Landtagswahl in Thüringen
Von Arnold Schölzel
Er trete im Wahlkampf für die Dreierkoalition aus Linke, SPD und Grünen an, die seit 2014 Thüringen regiere, verkündete Bodo Ramelow. Die wohlwollende Berichterstattung über ihn in Spiegel, FAZ und anderen westdeutschen überregionalen Medien vorm Wahltag war so auch stets verbunden mit Beifall dafür, dass er zu seiner Partei auf Distanz gegangen war. Debatten um Enteignung von Wohnungskonzernen wie in Berlin bezeichnete er dem Spiegel gegenüber als »überflüssig«, der auf Regierungsbeteiligung erpichten Parteiführung bescheinigte er, »vom Regieren hätten die keine Ahnung«. Die Kovositzende Katja Kipping hatte das in die Losung »Bodo Ramelow oder Barbarei« gepackt. Die Wahlwerbung des Kandidaten kam ohne Linke-Schriftzug aus.
Gemessen am Ziel, die bisherige Regierungsmehrheit zu halten oder auszubauen, ist das Vorhaben gescheitert. Dies und der Abstand zur eigenen Partei relativieren die 31 Prozent der abgegebenen Stimmen, die der Linkspartei gutgeschrieben werden. Sie sind für den »Landesvater« gedacht. Diesen in der BRD-Geschichte öfter auftauchenden Typus eines Regionalmonarchen bedient Ramelow gegenwärtig neben dem Grünen Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg wie kaum ein anderer. Insofern sollten sich die sogenannten Reformer in der Partei Die Linke nicht zu früh freuen. Diese Art von Regierungsführung setzt auf Loslösung nicht nur von der eigenen Partei, sondern überhaupt vom Anschein eines politischen Prinzips. Es gilt die Devise, zu allem bereit zu sein, was das angebliche Interesse des Staats verlangt, die Bevölkerung interessiert nur zur Stimmenbeschaffung. Bei dieser Wahl kommen taktisch vergebene Stimmen von SPD-, Grünen- und CDU-Anhängern hinzu, um die AfD kleinzuhalten.
Die erreichte mit einem faschistischen Demagogen an der Spitze ein weiteres Rekordresultat. Die Ramelow-Regierung ist dafür nicht verantwortlich, zu fragen ist aber, was aus dem beschriebenen politischen Selbstverständnis an Begünstigendem folgt. Ein klar antikapitalistischer Antifaschismus jedenfalls nicht. Selbstverständlich ist es nicht möglich, Menschen, die an Nichtexistentes glauben, wie z. B. an Björn Höckes »Volkstod« und die dessen »Abschiebeinitiative 2020« einschließlich »wohltemperierter Grausamkeiten« zustimmen, durch Argumente zu beeinflussen. Hinzu kommt: Höckes Redeweise ist hierzulande Gewohnheit. Er ergänzt die CDU- und CSU-Diktion lediglich mit pseudosozialistischen Floskeln, etwa wenn er die »Ursachen von Extremismus« auf »soziale und ökonomische Ursachen« zurückführt. Der »Extremismus«-Begriff, mit dem nur Linke gemeint sind, wurde 1990 in die DDR importiert, in Thüringen mit besonders verheerenden Folgen – siehe den Aufbau von »Thüringer Heimatschutz« und NSU durch das von einem extrem rechten Westdeutschen geleitete Landesamt für Verfassungsschutz.
In solchen Verhältnissen fühlen sich Faschisten wohl und werden täglich bestärkt. Das Märchen von Flüchtlingen, die in riesiger Zahl den gebeutelten Freistaat heimsuchen, wird z. B. vom Regionalsender MDR gepflegt. Wer diese CSU-Ausgründung von 1990 im Lande hat, braucht keine AfD mehr. Wie der aktuelle Spiegel berichtet, fällt die Rechtslastigkeit des Musikantenstadldauerfunks selbst innerhalb der ARD auf: Welch Überraschung nach drei Jahrzehnten. Da wächst, was gesät wurde: Die ausgelagerte Rechtsfraktion aus CDU und CSU hat in Björn Höcke einen passenden neuen Repräsentanten gefunden.
Wer aber, wie die Dreierkoalition Ramelows das nochmalige Totschlagen der DDR als »Unrechtsstaat« zur Regierungsdoktrin gemacht hat, wer kurz vor diesen Landtagswahlen öffentlichkeitswirksam 600.000 Euro für die Erforschung der »Christenverfolgung in der DDR« lockermachen kann (bei einem Landesetat 2019 von 10,6 Milliarden Euro), der unterscheidet sich in seiner Ausgrenzerei wenig von den Helden der »Extremismus«-Schnüffelei und dem Höcke-Wahn. Er setzt vielmehr auf jene Spaltung, die aus dem antikommunistischen Hetzbegriff »Unrechtsstaat« folgt: Haben DDR-Bürger überhaupt eine rechtlich gültige Geburtsurkunde geschweige denn sonst irgendetwas Vorzeigbares? Der Unterschied zur AfD-Hasspredigt z. B. gegen Migranten liegt darin, dass es beim »Unrechtsstaat« um staatliches Handeln geht.
Wer so regiert, benötigt keine Partei, die sich Die Linke nennt. Der wird um jeden Preis weitermachen, ob in Koalition oder in einer Minderheitsregierung. Auch wenn die Wahlbeteiligung am 27. Oktober auf 65 Prozent gestiegen ist, heißt das: 35 Prozent erwarten nichts mehr und nach allem, was Wahlforscher sagen, auch ein großer Teil derjenigen, die ihre Stimme der AfD gegeben haben. Das sind zusammen vermutlich mehr als 50 Prozent der Wähler. Die soziale Realität im Hintergrund sieht so aus: Drei von vier Regionen Thüringens gelten als abgehängt oder abgerutscht und schrumpfen; die Einkommen im Land sind besonders niedrig; der Ausfall von Millionen Schulstunden war der Landesregierung offenbar weniger wichtig als das Senken der Landesverschuldung um eine Milliarde Euro zugunsten von Banken und Kapital; der öffentliche Personennahverkehr kennt nur Streichungen. In Ostthüringen, einer besonders gebeutelten Region, kommt die AfD zum Teil auf mehr als 30 Prozent. Die Leute wissen, dass sich für sie nichts ändert. Ramelow hat schließlich Ahnung vom Regieren.
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