Montag, 19. Juni 2023

"Ein Volk von Judenhassern? ... Buchtipp zu Arn Strohmeyers neuem Buch

 

Liebe Nahostinteressierte,

Hermann Dierkes hat eine Rezension über mein neues Buch Ein Volk von Judenhassern? Einwände gegen die deutsche Antisemitismus-Hysterie geschrieben, die ich hier rumschicke.

Beste Grüße

Arn Strohmeyer 



Hermann Dierkes über Arn Strohmeyers neues Buch


"Ein Volk von Judenhassern? Einwände gegen die deutsche Antisemitismus-Hysterie“


Der Bremer Journalist Arn Strohmeyer hat seine zahlreichen Artikel und Bücher zum Thema Nahost, Israel – Palästina und die Rolle der deutschen Politik soeben um einen weiteren Band bereichert. Dieser befasst sich schwerpunktmäßig mit der seit einigen Jahren anhaltenden Antisemitismus-Hysterie in Deutschland, ihren Ursprüngen, Akteuren, den antidemokratischen Auswirkungen und ihren internationalen Kritikern. ”Wir leben glücklicherweise in einer Zeit”, so Strohmeyer, ”in der nirgendwo auf der Welt Juden staatlicherseits verachtet, diskriminiert oder sogar mit Gewalt bedroht werden. Wenigstens in diesem Punkt hat das Entsetzen über den Holocaust Wirkung gezeigt: Das öffentliche Vertreten von Antisemitismus ist global tabuisiert.”


”Warum ist dann aber in Deutschland und anderswo in der Welt”, so fragt Strohmeyer, ”der Antisemitismus das politische Dauerthema, das ständig im Mittelpunkt einer aufgeregten und hysterischen Debatte steht, als bestände für die hierzulande lebenden Juden eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben?” Und er zitiert den israelischen Sozialwissenschaftler Moshe Zuckermann, der fragt: ”Warum zeitigen andere Formen des Rassismus, der Fremdenfeindlichkeit und der alltäglichen Durchbrechung zivilgesellschaftlicher Normen und Konventionen keine vergleichbaren Reaktionen?” Denken wir nur, so möchte ich hinzufügen, an die verbreiteten diskriminierenden und sogar ausgesprochen rassistischen Einstellungen – und durchaus auch Handlungen – gegen Muslime und Afrikaner, an Frauenfeindlichkeit und Ausgrenzung von Menschen anderer sexueller Orientierung.


”Gibt es einen 'neuen Antisemitismus', der in der Welt und besonders in Deutschland auf dem Vormarsch ist?” fragt Strohmeyer. Seriöse Untersuchungen (u.a. Benz, Kempf) bestreiten das bzw. kommen zu differenzierteren Ergebnissen. Juden und Israelis selbst sehen den Antisemitismus in Deutschland – d.h. die Diskriminierung von Juden, weil sie Juden sind – als eher randständig an. Und doch wir befinden uns, so der Autor, in einer Art Ausnahmezustand (Bundestagbeschluss gegen BDS, versuchte Veranstaltungs-, Konzert und Demonstrationsverbote in Berlin, München, Frankfurt oder Köln, Kampagne gegen die Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Skandalisierung der Kasseler Documenta und anderer, selbst jüdischer Künstlergruppen, Schmähkritik am Aufruf der über 100 Kulturschaffenden, die sich gegen den ungerechtfertigten Vorwurf des Antisemitismus wehren, die üble Kampagne gegen den Rockstar Roger Waters, der sich für die Rechte der Palästinenser engagiert usw.).


Die Furcht vor Antisemitismus prägt die Politik aller Bundestagsparteien, sie veranlasst Kulturfunktionäre, Lehrpersonal, Sendeleiter und Journalisten zum Griff nach der ”Schere im Kopf”. ”Noch viel mehr”, so der Autor, ”als bei den Themen Russland und Ukraine bestimmen hier die Merkmale 'Lücken' und 'doppelte Standards' die journalistische Agenda.” Selbst nach dem Antritt der bisher rechtesten Regierung mit offen rassistischen und annexionistischen Ministern und millionenfachen Protesten gegen den versuchten Verfassungsputsch der Regierung Netanjahu und neuen Skandalen wie der von der israelischen Regierung genehmigte Export von Ausforschungs-Software wagen einige Medien erst tendenziell eine kritischere Thematisierung.


”Ein ganzer Stab”, so Strohmeyer, ”von beamteten und hochbesoldeten Antisemitismusjägern überwacht die Gesinnung der Bürger – vor allem darüber, dass die politische Korrektheit gegenüber Israel eingehalten wird. Die Realität dieses Staates wird ganz ausgeklammert.” Statistiken werden erstellt und manipuliert, um den ”wachsenden Antisemitismus” zu beweisen, wobei nicht Judenfeindlichkeit in Wort und Tat, sondern Kritik an der israelischen Politik den grössten Anteil erreicht. Es handelt sich, so der Autor, um eine völlige Umkehrung des traditionellen Antisemitismus-Begriffs. Mit dem ”neuen” oder ”israelbezogenen Antisemitismus” ist offensichtlich keine (rassische) Abwertung oder Diffamierung von Juden gemeint, sondern die gegen Israel gerichtete Kritik.


Es handele sich, so der israelische Wissenschaftler Daniel Blatman, um ”funktionalen Antisemitismus”. Er basiere auf dem Prinzip, dass jeder, den bestimmte Juden als antisemitisch definieren wollten, als solcher definiert werde.” Die lebenswichtige Aufgabe des Kampfes gegen den (noch durchaus vorhandenen realen – H.D.) Antisemitismus wird durch das Konzept des 'neuen Antisemitismus' (funktionalen oder israelbezogenen Antisemitismus – H.D.) eher verwässert als gestärkt, weil es versucht, die jüdische Identität an ein nationalistisches Projekt zu binden. Absoluten Vorrang hat hierbei nicht das Wohlergehen der jüdischen Menschen, sondern die zionistische Agenda.”


Bundespräsident, Bundeskanzler und viele andere auf der politischen Bühne bis hin zur AfD - beschwören die unverbrüchliche Freundschaft mit Israel und sein ”Existenzrecht”. Sie beteuern, dass die Sicherheit Israels ”deutsche Staatsräson” sei und dass man ”gemeinsame Werte” vertrete. Aber sie hüten sich davor, auch nur einmal zu spezifizieren, worin diese denn bestehen sollen. Sind es die Apartheidverhältnisse, die von seriösen Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty oder B’Tselem und UN-VertreterInnen gründlich untersucht und angeprangert werden? Ist es das diskriminierende Rechtssystem, dass sich gegen die zwei Millionen israelischen Araber richtet, das man ”gemeinsam hat”?


Ist es die nun schon seit 1967 anhaltende brutale Besatzung, Unterdrückung, Vertreibung und Enteignung der rd. fünf Millionen Palästinenser im Westjordanland oder im Gaza-Streifen? Sind es die weitgehend rechtlosen politischen Gefangenen, unter denen jährlich hunderte Kinder sind? Sind es die ständig von der Besatzungsmacht oder rechtsradikalen Siedlern schikanierten, schwer verletzten und kaltblütig ermordeten Kinder, Jugendlichen und Alten, die als ”Eindringlinge” und ”Terroristen” verleumdet werden? Sind es die massiven Bombardements von Wohnsiedlungen, die massiven Kollektivstrafen (Hauszerstörungen), wenn jemand aus einer palästinensischen Familie wegen Widerstandshandlungen verhaftet wurde? Ist es der dreiste Ressourcenraub, vor allem an Wasser, damit die zahlreichen illegalen Siedlungen buchstäblich schwimmen können, wären palästinensische Familien Durst leiden?


Und hier liegt der Hase im Pfeffer – wer das alles nicht kritisiert, billigt, offen verteidigt und mitfinanziert und ihm ein unverbüchliches Existenzrecht zuschreibt, der muss die israelisch-zionistische Staats- und Rechtfertigungsideologie und Schritt für Schritt auch ihre undemokratischen Methoden übernehmen. Der muss, so wie jüngst EU-Kommissarin von der Leyen aus Anlass des Gründungsjubiläums Israels in einer Fernsehrede eine absurde, die Realität dreist verfälschende Sicht der Verhältnisse verbreiten und von ”blühender Demokratie und beispielhaften Aufbauleistungen” faseln, ohne strukturelle Diskriminierung, Unterdrückung, Besatzung und fortdauernde Annexion auch nur zu erwähnen. Und


Strohmeyer fragt: ”Wie ist so eine Entwicklung möglich?” Seine Antwort: ”Nach dem Holocaust war die bewusste oder unbewusste deutsche Schuld so gross, dass man das Verlangen nach Entlastung und Sühne ganz auf den gerade erst entstandenen Staat Israel richtete, aber nicht den realen siedler-kolonialistischen Staat, der sich gerade erst 1948 durch das Vertreibungsverbrechen an den Palästinensern (Nakba) etabliert hatte, sondern auf ein ideales Wunschbild von Israel – den politisch unschuldigen Staat der Holocaust-Überlebenden. Das war er zwar auch, aber die inhumane Seite des zionistischen Unternehmens wurde deutscherseits verschwiegen und verdrängt. Die deutschen Eliten, von der große Teile eben noch dem Antisemitismus angehangen hatten, mutierten nun zum Philosemitismus, unterstützten das zionistische Projekt ohne jeden Vorbehalt. Was auch bedeutete, dass man die humanen und demokratischen Werte, denen die Bundesrepublik nach den NS-Verbrechen und nach dem eigenen Grundgesetz eigentlich verpflichtet ist, in Bezug auf Israel negierte. Die Folge waren eine permanente Unehrlichkeit und Unaufrichtigkeit (…). Die deutsche Politik wurde zum Verbündeten, wenn nicht zum Komplizen einer kolonialistischen Unterdrückungspolitik.”


Die politische Rechte und viele Neonazis, so könnte man hinzufügen, sind da offener. Ihnen gefällt die ethno-nationalistische Ausgrenzung und Repressivität der israelischen Politik, die sich vor allem gegen die muslimischen Araber bzw. Palästinenser richtet oder die massenhafte Ausweisung von Flüchtlingen. Die israelische Mainstream-Politiker und die Siedlerbewegung haben indes keine Skrupel, Antisemiten, Rechtsradikale und Nazi-Freunde aus aller Welt zu empfangen und sie in der Gedenkstätte Yad Vashem ihre Freundschaft zum Staat Israel demonstrieren zu lassen.”Der aus Schuldgefühlen geborene deutsche Philosemitismus”, so Strohmeyer weiter, ”muss den Israelis (…) entgegenkommen. Anerkennend wird sicher auch in Israel vermerkt, dass die Deutschen den Opferstatus, den Israel sich selbst zuspricht, anerkennen und auch keine Unterscheidung zwischen Judentum, Zionismus und Israel vornehmen, also vor allem das Diktum akzeptieren, dass Kritik an der israelischen Politik Antisemitismus ist.”


Die israelische Regierungspropaganda versteht es, äusserst geschickt und skrupellos auf diesem Klavier zu spielen und die deutsche Politik immer wieder in ihre selbstgebaute Falle (”Sicherheit Israels ist Staatsräson”) zu treiben. Zeitgeschichtlich wäre zu diagnostizieren, dass der von Israel und seinen Helfershelfern weltweit mit grossem Aufwand betriebene Kampf gegen den Antisemitismus – so wie ihn die zionistische Staatsideologie versteht – deshalb so aufgeblasen wird, weil er wirklich das allerletzte Argument ist, um seine Verbrechen zu rechtfertigen und zu vertuschen. Mainstreampolitiker in Israel machen daraus überhaupt kein Geheimnis und spucken den ”gemeinsame Werte”-Propagandisten geradezu ins Gesicht: ”Wir brauchen keine Menschenrechte und kein internationales Recht. Wir haben unsere eigenen Werte.”


Der Zionismus hat – nachdem die Vernichtung der europäischen Juden für ihn in den fünfziger Jahren kaum eine Rolle gespielt hat, weil der Aufbau des Staates für ihn die Kernfrage war, selbst erst zu Beginn der sechziger Jahre eine Wende eingeleitet. Die Rettung der bedrohten Juden oder auch nur energische Versuche zu ihrer Rettung, indem man etwa westliche Regierungen unter Druck gesetzt hätte, entschieden mehr Flüchtlinge aufzunehmen – wurden in der Zeit, als der Holocast in Europa stattfand, dem Staatsaufbau brutal untergeordnet. Man setzte sich vor allem für die Minderheit von Juden ein, die nach Palästina emigrieren wollte, selbst in Kollaboration mit Nazi-Verantwortlichen und opferte dafür Hunderttausende.


Die zionistischen Organisationen wie die Jewish Agency und die vorstaatliche Organisation in Palästina (der Jischuw) verharmlosten und verschwiegen sogar die laufenden Massenmorde, über die sie authentische Berichte bekamen. Es handelt sich hier um eine tatsächliche Kriminalgeschichte des Zionismus, die man im offiziellen Israel und auch anderswo verschweigt. Soeben hat der britische Journalist Tony Greenstein dazu ein wohldokumentiertes Buch veröffentlicht (Zionism During The Holocaust) – es ist zu hoffen, dass sich auch in Deutschland ein Verlag findet und den Mut hat, dieses wichtige Werk zu publizieren).


Noch unter Ministerpräsident Ben Gurion und auf dem Hintergrund des Prozesses gegen den Nazi-Verbrecher Eichmann wurde indes eine totale ideologische Kehrtwende eingeleitet. Jetzt verschaffte man sich das Monopol über das Holocaust-Gedenken. Aus zionistischer Sicht ist der Holocaust seitdem kein Megaverbrechen gegen die Menschheit, sondern allein gegen die Juden, ist insoweit ”einzigartig”. Das – aus universalistischer Sicht – gigantische Verbrechen gegen die Menschheit wurde zum Partikularinteresse umgedeutet und funktionalisiert. Alle anderen und zahlreichen Opfer der Naziherrschaft – aus der Arbeiterbewegung, der Roten Armee, Sinti und Roma, Behinderte, Homosexuelle usw.) wurden aus dem Gedenken praktisch verdrängt.


Ab nun konnte und wollte man Deutschland und andere Mächte angesichts ihrer Verbrechen oder wegen unterlassener Hilfeleistung mit dem Holocaust gefügig machen. Auch jeder Vergleich mit anderen Völkermorden (während der Kolonialzeit in Afrika und Asien, während der Sklaverei in Amerika, an den Indianern, den Armeniern …) wird von den Zionisten zurückgewiesen, weil er den Holocaust verkleinere und als antisemitisch gebrandmarkt. Kritiker dieser Masche wie Hannah Arendt wurden schon damals niedergemacht.


An dieser Stelle hätte Arn Strohmeyer sein Buch um ein Kapitel ergänzen oder zumindest auf einschlägige Publikationen – darunter seine eigenen - verweisen sollen. Ich meine die handfesten wirtschaftlichen, militärischen und geostrategischen Interessen deutscher Politik, der EU und der NATO, was Israel und den nahen Osten betrifft, für die die ”historischen Verpflichtungen” ein willkommener Deckmantel sind, wenn Völker- und Menschenrecht so nachhaltig missachtet werden.


Im Rahmen seiner übergreifenden Argumentation behandelt Strohmeyer eine Reihe einzelner Aspekte, darunter den Streit um den richtigen Antisemitismusbegriff, die fragwürdige Definition der IHRA, die dagegen gerichtete Jerusalemer Erklärung vom März 2021 von über 200 Antisemitismus- und Holocaust- Forschern sowie die verheerenden Auswirkungen auf Meinungsfreiheit, Wissenschaftsbetrieb und Medien. Viel Raum nimmt auch die Auseinandersetzung mit den Positionen der Akademiker Haury und Holz ein, die sich – als sog. Antideutsche – ”die Ideologie des Zionismus vollständig zu eigen machen und jeder Empathie und jedem Verständnis für die unterdrückten Palästinenser eine Absage erteilen” - und vor allem die breite politische Linke, Menschen- und Völkerrechtler des Antisemitismus bezichtigen.


Die Auseinandersetzung mit Haury und Holz, so Strohmeyer, sei wichtig, weil ihre Art der Argumentation sich in weiten Kreisen und in den meisten Medien durchgesetzt hat. Auch mit der offiziellen deutschen Erinnerungs- und Israelpolitik gibt es große Übereinstimmungen”. Der Autor nimmt, wie stets in seinen Publikationen, auch hier wieder Bezug auf Wissenschaftler und Journalisten des anderen Israel, die die einschlägige politische Entwicklung in Deutschland eingehend verfolgen und kritisieren (so Omri Böhm, Daniel Blatman, Alon Confino, Ofer Grosbard, Amira Hass, Eva Illouz, Gideon Levy, Ilan Pappe, Moshe Zuckermann). Das Buch schliesst mit einem Kapitel: Die richtigen Lehren aus dem Holocaust ziehen – ein Appell an die deutsche Politik. Bewertung: Sehr zu empfehlen!


Ein Volk von Judenhassern? Einwände gegen die deutsche Antisemitismus-Hysterie

von Arn Strohmeyer

Gabriele Schäfer Verlag, Herne 2023, 240 Seiten, 18,60 €

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