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Deutschland malt sich freudig eine Zielscheibe auf den Rücken
VERÖFFENTLICHT VON LZ ⋅ 5. AUGUST 2024 ⋅ HINTERLASSE EINEN KOMMENTAR
Von Tarik Cyril Amar – https://rtnewsde.com
Ging Olaf Scholz mit seiner Zustimmung zur Stationierung amerikanischer
Raketen in seiner Unterwürfigkeit gegenüber Washington zu weit?
Jedenfalls regt sich Widerspruch an unerwarteter Stelle – auch weil die
Regierung die Entscheidung ohne Debatte durchsetzen will.
Für eine Regierung ist es eine Sache, alleine schlechte Ideen zu haben,
aber es ist viel schlimmer, die schlechten Ideen einer anderen Regierung
umzusetzen – und zu Hause keine Debatte darüber zu tolerieren.
Putin kündigt Russlands Reaktion auf US-Langstreckenraketen in Deutschland an
Und doch ist das genau das, was derzeit in Deutschland geschieht. Oder
zumindest ist es das, was die unbeliebte Koalitionsregierung unter
Bundeskanzler Olaf Scholz und ihre Handlanger in den Mainstream-Medien
im Hinblick auf die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen zu
erreichen versuchen.
Passend dazu – angesichts dessen, dass nach dem Angriff auf Nord Stream
das sich gehorsam deindustrialisierende Berlin zu einem peinlich
unterwürfigen amerikanischen Vasallen geworden ist, erfuhren die
Deutschen, als Nebenvorstellung der jüngsten NATO-Vorführung, aus
Washington, dass sie bald eine ganze neue Klasse amerikanischer Waffen
beherbergen dürfen. Ab 2026 sind diese sogenannten “weitreichenden
Feuerfähigkeiten” angesetzt, die anfänglich aus Tomahawk– und
SM-6-Raketen bestehen und später neue Hyperschallsysteme einschließen
sollen.
Die Platzierung soll zuerst vorübergehen sein und dann dauerhaft werden.
Sobald diese Waffen mit einer Reichweite von bis zu 2.500 Kilometern in
Deutschland installiert sind, könnten sie das Herz Russlands bedrohen,
Moskau inklusive, mit Angriffen, die nur etwa zehn Minuten vom Start bis
zum Einschlag benötigen. Viele davon können nukleare wie auch
konventionelle Sprengköpfe tragen. Da dadurch für Russland ein hohes
Risiko entsteht, das die Planer dort als neue westliche Fähigkeit für
Überraschungsangriffe sehen müssen, werden diese Stellungen Primärziele
für die russischen Truppen.
Anders gesagt, die Entscheidung, derartige Waffen auf deutschem Boden zu
stationieren, ist von höchster Wichtigkeit. Der russische Präsident
Wladimir Putin nutzte die Gelegenheit des Tags der Marine – der zufällig
auf eine berühmte Schlacht des Großen Nordischen Krieges zurückgeht,
als Peter der Große den Rest Europas zwang, Russland als Großmacht
anzuerkennen –, um die Dinge so klar wie möglich auszusprechen: Sollten
die amerikanischen Pläne umgesetzt werden, werde mit einer symmetrischen
Reaktion erwidert werden. Moskau wird, mit anderen Worten, Deutschland,
den willigen vorgelagerten Stützpunkt der Amerikaner, im Blick
behalten.
Streit in der SPD: Mützenich gegen Stationierung von US-Raketen in Deutschland
Darüber hinaus sprach der russische Präsident – was häufig übersehen
wird – von westlichen Waffen, also sowohl von spezifisch amerikanischen
als auch von solchen, die Washingtons Satelliten gehören. Damit bezog er
sich auf europäische Pläne, eigene Raketen für sogenannte “tiefe
Präzisionsschläge” zu bauen.
Wie Sahra Wagenknecht, die Vorsitzende von Deutschlands neuer, aber
bereits gedeihender Partei BSW richtigerweise erläuterte, wird die
Stationierung von Mittelstreckenraketen die Sicherheit des Landes nicht
erhöhen, sondern sie “erhöht im Gegenteil die Gefahr, dass Deutschland
selbst zum Kriegsschauplatz wird, mit furchtbaren Folgen für alle hier
lebenden Menschen”.
Und doch, nachdem die USA diese neue Eskalation im Stillen seit 2021
geplant haben, wurde die endgültige Entscheidung, sie umzusetzen, in
faktisch geheimen Gesprächen zwischen amerikanischen und deutschen
Regierungsvertretern getroffen (wenn “Gespräche” bedeutet, dass Berlin
neue Befehle entgegennimmt) – und niemandem sonst.
Vergessen Sie den Gedanken, dass die deutschen Bürger informiert werden
und ein Mitspracherecht haben sollten, ehe sie vor vollendete Tatsachen
gestellt werden. Tatsächlich hat der deutsche Verteidigungsminister und
NATO-Ultra Boris Pistorius auf dem Recht bestanden, eine
“Exekutiventscheidung” zu treffen. Er ist sich dessen sicher nicht
bewusst, wie ironisch das klingt: Im urbanen Slang Amerikas steht der
Begriff für Willkür. Und die Wirklichkeit ist natürlich, dass Washington
die Entscheidungen fällt und Berlin sich um die Umsetzung kümmert.
Wagenknecht hat außerdem Verhandlungen über ein Ende des Krieges in der
Ukraine gefordert, und, ganz allgemein, eine Regierung, “die die
existenziellen Interessen unseres Landes vertritt, statt willfährig die
Wünsche der Vereinigten Staaten umzusetzen, die von den Folgen eines
großen europäischen Krieges nicht direkt betroffen wären”.
Mit beiden Punkten hat sie recht. Aber solange Scholz’ Koalition an der
Macht bleibt, sind die Aussichten für so viel Vernunft und nationale
Selbstbehauptung schlecht.
Wie man nicht für den Frieden mobilisiert
In gewisser Weise ist es keine Überraschung, wie den Deutschen neue
Raketen und Gefahren aufgedrängt werden. Diese Art von Verhalten ist im
gesamten Westen inzwischen Routine, weil es wirklich funktioniert. Ob es
um den Krieg in der Ukraine geht, den israelischen Genozid in Gaza oder
die Frage, wie man auf den friedlichen Aufstieg Chinas reagieren soll –
wenn es ein starkes Signal dafür gibt, dass ein Thema wirklich wichtig
ist, dann, dass nicht erlaubt wird, eine abweichende Meinung dazu zu
haben oder zumindest, sie zu veröffentlichen.
Und doch gibt es etwas Besonderes bei diesem neuen Plan für
Mittelstreckenraketen. Er rückt die Berliner Gewohnheit, Debatten
vorwegzugreifen und sie zu verhindern, während der Verantwortung
ausgewichen wird, besonders ins Licht. Wie es Helmut W. Ganser, ein
deutscher General a.D., der hohe Positionen im Verteidigungsministerium
wie in der NATO innegehabt hatte, betonte, ist das eine Politik mit
“schwerwiegenden” Folgen, die einer “umfassenden Rechtfertigung” bedarf.
Aber nichts dieser Art wurde geliefert. Ein Dokument, das das
Verteidigungs- und das Außenministerium für den Bundestag produzierten,
ist eine Formalität, angefüllt mit plappernden Klischees über das große,
böse Russland, und die gute, unschuldige NATO, die nichts als etwas
mehr “Abschreckung” wolle.
Gleichzeitig bringt das Thema der Mittelstreckenraketen ebenfalls ans
Licht, dass trotz allem die Fähigkeit Berlins, Kritik zu unterdrücken,
an Grenzen stoßen könnte. Als einzelnes, verständliches und klar
alarmierendes Thema könnte die Stationierung von Mittelstreckenraketen
das Potenzial haben, einen Widerstand hervorzurufen, der über ein paar
unzufriedene Stimmen in den sozialen Netzwerken hinausgeht. Es gibt
bereits Anzeichen, dass Scholz einen taktischen Fehler begangen hat, als
er diese gefährliche Politik mit demonstrativer Überheblichkeit
einleitete.
In Scholz’ eigener Partei, der SPD, gab es öffentlichen Widerspruch. In
einem viel beachteten Interview sagte Fraktionschef Rolf Mützenich,
Deutschland brauche diese neuen Waffensysteme nicht; zudem erhöhten sie
nur die Gefahr einer “unbeabsichtigten militärischen Eskalation”.
Mützenich fragte außerdem, warum nur Deutschland eine Basis für diese
Raketen werden soll, und merkte spitz an, das stimme nicht mit seiner
Vorstellung einer Lastenverteilung in der NATO überein.
Streit um US-Raketen in Deutschland: Pistorius erklärt Debatte für faktisch beendet
Andere Mitglieder der SPD-Führung haben sich dem Rebellen angeschlossen.
In einer Erklärung haben die Mitglieder des Erhard-Eppler-Kreises –
benannt nach einer Schlüsselfigur der starken pazifistischen Welle, die
in den 1980ern durch eine vergleichbare US-Raketenstationierung
ausgelöst worden war – gewarnt, die Gefahr, die mit den neuen Waffen
verbunden sei, nicht zu unterschätzen. Sie haben auch die
Voreingenommenheit und das Schweigen der Führung unter Scholz
kritisiert. Die SPD-Rebellen erheben auch – was einem Kanzler, dem nur
seine Beliebtheit in den USA wichtig zu sein scheint – den Anspruch,
Mützenichs – und ihre – Position stehe für das, was viele einfache
Parteimitglieder denken.
Die Gegner und Kritiker dieser neuen Politik haben klar sowohl mit dem
Inhalt dieser neuen Politik als auch mit der Weise, wie sie von oben
verordnet wurde, im Stil der “Exekutiventscheidung”, wie Pistorius’
unbeholfener und verräterisch autoritärer Begriff lautete, ein Problem.
Dabei, das ist wichtig festzustellen, lehnen sie üblicherweise nicht
einmal die Behauptung ab, dass Deutschland mehr in sein Militär
investieren müsse. In dieser Hinsicht gestehen sie, zum Besseren oder
zum Schlechteren, überwiegend, dass sie ebenfalls glauben, die
“russische Aggression” zwinge den Westen dazu, sich wieder mehr der
Abschreckung zu widmen. Aber das macht es Berlin eher schwerer, mit
ihnen umzugehen, weil man ihnen schlecht den Mund verbieten oder sie als
naive Pazifisten oder Russophile karikieren kann. Auch ihr Argument,
dass dem Setzen auf mehr Raketen kein gleichzeitiges Angebot für
Gespräche und die Suche nach Kompromissen gegenübersteht, ist ein
weiterer Faktor, der es schwer macht, die Kritiker beiseitezuschieben.
Offizielle und Mainstream-Medien in Deutschland wurden völlig
konformistisch und unterwürfig, bewegen sich im Gleichschritt mit
Washington und sind durchdrungen von vereinfachenden, selbstgefälligen
Narrativen, die den Westen idealisieren und seine Gegner dämonisieren,
insbesondere Russland. Diplomatie wird zum “Appeasement” verzerrt, und
ein einseitiges Setzen auf militärische Lösungen als “Realismus”
präsentiert. Und doch ist es möglich, dass die Regierung Scholz diesmal
überreizt hat. Es scheint zumindest ein Potenzial zu geben, die Frage
der Mittelstreckenraketen in einen Katalysator zu verwandeln, der im
besten Falle dabei hilft, ein breiteres politisches und soziales Bündnis
jener zu schmieden, die eine Rückkehr zur Diplomatie wollen, um den
Krieg in der Ukraine zu beenden, die unzufrieden mit der erniedrigenden
und schädlichen Unterordnung unter US-Interessen sind, und schließlich
jenen, die im Allgemeinen die momentane Orthodoxie eines neuen Kalten
Krieges herausfordern wollen.
Übersetzt aus dem Englischen.
Tarik Cyril Amar ist Historiker an der Koç-Universität in Istanbul. Er
befasst sich mit Russland, der Ukraine und Osteuropa, der Geschichte des
Zweiten Weltkriegs, dem kulturellen Kalten Krieg und der
Erinnerungspolitik. Man findet ihn auf X unter @tarikcyrilamar.
https://rtnewsde.com/meinung/214446-deutschland-malt-sich-freudig-zielscheibe/
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