Entnommen: https://linkezeitung.de/2022/03/09/das-amerikanische-imperium-zerstoert-sich-selbst/
Das
amerikanische Imperium zerstört sich selbst
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 9. MÄRZ 2022
von
Michael Hudson – http://www.theblogcat.de
Aber niemand
dachte, dass es so schnell gehen würde
Imperien folgen
oft dem Verlauf einer griechischen Tragödie und führen genau das
Schicksal herbei, das sie verhindern wollten. Das ist mit Sicherheit
der Fall beim amerikanischen Imperium, das sich selbst in einer nicht
ganz so langsamen Bewegung demontiert.
Die Grundannahme
wirtschaftlicher und diplomatischer Prognosen ist, dass jedes Land in
seinem eigenen Interesse handelt. Eine solche Argumentation ist in
der heutigen Welt nicht hilfreich. Beobachter des gesamten
politischen Spektrums verwenden Ausdrücke wie „sich ins eigene
Knie schießen“, um die diplomatische Konfrontation der USA mit
Russland und ihren Verbündeten zu beschreiben. Aber niemand hätte
gedacht, dass sich das amerikanische Imperium so schnell selbst
zerstören würde.
Mehr als eine Generation lang haben die
prominentesten US-Diplomaten vor dem gewarnt, was sie für die
ultimative äußere Bedrohung hielten: eine Allianz aus Russland und
China, die Eurasien beherrschen würde. Amerikas
Wirtschaftssanktionen und militärische Konfrontation haben diese
beiden Länder zusammengetrieben und treiben andere Länder in deren
entstehende eurasische Umlaufbahn.
Es wurde erwartet, dass die
wirtschaftliche und finanzielle Macht Amerikas dieses Schicksal
abwenden würde. In dem halben Jahrhundert, seit die Vereinigten
Staaten 1971 den Goldstandard aufgegeben haben, haben die
Zentralbanken der Welt nach dem Dollar-Standard gearbeitet und ihre
internationalen Währungsreserven in Form von US-Schatzpapieren,
US-Bankeinlagen und US-Aktien und -Anleihen gehalten. Der daraus
resultierende Treasury-Bill-Standard hat es Amerika ermöglicht,
seine ausländischen Militärausgaben und die Übernahme von
Investitionen in anderen Ländern einfach durch die Schaffung von
Dollar-Schuldscheinen zu finanzieren. Die Zahlungsbilanzdefizite der
USA landen in den Zentralbanken der Länder mit Zahlungsüberschuss
als deren Reserven, während die Schuldner des globalen Südens
Dollar benötigen, um ihre Anleihegläubiger zu bezahlen und ihren
Außenhandel zu betreiben.
Dieses geldpolitische Privileg –
die Seigniorage des Dollars – hat es der US-Diplomatie ermöglicht,
dem Rest der Welt eine neoliberale Politik aufzuzwingen, ohne selbst
viel militärische Gewalt anwenden zu müssen, außer um sich das Öl
des Nahen Ostens zu schnappen.
Die jüngste Verschärfung der
US-Sanktionen, die Europa, Asien und andere Länder am Handel und an
Investitionen mit Russland, dem Iran und China hindern, hat den
Verbündeten der USA enorme Opportunitätskosten – die Kosten der
verpassten Chancen – aufgebürdet. Und die jüngste Konfiszierung
des Goldes und der Devisenreserven Venezuelas, Afghanistans und nun
auch Russlands[1] sowie die gezielte Beschlagnahmung von Bankkonten
wohlhabender Ausländer (in der Hoffnung, ihr Herz und ihren Verstand
zu gewinnen, da sie auf die Rückgabe ihrer beschlagnahmten Konten
hoffen), hat der Vorstellung ein Ende gesetzt, dass Dollarbestände –
oder jetzt auch Vermögenswerte in Pfund Sterling und Euro, den
NATO-Satelliten des Dollars – ein sicherer Anlagehafen sind, wenn
die Weltwirtschaftslage ins Wanken gerät.
Daher bin ich etwas
betrübt, wenn ich beobachte, wie schnell sich dieses auf die USA
ausgerichtete Finanzsystem innerhalb von nur ein oder zwei Jahren
entdollarisiert hat. Das Grundthema meines Buches Super Imperialism
war, wie in den letzten fünfzig Jahren der US-Schatzwechselstandard
ausländische Ersparnisse in die US-Finanzmärkte und US-Banken
gelenkt hat und der Dollar-Diplomatie einen Freifahrtschein gab. Ich
dachte, dass die Entdollarisierung von China und Russland angeführt
werden würde, die die Kontrolle über ihre Volkswirtschaften
übernehmen wollen, um die Art von finanzieller Polarisierung zu
vermeiden, die den Vereinigten Staaten die Austerität aufzwingt.[2]
Aber die US-Beamten zwingen Russland, China und andere Nationen, die
nicht in die US-Umlaufbahn eingebunden sind, die Zeichen der Zeit zu
erkennen und ihr Zögern bei der Entdollarisierung zu
überwinden.
Ich hatte erwartet, dass das Ende der
dollarisierten imperialen Wirtschaft durch das Ausscheren anderer
Länder herbeigeführt würde. Aber genau das ist nicht geschehen.
Die US-Diplomaten selbst haben sich dafür entschieden, die
internationale Dollarisierung zu beenden und Russland dabei zu
helfen, seine eigenen Mittel für eine selbständige
landwirtschaftliche und industrielle Produktion aufzubauen. Dieser
globale Zerfallsprozess läuft bereits seit einigen Jahren,
angefangen mit den Sanktionen, die Amerikas NATO-Verbündete und
andere Wirtschaftssatelliten am Handel mit Russland hindern. Für
Russland hatten diese Sanktionen die gleiche Wirkung wie
Schutzzölle.
Russland war zu sehr von der neoliberalen
Ideologie der freien Marktwirtschaft eingenommen, um Maßnahmen zum
Schutz seiner eigenen Landwirtschaft und Industrie zu ergreifen. Die
Vereinigten Staaten leisteten die nötige Hilfe, indem sie Russland
zur Eigenständigkeit zwangen. Als die baltischen Staaten sich den
amerikanischen Sanktionen beugten und den russischen Markt für ihren
Käse und andere landwirtschaftliche Produkte verloren, baute
Russland schnell seinen eigenen Käse- und Milchsektor auf – und
wurde gleichzeitig zum weltweit führenden
Getreideexporteur.
Russland entdeckt gerade (oder steht kurz
davor), dass es keine US-Dollar zur Stützung des Rubelkurses
braucht. Die russische Zentralbank kann die Rubel schaffen, die für
die Bezahlung der inländischen Löhne und die Finanzierung der
Kapitalbildung benötigt werden. Die Konfiszierung der Dollar- und
Euro-Reserven durch die USA könnte Russland schließlich dazu
veranlassen, sein Festhalten an der neoliberalen Geldphilosophie, für
die Sergej Glaziev seit langem eintritt, zugunsten der Modernen
Geldtheorie (MMT) aufzugeben.
Die gleiche Dynamik des
Unterlaufens vorgeblicher US-Ziele ist mit den US-Sanktionen gegen
die führenden russischen Milliardäre eingetreten. Die neoliberale
Schocktherapie und die Privatisierungen der 1990er Jahre ließen den
russischen Kleptokraten nur eine Möglichkeit, aus den
Vermögenswerten, die sie der Öffentlichkeit entrissen hatten,
Kapital zu schlagen. Das war die Einverleibung ihrer Einkünfte und
der Verkauf ihrer Aktien in London und New York. Die inländischen
Ersparnisse waren vernichtet worden, und die US-Berater überzeugten
die russische Zentralbank, kein eigenes Rubelgeld zu schaffen.
Das
Ergebnis war, dass Russlands nationales Öl-, Gas- und
Mineralienvermögen nicht zur Finanzierung einer Rationalisierung der
russischen Industrie und des Wohnungsbaus verwendet wurde. Anstatt
die Privatisierungserlöse in die Schaffung neuer russischer
Schutzmaßnahmen zu investieren, wurden sie für den neureichen
Erwerb britischer Luxusimmobilien, Yachten und anderer globaler
Fluchtkapitalanlagen verbrannt. Aber die Sanktionen, die die Dollar-,
Pfund- und Euro-Bestände russischer Milliardäre in Geiselhaft
nehmen, haben dazu geführt, dass die Londoner City zu einem zu
riskanten Ort geworden ist, um ihr Vermögen zu halten – und für
die Vermögenden aller anderen Nationen, die potenziell den
US-Sanktionen unterliegen. Durch die Verhängung von Sanktionen gegen
die reichsten Russen, die Putin am nächsten stehen, hofften die
US-Beamten, sie dazu zu bewegen, sich seiner Abspaltung vom Westen zu
widersetzen und somit effektiv als Einflussagenten der NATO zu
dienen. Doch für die russischen Milliardäre scheint ihr eigenes
Land allmählich am sichersten zu sein.
Seit vielen
Jahrzehnten kämpfen die US-Notenbank und das Finanzministerium
dagegen an, dass Gold seine Rolle in den internationalen Reserven
zurückerhält. Aber wie werden Indien und Saudi-Arabien ihre
Dollarbestände sehen, wenn Biden und Blinken versuchen, sie unter
Druck zu setzen, damit sie der „regelbasierten Ordnung“ der USA
folgen, anstatt ihre eigenen nationalen Interessen zu verfolgen? Das
jüngste US-Diktat lässt ihnen kaum eine andere Wahl, als damit zu
beginnen, ihre eigene politische Autonomie zu schützen, indem sie
ihre Dollar- und Euro-Bestände in Gold umwandeln, als einen
Vermögenswert, der frei von der politischen Haftung ist, als Geisel
für die zunehmend kostspieligen und störenden US-Forderungen
gehalten zu werden.
Die US-Diplomatie hat Europa seine
erbärmliche Unterwürfigkeit unter die Nase gerieben, indem sie
seine Regierungen aufforderte, ihre Unternehmen dazu zu bringen, ihre
russischen Vermögenswerte für Pfennigbeträge abzustoßen, nachdem
Russlands Devisenreserven blockiert wurden und der Rubelkurs
abstürzte. Blackstone, Goldman Sachs und andere US-Investoren
kauften schnell auf, was Shell Oil und andere ausländische
Unternehmen abgaben.
Niemand hätte gedacht, dass die
Weltordnung der Nachkriegszeit (1945-2020) so schnell zusammenbrechen
würde. Eine wirklich neue internationale Wirtschaftsordnung ist im
Entstehen begriffen, auch wenn noch nicht klar ist, welche Form sie
annehmen wird. Aber die Konfrontationen, die sich aus dem „Triezen
des Bären“ mit der US/NATO-Aggression gegen Russland ergeben,
haben eine kritische Masse überschritten. Es geht nicht mehr nur um
die Ukraine. Sie ist lediglich der Auslöser, ein Katalysator, der
einen Großteil der Welt aus der US/NATO-Umlaufbahn treibt.
Der
nächste Showdown könnte in Europa selbst stattfinden, wenn
nationalistische Politiker versuchen, sich von dem übermäßigen
Machtstreben der USA gegenüber ihren europäischen und anderen
Verbündeten zu lösen, um sie in Abhängigkeit von US-amerikanischem
Handel und Investitionen zu halten. Der Preis für ihren
fortwährenden Gehorsam ist die Auferlegung einer Kosteninflation für
ihre Industrie und die Unterordnung ihrer demokratischen Wahlpolitik
unter Amerikas NATO-Prokonsuln.
Diese Folgen können nicht
wirklich als „unbeabsichtigt“ bezeichnet werden. Zu viele
Beobachter haben genau darauf hingewiesen, was passieren würde –
allen voran Präsident Putin und Außenminister Lawrow, die
erklärten, wie sie reagieren würden, wenn die NATO sie in die Enge
treiben würde, während sie die russischsprachigen Menschen der
Ostukraine angreifen und schwere Waffen an Russlands Westgrenze
verlegen. Die Folgen waren absehbar. Den Neokons, die die
US-Außenpolitik kontrollieren, war das schlichtweg egal. Wer die
russischen Bedenken anerkannte, galt als
Putinversteher.
Europäischen Beamten war es nicht unangenehm,
der Welt ihre Sorgen mitzuteilen, dass Donald Trump verrückt sei und
die internationale Diplomatie aus dem Gleichgewicht bringe. Aber sie
scheinen von dem wieder aufkeimenden Russlandhass der
Biden-Administration durch Außenminister Blinken und Victoria
Nuland-Kagan überrumpelt worden zu sein. Trumps Ausdrucksweise und
Manierismen mögen ungehobelt gewesen sein, aber Amerikas
Neokonservativen sind viel mehr von einer global bedrohlichen
Konfrontation besessen. Für sie war es eine Frage, wessen Realität
als Sieger hervorgehen würde: die „Realität“, die sie glaubten,
schaffen zu können, oder die wirtschaftliche Realität außerhalb
der Kontrolle der USA.
Was das Ausland nicht für sich selbst
getan hat, um den IWF, die Weltbank und andere starke Arme der
US-Diplomatie zu ersetzen, dazu zwingen amerikanische Politiker sie
jetzt. Anstatt dass sich die Länder Europas, des Nahen Ostens und
des Globalen Südens aufgrund ihrer eigenen langfristigen
wirtschaftlichen Interessen abspalten, treibt Amerika sie dazu, so
wie es das mit Russland und China getan hat. Immer mehr Politiker
werben um die Gunst der Wähler, indem sie die Frage stellen, ob
ihren Ländern mit neuen Währungsvereinbarungen besser gedient wäre,
die den dollarisierten Handel, die Investitionen und sogar den
ausländischen Schuldendienst ersetzen.
Der Druck auf die
Energie- und Lebensmittelpreise trifft die Länder des Globalen
Südens besonders hart und fällt mit ihren eigenen
Covid-19-Problemen und dem drohenden fälligen Schuldendienst in
Dollar zusammen. Irgendetwas muss nachgeben. Wie lange werden diese
Länder noch Sparmaßnahmen ergreifen, um ausländische
Anleihegläubiger zu bezahlen?
Wie werden die
Volkswirtschaften der USA und Europas angesichts ihrer Sanktionen
gegen die Einfuhr von russischem Gas und Öl, Kobalt, Aluminium,
Palladium und anderen Grundstoffen zurechtkommen? Amerikanische
Diplomaten haben eine Liste von Rohstoffen erstellt, die ihre
Wirtschaft dringend benötigt und die daher von den verhängten
Handelssanktionen ausgenommen sind. Damit verfügt Putin über eine
handliche Liste von Druckpunkten über die USA, die er bei der
Neugestaltung der Weltdiplomatie nutzen kann, um europäischen und
anderen Ländern dabei zu helfen, sich von dem Eisernen Vorhang zu
lösen, den Amerika errichtet hat, um seine Satelliten in die
Abhängigkeit von hochpreisigen US-Lieferungen zu zwingen?
Die
Biden-Inflation
Die endgültige Abkehr vom Abenteurertum der
NATO muss jedoch aus den Vereinigten Staaten selbst kommen. Im
Vorfeld der diesjährigen Zwischenwahlen werden Politiker einen
fruchtbaren Boden finden, wenn sie den US-Wählern zeigen, dass die
von Benzin und Energie angeführte Preisinflation ein politisches
Nebenprodukt der von der Biden-Administration verhängten Blockade
der russischen Öl- und Gasexporte ist. (Gas wird nicht nur zum
Heizen und zur Energieerzeugung benötigt, sondern auch zur
Herstellung von Düngemitteln, an denen es bereits einen weltweiten
Mangel gibt. Diese Situation wird durch die Blockade der russischen
und ukrainischen Getreideexporte in die Vereinigten Staaten und nach
Europa noch verschärft, was die Lebensmittelpreise bereits in die
Höhe treibt.
Es besteht bereits eine auffällige Diskrepanz
zwischen der Sicht des Finanzsektors auf die Realität und
derjenigen, die in den Mainstream-Medien der NATO verbreitet wird. Am
Montag, dem 7. März, stürzten die europäischen Aktienmärkte bei
ihrer Eröffnung ab, während der Ölpreis der Sorte Brent auf 130
Dollar pro Barrel anstieg. In der morgendlichen
BBC-Nachrichtensendung „Today“ warnte der konservative
Abgeordnete Alan Duncan, ein Ölhändler, davor, dass die nahezu
verdoppelten Preise für Erdgas-Termingeschäfte die Unternehmen in
den Ruin zu treiben drohten, die sich verpflichtet hatten, Europa zu
den alten Preisen mit Gas zu versorgen. Doch zurück zu den
militärischen „Zwei-Minuten-Hass“-Nachrichten: Die BBC lobte
weiterhin die tapferen ukrainischen Kämpfer und die NATO-Politiker
drängten auf mehr militärische Unterstützung. In New York stürzte
der Dow Jones Industrial Average um 650 Punkte ab, und der Goldpreis
stieg auf über $ 2.000 je Unze – ein Zeichen dafür, wie der
Finanzsektor den weiteren Verlauf des US-Spiels einschätzt. Die
Nickelpreise stiegen sogar noch stärker – um 40 Prozent.
Der
Versuch, Russland zu einer militärischen Reaktion zu zwingen und
damit im Rest der Welt in ein schlechtes Licht zu rücken, entpuppt
sich als ein Trick, der lediglich darauf abzielt, dass Europa mehr
zur NATO beiträgt, mehr US-Militärgüter kauft und sich noch
stärker in die handels- und währungspolitische Abhängigkeit von
den Vereinigten Staaten begibt. Die dadurch verursachte Instabilität
führt dazu, dass die Vereinigten Staaten so bedrohlich wirken, wie
Russland vom NATO-Westen dargestellt wird.
*
1. Nach
dem Sturz von Muammar Gaddafi durch die NATO im Jahr 2011 verschwand
auch das libysche Gold.
2. Siehe zuletzt: Radhika Desai and
Michael Hudson (2021), “Beyond Dollar Creditocracy: A Geopolitical
Economy,” Valdai Club Paper No. 116. Moscow: Valdai Club, 7 July,
repr. in Real World Economic Review (97),
https://rwer.wordpress.com/2021/09/23
The American Empire
self-destructs. But nobody thought that it would happen this fast
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen