Entnommen: https://linkezeitung.de/2023/06/15/zwischen-wahn-und-hybris-die-nationale-sicherheitsstrategie/
Zwischen Wahn und Hybris – die “Nationale Sicherheitsstrategie”
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 15. JUNI 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Dagmar Henn – https://meinungsfreiheit.rtde.life
Nun ist sie also fertig, die lang angekündigte “Nationale
Sicherheitsstrategie”. Und man merkt ihr an, wie lange an ihr gearbeitet
wurde, weil dieses Deutschland, auf das sie sich bezieht, gar nicht
mehr existiert. Dafür gibt es aber heute ganz viele “Werte”.
Man weiß wieder einmal nicht, ob man lachen oder heulen soll. Aber auch,
wenn es viele von maßloser Überheblichkeit geprägte Passagen in dieser
neuen Sicherheitsstrategie gibt und sich hinter manch schmeichelnd
formulierter Absicht finsterste Pläne verbergen – herausragend ist vor
allem eines: mit der konkreten Wirklichkeit hat das Papier nicht viel zu
tun.
Russland hat ein außenpolitisches Konzept, Deutschland hat Baerbock
Nicht nur, weil es vor lauter Phrasen schon eine allererste Bedingung
nicht erfüllt, nämlich die Voraussetzungen für eine solche Strategie zu
benennen, und zwar das konkret und nachvollziehbar, was man das
nationale Interesse nennt. Man kann kein Interesse schützen wollen, das
man nicht kennt. Das allerdings, was irgendwie in die Nähe der Benennung
eines solchen Interesses gerät, können sie am Ende dieses Textes
finden, in der Witzabteilung.
Jenseits dessen findet man vor allem eine sehr eigenartige Weltsicht.
Man kann ja gerne leidenschaftlich Propaganda betreiben, aber Strategien
sollte man auf einer möglichst nüchternen Grundlage entwickeln. Jener
Satz, der zusammenfassend das Land beschreiben soll, um das es geht,
beginnt mit “Als bevölkerungsreichstes Land und größte Volkswirtschaft
im Herzen Europas”. Und nun würde man erwarten, dass von Rohstoffen,
Lebensmittelversorgung, Wirtschaftszweigen, Verkehrswegen und
dergleichen die Rede sein wird, um die unabänderlichen materiellen
Grenzen des politischen Handelns zu benennen. Aber nein, es geht weiter
mit: “… trägt Deutschland besondere Verantwortung für Frieden,
Sicherheit, Wohlstand und Stabilität sowie einen nachhaltigen Umgang mit
unseren Lebensgrundlagen.” Moment einmal, möchte man sagen, da geht es
schon um das Drumherum, also um eine Verantwortung gegenüber anderen.
Können wir nicht zuerst einmal die Verantwortung für das eigene Land
klären?
Nein! In diesem Abschnitt ist erst die Rede von der Freundschaft mit
Frankreich, und dann ist sogleich die “enge Verbundenheit und
Partnerschaft mit den USA” an der Reihe. Gibt es irgendwo in diesem
Papier eine Begründung für diese “Partnerschaft”? Nitschewo, niente,
nimmt man halt mal so als gegeben hin, aber das mit Verve.
Scholz, Baerbock und der ungerechte Nichtfriede
Russland und China werden beide, wenn auch in leicht unterschiedlichem
Maße, als Bedrohung definiert. Warum? Weil “Russlands Angriffskrieg
gegen die Ukraine” “ein Bruch des Völkerrechts” sei. Selbst wenn man das
glaubt – zwischen der Ukraine und Deutschland liegen doch noch
zweieinhalbtausend Kilometer. Von China wollen wir gar nicht erst reden.
Es gibt aber nicht mehr Begründung als ein kryptischer Verweis auf eine
gewisse Fernwirkung: “Unsere Sicherheit ist verbunden mit der
Sicherheit und Stabilität anderer Weltregionen.”
Natürlich ist man ansonsten für das Wahre, für alles Gute und Schöne und
bekämpft Armut und Hunger, soziale Ungleichheit und die Klimakrise –
weltweit, versteht sich. Wobei natürlich alles Ungemach – außer der
menschengemachten Klimakrise – quasi vom Himmel fällt und nichts, aber
rein gar nichts mit einer Handels- und Machtpolitik zu tun hat, die auch
von Deutschland und über Bande auch mittels der EU betrieben wird,
selbst wenn mit dem beabsichtigten “Karbonzoll” gerade ein neues Mittel
geschaffen wird, um die, die schon unten sind, auch ja auf ewig ganz
unten zu halten.
Nein, alles Negative auf der Welt ist entweder naturgegeben oder das
Ergebnis feindlicher, nämlich russischer oder chinesischer Einflüsse.
Man selbst ist völlig unschuldig.
“Dort, wo Regierungen Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit untergraben,
richten wir unsere Zusammenarbeit stärker auf nichtstaatliche Akteure,
die lokale Ebene sowie auf multilaterale Ansätze aus. Zugleich stärken
wir jene Partnerregierungen, die sich wie wir für die internationale
Ordnung auf Grundlage des Völkerrechts einsetzen.”
Dieser Abschnitt ist deshalb von zentraler Bedeutung, weil im ganzen
Text immer wieder von fremder “illegitimer Einflussnahme” die Rede ist,
die man unter anderem auch in Deutschland energisch unterbinden wolle.
Die genannten nichtstaatlichen Akteure, das ist die Unzahl an NGOs, die
sich vielerorts im Ausland so unangenehm bemerkbar machen und deren
Funktion natürlich vor allem Einflussnahme ist. Aber es macht eben einen
entscheidenden Unterschied, wer da bei wem Einfluss nehmen darf – oder
einfach nimmt.
Rechtsbeugung im Hause Baerbock? Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Visa-Affäre
Ein Spiel, in dem Deutschland übrigens sogar erfahrener ist als die USA.
Denn das National Endowment for Democracy wurde schließlich nach dem
Vorbild der Auslandsstiftungen bundesdeutscher Parteien aufgebaut, als
eine direkte Finanzierung durch die CIA dank deren schlechten Rufs nicht
länger opportun war. Den Absatz übersetzt man also besser so: Überall,
wo Regierungen auf Souveränität setzen, setzen wir unsere NGOs in
Marsch. Sicher davor ist nur, wer sich freiwillig unterwirft.
Selbstverständlich gilt so etwas dann als legitime Einflussnahme, wie
auch die Aktivität all der US-amerikanischen Gegenstücke in Deutschland
deshalb kein Problem ist, weil das ja nicht “illegitim” ist.
Genauso täuschend ist das, was in der Zusammenfassung dann so
beschrieben ist: “Die Bundesregierung will die globale
Ernährungssicherheit durch eine Transformation hin zu nachhaltigen
Agrar- und Ernährungssystemen stärken.” Dahinter stecken die
“Klimaschutz”-Vorgaben, beispielsweise den Einsatz von Kunstdünger zu
beenden. Dieser Schritt führte letztes Jahr auf Sri Lanka unmittelbar in
eine Hungersnot. Einen Kommentar zu dem Text über das Thema “Pandemien”
kann man sich, glaube ich, schenken; alle wissen noch aus eigener
Erfahrung, was sich dahinter verbirgt.
Der Charme der augenblicklichen schrägen Sicht der Verfasser auf die
eigene Geschichte zeigt sich unter der Überschrift
“sicherheitspolitische Identität”. “Wir handeln im Bewusstsein unserer
Geschichte und der Schuld, die unser Land mit der Entfesselung des
zweiten Weltkriegs und im Zivilisationsbruch der Shoah auf sich geladen
hat.” Was ist die Konsequenz daraus? Richtig, die “Verantwortung für das
Existenzrecht Israels”. Und Russland ist schließlich wieder der Feind.
Die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik sei “wertebasiert und
interessegeleitet”. Aber die Interessen gleiten gleich wieder ins
Ideologische und Immaterielle. “Die Festigung der transatlantischen
Allianz und der engen und vertrauensvollen Partnerschaft mit den
Vereinigten Staaten von Amerika.” Das ist allerdings etwas, das man
insbesondere nach Nord Stream ausführlichst begründen müsste, wenn man
das als “nationales Interesse” verkaufen will.
Aber schließlich können weder die USA noch Deutschland ein Wässerchen
trüben; während selbst China “immer offensiver eine regionale
Vormachtstellung” beanspruche und gezielt seine Wirtschaftskraft
einsetze, um politische Ziele zu erreichen. Denn das hat natürlich
nichts mit dem zu tun, was weiter hinten steht: “Die Bundesregierung
setzt sich für einen zielgerichteten und flexiblen Einsatz von
Sanktionen der EU ein und stellt eine effektive Sanktionsdurchsetzung
auf nationaler Ebene sicher.”
Streit um nationale Sicherheitsstrategie
Nein, wenn es nicht gerade Russland in der Ukraine betrifft, dann fallen
alle sonstigen Konflikte weltweit irgendwie vom Himmel, und man selbst,
in Deutschland, ist völlig unschuldig: “In Syrien und Irak, in Libyen,
am Horn von Afrika und im Sahel etwa dauern Konflikte oft schon seit
vielen Jahren an.” Das tun sie einfach so, diese bösen Konflikte, und
spucken am Ende Terroristen aus, die dann selbst Europa gefährden, was
selbstverständlich gar nichts damit zu tun hat, dass man sie zuvor
jahrelang gepäppelt und gepflegt hatte, von al Qaida über die syrische
“Opposition” bis hin zu den Ukronazis. Nein, man hat die Nase noch lange
nicht voll und erklärt stolz “… global bleibt auch der Indopazifik für
Deutschland und Europa von besonderer Bedeutung”.
Man ist nun einmal der Möchtegernsekundant des ganz großen Räubers und
schreibt deshalb so, als wäre man ziemlich groß und stark. Allerdings
ist das nur leider während der Zeit, in der an dieser Strategie
geschrieben wurde, irgendwie verrutscht, abgerutscht – und der
ökonomische Motor der EU wurde ausgebaut. Unter anderem deshalb klingen
so viele Abschnitte heute nur noch lächerlich. Denn “Deutschland mit
seiner wirtschaftlichen Stärke, seinem diplomatischen Gewicht” – das war
einmal. Auch wenn man sich in Berlin um die Erkenntnis drückt:
Spätestens seit Nord Stream ist selbst in Zentralafrika klar, dass man
lieber gleich mit dem Chef der Bande spricht, wenn man wirklich etwas
will, weil ein Plausch mit der kindlichen Räuberprinzessin reine
Zeitverschwendung ist.
Ohnehin hat diese Bundesregierung wenig Ahnung, was Staatlichkeit
überhaupt bedeutet. Ein schönes Exempel dafür ist dies: “Die
Bundesregierung wird gezielt Anbieter kritischer Schlüsseltechnologien
mit geeigneten Maßnahmen, z.B. durch staatliche Ankeraufträge,
unterstützen, um eigene Fähigkeiten zu Forschung und Entwicklung in
kritischen Technologien zu erhalten und weiterzuentwickeln.” Als Staat
macht man das eigentlich direkter. Man forscht selbst, an den
vorhandenen Universitäten und Instituten. Aber so simpel kann dieser
neoliberal verseuchte Haufen gar nicht mehr denken und braucht erst
Unternehmen, denen man Aufträge erteilt, damit diese dann vielleicht
forschen. Teuer, unsicher, langsam und unter Umständen – wie die
Pfizer-Nummer gezeigt hat – extrem gefährlich.
Außenministerin Baerbock in China: “Anschlag auf Nord Stream hat keine weltweiten Auswirkungen”
Richtig gut ist übrigens der da: “Die Bundesregierung verbessert die
digitalen Infrastrukturen, unter anderem durch den Ausbau von
Glasfaserverbindungen und schnellem Mobilfunk.” Wann war so etwas zum
ersten Mal zu hören? Damals hießen der Bundesforschungsminister noch
Riesenhuber und der Bundeskanzler Helmut Kohl.
Die Nummer mit dem Weltraumlagebild und dem Weltraumlagezentrum ist auch
nicht schlecht. Über die Pläne zur Entwicklung der Bundeswehr kann man
auch herzlich lachen, den mit der “glaubhaften Abschreckung”. Wenn diese
Regierung wenigstens aus der Schule den Spruch mit “tu felix austria,
nube” – du, glückliches Österreich, heirate – im Kopf behalten hätte –
nicht in dem Sinne, dass es nutzbringend wäre, die deutsche
Außenministerin Annalena Baerbock zu verkuppeln, sondern dass es auch
noch kluge, beiderseits nutzbringende Diplomatie gibt, die einen
wesentlichen Beitrag zur Sicherheitspolitik leisten könnte – wenn man
sie denn beherrschen würde. Andererseits ist es vielleicht die einzig
wahrhaftige Selbsteinschätzung, dass in dieser Strategie solche
klassische Diplomatie gar nicht erst erwähnt wird.
Freude hat man auch an diesem Satz, der auf die Aussage folgt, dass
“neue parallele Institutionen” (vulgo BRICS etc.) ein “stabiles
Finanzsystem” (das “stabile Finanzsystem” ist eigentlich auch ein
Brüller) unterminieren würden: “Erschwerend kommt hinzu, dass es in
vielen Staaten an Strukturen zur effektiven Bekämpfung von Korruption,
Steuerhinterziehung und Wirtschafts- und Finanzkriminalität fehlt.” Vor
dem Hintergrund von Cum-Ex und Pfizers SMS ein wirklich treffender Satz,
nach dem hierzulande noch viel aufzuarbeiten bliebe.
Sanktionen: Die Bundesregierung hat nicht einmal nachdenken lassen – Teil 1
Das allerschönste Beispiel dafür, wie sehr diese “Nationale
Sicherheitsstrategie” in einer Welt spielt, die es nicht gibt, liefert
allerdings wieder einmal Annalena Baerbock selbst in ihrem Vorwort. Es
ist nicht einmal der Satz, Sicherheit bedeute, “dass im Winter unsere
Heizungen laufen”. Obwohl auch der schon nicht einmal schlecht ist.
Aber er wird noch einmal weit übertroffen von diesem Satz: “Dass wir
sicher zur Arbeit kommen, weil unsere Züge nicht durch Cyberanschläge
lahmgelegt sind.” Irgendjemand sollte ihr einmal sagen, dass der arme
Mensch, der diesen bösen Cyberanschlag beabsichtigt, einen Moment
erwischen müsste, in dem kein Gleis gebrochen, keine Lokomotive
funktionsuntüchtig, keine Signalanlage ausgefallen, keine Klimaanlage
kaputt, kein vorausfahrender Zug liegengeblieben, kein Unfall mit
Personenschaden passiert, kein Lokführer erkrankt, kein Ersatzzug nicht
auffindbar und kein Frühjahr, Sommer, Herbst oder Winter ist – sprich,
die Deutsche Bahn wirklich mal nach Fahrplan fährt. Sonst würde das
nämlich niemand bemerken.
Und ungefähr so steht es mit allen anderen, den wirklichen Sicherheitsfragen auch.
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