Samstag, 6. April 2019

Westliche Eliten zum Tanzen bringen - NRhZ



Zum Buch "Der Tiefe Staat schlägt zu. Wie die westliche Welt Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet"


Milliarden für die Massenverdummung


Ullrich Mies - interviewt von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

"Die Umdeutung von Begriffen ist die Voraussetzung für die Eroberung von Ländern. Die Transformation der Sprache dient PR-Agenturen, Spindoctoren, Regierungssprechern und Herrschaftsmedien zur professionellen Gehirnerweichung ihrer Adressaten. Darum werden Milliarden in die Massenverdummung investiert, die integraler Bestandteil der weltweiten Kriegführung ist." 


Ullrich Mies legt mit seinem soeben auf der Leipziger Buchmesse vorgestellten Buch "Der Tiefe Staat schlägt zu..." eine Fortführung und Steigerung der vorausgegangenen Veröffentlichung "Fassadendemokratie" vor. Zwischen den Buchdeckeln gibt es Hoffnung für diejenigen, die bereit sind, ihrem Schicksal ins Auge zu blicken und sich aktiv an der Um-Gestaltung der Restdemokratien zu beteiligen. Wenn schon die Friedensdividende innerhalb von 30 Jahren dem Militärisch Industriellen Komplex (MIK, interessante Fortführung FSMIKK) geopfert wurde, könnte eine starke Friedensbewegung die Verhältnisse mit konkreten Forderungen zum Tanzen bringen. Jedoch, so Ullrich Mies: "Bestimmte Kräfte in der so genannten Friedensbewegung wollen weder den Austritt Deutschlands aus der NATO noch wollen sie die Kündigung des Truppenstationierungsvertrages. Das wäre – mit der Stoßkraft einer geeinten politischen Friedensbewegung im Rücken – ein Ziel, das in der Bevölkerung kommuniziert werden könnte."


Die im Buch „Der Tiefe Staat schlägt zu“ thematisierte „Wende“ von 1990, sprich die Überwältigung der sozialistischen Staaten, allen voran der DDR und SU, kam nicht rein zufällig, sondern sie wurde in langen Schritten vorbereitet. Der kapitalistische Komplex hat aus seinen Fehlern gelernt, Rainer Rupp schreibt in seinem Vorwort: Der Kapitalismus brauche sich nicht länger „im Schafspelz“ zu verstecken. „Sozialismus oder Barbarei?“, so formulierte es Rosa Luxemburg. Wo geht die Reise hin beziehungsweise wo sollte sie besser hingehen?

Die Gründe für den Zusammenbruch der DDR beziehungsweise der UdSSR waren nicht die Zielsetzung des Buches, sondern dessen zentrale Fragestellung ist eine andere: Wie haben es die Führungen der westlichen Staaten — allen voran der USA — geschafft, die Friedensdividende nach dem Zusammenbruch der UdSSR 1990 in einem etwa 25-jährigen Prozess komplett vor die Wand zu fahren? Und welche Absicht steht dahinter?

Versprochen hatten die politischen Führungen den Menschen etwas anderes: Wohlstand für alle, das Ende der Geschichte und ähnliches. Alles hat sich als blanke Propaganda herausgestellt. Völlig richtig ist Rainer Rupps Feststellung, dass die dem Kapitalismus zuarbeitenden so genannten politischen Eliten immer dreister, unverschämter und hemmungsloser gegen die Interessen der breiten Bevölkerungen operieren. Sie arbeiten zugunsten eines schmalen Selbstbereicherungssegmentes und öffneten die Schleusen für das internationale Finanzkapital.

Das heißt, die gewählten Partei-Politiker hatten die Finanzmärkte dereguliert. Nur so war es möglich, dass diese mit hochkrimineller Energie über strukturierte Finanzprodukte Finanzblasen produzierten. Und es kommt noch dreister: Schließlich wurden die in ihrer Existenz bedrohten Banken auch noch von der politischen Kaste zu Lasten der breiten Bevölkerung gerettet. Das war ein Putsch von oben gegen die Interessen der Völker. Die politische Kaste wurde in der Zeit des Aufstiegs des internationalen Spekulationskapitals zu dessen korruptem Komplizen.

Die Zeche des Finanzterrors zahlt die Bevölkerung mit einer verrottenden Infrastruktur, desolaten Stadtteilen, Bildungs- und Rentendesaster, innerer Aufrüstung und neuen Kriegen. All dies ist das Resultat der Politik der letzten 25 Jahre. Das ist bei genauer Analyse nichts anderes als Klassenkampf von oben, wie ihn ja auch der Finanzhai Warren Buffet genannt hatte. Hätten die Menschen auch nur ein Basisverständnis für all diese Zusammenhänge, dann würden sie dieser parasitären politischen Kaste ihre Stimme verweigern. Schauen Sie sich diese deutschen gleichgeschalteten Parteien an, mir wird übel. Eine der letzten Hoffnungsträgerinnen, Sarah Wagenknecht, wurde von den rechten Socken des pseudo-linken Berliner Sumpfes gemobbt. In diesen schein-linken Milieus NATO-affiner Karrieristen wird maximal bestraft, wer gut aussieht, intellektuell etwas zu bieten hat, nicht borniert ist, mit offenem Visier kämpft und vor allem bei der Bevölkerung gut ankommt. Eine solche Linke braucht niemand.

„Sozialismus oder Barbarei“? Mag sein, dass es das auf den Punkt bringt. Der herrschende Kapitalismus ist ein Selbstvernichtungsprogramm, wie es Eugen Drewermann in seinem Buchbeitrag nennt. Aber ein Sozialismus als Selbstbedienungsladen, in dem die Forderungen des einzelnen an andere und den Staat grenzenlos sind, geht auch nicht. Aus meiner Sicht steht fest: Mit der aktuellen Selbstbereicherungskaste und ihren korrupten politischen Helfern geht es nur in eine Richtung, den Abgrund. Wir brauchen dringender denn je ein völlig neues politisches und ökonomisches System jenseits der parteienbasierten repräsentativen Demokratie und jenseits des Kapitalismus. Denn dass diese keine Demokratie ist, zeigen wir im ersten Buch „Fassadendemokratie und Tiefer Staat“ auf.

Die politische Reise sollte also dahin gehen, dass wir direktere Formen der Demokratie einführen und die Parteien entmachten, die bisher nach Gutsherrenart herrschten und herrschen. Das heißt, sie dürfen nicht mehr in der Lage sein, den politischen Prozess jenseits des Volkswillens zu dominieren und ihr korruptes Eigenleben über die Interessen der breiten Bevölkerung zu stellen — aber genau das tun sie.

Krieg ist nur eines (das letzte?) der Mittel der herrschenden Klasse nach Bernd Hamm, einer der Autoren Ihres ersten Buches. Die Machtmagnaten und ihre Manager haben ihren Sunzi (alt-chinesischen Strategen, der – so lange es geht – die Soft-Power-Methoden bevorzugt) studiert. Dennoch spitzt die Situation sich dramatisch zu. Während in Deutschland seit einigen Wochen eine aus dem quasi Nichts entstandene Protestbewegung von Kindern und Jugendlichen auf die Straße geht, lässt sich in Frankreich der blanke Faschismus beobachten. Ein Sanitäter bezeichnet den Polizeieinsatz beim G20-Gipfel in Hamburg dagegen als „Kindergarten“ und die durch die militärischen Polizeieinheiten und -einsätze nicht nur in Paris verursachten Verletzungen als „Kriegsverletzungen“. Ganz offensichtlich verschafft sich der Tiefe Staat gegen die Macht der Massen seine Aufstandsbewältigungsinstrumente. Der „Friendly Fashism“ lässt die Maske fallen. Auch hier hat „die Politik“ über Jahrzehnte unter anderem mit dem Lissabon-Vertrag Vorarbeit geleistet. Was ist zu tun und wie viel Zeit oder welche Möglichkeiten bleiben uns in der heruntergewirtschafteten „Fassadendemokratie“ noch?

Viele spannende Aspekte. Ich versuche es in Kürze: Völlig klar ist für mich und für viele andere Beobachter der Situation, dass sich die herrschende Kaste nicht so einfach und blutlos von der politischen Bühne verabschieden wird, wenn dieser verfaulte Finanzkapitalismus zusammenbricht. Vor allem haben sie mehr zu verlieren, wenn wir uns die gigantischen zusammengerafften Vermögen und den grenzenlosen Reichtum anschauen, den sie mit Hilfe korrupter Anwaltskanzleien weltweit auf off-shore-Konten verstecken. Aus meiner Sicht bedarf es gar keiner neuen so genannten Finanzkrise, wie die Ereignisse in Frankreich zeigen. Immer größeren Teilen der Bevölkerung wird bewusst, wer für die gigantischen Umverteilungen verantwortlich ist. Die politischen Täter, die all das ermöglicht haben, sind ja bekannt, und sie sind nicht mehr vor Racheakten Millionen Abgestürzter sicher. Darum betreiben sie eine besondere Art der Daseinsvorsorge, um ihre verbrecherische Umverteilungspolitik und ihre Kriegstreiberei möglichst lange fortsetzen zu können. Und das geht über die Aufrüstung nach innen und die Ausweitung von Aufstandsbekämpfungskapazitäten, die Paramilitarisierung, Faschisierung und Privatisierung der Polizei und die Verschmelzung von Militär, Polizei und Geheimdiensten. Geübt wird in Deutschland in der Aufstandsbekämpfungsstadt Schnöggersburg bei Magdeburg und in Israel.

Und je mehr der Staat zur Beute der finanzkapitalistischen Piraten und ihrer politischen Agenten in den Systemparteien wird, desto mehr wird die innere Sicherheit an Private ausgelagert, die formal über keinerlei Legitimation verfügen, das Gewaltmonopol auszuüben. Das könnte dann zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen führen wie in Frankreich. Fakt ist: Die herrschende Klasse tritt nicht freiwillig ab.

Aus meiner Sicht erfordert der marktradikale Kapitalismus nach einer gewissen Übergangsperiode den Faschismus zur Aufrechterhaltung der perversen Strukturen. Schauen Sie sich genau an, mit wem die Berliner Politchargen besonders vertrauensvoll zusammenarbeiten: Saudi Arabien, die Golfmonarchien, Israel, Ägypten, die Ukraine, Georgien, Brasilien und die Demokraturen Nordamerikas, der EU, Japan und Süd-Korea. Sämtliche Regierungen und Regime sind entweder faschistisch-reaktionär oder fassadendemokratischer Provenienz.

Ihre Frage, was zu tun ist und wie viel Zeit oder welche Möglichkeiten in den heruntergewirtschafteten „Fassadendemokratien“ noch verbleiben, ist mehrdimensional: Wie viel Zeit bleibt bis wohin? Bis zum Platzen der Finanzblasen? Bis zu inneren Unruhen in Deutschland oder dem großen Krieg? Das weiß ich nicht. Hierzu konkrete Aussagen zu machen, gleicht dem Blick in die Kugel eines Hellsehers. Fest steht jedoch: Irgendwann – vermutlich in nicht allzu ferner Zukunft –  wird die Finanzblase platzen. Ernst Wolff schreibt permanent darüber, auch in „Fassadendemokratie“ und im neuen Buch. Autoren, die dazu Veröffentlichungen vorgelegt haben, werden deshalb in den Dreck gezogen. Das ist Teil des Informationskrieges dieses widerwärtigen Denunziantengesindels. Wie viel Zeit noch bleibt, bis der große Krieg ausbricht? Auch diese Frage kann ich nicht beantworten. Fest steht, dass die NATO als bewaffneter Arm des US- und EU-Imperialismus keine Gelegenheit auslässt, sich immer weiter aufzublähen und Russland immer mehr in die Zange zu nehmen. Zu wünschen wäre natürlich, dass die USA an ihren eigenen Wahnvorstellungen und Weltbeherrschungsobszessionen gesellschaftlich und ökonomisch kollabieren, bevor sie die ganze Welt in den Abgrund eines Atomkrieges reißen. Denn eines sollte auch den größten Imperial-Schwachköpfen der neokonservativen Berliner außenpolitischen Community klar sein: Die USA haben nie auf den Ersteinsatz von Nuklearwaffen verzichtet. Sollten die USA beispielsweise Atomwaffen zuerst gegen Russland einsetzen, dann ist das das Ende zumindest Zentraleuropas. Über diese Zusammenhänge schreiben im neuen Buch Wolfgang Jung und Vladimir P. Kozin.

Mitläufer sind Mittäter, denn sie stabilisieren das herrschende System. Bernd Hamm charakterisiert die Höflinge der Reichen und Superreichen wie folgt: sie „werden alles dafür tun, ihre Privilegien nicht zu verlieren“. In mittelalterlichen Zeiten wurde dieser Kreis auch als Spießbürgertum bezeichnet, das die Interessen der Fürsten und die eigenen Privilegien mit Spießen verteidigte. Wo ist die Grenze zur Erkenntnis, den Weg in den Untergang nicht aufgehalten zu haben, oder nach Martin Niemöllers Warnung, zum Schluss ganz allein da zu stehen? An wen richtet sich das Buch mit welcher Intention?

Wir können ja nur versuchen, aufzuklären. Doch Erkenntnisgewinn ist ein mühsamer Prozess und vielen Menschen zu anstrengend. Ich rede jetzt nicht von denen, die es eigentlich wollen, aber gar keine Zeit finden, weil sie ganz einfach den täglichen Arbeitsterror zu bewältigen haben. Ich bin der Letzte der Faulheit, Bequemlichkeit und Opportunismus in irgendeiner Weise rechtfertigt oder entschuldigt. Was aber die mittelalterlichen Spießer anbelangt, so waren die meisten Spießträger in den Kriegen gedungene arme Teufel aus dem Bauernstand. Die wurden von ausschwärmenden Trupps ihrer adeligen Herren den Familien entrissen und zum Krieg gezwungen, in dem die Reichen sich ihren geraubten Reichtum, ihre Macht und ihren Einfluss gegenseitig streitig machten. Heute  erledigen oft Söldner, also bezahlte Mörder, die Drecksarbeit korrupter Regierungen. Wer am meisten bezahlt, bekommt die besten Mordbuben. Die Privatisierung des Krieges ist in vollem Gange.

Die grundsätzliche Frage ist aber: Was veranlasst alle diese Regierungsmitglieder beziehungsweise die Funktionseliten dazu, sich so unterwürfig und opportunistisch zu verhalten? Nach meiner Auffassung liegt dem kaputten Sozialverhalten primär ein spezifisches Klasseninteresse und Privilegiendenken zugrunde. Dieses Kriechertum, diese Feigheit und Niedertracht wird in kapitalistischen Konkurrenzgesellschaften auch noch ganz systematisch gefördert und eintrainiert, nach dem Motto: the winner takes it all. Wer nach oben kommen will, muss seine Ellbogen einsetzen. Halt doch den Mund, das schadet nur Deiner Karriere und so weiter und so fort. Das Ergebnis sind menschliche Würstchen, die noch nicht einmal für ihre Meinungsfreiheit, für ihre demokratischen Rechte, gegen Überwachung, gegen den Krieg eintreten. Die das tun sind in Deutschland immer noch Minderheiten.

Der Begriff der Neocons durchzieht wie ein roter Faden fast alle Beiträge. Rainer Rupp hat in einem Vortrag deutlich gemacht, was hinter dem Begriff eigentlich steckt: zum „Konservatismus“ gewandelte ehemalige Linke wie Richard Perle, Paul Wolfowitz und viele andere US-Strategen. Wie (neo-) konservativ ist die deutsche Linken-Bewegung und sind die Parteien SPD, Grüne und insbesondere „dieLinke“ inzwischen gewandelt? Was ist von Linken zu erwarten im Hinblick auf die Rückeroberung einer akzeptablen – möglicherweise auch direkten – Demokratie?

Als Erstes möchte ich Ihre letzte Frage beantworten: Von diesen Parteien ist aus meiner Sicht nichts zu erwarten. CDU/CSU/SPD/GRÜNE sind Täterparteien, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass in Deutschland der Krieg wieder Mittel verbrecherischer Außenpolitik werden konnte. Ich denke hier an die Zerlegung Jugoslawiens und den Bombenkrieg 1999 gegen  dieses Land. Zudem hat die herrschende politische Kaste der deutschen Systemparteien nach 1990 den Vasallenstatus Deutschlands gegenüber den USA verfestigt. Diese Politkaste trägt eine maßgebliche Mitschuld an dem verheerenden sicherheitspolitischen Zustand Europas, weil sie die NATO-Osterweiterung, die nichts anderes ist als eine NATO-Osteroberung, mitgetragen hat. Alle Verwerfungen insbesondere im Verhältnis zu Russland hat sie billigend in Kauf genommen. Denn niemand kann so dumm oder naiv sein zu glauben, die Strangulierung Russlands durch den neuen Cordon Sanitaire würde ohne Folgen bleiben. Russland konnte diese gigantische geostrategische Übergriffigkeit bis in sein direktes Umfeld nicht widerspruchslos hinnehmen. Das Resultat dieser 25-jährigen Entwicklungen war die schlussendliche Sezession der Krim und die Quasiabspaltung der Ost-Ukraine. Wer Zeitgeschichte nicht als Kette von Entscheidungen und Ereignissen begreift und stattdessen immer nur das Endglied einer langen Kette betrachtet – wie die Krim-Sezession – versteht überhaupt nichts.

Was die Neokonservativen anbelangt: Sie sind die Ideologieträger des Tiefen Staates und primär verantwortlich für die weltweiten Kriege und das seit 9/11 angerichtete Chaos. Sie sind die Feinde der Demokratie, vertreten den marktradikalen Kapitalismus, die „Eliten“-Herrschaft, befürworten die US-amerikanische Weltherrschaft, sind transatlantisch bestens vernetzt und haben ihre ideologischen Statthalter in der NATO, den europäischen Regierungen, der EU-Bürokratie, in Parlamenten und Medien platziert.

Im Buch ist vielfach die Rede vom Kalten Krieg 2.0, der jederzeit in den heißen Krieg mit atomarem Ausmaß eskalieren kann. Welche Kraft geht von der organisierten Friedensbewegung in Deutschland aus? Wie artikuliert sie ihre Forderungen und was steckt dahinter? Gibt es wenigstens da einen Hoffnungsschimmer am Firmament?

Ich bin nicht Teil der organisierten Friedensbewegung, die Interna sind mir nur zum Teil bekannt. Es gibt aber ein Grundmuster bei allen zivilgesellschaftlichen Gruppen, die einen gewissen Organisationsgrand, eine bestimmte Größe und Schlagkraft in der öffentlichen Diskussion erreichen: Sie werden sämtlich von anderen Kräften, beispielsweise von angepassten Ideologie-Trägern, von Geheimdiensten oder auch reaktionären Parteien wie CDU/SPD, übernommen. Das heißt, ab einer bestimmten Stärke des gesellschaftlichen Gegenentwurfs wird ihnen die Spitze abgebrochen, die Organisation von innen zerfressen und damit ihre Stoßkraft zerstört. Das gilt für die ehemals grüne Friedenspartei, für Greenpeace, für Attac, Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und so weiter. Sicher gibt es diese Prozesse auch in der Friedensbewegung. Die Kriegskräfte lassen sich nicht von Friedensmenschen ihr dreckiges Geschäft ruinieren. Darum greifen sie von allen Seiten in das Geschehen ein. Das gilt insbesondere für die pseudolinken Deppen, die gleich die Auflösung der NATO fordern statt den Austritt Deutschlands aus der NATO. Genau so gut kann man auch vom Himmel fordern, er solle das schlechte Regenwetter unterlassen, statt den Schirm aufzuspannen. Bestimmte Kräfte in der so genannten Friedensbewegung wollen weder den Austritt Deutschlands aus der NATO noch wollen sie die Kündigung des Truppenstationierungsvertrages. Das wäre – mit der Stoßkraft einer geeinten politischen Friedensbewegung im Rücken – ein Ziel, das in der Bevölkerung kommuniziert werden könnte. Wolfgang Jung, der die Luftpost herausgibt, weist auf diese Zustände – wie ja auch die NRhZ –immer wieder hin. Fazit: Die Friedensbewegung ist massiv unterwandert. Und das ist vor den skizzierten Hintergründen auch logisch.

Im Zeitalter der visuell dominierten Kommunikationstechniken ließe sich von einem neuen Analphabetismus sprechen. Zur Rolle der mainstream- bzw. agenturgesteuerten Medien ist immerhin zu beobachten, dass mehr und mehr Menschen – je nach Erweckungszustand – zumindest erkennen, dass da etwas nicht stimmt. Dabei ist es sicher wichtig zu wissen, dass es keine eigenständige, politikunabhängige Medienindustrie gibt, sondern nach Arundhati Roy sind diese Medien integrierter Bestandteil des neoliberalen Projekts. Die Autoren des „Tiefen Staat“ versammeln sich unter dem Anspruch, ein „Blick in die Abgründe“ sei unabdingbar. Was ist an Erkenntnisgewinn zu erwarten, was an möglicher Mobilisierung von Kräften oder auch an Selbstvergewisserung?

Nun, ich habe eine Zusammenfassung des möglichen Erkenntnisgewinns in der Einleitung des Buches geliefert, die ja  auch in der NRhZ veröffentlicht wurde. Der primäre Erkenntnisgewinn ist, wie oben bereits skizziert, dass die Herrschaftsetagen der so genannten westlichen Werteordnung den Frieden absichtlich vor die Wand gefahren haben. Denn sie wollten unbedingt den militärisch-industriellen Komplex retten. Ferner wollten sie ihre verbrecherischen Imperialambitionen nicht aufgeben, im Gegenteil zur vollen Blüte treiben und den Krieg als Mittel der Politik re-installieren. Weiteres Ziel der transatlantischen politischen Herrschaftskaste war und ist die NATO-Osteroberung zu Lasten Russlands, um sich dessen Ressourcen unter den Nagel zu reißen und Russland zum Absatzmarkt und Investitionsgebiet zu machen.

Die 100-jährige Geschichte des angelsächsischen imperialen Treibens hat Jochen Scholz in unserem Buch herausgearbeitet. Er beschreibt, wie England, später die USA, eine Allianz zwischen Russland und Deutschland immer wieder verhindern wollten und es stets ihr Ziel war und nach wie vor ist, gedeihliche Beziehungen zu torpedieren, Russland zu schwächen und wegen seiner Ressourcen zu bekriegen. Diese geostrategische Ost-Eroberungsideologie geht unter anderem auf den britischen Geopolitiker Halford Mackinder zurück.

Noch etwas zu den Mainstream-Medien: Selbstverständlich sind sie integraler Bestandteil von Herrschaft. Das waren sie immer. Auffallend ist jedoch, wie sie nach 1990 langsam aber stetig immer mehr mit den politischen und ökonomischen Herrschaftscliquen zu einer Entität zusammenwuchsen und abweichende Meinungen zunehmend unter den Tisch fielen und bekämpft wurden. Das ist im marktradikalen Kapitalismus nicht anders zu erwarten. Diese Medien sind Wirtschaftsbetriebe, sie handeln mit Textprodukten, die um die Werbeblöcke herum geschrieben werden. Konzern-Medien gehören der Finanzindustrie oder reaktionären Familienclans, die heute alle Verbrechen der politischen Herrschaftskasten vertuschen oder stützen bis hin zu Kriegen. An Kriegen sind tausende Firmen beteiligt, also halten die Konzernmedien aufgrund ihrer unterschiedlichsten Kapitalverschachtelungen die verlogene Klappe. Sie berichten ganz einfach nicht mehr.

Die Massenmedien sind der entscheidende Transmissionsriemen, um die Herrschaftsfantasien der reichen und superreichen Kapitaleigner in den Köpfen der Allgemeinheit zu verankern. Genau wie im Arbeitsleben, wo breite Bevölkerungsschichten Opfer des Wettbewerbsterrors sind, sind die Menschen, was die Bewusstseins-Industrie anbelangt, Opfer der Gehirnwäsche. Das erklärt auch die Massenverblödung. Aber das geht ja alles noch viel weiter: Auch das Öffentlich-Rechtliche beteiligt sich an der gigantischen Gehirnwaschoperation. Volker Bräutigam und Friedhelm Klinkhammer weisen das nahezu wöchentlich mit ihren Medienkritiken nach.

Was eine mögliche Massenmobilisierung anbelangt, bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich kann allein meinen Beitrag dazu leisten, dass Teile der Bevölkerung nicht noch weiter verblöden oder sich auf entpolitisierte Felder begeben wie die Mangas, wie soeben auf der Buchmesse in Leipzig zu beobachten.

Was in den 1930er Jahren und zuvor unter dem Begriff Propaganda gehandelt wurde, entwickelt von hoch spezialisierten Strategen wie dem Neoliberalen Edward Bernays bis hin zu Joseph Goebbels (der ein Anhänger von Bernays war) ist kommunikationstechnisch bis zur Perfidie weitergetrieben worden von so genannten allgegenwärtigen Spindoctoren, die Krieg als Frieden verkaufen. Im Buch der Tiefe Staat verwenden Sie eigene Begriffe, allen voran den FSMIKK. Dabei handelt es sich um eine aktualisierte Fassung des MIK, Militärisch Industrieller Komplex hin zum viel umfassenderen und die Interessenlagen verdeutlichenden Finanzkapitalistisch-Staatsterroristisch-Militärisch-Industrieellen Kommunikations-Komplex (FSMIKK). Wie wichtig sind parallel zum eigenständigen und unabhängigen Denken eigene Begriffskonstruktionen und Gedankengebäude?

Wir leben im Zeitalter des information warfare und im Zentrum des Kampfes steht die Zerstörung unserer Sprache. Im aktuellen Buch habe ich dazu einige wenige Ausführungen gemacht und unter der Zwischenüberschrift „Transformation der Sprache in der neoliberalen Propaganda“ geschrieben: Der totalen Herrschaft des „Marktes“ und seiner Akteure gehen die Transformation der Sprache und die Umdeutung von Begriffen voraus. Ich möchte dazu nur einige wenige Beispiele nennen.

Die Herrschenden reden von Demokratie, tatsächlich meinen sie jedoch die Sicherung ihrer Oligarchenherrschaft. Sie reden von Freiheit, meinen aber ihre eigene Freiheit zur hemmungslosen Selbstbereicherung. Sie reden von freien Märkten, realisieren aber tatsächlich den Wettbewerbskrieg bis aufs Messer, der von allen ethisch-moralischen Verpflichtungen freigestellten Märkte.

Der Rechtsstaatsbegriff wurde ad absurdum geführt dadurch, dass sie die Gewaltenteilung aushebeln. Er wurde zum Unrechtsstaat, der zum Beispiel Wirtschafts- und Regierungskriminelle weitgehend straffrei stellt. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Die Umdeutung von Begriffen ist die Voraussetzung für die Eroberung von Ländern. Die Transformation der Sprache dient PR-Agenturen, Spindoctoren, Regierungssprechern und Herrschaftsmedien zur professionellen Gehirnerweichung ihrer Adressaten. Darum werden Milliarden in die Massenverdummung investiert, die integraler Bestandteil der weltweiten Kriegführung ist. Die gewendeten Begriffe und unzähligen Phrasen sind die Insignien des modernen Imperialismus und Eliten-Faschismus.

Das heißt, wir müssen daran arbeiten, spezifische Zustände mit adäquaten Begriffen zu beschreiben, und eigene Begriffsbildungen vornehmen. Denn das ist es ja genau, was die Propagandafritzen zu verhindern versuchen, indem sie uns allen ihre eigenen, herrschaftskonformen orwell’schen Begriffe überstülpen. Darum schlagen wir eine wirklichkeitsnähere Begriffsbildung für den gesamten Kriegskomplex vor, der die wichtigsten Komponenten umfasst und sagen, es geht nicht nur um den MIK, es geht um den FSMIKK. Ich glaube, diese Kombination fasst es ganz gut, auch wenn sie immer noch nicht vollständig ist, denn es fehlen zum Beispiel die Geheimdienste, die korrupte Wissenschaft und die NGO’s. Bei großzügiger Interpretation kann man sie aber alle unter „staatsterroristisch“ fassen, weil der von den Neokonservativen und Marktradikalen gekaperte Staat der Träger oder Förderer dieser Kräfte ist.


Ullrich Mies (Hg.): Der Tiefe Staat schlägt zu. Wie die westliche Welt Krisen erzeugt und Kriege vorbereitet

Promedia, Wien, 2019, 280 S., brosch., ISBN: 978-3-85371-449-2, 19,90 Euro

Mit Beiträgen von Nicolas J.S. Davies, Eugen Drewermann, Tilo Gräser, Annette Groth, Chris Hedges, Hannes Hofbauer, Wolfgang Jung, Vladimir P. Kozin, Mohssen Massarrat, Ullrich Mies, Kees van der Pijl, John Pilger, Jochen Scholz, Rainer Seidel, Aktham Suliman, Ernst Wolff und einem Vorwort von Rainer Rupp.


Verlagstext:

Westliche Staatsführungen und Finanzorganisationen sind mit einem zunehmenden Glaubwürdigkeitsverlust konfrontiert. Die Friedenshoffnung nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung des Warschauer Paktes ist längst im Kampfgeschrei der NATO zerstoben. Der Wirtschaftskrise des Jahres 2008 folgte keine vernünftige Umkehr, vielmehr ein noch offensiveres Expansionsstreben. Das Diktum von der „westlichen Wertegemeinschaft“ ist zum Synonym für eine aggressive Weltherrschaft geworden. Wer sich dieser nicht unterordnet, wird mit Drohungen und Krieg überzogen.

„Der Tiefe Staat schlägt zu“ knüpft an das Buch „Fassadendemokratie und Tiefer Staat“ aus dem Jahr 2017 an. Der Band zeigt auf, wie sich die autoritären Strukturen hinter den parlamentarischen Kulissen verfestigen und sich die tatsächliche Macht im Tiefen Staat manifestiert. Herrschaftseliten und Systemmedien revitalisieren das alte Feindbild Russland und bereiten die Menschen auf bevorstehende Kriege vor. Parallel dazu rüstet die westliche Militärallianz beispiellos auf. Die Strategie der Spannung im Inneren sorgt für eine lähmende Angststarre.

In einzelnen Kapiteln verfolgen die AutorInnen die seit dem NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 immer breiter werdende Blutspur, mit der der „freie Westen“ die Welt überzieht. Sie beschäftigen sich mit Krieg als integralem Bestandteil von Kapitalismus, dem von Washington und Brüssel/Berlin betriebenen planmäßigen Aufbau eines neuen Ost-West-Konfliktes, staatsterroristischen Aktivitäten, der NATO-Ost-Eroberung, dem Kriegsgeschehen im Nahen Osten, einer den Konzernen hörigen Europäischen Union und der gefährlichen Konfrontation mit der aufstrebenden Wirtschaftsmacht China.

Siehe auch:

eingeSCHENKt.tv im Gespräch mit Ullrich Mies, Hannes Hofbauer und Jochen Scholz auf der Buchmesse Leipzig:


Online-Flyer Nr. 699  vom 03.04.2019








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