Freitag, 22. Oktober 2021

IM STILLEN PARK - Textauszug (1) aus "Der Mensch im Teufelskreis"

 Aus dem Buch "Der Mensch im Teufelskreis - Dr. Faustus Auferstehung" / Autor: Harry Popow


IM STILLEN PARK

Diese Geschichte begab sich, sagen Zeitzeugen, als sich in jüngster Zeit (2020/2021) über Land und Leute, gar über den ganzen Planeten, eine unheimliche Stille ausbreitete – eine tödliche. Ein Virus ging um, und die Menschen verschanzten sich hinter Mundmasken und hinter den Mauern ihrer Häuser. Wie so oft in Gefahrensituationen beschlich den einen oder anderen diese oder jene Erinnerung, als es noch menschengemachte tödliche und maschinell betriebene Abschlachtungen gab.


Erster Textauszug (S. 23-27):

Eine verdächtige Gestalt


Ein schriller Telefonanruf. Eilig hebt Polizist-1 den Hörer ab, im Mund noch eine glimmende Zigarette. Ein Schnüffler, der in der Nähe des alten Friedhofs bei Sanssouci Posten bezogen hat, um eventuelle Zwischenfälle beim Begraben der Pandemie-Opfer und die Absperrung des geschmähten steinernen Denkmals aus vergangenen Zeiten an die Obrigkeit zu melden, teilt mit aufgeregter Stimme mit, dass ein Unbekannter in ältlicher Kleidung gesichtet wurde. Offenbar, so die Meldung der Friedhofsverwaltung, sei er soeben einer Gruft entstiegen. Was sei also nun zu tun?

Polizist: „Sofort festhalten, Personalien feststellen, Wohnort, Geburt, Motiv, verstanden?“

Schnüffler: „Er eilt wie ein Betrunkener durch den Park, auffallend bekleidet mit einer alten Oberbekleidung, wie aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert. Zweifellos, er will zu diesem komischen Denkmal, das ja seit geraumer Zeit umzäunt ist und dem sich niemand nähern solle.“

Der Polizist brüllt aufgeregt in den Telefonhörer zurück: „Was soll denn das? Niemand hat das Recht, sich diesem Denkmal zu nähern. Etwa ein Linker? Sofort festnehmen. Wir melden das sofort dem Geheimdienst, schließlich müssen wir unsere Demokratie schützen, oder wollen wir alle unsere Posten verlieren?“

Der Schnüffler fasst sich ans Herz und tippt sich an die Stirn: Müssen wir denn gleich einsperren? Bei Hitler konnte man noch Bücher verbrennen und Leute sofort einsperren, wenn sie aufmuckten. Wir aber leben in einer Demokratie. Das schützt unsere Macht.

Wörtlich schnauzt er zurück: „Die Leute sollen wenigstens spüren, dass sie ihre Meinung sagen dürfen, verstanden? Desto notwendiger ist die heimliche Überwachung, ob auf den Straßen oder im Internet. Überall muss unser Ohr sein, ohne, dass jemand etwas merkt, kapiert?“

Stunden später: Aufruhr im Kriegsministerium. Ein neuer Feind sei entdeckt. Dieser FAUST, erst recht dieser Urfaust, wurden als Oppositionelle bereits im 16. Jahrhundert als den Ketzern nahestehend entlarvt. Der Urfaust hetzte, so gab ein Literaturexperte vor den Uniformierten bekannt, gegen die orthodoxe Kirche. Er wurde des Teufels bezichtigt.

Gefährlicher aber,so heißt es, war der von Goethe am Ende des 17. Jahrhunderts aus der Taufe gehobene Dr. FAUSTUS. Der wollte gegen die feudale Ordnung opponieren und beschritt, mit Hilfe von Mephisto, den Weg eines angeblich modernen Menschen. Obwohl er selbst letztendlich Kapitalist wurde, ließ Goethe ihn retten vor dem Untergang, um so den Weg in die bürgerliche Gesellschaft zu ebnen. Im Grunde, dabei legte der Redner im Kriegsministerium den Finger bedeutungsvoll an den Mund, warnte Goethe, da machen wir uns nichts vor, vor den Gefahren einer von Geld bestimmten habgierigen Gesellschaft. Was folgt daraus? Dieser plötzlich aus seiner Gruft entstiegene Dr. FAUSTUS will wohl die braven Bürger zu Ketzern gegen unsere bürgerliche Macht aufputschen. Deshalb müssen wir ihn überwachen, Tag und Nacht. Und mit wem er Kontakt hat. Notfalls werden unsere Sicherheitsleute ihn unter dem Verdacht der Corona-Krankheit ins Krankenhaus exportieren. Der Redner ruft: „Es geht um Sein oder Nichtsein der weltweiten Macht, um Profit und Macht. Wollt ihr den totalen Krieg gegen sämtliche Verschwörer und Widersacher, ob links, rechts oder Antisemiten?“ Der Jubel im Saal des Kriegsministeriums lässt die Ordnungskräfte vorsichtshalber alle Fenster schließen.

Mit Recht...

FAUST steuert indessen, nicht ahnend, dass er bereits auf dem Schirm der Abwehr gegnerischer Aktivitäten erfasst wurde, auf eine Parkbank zu, auf der offensichtlich ein Liebespaar sitzt, in angeregter Unterhaltung vertieft. Plötzlich tauchen an dieser Bank einige wild gestikulierende Männer auf, in komischer Bekleidung, ähnlich den Uniformen der kaiserlichen Armee. Sie schreien die beiden auf der Parkbank an. Soviel versteht FAUST: Sie sollen schnellstens ihre Masken aufsetzen und auf der Bank auseinanderrücken.

FAUST erschrickt. Er versteht gar nichts. Wohin ist er geraten? Da er versucht, schnell diesen Ort zu verlassen, brüllen die Uniformierten hinter ihm her, er solle gefälligst ebenfalls seine Maske aufsetzen, oder komme er aus dem Ausland mit diesem alten Gewand, desto schlimmer sei dies.

Der Verbindungsmann der Polizei taucht im Laufschritt auf und übernimmt das Verhör: „Woher kommen sie? Warum steigen sie plötzlich aus der Gruft?“

FAUST stellt sich als Dr. FAUSTUS vor, er müsse sich zunächst einmal zurechtfinden. „Was soll das?“, brüllt der Verbindungsmann der Polizei. „Wollen sie mich verscheissern. Ich kenne keinen Dr. FAUSTUS.“ Ein zweiter Mann stößt dem Ersteren in die Rippen und flüstert ihm zu, dass dieser FAUST ein von Goethe geschaffener literarischer Held sei. Egal, schimpft der erste Polizist, er soll mitkommen zur Polizeiwache, da müsse man seine Identität feststellen.

Haltet inne, seid ihr des Teufels, lasst den Herrn sofort frei, er ist tatsächlich Goethes Literaturgestalt und nennt sich Dr. FAUSTUS“. Die energische Aufforderung kommt aus einer Richtung hinter wildem Gebüsch. Bückend schleichen die Beamten vor und entdecken das zu bewachende großartige Denkmal, allerdings umringt von allerlei staunendem Volk.

Erschrocken weichen die Männer der Polizei zurück. „Der Bogenschütze“, flüstert einer der Beamten. „Wir müssen diesen Kontakt melden“, meint ein anderer. Der winkt ab, das bringe nur Ärger, man müsse sich rechtfertigen, zu einem Unverbesserlichen gar bewusst Verbindung aufgenommen zu haben. Das bliebe nicht ohne politische und personelle Folgen. Die rettende Idee: Man wird schweigen. Sodann lassen sie den bisher widerrechtlich fest gehaltenen FAUST frei und schleichen sich wie geprügelte Hunde durch den weiten und stillen Park von dannen.

Beide haben eine Gestalt hinter Büschen übersehen, die über Sprechfunk den Bundesnachrichtendienst über unliebsames Volk an dem berüchtigten Denke-Mal informiert. Sogleich alarmierte diese Stelle den Verfassungsschutz und der – für alle Fälle – die Bundeswehr. Wegen zu erwartender Provokationen während der Ansammlung im Park als auch wegen weiterer Demonstrationen gegen die Zwänge zur Niederhaltung von Pandemie-Zweiflern. Dem anrufenden Verbindungsmann wird empfohlen, diesem angeblichen Dr. FAUSTUS, den kaum jemand aus den Reihen der Beamten kennt, bei passender Gelegenheit ein überwachendes Smartphone unauffällig – sozusagen als Willkommensgruß - zu überreichen. Was keiner ahnen konnte: In den nächsten Tagen soll, so flüstert man in Beamtenkreisen, das Denke-Mal, bekannt als „Bogenschütze“, mit Stacheldraht umgeben und mit einem Verbotsschild versehen werden: „Achtung – politische Ansteckungsgefahr – Betreten und Kontaktaufnahme strengstens untersagt!“ Doch die Obrigkeit ging noch raffinierter vor, wie der Leser später staunend noch erfahren wird.

Harry Popow: "DER MENSCH IM TEUFELSKREIS", Sprache: Deutsch, ISBN: 9783754166666, Format: DIN A5 hoch, Seiten: 384, Erscheinungsdatum: 18.09.2021

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Vita des Autors:

Der Autor: Geboren 1936 in Berlin-Tegel, erlebte der Autor noch die letzten Kriegsjahre. Ab 1953 war er Berglehrling im Zwickauer Steinkohlenrevier und ab Herbst 1954 Offiziersschüler in der KVP, später NVA. Dort diente er bis 1986 als Zugführer, später als Militärjournalist. Den Titel Diplomjournalist erwarb er sich im fünfjährigen Fernstudium an der Karl-Max-Universität in Leipzig. Nach Beendigung der fast 32-jährigen Dienstzeit arbeitete Harry Popow bis Ende 1991 als Journalist und Berater im Fernsehen der DDR. Er betreibt als Rentner einen Blog, schreibt Buchrezensionen und Erinnerungen vor allem für die „Neue Rheinische Zeitung“ und für die „Linke Zeitung“. Er ist glücklich verheiratet seit 60 Jahren.



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