„Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und
professionelle Gewerkschaftsbekämpfung"
Rote Karte
contra Mobbing
Buchtipp von
Harry Popow
Du denkst, dich tritt ein
Pferd. Hast nach der Probezeit einen Arbeitsvertrag abgeschlossen.
Freust dich riesig. Zum Termin des ersten Arbeitstages aber wirst du
plötzlich krank. Der Arbeitgeber: Wenn das schon so anfängt,
brauchen wir sie nicht!! Vertrag annulliert. Nun fängt die
Arbeitssuche erneut an, rund um die Uhr, kräftezehrend,
entwürdigend...
Fristlose Kündigungen!! Da fällt einem die Kassiererin Emmely von der Supermarkt-Kette Kaiser´s ein. Das war vor Jahren: Man warf sie hinaus – nach 31 Jahren treuer Arbeit. Und nur wegen einer Bagatelle. Aber die Kassiererin wehrte sich. Erfolgreich. Sie kehrte in ihre angestammte Filiale zurück. Kein so seltener Fall von Mut und Kraft.
Wer kann nicht ein Lied
davon singen: Der Arbeitgeber hat letztendlich in den meisten Fällen
das Sagen, unterstützt von zahllosen gut bezahlten Dienstleistern.
Nachgewiesen von den Autoren Werner Rügemer und Elmar Wigand in
ihrem 238-seitigen Buch „Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und
professionelle Gewerkschaftsbekämpfung“. Bezugnehmend auf die oben
genannte Kassiererin Emmely stellen sie fest, deren Kündigung ist
nicht nur ungerecht gewesen, sondern sei durch das Personalmanagement
und deren Helfer „auf kriminelle Weise konstruiert“ worden.
Bestenfalls gib es Vorzeichen einer fristlosen Kündigung: Eine
Personalakte mit präventiv gefüllten Abmahnungen. (S. 14)
Rügemer und Wigand fragen
sich, was die Unternehmen zu so einer „zynischen Aggressivität“
gegenüber den einfachen Beschäftigten treibt. „Gibt es eine
Systematik hinter diesem Vorgehen?“ (S. 10) An der Spitze ihrer
zahlreichen Textbeispiele und die daraus folgenden Erkenntnisse
halten die Autoren fest: „In der deutschen Arbeitswelt findet seit
Ende der 1990er Jahre eine Umwälzung statt, die eine Art unerklärter
Kleinkrieg beinhaltet, der auf US-amerikanische Methoden und
Prinzipien zurück greift“, die systematische Bekämpfung von
Mitbestimmung und gewerkschaftlicher Organisierung. Sie nennt sich
Union Busting und heißt wörtlich: “Gewerkschaften plattmachen”,
gerichtet in Deutschland auch gegen Betriebsräte, Vertrauensleute
und kritische Arbeiter- und Arbeiterinnen. (S. 10/11)
Zu den Methoden der
Willkür und den dahinter stehenden Interessen der Unternehmen nach
Gewinn und Profit gehören - mit Hilfe von internen Stabsstellen -
Betriebsräte und Gewerkschaften zurückzudrängen, einzuschüchtern,
einzulullen oder ganz zu entfernen. Im Visier habe man sogenannte
„Problemkinder“, „Totes Holz“, langsam Arbeitende, auch die
zu lange im Betrieb sind, stehen auf der Abschussliste, körperlich
ältere und schwächere Menschen, selbstbewusste, unangepasste,
potentiell rebellische Arbeiter, Angestellte, die längere Zeit krank
geworden sind. Mit Zucker werden dagegen diejenigen behandelt, die
für das Unternehmen den höchsten Gewinn versprechen, man nennt sie
„aufsteigende Sterne“. Ihnen folgen die noch geduldeten
„Arbeitspferde“. Zu den Helfern der Arbeitgeber zählen vor allem
die Medien. Sie betreiben eine strategische Kommunikation statt einer
biederen Öffentlichkeitsarbeit. Es herrsche eine
Gewerkschafts-Vernichtungs- und eine
Mitbestimmungs-Vertreibungsindustrie.
Zusammengerottet haben
sich unter dem Dach und der Duldung der Politik und des Staates
Fachanwälte, Anwaltskanzleien, Unternehmensberater, Personalmanager,
Detektive, PR-Agenturen, Detekteien, die Klassenjustiz, Stiftungen,
der BDI und der BDA, betriebsratsfreie Zonen, eine
arbeitgeberfinanzierte Universitätsindustrie, Medienagenturen und,
und, und... Sie leisten die Drecksarbeit für die Arbeitgeber, sie
agieren allesamt unter einer Tarnkappe, unter der das „Arbeitsrecht
als Teil des Privatrechts und als Kampfrecht im Interesse der
Unternehmensseite“ zu verstehen ist. (S. 112) Auf Seite 63
schreiben die Autoren von einem Netzwerk, das sich – unbeachtet von
den Gewerkschaften – herausgebildet hat, „in dem Methoden der
kapitalistischen Menschwerdung – Unterwerfung als Freiheit –
nicht nur ausgeheckt, sondern in der Arbeitswelt umgesetzt werden“.
Das System der Arbeit solle umgestaltet werden, wozu die Unternehmen
als Eigentümer angehalten sind, als neue Bürger gesellschaftliche
Anliegen „wie Menschenrechte, Bildung, Migration, Armutsbekämpfung,
Gesundheit und Chancenfairness“ aufzugreifen. Statt Demokratie
nunmehr „Der Staat sind wir, die Unternehmensleitungen“. (S. 61)
Diesem Ziel dient
vorrangig die Europäische Union (EU), nämlich „für private
Unternehmen die günstigsten Bedingungen zu schaffen und staatliche
Unternehmen und Dienstleistungen zu privatisieren“, so die Autoren
auf Seite 164. „Dieses Interesse trifft sich mit dem Konzept der
zuvor genannten Union Busting (USA). Das Endziel sei die Auflösung
der Gesellschaft in einen Markt aus freien, ungebundenen, ideologisch
entwurzelten, flexiblen Individuen, die in ständiger Konkurrenz
zueinander“ stehen. Der Begriff der Arbeiterklasse sei historisch
widerlegt, wer dem noch anhänge, sei ein „Ewiggestriger“ „und
damit zum Abschuss frei gegeben“. (S. 21)
Die Autoren mahnen im
Zusammenhang mit Arbeitsunrecht und Union Busting Widerstand an gegen
soziale Zerfallserscheinungen (S. 17), denn Arbeitsrechte sind Teil
der Menschenrechte. „Arbeits- und Sozialrechte scheinen nicht dazu
zu gehören.“ (S. 219) Wenn in weiten Teilen Europas aus der
Freiheit der arbeitenden Menschen das Recht zum freien Fall ins
Bodenlose geworden ist, dann ist auch der politische Streik
gesetzlich nicht verboten. Die Autoren warnen vor der Naivität, die
Fertigmacher bräuchten „nur mal eins auf die Finger“. (Seite 16)
Eher schon die „Rote Karte“ durch zahllose couragierte Emmelys.
Das Buch besticht durch
unzählige faktenreiche Belege sowie durch neun Konfliktporträts und
dreizehn Personenporträts. Tatsachen werden durch kurze
Autorenkommentare gedanklich vertieft, sodass sich auch im
Arbeitsrecht Unbewanderte ein genaues Bild von der Willkür der
Politik und den hochbezahlten Dienstleistern im Interesse der
Arbeitgeber gegenüber den Lohnabhängigen und ihrem Arbeitsrecht
machen können. Lesenswert vor allem für Systemkritiker,
Betriebsräte, Arbeiter, Streikende, Gewerkschafter und
Arbeitssuchende. (PK)
Werner Rügemer, Elmar
Wigand: „Die Fertigmacher. Arbeitsunrecht und professionelle
Gewerkschaftsbekämpfung“, PapyRossa Verlag, 238 S.,Auflage: 1 (1.
Oktober 2014), ISBN-10: 3894385553 , ISBN-13: 978-3894385552 , Preis:
14.90 Euro
Erstveröffentlichung
der Rezension in der Neuen Rheinischen Zeitung
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