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Kiews abenteuerliche Kursk-Strategie geht nicht auf
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 22. AUGUST 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Geworg Mirsajan – https://rtnewsde.com
Nachdem der ukrainische Überfall auf das Gebiet Kursk erwartungsgemäß
ins Stocken geraten ist, steht die Ukraine vor der Wahl zwischen
mehreren ungünstigen Optionen. Sowohl ein Rückzug als eine
Intensivierung der Kämpfe in Kursk würden Kiews Lage verschlechtern.
Der Frontabschnitt Kursk hat sich stabilisiert. Davon schreiben
inzwischen alle russischen Kriegsberichterstatter und Militärblogger,
darunter jene, die noch unlängst unter dem Motto “alles ist verloren”
Panik verbreiteten. Freilich versuchen die Truppen des Kiewer Regimes
noch, die von Russland kontrollierten Ortschaften anzugreifen und in die
Tiefe des russischen Gebiets vorzustoßen. Ja, sie greifen weiterhin mit
allen verfügbaren Mitteln an – dazu zählt die Zerstörung der Brücken
über den Fluss Seim, um die Versorgungslogistik der russischen Verbände
zu erschweren. Doch von neuen großen Durchbrüchen kann keine Rede sein.
Ukrainische Verbände werden gezwungen, zur Verteidigung überzugehen, und
zwar nicht, wie gewohnt, in mehrstöckigen Hochhäusern, sondern im
freien Feld und kleinen Siedlungen. Ihr im Grunde einziger Schutz vor
Russlands Luftstreitkräften und Artillerie sind mehrere Tausend
Zivilisten, die das Kiewer Regime als lebenden Schutzschild missbraucht.
Natürlich bedeutet die Stabilisierung keine sofortige Befreiung: Man
wird noch lange und zäh die Ukrainer vom altrussischen Boden ausräuchern
müssen. Tatsache ist dennoch, dass das Kursker Abenteuer aufgehört hat,
dem Kiewer Regime Dividende zu bringen. Der wohl wichtigste Profit der
Unternehmung, der Image- und Moralstärkungseffekt, wurde gleich in den
ersten Tagen erzielt und verbraucht. Inzwischen verwandelt sich die
Operation in ein Abenteuer und bringt nur noch Nachteile. Diese liegen
vor allem im materiellen und technischen Bereich: die Ausmaße der
Verluste der ukrainischen Technik – an der es übrigens ohnehin mangelt –
erreichten bereits jene aus der Gegenoffensive vom letzten Jahr. Im
Grunde bedeutet es, dass sich die Operation in einen Fleischwolf
verwandelt, der für die Ukraine a priori verlustbringend ist, weil sie
weniger Ressourcen als Russland hat. Und diese Niederlage wird bereits
etwa auf dem Gebiet der Donezker Volksrepublik spürbar, wo Russlands
Streitkräfte ihr Vorstoßtempo auf Dserschinsk (gegenwärtig Torezk) und
Krasnoarmeisk (von der Ukraine in Porkowsk umbenannt), erheblich
gesteigert haben.
Kiews Militär im Gebiet Kursk beweist: Entnazifizierung der Ukraine notwendig
Das bedeutet, dass das Kursker Abenteuer eine Korrektur benötigt. Kiew
könnte die Erfüllung seiner Ziele, etwa in Form der Aufstockung des
Austauschfonds an Gefangenen, melden und daraufhin seine Truppen
zurückziehen und sie nach Krasnoarmeisk oder Dserschinsk schicken. Die
Imageverluste könnten dabei ausgeglichen werden, denn Russlands
Äußerungen, dass Kiew geflohen sei, würden durch das Gebrüll der
ukrainischen und westlichen Propaganda von einem erfolgreichen Überfall
übertönt werden. Doch ein Rückzug der ukrainischen Truppen birgt für
Kiew die Gefahr eines Einmarsches der russischen. Nachdem das Kiewer
Regime aus dem Gebiet Kursk vertrieben wird oder sich zurückzieht,
könnten Russlands Streitkräfte eine Pufferzone im Gebiet Sumy und,
möglicherweise, Tschernigow, einrichten – allein deswegen, weil es
einfacher ist, die Truppen auf vordersten Stellungen dort zu halten, als
auf dem russischen Territorium. Dann müsste Selenskijs Regime
irgendwelche Verbände verlegen, um den Vormarsch der russischen
Streitkräfte auf Sumy aufzuhalten.
Die zweite Variante ist, sich nicht zurückzuziehen, sondern im
Gegenteil, die am Frontabschnitt Kursk agierenden Verbände mit Reserven
zu verstärken. Dabei würde Donbass geopfert werden, doch das würde sich
langsam vollziehen, weil Kiew dort mobilisiertes “Kanonenfutter” opfern
könnte, damit es sich in bebauten Stadtgebieten festsetzt und Russlands
Offensive möglichst zurückhält. Mithilfe dieser Reserven könnte die
Ukraine im Gebiet Kursk nicht nur versuchen, durchzuhalten, sondern
auch, die russische Verteidigung zu durchbrechen. All das hätte den
Zweck, dass Moskau die Geduld verliert und neue Verbände, darunter die
Haupttruppen aus dem Donbass, ins Gebiet Kursk verlegt, um das Kiewer
Regime von dort schneller zurückzuschlagen, und damit die Offensive im
Donbass anhält.
Das Problem besteht darin, dass dieses Szenario eine Art Wettlauf gegen
die Zeit ist. Was würde schneller passieren: werden Kiews Verbände
aufgerieben, bevor Moskau die Geduld verliert? Ausgehend von der
gegenwärtigen Lage erscheint Ersteres wahrscheinlicher. Überhaupt zeigt
Moskau eine bemerkenswerte Zurückhaltung: massenhafte Fälle der
Misshandlung von Zivilisten im Geiste der Nazis und Selenskijs freche
Nachahmungsspiele etwa in Form der angekündigten Einrichtung von
Militärkommandanturen führen nicht zu irgendwelchen Reaktionen oder
Handlungen vonseiten Moskaus. Einfacher gesprochen, lässt sich Russland
von der Ukraine nicht provozieren.
Deswegen wird dieses Szenario mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer
weiteren Abreibung der ukrainischen Reserven führen und damit Russland
Möglichkeiten geben, sowohl an existierenden, als auch an neuen
Frontabschnitten vorzustoßen.
Kiew bedroht Sicherheit der AKW Saporoschje und Kursk mit Billigung des Westens
Natürlich hat Kiew noch die dritte Variante, selbst einen neuen
Frontabschnitt zu eröffnen und Offensivoperationen an anderen
Grenzabschnitten zu beginnen, um Russland zu zwingen, die Reserven
dorthin zu verlegen. Dabei gibt es allerdings gleich zwei Probleme.
Erstens werden andere Grenzabschnitte viel besser bewacht, und ihr
Schutz wurde nach dem Vorfall im Gebiet Kursk noch verstärkt. Zweitens
benötigt die Ukraine für neue Offensiven neue Reserven. Sicher wäre es
möglich, die Eliteneinheiten, die 80. und die 82. Brigaden,
aufzustocken, und sie einzusetzen. Es wäre aber nicht ausgeschlossen,
dass sie nach einer solchen Offensive ganz aufgelöst werden müssten.
Dies birgt wiederum die Gefahr des Verlusts von ausgebildeten Reserven
und der neuen russischen Offensiven.
Schließlich gäbe es den vierten Weg, mit Moskau eine Einfrierung der
Lage zu vereinbaren – allerdings nicht am Verhandlungstisch, sondern
durch Einschüchtern. Beispielsweise durch demonstrative Bereitschaft zu
Terroranschlägen, etwa gegen das Kernkraftwerk von Saporoschje bei
gleichzeitiger voller und uneingeschränkter Unterstützung des Westens,
darunter der blinden und taubstummen Internationalen
Atomenergie-Organisation (IAEA).
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Kiew gerade diesen für ihn gewohnten
Weg einschlagen wird. Das Problem besteht nur darin, dass Russland im
Gegensatz zu europäischen Partnern eine etwas andere Methode der
Kommunikation mit Terroristen praktiziert. Russland verhandelt nicht mit
ihnen, sondern vernichtet sie.
Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen am 19. August bei RT.
Geworg Mirsajan ist außerordentlicher Professor an der Finanzuniversität
der Regierung der Russischen Föderation, Politikwissenschaftler und
eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Geboren wurde er 1984 in
Taschkent. Er machte seinen Abschluss an der Staatlichen Universität des
Kubangebiets in Krasnodar und promovierte in Politikwissenschaft mit
dem Schwerpunkt USA. Er war von 2005 bis 2016 Forscher am Institut für
die Vereinigten Staaten und Kanada an der Russischen Akademie der
Wissenschaften.
https://rtnewsde.com/international/216398-kiews-abenteuerliche-kursk-strategie-geht/
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