Donnerstag, 31. August 2017

Buchtipp: Öcalan: Zivilisation und Wahrheit

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Abdullah Öcalan: Zivilisation und Wahrheit. Maskierte Götter und verhüllte Könige. Manifest der demokratischen Zivilisation, Band 1

Öcalans Visionen

Buchtipp von Harry Popow

Die neue Parole sollte nicht „Sozialismus statt Kapitalismus“ lauten, sondern „Freies Leben statt Kapitalismus“. Diesen Satz schrieb Abdullah Öcalan in seinem Buch „Zivilisation und Wahrheit. Maskierte Götter und verhüllte Könige“ auf Seite 292.

Eine bemerkenswerte Äußerung. Einerseits mag sie jene schockieren und ungläubig den Kopf schütteln lassen, die fest auf dem Boden von bisher erkannten gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten stehen, andererseits dürfte sie bei Leichtgläubigen neue Illusionen wecken. In beiden Fällen taucht die Frage auf, was der Autor unter „freies Leben“ versteht. Gibt er darauf eine Antwort? Dem nachzugehen lohnt sich, denn Öcalan ist nicht irgendwer.

Abdullah Öcalan (auch Apo genannt; geboren am 4. April 1949 in Ömerli, Şanlıurfa, Türkei) ist Gründer und langjähriger Vorsitzender der PKK. 1999 wurde er aus Kenia verschleppt und in der Türkei zum Tode verurteilt. Seither sitzt er in Isolationshaft, in der er mehr als zehn Bücher verfasste. Er gilt als führender Stratege und einer der wichtigsten politischen Repräsentanten des kurdischen Volkes. Die Türkei führte sogar zwischen 2013 und 2015 mit ihm Gespräche über eine Lösung der kurdischen Frage. Seit die Regierung diese abgebrochen hat, ist die Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer völlig von der Außenwelt abgeschnitten.



Auf Seite 196 betont er, dass er ebenso wenig wie die besten Philosophen und Historiker sich nicht anmaßen kann, die Fähigkeit zu besitzen, das Thema Zivilisation und soziologisches Wissen auf eine stabile Grundlage zu stellen. Doch die Fähigkeit zur Interpretation sollte man aus Respekt vor dem freien Leben erwerben, sagt er.

Er begründet seine politische Haltung mit der Wut gegen das Unvermögen, eine ideologische Borniertheit zu überwinden. Es handele sich um ein System, das angeblich die Menschenrechte über alles stellt. Und in Bezug auf seine Verhaftung stellt der Autor klar, dass er in seiner Verteidigung einen Beitrag zum politischen Prozess leisten wollte, eine politische Botschaft zu bringen habe. (S. 27)

Der Inhalt des Buches besteht aus drei Kapitel: Methode und Wahrheitsregime, Quellen der Zivilisation, Urbane zivilisierte Gesellschaft. Im ersten Teil stellt Öcalan sein Verständnis von der Wissenschaft dar und die dazu angewandten Methoden. Sodann stellt er die Frage, was Wahrheit ist und ob und wie man sie erlangen kann. Der Autor kritisiert die Unterscheidung von „Objektivität“ und „Subjektivität“. Im zweiten Kapitel widmet er sich der Geschichte der Entstehung von Zivilisationen. Ein längerer Text verdeutlicht die Entwicklung der Menschheit von den Sumerern und den Zikkurat (Tempeltürme in Mesopotamien) bis zur Entwicklung des Islam. Hierbei geht es ihm um die Quellen der Zivilisation, die schätzungsweise vor sieben Millionen Jahren mit der Abspaltung des Menschen von derjenigen der Primaten und dem Beginn der landwirtschaftlichen Revolution begann. (S. 100) Doch in diesem Buchtipp wollen wir uns vor allem auf die Suche nach der Antwort auf die eingangs gestellte Frage nach dem sogenannten „Freien Leben“ begeben.



Das Krebsgeschwür


Den Kapitalismus definiert Öcalan als EINE Zivilisation, setzt den Kapitalismus und die Zivilisation aber keineswegs gleich. Er sieht den Kapitalismus als EINE Zivilisation, nicht als die Zivilisation schlechthin. Aber was unterscheide sie von vorherigen und was sind seine eigenen Beiträge? So lautet denn die Hauptthese seiner Verteidigungsschrift: Das System der staatlichen Zivilisation – Klasse, Stadt und Staat -, entwickelt sich bis zur jüngsten Ära des Finanzkapitals und beruht „überwiegend auf Ausbeutung und Repression gegen die landwirtschaftliche und dörfliche Gesellschaft.“ Diesem System der Repression und Ausbeutung stellt der Autor die demokratische Zivilisation gegenüber, die auf den „zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten der fünftausendjährigen staatlichen Zivilisation“ beruhen. Der Hauptwiderspruch sei nicht nur der Klassenwiderspruch, sondern der zwischen der staatlichen und der nichtstaatlichen demokratischen Zivilisation. (S. 297)

Wenn der Rezensent dies richtig interpretiert, versteht der Autor die Weiterentwicklung der Menschheit als einen Rückzug nicht nur vom Kapitalismus, sondern auch von seinen Auswüchsen samt Staat, Nationalstaat und sämtlichen Hegemonialbestrebungen, siehe USA. Er schreibt, darauf kommen wir noch zurück, von einem demokratischen Konföderalismus, angewendet vor allem auf den Mittleren Osten und auf Kurdistan. Wir werden sehen, dass das von ihm proklamierte Ziel von einem „freien Leben“ möglicherweise identisch ist mit diesem Konföderalismus.

Symptome vom Heute

Zu Felde zieht Öcalan, was Wunder, vor allem gegen die kapitalistische Moderne, die er als jüngsten Abschnitt der staatlichen Zivilisation betrachtet. So charakterisiert er deren wahres Gesicht auf Seite 260 als „voll von unnatürlichen gesellschaftlichen Krankheiten und Verzerrungen wie Gewalt, Lüge, Betrug Rohheit, Intrigen, Krieg Gefangenschaft, Vernichtung, Knechtschaft, Treulosigkeit, Raub, Plünderung, Gewissenlosigkeit, Missachtung des Rechts, Anbeten von Stärke, Verzerrung und Missbrauch des Prinzips von Heiligkeit und Göttlichkeit für die Interessen einer Minderheit, Vergewaltigung, Sexismus, Überfluss an Besitz für die einen, Hungertod und Elend für die anderen.“ Durch die Macht der Propaganda müsse sie ihr wahres Gesicht verbergen. Zum Kern der Ursachen stößt der Autor, wenn er auf „die Art und Weise der Verfügung über das wachsende Mehrprodukt sowie Raub von und Privatbesitz an Produktionsmitteln, vor allem Grund und Boden“ verweist. Um dieses Eigentum zu schützen „und die Gesamtheit des Mehrprodukts an die Eigentümer zu verteilen“, dazu sei der Staat da, Staat bedeute „organisiertes Eigentum und Besitz an Mehrprodukt und Mehrwert“. Dazu brauche es Dogmen wie Heiligkeit, Gottes Wort und Unantastbarkeit. Und es stößt an seine Grenzen, siehe das Aufbrauchen von Ressourcen, Umweltzerstörung, nukleare Arsenale, die die ganze Welt vernichten können. Hinzu kommen soziale Verwerfungen, eine zerfallende Moral. (S. 51) Öcalan nennt dies alles - einbezogen die ökologische Zerstörung, Arbeitslosigkeit, Lohndumping sowie die von der Produktion losgelösten Teile des Kapitals, die Finanzindustrie – eine strukturelle Krise. (S. 96)

Öcalans Fragen zur Sozialismusidee

Bereits im Vorwort zitiert David Graeber Abdullah Öcalans Standpunkt folgendermaßen: „Ich muss voll Wut und Schmerz feststellen: Es war ein großes Unglück, dass der mehr als 150-jährige edle Kampf für den wissenschaftlichen Sozialismus mit einem vulgärmaterialistischen Positivismus geführt wurde, der ihn von vornherein zum Scheitern verurteilte.“ Leider seien es nicht die Klasse der Arbeiter gewesen, die Widerstand geleistet hätten gegen die Versklavung, sondern die kleinbürgerliche Klasse, „die schon längst vor der kapitalistischen moderne Moderne kapituliert hatte und von ihr absorbiert worden war“. „Der Positivismus ist gerade die Ideologie ihres blinden Starrens auf den Kapitalismus und ihrer oberflächlichen Reaktionen gegen ihn.“ (S. 11)

Und auf Seite 53 meint der Autor, einer der größten Fehler der marxistischen Methode war, „den gesellschaftlichen Aufbau von den Proletariern zu erwarten, die tagtäglicher Repression und Ausbeutung ausgesetzt waren“. (Somit die Verneinung der historischen Mission der Arbeiterklasse. H.P.) „Der wissenschaftliche Sozialismus hat den metaphysischen und historischen Charakter der Gesellschaft viel zu sehr vereinfacht, das Phänomen der Macht auf ein Regierungskomitee reduziert und der Analyse der politischen Ökonomie eine magische Rolle zugemessen“, so Öcalan auf Seite 89. Er zweifele nicht an den guten Absichten der Erbauer des Realsozialismus, aber wie komme es, dass „sie vor dem Kapitalismus, gegen den sie so lange gekämpft haben, freiwillig kapitulierten? Ich halte die Art und Weise, wie sie an die Macht kamen und wie sie die Macht gebrauchten, für die wesentlichen Gründe dieser historischen Tragödie“. (S. 180) Weiter beschäftigt sich der Autor mit den Begriffen Ware, Wert der Arbeit, Tauschwert, Zins, Profit, Rente. Er interpretiere die Ware anders als Karl Marx. So meint er auf Seite 194: „Wenn wir den Zerfall der heutigen Gesellschaft betrachten, in der es beinahe keinen Wert mehr gibt, der nicht warenförmig ist,“ so bedeute dies, auf das Menschsein zu verzichten, dies wäre mehr als Barbarei. Seite 195: „Es kann sinnvoll sein, andere Maßstäbe für den Tausch zu finden oder neue Formen von Geschenken zu entwickeln.“


Lösungswege oder…?

Freies Leben? Wenn es darauf auch keine klaren Definitionen geben kann, so sollten interessierte Leser zunächst jene Ansätze des Autors unter die Lupe nehmen, die zu mindestens neue Wege – abseits vom marktgetriebenen Kapitalismus – aufzeigen, über die es sich lohnt, Gedanken zu machen, zu diskutieren. Auf Seite 26 betont der Autor, niemand habe den Kapitalismus umfassender analysiert als Marx, nur wenige haben so konzentriert wie Lenin über Staat und Revolution nachgedacht. Trotzdem solle man sich mehr mit den Utopien der Freiheit befassen, mit dem Individuum und der Gesellschaft. Im Zeitalter des höchst entwickelten globalen Kapitals müsse man sich auf die Suche nach globaler Demokratisierung machen. Zu fragen ist, wie wir am besten zum Sinn des Lebens gelangen. (S.32/33)

Auf den Seiten 94 bis 99 notiert der Autor in Stichworten seiner Meinung nach Chancen, „eine eigene Methode und einen eigenen Wissensstil im Sinne eines libertären und demokratischen Aufbruchs zu entwickeln, für den wir uns in dieser chaotischen Phase der Moderne entscheiden müssen“. So beschwört er u.a., nie eine Metaphysik des Guten, Schönen, Freien und Wahren außer Acht zu lassen, den Diskurs der demokratischen Politik in den Mittelpunkt zu stellen, Tausende zivilgesellschaftliche Organisationen zu gründen mit Blick auf Funktion, Nutzen und Notwendigkeit. Auch könne die demokratische Nation getrennt vom Staat, neben ihm oder auch in ihm existieren. Die politischen Leitungsformen der demokratischen Nation könnten auf der Grundlage eines lokalen, nationalen, regionalen und globalen Konföderalismus gestaltet werden. Demokratischer Konföderalismus, Basisdemokratie.

Ausgangspunkt für die politische Neuausrichtung war das Scheitern
des Realsozialismus und der nationalen Freiheitsbewegungen in Bezug
auf das Ziel, eine befreite Gesellschaft zu schaffen. Vor diesem Hintergrund beschreibt Abdullah Öcalan, der mit seinem Entwurf zum Demokratischen Konföderalismus die Neuausrichtung der Kurdischen Bewegung maßgeblich mitgestaltete, das Modell einer „demokratischen, ökologischen, geschlechterbefreiten Gesellschaft“ als Alternative zur Revolution, die auf Umsturz und Machtübernahme abzielt. Es geht um eine Abkehr von der Errichtung eines sozialistischen Nationalstaates hin zu einer Gesellschaft, in der ein Zusammenleben jenseits von Verwertbarkeitsdenken, Patriarchat und Rassismus möglich gemacht werden soll – einer „ethischen und politischen Gesellschaft“ mit einer basisdemokratisch selbstverwalteten Struktur, die sich zur entmündigten, homogenisierten Konsumgesellschaft des Kapitalismus abgrenzt. Der Prozess hin zu einer freien Gesellschaft soll von den gesellschaftlichen Gruppen und Individuen selbst gestaltet werden. Abzulehnen sei der Nationalstaat als ein Konstrukt bürgerlicher Macht im Kontext kapitalistischer Entwicklung. (Siehe
http://www.kritisches-netzwerk.de/sites/default/files/abdullah_oecalan_-_demokratischer_konfoederalismus_10.pdf )
Öcalan mahnt, eine Gesellschaft, die den Erfordernissen von Ökologie und Umwelt gerecht werden will, müsse die grundlegenden Kriterien, die Zivilisation ausmachen – Klasse, Stadt und Staat – überwinden: sie müsse von einem Ausgleich und einer Harmonie zwischen der materiellen und ideologischen Kultur der neuen Gesellschaft ausgehen. „Ich rede hier nicht von einer plumpen Vernichtung“, so Öcalan auf Seite 264.

Belesene Leser, Kenner der marxistischen Theorie werden sich spätestens an dieser Stelle der wissenschaftlich begründeten Feststellungen von Marx und Engels erinnern, die davon schrieben, dass sich der Staat im Verlaufe der gesellschaftlichen Entwicklung überflüssig machen werde, er werde schlechthin absterben. Insofern waren die Klassiker des Marxismus/Leninismus heutigen Erkenntnissen immer noch meilenweit voraus in ihrem Denken. Es kommt nur darauf an, sie auch in der Praxis des täglichen Lebens schöpferisch umzusetzen, wofür sehr viel Denkarbeit und Widerstand gegenüber Dogmatikern und angepassten Kleingeistern von Nöten wäre.

In diesem Sinne ist das Buch von Abdullah Öcalan eine Fundgrube, nicht nur für gesellschaftskritische Betrachtungen, sondern ebenso für Wissbegierige, die tiefer in die Geschichte der Zivilisationen, deren Ursprünge und Machtentwicklungen einsteigen möchten. Dazu gibt die Lektüre ein Konglomerat an Fakten und bereicherndem Geschichtswissen, auf die in diesem Buchtipp nicht näher eingegangen werden konnte. Alles in Allem: Es bleibt dabei: Zunächst Sozialismus statt Kapitalismus.



Abdullah Öcalan: Zivilisation und Wahrheit. Maskierte Götter und verhüllte Könige, Taschenbuch: 320 Seiten, Verlag: Mezopotamien Verlag; Auflage: 1 (17. März 2017), Sprache: Deutsch, ISBN-10: 3945326494, ISBN-13: 978-3945326497

(Siehe auch http://www.kritisches-netzwerk.de/forum/oecalans-visionen-buchtipp-zu-abdullah-oecalans-zivilisation-und-wahrheit) 





US-Krieger drohen


Trump droht Nordkorea mit Krieg


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 31. AUGUST 2017


von Peter Symonds – http://www.wsws.org

Am 29. August führte Nordkorea einen weiteren Raketentest durch und schoss eine Mittelstreckenrakete über Japan hinweg in den Pazifik. Darauf drohte US-Präsident Donald Trump dem Land erneut mit Militärschlägen, und er erklärte: „Alle Optionen liegen auf dem Tisch.“

Trump bezeichnete das Vorgehen der Regierung in Pjöngjang als „bedrohlich und destabilisierend“. Er warf ihr vor, die UN, ihre Nachbarstaaten und den „Mindeststandard für international akzeptables Verhalten“ zu missachten.

Trumps Worte widerlegen faktisch seine Äußerungen vom letzten Wochenende und von Außenminister Rex Tillerson, Gespräche mit Pjöngjang seien möglich. Bei einer Veranstaltung in Arizona hatte er erklärt, der nordkoreanische Staatschef Kim Jong-un „beginne, uns zu respektieren“, und fügte hinzu: „Vielleicht wird sich daraus etwas Positives ergeben, wahrscheinlich aber nicht.“

Anfang August hatte Trump die ohnehin schon äußerst angespannte Lage auf der koreanischen Halbinsel bewusst verschärft, als er Nordkorea mit „Feuer und Zorn, wie die Welt sie noch nie gesehen hat“ drohte, falls das Land die USA weiterhin bedrohen sollte. Statt von dieser beispiellosen Drohung mit einem Atomkrieg abzurücken, erklärte er später, die militärischen Optionen gegen Nordkorea seien „geladen und entsichert“.

Die Verbündeten der USA, vor allem Japan, Südkorea und Australien, verurteilten den jüngsten Raketenstart und übertrieben maßlos die Gefahr, die von ihm ausging. Der japanische Premierminister Shinzo Abe nannte ihn eine „empörende Tat, die eine beispiellose, gravierende und ernsthafte Gefahr darstellt“. Die Medien in den USA und Europa schlossen sich an und sprachen von einer „beispiellosen Provokation“ (The Australian) oder „dem aggressivsten Schritt… seit fast zwanzig Jahren“ (die Financial Times).

Nordkoreas Raketentests sorgen nur dafür, dass sich eine ohnehin schon hochgefährliche Lage noch weiter anspannt, und sie würden die Bevölkerung nicht vor einem Angriff unter Führung der USA schützen. Doch die Hauptverantwortung dafür, dass Asien und die Welt am Rande eines Atomkriegs stehen, liegt bei der Regierung in Washington. Die USA haben Nordkorea erst jahrzehntelang isoliert, danach haben Barack Obama und Trump die verheerenden Sanktionen gegen Pjöngjang deutlich ausgeweitet, um die Wirtschaft des Landes zu zerstören und es zur Unterwerfung unter das Diktat der USA zu zwingen.

Das Regime in Pjöngjang fürchtet die Folgen einer vollständigen Kapitulation. Deshalb benutzt es sein beschränktes Atomarsenal, um einen Konflikt mit dem US-Imperialismus zu vermeiden, der mächtigsten Militärmacht der Welt, die in den letzten fünfundzwanzig Jahren ein Land nach dem anderen angegriffen, überfallen oder dort interveniert hat. Nordkoreas aggressive Drohungen und Aktionen spielen den USA jedoch nur in die Hände. Die US-Regierung hat Nordkorea als Vorwand für eine massive militärische Aufrüstung in der Asien-Pazifik-Region benutzt, die in Wirklichkeit der Vorbereitung eines Kriegs gegen China dient.

Nach dem Raketenstart am 29. August setzten sich die USA gemeinsam mit Japan für eine Krisensitzung des UN-Sicherheitsrats ein, die am Dienstagabend New Yorker Ortszeit stattfand. Nach vierstündigen Gesprächen gab der Sicherheitsrat eine Erklärung heraus, in der er Nordkoreas „empörendes Verhalten“ verurteilte und sie als „Gefahr nicht nur für die Region, sondern für alle UN-Mitgliedsstaaten“ bezeichnete.

Zuvor hatte die amerikanische UN-Botschafterin Nikki Haley Nordkoreas Verhalten als „absolut inakzeptabel und verantwortungslos“ bezeichnet und erklärt, es müsse „etwas Ernsthaftes passieren“. Zweifellos werden die USA und ihre Verbündeten noch härtere Sanktionen fordern. Bereits Anfang August wurden weitere Sanktionen verhängt, durch die sich Nordkoreas begrenzte Exporte um ein Drittel verringern.

Es ist unwahrscheinlich, dass der UN-Sicherheitsrat über den Antrag Nordkoreas nach einer Diskussion über die Gefahr durch amerikanisch-südkoreanische Militärübungen überhaupt ernsthaft nachgedacht hat. Am Manöver mit dem Namen Ulchi Freedom Guardian sind zehntausende Soldaten mit hochmodernem Kriegsgerät beteiligt. Am 28. August hatte der nordkoreanische UN-Botschafter, Ja Song Nam, in einem Brief an die UN den USA vorgeworfen, sie veranstalteten eine „provokante und aggressive Militärübung in einem so gefährlichen Moment, in dem die Lage auf der koreanischen Halbinsel eine tickende Zeitbombe ist“.

Die USA und Südkorea versuchen mit aller Macht die Fiktion aufrecht zu erhalten, das Manöver sei rein defensiv ausgerichtet. Aber schon im November 2015 beschlossen die beiden militärischen Führungen, einen gemeinsamen Operationsplan mit der Bezeichnung OPLAN 5015 zu entwickeln, der an die Stelle einer angeblich defensiven Strategie trat. Der neue Plan sieht Präventivschläge gegen militärische und industrielle Ziele in Nordkorea und Enthauptungsschläge zur Ermordung seiner Führer vor.

Die südkoreanische Zeitung Chosun Ilbo berichtete am 29. August, Präsident Moon Jae-in habe das Militär aufgefordert, neue Kriegspläne zu entwickeln, die „schnell zu einer offensiven Haltung übergehen könnten, sollte Nordkorea eine Provokation begehen, die zu weit geht oder die Hauptstadt angreift“. Eine militärische Quelle hatte der Zeitung mitgeteilt, dass der Kern des Plans darin bestehe, „Luftlandetruppen und Marines zu mobilisieren, um Pjöngjang schnell zu infiltrieren und das nordkoreanische Regime zu stürzen“.

Der Kriegsplan sieht schwere Angriffe Südkoreas auf Nordkorea vor, ohne auf die Heranführung amerikanischer Kriegsschiffe und massiver Truppenverstärkungen zu warten. Es ist allerdings fest davon auszugehen, dass das Pentagon und das Weiße Haus eng in die Planungen eingebunden sind. Im Fall eines Kriegs mit Nordkorea übernehmen die USA sofort die militärische Führung der südkoreanischen Armee. Die Zeitung schreibt, dass die Strategie Luft- und Raketenschläge auf mehr als 1.000 nordkoreanische Ziele und die Ermordung nordkoreanischer Führer vorsehe.

Präsident Moon befahl noch am selben 29. August eine provokative Demonstration der überwältigenden Überlegenheit und ordnete an, von vier F-15K-Kampfjets in der Nähe der nordkoreanischen Grenze acht bunkerbrechende Bomben mit einer Sprengkraft von je einer Tonne abwerfen zu lassen. „Unsere Luftwaffe wird die nordkoreanische Führung mit unseren starken Fähigkeiten auslöschen, wenn die Sicherheit unseres Volkes und das südkoreanisch-amerikanische Bündnis bedroht sind“, erklärte der Einsatzführer den Medien.

Wenn Trump außerdem erklärt, dass „alle Optionen auf dem Tisch“ liegen, dann beinhaltet das auch die „Feuer und Zorn“-Option, d.h. den Einsatz von Nuklearwaffen. Vergangene Woche prahlte er, die USA gäben riesige Summen aus, um „unser nukleares Arsenal und unsere Raketenverteidigung“ auf Vordermann zu halten, um die amerikanische Vorherrschaft in einem Atomkrieg zu sichern. Gleichzeitig gab die Luftwaffe den Abschluss umfangreicher Verträge bekannt, eine Cruise Missile mit Tarnkappentechnologie und neue interkontinentale ballistische Raketen zu entwickeln. Anfang des Monats gab die Air Force den zweiten Testflug einer neuen Gravitationsatombombe bekannt.

China ist höchst besorgt über die Möglichkeit eines Kriegs vor seiner Haustür auf der koreanischen Halbinsel. Gemeinsam mit Russland setzt es sich für ein „doppeltes Einfrieren“ ein: für einen Stopp der amerikanisch-südkoreanischen Manöver im Gegenzug für den Stopp der nordkoreanischen Atom- und Raketentests. So sollen Verhandlungen ermöglicht und ein Ende der Konfrontation erreicht werden. Die USA haben jeden Stopp gemeinsamer Militärübungen mit Südkorea glatt zurückgewiesen.

Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunjing forderte beide Seiten auf, sich an die UN-Resolutionen zu halten, die die betroffenen Parteien auffordern, nicht zu provozieren und die Spannungen in der Region nicht zu erhöhen. Sie sagte, China fürchte, die Lage sei jetzt „an einem kritischen Punkt und nähere sich einer Krise“.

Trumps Drohungen mit militärischem Vorgehen und die zunehmende Propagandakampagne in den amerikanischen und internationalen Medien gegen Nordkorea deuten darauf hin, dass die USA und ihre Verbündeten sich auf Krieg vorbereiten.

http://www.wsws.org/de/articles/2017/08/31/nord-a31.html 






Montag, 28. August 2017

Indymedia - Inszenierung


Indymedia-Verbot


Zero News auch im Netz

Autor: U. Gellermann
Datum: 28. August 2017

Man hatte sich daran gewöhnt: Wirkliche Nachrichten gab es im Medienmainstream immer seltener. Vor allem wenn es um Themen von Krieg und Frieden ging, wurde der Fluss echter Nachrichten immer geringer: Nazis in der Ukraine? No News. Kein Frieden in Afghanistan? Fake News. Krieg in Syrien? Fake-Wording. Für Liebhaber ziemlich echter Nachrichten wurde und ist das Internet zunehmend die Alternative zu dem, was die Öffentlich-Rechten und die gleichförmigen Privaten so zu bieten hatten. Jetzt zeigt der Innenminister mal was er davon hält: Als erste alternative Quelle hat Innenminister de Maizière die Internetplattform "linksunten.indymedia.org" verboten. Von dieser Site soll nur noch Zero kommen. Um das Verbot öffentlich zu rechtfertigen, wurden dann bei einer Hausdurchsuchung in den Wohnungen der Betreiber von Indymedia prompt „Waffen“ gefunden. Denn immerhin wird die Presse- und Meinungsfreiheit durch das schwere Kaliber des Grundgesetzes geschützt, da musste man dringend was Gerichtsfestes finden.

Auf der bis zum Verbot aktuellen Seite von Indymedia wurde zur Solidarität mit den Antifaschisten von Charlottesville aufgerufen, die sich aktiv gegen den US-Naziaufmarsch im US-Bundesstaat Virginia eingesetzt hatten und mit Heather Heyer ein erstes Todesopfer beklagen mussten. Eine andere Meldung berichtete von der Verhaftung des Funktionärs der baden-württembergischen Linkspartei, Daniel Behrens, er alle möglichen Personen öffentlich als Nazis entlarvt haben soll. Schließlich kündigt die Antirassistische Initiative Nordhorn ein „Rock gegen Rechts"-Konzert auf der Site an. Weit und breit nichts von jenem „Hass“ und dieser „Gewalt“, die der Innenminister als Verbotsbegründung nennt.

Messer, Knüppel, Pfefferspray: Sowas findet die Polizei regelmäßig, wenn sie Fußballfans vor Spielen kontrolliert. Banner mit der Aufschrift ACAB „All cops are bastards“ kennt der Innenminister sicher nicht, kann er aber auch bei den Fußballfans finden. Keine der vielen Fan-Sites im Netz wurde bisher verboten. Die Zahl der toten Opfer im Ergebnis von Fan-Ausschreitungen sind noch relativ gering. Reichlich Tote gab es rund um den NSU. Aber wer heute auf die Site der NPD gehen will, wird keineswegs daran gehindert. Zwar gab es bisher noch kein Verbotsurteil gegen die Nazi-Partei, aber das mit ihr und in ihrer Umgebung die mörderische NSU-Weltanschauung gut gedeihen konnte, steht außer Zweifel.

Wer glaubt, das Verbot von Indymedia sei eine normale Polizeimaßnahme im Rahmen von Recht und Gesetz, der sollte die vielen V-Leute, die bezahlten Agenten des Verfassungsschutzes, fragen, die in der rechten Szene die Szenarien geschrieben haben: Was Recht und Gesetz ist, das haben die Agenten immer selbst entscheiden dürfen. Sicher durften das auch die Agent Provocateurs des Bundeskriminalamtes und des Staatsschutzes, die man rund um das Hamburger linksautonome Zentrum Rote Flora verdeckt in Stellung gebracht hatte. Verdeckte Ermittler wurden in Hamburg und anderswo zu Begleitern und Ideengebern der autonomen Gruppen.

Das Verbot von Indymedia ist sicher auch ein Wahlkampfbeitrag des Innenministers, wie die Linkspartei vermutet. Eine Law-and-order-Inszenierung, um den rechten Wähler-Rand festzuklopfen. Doch es ist mehr: Zumindest ein Test, wie weit man das Internet zügeln kann. Denn die lang andauernde Kampagne von Justiz- und Innenminister gegen Fakes und Hass im Netz muss doch mal auf den Punkt gebracht werden: Die Konkurrenz für die öffentlich-rechtlichen Medien und die Zeitungsverlage ist für die wirklich lästig. Was heute der Fall Indymedia ist, kann morgen der Fall Ken FM sein und am Tag danach der Fall Nachdenkseiten.

Der Text der Startseite wurde von Angelika Kettelhack lektoriert.



Donnerstag, 24. August 2017

Die Grenzen des US-Neo-Imperialismus


Das militärische Projekt der Vereinigten Staaten für die Welt



VERÖFFENTLICHT VON LZ⋅23. AUGUST 2017

von Thierry Meyssan


Während alle Experten sich einig sind, dass die Ereignisse in Venezuela dem gleichen Muster wie in Syrien folgen, haben manche den Artikel von Thierry Meyssan beanstandet, indem sie die Unterschiede in der Auslegung der Präsidenten Assad und Maduro betonten. Unser Autor antwortet ihnen. Es geht hier nicht um einen Spezialisten Streit, sondern um eine grundlegende Diskussion über die historische Wende seit dem 11. September 2001 und die unser aller Leben bestimmt.



Dieser Artikel ist die Fortsetzung von: „Meinungsverschiedenheiten innerhalb des antiimperialistischen Lagers“, von Thierry Meyssan, Übersetzung Horst Frohlich, Voltaire Netzwerk, 15. August 2017.
Im ersten Teil dieses Artikels wies ich darauf hin, dass gegenwärtig Präsident Bachar Al-Assad die einzige Persönlichkeit ist, die sich an die neue „große amerikanische Strategie“ angepasst hat; alle anderen denken weiterhin so, als ob die derzeitigen Konflikte denjenigen gleichen, die wir seit dem Ende des zweiten Weltkriegs erlebt haben. Sie halten daran fest, die Ereignisse als Versuche der Vereinigten Staaten zu interpretieren, um die natürlichen Ressourcen an sich zu reißen, indem sie Staatsstreiche organisieren.



So wie ich es jetzt entwickeln werde, denke ich, dass sie sich irren und dass ihre Fehler die Menschheit in die Hölle stürzen könnten.


Das US-strategische Denken



Seit 70 Jahren war die Obsession der amerikanischen Strategen nicht, ihr Volk zu verteidigen, sondern ihre militärische Überlegenheit über den Rest der Welt zu bewahren. In den zehn Jahren nach der Auflösung der UdSSR bis zu den Anschlägen vom 11. September 2001 suchten sie nach Wegen, um jene einzuschüchtern, die ihnen Widerstand leisteten.
Harlan K. Ullman entwickelte die Idee die Bevölkerungen zu terrorisieren, indem man ihnen einen großen Schlag auf den Kopf verabreichte (Shock and awe, Schock und Schauer) [1]. Im Idealfall war es der Einsatz der Atombombe gegen die Japaner, in der Praxis, die Bombardierung Bagdads durch einen Schwarm von Marschflugkörpern.



Die Straussianer (d.h. die Anhänger des Philosophen Léo Strauss) wollten mehrere Kriege zugleich führen und gewinnen (Full-spectrum dominance Vollspektrum-Dominanz). Es waren also die unter einem gemeinsamen Kommando geführten Kriege von Afghanistan und Irak [2].
Admiral Arthur K. Cebrowski befürwortete die Reorganisation der Streitkräfte, um eine große Datenmenge gleichzeitig zu bearbeiten und zu teilen. So könnten Roboter eines Tages sofort die beste Taktik vorschlagen [3]. Wie wir sehen werden, haben die tiefgreifenden Reformen, die er initiiert hatte, schnell begonnen giftige Früchte zu produzieren.



Das neo-imperiale Denken der USA



Diese Ideen und diese Phantasien führten vorerst Präsident Bush und die Marine dazu, das größte internationale System der Entführung und Folter zu organisieren, das 80000 Opfer forderte. Dann hat Präsident Obama ein Mord-System eingerichtet, hauptsächlich durch Drohnen, aber auch durch Kommandos, das in 80 Ländern tätig ist und das über ein jährliches Budget von $ 14 Milliarden verfügt [4].


Seit dem 11. September gab der Assistent von Admiral Cebrowski, Thomas P. M. Barnett, viele Konferenzen im Pentagon und in den Militärakademien, um zu verkünden, was laut dem Pentagon die neue Karte der Welt wäre [5]. Dieses Projekt wurde durch die Strukturreformen der US-Streitkräfte ermöglicht; Reformen, die aus dieser neuen Vision der Welt stammen. Es schien so verrückt, dass ausländische Beobachter es bald als eine neue Rhetorik einstuften, um den zu unterjochenden Völkern mehr Angst einzuflößen.


Barnett behauptete, damit die Vereinigten Staaten ihre Hegemonie auf der ganzen Welt beibehalten könnten, sollten sie „die Lage gut einschätzen“, das heißt, sie in zwei Teile aufspalten. Auf der einen Seite, die stabilen Staaten (G8-Mitglieder und ihre Verbündeten), andererseits der Rest der Welt, als ein einziges Reservoir an Naturschätzen. Anders als seine Vorgänger hielt er den Zugriff auf diese Ressourcen für Washington nicht mehr für so unverzichtbar, behauptete aber, sie sollten für die stabilen Staaten nur über die Dienste der amerikanischen Armeen zugänglich sein. Es sollten daher systematisch alle Staats-Strukturen in diesem Ressourcen-Reservoir zerstört werden, damit niemand eines Tages gegen den Willen von Washington, oder direkt mit den stabilen Staaten, Handel betreiben könnte.


Während seiner Rede zur Lage der Union im Januar 1980 erklärte Präsident Carter seine Doktrin: Washington betrachte die Versorgung der Wirtschaft mit dem Öl des Golfs als eine Sache der nationalen Sicherheit [6]. Anschließend rüstete sich das Pentagon mit dem CENTCOM aus, um diese Region zu kontrollieren. Aber heute importiert Washington weniger Öl vom Irak und Libyen als vor diesen Kriegen; und hat kein Interesse mehr daran!


Staatliche Strukturen zu zerstören, ist die Rückkehr zum Chaos, ein von Léo Strauss entlehntes Konzept, dem Barnett aber einen neuen Sinn gibt. Für den jüdischen Philosophen kann das jüdische Volk, nach dem Scheitern der Weimarer Republik und dem Holocaust, den Demokratien nicht mehr trauen. Das einzige Mittel für ihn, sich vor einem neuen Nationalsozialismus zu schützen, ist, für sich seine eigene globale Diktatur zu errichten – für das Wohl, natürlich -. Man müsste also manche resistente Staaten zerstören, sie in das Chaos zurückwerfen und nach neuen Gesetzen neu aufbauen [7]. Das ist, was Condoleezza Rice in den ersten Tagen des Krieges gegen den Libanon im Jahr 2006 sagte, als Israel noch siegreich erschien: „Ich sehe nicht den Nutzen der Diplomatie, wenn man zum Status Quo Ante zwischen Israel und dem Libanon zurückkommen sollte. Ich denke, es wäre ein Fehler. Was wir hier sehen, in gewisser Weise, ist der Anfang, die Geburtswehen eines neuen Nahen Ostens und was immer wir auch tun werden, müssen wir sicher sein, dass wir für einen neuen Nahen Osten arbeiten und wir nicht zu dem alten zurückkehren“. Im Gegenteil, für Barnett muss man nicht allein die widerspenstigen Völker ins Chaos stürzen, sondern all jene, die noch nicht einen bestimmten Lebensstandard erreicht haben; und wenn sie zum Chaos reduziert sind, man sie dort auch halten muss.


Der Einfluss der Straussianer im Pentagon ist übrigens seit dem Tod von Andrew Marshall, der die „Wende nach Asien“ [Pivot to Asia] erfunden hatte, zurückgegangen [8].


Einer der großen Brüche zwischen den Gedanken von Barnett und denen seiner Vorgänger, ist, dass der Krieg nicht gegen bestimmte Staaten aus politischen Gründen geführt werden soll, sondern gegen Teile der Welt, weil sie nicht in dem globalen Wirtschaftssystem integriert sind. Natürlich wird man mit diesem oder jenem Land beginnen, aber man fördert die Verbreitung, um alles zu zerstören, wie im Erweiterten Nahen Osten zu sehen ist. Heute geht der Krieg mit Panzern weiter, sowohl in Tunesien, in Libyen, in Ägypten (Sinai), in Palästina, im Libanon (Ain al-Hilweh und Ras Baal Beck), in Syrien, im Irak, in Saudi Arabien (Qatif), in Bahrain, Jemen, in der Türkei (Diyarbakır), als auch in Afghanistan.


Das ist der Grund, warum die neo-imperialistische Strategie von Barnett sich auf Elemente der Rhetorik von Bernard Lewis und Samuel Huntington, der „Krieg der Zivilisationen“ unbedingt stützen wird [9]. Da es unmöglich ist, unsere Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Menschen des Reservoirs der natürlichen Ressourcen zu rechtfertigen, können wir uns immer selbst davon überzeugen, dass unsere Zivilisationen nicht kompatibel sind.
 
Laut dieser, einer Power-Point entnommenen Karte von Thomas P. M. Barnett auf einer Konferenz im Pentagon im Jahr 2003, müssen alle Staaten der rosaroten Zone zerstört werden. Dieses Projekt hat nichts mit dem Klassenkampf auf nationaler Ebene zu tun, noch mit der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Nach dem Erweiterten Nahen Osten bereiten sich nun die US-Strategen vor, das nordwestliche Lateinamerika in Schutt und Asche zu legen.



Die Umsetzung des US-Neo-Imperialismus



Es ist genau diese Politik, die seit dem 11. September umgesetzt wurde. Kein Krieg, der geführt wurde, wurde zu Ende geführt. Seit 16 Jahren sind die Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung jeden Tag schrecklicher und gefährlicher. Der Wiederaufbau ihres Staates, nach einem angekündigten Plan auf dem Modell von Deutschland und Japan nach dem zweiten Weltkrieg, fand nicht statt. Die Präsenz der NATO-Truppen hat das Leben der Afghanen nicht verbessert, sondern im Gegenteil, verschlechtert. Es ist klar, dass sie jetzt die Ursache des Problems ist. Trotz der beschwichtigenden Reden über internationale Hilfe, sind diese Truppen nur da, um das Chaos zu vertiefen und zu erhalten.


Niemals, als NATO-Truppen intervenierten, haben sich die offiziellen Gründe des Krieges als wahr erwiesen, weder gegen Afghanistan (die Zuständigkeit der Taliban an den Anschlägen vom 11. September), noch gegen den Irak (die Unterstützung von Präsident Hussein der Terroristen vom 11. September und die Vorbereitung massiver Zerstörungswaffen, um die Vereinigten Staaten zu treffen), noch in Libyen (die Bombardierung seines eigenen Volkes durch die Armee), noch in Syrien (die Diktatur von Präsident Assad und der Sekte der Alawiten). Und niemals hat der Sturz einer Regierung dem Krieg ein Ende gesetzt. Alle diese gehen ununterbrochen weiter, unabhängig davon, welche Parteien an der Macht sind.


Die „Arabischen Frühlinge“, wenn sie auch aus einer Idee des MI6 stammen, nach dem Muster des „arabischen Aufstandes von 1916“ und der Heldentaten von Lawrence von Arabien, wurden sie in der gleichen US-Strategie aufgenommen. Tunesien ist unüberschaubar geworden. Ägypten wurde glücklicherweise von seiner Armee in die Hand genommen und versucht nun, seinen Kopf über dem Wasser zu halten.


Libyen wurde ein Schlachtfeld, nicht seit der Resolution des Sicherheitsrats, die forderte die Bevölkerung zu schützen, sondern nach der Ermordung von Muammar Gaddafi und dem Sieg der NATO. Syrien ist ein Ausnahmefall, weil der Staat nie in die Hände der Muslim-Bruderschaft geraten ist und sie nicht das Chaos im Land sähen konnte. Aber viele Dschihadisten Gruppen der Bruderschaft haben kontrolliert- oder kontrollieren immer noch – Teile des Staats-Gebiets, wo sie Chaos gesät haben. Weder das Kalifat von Daesch, noch Idlib unter Al-Kaida, sind Staaten, wo der Islam gedeihen kann, sondern Zonen des Terrors ohne Schulen, ohne Krankenhäuser.


Es ist wahrscheinlich, dass Syrien wegen seiner Bevölkerung, seiner Armee und seiner russischen, libanesischen und iranischen Verbündeten erreicht, diesem von Washington dafür angelegten Schicksal zu entrinnen, aber der erweiterte Nahen Osten wird weiterhin lodern, bis seine Völker die Pläne ihrer Feinde verstehen. Wir sehen, dass der gleiche Zerstörungsprozess im Nordwesten von Lateinamerika beginnt. Die westlichen Medien sprechen verächtlich von den Unruhen in Venezuela, aber der Krieg, der beginnt, wird sich nicht auf dieses Land beschränken, er wird auf die Region übergreifen, obwohl die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Staaten, aus denen sie sich zusammensetzt, sehr unterschiedlich sind.


Die Grenzen des amerikanischen Neo-Imperialismus



Die US-Strategen vergleichen gerne ihre Macht mit der des römischen Reiches. Aber dieses brachte den Völkern, die es eroberte, und die es assimilierte, Sicherheit und Opulenz. Es baute Monumente und rationalisierte ihre Gesellschaften. Im Gegenteil, der amerikanische neo-Imperialismus bringt nichts, weder den Völkern der stabilen Staaten, noch denen des Reservoirs mit natürlichen Ressourcen. Es plant, die ersten zu erpressen und die soziale Bindung zu zerstören, die letztere zusammen hält. Es will vor allem letztere nicht vernichten, und benötigt ihr Leiden, damit das Chaos, in dem sie leben, verhindert, dass stabile Staaten ohne den Schutz der US-Streitkräfte bei ihnen Naturschätze einholen.
Das imperialistische Projekt war bisher der Auffassung, dass man „keine Eierspeise macht ohne Eier zu zerschlagen.“ Es akzeptierte kollaterale Massaker zu begehen, um seine Dominanz zu vergrößern. Nun plant es weitverbreitete Massaker, um seine Autorität dauerhaft geltend zu machen.
Der amerikanische Neo-Imperialismus setzt voraus, dass die anderen G8-Staaten und ihre Verbündeten zustimmen, dass ihre Interessen im Ausland durch die US-Streitkräfte „geschützt werden“. Wenn das auch kein Problem mit der Europäischen Union ist, die bereits seit sehr langer Zeit entmannt ist, wird dies wohl mit dem Vereinigten Königreich diskutiert werden müssen, und wird mit Russland und China unmöglich sein.
Unter Hinweis auf die „besondere Beziehung“ mit Washington hat London bereits verlangt, dem US-Projekt zur Weltherrschaft anzugehören. Es war der Sinn der Reise von Theresa May in die Vereinigten Staaten im Januar 2017, aber sie hat keine Antwort bekommen [10].



Darüber hinaus ist es undenkbar, dass die US-Streitkräfte die Sicherheit der „Seidenstraße“ garantieren, wie sie es heute mit ihren britischen Partnern für maritime- und Luftwege machen. Ebenso ist es undenkbar, Russland in die Knie zu zwingen, das übrigens gerade wegen seinen Engagements in Syrien und auf der Krim aus dem G8 ausgeschlossen wurde.
Übersetzung
Horst Frohlich




Mittwoch, 23. August 2017

KLEINGEISTIGES

Die weinerliche Kaste

Wieder einmal drückt das Fernsehen auf die Tränendüsen, siehe die gestrige Sendung im rbb vom 22.08.2017, 21. Uhr. Wie war das noch? Hier lediglich zwei Zitate aus dem tiefsinnigen und faktenreichen Buch „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“ von Armeegeneral a.D. Heinz Keßler und Generaloberst a.D Fritz Streletz:

Seite 25: Am 25 Juli 1961 entgegnete BRD-Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß demonstrativ in Washington auf diese Entspannungs-Bemühungen: „Der zweite Weltkrieg ist noch nicht zu Ende.“ Und er forderte, nicht zum ersten Male, die Bundeswehreinheiten unmittelbar an der Grenze mit taktischen Atomwaffen auszurüsten.
Seite 9: Wo Emotionen den Verstand regieren, ist die objektive Analyse verabschiedet, schreibt der international renommierte Historiker Prof. Dr. Kurt Pätzold. Da ist ihm zuzustimmen.

Hier der Text zu dieser geschichtsverfälschenden „Dokumentation“:


Gärtner führen keine Kriege


Homepage der Sendung
Preußens Arkadien zur Mauerzeit

Das Preußische Arkadien ist ein in Deutschland einmaliges und wunderschönes Ensemble aus Architektur und Gartenkunst. Die preußischen Schlösser und Gärten entlang der Havel sind seit 1990 UNESCO-Weltkulturerbe. 1961 wurden die Gärten im Grenzgebiet zwischen Potsdam und West-Berlin zu einem Schauplatz des Kalten Krieges: Mauer, Grenzzäune und Todesstreifen zerstörten über 35 Hektar der Parkanlagen.



Film von Jens Arndt


Für die königlichen Gärten und Landschaften, das Preußische Arkadien rund um die Glienicker Brücke, spielten Grenzen keine Rolle. Im Gegenteil: Immer ging es ihren Gestaltern wie Pückler-Muskau und Lenné darum, visuelle und ideelle Zusammenhänge aufzuzeigen - um Sichtbezüge über Wasser und Topographie hinweg.

Der Mauerbau zerschnitt das Ensemble. In den Gärten breiteten sich Mauer, Grenzzaun und Todesstreifen aus. Peter Joseph Lennés "Sichtachsen" wurden pervertiert: Die Grenztruppen wollten "Sichten", um Fluchten zu verhindern, ein "freies Sicht- und Schussfeld". Die im 19. Jahrhundert angelegten romantischen Uferwege in den Parkanlagen in Babelsberg, im Neuen Garten und in Sacrow wurden zum Patrouillenweg der DDR-Grenztruppen. Kunstvoll geschwungene Wege und Hügel wurden rücksichtslos mit Planierraupen weggebaggert, Parkarchitekturen abgerissen und große Flächen mit Pflanzengift verwüstet.

Der 28 Jahre andauernden Zerstörung dieses weiträumigen Gesamtkunstwerkes folgte die Heilung, die aufwendige Restaurierung der Gärten nach dem Fall der Mauer. Im Film kommen die damals verantwortlichen Gärtner zu Wort. Sie berichten von ihrem Versuch, die Gartenkunstwerke gegen die immer perfekter ausgebaute "Staatsgrenze" der DDR zu verteidigen. Und von der grandiosen Heilung nach dem Mauerfall. Im Schloss Sacrow ist vom 15. Juli bis zum 10. September 2017 eine große Sonderausstellung zum Thema zu sehen.


Mein Kommentar:
Die Männer, man kann sie auch Kleingeist-Gärtner nennen, die man zwecks Zeugenaussagen vor die Kamera zerrte, hatten nichts weiter wie im Sinn, als mit nahezu tränenerstickter Stimme den kulturellen Verlust angesichts der „Verunstaltung“ von Parks in Babelsberg und an der Staatsgrenze der DDR zu beweinen. Sie hätten nichts mehr zu weinen gehabt, wäre das geschehen, wogegen die Mauer einen riesigen Schutzwall bildete. Wie sagte doch selbst Kennedy? Die Mauer sei nicht schön, aber tausendmal besser als Krieg.

Harry Popow

Mail an Jens Arndt:
Ich weiß nicht wie alt Sie sind, Herr Jens Arndt, aber ich empfinde es auch persönlich sehr schlimm, dass die jüngere Generation - also auch Sie - sich der Oberflächlichkeit in der ideologischen Klassenschlacht, vor allem der Diffamierung der DDR und der Geschichtsfälschung  in Bezug der objektiven Hintergründe des 13. August, so ohne Bedenken hingeben. Ich wünsche Ihnen - auch sicherlich im Namen tausender ehrlicher einstiger DDR-Bürger - ein wenig mehr geschichtliche Nachdenklichkeit. Ich erwarte von Ihnen keine Reaktion, denn für soviel Blindheit gegenüber Geschichtsfakten gibt es keine Entschuldigung. Oberstleutnant a.D. (NVA) Harry Popow

Dienstag, 22. August 2017

Gefährliches Bündnis: Wall-Street - Pentagon


Großkapital und Militär vergrößern ihren Einfluss in Washington


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 22. AUGUST 2017

von Patrick Martin und Joseph Kishore

Häufig zeigt sich an den Folgen eines Ereignisses, welche grundlegenden Fragen den politischen Entwicklungen zugrunde liegen. So auch bei den Konflikten innerhalb der herrschenden Klasse nach den Nazi-Ausschreitungen in Charlottesville, die ihren vorläufigen Höhepunkt in der Entlassung von Trumps Chefstrategen Stephen Bannon am vergangenen Freitag fanden.

Die von den Unternehmen kontrollierten Medien haben versucht, die Ereignisse ausschließlich als Folge von Rassismus zu erklären. Laut dieser Darstellung liegt die politische Kontrolle über das Weiße Haus und die Trump-Regierung nach der Absetzung von Bannon und anderen Vertretern des „weißen Nationalismus“ jetzt wieder in politisch stabileren und „gemäßigteren“ Händen: einer Gruppe von aktiven und ehemaligen Generälen unter Führung von Stabschef John Kelly, Wall Street-Finanziers wie Trumps oberstem Wirtschaftsberater Gary Cohn und Finanzminister Steven Mnuchin.

Die New York Times gab am Sonntag den Ton vor und erklärte in ihrem Leitartikel: „Die Amerikaner waren bisher verfassungsgemäß und politisch an eine zivile Führung ihrer Regierung gewöhnt. Doch jetzt müssen sie sich darauf verlassen, dass drei aktive und ehemalige Generäle – der Stabschef des Weißen Hauses John Kelly; der nationale Sicherheitsberater H. R. McMaster; und Verteidigungsminister Jim Mattis – verhindern, dass Trump endgültig den Verstand verliert. Diese drei Männer verfügen im Gegensatz zu Trump über Erfahrung und Bildung, sie sind versiert, was die schrecklichen Kosten globaler Konfrontationen angeht und motiviert von einem Gefühl für den Dienst an der Öffentlichkeit. Deshalb muss man hoffen, dass sie Trumps schlimmste Instinkte eindämmen können.“

In der gleichen Ausgabe der Times schrieb ein Nachrichtenanalyst erfreut über die „moralische Stimme der amerikanischen Wirtschaft“, wie es in der Schlagzeile hieß. Laut seiner Darstellung „erhoben sich in der letzten Woche eine ganze Reihe von Unternehmern, um Hassgruppen zu verurteilen und sich zu Toleranz und Inklusion zu bekennen.“

Zu den namentlich erwähnten Mitgliedern dieser Gruppe von „moralischen“ Unternehmern gehören Wirtschaftsverbrecher wie Jamie Dimon von JPMorgan Chase, einer der Verantwortlichen für den Finanzkollaps 2008; Mary Barra von General Motors, die für die Vertuschung eines Zündschlossdefekts verantwortlich war, der Hunderten von Menschen das Leben gekostet hat; und der Vorstandschef von Wal-Mart Doug McMillon, dessen Unternehmen ein Synonym für Ausbeutung zu Niedriglöhnen ist.

Die herrschende Elite betrachtet die unvorsichtigen Bemerkungen, mit denen Trump die Neonazi-Ausschreitungen in Charlottesville verteidigt hatte, als eine ernsthafte Gefahr für die Interessen des amerikanischen Imperialismus im Ausland und die Wahrung der sozialen und politischen Stabilität im Inland. Mächtige Wirtschaftsunternehmen fürchten die Auswirkungen auf Trumps Pläne, die Steuern für Unternehmen zu senken, Regulierungen abzubauen und durch eine angebliche Reform der Infrastruktur und die Abschaffung von Medicaid und anderen Sozialprogrammen zusätzliche Profite zu machen.

Die offen zutage getretenen Bestrebungen Trumps, eine außerparlamentarische faschistische Basis aufzubauen, hat zudem die Angst in Finanzkreisen vor einem möglichen Platzen der Spekulationsblase, die seit dem Wall Street-Krach 2008 entstanden ist, erhöht.

Wie die Times deutlich macht, haben Militär und Wirtschaft als Reaktion darauf ihre Kontrolle über die US-Regierung auf ein Ausmaß verstärkt, wie es in der Geschichte des Landes ohne Beispiel ist. Vor 56 Jahren warnte Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede vor den Gefahren für die Demokratie durch den Aufstieg des „militärisch-industriellen Komplexes“. Allerdings hätte er sich nicht vorstellen können, welche Größe, Macht und Kontrolle der riesige militärisch-geheimdienstlich-wirtschaftliche Komplex heute erreicht hat.

Das erste Ergebnis dieser Einflussnahme war Trumps Rede am Montag, bei der er Pläne für eine Ausweitung des Kriegs in Afghanistan ankündigte.

Die herrschende Elite fürchtet vor allem, dass in der Arbeiterklasse der Widerstand gegen die Trump-Regierung und das ganze politische System wächst. Deshalb wird die soziale Realität in Amerika – einem Land, in dem 20 Individuen so viel Vermögen kontrollieren wie die ärmste Hälfte der Bevölkerung – in der offiziellen Darstellung der Medien ebenso mit keinem Wort erwähnt wie die reaktionäre Agenda der Trump-Regierung selbst. Ebenso wenig werden der Krieg und die Verbrechen von „verantwortungsbewussten“ Anführern wie Mattis diskutiert, dessen Spitzname „Mad Dog“ auf seiner Rolle bei der Zerstörung der irakischen Stadt Falludscha basiert.

Stattdessen setzen die Medien auf Themen, die von der sozialen Misere ablenken sollen. Sie zeichnen ein stark verzerrtes Bild von den USA als ein von rassistischer Intoleranz geprägtes Land. Gleichzeitig vermitteln sie ein übertriebenes Bild der Stärke und des Einflusses von Neonazis und Rassisten. So entstehen die scheinbar widersprüchlichen, aber tatsächlich miteinander vereinbaren Phänomene, die allgegenwärtig in den Demokraten-nahen Medien sind: einerseits propagieren sie Identitätspolitik; andererseits stellen sie die rassistischen Schläger, die in Charlottesville gewütet haben, respektvoll und teilweise sogar bewundernd dar.

Beispielhaft hierfür war ein Newsletter mit dem Titel „Weißer Rassismus in Amerika“, der am Sonntag im New Yorker veröffentlicht wurde. David Remnick, der Verfasser einer beweihräuchernden Obama-Biografie mit dem Titel The Bridge, erklärt: „Man muss es sagen: Neonazis und Rassisten sind jetzt eine der treibenden Kräfte in der amerikanischen Politik.“

Einer der aufgelisteten Artikel stammt von dem Autor Toni Morrison und trägt den Titel „Macht Amerika wieder weiß“. Darin betont er: „Im Gegensatz zu den Nationen Europas gilt in den USA die weiße Hautfarbe als vereinigende Kraft.“ Ähnlich wie die Demokratische Partei und die diversen kleinbürgerlichen pseudolinken Organisationen aus ihrem Umfeld erklärt Morrison, Trumps Wahlsieg sei das Produkt des Rassismus des „weißen Amerikas“:

Am Wahltag haben sich so viele weiße Wähler – ungebildete wie auch gebildete – von der Scham und Angst verleiten lassen, die Donald Trump gesät hat. Der Kandidat, dessen Unternehmen vom Justizministerium verklagt wurde, weil es keine Wohnungen an Schwarze vermietete. Der Kandidat, der in Frage stellte, ob Barack Obama ein gebürtiger US-Amerikaner ist, und der bei einer Wahlveranstaltung scheinbar die Misshandlung eines Demonstranten von Black Lives Matter gutgeheißen hatte. Der Kandidat, der schwarze Arbeiter nicht in seine Casinos lassen wollte. Der Kandidat, der von David Duke verehrt und vom Ku-Klux-Klan unterstützt wird.

Dieser Versuch, alle Weißen und vor allem weiße Männer als verkappte Anhänger des Ku-Klux-Klan darzustellen, ist ein politischer Betrug. Es gibt Rassismus. Doch die Rassisten und Neonazis, die in Charlottesville demonstriert haben, sind eine winzige Minderheit und werden von der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung mit Abscheu betrachtet. Ein landesweiter Demonstrationsaufruf konnte nur einige hundert Anhänger dieser barbarischen Ideologie mobilisieren. Gleichzeitig demonstrierten Zehntausende, unabhängig von ihrer Hautfarbe, gegen Trump und die Faschisten, die er verteidigt.

Trump hat die Wahl nicht gewonnen, weil die breite Masse für Rassismus gestimmt hat, sondern weil er erfolgreicher die soziale Unzufriedenheit thematisiert hat als die Demokraten. Seine Gegnerin Hillary Clinton verkörperte das Bündnis zwischen der Wall Street und dem Militär- und Geheimdienstapparat und machte sich nicht einmal die Mühe, ihre selbstgefällige Verachtung für das Schicksal von Millionen Menschen zu verbergen, die ums blanke Überleben kämpfen.

Die Behauptung, Rassismus sei der wichtigste Faktor, dient dazu, große Teile der Bevölkerung zu dämonisieren, die Identitätspolitik privilegierter Schichten des Kleinbürgertums zu stärken, einer massiven Umverteilung des Vermögens zu Gunsten der Reichen politische Deckung zu geben und Unterstützung für eine Palastrevolte der Generäle und Milliardäre aus der Wirtschaft zu bekommen. Vor allem aber soll sie die Entstehung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse verhindern und unterdrücken.

Die eigentliche Gefahr für demokratische Rechte geht nicht von einer Handvoll faschistischer Schläger aus, sondern vom Bündnis der Wall Street und des Pentagon, das jetzt als Gegenmittel zu den Rassisten auf den Straßen dargestellt wird.

Für die Times und die diversen Anhängsel der Demokraten geht die wirkliche Gefahr nicht von Neonazis aus, sondern von einer sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse.

Der Fokus auf Hautfarbe und Identitätspolitik und die Stärkung der Kontrolle des Militärs und der Wirtschaft über die Regierung gehen Hand in Hand mit der Unterdrückung oppositioneller Ansichten, vor allem derjenigen der World Socialist Web Site. So hat Google in enger Zusammenarbeit mit dem Staat beschlossen, die WSWS durch die Manipulation der Suchergebnisse zu zensieren und auf die schwarze Liste zu setzen. Das ist jedoch nur der Auftakt für ein noch aggressiveres Vorgehen gegen jede Art von sozialistischer Opposition gegen die Politik der Wirtschafts- und Finanzelite.

http://www.wsws.org/de/articles/2017/08/22/pers-a22.html



Montag, 21. August 2017

US-Stützpunkt Ukraine


Abenteuerspielplatz Ukraine

US-Stützpunkt und Raketen für Nordkorea

Autor: U. Gellermann
Datum: 21. August 2017

Die komplette westliche Medienwelt weiß über die neuesten Fälle von islamisch angestrichenem Terror detailliert zu berichten. Wer da Terror übt, wer da Autos in Menschenmengen fährt oder wahllos um sich sticht, das sind die Amateure der zweiten, dritten Generation muslimischer Einwanderer aus den westeuropäischen Ländern, in denen sie jetzt glauben Rache üben zu müssen. Rache für ihre sozialen Niederlagen, für die Verachtung, die sie ständig erfahren, für die Kriege des Westens in den islamischen Ländern. Dass sie missbraucht werden, von ihren anonymen Hintermännern in der dunklen Hierarchie des IS ebenso, wie sie ausgeschlachtet werden von der Medienfront, die an den Kriegen in Afghanistan, Libyen oder Syrien Quote gemacht hat und ideologische Feldgewinne: Das haben die kleinen Lichter in den Gefängnissen, in denen man sie rekrutiert hat, nicht gelernt.

Für den großen Terror sind die Profis zuständig: Die Absolventen der Militärakademien, geschult in den Stäben der postkolonialen Armeen auf dem Weg zu den neuen Kolonien. Eine dieser Kolonien ist die Ukraine. Ein Land, das lange Zeit dem imperialen Einfluss entzogen schien, das aber spätestens seit dem EU-Assozierungsabkommen als fette Beute aufschimmert. Es sind weniger die ukrainischen Rohstoffe, nach denen die westeuropäischen Regenten an der Seite der USA so heftig interessiert waren und sind. Es ist zum einen der Absperrhahn für russisches Gas, den die Ukraine in der Hand hält, zum anderen ist es die geostrategische Bedeutung des Landes, die den Profis in den NATO-Stäben das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt. Die Hoffnung, in der Ukraine die weiche Flanke Russlands zu finden, lässt den Kriegs-Profis keine Ruhe. Da will man nicht einmal die Umsetzung der militärischen Komponente des Abkommens mit der EU abwarten. Wohl deshalb haben Ende Juli die sogenannten SEABEES, die Bautruppen der US-Marine, den Auftrag bekommen, einen US-Marinestützpunkt an der Schwarzmeerküste zu errichten. Der neue Kommandoposten soll im ukrainischen Hafen Ochakov seinen Platz finden, nur rund 300 Kilometer von Sewastopol, dem Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte entfernt. In solchen Plänen lauert der Kriegsterror der Profis, dessen Ausmaß jeden Amateur-Anschlag übersteigt.

Das ist ein abenteuerlicher Versuch einen militärtaktischen Vorteil zu erlangen, der natürlich auf Dauer in einen strategischen Gewinn umgemünzt werden soll. Dass dieser Gewinn nur Krieg mit Russland bedeuten würde, dass dieser scheinbare Gewinn zu schwersten Verlusten führen würde, das müsste selbst den größten Idioten im Pentagon klar sein. Aber für ein Abenteuer sind sowohl die Navy-Planer, die sich weit weg vom Schuss wähnen als auch die Kiewer Gambler – deren Nähe zum Schuss den Verstand offenkundig nicht schärft – stets zu haben. Wie es um die Hirne in der deutschen Aussen- und Militärpolitik bestellt ist, muss man nicht rätseln wenn man auf die Website des Auswärtigen Amtes sieht: „Deutschland unterstützt die Ukraine seit 2002.“

Bei welchen Vorhaben unterstützten die Hasardeure im Außenministerium, die sich frech „Deutschland“ nennen, die Ukraine noch? Nur beim Versuch Russland so lange zu provozieren bis jemand im Kreml die Nerven verliert? Oder auch beim Export von Raketen-Triebwerken an Nordkorea? Eine brisante Lieferung, von der das „International Institute for Strategic Studies“ (IISS) jüngst der New York Times erzählte. Das Institute steht dem britischen Geheimdienst nah, näher, am nächsten. Und der hat keinen Grund die Ukraine zu verleumden. – Es war der heutige Bundespräsident und damalige Außenminister Steinmeier, der Anfang 2014 auf dem Kiewer Maidan das Abenteuer einer Westbindung der Ukraine prominent unterstützt hat. Die Regierung, die diesem Abenteuer entsprungen ist, hat aus dem Land längst einen Spielplatz für irre Projekte aller Art geformt. Und der ehemalige Obergefreite der Luftwaffe Steinmeier ist als Betreuer des gefährlichen militärischen Abenteuerspielplatzes offenkundig nicht tauglich.

Der Text der Startseite wurde von Angelika Kettelhack lektoriert.



Freitag, 18. August 2017

Imperialer Niedergang


"Hinnahme von US-Dominanz in der Welt ist beendet, es droht unvermeidlicher imperialer Niedergang"

von Danielle Ryan

In seinem neuen Buch über den Niedergang der US-Weltmacht schreibt der Historiker Alfred McCoy, dass durch das Verblassen der Supermacht, die nicht in der Lage ist, ihre Rechnungen zu bezahlen, andere Mächte anfangen werden, die US-Herrschaft in den Meeren und am Himmel provokativ herauszufordern.

Dies geschieht bereits und scheint noch regelmäßig zuzunehmen, obwohl "provokativ" hier vielleicht nicht das richtige Adjektiv ist.

Das US-Militär ist seit Jahrzehnten der Chef-Provokateur in den Meeren und am Himmel. Es dringt ungestraft in den Luftraum und in die Hoheitsgewässer anderer Staaten ein, ohne Vergeltung zu erwarten. Jetzt fordern solche Mächte wie China, der Iran und Russland das unkontrollierte Verhalten der USA aktiv heraus.

Im Januar verhaftete der Iran über Nacht zehn US-amerikanische Seeleute, nachdem zwei US-Marineboote in iranische Hoheitsgewässer eingedrungen waren. Verfechter der US-amerikanischen Einzigartigkeit waren bestürzt über Irans offensichtliche Missachtung der Macht der USA. Viele von ihnen führten diesen Vorfall auf Obamas "Schwäche" zurück. Im Mai beschuldigten US-Beamte Peking, einen "unsicheren Abfangeinsatz" durchgeführt zu haben, als chinesische Jets ein an der chinesischen Küste fliegendes US-amerikanisches Spionageflugzeug abfingen. Im selben Monat wurden zwei weitere US-Flugzeuge des Typs WC-135 Constant Phoenix von chinesischen Flugzeugen im Ostchinesischen Meer abgefangen. Im Juli vertrieb die chinesische Luftwaffe wieder ein US-amerikanisches Spionageflugzeug, das über das Gelbe Meer flog.

Erst letzte Woche feuerte ein US-Schiff Warnschüsse an ein iranisches Boot im Persischen Golf ab, als es sich bis zu 150 Meter an das US-amerikanische Militärschiff genähert und dessen Warnungen ignoriert hatte, Abstand zu halten.

Das sind nur einige Beispiele aus einer Flut von jüngsten Vorfällen, in die US-Boote und Flugzeuge involviert waren. Ganz zu schweigen von den russischen und US-amerikanischen Jets, die sich über der Ostsee und dem Schwarzen Meer gegenseitig abfangen und jagen.

Diese Bereitschaft, sich mit dem US-Militär anzulegen, kann auf das oben genannte Problem Washingtons hinweisen: Sein globaler Einfluss nimmt ab. Das Land und sein Militär genießen weniger Respekt und Einfluss auf internationaler Ebene. Und aufsteigende Mächte beginnen damit, ihre eigenen nationalen Interessen stärker durchzusetzen.

Die Hinnahme der US-Dominanz in Regionen wie dem Westpazifik und dem Südchinesischen Meer ist beendet. In Europa hatte Russland keine Scheu, die scheinbar endlose Osterweiterung der NATO herauszufordern. Auch im Nahen Osten ist es Russland gelungen, als ein Gleichgewicht zu den USA in Bezug auf Schlagkraft, Einfluss und die Fähigkeit, in regionalen Konflikten zu schlichten, gesehen zu werden. Trotz seines Meeres von über 800 Basen auf der ganzen Welt können die USA auf der Weltbühne nicht mehr so diktieren, wie sie es einmal konnten.

Alle diese Mächte, die die USA so sehr versuchten, in Schach zu halten, rücken kontinuierlich durch ein gemeinsames Ziel immer mehr zusammen: die US-Herrschaft zu beenden und eine multipolare Welt zu schaffen.

Meist wird diese Entwicklung von den westlichen Medien als "Muskelspiel" und "Aggressivität" dargestellt, während die US-amerikanischen Bemühungen, die globale Hegemonie zu bewahren, fast ausschließlich als gutartig und entscheidend für Demokratie und Weltfrieden bezeichnet werden.

Zwischen den US-Politikern und Experten gibt es einen Versuch, jemanden für diese abnehmende Macht verantwortlich zu machen. Die Republikaner wollen die Schuld oft auf den "schwachen" Obama schieben, während die Demokraten dabei George W. Bush bevorzugen. In den kommenden Jahren wird sich ihr Fokus dieser Schuld zweifellos auf Donald Trump verlagern, um das Bild der Einst-Supermacht, die sich jetzt inmitten eines schlaffen und peinlichen Niedergangs von innen befindet, zu vervollständigen.

Wenn wir den bedeutendsten Wendepunkt oder Katalysator dafür festlegen müssten, wäre es wahrscheinlich die Invasion in den Irak unter Bush. Aber es geht nicht um einen Präsidenten oder einen politischen Schritt. Was ein Imperium auf den Weg des Niederganges setzt, ist die innere Verfaulung des Systems. Das System ändert sich nicht durch Wahlen, egal wie radikal die Kandidaten sind.

Es ist das System vor dem Dwight D. Eisenhower in einer Rede von 1953 warnte, nachdem er zwei Monate im Amt gewesen war. Trotz seines militärischen Hintergrunds warnte der ehemalige Oberbefehlshaber der alliierten Expeditionsstreitmacht in Europa vor einer "Last der Waffen, die den Reichtum und die Arbeit aller Völker aufzehrt. Eine Verschwendung von Kraft, die das US-amerikanische System, das sowjetische System oder irgendein System daran hindert, wahre Fülle und Glück für die Völker dieser Erde zu erlangen."

"Jede Waffe, die produziert wird, jedes Kriegsschiff, das zu Wasser gelassen wird, jede Rakete, die abgefeuert wird, bedeutet letztendlich einen Diebstahl von denen, die hungern und nichts zu essen bekommen, denjenigen, die frieren und keine Kleidung haben", sagte er.

In seiner Abschiedsrede acht Jahre später warnte Eisenhower wieder: "Wir müssen uns vor der Zunahme von ungerechtfertigten Einflüssen, ob sie gewollt oder ungewollt seien, durch den militärisch-industriellen Komplex hüten."

Aber es ist nicht nur die Überbeanspruchung des Militärs, die das Problem verursacht. Es gibt noch andere Trends, die letztlich den weltweiten Rückgang der USA beeinflussen werden.

Die US-Infrastruktur bröckelt. Über 56.000 Brücken im ganzen Land gelten als "strukturell mangelhaft". Das Land hat nicht einen einzigen Flughafen, bei dem es weltweit prahlen könnte, dass er zu den Top 20 der Welt zählt. Mehr als zwei Drittel der US-amerikanischen Straßen sind reparatur- oder verbesserungsbedürftig. Und die American Society of Civil Engineers hat den Gesamtzustand der Infrastruktur des Landes mit einer "D+" bewertet, was einer 4+ im deutschen Verständnis gleicht.

Wie bei jedem fallenden Imperium, das seinen Zustand nicht akzeptieren will, wird es zur obersten Priorität, seinen Status um jeden Preis zu bewahren. Ein verzweifelter Versuch, diese Dominanz zu bewahren, kann an Washingtons zufälliger, unberechenbarer und unsinniger Außenpolitik erkannt werden. Das ist überhaupt nicht präsidentenspezifisch. Jeder der letzten vier US-Präsidenten hatte Versäumnisse in der Außenpolitik zu beklagen.

Wenn man vom Niedergang des US-amerikanischen Imperiums spricht, geht man oft davon aus, dass es mit einem großen Knall enden wird. Wir wachen eines Tages auf, und das Imperium ist plötzlich gefallen. Imperien steigen oder fallen nicht an einem Tag. In Wirklichkeit kann es so langsam passieren, dass man es kaum merkt, bis es unmöglich wird, den Kurs zu korrigieren.

Die USA sind in den vergangenen 17 Jahren in Afghanistan und in den Irak eingedrungen. Sie haben eine "humanitäre" Intervention in Libyen gestartet, die das Land zerstörte, einen Proxy-Krieg in Syrien befeuert und Saudi-Arabiens Abschlachtung des Jemen unterstützt. Nun scheint die Trump-Regierung für einen Krieg mit dem Iran zu sein.

Im Gegensatz zum offiziellen Narrativ hat dies nichts mit Demokratie oder dem Kampf um Menschenrechte zu tun. Es war ein Raufen, um den Status der USA als den Top-Entscheider der Welt zu behaupten.

"Seit 1991 haben wir unsere globale Vormachtstellung vervierfacht, unsere Staatsschulden vervierfacht und uns in fünf Nahostkriege verstrickt, wobei die Neokonservative zu einem Sechsten mit dem Iran aufruft", schrieb Pat Buchanan vor Kurzem für den American Conservative.

Die US-Amerikaner, die damit unzufrieden sind, in welche Richtung sich ihr Land bewegt, sollten sich fragen, ob sie sich auf dem aktuellen Kurs behaupten werden.

Die Geschichte zeigt, dass das nicht der Fall ist.



Übersandte Mail von G. Giese:

Liebe FreundInnen und Bekannte,

heute schreibe ich euch, um um eure Unterstützung bei einer wichtigen Aktion 
zu bitten: es geht um den Beitritt Deutschlands zum UN-Verbot von Atomwaffen.

Bitte macht mit und verbreitet den folgenden Link weiter: 
https://nuclearban.de  

Danke und viele Grüße!



Donnerstag, 17. August 2017

Weltgeschichte


Die traditionelle Darstellung der Weltgeschichte als eine gradlinige Entwicklung hin zum Patriarchat ist ein Klischee“: ein Interview mit Prof. Haarmann


VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 17. AUGUST 2017

Anbei mein Interview mit Harald Haarmann, einem deutschen Linguisten und Kulturwissenschaftler. Er ist der Verfasser von mehr als 50 Büchern und ein wahres Sprachgenie. Mit ihm habe ich mich über Themen wie Frieden, Gleichberechtigung der Frau und über seine Studien zu Alteuropa unterhalten. Ich möchte mich bei ihm  für seine wichtigen Informationen herzlichst bedanken.

Was bedeutet für Sie die Gleichberechtigung der Frau?

Gleichberechtigung der Frau bedeutet für mich die rechtliche Gleichstellung mit dem Mann, soziale Entscheidungsfreiheit (z.B. freie Wahl des Partners, sei es in freier Partnerschaft oder Ehebündnis), gleiche Bedingungen in der Schul- und Universitätsausbildung, gleiches Lohnniveau wie das des Mannes im Berufsleben, gleiche Aufstiegschancen wie der Mann, bis in die Leitung von Wirtschaftsunternehmen und in die politische Führungselite.
Es gibt nur wenige Länder, wo die Gleichberechtigung der Frau weitgehend erreicht ist. Dies sind die skandinavischen Staaten, wobei Finnland seit Jahren in der Statistik des World Economic Forum an der Spitze steht. Lediglich was das Lohnniveau betrifft, ist hier noch Nachholbedarf, und die Gleichstellung auch in diesem Punkt wird von Frauenrechtlerinnen in Finnland energisch angemahnt.



Ich habe in meinem Buch “Modern Finland” (Jefferson, NC: McFarland 2016) die Geschichte der Frauenemanzipation in Finnland dargestellt.
Diese Geschichte geht bis in die Zeit der Wikinger zurück (und noch weiter in die Prähistorie).



Wie unterstützen historische und kulturhistorische Funde und Studien eine Gleichberechtigung der Frau?

Die traditionelle Darstellung der Weltgeschichte als eine gradlinige Entwicklung hin zum Patriarchat ist ein Klischee, das im Licht der modernen Forschung ausgedient hat. Die Sozialgeschichte der Menschen war viel variantenreicher, als dies allgemein bekannt ist. In der Welt des eurasischen Schamanismus waren weibliche Schamanen hoch angesehen (hierzu die Studie von Haarmann/Marler “Introducing the Mythological Crescent”, Wiesbaden: Harrassowitz 2008). Schamaninnen genossen in Altchina während der Ära der Shang-Dynastie besonderes Prestige, und Priesterinnen waren tonangebend bei den Divinationsritualen im Zusammenhang mit den Orakeltexten (ab ca. 1200 v. Chr.).



Noch früher als in Altchina spielten Schamaninnen eine wichtige Rolle im Ritualwesen der Leute von Ürümchi in Westchina, am Rande der Taklimakan-Wüste. Die dortige Kultur aus dem 2. Jahrtausend v. Chr. ist wegen der Mumien bekannt geworden. Einige der am besten erhaltenen Mumien sind solche von Frauen (begraben in Schamanenkleidung mit rituellen Utensilien), die Mumien von Subeshi. Hierüber handele ich u.a. in einer Studie “Vergessene Kulturen”, die im kommenden Jahr bei Beck erscheinen wird. Für die frühneolithische Siedlung von Çatalhöyük (die älteste “Stadt” in Anatolien) ist soziale Gleichberechtigung der Frau bezeugt, ebenso für Alteuropa.


Für bestimmte Tätigkeiten in Alteuropa kann man eine Arbeitsteilung (im Sinn einer Gleichberechtigung der Geschlechter) feststellen, so in der Keramikherstellung. Den Männern oblag die Materialbeschaffung (Tonerde) und die Herstellung von Rohlingen, während Frauen die Feinarbeiten leisteten (Glasur und Ornamentierung, sowie auch Beschriftung).


Der Handel über die große Wasserstraße (Donau und ihre Nebenflüsse) lag überwiegend in der Verantwortung von Frauen (hierzu Informationen in meinem Buch über die “Donauzivilisation”, München: Beck 3. Aufl. 2017 mit Hinweisen auf die Sekundärliteratur zum Thema).


Was bedeuten Sprachen für Sie?

Sprachen sind für mich ein Kulturspiegel. Häufig kann die Geschichte von Wörtern oder auch ganzer Terminologien “Bände sprechen” über die kulturelle Entwicklung. Im Wortschatz des Altgriechischen gibt es beispielsweise Wörter wie amilla “friedlicher Wettbewerb” und eirene “Frieden” (auch personifiziert als Göttin). Diese Kernbegriffe sind keine griechischen Erbwörter (indoeuropäischer Herkunft), sondern alte Lehnwörter aus der Sprache der vorgriechischen Bevölkerung in Hellas, den Nachkommen der Alteuropäer. Die Griechen übernahmen die Begriffe mitsamt ihren Bezeichnungen von denen, die vor ihnen in Griechenland lebten, wohl deshalb, weil sie sich des Werts dieser Begriffe bewusst waren. Allerdings war die Gesellschaft der Griechen häufig, viel zu häufig, von eris “Rivalität; gewaltsame Auseinandersetzung, militärische Aktion” bestimmt (eris ist ein indoeuropäisches Wort).



Wie und wann genau die Griechen lernten, Schiffe zu bauen und aufs Meer zu fahren, lässt sich archäologisch nicht dokumentieren.
Aber die zahlreichen vorgriechischen Lehnwörter der Schiffsbauterminologie (angefangen mit ankyra “Anker”) weisen darauf hin, dass die Nachkommen der Alteuropäer den Griechen dieses Handwerk und das maritime Know-how beigebracht haben.



Analysen hierzu finden Sie in meinen Studien “Roots of ancient Greek civilization”, Amherst, NY: Cambria 2014) und “Wer zivilisierte die Alten Griechen?”, Wiesbaden: Verlagshaus Roemerweg (erscheint im September).


Wofür steht für Sie Alteuropa symbolisch?

Alteuropa (auch “Donauzivilisation” genannt in neueren Studien) steht symbolisch für Errungenschaften mit zeitlosem, bleibendem Wert: soziale und ökonomische Gleichberechtigung, Gleichstellung der Geschlechter, Gesellschaftsleben mit der Maxime friedlicher Kooperation.



Wie gelangen wir über Alteuropa hin in die weite Welt?

Alteuropa ist ein wichtiger Meilenstein (landmark) in der Geschichte der frühen Zivilisationen. Ich habe mich seit Jahren bemüht (in mehreren Büchern und zahllosen Artikeln), Alteuropa vergleichend in den Kreis der anderen alten Zivilisationen der Welt zu stellen und den berechtigten Platz der Donauzivilisation mit anderen Kulturkomplexen zu beleuchten.
Es zeichnet sich allmählich eine Belebung der Diskussion über diese Thematik in akademischen Kreisen ab. Aber die Mühlen der Wissenschaftsrezeption “mahlen langsam” (aber Hauptsache ist, sie mahlen).



Immerhin sind einige meiner Gedanken zu diesem Themenkomplex bis in deutsche Schulbücher gelangt. Und für meine “Ausleuchtungen” habe ich aus Frankreich und Italien Literaturpreise bekommen.


Wie können wir durch Studien wie die Ihrigen die Völkerverständigung fördern?

Was mir am Herzen liegt, ist ein Bekanntmachen der Welt und der Errungenschaften Alteuropas, um Augen zu öffnen und um aufgeschlossene Menschen zum Nachdenken zu bringen.
Manchmal sehe ich im Traum, wie Marija Gimbutas mit einer Fackel in der Hand auf mich zukommt, mir diese Fackel übergibt und mich verpflichtet, ihr Werk weiterzuführen. So übernehme ich die Fackel und laufe meinen eigenen Friedensmarathon …



Danke ProMosaik
Quelle: https://promosaik.blogspot.com/2017/08/die-traditionelle-darstellung-der.html
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 16/08/2017
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=21254



Samstag, 12. August 2017

13. August: Um einen Krieg zu vermeiden...


Aus: Ausgabe vom 12.08.2017, Seite 1

»Wir wollten einen Friedensvertrag«


Gespräch mit Herbert Graf. Über Kontakte zwischen Moskau und Washington, um einen Krieg zu vermeiden, und über Walter Ulbricht, der dafür an den Pranger kam


Interview: Frank Schumann

Prof. Dr. Herbert Graf, geboren 1930 in Egeln bei Magdeburg, Ökonomiestudium in Berlin-Karlshorst, 1967 juristische Promotion an der Martin-Luther-Universität Halle. Fast zwei Jahrzehnte Mitarbeiter Walter Ulbrichts. Nach Lehr- und Forschungsarbeit in Afrika, Asien und Lateinamerika Lehrstuhlleiter an der Akademie für Staat und Recht in Potsdam-Babelsberg.

Herbert Graf: Interessen und Intrigen: Wer spaltete Deutschland? Ein Exkurs über internationale Beziehungen. Edition Ost, Berlin 2011, ISBN 978-3-360-01818-2

Aktuell im Buchhandel: Herbert Graf: Von der Demokratie zur Agonie. Ursprung, Aufstieg und Niedergang einer guten Idee. Edition Ost, Berlin 2017, ISBN 978-3-360-01875-5


Sie waren bereits seit einigen Jahren Mitarbeiter Walter Ulbrichts, Vorsitzender des Staatsrats der DDR, als am 13. August 1961 die Staatsgrenze zur Bundesrepublik und die zu Westberlin geschlossen wurden ...

Jetzt fragen Sie mich bestimmt gleich zur Pressekonferenz am 15. Juni, auf der Ulbricht erklärt hatte, dass niemand die Absicht habe, eine Mauer zu errichten, und zwei Monate später geschah das Gegenteil, weshalb seither Ulbricht als Lügner dargestellt wird. Diese acht Worte standen am Beginn eines Vorschlags, der jedoch fast immer abgeschnitten wird.


Nein, das frage ich nicht, weil inzwischen jeder halbwegs gebildete Mensch weiß, dass Ulbricht Mitte Juni nicht wissen konnte, ob und wie sich die beiden Großmächte Wochen später verständigen würden. Nicht er war der Herr des Geschehens. Wer aber war es dann? Nikita Chruschtschow allein?

Nein. Es war – weil das Wort neuerdings so populär ist – ein Deal zwischen US-Präsident Kennedy und dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow (von 1958–64, von 1953–64 Vorsitzender der KPdSU, jW). Die beiden hatten sich bekanntlich Anfang Juni 1961 in Wien getroffen. Danach kam ein dritter Mann ins Spiel: John J. McCloy, der im Auftrag des Weißen Hauses in Moskau wochenlang verhandelte und dann mit Chruschtschow in dessen Urlaubsort Gagra in Georgien die Lösung des Weltkonflikts vereinbarte.

McCloy war einst Hochkommissar in der BRD. In den einschlägigen biographischen Darstellungen findet sich kein Wort über seine Geheimverhandlungen im Juli 1961 in der Sowjetunion. Es gibt allenfalls Hinweise auf ein »McCloy-Sorin-Abkommen«.

Ja, das ist das Papier, das er anschließend mit dem sowjetischen UN-Botschafter Sorin ausgearbeitet hatte und welches Kennedy am 25. September 1961 in die UN-Vollversammlung einbrachte. Es war die Roadmap für alle künftigen Verhandlungen und internationalen Verträge über atomare sowie allgemeine und umfassende Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle. Ein Schlüsseldokument für die nachfolgende Entspannungspolitik und die Bemühungen um friedliche Koexistenz.

Mit dem 13. August und dem Mauerbau hatte das aber kaum etwas zu tun.

Mittelbar durchaus. In Wien war deutlich geworden, wie groß die reale Gefahr eines Nuklearkrieges zwischen den beiden Großmächten ist. Es gab ein Vier-Augen-Gespräch zwischen Kennedy und Chruschtschow, das lediglich zehn Minuten dauerte. Eine authentische Quelle zitierte die Schlussbemerkung des Parteichefs aus Moskau: »Ich will Frieden, doch wenn Sie Krieg wollen, dann ist das Ihr Problem. Die Entscheidung über den Vertrag ist unwiderruflich.« Mit »Vertrag« war die seit Jahren gestellte Forderung der Sowjetunion gemeint, dass die vier Siegermächte USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion mit den beiden deutschen Staaten einen normalen Friedensvertrag schließen sollten. In Potsdam waren 1945 erste Nachkriegsregelungen vereinbart und im Abschlussdokument alsbald ein solcher in Aussicht gestellt worden.

Wieso war ein Friedensvertrag so wichtig?

Weil auf diese Weise die ursprünglich als Interimsregelung vereinbarte Vier-Mächte-Verantwortung in eine normale souveräne Friedensregelung überführt worden wäre. Nach 1949 bedeutete dies, dass beide deutschen Staaten Herr im eigenen Hause werden würden. Sie hätten ihre Dinge völkerrechtlich souverän selbst regeln können und müssen. Damit wären die politischen und militärischen Rechte der Besatzungsmächte abgelöst und Voraussetzungen für eine Entspannungspolitik in Europa geschaffen worden. Unterschiedliche Interpretationen der Nachkriegsgrenzen wären vermieden und diese endgültig bestätigt worden. Man hätte mit den früheren Kriegsgegnern eine einvernehmliche Lösung bei Eigentums-, Schadensersatz- und Reparationsforderungen finden können. Diese Frage ist bekanntlich bis heute offen, sie wurde mit dem Zwei-plus-vier-Abkommen 1990 geschickt umschifft. Die DDR forderte immer einen Friedensvertrag, auch weil sie die vom Westen in den 40er Jahren vollzogene Spaltung überwinden wollte.

1952, auf der 2. Parteikonferenz der SED, war jedoch der Aufbau der Grundlagen des Sozialismus in der DDR beschlossen worden. Damit wurde nicht nur eine andere gesellschaftliche Entwicklung eingeschlagen, sondern auch eine klare Abgrenzung zum Kapitalismus in der BRD vollzogen.

Das ist ja richtig. Die SED-Führung verfolgte zwangsläufig eine Doppelstrategie, die durchaus der Realität Rechnung trug: Westdeutschland kehrte zu seinen kapitalistischen Wurzeln zurück, es restaurierte das alte System, aus dessen Schoß Faschismus und Krieg hervorgegangen waren. Ostdeutschland hingegen errichtete eine antifaschistisch-demokratische Ordnung, die mit den ökonomischen und ideologischen Grundlagen des alten Systems radikal brach. Sollte diese progressive Entwicklung abgebrochen werden, nur weil man im Westen mit Beginn des Kalten Krieges 1946 den Kurs auf die Spaltung Deutschlands eingeschlagen hatte und dahin zurückwollte, woher man gekommen war? Aber, und das war die zweite Option: Wenn in der Bundesrepublik eine Kursänderung zugunsten einer deutschen Verständigung erfolgen würde, dann war die SED auch entschieden dafür, ein deutsches demokratisches Gemeinwesen zu errichten.

Und wozu dann einen Friedensvertrag. Weil Kalter Krieg war?

Auch um einen Beitrag zu leisten, damit dieser Kalte Krieg nicht weiter eskalierte. Ich darf daran erinnern, dass kein westlicher Staat die DDR akzeptierte, dass die BRD die Staatsgrenze der DDR nicht als Staatsgrenze, sondern als »innerdeutsche Grenze« betrachtete, also eine Demarkationslinie, die man ständig zur Disposition stellte. Die Grenze war in Berlin offen, und die Grüne Grenze nicht sonderlich gesichert. Sie war aber, was nicht aus dem Blick geraten darf, zugleich die Grenze zwischen NATO und Warschauer Vertrag, also die Frontlinie zwischen zwei Gesellschaftssystemen und Militärpakten.

Was nicht zwingend Kriegsgefahr bedeutete.

Moment mal: Die erklärte NATO-Strategie lautete »Rollback« – der Einflussbereich der Sowjetunion sollte verringert, ihre Armeen zurückgerollt werden. Freiwillig würde die sich jedoch kaum zurückziehen. Dass es gefährliche militärische Planspiele gab, bestätigen mehrere Quellen. Der Grat zwischen Krieg und Frieden war im Sommer 1961 sehr schmal und die Last der Verantwortung der Entscheidungsträger auf beiden Seiten außerordentlich hoch. Politik unter diesen Bedingungen kannte keine Geschäftigkeit, sie verlangte Realismus, Weitsicht und Vertragstreue.

Die Wunderformel sollen die »drei Essentials« gewesen sein: Aufrechterhaltung der alliierten Präsenz in Westberlin, freier Zugang zu Luft und zu Land nach Westberlin sowie Freiheit und Lebensfähigkeit von Westberlin.

Richtig. Das wurde als Schlüssel zum Ausweg aus der Krise, zur Verhinderung eines Krieges in Mitteleuropa betrachtet. Was er dann auch war. Die Grenzsicherungsmaßnahmen am 13. August tangierten diese drei Forderungen nicht, weshalb sich Kennedy wieder schlafen legte, als man ihn über die Vorgänge in Berlin informierte. Wobei ich hier noch anmerken muss: Es hatte bereits eine Annäherung im September 1959 gegeben, als sich Chruschtschow mit US-Präsident Eisenhower in Camp David traf. Dort erörterten die beiden Staatsmänner die internationale Lage, wobei Fragen der Abrüstung und die Deutschlandfrage breiten Raum einnahmen. Im Mai 1960 sollte dann in Paris von den Spitzen der vier Siegermächte die Sache vertraglich fixiert werden. Präsident Eisenhower, der Exmilitär, hatte in Camp David angekündigt, dass Verhandlungen aufgenommen würden »mit dem Ziel, zu einer Lösung zu kommen, die die legitimen Interessen der Sowjets, der Ostdeutschen, der Westdeutschen und vor allem der westlichen Völker schützt«.

Die Pariser Konferenz scheiterte, weil Chruschtschow abreiste.

Kräfte um CIA-Chef Allen Dulles verhinderten erfolgreich, dass der Geist von Camp David die Friedenskonferenz in Paris erreichte. Das geht aus inzwischen offengelegten amerikanischen Quellen hervor. Am 1. Mai 1960, also kurz vor Konferenzbeginn, schickte die CIA ein Spionageflugzeug in den sowjetischen Luftraum, die »U-2« mit Gary Powers wurde bei Swerdlowsk abgeschossen. Die Sowjetunion empfand dies als Provokation und verlangte vom US-Präsidenten eine öffentliche Entschuldigung, die Bestrafung der Hintermänner und die Garantie, dass so etwas nicht wieder stattfindet. Das unterblieb. Chruschtschow zog daraufhin die Einladung zum Gegenbesuch Eisenhowers zurück und verließ Paris. Das Wettrüsten ging weiter, die Kriegsgefahr wuchs. Der Plan der CIA, die Verständigung zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml zu torpedieren, war also aufgegangen.

Nun war also nach Jahresfrist im Juli 1961 McCloy bei Chruschtschow, um die Scherben zu kitten. Mit welchem Ergebnis?

Er kabelte an Kennedy, dass die Situa­tion »zu gefährlich« sei, um sie »an einen Punkt treiben zu lassen, wo ein Zweikampf durchaus zu einer unglücklichen Aktion führen könnte«. Mit anderen Worten: Er trat vernünftigerweise auf die Bremse. Kennedy beorderte McCloy sofort nach Washington zurück. Nach dessen Bericht vertraute Kennedy seinem Sicherheitsberater Walt Rostow an: »Chruschtschow sieht sich einer unerträglichen Lage gegenüber. Die DDR blutet sich zu Tode, und als Folge ist der ganze Ostblock in Gefahr. Er muss etwas unternehmen, um das aufzuhalten. Vielleicht eine Mauer.« Am 30. Juli 1961 erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Senates, William Fulbright, öffentlich: »Ich verstehe nicht, weshalb die DDR-Behörden ihre Grenze nicht schließen, denn ich meine, sie haben alles Recht, sie zu schließen.« Bei der Auslotung dessen, wie weit die jeweils andere Seite im Sommer 1961 gehen kann und wo man sich zurückhalten sollte, spielten Spione eine nicht geringe Rolle. Die USA stützten sich dabei auf Informationen eines Doppelagenten aus der DDR und ihren Spitzenmann in Moskau, Oberst Oleg Penkowski. Dreißig Jahre nach dessen Enttarnung war am 8. April 1993 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen: Penkowski hat »ohne Zweifel wesentlich dazu beigetragen, dass insbesondere die Vereinigten Staaten zu einer realistischeren Einschätzung sowjetischer Absichten und Möglichkeiten in der Lage waren«. Dem sowjetischen Geheimdienst diente in gleicher Sache ein US-amerikanischer Oberst im Stab des Pentagon. Er hatte die UdSSR über die Bereitschaft der USA zum Einsatz von Atomwaffen im Fall der Unterbrechung des Zugangs nach Westberlin informiert. Ebenso erhielt die UdSSR von einem französischen Mitarbeiter der NATO, Georges Pâques, ein Dokument über die US-Pläne für den Einsatz von Atombomben über Deutschland und der Sowjetunion. In der letzten Juli-Dekade 1961 waren die politischen und militärischen Grenzen sowie die Möglichkeiten der Politik von den Großmächten ausgelotet und das Mögliche verabredet.

Am 1. August 1961 gab es ein Gespräch zwischen Walter Ulbricht und Nikita Chruschtschow. Ihr Chef soll nach diesem Gespräch sehr unzufrieden gewesen sein. War das so?

Das trifft zu. Ulbricht war nicht erfreut darüber, was Chruschtschow ihm vorgehalten hatte. Dieser wirkte schlecht informiert über die schwierige wirtschaftliche Lage in der DDR, die auch durch die offene Grenzsituation entstanden war. Täglich flüchteten Tausende über Westberlin aus der DDR, gelockt vom westdeutschen »Wirtschaftswunder«. Das basierte auf den unterschiedlichen Startbedingungen beider deutscher Staaten. Die DDR entrichtete für ganz Deutschland die im Potsdamer Abkommen festgelegten Reparationen, während die BRD vom Marshallplan, günstigen Krediten und Zugang zum Weltmarkt profitierte. Chruschtschow hatte auch gesagt, man müsse einen »eisernen Ring« um ganz Berlin ziehen. Im Protokoll ist zu lesen: »Ich bin der Meinung, den Ring sollten unsere Truppen legen, aber kontrollieren sollten Ihre Truppen.« Der sowjetische Generalstab habe bereits alle entsprechende Pläne ausgearbeitet.

Wie reagierte Ulbricht darauf?

Überlegt und sachbezogen. Er schrieb am 4. August einen Brief an Chruschtschow. Dieser fußte auf Analysen, die über Monate erarbeitet und in einem sehr kleinen Kreis unter Leitung von Richard Herber beraten wurden. Natürlich begrüßten wir eine Lösung unserer ökonomischen Probleme, während die Sowjetunion mehr die politische und die militärstrategische Dimension einer Grenzschließung im Auge hatte. Auf 18 Seiten legte Ulbricht die wirtschaftlichen Probleme der DDR und ihre Ursachen offen. »Es zeigte sich, dass durch die Wirtschaftsvereinbarungen 1960–65 zwischen der UdSSR und der DDR und zwischen der DDR und den anderen sozialistischen Ländern grundlegende Fragen der Rohstoffversorgung der DDR im Siebenjahrplan nicht gelöst werden konnten.« Diese Ausfälle mussten durch zusätzliche Importe aus den kapitalistischen Ländern ersetzt werden. 1960 stieg darum der Import aus diesen Ländern um 30 Prozent, der aus den sozialistischen nur um knapp drei Prozent. Und: »Die DDR hat als Arbeiter-und-Bauern-Staat die Wiedergutmachung für ganz Deutschland geleistet.«

Das war deutliche Kritik an der sowjetischen Nachkriegs- und ihrer Wirtschaftspolitik gegenüber der DDR, wenngleich ein wenig verklausuliert. Reagierte Ulbricht auch auf den Vorschlag des »eisernen Rings« um Berlin?

Mit keiner Silbe. Wohl aber sprach er das Thema indirekt an: »Die offenen Grenzen zwangen uns, den Lebensstandard schneller zu erhöhen, als es unseren volkswirtschaftlichen Kräften entsprach.« Er führte dies sehr dezidiert aus, auch dass »die offenen Grenzen und der Einfluss der Verbraucherideologie aus Westberlin und Westdeutschland« sowie »die Hochkonjunktur in Westdeutschland« zu einem unvertretbar hohen Aderlass geführt hätten.

Die Entscheidung zum »Mauerbau« traf Moskau, Berlin nahm sie hin – keineswegs unfroh. Dennoch war sich Ulbricht der Konsequenzen bewusst, wie er in einem BBC-Interview am 3. Dezember 1961 gegenüber dem anglikanischen Priester Paul Oesterreicher erklärte: »Jeder Schuss an der Mauer ist zugleich ein Schuss auf mich. Damit liefere ich dem Klassenfeind die beste Propagandawaffe. Den Sozialismus und damit den Frieden aufs Spiel zu setzen, würde unendlich mehr Leben kosten.« Lässt sich daraus schließen, dass Ulbricht Chruschtschows Anordnung, auch wenn er sie politisch billigte, im Grunde seines Herzens abgelehnt hat?

Es ging damals um eine friedliche oder um eine militärische Lösung. Ulbricht hatte als Soldat den Ersten Weltkrieg und als Antifaschist im Schützengraben der Roten Armee den Zweiten Weltkrieg erlebt. Er kannte dieses Grauen und war darum immer für eine friedliche Lösung. Jeder verantwortungsvolle Politiker musste 1961 die unbequeme friedliche Lösung einer unberechenbaren militärischen Operation vorziehen.

Die DDR hatte nach dem 13. August 1961 zwar eine gesicherte Grenze, aber keinen Friedensvertrag ...

Deshalb intervenierte Ulbricht in der Folgezeit in dieser Sache. Im September erinnerte er Chruschtschow, was er auch zuvor im DDR-Fernsehen erklärt hatte: »Das Wichtigste in den allernächsten Monaten ist der Abschluss eines deutschen Friedensvertrages. Mit ihm verbunden ist die Herstellung der vollen Souveränität der Deutschen Demokratischen Republik.«

Wie war die Reaktion?

Am 28. September kam die etwas ernüchternde Antwort aus Moskau. Nach freundlichen Floskeln über die Leistungen der DDR und dem Hinweis, dass damit »unsere Position in der Frage eines Friedensvertrages gestärkt« sei, teilte Chruschtschow mit: »Unter den gegenwärtigen Bedingungen, da die Maßnahmen zur Sicherung und Kontrolle der Grenzen der DDR mit Westberlin erfolgreich durchgeführt wurden, da die Westmächte zu Verhandlungen neigen und in New York bereits Kontakte zwischen der UdSSR und den USA aufgenommen wurden, sollten Schritte vermieden werden, die die Situation verschärfen könnten, vor allem in Berlin. In diesem Zusammenhang erscheint es insbesondere angebracht, sich neuer Maßnahmen zu enthalten, die die von der Regierung der DDR errichtete Kontrollordnung an der Grenze zu Westberlin verschärfen würden.« Kein weiteres Wort ist in diesem Brief zu der für die DDR so dringlichen Frage des Friedensvertrages zu lesen. Die Mauer aber war da. Moskau gab das Heft des Handelns nicht aus der Hand. Bis 1990 nicht.