Entnommen: https://www.freidenker.org/?p=19784
Amerikas Fundamente bröckeln: Exzellenz in Naturwissenschaften schwindet
31. August 2024
Diese Warnung kommt zu einer Zeit, in der die Vereinigten Staaten mit
tiefgreifenden Herausforderungen in ihrem Bildungssystem und ihrer
technologischen Innovationskraft konfrontiert sind. Nur durch eine
entschlossene Umgestaltung ihres Wissensfundaments könnten die USA ihre
Position als globaler Führer wiederherstellen.
Von Rainer Rupp
Erstveröffentlichung am 27.08.2024 auf RT DE
Eric Schmidt, der frühere Vorstandsvorsitzende von Google, hatte
kürzlich eine eindringliche Warnung ausgesprochen: Die USA laufen
Gefahr, ihre Führungsrolle in der globalen Wissenschaft und Technologie
zu verlieren, wenn die von der Biden-Regierung im Rahmen der
Anti-China-Sanktionen eingeführte, verschärfte US-Einwanderungspolitik
gegenüber chinesischen Studenten und Doktoranten weiterhin so restriktiv
bleibt. Diese Warnung kommt zu einer Zeit, in der die Vereinigten
Staaten mit tiefgreifenden Herausforderungen in ihrem Bildungssystem und
ihrer technologischen Innovationskraft konfrontiert sind.
Wie dringend das Problem ist, zeigt die Tatsache, dass auch die
international als außenpolitisches US-Leitmedium anerkannte Zeitschrift
Foreign Affairs dieses Thema kürzlich in einer ausführlichen
Veröffentlichung in alarmierendem Ton aufgegriffen hat. Von der Politik,
vor allem von der amtierenden Biden-Administration und der
Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris, wird das Thema weiterhin
ignoriert. So hat Harris in ihrer Rede auf dem Wahlkonvent der
Demokratischen Partei bei der Vorstellung ihrer politischen Prioritäten
als US-Präsidentin kein Wort über die Misere im US-amerikanischen
wissenschaftlich-technologischen Bereich verloren.
Die Vereinigten Staaten galten lange als Vorreiter in den Bereichen
Bildung, Innovation und Technologie. Doch diese Säulen der
amerikanischen Stärke seien zunehmend gefährdet, erklärt der
Foreign-Affairs-Artikel. Das Fundament der US-amerikanischen Macht, tief
verwurzelt im Wissensvorsprung des Landes, beginne zu bröckeln. Während
andere Nationen ihre Bildungssysteme und technologischen Fähigkeiten
rapide ausbauten, drohe den USA der Verlust ihres Vorsprungs – nicht nur
in militärischen und wirtschaftlichen Bereichen, sondern auch in ihrem
intellektuellen und innovativen Kern.
Das amerikanische Bildungssystem, einst ein Modell für Exzellenz, stelle
heute eine signifikante Schwäche dar. Tatsächlich fielen
US-Schülerinnen und -Schüler in wichtigen Bereichen wie Mathematik,
Naturwissenschaften und Lesefähigkeit zunehmend hinter ihre
internationalen Altersgenossen zurück. So zeigten beispielsweise die
Ergebnisse des National Assessment of Educational Progress 2023, dass
amerikanische 13-Jährige die niedrigsten Mathematik- und Lesefähigkeiten
seit Jahrzehnten aufwiesen. Die Situation sei so ernst, dass 70 Prozent
der Highschool-Absolventen die für das College erforderlichen
Mathematikstandards nicht erreichten, während 43 Prozent in allen
Fächern scheiterten.
Dieser Bildungsrückgang ist besonders besorgniserregend, wenn man ihn im
Kontext der raschen Fortschritte in anderen Ländern betrachtet. So
rangierten die Vereinigten Staaten laut Foreign Affairs im „Program for
International Student Assessment (PISA) 2022“ auf Platz 34 der
Mathematikfähigkeiten, hinter Ländern wie Slowenien und Vietnam
(Deutschland liegt auf Platz 25).
Diese Bildungslücke sei nicht nur ein akademisches Problem, so die
Zeitschrift, sie bedrohe direkt das langfristige Wirtschaftswachstum und
die globale Führungsrolle der USA, wobei Letzteres der Grund ist,
weshalb sich Foreign Affairs überhaupt dem Thema widmet.
Auch die Hochschulbildung in den USA, einst ein Leuchtturm der
Intellektualität und Innovation, steht vor erheblichen
Herausforderungen. Die Kosten für ein Studium sind in die Höhe
geschnellt und machen die Hochschulbildung für viele Amerikaner
unerschwinglich. Gleichzeitig verlieren US-Universitäten ihre
Wettbewerbsfähigkeit, da andere Länder massiv in ihre eigenen
Bildungseinrichtungen investieren. Ein alarmierender Trend ist die
„Abwanderung von Talenten“ aus den US-Universitäten in den privaten
Sektor, insbesondere in Bereichen wie der künstlichen Intelligenz (KI).
Diese Abwanderung entzieht den akademischen Institutionen nicht nur
wertvolle Köpfe, sondern lenkt auch Ressourcen von der
Grundlagenforschung ab, die für langfristige Innovationen unerlässlich
ist.
Die Auswirkungen dieses Trends seien bereits spürbar. Vor einem
Jahrzehnt produzierten die USA mit Abstand die meisten wissenschaftlich
zitierten Veröffentlichungen weltweit. Heute hat China die USA in diesem
wichtigen Maßstab wissenschaftlichen Einflusses überholt. Zudem ist die
US-Investition in Grundlagenforschung signifikant zurückgegangen,
während Chinas Investitionen zwischen 2012 und 2021 um über 200 Prozent
gestiegen sind. Setzen sich diese Trends fort, werden Chinas Ausgaben
für Grundlagenforschung die der USA innerhalb eines Jahrzehnts
übertreffen, befürchtet Foreign Affairs, das jedoch hier einen Fehler
macht. Denn in einem Ländervergleich lassen sich Effizienz und
Ergebnisse von Grundlagenforschung nicht nur an der Summe der Dollars
bemessen, die dafür ausgegeben werden – zum Beispiel, wenn die Gehälter
von Top-Wissenschaftlern in China weit unter denen ähnlich
qualifizierter Kollegen in den USA liegen.
Während die Vereinigten Staaten mit eigenen Bildungs- und
Forschungsproblemen kämpfen, schließen andere Nationen die Lücke rasch.
Besonders in Ostasien wurden beeindruckende Fortschritte in der Bildung
und technologischen Innovation erzielt. In den 1960er Jahren hatte
Ostasien eines der niedrigsten Pro-Kopf-BIPs weltweit. Heute hat die
Region, hauptsächlich durch Bildungsverbesserungen, einen enormen
Vorsprung erlangt und ist zu einem globalen Führer in der
wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung geworden.
Der Niedergang der Wissensmacht Amerikas habe weitreichende Konsequenzen
für seine globale Stellung, so Foreign Affairs. Während die USA in
Bildung und Innovation zurückfielen, schwinde ihre Fähigkeit, globale
Angelegenheiten zu beeinflussen. Die traditionellen Werkzeuge der harten
und weichen Macht – militärische Stärke und kultureller Einfluss –
reichten in einer Welt, in der Wissen und Technologie das
Wirtschaftswachstum, wissenschaftliche Entdeckungen und militärische
Fähigkeiten antreiben, nicht mehr aus.
Um ihre Wissensmacht wiederherzustellen und ihre Zukunft zu sichern,
müssten die USA entschlossene Maßnahmen ergreifen. Dazu gehöre vor allem
eine erhebliche Investition in das Bildungssystem, von der Grundschule
bis hin zur Hochschulbildung. Auch die Reform der Einwanderungspolitik,
um Spitzenkräfte zu halten, und die Modernisierung der Lehrpläne, um die
Schülerinnen und Schüler besser auf eine sich schnell verändernde Welt
vorzubereiten, seien entscheidend. Zudem müsse die US-Regierung ein
neues strategisches Rahmenwerk entwickeln, das die Bedeutung der
Wissensmacht in der heutigen globalen Landschaft erkennt. Dies erfordert
nicht nur Investitionen in Bildung und Forschung, sondern auch den
Aufbau der notwendigen Infrastruktur für technologische Innovationen.
Ohne diese Reformen riskierten die USA, weiter im globalen Rennen um
Wissen und technologische Dominanz zurückzufallen. Nur durch eine
entschlossene Umgestaltung ihres Wissensfundaments könnten die USA ihre
Position als globaler Führer wiederherstellen und ihre Zukunft in einer
zunehmend wissensgetriebenen Welt sichern.
Eine solche fundamentale Umgestaltung des US-Bildungswesens würde jedoch
eine kulturelle Revolution voraussetzen. Zugleich müsste angesichts der
gigantischen finanziellen Löcher im Haushalt der US-Regierung (aktuell
kommen alle drei Monate Tausend Milliarden Dollar Defizit dazu) der
größte Ausgabenposten im Haushalt radikal gekürzt werden, nämlich die
US-Militärausgaben von mindestens 800 Milliarden Dollar/Jahr. Das aber
wird die allmächtige Lobby der Kriegsgewinnler zu verhindern wissen.
Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker-Verbandes
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen