immer mit einem Angebot einhergehen: dem Angebot zum gemeinsamen Kampf gegen das Monopolkapital, über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg.
Anmerkungen
1 In: Marxistische Blätter, Heft 10/1988, S. 60
2 Arbeitsmaterialien des IMSF, Heft 28: Jörg Huffschmid/Heinz Jung, Reformalternative. Ein marxistisches Plädoyer. Frankfurt am Main 1988, S. 152 f.
3 Dieter Klein: Das Morgen tanzt im Heute. Transformation im Kapitalismus und über ihn hinaus. Hamburg 2013, S. 22 und S. 13
4 Alain Lipietz: Akkumulation, Krisen und Auswege aus der Krise. in: Prokla, Heft 58/1985, S. 120
5 Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: Marx-Engels-Werke, Band 13, S. 8 f.
6 Michael Brie: Elemente einer sozialistischen Transformationskonzeption, in: Transform!, Heft 12 – 13⁄2013
7 Ebd., S. 90 und 96
8 Tom Strohschneider: Linke Mehrheit? Über Rot-Rot-Grün, politische Bündnisse und Hegemonie. Hamburg 2014, S. 46
9 http://www.katja-kipping.de/de/article/956.euro pa-revolutionieren.html (Zugriff am 14.10.2015)
10 André Brie: Thesen für die EU-Konferenz der GUE/NGL und der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 10./11.3.2007, S. 2 f.
übernommen mit freundlicher Genehmigung aus der marxistischen Tageszeitung junge Welt vom 23.10.2015
https://theoriepraxis.wordpress.com/2015/10/26/krit ik-der-transformations-theorie/
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