Entnommen: https://linkezeitung.de/2023/06/05/was-wuerde-russland-als-sieg-ansehen/
Was würde Russland als Sieg ansehen?
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 5. JUNI 2023 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
von Thomas Röper – http://www.anti-spiegel.ru
Eine Frage, die immer wieder gestellt wird – nicht nur im Westen,
sondern auch in Russland, ist: Was würde Russland als Sieg in der
Ukraine ansehen, was sind seine Ziele heute? Darauf gab es im russischen
Fernsehen eine interessante Antwort.
Im wöchentlichen Nachrichtenrückblick des russischen Fernsehens ging es
am Sonntag auch um die Frage, worum es in der Ukraine heute eigentlich
geht, was Russland als Sieg in der Ukraine ansehen würde, was Russlands
Ziele in der jetzigen Situation sind. Ich habe den russischen Beitrag
übersetzt.
Beginn der Übersetzung:
Es ist immer gut, den Blick nach oben zu richten, über die unmittelbaren
Aufgaben hinauszublicken und neu zu bewerten, wo wir uns befinden, um
zusammenzufassen, was bereits klar zu sein scheint. Beim Militär nennt
man das Rekognoszierung, wenn man sich vor einem Angriff noch einmal
Landkarten ansieht, Positionen klärt, sich orientiert,
Orientierungspunkte bestimmt und alles neu abwägt. Die Rekognoszierung
kann nicht nur militärisch, sondern auch historisch sein, wenn wir die
Besonderheiten des Augenblicks, die historische Logik im Handeln
formulieren, ein Schema entwerfen, um das Ursache-Wirkung-Prinzip zu
bestimmen. Etwas Ähnliches hat Wladimir Putin getan, als er eine Frage
zum ukrainischen Drohnenangriff auf Moskau beantwortete. Alle sind
erschrocken, aber worum ging es da eigentlich?
„Es begann alles vor langer Zeit. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR war
es unvermeidlich, dass es einen gewissen Wettbewerb zwischen Russland
und der Ukraine geben würde. Das ist selbstverständlich, aber
anscheinend gingen diejenigen, die daran beteiligt waren, davon aus,
dass alles auf eine zivilisierte Weise ablaufen würde, und zwar auf der
Grundlage unserer Nähe zueinander, der gemeinsamen Geschichte, Kultur,
Sprache und so weiter. Aber leider ist es anders gekommen, was man auch
hätte erwarten können. Im Grunde genommen wurde das Gebiet, das Ukraine
genannt wird, von Anfang an von Menschen kontrolliert, die vom Westen
aus geführt wurden. Und sie haben den Weg beschritten, nicht einfach nur
gegen Russland zu kämpfen, sondern auf diesem Gebiet ein Anti-Russland
zu schaffen. Sie mussten die Menschen berücksichtigen, die im Südosten
der Ukraine lebten – eine große Anzahl von Wählern. Ich möchte Sie auch
daran erinnern, dass sich die Ukraine bei ihrem ersten Schritt in die
Unabhängigkeit zu einem neutralen Staat erklärt hat – so steht es in
ihrer Unabhängigkeitserklärung“, sagte Wladimir Putin.
Das ist alles richtig, aber für die erklärte Aufgabe – „Die Ukraine ist
ein neutraler Staat“ – reichte die Kraft der ukrainischen Elite nicht
aus, denn dabei geht es um Souveränität, und Souveränität ist eine
schwierige Entscheidung. Es schien ihnen einfacher zu sein, sich auf den
Westen zu stützen. Und von welcher Neutralität kann dann die Rede sein?
Putin fuhr fort: „Stattdessen gingen sie allmählich in eine andere
Richtung – zur NATO, einer Organisation, die Russland feindlich gesinnt
ist und nur zum Kampf gegen die Sowjetunion, Russland, gegründet wurde.
2008 erklärten sie, ohne dass es militär-politische Spannungen gegeben
hätte, dass sie der NATO beitreten wollten. Und die westlichen Länder –
die Länder des Bündnisses – verkündeten auf dem Gipfel in Bukarest, wenn
ich mich nicht irre, dass die Tür zur NATO für die Ukraine offen sei.
Nicht nur wurden wir getäuscht, als uns gesagt wurde, dass es keine
NATO-Osterweiterung geben würde, sondern sie wollten auch in die
Ukraine.“
Bekanntlich haben die 2014 den Staatsstreich durchgeführt und damit
begonnen, jeden einfach zu vernichten, der irgendwie normale Beziehungen
zu Russland aufbauen wollte. Darüber hinaus haben sie den Krieg im
Donbass begonnen. Dann haben sie alle betrogen und behauptet, dass sie
das Problem friedlich lösen wollten. Jetzt sagen sie offen, dass sie
alle nur betrogen haben, um Kräfte zu sammeln und Kampfhandlungen zu
entfesseln, auch gegen die Krim.“
Sie haben alle betrogen und parallel dazu den Beschuss des Donbass
fortgesetzt. Sie haben Zivilisten und Kinder getötet und ein Massaker an
Millionen von Russen im Donbass vorbereitet. Die Art, wie Budanow jetzt
das Massaker an Millionen Krimbewohnern vorbereitet, zeigt uns das
erklärte Ziel. Und niemand im Westen widerspricht dem. Aber was soll
Russland unter diesen Bedingungen tun, unter den Bedingungen des bereits
2014 entfesselten Krieges?
Putin sagte dazu: „Russland war gezwungen, auf den im Donbass vom
ukrainischen Regime entfesselten Krieg zu reagieren, wir alle waren
gezwungen, mit der Militäroperation zu antworten, die das Gebiet der
Ukraine angreift, aber mit Präzisionlenkwaffen mit großer Reichweite und
speziell auf militärische Infrastruktur oder Lager mit Munition oder
Treibstoff, die für Kampfhandlungen verwendet werden. Wir haben auch
schon über die Möglichkeit von Schlägen gegen Entscheidungszentren
gesprochen. Natürlich fällt auch das Hauptquartier des ukrainischen
militärischen Geheimdienstes, das kürzlich getroffen wurde, in diese
Kategorie. Wie Sie wissen, hat das Kiewer Regime als Antwort darauf
einen anderen Weg gewählt – Versuche, Russland und seine Bürger zu
verängstigen und Angriffe auf Wohngebäude.“
Und hier ist es sehr wichtig, die Besonderheiten des Augenblicks zu
erkennen, um die Entwicklung in die Zukunft zu steuern. Am Donnerstag
veranstaltete die Nachrichtenagentur RIA Novosti ein Brainstorming im
Rahmen des Forums „Was für eine Ukraine brauchen wir?“, bei dem meiner
Meinung nach wichtige Gedanken geäußert wurden. Zum Beispiel: Was wird
unser Sieg sein, wie stellen wir ihn uns vor?
Der Politikwissenschaftler Alexander Dugin sagte dort: „Sie wollen
natürlich unsere völlige Zerstörung erreichen, die Vernichtung Russlands
als Phänomen, als souveränes Subjekt der Weltgeschichte, als
Zivilisation – das ist ihr Ziel. Wenn wir nicht zulassen, dass dieses
Ziel erreicht wird, haben wir schon gewonnen. Aber eine wirklich
grundlegende Niederlage wird der Westen in diesem Fall nicht erleiden.
Leider befinden wir uns in einer ungleichen Position: Wir kämpfen um
unsere Existenz, und sie kämpfen für mehr Privilegien. Wenn sie diese
also nicht bekommen, ist das nicht schlimm. Aber wenn wir unseren Sieg
nicht bekommen, werden wir nicht mehr existieren. Das ist das
Ungleichgewicht in unseren Positionen und ich denke, das ist die Tragik
der Situation, in der wir uns befinden. Wir führen Krieg um unsere
Existenz. Sie führen Krieg, um etwas zusätzlich zu bekommen und um ihr
unipolares Modell zu stärken. Wenn wir auf unserem Modell beharren, wird
die Welt multipolar sein. Das wird unser Sieg sein, aber es wird keine
totale Niederlage für den Westen sein.“
Aber wir stellen uns nicht die Aufgabe, den Westen vollständig zu
zerstören. Die Aufgabe ist eine gerechte Welt, in der Russland sich
selbst bewahrt. Und was die Ukraine als Regime, als geopolitisches
Subjekt angeht, so ergeben sich daraus Fragen. Und es gibt Antworten auf
sie.
Dugin fuhr fort: „Sie werden sich dort heute demilitarisieren und morgen
militarisieren, heute entnazifizieren, selbst wenn sie das tun, und
dann morgen wieder nazifizieren. Beides werden sie nicht tun, im
Gegenteil, sie bewegen sich in Richtung Hypermilitarisierung und
Hypernazismus. Sie haben als Nationalstaat ihr eigenes Todesurteil
unterschrieben. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir in irgendeiner Weise
über die Völker in der Ukraine sprechen. Das ukrainische Volk, das
ukrainische Gebiet als Teil des großen eurasischen Reiches – all das
wird aufblühen, und wir werden die brüderlichen Beziehungen
wiederherstellen. Aber wie lange wird das dauern? Es wird unser Sieg
sein, aber nicht über den Westen, sondern über die Schwierigkeiten, die
wir in den letzten 30 Jahren nach dem Zusammenbruch des großen
vereinigten Sowjetstaates überwunden haben.“
Das Thema, wie unser Sieges aussehen würde, wurde von dem Historiker und
Publizisten Professor Dmitry Tabatschnik unterstützt: „Zunächst einmal
ist unser Sieg, eines der Zentren zu bleiben, ein Land – eine
Zivilisation. Das Recht, auf unserem eigenen Territorium wir selbst zu
sein, mit unseren eigenen Freunden, mit unseren eigenen Ansichten, mit
unserer eigenen Sprache, das ist unser Sieg.“
Das ist das Eine. Aber wohin soll es dann gehen? Wie können wir uns,
wenn wir auf die Geschichte zurückblicken, die Zukunft vorstellen?
Dmitry Tabatschnik fuhr fort: „Wenn wir über die kommende politische
Konstruktion sprechen, scheint es mir, dass die Gebiete, die
ursprünglich russischsprachig waren und die von verschiedenen
sowjetischen Führungskräften künstlich zur ukrainischen SSR hinzugefügt
wurden, die hoffentlich von der russischen Armee befreit werden, ein
Referendum bestehen und wie die Republiken Donezk und Lugansk in einem
Referendum ein integraler Bestandteil des großen Mutterlandes Russland
werden sollten. In einigen Teilen ist es meiner Meinung nach möglich,
eine Form der Autonomie zu nutzen, wie in der Republik
Kabardino-Balkarien, die den gemeinsamen Gesetzen unterworfen ist, und
in der bevölkerungsreichen Republik Baschkortostan und so weiter. Aber
an die Spitze dieser Diskussion müssen wir eine Frage stellen, die von
den heutigen, betrogenen Ukrainern beantwortet werden muss: Sagen Sie
uns, wann entstanden Ihre Industrie, Ihre Wissenschaft, das erste
Polytechnische Institut, alle drei Universitäten in der Ukraine:
chronologisch in Charkow, in Kiew, in Noworossijsk, heute Odessa? Wann
entstand die Musik, nicht die Volksmusik, sondern die Musik mit
Musikkunde? Die Antwort ist ganz einfach: Das alles geschah während des
riesigen Russischen Reiches, das man als einen freundschaftlichen
eurasischen Staat bezeichnen kann.“
Das stimmt alles. Aber das Wichtigste, was jetzt über den Ausgang der
Schlacht entscheiden wird, sind die militärischen Aktionen. Auf dem
Spiel steht nicht bloß viel, sondern einfach alles.
Ende der Übersetzung
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