JUNI 26, 2016
„Die EU hat die einzige Verfassung in der Welt, die den Kapitalismus festschreibt… Sie zerstört überall in Europa jede Aussicht auf Sozialismus und macht den Kapitalismus zur Grundlage ihrer Struktur.” (Tony Benn)
Der Brexit und die „Linke”
Ein Kommentar von Otto Bruckner, Vorsitzender der PdA Österreichs
Was heute, am Tag, an dem sich die Mehrheit der britischen Wählerinnen und Wähler für ein Verlassen der Europäischen Union entschieden haben, deutlich wird, ist vor allem die Perspektivlosigkeit sogenannter „Linker”, die es sich in den subventionierten Wärmestuben der EU gemütlich gemacht haben. Nichts wird heute deutlicher, als die klare Erkenntnis, dass „links” längst keine politische Kategorie mehr ist, sollte sie es je gewesen sein. Dieselben Leute, die den griechischen Privatisierungs- und Sozialabbaupremierminister Tsipras für einen „linken Reformer” halten, jammern heute über den Sieg der ach so bösen britischen Nationalisten.
Dabei waren es auch genug Linke, wie die britischen Kommunisen oder die kommunistischen Medien, allen voran die Zeitung „morning star”, die sich für ein „leave” ausgesprochen hatten. Diese auflagenstärkste fortschrittliche Zeitung zitierte vor kurzem den verstorbenen Labour-Vorsitzenden Tony Benn: „Die EU hat die einzige Verfassung in der Welt, die den Kapitalismus festschreibt… Sie zerstört überall in Europa jede Aussicht auf Sozialismus und macht den Kapitalismus zur Grundlage ihrer Struktur.”
Die Vorstellung, die EU wäre ein endgültiges und unzerteilbares Projekt, ist geradezu naiv. Sie ist ein vorübergehender supranationaler Rahmen zur Durchsetzung imperialistischer – vor allem deutscher – Interessen, und sie koppelt sich immer stärker an das US-geführte Militärbündnis NATO, das gerade offene Aufrüstungs- und Kriegspolitik betreibt, vor allem gegenüber Russland, aber nicht nur. Einigermaßen historisch Gebildete sollten wissen, dass sich dieser supranationale Rahmen in der heutigen Form rasch überholen kann.
Die Geschichte Großbritanniens wird weiterhin von Klassenkämpfen geschrieben, ebenso, wie die Geschichte jedes anderen kapitalistischen Landes. Wie stark sich welche Interessen durchsetzen können, wird darüber entscheiden, ob der souveräne Weg der Briten ein eher progressiver, oder ein eher reaktionärer sein wird. Die Entscheidung, nicht länger Teil der EU sein zu wollen, sagt darüber zunächst gar nichts aus. Die Warnungen vor dem wirtschaftlichen Untergang der Briten darf man ruhig der Hitze zuschreiben, denn der wird nicht stattfinden, zumindest nicht aus dem Grund, dass sie aus der EU ausgetreten sind. Denn natürlich werden zwischen EU und GB Mittel und Wege gefunden werden, die Schleusen des Kapital- und Warenverkehrs, der wichtigsten Lebensadern der kapitalistischen Wirtschaft, in beide Richtungen offen zu halten.
Auch hier sehe ich die Vorstellung mancher „Linker”, dass der Nationalstaat per se etwas Reaktionäres wäre, nicht von Analysen, sondern von Behauptungen geleitet. Es darf daran erinnert werden, dass sich etwa der österreichische Nationalstaat erst in Abgrenzung zum deutschen entwickelt hat, und der Kommunist Alfred Klahr in den 1930er-Jahren die Existenz einer eigenständigen österreichischen Nation (die im übrigen schon immer mehr war, als das deutschsprachige Österreich) nachgewiesen hat. Noch in den 1980er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde die österreichische Nation deshalb vom damaligen FPÖ-Chef Haider als „ideologische Missgeburt” bezeichnet. Dass die Rechten in Österreich heute mit rot-weiß-roten Fahnen herumlaufen ist nur deren Opportunismus geschuldet, denn in Wahrheit ist ihre Vorstellung von Österreich schwarz-rot-Gold gefärbt.
Die immer engere Verschmelzung der EU-Außenpolitik mit der NATO-Kriegspolitik, die immer stärkere Einengung jeglicher nationaler Spielräume, die immer stärkere Fixierung der EU-Politik auf die verheerende neoliberale Wirtschaftspolitik und die deutsche Hartwährungspolitik sollten bei uns im – formal noch neutralen Österreich – eher morgen als übermorgen ebenfalls eine Debatte über Verbleib oder Austritt aus der EU in Gang setzen. Nichts kann schlechter werden, als es in der EU ist!
„Linke”, die in einer neoliberalen supranationalen Diktatur unter deutscher Führung den einzigen Weg für die Zukunft sehen, sind zu bedauern. Die Lektüre des Kommunistischen Manifests sei ihnen wärmstens empfohlen, denn nicht in der imperialistischen Staatengemeinschaft liegt unsere Zukunft, sondern in der Überwindung der Klassengesellschaft und mit ihr der Gegensätze unter und zwischen den Nationen:
„Den Kommunisten ist ferner vorgeworfen worden, sie wollten das Vaterland, die Nationalität abschaffen. Die Arbeiter haben kein Vaterland. Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben. Indem das Proletariat zunächst sich die politische Herrschaft erobern, sich zur nationalen Klasse erheben, sich selbst als Nation konstituieren muß, ist es selbst noch national, wenn auch keineswegs im Sinne der Bourgeoisie.
Die nationalen Absonderungen und Gegensätze der Völker verschwinden mehr und mehr schon mit der Entwicklung der Bourgeoisie, mit der Handelsfreiheit, dem Weltmarkt, der Gleichförmigkeit der industriellen Produktion und der ihr entsprechenden Lebensverhältnisse.
Die Herrschaft des Proletariats wird sie noch mehr verschwinden machen. Vereinigte Aktion, wenigstens der zivilisierten Länder, ist eine der ersten Bedingungen seiner Befreiung.”
In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander.”
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