Die
untote DDR
Vor
70 Jahren wurde die Deutsche Demokratische Republik gegründet
Von Dr. Hartmut König,
Panketal
Stirbt ein Mensch, finden
Ärzte heute präzise Ursachen. Stirbt ein Staat, entbrennen
politische Kämpfe um die Ausstellung des Totenscheins. Wie beim
Staatsuntergang DDR. Die Oberleitung am Rhein diktierte die Diagnose
und übergab sie mit dem voreiligen Vermerk „Erledigt“ ihrem
Schnellhefter der Geschichte. Der Befund lautete auf systemisch
bedingten Exitus. Das Staatswesen und die Wirtschaft systemisch
ruiniert, die Menschen im uniformierten Alltag systemisch deformiert,
dabei das Gesellschaftsmodell des Westens als einziges
Rettungselixier ante portas gehalten. Folgt der Kurzschluss:
Sozialismus war und wäre immer eine Missgeburt mit absehbarer
Todesfolge. Nie kann er demokratisch werden. Er ist ein Irrtum der
Geschichte, denn er hat die Verzwergung der Menschen zur
Voraussetzung. Schade, ihr Ossis, dass ihr da eure Zeit verplempert
habt!
Fast wäre dieses
ideologische Verdikt im Einheitstaumel durchgegangen. Aber was viele
hinter der Ankündigung blühender Landschaften und der baldigen
Erscheinung des echten, harten Geldes noch überhörten, kollidierte
irgendwann doch mit den Erinnerungen an tatsächlich gelebtes Leben.
Und zu manchem geerbten Frust über Adenauers „Soffjettzone“ und
Springers „Gänsefüßchen“-Arroganz trat nun Wut über die
Missachtung östlicher Lebensleistungen und Milieus.
Treuhandskandale, Arbeitslosigkeit als Folge, die omnipotente
Stasikeule beim Austausch der Eliten, ostgeminderte Löhne und Renten
bei gut besoldeten Westkommandeuren auf den Ämtern und sonstigen
Entscheidungsetagen, auch die blinde Zerstörung vertrauter
Infrastrukturen (Nahverkehr, Polikliniken, Palast der Republik,
Kinos, Theater, Jugendklubs...) hatten die Entrüstung befeuert.
Eine gute Weile schlug das
linkerseits zu Buche. Inzwischen aber leihen viele Enttäuschte ihre
Empörung den ultrarechten Falschmünzern. Die AfD jongliert mit
deren Erinnerungen, als hätte sie ein Copyright darauf. „Der Osten
steht auf“ zündeln westimportierte Führer, während der Zulauf in
Rage zumeist das sich bräunende Wofür verkennt. Eine Abkehr
bräuchte klare Geschichtsbilder, damit die Umbruchs-Miseren im Osten
samt nachfolgendem radikalkapitalistischem Durchregieren als Quellen
aktueller Politikverdrossenheit durchschaubar werden. Das erinnert
uns daran, dass auch die Besinnung auf ein realistisches Bild von der
DDR, auf Gewinn und Fehl in diesem ostdeutschen Wagnis eine Frage
linker Souveränität sein und bleiben muss. Vom Wiederhabenwollen in
alter Fasson ist nicht die Rede. Von einer künftigen Republik aber,
die solchem Namen jede Ehre macht, sollten Linke träumen.
Gliederzittern vor den drei Buchstaben und der 70 davor wäre so
geschichtsvergessen wie unpopulär. Denn die DDR ist auf
bemerkenswert anregende, spannende Weise untot. Auf der politischen
Landkarte gelöscht, lebt sie doch in vielen materiellen Zeugnissen
und erinnerten Lebensmomenten der Leute weiter. Gesellschaftliche
Errungenschaften und persönliches Glück darin reiben sich
schmerzlich an Fehlern und Defiziten, die samt externen Ursachen die
DDR zum Einsturz brachten. Gescheites Nachdenken darüber muss Teil
unserer Erinnerungskultur sein. Um unserer selbst willen und für die
Klugheit unserer Nachfolger.
Auferstanden
aus Ruinen…
Das Inferno von Dresden.
Das zerstörte Magdeburg. Die Bombenlandschaft Berlin… Meine Mutter
war Trümmerfrau und fragte sich oft, wie man aus solchen Ruinen
auferstehen konnte. Anton Ackermann, der mit der 1. Ukrainischen
Front in Sachsen eintraf, schilderte ein unvorstellbares Chaos:
„Zunächst musste das nackte, primitivste Weiterleben der Menschen
gesichert werden. Es hieß, den Eisenbahnverkehr in Gang zu bringen,
die Überlandstraßen, die von den Trümmern der faschistischen
Kriegsmaschinerie übersät waren, zu säubern, die wichtigsten
Brücken wieder benutzbar zu machen, damit die Tausende von
verwundeten, kranken, halbverhungerten Menschen in Unterkünfte
gebracht und wieder Kohlen für die Kraftwerke, Getreide für die
Mühlen befördert werden konnten.“ Also Anpacken im Wechselbad von
Hoffnung und Verzweiflung. Mangel überall. Dabei die höchsten
Reparationslasten. Im Osten aber auch die Verfolgung der Nazis und
Kriegsverbrecher am konsequentesten: Angehörige der SS,
Gestapo-Leute und andere braune Straftäter abgeurteilt, Nazi-Kader
aus Regierungsbehörden, Polizei, Volksbildung und Chefetagen der
Wirtschaft entfernt. Anfang 1947 waren das 300.000 Entlassene. Die
Bodenreform 1945 enteignete die Junker und Großgrundbesitzer
entschädigungslos und vergab zwei Millionen Hektar Boden als Besitz
an heimische Landarbeiter und Umsiedler. Mit der Industriereform im
Folgejahr wurden Betriebe der Rüstungs- und Kriegsgewinnler
übernommen. In Sachsen stimmten über drei Viertel der Wähler für
solche Enteignungen. 1948 lag die Bruttoproduktion der SBZ bereits zu
fast 40 Prozent bei volkseigenen Betrieben. Der Übergang zu einer
2-Jahres-Wirtschaftsplanung erwies sich für die SED als harte
administrative Nuss und schwierig im Umgang mit Blockparteien. All
das gehörte zum Erbe, als am 7. Oktober 1949 die DDR gegründet
wurde. Die Sowjetunion hatte es mit der Schaffung eines neutralen,
friedlichen, einheitlichen Deutschlands, das wohl nicht sozialistisch
regiert sein würde, ernst gemeint. Aber als mit der Währungsreform
in den Westzonen und der Gründung der BRD separatistische Fakten
geschaffen wurden, war die Entstehung der DDR die Folge.
…und
der Zukunft zugewandt
Keiner plagt sich gerne,
der nicht ein Ziel vor den Augen hat. Nach der antifaschistisch-
demokratischen Neuordnung hieß dieses Ziel für den entschiedensten
Teil der Aufbaugeneration im Osten: Sozialismus. Die
zukunftsbesessene Lebensweise dieser Altvorderen hatte trotz mancher
dogmatischer Anhaftungen etwas Ansteckendes für mich. Ich war in der
Familie unpolitisch erzogen worden, es hätte mit mir auch anders
kommen können. Aber die DDR wurde mir Heimat. Und Heimat war für
mich ideelles Andocken und Mittun dort, wo auf deutschem Boden
Sozialismus geübt wurde. Der kleine protestantische Kirchgänger war
Konvertit geworden, und solche sparen bekanntlich am wenigsten mit
Begeisterung für das Neue. Sei´s drum. Ich bekenne meine Liebe zur
damals errungenen Heimat freimütig und begründe sie vor allem mit
deren gesellschaftlichen Vorzügen: Antifaschismus als weit
überwiegende Gesinnung und Staatsdoktrin, Brechung des
Bildungsprivilegs, Vollbeschäftigung, Gleichberechtigung von Mann
und Frau, Nähe der Menschen zueinander, die Empathie förderte und
Ellenbogen-Mentalitäten eindämmte, angemessene Daseinsvorsorge für
jeden, Teilhabe an einem reichen kulturellen Leben, Beharrung auf
Frieden und gerechte internationale Solidarität. Das Massaker von My
Lai, die Lynchattacken Pinochets, die Blutspur der Apartheid – wo
westliche Staatsräson verräterisch lange schwieg, da stand die DDR,
erkennbar für alle Welt, immer an der Seite der Opfer. Den Stolz
darauf lege ich niemals ab.
Um den Lebensjahren der
DDR in all ihren ertragreichen wie fehlerhaften Entwicklungen
nachzuspüren, ist hier nicht ausreichend Platz. Aber erwähnt soll
sein, dass sich durch diese Zeit zwei dauerhafte Gefährdungen zogen.
Feindlicher Druck, der die Liquidierung des Staates zum Ziel hatte.
Der wurde erkannt und bekämpft. Aber eben auch inneres Versagen als
ernste Gefahr, wo sich im Alltag volksferne Administration etablierte
und abweichende Auffassungen zur Gesellschaftsentwicklung keine
Chance auf öffentlichen Disput hatten. Das stand jener lebendigen
sozialistischen Demokratie im Wege, die in der DDR-Gesellschaft immer
drängender eingefordert wurde. Wer sah das? Wer stand auf der
Bremse? Wer schwieg dazu? Wer rief nach Veränderung? Ein weites Feld
für linke Geschichtsaufarbeitung. Zugleich gute Fragen vorm Spiegel!
Und dann hat es geknallt.
Keine Schüsse – zum Glück! Das Land, das wir Heimat nannten,
wurde einverleibt und der potentielle Kraftzuwachs des
zusammengelegten Deutschlands von westlichen Alt-Siegermächten nicht
ohne Sorge erwogen. Die damalige Führung der östlichen Befreier
hatte eigene Existenznöte und meinte, Ballast abgeworfen zu haben.
Ihr Do swidanija GDR! verkaufte sie billig und blind. Natürlich war
die DDR ein sowjetisches Ziehkind, eingebunden in die Bipolarität
der Welt und den Kalten Krieg. Mit Blessuren kam sie in einer
Staatlichkeit an, die von Adenauers rigidem Scheidungsbegehren
erzwungen war und nach langer westdeutscher Hallstein-Erpressung
weltweit anerkannt wurde. Die DDR war weder geistig noch materiell
arm, obwohl das westliche Deutschland dem Osten bis1990 durch
Reparationsverweigerung und Handelsboykotte, Abwerbung ostdeutscher
Arbeitskräfte oder Warenimporte zu Dumpingpreisen mehr als zwei
Billionen D-Mark an Wirtschaftskraft entzog (K. Blessing). Immerhin
saß die DDR bei Tarifverhandlungen im Westen als soziales Korrektiv
stets mit am Tisch.
Konsum-“Segen“ des
Westens plus soziale Absicherung des Ostens war die fehlgeträumte
Hoffnung vieler DDR-Bürger, als am 3. Oktober 1990 Becher-Hymne,
Hammer, Zirkel und Ährenkranz staatlich aussortiert waren. Wem - so
wie mir - Heimat verloren ging, der stand nun vielleicht starr im
Niemandsland und trauerte. Aber aus solcher Starre, die Trauer bequem
machen kann, musste man sich lösen. Das Leben ging schließlich
weiter. Mit brachialen Umstürzen der Lebensweise. Die langersehnten
Kauf- und Reiseofferten waren schnell überwuchert von ungewohnten
Ängsten um Arbeit und sozialen Status. Untadelige Biografien
strandeten in Nichtachtung. Wohl dem, der da noch Selbstachtung übrig
hatte und darauf beharrte, dass vom Sozialismus in der DDR mehr blieb
als ein grüner Pfeil. Sein Scheitern war kein finales
Geschichtsurteil, sondern ein Appell, zu lernen. Ein würdiges Leben
jenseits der Fesseln des Kapitalismus ist möglich. Für eine solche
Zukunft, selbst wenn man sie nicht mehr erlebt, muss man sich rühren!
Aber was tun im Hier und Heute?
Lass
uns dir zum Guten dienen, Deutschland, einig Vaterland!
Bechers Aufforderung also
in gewandelter Zeit. Folgen wir ihr doch in linker Lesart! Zum Guten
dienen kann nur heißen: Zum Guten verändern. Was denn sonst
angesichts des Staus innen- und außenpolitischer Missstände, der
ökologischen und sozialen Verwerfungen, die Deutschland von seiner
flickschusternden Regierung serviert bekommt? Da braucht es eine
stärkere, anziehendere Linke. Will aber die Linkspartei
gesellschaftliches Umdenken wieder deutlicher mitbewirken, muss sie
zu sich kommen und illusionslos ihre Lage analysieren. Ihr
Selbstverständnis darf nicht auf einen
bürgerlich-sozialdemokratischen Aktionsradius gedrängt werden, wo
Rot zwar noch geflaggt ist, aber wahrhaft demokratischer Sozialismus
utopisch wird. Aus Erfahrung und Fehlern lernend, muss die LINKE,
ganz bei Marx, in den politischen und sozialen Kämpfen einem
überzeugend volksnahen, unverkennbar links vibrierenden Programm
folgen.
Beileibe nicht im
Gleichschritt, wohl aber in geeinter Formation. Offen gesagt: Eitlen,
manchmal schon ehrenrührigen Führungsstreit, der in die Medien
geplappert wird und sich zum Vergnügen der Parteienkonkurrenz
schnell vor die politische Agenda schiebt, braucht niemand an der
Basis, der neue oder abhanden gekommene Links-Wähler mobilisieren
will. Das Gefühl von Geschlossenheit ist eine Kraftquelle. Genau wie
der Spaß am Linkssein, wenn das mal wieder ein Quäntchen
Fortschritt in der Gesellschaft errungen hat. Manche sagen, die LINKE
sei auch organisatorisch erschöpft. Neue Quirligkeit im Politikstil,
ansteckende Kampagnenformate mit Marx im Kopf und deshalb auch auf
den Buttons, originelle urbane Präsenz plus verstärkte Kümmerarbeit
bis hinein in die scheinbar abgehängten Ortschaften sollten diesem
lähmenden Gefühl den Marsch blasen. Und weil Parlamentsarbeit der
LINKEN, manchmal sogar in Regierungsverantwortung, heute zum
politischen Alltag gehört, ist Etabliertheit beim gesellschaftlich
widersprechenden Publikum ein schnell vergebenes und ausgebuhtes
Etikett. In zu großer Eingerichtetheit vermutet man kein Megafon
mehr für harte, ungestüme Kritik an den Verhältnissen. Das
erfordert Vorsicht. Klare Widerrede in linken Kernfragen, Verzicht
auf irritierende Kompromisse, auch die Unterlassung irrlichternder
Botschaften á la Selfie mit USStatthalter Grenell begegnen am besten
dem Verdacht, an gut dotierten staatstragenden Funktionen hafte
selbst für Linke zuweilen ideologisch versöhnlerischer Kleister.
Im Café einer
ostdeutschen Kleinstadt war ich jüngst in ein Gespräch verwickelt,
das drei Bewohner mir Fremden geradezu aufgezwungen hatten. Schön,
sagten sie, dass mal wieder einer zuhört. Und dann schrien sie
sogleich ihre Wut heraus über die Verödung der Stadt, die rasant
weggebrochene Arbeit und eine betrügerische Treuhand, die zur Wende
westliche Gaukler begünstigt und ihre eigenen Träume auf heimische
Selbständigkeit zunichte gemacht hatte. Für diese drei AfD-Wähler
war Wende eine Schimpfvokabel und das Wörtchen früher fast sakral.
Ich mutete ihnen im Für und Wider meine linke Tonart zu. Und siehe
da! Das war in Ordnung für sie. Sie hörten hin und stimmten manchem
zu. Den Rest wollten sie mal sacken lassen. Und da dachte ich wieder:
Solche Einmischungen sind unsere Chance! Überall müssen wir sie
suchen, ja organisieren. Das ist nicht alles, aber so fängt Zum
Guten verändern an. Was weiter oben drin ist, entscheidet sich hier
unten zuerst. Hier stehen die Wahlurnen.
PS: Diese Zeilen für
die Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE
hatte ich vor dem 1. September geschrieben, als aus den Wahlurnen in
Sachsen und Brandenburg linke Katastrophen fielen. Resignation bremst
das Sich-Aufrichten und sollte ausfallen. Aber wer nach vorn sehen
will, braucht auf die Frage Antwort: Wer führt wie aus diesem Salat?
(H.K., 3. Sept. 2019)
Sehr interessant deine Reflektionen zu lesen- wenngleich mit zeitlicher und geografischer Distanz. Lebe seit mehr als 17 Jahren ausserhalb Deutschlands und seit fast 4 Jahren in Südgrönland. Würde gern zu einem anderen Thema mit dir in Kontakt kommen. Festival des politischen Liedes 1974 wo Erst- und einmalig die grönländische Gruppe Sume auftrat. Ich war zu einem ihrer beiden Konzerte und würde gerne mehr darüber recherchieren. Ein Dokumentarfilm über die Gruppe würde vor ein paar Jahren auf der Berlinale gezeigt. Bis hoffentlich bald
AntwortenLöschenHerzlichst
Catrin Kabus Søndergaard