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RotFuchs, April 2022
Containment – 75 Jahre und kein Ende
Harry S. Truman löste kurz vor dem Ende des 2. Weltkrieges Franklin D. Roosevelt, der im April 1945 plötzlich verstorben war, als 33. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ab. Als Vize-Präsident war er in die Kriegsstrategie seines Vorgängers kaum eingeweiht, sollte jedoch die europäische und internationale Nachkriegsordnung maßgeblich mitprägen. Zwei Wochen nach seiner Vereidigung war der Weltkrieg in Europa beendet. Im Juli nahm er an der Potsdamer Konferenz mit J. W. Stalin sowie Winston Churchill bzw. Clement Attlee teil. Schon hier wurde seine Auffassung von der Notwendigkeit eines „Zurückdrängens“ der Sowjetunion deutlich. Diente dem doch seine erste für jedermann sichtbare außenpolitische Aktion, das ManhattanProjekt – der zweifache Einsatz der Atombombe über Hiroshima und Nagasaki. Die Kapitulation Japans konnte nicht das Ziel gewesen sein, Friedensverhandlungen der Sowjetunion mit Japan dagegen schon. Der Krieg war de facto bereits beendet. Es starben 155 000 Menschen sofort, 90 000 bis 140 000 an den unmittelbaren Folgen, bis 1950 ca. 200 000 an Langzeitfolgen. Also wofür dieses Verbrechen? Es war der zweite Versuch der Amerikaner seit der späten Landung in der Normandie, den Vormarsch der Roten Armee gegen die faschistische Kriegsachse zu stoppen. Truman zögerte auch keineswegs, dies der sowjetischen Delegation in Potsdam deutlich zu machen. Der nunmehr britische Oppositionsführer Winston Churchill lieferte am 5. März 1946 mit seiner berüchtigten Rede in Fulton, Missouri, über den „eisernen Vorhang“ die ideologische antikommunistische, antisowjetische Grundlage für den folgenden Kalten Krieg, der die Macht- und Einflußsphären der Westmächte, besser der USA, und der Sowjetunion von der Ostsee entlang der Elbe bis zum Schwarzen Meer teilen sollte. Die US-Administration erweiterte diese Konzeption dann um die Strategie der „Eindämmung“ des Kommunismus. Der „Rollback“ war geboren. Wie die darauffolgende Geschichte bestätigte, war stets die Sowjetunion gemeint, und zwar als strategisches Feindbild der USA. Es begann die Ära der Bipolarität zwischen den beiden Weltmächten.
Im Kongreß sollte H. Truman am 12. März 1947 dieses Herangehen der USA als neue außenpolitische Doktrin verkünden, zusätzlich zur Weitergeltung der bisherigen Monroe-Doktrin, die sich auf Mittel- und Lateinamerika bezieht. Der im April 1948 vom US-Kongreß verabschiedete Marshall-Plan war gewissermaßen die wirtschaftliche Ergänzung zum Konzept der Eindämmung. Mit seiner Hilfe sollte einerseits die Wirtschaftskraft Mittel- und Westeuropas wiederhergestellt und andererseits „Europa“ in eine abhängige Einflußsphäre der USA verwandelt werden. Die USA überzogen in den vier Folgejahrzehnten Westeuropa bis an die Elbe mit einer eigenen flächendeckenden militärstrategischen Infrastruktur, die Stationierung von Atomwaffen in der BRD und Italien eingeschlossen. Im Rahmen der Bipolarität wurde Westeuropa nun quasi zum vorgelagerten (außerhalb des eigenen Territoriums) Schlachtfeld einer nie wirklich ausgeschlossenen künftigen Verwandlung des Kalten Krieges in einen heißen. Mit der Gründung der NATO als militärpolitischer „Vorfeld-Organisation“ und Disziplinierungsinstrument der USA wurden die Geiselnahme Westeuropas für die eigenen Expansionspläne und die Aufhebung der Souveränität insbesondere der ehemaligen europäischen Großmächte politisch abgesichert. Die Effektivität dieser Vorgehensweise zeigte sich in der Folge in der zuverlässigen Torpedierung jeglicher Versuche der Entwicklung einer strategischen Zusammenarbeit mit der Sowjetunion, deren Feindbild immer neu gestärkt wurde.
Selbst die Politik der Entspannung und „Annäherung“ der Brandt/Bahr-Regierung konnte nur über größte Widerstände im eigenen Bündnis durchgesetzt werden. Auch im Fernen Osten „dämmten“ die USA nach dem verbrecherischen Einsatz der Atombomben den Kommunismus „zielstrebig ein“. Japan und Taiwan wurden wie in Westeuropa in vorgelagerte potentielle Schlachtfelder verwandelt und hochgerüstet, Guam wurde zum schwimmenden A-Waffenträger, Südkorea nach einem verlustreichen Krieg zu einer US-Basis. Nur in Südostasien wollte dies nicht gelingen. Die USA „übernahmen“ den Kolonialkrieg von der untergegangenen Großmacht Frankreich und fuhren gegen den nationalen Befreiungskampf der Vietnamesen ihre erste große Nachkriegsniederlage ein.
Die „Claims“ waren also recht bald nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges „abgesteckt“. Auf der Grundlage der Beschlüsse von Jalta und Potsdam wurden die Vereinten Nationen mit einem Sicherheitsrat gegründet, der auf der Grundlage der Bipolarität zwischen den USA und der UdSSR das neue Völkerrecht schuf. Letzteres kodifizierte damit auch die über 40 Jahre währende Friedensperiode in Europa und weltweit, abgesehen von lokalen militärischen Expansions- und Containment-Bemühungen. Bis heute wird jedoch zumeist übersehen, daß der Vorgänger der UNO, der Völkerbund, in dem Moment scheiterte, wie zugleich das durch ihn geschaffene Völkerrecht, als durch den deutschen Faschismus das europäische Kräfteverhältnis grundlegend verändert wurde.
Die beiden Pole waren also bis 1989, ob man die Periode nun „Kalter Krieg“ oder „Détente“ nennt, die Sowjetunion und die USA. Bis 1989 ermöglichten sie durch das anhaltende Kräftegleichgewicht einen „kalten“, aber doch einen Weltfrieden.
Das änderte sich durch den Zerfall der Sowjetunion 1990/91. Dabei übersahen die US-Strategen die Tatsache der inneren Ursachen dieses Zerfalls, was Folgen haben sollte. Die Vereinigten Staaten wähnten sich aus eigener Kraft am Ziel der „totalen“ Eindämmung des „Kommunismus“, am Ende der Geschichte (Francis Fukuyama, 1989). Der eine Pol der Bipolarität war vermeintlich verschwunden. Der Zerfall Rußlands schien in greifbarer Nähe, samt dem langgehegten Ziel seiner territorialen Zerstückelung. Es verblieben die USA als Monopol. Der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher betätigte sich als Sprachrohr seines Vorlesers und verkündete die „Welt-Innenpolitik“ (1989), in der der „Weltpolizist“ seine nationalen Gesetze international (!) in Anwendung bringen würde. Gegenüber dem krisengeschüttelten Rußland leistete man sich verbal sogar die „Beendigung“ des Kalten Krieges und sprach von immerwährender Zusammenarbeit in allen Bereichen.
Es sollte anders kommen. Mit der Regierung und dann Präsidentschaft von Wladimir V. Putin im Jahr 1999 endete die destruktive Politik unter Boris N. Jelzin und Rußland trat in eine Phase der schrittweisen Konsolidierung ein, begann wieder, seine Interessen als souveräner Nationalstaat zu sichern. Und plötzlich war Rußland in den Augen der US-Regierung, wieder der „expansive Feind“, stellte Hillary Clinton den „großen Neuanfang“, den Reset, auf Stopp und reaktivierte die alte Truman-Doktrin des Containments, einschließlich der bisherigen Juniorpartner, wieder.
Es stellt sich natürlich durchaus die Frage nach den Illusionen mancher Freunde im Moskau der Wendezeit, die da meinten, eine Rückkehr der Sowjetunion zur klassischen privatkapitalistischen Produktionsweise sollte den Antagonismus zu den USA auflösen, da sich der ideologische Widerspruch auf lösen würde. Es zeigte sich, daß der bis heute notorische Antikommunismus der USA nicht die alleinige Triebfeder für ihren Antisowjetismus und gegenwärtigen Rußlandhaß gewesen ist. Noch in der Zarenzeit, also vor der Großen Oktoberrevolution, nachdem aus Westeuropa für sie keine Gefahren mehr auszugehen schienen, erkannten sie Rußland als gefährlichen (neudeutsch) „systemischen Rivalen“. Heute besteht die vermeintliche Gefahr eher darin, daß eine intensive Kooperation Rußlands mit Mittel- und Westeuropa den USA ihre Vorherrschaft über Letztere wieder entziehen könnte.
Die US-Administration stigmatisierte Rußland nun also ohne „Kommunismus“ (diesmal hieß das Narrativ „Autokratie“) als „Gefahr aus dem Osten“ und zog sich nicht, wie die Sowjetunion, aus ihrem Vorfeld in Europa zurück, sondern dehnte ihre militärstrategische Infrastruktur weiter nach Osteuropa aus, durch die formale Aufnahme ehemaliger Vertragsstaaten in die NATO, durch die Dislozierung ihres (!) Militärs an den Grenzen Rußlands vom Baltikum über Polen, Georgien und seit dem durch sie maßgeblich inspirierten ultrarechten Putsch in Kiew bis in die Ukraine und damit das Schwarze Meer. West- und Mitteleuropa blieb den USA in erweiterter Form als potentieller, „ausgelagerter“ Kriegsschauplatz und die früheren Großmächte Großbritannien, Frankreich und Deutschland als nichtsouveräne politische Geiseln erhalten. Auch Rußland verabschiedete sich alsbald von ideologischen und propagandistischen Lageeinschätzungen. Viele Jahre lang bemühte es sich redlich um die Entwicklung einer sicherheitspolitischen Partnerschaft und wirtschaftspolitischen, beiderseits vorteilhaften Zusammenarbeit. Putins Auftritt vor dem Bundestag 2001 bleibt unvergessen, ebenso seine Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz 2007, auf der er allerdings bereits die Sorgen Rußlands vor der sicherheitspolitischen Expansion der USA bis an seine Grenzen deutlich machte. Er wurde nicht erhört. Die Expansion ging weiter, auch an den russischen Südgrenzen in Mittelasien und dem Nahen und Mittleren Osten. Der (natürlich) US-geführte NATO-Überfall auf Jugoslawien, die Zerstörung Afghanistans, des Irak und Libyens, einhergehend mit der Ablehnung aller friedenspolitischen und wirtschaftlichen Kooperationsvorschläge Rußlands sowie die Verödung der wichtigsten sicherheitspolitischen Kommunikationsstränge (NATO-Rußland-Rat, OSZE, Rüstungsbegrenzungsverträge etc.) durch die USA und deren zunehmende Isolationsstrategie durch Sanktionen genannte Polizeimaßnahmen ließen keinen Zweifel mehr aufkommen – die alte Politik des Containments wurde zielstrebig fortgesetzt.
Rußland begann sich zu wehren, erst verbal, dann zunehmend durch handfeste außenpolitische Schritte. Sichtbar wurde dies zunächst im Nahen und Mittleren Osten, also an seinen Südgrenzen, in der Aktivierung der Zusammenarbeit mit dem Iran, der Türkei und Israel sowie durch die aktive Unterstützung Syriens gegen die US-amerikanischen Regime-Change-Versuche (bis heute sind die USA aus Syrien nicht verschwunden).
Eine „rote Linie“ überschritten die USA mit dem Regime-Change in der Ukraine, was zu den bekannten russischen Reaktionen führte. Die USA haben damit den Konflikt mit Rußland bewußt zugespitzt. Solange die Westeuropäer dem amerikanischen Narrativ der Bedrohung der Ukraine folgen, werden sie nicht verstehen, daß es beiden Polen (!) gar nicht um die Ukraine geht. Und sie müssen sich nicht wundern, wenn über die Sicherheitslage in Europa ausschließlich zwischen den USA und Rußland verhandelt wird. Von Bedeutung scheint auch, wie im Rahmen der aktuellen US-Kampagne versucht wird, Deutschland als westeuropäischer Kernmacht wieder zielgerichtet auf einen antirussischen Kurs zu zwingen. Der neue „Big Stick“ heißt nunmehr Ukraine, deren Führung regelrecht versucht, die deutsche Regierung zu erpressen. Die von den USA deutlich abweichenden Interessen der BRD, aber auch Frankreichs und Großbritanniens, sollen so gegen jegliche potentielle „Sonderwege“ gegenüber Rußland, und sei es nur der Bau einer Gas-Pipeline, im Zaum gehalten werden. Bill Clinton hat die Entwicklung frühzeitig kommen gesehen. Schon 1997 teilte er Boris N. Jelzin mit: „Wir brauchen die NATO, um in Europa zu bleiben.“ Diese Entwicklung macht deutlich, es ist nicht so wie es scheint, ein „Krieg um die Ukraine“ steht gar nicht zur Debatte. Zur Debatte steht die Sicherheit Rußlands und das „Austarieren“ des künftigen militärstrategischen Kräfteverhältnisses, samt neuer völkerrechtlicher Kodifizierung. Dies ist es, wogegen sich die USA mit aller Macht stemmen. Ein zusätzlicher, neuer Faktor von weltweiter Bedeutung ist hierbei der unaufhaltsame ökonomische, politische und militärpolitische Aufstieg Chinas, das die USA als weiteren „systemischen Feind“ für sich entdeckt haben, gegen den nun die gleiche Methode des Containments angewandt werden soll. Sogar die europäischen Handlanger werden dafür eingespannt (deutscher Kreuzer ins Südchinesische Meer, Sanktionspolitik s. G5 Huawei, politischer Boykott der Olympischen Winterspiele etc.). Die „Verbissenheit“ der USA, ihre ideologische Verblendung haben etwas geschafft, was Russen und Chinesen in ihrer jahrhundealten Geschichte gar nicht – auch nicht unter sozialistischen Bedingungen – nachhaltig zustande gebracht hatten, eine strategische sicherheitspolitische Partnerschaft sowie einen dritten Global Player, der aus dem wiedererstehenden Bipol möglicherweise bald einen Tripol entstehen läßt. Denn auch die VR China hat begonnen, sich zur Sicherung ihrer eigenen Interessen zu wehren. Die Rückkehr der ehemaligen britischen Kolonie Hongkong in das Reich der Mitte ist da wohl erst der Anfang des „Rollback“ der USA im Fernen Osten. Die vorgeschobenen potentiellen Schlachtfelder der Amerikaner stehen jedenfalls zur Disposition, so wie auch in Europa.
In Westeuropa stellt sich das bisher zusätzlich durch das Nichtverstehen der Lage durch die politischen Eliten als nicht unproblematisch dar. Ein Blick zurück in die Vorkriegsgeschichte kann da nicht schaden. Der „Ausbruch“ Deutschlands aus den Fesseln der eingeschränkten Souveränität des Versailler Vertrages geschah damals über die Rechtsradikalen, weil schon mal die Realitäten übersehen wurden. Auch damals wurde versucht, insbesondere durch die USA und Großbritannien, Deutschland gegen Rußland, Sowjetrußland, in Stellung zu bringen, wozu die so verteufelte „Appeasement“-Politik des Westens ihren Beitrag geleistet hat. Die Folgen waren furchtbar.
In den 30 Jahren der vermeintlichen „Weltinnenpolitik“ haben sich die Methoden der US-Außenbeziehungen dahingehend perfektioniert, daß an die Stelle des seit Ende der 40er Jahre in Form der UNO geltenden Völkerrechts, das ja die zwischenstaatlichen Beziehungen regeln soll, einseitig zunehmend moralisierende Kriterien gesetzt werden. Permanent werden realpolitische Fakten geschaffen (!), wie Syrien oder der sogenannte Ukraine-Rußland-Konf likt, die dann mit den Narrativen von Demokratie, Freiheit, Menschenrechten, Solidarität (!), nun auch Klima, „bearbeitet“ werden, denen scheinbar niemand widersprechen kann. Die grüne Außenministerin „revolutioniert“ auch eben die deutsche Außenpolitik, indem sie sie in eine Mission („Klima-Botschaften“) verwandelt. Die Chinesen (Boxer) erinnern sich noch gut, wie das mit den westlichen Missionaren vor 120 Jahren bei ihnen ausging, die Europäer offensichtlich nicht.
Die Containment-Doktrin hat für die USA also auch nach 75 Jahren nicht ausgedient, die Reorganisation der internationalen Beziehungen im 21. Jahrhundert hat jedoch begonnen. Wenigstens wir Friedensbewegten sollten dies verstehen, wenn es schon unsere Missionare nicht vermögen. Dann werden wir auch die Ziele einer neuen Friedensbewegung erkennen können.
Dr. Jochen Willerding Rangsdorf
Aus: Mittleilungen der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke, März 2022
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