Entnommen: https://linkezeitung.de/2020/12/07/10-thesen-zur-corona-pandemie/
10 Thesen zur
Corona-Pandemie
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 7. DEZEMBER 2020
von
IPPNW-AK „Süd-Nord“ – https://www.ippnw.de/
Die
„Corona- Kontroverse“ – Handelt es sich um eine ernste
Erkrankung, und wenn ja, wie ist angemessen damit umzugehen? –
verläuft quer durch politische Lager und Organisationen und betrifft
auch uns als IPPNW. Das ist von Belang, weil wir eine Organisation
von Ärzt*innen sind und unsere friedenspolitische Glaubwürdigkeit
gerade darauf in hohem Maße fußt. Die Autor*innen des vorliegenden
Papiers wollen dabei helfen, die emotionalisierte Debatte zu
versachlichen, zu strukturieren und ihr vor allem eine gemeinsame
medizinische Basis geben, ohne die die Erhebung politischer
Forderungen jeder sinnvollen Grundlage entbehrt. THESEN-Papier meint
dabei, dass wir damit nicht Wahrheiten behaupten, sondern ein Set von
medizinischen, epidemiologischen und politischen Grundannahmen
anbieten wollen: Ausgangshypothesen, die eine sinnvolle gemeinsame
Basis sein können für dann zu formulierende Kontroversen bezüglich
theoretischer und praktischer Schlussfolgerungen. Wer diese
Grundlagen nicht teilt, möge gerne entsprechende Antithesen
formulieren.
1.Worum handelt es sich bei SARS-Cov2 und
Covid-19 medizinisch?
Das neue Corona-Virus SARS-Cov2 sowie die dadurch
verursachte Erkrankung Covid-19 – über deren Charakteristika das
Robert-Koch-Institut (RKI) einen „Steckbrief“ publiziert hat1 –
ist eine ernste medizinische Bedrohung, die nach gut sieben Monaten
weltweit schon einer sechsstelligen Zahl von Menschen das Leben
gekostet hat und dabei ist, weitere Leben zu kosten. Die Zahl
variiert je nach Zählweise (WHO, Johns Hopkins University, …) und
unterliegt Unsicherheiten (siehe 3.), liegt aber letztendlich in
dieser Größenordnung. Da die Infektion oft symptomarm oder
symptomlos verläuft2, werden viele Infektionen gar nicht erkannt –
je nach Screening-Methode der verschiedenen Länder in sehr
unterschiedlicher Größenordnung.
2.Wichtige
Charakteristika von Covid-19 (medizinisch und epidemiologisch)
Typisch ist das sehr komplexe Erscheinungsbild, das
auch über 6 Monate nach Identifikation des Erregers kaum Vorhersagen
über den jeweiligen individuellen und den epidemiologischen Verlauf
erlaubt.
Bekannt ist z.B., dass außer den Atemwegen auch
Gerinnungssystem, Darm, Nieren, Leber, Nerven und Gehirn befallen
werden können. Dass vorerkrankte und ältere Menschen ein höheres
Risiko haben, bei einer Infektion an SARS-Cov2 schwer an Covid-19 zu
erkranken oder zu versterben – und dass schwere und tödliche
Verläufe auch außerhalb der Risikogruppen auftreten. Dass Covid-19
schon vor dem Auftreten von Symptomen ansteckend ist. Und dass eine
frühere Erkrankung an einem der alten, „banalen“ Corona-Viren
keine Immunität gegen SARS-Cov2 zu bewirken scheint.
Weitgehend
unbekannt sind viele Pathomechanismen bei schweren Verläufen, ob
Covid-19 eine nachhaltige Immunität bewirkt, wie sie sicher
feststellbar ist, welche epidemiologische Rolle Kinder spielen und
wie der weitere pandemiologische Verlauf sein wird (weitere
Wellen,
-
rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html –
Zugriff auf Version vom 21.08.20 am 31.08.20
- ~80 % –
aerzteblatt.de/archiv/214667/Pathologie-der-schweren-COVID-19-bedingten-Lungenschaedigung
Gesamtdauer
der Pandemie…). Selbst die Hauptwege der Übertragung und die
sinnvollsten Schutzmaßnahmen dagegen sind z.T. bis heute nicht
völlig geklärt.
3.Was ist unter einem/r „Covid-19-Toten“
zu verstehen?
Als Covid-19-ToteR gilt einE verstorbeneR PatientIn,
bei der/dem Covid-19 als todesursächlich im Totenschein vermerkt
wurde. Also keineswegs nur ein Todesfall mit positivem PCR-Test auf
SARS-Cov2, wie viele KritikerInnen meinen.
In der Praxis
bezieht sich die/der den Tod bescheinigende Ärztin/Arzt dabei auf
klinische, radiologische, (oft) PCR- und (selten)
Obduktions-Befunde.
Der PCR-Nachweis kann laut WHO und RKI die
Diagnose stützen, ist aber nicht Bedingung. Anmerkung: Die Rate
schwer fehlerhafter deutscher T-Scheine wurde in einer Studie der
Universität Rostock von 2017 (also vor Covid-19) auf über 25%
taxiert.3 „Schwer fehlerhaft“ ist hier allerdings nicht
gleichbedeutend mit falscher Diagnose.
4. Motive hinter dem
sogenannten Lockdown: medizinisch – oder
neoliberal-kapitalistisch?
An den ab März 2020 praktisch weltweit verhängten
Abschottungs- und Stilllegungs-Maßnahmen („Lock Down“) gibt es
kein primäres Interesse seitens der ApologetInnen des neoliberalen
Gesellschaftsmodells. Vielmehr waren gerade sie es, die frühe
Distanz- und Drosselungsmaßnahmen etwa bei Fußballspielen,
Faschings- und Wahlkampfveranstaltungen verhinderten. In von
Rechts-Populisten wie Trump, Johnson und Bolsonaro regierten Ländern
blieb dies besonders lange so, in Italien und Spanien soll diese
Verzögerung maßgeblich die hohe Mortalität bedingt haben.
5.
Primärmotive der politischen EntscheiderInnen
Im Verlauf der so entstandenen Krise stand die
Bundesregierung bald vor einer Dynamik, die ihr über den Kopf zu
wachsen drohte. Zumal sich nicht vorhersagen ließ, ob die anrollende
Pandemie sich zu einer Katastrophe wie die Spanische Grippe von 1918
auswachsen könnte. Im Versuch, dieser nun doch eingeräumten Gefahr
etwas entgegenzusetzen, lag die primäre Motivation für den
(letztlich global und fast flächendeckend angewandten) Lockdown.
6.
Zu bedenkende sekundäre Interessen:
Bald hinzu kam sehr wahrscheinlich das Interesse, die
Gelegenheit zu nutzen, Notstandsrecht und Aussetzung demokratischer
Kontrolle einmal exzessiv in praxi zu testen (nachdem u.a. mit Blick
auf militärische Planungen in Deutschland 2016 die Bevölkerung
aufgefordert worden war, sich erhebliche Trinkwasser- und
Nahrungsvorräte zuzulegen.)
7. Ist „Corona“ schlecht
oder gut für Neoliberalismus und Kapitalismus?
Auch wenn einzelne Sektoren wie IT-Branche und
Online-Handel z.T. massiv profitieren, schadet der „Lockdown“
summa summarum dem neoliberalen Wirtschafts- und
Gesellschafts-modell, seine Auswirkungen bedrohen es sogar
existenziell. Auch wenn seine VerfechterInnen
.
uni-rostock.de/universitaet/kommunikation-und-aktuelles/medieninformationen/detailansicht
/n/die-meisten-todesbescheinigungen-weisen-fehler-auf-16349
Original-Studie (Auszug): link.springer.com/
article/10.1007/s00194-017-0193-7 – Anmerkung: Wer sie komplett
lesen will, muss (wie in neoliberalen Gesundheitssystemen üblich)
dafür bezahlen (oder, anders ausgedrückt, sich den Zugang dafür
kaufen – in diesem Fall vom Springer-Nature-Konzern).
bestrebt sind, möglichst viele Kosten und Lasten auf
die schwächeren Teile der Gesellschaft abzuwälzen – und dabei auf
viel zu wenig Widerstand stoßen. In der Außenwahrnehmung überlagern
sich die Folgen dieses Abwälzens mit den Auswirkungen zahlreicher
Fehler des Lockdown-Ansatzes, der als neues, einschneidendes und
unter Zeitdruck entstandenes Kon-zept per se stark fehlerbehaftet
ist. Schwierig bei der Beurteilung des Lockdown: Nicht nur die
Krankheit, sondern auch die Maßnahmen dagegen schaden – und zwar
nicht nur der Wirtschaft, sondern vor allem auch den Menschen
(Beispiel: Vernichtung von Arbeitsplätzen – was sich in Ländern
ohne Sozialversicherung noch weit gravierender auswirkt als hier,
siehe 9.). Zudem zu beachten: Beides lässt sich hinterher weit
besser beurteilen als vorher.
8. Die Pandemie hat
historisches Potential:
Ungeachtet aller Kompensationsversuche in Gestalt von
Lastenabwälzung (s.o.) und Rettungs-paketen: Primär setzt der
Lockdown im Handumdrehen die bisher für unverrückbar gehaltenen
Wachstums- und Selbstregulations-Dogmen des Marktes außer Kraft
(Beispiele sind Drosselung von Flugverkehr und Flugzeugproduktion,
Rettungspakete und dafür notwendige Neuverschuldung). Die
neoliberalen Dogmen sind auch bei der Bewältigung der Folgen massiv
hinderlich, da finanzkapitalistische Mechanismen wie z.B. Börsen die
Schwächung von Betroffenen potenzieren statt dämpfen. Dass Giganten
wie die Lufthansa plötzlich nur noch durch faktische Verstaatlichung
rettbar sind, wird sich auf Dauer nicht verbergen lassen. Hier wird
die intrinsische Dysfunktionalität unseres neoliberalen
Gesell-schaftsmodells offenbar – eine historische Chance zu seiner
Überwindung. Diese wird von der Sozialen Bewegung bisher kaum
gesehen. Stattdessen wird z.T. erbittert darüber debattiert, ob die
Corona-Maßnahmen medizinischen Schutz oder Panikmache bezwecken –
u.E. ein Irrweg, der letztendlich dem Erhalt des bestehenden Modells
nutzt.
Denn seine Überwindung wird durch die Krise keineswegs
garantiert – vielmehr besteht, wenn niemand da ist, die/der eine
emanzipatorische Alternative formuliert und einfordert, durchaus das
Risiko einer Eskalation der bereits bestehenden
Herrschaftsverhältnisse – die dann durch Demokratie-Abbau und
Auftrieb für rechtsgerichtete HeilsbringerInnen aus unzufriedenen,
„systemkritischen“ Teilen des Bürgertums heraus in einen neuen
Totalitarismus münden könnte (wie es auch zu Weimarer Zeiten zu
beobachten war).
Die Verwirrung wird zudem dadurch erhöht,
dass es unter den „Corona-ZweiflerInnen“ neben vielen Rechten und
unzufriedenen, aber politisch naiven BürgerInnen auch durchaus Linke
gibt
– die ebenso wie die Unzufriedenen an eine neoliberale
Motivation für den Lockdown glauben (das Fehlen von Primärmotiven
verdrängend und ihre Argumentation auf Sekundär-phänomene
stützend).
9. Und sie hat eine Nord-Süd-Dimension:
Aus unserer Sicht resultiert eine größere Nord-
Süd-Dimension, als a priori sichtbar: Übereinstimmung zwischen
„Nord“ und „Süd“ (reichen und armen Ländern) besteht darin,
dass es bisher keine kausale Therapie oder Impfung gibt und dass
Schutz nur durch strukturierte Abstands-, Hygiene- und
Aufklärungsmaßnamen möglich ist.
Groß ist der
Nord-Süd-Unterschied aber bei den Ressourcen für Diagnostik,
Behandlung und epidemiologischer Kontrolle. Und noch größer bei den
sozioökonomischen Auswirkungen von Schließungs- und
Abstandsmaßnahmen sowie den Reserven, um diese aufzufangen: Der
UN-Generalsekretär hat daher vor einer „Pandemie des Hungers“
infolge der Covid-19-Pandemie gewarnt. Diese droht vor allem als
Folge der Maßnahmen dagegen.
Wobei auch Menschen im Norden
durch Letztere in wirtschaftliches und psychisches Elend gestürzt
werden und dadurch zu Tode kommen. Sodass auch hier eine Abwägung
zwischen den Folgen der Erkrankung und denen der Schutzmaßnahmen Not
tut, um mehr Nutzen als Schaden zu stiften.
Im Süden muss
diese Abwägung aus den o.g. Gründen künftig erheblich andere
Maßstäbe anlegen. Was nur möglich ist, wenn der letztlich
diktatorische Druck der neoliberalen Globali-sierung auf die Politik
dieser Länder eingedämmt und der Krieg des Nordens gegen den Süden
ausgesetzt wird – wenigstens für die Dauer der Pandemie.
Konkret
bedeutet dies einen Katalog von sieben Punkten:
1. freier
Wissens- und Technologietransfer auf medizinischem Gebiet
2.
Unterstützung durch WHO und OECD für bedürftige Länder bei der
Aussetzung von Patent-rechten und der Erteilung von Zwangslizenzen
für die Produktion notwendiger Medikamente
3. Aussetzung der
WTO-Regeln für die ärmsten und durch Kriege und Sanktionen
geschwäch-ten Länder, die Schutzmaßnahmen für ihre
Volkswirtschaften wie Zölle, Arbeits- und
Umwelt-schutz-Regulierungen verbieten
4. sofortiger
Waffenstillstände in allen internationalen Konflikten, wie vom
UN-Generalsekre-tär gefordert
5. sofortige Aussetzung
wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen („Sanktionen“), wie von der
UN-Hochkommissarin für Menschenrechte gefordert – insbesondere
gegen alle kriegsgeschädig-ten Länder
6. Aussetzung aller
militärischen Großmanöver weltweit und Umwidmung des
NATO-2%-Zieles für den Gesundheitsschutz
7. Stopp aller
Modernisierungsprogramme für Atomwaffen weltweit.
8. Zum Ursprung
von SARS-Cov2 und Covid-19:
Dazu gab und gibt es weiterhin mehrere
Hypothesen (u.a. der Fledermaus-Ursprung). Im Interesse wirksamer
Eindämmung sollte hier weiter geforscht werden, ohne Denkverbote
(etwa bezüglich einer durch menschlichen Einfluss geförderten oder
auch menschen-gemachten Genese).
Handlungsvorschläge:
1.
Initiative zur Rettung der WHO vor ihrer Zerstörung –
. zum
einen vor Forderungen nach ihrer Abschaffung wie seitens der USA
.
aber auch Deformierung ihres Charakters als UN-basierte Institution
in Richtung einer Kapital- und Konzern-Basierung.
2.
Quantifizierung der Schäden und insbesondere Zählung der Toten in
Deutschland nicht nur durch Covid-19, sondern auch durch die
Maßnahmen dagegen.
Christoph Krämer (Chirurg und
Viszeralchirurg, Rettungsmedizin)
Dr. med. Helmut Lohrer
(Facharzt für Allgemeinmedizin, Corona-Schwerpunktpraxis)
Marlene
Pfaffenzeller (Nervenärztin und Psychotherapeutin)
Barbara
Schwegler (Chirurgin und Viszeralchirurgin, Rettungsmedizin)
Dr.
med. Wolfgang Thon (Internist, Onkologe)
Dr. habil. Günter
Rexilius (psychologischer Psychotherapeut)
Dipl.-Med. Barbara
Bodechtel (HNO-Ärztin)
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