Freitag, 6. Oktober 2023

EU am Scheideweg - LZ

 Entnommen: https://linkezeitung.de/2023/10/06/eu-am-scheideweg-kompletter-krieg-gegen-russland-oder-nato-niederlage/

EU am Scheideweg: Kompletter Krieg gegen Russland oder NATO-Niederlage?

VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 6. OKTOBER 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR


von Thomas Oysmüller – https://tkp.at

Bild “The G7, NATO and EU summits, new sanctions packages and new assistance take place this week – address by the President of Ukraine.” by President Of Ukraine is marked with CC0 1.0.
Die USA scheinen sich langsam aus der Ukraine zurückzuziehen. Am Ende könnte die EU – ganz ohne dem Herrn USA – vor einem aussichtslosen Krieg mit Russland stehen. Zur Freude Washingtons.

Oberst Markus Reisner vom österreichischen Bundesheer wird als „Experte“ für den Krieg in der Ukraine häufig vor den Bildschirm geholt. „Wir haben einen Gegner, der seit zwei Jahren mit uns (!) im Krieg ist und Russland ist mit Europa im Krieg“, sagt der Experte vom (eigentlich neutralen) österreichischen Bundesheer relativ panisch. Man müsse sich „entscheiden“, was man möchte, es drohe – vor allem angesichts einer Wiederwahl von Donald Trump – ein riesiger Scherbenhaufen für Europa.

Gescheiterte Offensive

Nun. Russland wird immer Teil Europas bleiben. Insofern kann Russland auch gar keinen Krieg „gegen Europa“ führen.  Dass aber die NATO (und ihr politischer Arm Europäische Union) einen „Krieg gegen Russland“ führt, das erklärte Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock bereits im Jänner 2023– TKP hatte damals berichtet.

Den Clip von Reisner teilte der deutschsprachige NATO-Account „Brennpunkt UA“, der bis vor wenigen Wochen noch erklärt hatte, dass die ukrainische Offensive höchst erfolgreich verlaufen würde. Jetzt verlangt er „endlich auf Kriegswirtschaft“ hochzufahren.


Eine gewisse Panik scheint sich – vor allem in der EU – breit zu machen. Julian Röpcke, berüchtigter Kriegsberichterstattung für die radikal anti-russische Bild, teilte vor wenigen Tagen eine Analyse zur ukrainischen „Gegenoffensive“. Alles sei sehr „ernüchternd“:

„Kein Überraschungseffekt, keine Durchbrüche, katastrophale Kommunikation, kein strategischer Erfolg, Russen, die die Surowikin-Linie schneller im Süden verstärken, als sie im Norden angekratzt wird, Aussicht auf einen langen Krieg jenseits von 2024. Und das Ganze vor dem Hintergrund zurückgehenden oder zumindest stagnierenden westlichen Supports.“

Aber alleine kann die Ukraine den Krieg nicht „jenseits von 2024“ führen, man ist auf die Milliarden aus der EU und das Kriegsmaterial aus dem Westen angewiesen. Röpcke fährt ernüchternd fort:

„Darüber hinaus droht ein Kurswechsel in den Vereinigten Staaten: Die Republikaner machen bereits Druck, die Hilfe einzustellen. Sollte Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnen, ist für die Ukraine nichts mehr zu erwarten. Slowakei dürfte bald wegbrechen, auch in Polen droht eine Koalition unter Beteiligung einer prorussischen Partei, Aufstieg der AfD in Deutschland (vom Zeitenblender nicht zu sprechen), die Wahlen in den USA im nächsten Jahr mit offenem Ausgang usw.“

Geht der Ami heim?

Doch Verhandlungen will Röpcke selbstverständlich weiterhin keine. Dann wohl lieber den kompletten Krieg (oder so etwas ähnliches in ähnlichen Begriffen). Im Juni hatte auch Röpcke „die letzten Wochen Russlands“ angekündigt. Daraus ist nichts geworden. Bei weitem nicht. Für mutmaßlich Hunderttausend Soldaten waren es aber die letzten Tage – vor allem für ukrainische junge Männer.

Einen langen Krieg mit Russland werde die NATO nicht gewinnen, analysierte der NATO-kritische Journalist Thomas Fazi im Magazin Unherd. Warum weiterhin keinerlei diplomatische Lösung in Sicht ist? „Weil der Stellvertreterkrieg dem US-Establishment in vielerlei Hinsicht zugutekommt (und sie sprechen sehr offen darüber) – deshalb will Washington, dass dieser Krieg weitergeht, ungeachtet der Folgen für die Ukraine.“

Allerdings in Zukunft vielleicht ganz ohne die USA, eine gänzliche „Europäisierung“. Es ist nicht sicher ob aus den aktuellen innenpolitischen Turbulenzen in Washington wieder die volle Unterstützung für die Ukraine herauskommt. Gegenwärtig hat der Kongress weitere „Hilfen“ für die Ukraine gestoppt. Zunächst für rund 40 Tage. Das ein Rückzug der USA durchaus denkbar ist, hat Eric Angerer für TKP vor etwa vier Wochen analysiert.

Aber zurück zu Fazis Szenario der “Europäisierung” (Hervorhebung TKP):

„Was auch immer in den USA geschieht, “von unserer Seite aus werden wir unsere Unterstützung fortsetzen und verstärken”, sagte der Chef der EU-Außenpolitik, Josep Borrell. (Baerbock legte nach und fantasierte von einer EU „von Lissabon bis Lugansk”, Anm. Red.)

Zu diesem Zweck ist sogar die Rede davon, dass die Europäische Investitionsbank mit der Finanzierung von Verteidigungsprojekten beginnen könnte. Die Tatsache, dass Europa im Gegensatz zu Amerika weder wirtschaftlich noch sicherheitspolitisch von einer permanenten Militarisierung der Beziehungen zu seinem atomar bewaffneten Nachbarn profitiert, scheint kein Thema zu sein.

Andererseits liegt der Schluss nahe, dass diese “Europäisierung” des Krieges – mit Deutschland als oberstem Vasallen, wie von Wolfgang Streeck vorgesehen – einen doppelten Gewinn für Amerika darstellen würde: Sie würde es ihm ermöglichen, sich politisch und finanziell aus dem Konflikt herauszuhalten, während es über die EU weiterhin indirekt den Vorsitz in der Region führen würde. Mit anderen Worten: Die EU würde einen Stellvertreterkrieg an der Seite Amerikas führen, fast ausschließlich zu dessen Gunsten – der ultimative Akt der Vasallisierung.

Wenn dies töricht, geschweige denn gefährlich erscheint, können wir uns damit trösten, dass die Realität diesem Plan im Wege zu stehen scheint. Schließlich gibt es für die EU keine Möglichkeit, die Lücke zu schließen – weder militärisch noch finanziell oder politisch -, wenn Washington seine Unterstützung zurückfährt. Für diejenigen unter uns, die sich nach Frieden sehnen, könnte die Dysfunktion der EU ausnahmsweise ein Silberstreifen sein.“

Es könnte tatsächlich aber auch das eintreten, was pro-russische Analysten wie Douglas MacGregor oder Scott Ritter seit den ersten Wochen des Krieges behaupten: Dass am Ende nicht nur die Ukraine, sondern die ganze EU „entmilitarisiert“ dasteht.

Doch bis dahin könnte der Krieg noch einige blutige – und verheerende – Kapitel schreiben. Betroffen wäre der ganze Kontinent. Von Lissabon bis zum Ural.

EU am Scheideweg: Kompletter Krieg gegen Russland oder NATO-Niederlage?


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