Der sowjetische Wissenschaftler Jewgenij Fjodorow befasste sich 1972 mit dem Verhältnis von Natur und Gesellschaft und wies dabei auf eine Notiz von Karl Marx zum Verhältnis von Gesellschaft und Klima hin
Jewgenij Konstantinowitsch Fjodorow (1910–1981) war ein sowjetischer Geophysiker. Er arbeitete 1937 und 1938 auf der ersten sowjetischen driftenden Station »Nordpol-1« in der Arktis und gehört damit zu den ersten Forschern, die den Nordpol erreichten. Er war Leiter des Hydrometeorologischen Dienstes der UdSSR und Mitglied der Akademie der Wissenschaften. 1972 veröffentlichte er in Leningrad das Buch »Die Wechselwirkung zwischen Natur und Gesellschaft«, das 1974 in der DDR im VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften auf Deutsch erschien. Ein Auszug:
Kann man irgendeinen Termin angeben, zu dem das Fehlen der Regulierung die Wechselwirkung von Mensch und Natur in einen kritischen Zustand führen kann? Ich meine, das ist möglich.
Wie bereits oben gesagt, können wir uns in 50 bis 70 Jahren der vollständigen Nutzung des Einnahmeteils der Bilanz bestimmter wichtiger regenerierbarer natürlicher Ressourcen (Wasser, Wald, Boden, Fisch) nähern. Etwa zur gleichen Zeit kann man erwarten, dass die von der Industrie abgegebene Wärme in der Lage sein wird, das Klima zu beeinflussen. Das wird völlig dazu ausreichen, dass die Menschheit beginnt, ernsthafte Schwierigkeiten zu erleiden, falls sie es bis dahin nicht lernt, ihre Tätigkeit zu regulieren.
Natürlich ist das ein Näherungswert, der auch früher auf der Grundlage der gleichen, sehr einfachen Überlegungen angegeben wurde (vergleiche J. K. Fjodorow: Entwicklungstendenzen und gegenwärtige Bedeutung der Wissenschaften von der Erde, Moskau 1969; derselbe: Eine Bedrohung, die verhindert werden muss, in: Priroda, Nr. 9/1970). Wie man sieht, ähnelt er der Einschätzung der Zeit für das Eintreten der umfassenden Krise, die in den Arbeiten »World Dynamics« (von Jay W. Forrester 1971, deutsch 1972: »Der teuflische Regelkreis. Das Globalmodell der Menschheitskrise«) oder »Limits to Growth« (1972 von Donnella und Dennis Meadows, Jörgen Randers, William W. Behrens III, deutsch 1972: »Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit«) beschrieben wurden.
Man kann hinzufügen, dass eine derartige Krise im Falle eines ernsten militärischen Konflikts bedeutend früher beginnen oder sich später vertiefen kann, wenn das Klima sich tatsächlich zu ändern beginnt.
Somit besteht unserer Auffassung nach die reale Gefahr, dass die menschliche Gesellschaft den zulässigen Rahmen ihrer Wechselwirkung mit der Umwelt in nicht sehr weit entfernter Zukunft überschreiten kann.
Vor etwa 100 Jahren wies erstmalig Karl Marx auf eine mögliche gefährliche Situation in der Wechselwirkung zwischen Gesellschaft und der Natur insgesamt hin. In einem Brief an Friedrich Engels machte er über das Buch des Agronomen (Carl Friedrich) Fraas (1810–1875, deutscher Agrarwissenschaftler, jW) folgende Bemerkung:
»Sehr interessant ist von Fraas (1847): ›Klima und Pflanzenwelt in der Zeit. Ein Beitrag zur Geschichte beider‹, nämlich zum Nachweis, dass in historischer Zeit Klima und Flora wechseln. Er ist vor Darwin Darwinist und lässt die Arten selbst in der historischen Zeit entstehn. Aber zugleich Agronom. Er behauptet, dass mit der Kultur – entsprechend ihrem Grad – die von den Bauern so sehr geliebte Feuchtigkeit verlorengeht (daher auch die Pflanzen von Süden nach Norden wandern) und endlich Steppenbildung eintritt. Die erste Wirkung der Kultur nützlich, schließlich verödend durch Entholzung etc. Dieser Mann ist ebensosehr grundgelehrter Philolog (er hat griechische Bücher geschrieben) als Chemiker, Agronom etc. Das Fazit ist, dass die Kultur – wenn naturwüchsig vorschreitend und nicht bewusst beherrscht (dazu kommt er natürlich als Bürger nicht) – Wüsten hinter sich zurücklässt. Persien, Mesopotamien etc., Griechenland. Also auch wieder sozialistische Tendenz unbewusst.« (Marx an Engels, Brief vom 25. März 1868, in: Karl Marx/Friedrich Engels, Werke Band 32, Seite 52f)
Mir scheint, dass die im Zitat angeführten Worte von Marx voll und ganz auf viele heutige westliche Forscher bezogen werden können, die das Problem der Wechselwirkung von Gesellschaft und Umwelt bearbeiten, und zwar insbesondere Forrester und die vier Autoren. Ebenso wie Fraas fühlen sie, dass die sich spontan entwickelnde Kultur zu einer Krise der Wechselwirkung der Gesellschaft mit der Natur führt. Ihre Berechnungen geben durchaus eine Illustration davon, wie das gerade geschehen kann. Ebenso wie Fraas vertreten sie, meistens jedoch unbewusst, »sozialistische Tendenzen«.
Forrester diskutiert viel darüber, dass man auf die intuitive Vorstellung von der Entwicklung der sozialen Systeme verzichtet und die objektiven Gesetze ihres Verhaltens suchen soll. Er hält es für notwendig, die sozialen Werte der »Konsumgesellschaft« neu zu durchdenken, irgendeine Regulierung der sozialen Prozesse zu erreichen.
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